Hochfunktionaler Autismus / Asperger-Syndrom in Erwachsenenpsychiatrie und -psychotherapie - PD Dr. med. Dr. phil. Andreas Riedel ...

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Hochfunktionaler Autismus / Asperger-Syndrom in Erwachsenenpsychiatrie und -psychotherapie - PD Dr. med. Dr. phil. Andreas Riedel ...
Hochfunktionaler Autismus / Asperger-
Syndrom in Erwachsenenpsychiatrie und
           -psychotherapie

      PD Dr. med. Dr. phil. Andreas Riedel
           Universitätsklinikum Freiburg
    Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
                  Luzern, 07.06.2018
Hochfunktionaler Autismus / Asperger-Syndrom in Erwachsenenpsychiatrie und -psychotherapie - PD Dr. med. Dr. phil. Andreas Riedel ...
Hochfunktionaler Autismus in Psychiatrie
               und Psychotherapie

                                                        Asperger-
   Mit Autismus kenne       Kann man da              Syndrom? Das
    ich mich gar nicht       überhaupt               gibt’s doch nur
   aus, da müssen Sie        noch „was                 bei Kindern
     jemand anderes          machen“?
         fragen…
                                                           Damit
                                                         müssen Sie
Autisten können doch gar        Hochfunktionaler          zu einem
nicht sprechen – da hilft    Autismus? Das ist doch      Spezialisten
keine Psychotherapie…              die neueste
                            Modediagnose – glauben
                            Sie bloß nicht, dass es so
                                    etwas gibt
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Hochfunktionaler Autismus in Psychiatrie
               und Psychotherapie

                                                        Asperger-
   Mit Autismus kenne       Kann man da              Syndrom? Das
    ich mich gar nicht       überhaupt               gibt’s doch nur
   aus, da müssen Sie        noch „was                 bei Kindern
     jemand anderes          machen“?
         fragen…
                                                           Damit
                                                         müssen Sie
Autisten können doch gar        Hochfunktionaler          zu einem
nicht sprechen – da hilft    Autismus? Das ist doch      Spezialisten
keine Psychotherapie…              die neueste
                            Modediagnose – glauben
                            Sie bloß nicht, dass es so
                                    etwas gibt
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Autismusspektrumstörungen in der
                  Erwachsenenpsychiatrie -
                   Gliederung und Lernziele

 - Einführung, Definition, Historisches
 - Neuropsychologische und
   neuropsychiatrische Erklärungsmodelle
 - Diagnostik
 - Nur kurz: Behandlung

4 · 21. Juni 2018
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Überbegriff der Autismus-Spektrum-Störungen:

  Tiefgreifende Entwicklungsstörungen (ICD-10)
  Mentale und neuronale Entwicklungsstörungen
 (DSM-5)

 Qualitativ veränderte, nicht (nur) verlangsamte
 oder defizitäre Kindheitsentwicklung

 Lebenslängsschnittlich stabiles Kernsyndrom

5 · 21. Juni 2018
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Historisches zum Autismus

             Leo Kanner (1943)                                  Hans Asperger (1944)

Autistic disturbances of affective contact   Die „Autistischen Psychopathen“ im Kindesalter, Archiv
Nervous Child, 1943, 2, 217–50               für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, 1944, 117: 76–136
  Nach ICD 10 (seit 1992):
  Frühkindlicher Autismus (F84.0)                    Asperger-Syndrom (F84.5)
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DSM-5 (seit Mai 2013, USA): Autismus-Spektrum-Störung

Frühkindlicher Autismus

      Rett-Syndrom

             Hochfunktionaler Autismus

                     Atypischer Autismus

                           Asperger-Syndrom

                               Autistische Züge

                                  Sozialkommunikative Störung
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Diagnosekriterien für das Asperger-Syndrom:

1. Qualitative Beeinträchtigung der wechselseitigen sozialen Interaktion
          2. Qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation
    3. Repetitive und stereotype Verhaltensmuster und ausgeprägte
                            Sonderinteressen.

Kognitive Entwicklung und Sprachentwicklung sind nicht verzögert. Die Intelligenz
     ist mindestens normal ausgeprägt. Außerdem dürfen die Diagnosekriterien
  einer anderen tiefgreifenden Entwicklungsstörung oder der Schizophrenie nicht
                                   erfüllt sein.

                              Das ist sehr abstrakt…
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Diagnosekriterien für das Asperger-Syndrom mit
                        Beispielen
1. Qualitative Beeinträchtigung der wechselseitigen sozialen
    Interaktion
- fehlender oder ungewöhnlicher Blickkontakt
- Sich-Hineinversetzen und Sich-Hineinfühlen in andere Personen ist
   beeinträchtigt
- Deutliche Defizite der sozialen Kognition: Fehlende Intuition für
   Hierarchien, Gruppendynamik, Reziprozität
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Anamnesebeispiel

 Soziales Verständnis

 „Jetzt habe ich den „Knigge“ und
 „Sami Molcho“ auswendig gelernt und
 gelte immer noch als unhöflich, schroff
 und zu direkt – ich verstehe das
 einfach nicht…“

 „Was in Gruppen abläuft ist mir ein
 vollkommenes Rätsel, ich meide
 deshalb Ansammlungen von mehr als
 drei Menschen…“
Diagnosekriterien für das Asperger-Syndrom mit
                        Beispielen
1. Qualitative Beeinträchtigung der wechselseitigen sozialen
    Interaktion
- fehlender oder ungewöhnlicher Blickkontakt
- Sich-Hineinversetzen und Sich-Hineinfühlen in andere Personen ist
   beeinträchtigt
- Deutliche Defizite der sozialen Kognition: Fehlende Intuition für
   Hierarchien, Gruppendynamik, Reziprozität
- Interaktionsfähigkeit und Integrationsfähigkeit mit Gleichaltrigen bei
   Kindern beeinträchtigt
- Dialog- und Smalltalkfähigkeit und Fähigkeit zu lügen auch bei
  Erwachsenen beeinträchtigt
Smalltalk als Algorithmus
Diagnosekriterien für das Asperger-Syndrom mit
                        Beispielen

2. Qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation
- Fehlende oder reduzierte Verwendung von Mimik, Gestik, Prosodie,
   Nicken, M-hm-Sagen.
- Verstehen von Mimik, Gestik, paraverbaler Kommunikation
   beeinträchtigt
- (Beispiel mit Prosopagnosie und Mimikagnosie)
Diagnosekriterien für das Asperger-Syndrom mit
                        Beispielen

2. Qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation
- Fehlende oder reduzierte Verwendung von Mimik, Gestik, Prosodie,
   Nicken, M-hm-Sagen.
- Verstehen von Mimik, Gestik, paraverbaler Kommunikation
   beeinträchtigt
- Probleme beim Verstehen von Andeutungen, Witzen, Ironie und
   Metaphern
- Probleme bei Beginn und Beendigung eines Gesprächs
- Probleme bei der Organisation des Sprecherwechsels
Diagnosekriterien für das Asperger-Syndrom mit
                        Beispielen
3. Repetitive und stereotype Verhaltensmuster und ausgeprägte
Sonderinteressen
- Bevorzugung von immergleichen Tagen, immergleichen Wegen,
   immergleichem Essen…
- Zahlreiche Rituale im Tagesverlauf (Aufstehen, Waschen, Anziehen,
   Essen, Spazierengehen)
- Verbale und motorische Stereotypien („Schaukeln“, „Flattern“, uvm.)
- Sensorische Hochempfindlichkeit, Diskriminationsstörungen,
   Reizüberflutung („Overload“), verändertes Hunger-, Berührungs-
   und Schmerzempfinden (DSM-5)
- motorische Koordinationsschwierigkeiten
Autismus-Spektrum-Störungen
         Epidemiologie, Ätiologie
-   Prävalenz ca. 1 %
-   Weltweit weitgehend ähnliche Prävalenz
-   Stabile Kernsymptomatik über die ganze Lebensspanne
-   Geschlechterverhältnis w : m 1:4
-   90% genetische Ursachen
-   85% der Fälle: komplexe polygenetische Vererbung
-   Selten monogenetische Ursachen (z.B. fragiles X-Chromosom), selten
    organisch-exogene Ursachen (z.B. Valproat in der Schwangerschaft)
-   Fließende Übergänge zu anderen tiefgreifenden Entwicklungsstörungen
    (z.B. ADHS, Tourette-Syndrom, Intelligenzminderung (DSM-5))
-   Fließende Übergänge zur „Normalität“ (dimensionales Krankheitsmodell)
-   Im Spannungsfeld zwischen Unterdiagnostizierung und „Modediagnose“
-   Im Spannungsfeld zwischen Krankheit, Behinderung und Normvariante
Autismus-Spektrum-Störungen
         Klischees und Widerlegtes
-   Der gefühllose Autist
-   Der empathielose Autist
-   Autismus = Psychopathie
-   Verursachung durch „die Kühlschrankmutter“
-   Verursachung durch Impfungen
-   Autismus ist durch glutenfreie Diät oder Ähnliches behandelbar
Was ist Autismus?
Defizit der Theory of Mind

Fähigkeit, angemessene Annahmen über mentale (z.B.
  emotionale, kognitive und intentionale) Zustände anderer
  Personen zu generieren
Voraussetzung ist die Fähigkeit der Perspektivübernahme,
  die im 4. bis 5. Lebensjahr entwickelt wird
Synonym: kognitive Empathie
Automatisch ablaufender Prozess
Was ist Autismus?
Defizit der Theory of Mind

Defizite in den folgenden Aufgaben:
-   Emotionale Zustände erkennen und zuordnen
-   Intentionen erkennen
-   False Beliefs zuordnen können
-   Welche Information kann beim Hörer vorausgesetzt
    werden?

Im Kindesalter bei ASS regelhaft
  defizitär
Im Erwachsenenalter
  widersprüchliche Befunde
  (MASC-Beispiel)
Warum sagt Brigitte das?

        1. Sie will sich bei Michael für seine Bemerkung revanchieren.

        2. Sie denkt, dass er gut Zwiebeln schneiden kann.

        3. Sie will ihn demütigen und hofft, dass er anfängt zu weinen.

        4. Damit er die Zwiebeln schneidet.

Dziobek
 DziobekI Ietetal.
                al.Introducing
                    IntroducingMASC:
                                MASC:aamovie
                                        moviefor
                                              forthe
                                                  theassessment
                                                      assessmentofofsocial
                                                                     socialcognition.
                                                                            cognition.JJAutism
                                                                                         AutismDev
                                                                                                DevDisord.
                                                                                                    Disord.2006
                                                                                                            2006Jul;36(5):623-36.
                                                                                                                 Jul;36(5):623-36.
Was ist Autismus? Erklärungsmodelle
Theorie der schwachen zentralen Kohärenz

Fähigkeit, verschiedene Perzepte in einen
  Gesamtbedeutungskontext zu integrieren

Detailaufgaben werden besser gelöst

Das große Ganze kann nicht gut zu einer „Gestalt“ integriert
  werden

Potentielle Evidenz dafür in Bildgebungsstudien:
Reduzierte Neuronendichte im Corpus callosum
Was ist Autismus? Erklärungsmodelle
Theorie der schwachen zentralen Kohärenz
Was ist Autismus? Erklärungsmodelle
Theorie der schwachen zentralen Kohärenz
Was ist Autismus? Erklärungsmodelle
Defizit der Filterfunktionen
Was ist Autismus? Erklärungsmodelle
Defizit der Filterfunktion, oder ANDERE Filterfunktion?
Was ist Autismus? Erklärungsmodelle
Defizit der Exekutivfunktionen - im Bild
Was ist Autismus? Erklärungsmodelle
        Reduzierte globale Konnektivität

        Globale versus lokale Konnektivität

          Evidenz dafür in Bildgebungsstudien:
          Reduzierte Neuronendichte im Corpus callosum
30 · 21. Juni 2018
 Es existieren zahlreiche neuropsychologische und
  neuropsychiatrische Erklärungsmodelle für Autismus
  (Defizit der Theory of Mind, schwache zentrale Kohärenz,
  Störung der Exekutivfunktionen, Theorie der
  Kontextblindheit, Störung der Filterfunktionen,
  reduzierte globale Konnektivität u.v.m.)
 Keines davon kann Autismus als Gesamtsyndrom
  hinreichend erklären
 Bislang ist keines durch hirnorganische Korrelate belegt
  (außer reduzierte Neuronendichte im Corpus callosum)
 Die Erklärungsmodelle können Autismus aber treffend
  illustrieren
Autismusdiagnostik im
     Erwachsenenalter
Relevanz der Erwachsenendiagnostik
Berufsausbildung

100%

80%

60%                                                                      Uni
                                                                         FH
40%                                                                      Berufsausbildung
20%                                                                      keine Ausbildung

 0%
       Asperger- komplexe   atypisch frühkindlich autistische   kein
        Syndrom Syndrome                             Züge     Autismus
Arbeit, Erwerbsleben

 100%

   80%

   60%
                                                                                  im erlernten Beruf
                                                                                  weniger anspruchsvoll

   40%                                                                            arbeitslos/Rente...

   20%

    0%    Asperger-   komplexe   atypisch   frühkindlich autistische     kein
          Syndrom     Syndrome                              Züge       Autismus

viele Autisten sind gut ausgebildet, arbeitslos
und langfristig auf Versorgung angewiesen
Autismusdiagnostik im
     Erwachsenenalter
Relevanz der Erwachsenendiagnostik

Für das Kindesalter gibt es viele Instrumente, die gut
evaluiert und standardisiert sind (ADI-R, ADOS etc.)

Im Erwachsenenalter nicht…

Die Diagnose erfolgt klinisch
Der Anfangsverdacht – in der
psychiatrisch-psychotherapeutischen
Praxis
Menschen, die von ihrer Umwelt als „schon immer komisch und anders“
beschrieben werden, „Wrong-planet-Syndrom“

Fluktuierende Psychosen ohne kognitive Defizite

Mimik und Prosodie monoton, stereotyp

Auffällig fehlender oder starrender Blickkontakt

„Narzißtisch“ wirkendes Sozialverhalten bei gleichzeitiger Offenheit für Kritik

Dysharmonischer Gesprächsrhythmus

Zwanghaft anmutende Gleichförmigkeit der Lebensstruktur

Gegenübertragung „eigentümlich-befremdlich“
Diagnostik im
 Erwachsenenalter
Probleme:

Retrospektive Diagnose: Die Symptome müssen bereits im Kindesalter
nachweisbar oder zumindest wahrscheinlich vorhanden gewesen sein
 Fremdanamnese für die Kindheit unerlässlich

Die Diagnose einer Autismusspektrumstörung wird im
Erwachsenenalter klinisch gestellt und ist von Erfahrung, Intuition,
Meinung des Diagnostikers u.ä. abhängig.

Die Frage des Cut-Offs: Wo ist die Grenze zwischen Autismus und
Normalität?

Kompensationsmechanismen können die Symptomatik bei
Erwachsenen verdecken
Diagnostik

Fragebögen (AQ, EQ, SRS, ASAS u.v.m.)
Eigenanamnese (auch bzgl. Kompensationsmechanismen)
Fremdanamnese
Ergänzter psychiatrischer Befund
(z.B. nonverbales Kommunikationsverhalten, Blickführung,
Raumorientierung, Konkretismus,
Bildbeschreibung)
Verhaltensbeobachtung (z.B. ADOS)
Testpsychologie (z.B. MASC)
Diagnostik - Eigenanamnese

Bei hochfunktionalen Patienten ganz wesentlicher Anteil der
   Diagnostik                         1) Blicksteuerung und holistisches
Auch Entwicklungsanamnese             visuelles Erkennen

Strukturierungshilfe: 11-Punkte-Liste 2) Soziale Kommunikation und
                                      soziales Verstehen
                                             3) Soziale Einbindung, soziale
                                             Bedürfnisse
                                             4) Interaktionelle Phantasie
                                             5) Sprachpragmatik
                                             6) Routinen und Rituale
                                             7) Motorische und verbale
                                             Stereotypien
                                             8) Sensorische Überempfindlichkeit
                                             und Reizdiskrimination
                                             9) Detailwahrnehmung und
                                             sensorische Integration
                                             10) Auffälligkeiten des
                                             Gedächtnisses
                                             11) Motorik und Sonstiges

39 · 21. Juni 2018
Therapie

Kernsymptome sind nicht therapeutisch
veränderbar
Medikation erfolgt symptom- und
komorbiditätsorientiert
Therapie heißt oft Erlernen des Umgangs mit sich
selbst, dem eigenen Anderssein und der neurotypi-
schen Umgebung
Freiburger AspergerSpezifische Therapie für
ERwachsene
Fragen?

43 · 21. Juni 2018
Vielen Dank für
Ihre
Aufmerksamkeit!
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