Autismus-Spektrum-Störungen in der Schweiz: Aktuelles aus Forschung, Förderung und Sozialpolitik
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Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Autismus-Spektrum-Störungen in der Schweiz: Aktuelles aus Forschung, Förderung und Sozialpolitik Stiftung Kronbühl, 31. Oktober 2019 Prof. Dr. Andreas Eckert Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Fachstelle Autismus an der Hochschule für Heilpädagogik Beratungs- und Weiterbildungsangebote, primär für Fachpersonen und Eltern Fachstelle Autismus Beratung, Weiterbildung, Forschung und Entwicklung fachstelle-autismus@hfh.ch zum Thema Autismus Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 1
Inhalte des Referates Ø Teil 1: Autismus im Jahr 2019 – Aktuelle Erkenntnisse und Erklärungsansätze Ø Teil 2: Zur aktuellen Situation in der Schweiz – Autismus auf der politischen Bühne Ø Teil 3: Angebote der Begleitung und Förderung in verschiedenen Lebensphasen Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Autismus – Autismus-Spektrum – Autismus-Spektrum-Störungen Autismus: Ø erste Beschreibung der Besonderheiten einer spezifischen tiefgreifenden Entwicklungsstörung Ø sowohl umgangssprachlich als auch fachlich häufig genutzter Oberbegriff für die näher beschriebenen Subdiagnosen wie Ø das Asperger-Syndrom Ø den Frühkindlichen Autismus Ø den Atypischen Autismus Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 2
Autismus – Autismus-Spektrum – Autismus-Spektrum-Störungen Autismus-Spektrum: Seit den 1990er Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnende Sichtweise, dass die verschiedenen Formen des Autismus unterschiedliche Facetten innerhalb eines breiten Spektrums darstellen. Autismus-Spektrum-Störungen: Diagnostische Bezeichnung für Auffälligkeiten innerhalb des Autismus-Spektrums. Seit 2013 als Diagnosegruppe innerhalb des DSM-5 benannt. Seit 2019 ebenfalls als Diagnosegruppe im ICD-11 aufgeführt. DSM = „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ der American Psychiatric Association ICD = „International Classification of Diseases“ der Weltgesundheitsorganisation Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Diagnostische Charakteristika der „Autismus-Spektrum-Störungen“ (DSM-5) Anhaltende Defizite in der sozialen Kommunikation und sozialen Interaktion über verschiedene Kontexte hinweg. Diese können sich durch Einschränkungen bzw. Besonderheiten in den folgenden Bereichen zeigen: Sozial- Einsatz von Empathie, emotionale Gestik und Perspektiv- Gegenseitigkeit Mimik wechsel Gestaltung Verstehen Soziale sozialer sozialer Regeln Motivation Kontakte und Kontexte Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 3
Diagnostische Charakteristika der „Autismus-Spektrum-Störungen“ (DSM-5) Eingeschränkte, repetitive Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten Diese können sich durch Einschränkungen bzw. Besonderheiten in den folgenden Bereichen zeigen: Spezielle Flexibilität im Flexibilität im Interessen Denken Handeln Reaktion auf Detail- (Bewegungs-) sensorische fokussierung Stereotypien Reize Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Erst ein MUSTER an möglichen Einschränkungen bzw. Besonderheiten bildet die Grundlage für eine Diagnose. Sozial- Empathie, Spezielle emotionale Perspektiv- Gegenseitigkeit Interessen wechsel Einsatz von Flexibilität im Detail- Gestik und Handeln fokussierung Mimik Gestaltung Flexibilität im Soziale sozialer Denken Motivation Kontakte Reaktion auf Verstehen (Bewegungs-) sensorische sozialer Regeln Stereotypien Reize und Kontexte Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 4
Einordnung der Erscheinungsformen im DSM-5 Soziale Kommunikation und Verhaltensmuster, Interessen Interaktion oder Aktivitäten Schweregrad 3: Schweregrad 3: • wenige Worte verständlicher Sprache • Inflexibilität des Verhaltens • wenig Initiierung von Interaktion • extreme Schwierigkeiten im Umgang mit • wenig Reaktion auf Kontaktaufnahme Veränderungen • ausgeprägte Funktionsbeeinträchtigungen in allen Bereichen Schweregrad 2: Schweregrad 2: • Sprache in einfachen Sätzen • Inflexibilität des Verhaltens • eigenartige nonverbale Kommunikation • Schwierigkeiten im Umgang mit • auf begrenzte Spezialinteressen Veränderungen beschränkte Interaktion • Funktionsbeeinträchtigungen in vielen Kontexten Schweregrad 1: Schweregrad 1: • Sprache in ganzen Sätzen • Inflexibilität des Verhaltens • Versuche wechselseitiger • Schwierigkeiten in der Organisation und Kommunikation misslingen häufig Planung • vermindertes Interesse an sozialen • Funktionsbeeinträchtigungen in einzelnen Interaktionen Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Kontexten Wege der diagnostischen Abklärung einer Autismus-Spektrum-Störung Beobachtungen statt Biomarker Gleichzeitig: Zahlreiche internationale Forschungsprojekte „auf der Suche nach dem Biomarker“ (u.a. Genveränderungen, Hirnstrukturen, Blutuntersuchungen...) Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 5
Wege der diagnostischen Abklärung einer Autismus-Spektrum-Störung Ausgangspunkt: erste Verdachtsmomente (aufgrund der Beobachtungen von Eltern oder Fachpersonen) 1) Vertiefung der gegebenenfalls Zuhilfenahme von Beobachtungen, Austausch Beobachtungsbögen, mit involvierten Bezugs-, Screening-Instrumenten Fachpersonen (z.B. MBAS, ASAS, Q-CHAT, AQ) 2) Einleitung einer autismus- Kontaktaufnahme über Eltern, spezifischen Diagnostik an Kinderarzt, Schulpsychologischen einer erfahrenen Fachstelle Dienst 3) Durchführung einer Standardisierte Diagnostik mit den Autismusdiagnostik Elementen (ab einem Alter von ADI-R (Elterninterview) ca. 24 Monaten) ADOS-2 (Beobachtungsinstrument) erweiterte klinische Diagnostik (Entwicklungsdiagnostik etc.) Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Auftretenshäufigkeiten der Autismus-Spektrum-Störungen Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 6
Auftretenshäufigkeiten der Autismus-Spektrum-Störungen Hypothesen zur Zunahme der Diagnosen Ø Zuwachs autismusspezifischen Wissens sowohl bei Fachpersonen als auch bei Eltern Ø Zuwachs an medialer Berichterstattung => erhöhte Aufmerksamkeit für das Thema => vermehrte Einleitung einer Autismusdiagnostik Ø Zuwachs diagnostischer Kompetenzen => immer mehr ÄrztInnen, PsychologInnen können fachlich fundiert Autismus diagnostizieren Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Auftretenshäufigkeiten der Autismus-Spektrum-Störungen 0,8 – 1% 1 : 125/100 => meist zitiertes Resultat internationaler Studien 1,69 % 1 : 59 => aktuelle Zahl (2018) der CDC - Centers for Disease Control and Prevention (staatliche Behörde der USA) ca. 2 % 1 : 50 => auf das Schulalter bezogene Studien aus Australien, USA Geschlechterverteilung bei Autismus-Spektrum-Störungen Ø 1:2 bis 1:4 Mädchen : Jungen Ø Variationen nach Subdiagnose bzw. Schweregraden Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 7
Ursachen der Autismus-Spektrum-Störungen Autismus-Spektrum-Störungen als komplexe neurologische Entwicklungsstörungen werden erklärt durch eine biologische Pathogenese. Es gibt kein lineares Verursachungskonzept, vielmehr steht das Auftreten bzw. das Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren im Mittelpunkt der Erklärungen: - genetische Faktoren - assoziierte körperliche Erkrankungen (u.a. Fragiles X- Syndrom) - Hirnschädigungen bzw. Hirnfunktionsstörungen - biochemische Anomalien - neuropsychologische Defizite (Kamp-Becker & Bölte 2014) Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Ursachen der Autismus-Spektrum-Störungen Dabei ist es wichtig, Folgendes zu beachten: Autismus-Spektrum-Störungen Ø können nicht „anerzogen“ werden. Theorien zur psychogenen Erklärung des Autismus sind wissenschaftlich nicht haltbar. Ø werden nicht durch Impfungen ausgelöst. Wissenschaftliche Studien zeigen keinen direkten Zusammenhang zwischen Impfungen im frühen Kindesalter und dem Auftreten von ASS. Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 8
Komorbiditäten (begleitende Diagnosen) bei Autismus-Spektrum-Störungen Autismus-Spektrum-Störungen treten vielfach in Kombination mit weiteren medizinischen Diagnosen auf. Ø Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Ø Intelligenzminderung Ø Oppositionelles und aggressives Verhalten Ø Epilepsie Ø Depression Ø Ess-, Schlafstörungen Ø Zwangsstörungen Ø Psychose (Noterdaeme 2010, Kamp-Becker & Bölte 2014) Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Komorbiditäten (begleitende Diagnosen) bei Autismus-Spektrum-Störungen Häufigste Komorbiditäten Ø Intelligenzminderung (40-50%) Ø Angststörungen (42-66%) Ø Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörungen (28-44%) Ø depressive Episoden (12-70%) (Freitag et al. 2017, Lai et al. 2014) Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 9
Theorien zur Erklärung „autismusspezifischer“ Besonderheiten im Verhalten und der Wahrnehmung Klassische Ansätze: Ø Exekutive Funktionen Ø Schwache Zentrale Kohärenz Ø Theory of Mind Neuere Ansätze zu den Wahrnehmungsfunktionen: Ø Enhanced Perceptonal Functioning (Mottron et al. 2006) Ø Intense World Theory (Markram & Markram 2010) Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Kernaussagen zu den Theorien zur Erklärung „autismusspezifischer“ Besonderheiten Exekutive Funktionen Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung zeigen häufig Schwierigkeiten in der Planung, Initiierung und Koordination von Handlungsabläufen sowie der Steuerung von Aufmerksamkeit. Dies bildet eine mögliche Grundlage für eine anzutreffende Inflexibilität im Denken und Handeln. Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 10
Kernaussagen zu den Theorien zur Erklärung „autismusspezifischer“ Besonderheiten Schwache Zentrale Kohärenz Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung nehmen vielfach besonders detailfokussiert Einzelheiten wahr. Details in einen sinngebundenen Kontext zu integrieren, fällt demgegenüber häufig schwer. Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Kernaussagen zu den Theorien zur Erklärung „autismusspezifischer“ Besonderheiten Theory of Mind Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung haben häufig Probleme, die Perspektive anderer Personen einzunehmen. Deren Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen zu erkennen, zu erklären oder auch vorherzusagen, kann schwer fallen oder mehr Zeit benötigen. Ähnliches gilt teilweise für die eigenen Gefühle. Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 11
Kernaussagen zu den Theorien zur Erklärung „autismusspezifischer“ Besonderheiten Einschränkungen in der Theory of Mind sind nicht gleichzusetzen mit einem grundsätzlichen Fehlen an Gefühlen oder Empathie. Probleme zeigen sich primär in der kognitiven Empathie. Diese umfasst das Verstehen und Einordnen der eigenen Gefühle sowie der Gefühle anderer. In der affektiven Empathie, d.h. der emotionalen Reaktion auf Gefühlszustände anderer, zeigen sich demgegenüber keine signifikanten Unterschiede zu Menschen ohne eine Autismus-Spektrum-Störung. (Poustka et al. 2010) Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Kernaussagen zu den Theorien zur Erklärung „autismusspezifischer“ Besonderheiten Besondere Wahrnehmungsfunktionen Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung zeigen vielfach sensorische Über- oder Unterempfindlichkeiten. Eine hohe Sensibilität beispielsweise im auditiven Bereich, kann zu einer sensorische Überladung führen. Ebenso fällt es häufig schwer, situationsbezogen weniger wichtige Sinnesinformationen auszublenden. Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 12
Medikamentöse Behandlung Ø medikamentöse Behandlung setzt primär nicht an den Kernsymptomen der Autismus-Spektrum-Störung an Ø symptomorientierte Behandlung mit dem Ziel Ø Auswirkungen einzelner Symptome zu reduzieren Ø Verhalten zu „kontrollieren“ Ø Beispiele: Ø Hyperaktivität => Methylphenidat Ø (auto-) aggressives Verhalten => Neuroleptika Ø Depression => Antidepressiva Ø Aktuelle Testphase „Autismus-Medikament“ Balovaptan Ø zielt auf Verbesserung der sozialen Kommunikation und Interaktion Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zur aktuellen Situation in der Schweiz – Autismus auf der politischen Bühne Ø Das Postulat des Ständerats Claude Hêche und seine politischen Konsequenzen Ø Der Bericht des Bundesrates vom Oktober 2018 Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 13
Das Postulat des Ständerats Claude Hêche „1. Es soll eine Übersicht gewonnen werden über die Erkennung der Störungen, die Betreuung und die Nachbetreuung, und zwar sowohl auf Kantons- als auch auf Bundesebene. 2. Es soll festgestellt werden, ob die laufenden Massnahmen quantitativ und qualitativ ausreichen und es erlauben, die den verschiedenen Akteuren zur Verfügung gestellten Mittel und Ressourcen optimal einzusetzen. 3. Es sollen unterschiedliche Ansätze geprüft werden, dank denen beispielsweise die Zusammenarbeit und die interkantonale Koordination verbessert werden könnten. Ebenfalls soll die Möglichkeit geprüft werden, eine gemeinsame Strategie zu erstellen, in der prioritäre Handlungsfelder festgelegt werden.“ Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Autismus auf der politischen Bühne September 2012: Eingabe des Postulats „Autismus und andere schwere Entwicklungsstörungen. Übersicht, Bilanz und Aussicht“ durch Ständerat Claude Hêche November 2012: Anerkennung des Bedarfs durch den Bundesrat Mai 2013: Ausschreibung eines Projektes zur Beantwortung des Postulats Hêche durch das Bundesamt für Sozialversicherungen Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 14
Autismus auf der politischen Bühne September 2013: Projektstart Bearbeitung durch ein Forschungsteam der - Hochschule für Heilpädagogik Zürich - Haute école spécialisée de la Suisse occidentale, Fribourg/Lausanne Untersuchungsschritte: - Analyse des aktuellen Forschungsstands - Erhebung statistischer Daten - Interviews mit Expertinnen und Experten - Daten- und Interviewauswertung Oktober 2014: Abgabe des Forschungsberichtes Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Begleitgruppe mit Vertreterinnen und Vertretern von Bund, Kantonen und anderen Institutionen Autismus auf der politischen Bühne Juni 2015: Parallele Veröffentlichung - des Forschungsberichtes - des Berichtes des Bundesrates durch das Bundesamt für Sozialversicherungen Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 15
Zusammenfassung der Ergebnisse: Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Heft 1, 2016 Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Reaktion des Bundesrates – Juni 2015 „Im Hinblick auf die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie, auf die Festlegung der Handlungsschwerpunkte und die Umsetzungsplanung wird eine Arbeitsgruppe geschaffen, welche die Empfehlungen im Forschungsbericht nochmals eingehend prüft. Das BSV koordiniert diese Etappe und übernimmt die Leitung der Arbeitsgruppe.“ (Bericht des Bundesrates, Juni 2015) Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 16
17.Oktober 2018: Veröffentlichung des Folgeberichtes durch den Bundesrat Autismus-Spektrum-Störungen Massnahmen für die Verbesserung der Diagnostik, Behandlung und Begleitung von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen in der Schweiz Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Bericht des Bundesrates Oktober 2018 - Inhalte 1) Zielsetzung Die Situation von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Autismus- Spektrum-Störungen (kurz ASS) soll verbessert werden. (…) Da die meisten Massnahmen nicht in die Zuständigkeit des Bundes fallen, sind die im Bericht aufgeführten Prioritäten und Handlungsempfehlungen für Kantone, Leistungserbringer wie auch weitere Akteure gleichermassen als Anregung und Grundlage für die Umsetzung von Massnahmen zur Optimierung der Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ASS zu verstehen. (…) Die hier vorgeschlagenen Handlungsschwerpunkte und Massnahmen sollen den Zugang zu qualitativ hochstehenden und anhaltenden Angeboten in der Diagnostik, Behandlung, Therapie, Beratung, Begleitung und Betreuung gewährleisten und somit für die Menschen mit ASS im Sinne eines inklusiven Zugangs die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben verbessern. Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 17
Bericht des Bundesrates Oktober 2018 - Inhalte 4) Prioritäre Handlungsschwerpunkte 1) Früherkennung und Diagnostik 2) Beratung und Koordination 3) Frühintervention Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Bericht des Bundesrates Oktober 2018 - Inhalte 1) Früherkennung und Diagnostik (Empfehlungen 1 und 1a) ZIEL: Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 18
Bericht des Bundesrates Oktober 2018 - Inhalte 2) Beratung und Koordination (Empfehlungen 2 und 4) ZIEL: Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Bericht des Bundesrates Oktober 2018 - Inhalte 3) Frühintervention (Empfehlungen 3, 3a und 3b) ZIEL: Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 19
Bericht des Bundesrates Oktober 2018 - Inhalte 5) Weitere Handlungsbereiche 1) Integration im engeren Sinn Ø Schule Ø Berufliche Integration Ø Wohnen 2) Handlungsfeld Integration im weiteren Sinn Ø Geschützter Bereich Ø Entlastung Ø Freizeit 3) Handlungsfeld Ausbildung von Akteuren Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Bericht des Bundesrates Oktober 2018 - Inhalte 7) Prioritäten des Bundes und weiteres Vorgehen „Der Bundesrat lädt alle betroffenen Akteure und dabei insbesondere die Kantone ein, anhand des vorliegenden Berichts und der darin enthaltenen Massnahmen Überlegungen zur konkreten Umsetzung der in Ihrer Kompetenz liegenden Massnahmen voranzutreiben und wird seinerseits im Rahmen seiner Kompetenzen und Aufgaben dazu beitragen, die Situation von Menschen mit ASS kontinuierlich zu verbessern.“ (…) „Entsprechend möchte er alle Akteure ermuntern, bei der Umsetzung eine aktive Rolle zu übernehmen. Namentlich erachtet er es als sinnvoll, wenn die Kantone und Gemeinden – in enger Zusammenarbeit mit allen involvierten Akteuren – eine Auslegeordnung betreffend Strukturen und der aktuellen Versorgung vornehmen und gestützt darauf konkrete Massnahmen definieren.“ Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 20
Oktober 2019: ein Jahr nach dem Erscheinen des Bundesratsberichtes Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Oktober 2019: ein Jahr nach dem Erscheinen des Bundesratsberichtes Ø Bestrebungen zur Umsetzung der Massnahmen des Bundesratsberichtes variieren sehr stark von Kanton zu Kanton Ø viele Zuständigkeiten für deren Umsetzung bleiben weiterhin offen Ø “Empfehlungscharakter“ des Berichtes schränkt Tempo und Bestrebungen der Umsetzung scheinbar ein Ø insbesondere bei Interessensvertretungen und Betroffenen zeigt sich diesbezüglich vielerorts Enttäuschung Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 21
Angebote der Begleitung und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit einer ASS Heilpädagogik / Pädagogische Förderung im Coaching / Logopädie Kontext von Kindergarten und Schule Autonomieförderung Intensive Früh- Therapeutische Massnahmen Massnahmen der interventionen im Schulalter Berufsvorbereitung Kindergarten Sekundar- Berufliche Frühe Förderung Primarschule schule Integration Autismusdiagnostik Beratung und Koordination Begleitung und Entlastung der Familien Professionalisierung der Fachpersonen Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (Eckert, Canonica, Frei, Lütolf & Schreckenbach 2019) Frühe Förderung – aktuelle wissenschaftliche Empfehlungen Ø Intensive verhaltenstherapeutische Ansätze, basierend auf dem diskreten Lernformat, z.B. die Angewandte Verhaltensanalyse (ABA) nach Lovaas (1981) Ø Entwicklungsorientierte naturalistische verhaltenstherapeutische Frühinterventionen, z.B. das Early Start Denver Modell (Dawson et al. 2010) und das Programm A-FIPP (Teufel et al. 2017) Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 22
Frühe Förderung – aktuelle wissenschaftliche Empfehlungen Interkantonale Hochschule (Liesen et al. 2018) für Heilpädagogik Frühe Förderung – aktuelle wissenschaftliche Empfehlungen Die aktuelle Evidenzlage erscheint dergestalt, dass «umfassende, verhaltenstherapeutische und/oder entwicklungsorientierte Intensivinterventionen im Umfang von 2 Jahren und einer durchschnittlichen Wochenintensität von 25 Stunden deutliche Verbesserungen der Situation der Kinder, der Lebensqualität der Eltern sowie eine Verringerung der pädagogischen Aufwände und der volkswirtschaftlichen Folgen kosten erzielen lassen». Interkantonale Hochschule (Liesen et al. 2018) für Heilpädagogik 23
Frühe Förderung – aktuelle wissenschaftliche Empfehlungen «Wir empfehlen darum, diese Behandlungsform trotz der noch zahlreichen offenen Forschungsfragen als wirksam und zweckmässig anzuerkennen.» Þ Entwicklung eines angemessenen Kostenmodells Þ Definition eines transparenten Outcome-Modells Þ Entwicklung und Festlegung eins Programmmodells Interkantonale Hochschule (Liesen et al. 2018) für Heilpädagogik Frühe Förderung – aktuelle Praxissituation Parallele Existenz von Angeboten der Ø Heilpädagogischen Früherziehung Ø Logopädie sowie der Ø frühen Intensivangebote Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 24
Frühe intensive (verhaltenstherapeutische) Interventionen Ø Autismuszentrum GSR Aesch Nord Ø Intensivbehandlung nach „ganzheitlichem, transdisziplinärem Konzept mit individuell angepasstem Setting“ (PECS ,TEACCH, Wahrnehmungsförderung, Ergotherapie, Logopädie, Elterntraining) Ø Autismuszentrum Muttenz Ø FIAS (Frühe Intervention bei autistischen Störungen) Ø dreiwöchige Intensivphase mit gesamter Kernfamilie Ø Fokus auf „Beziehungsgestaltung, d.h. auf die wechselseitige sozial-emotionale Interaktionsfähigkeit und die zugrundeliegende Motivationsbildung“ Ø Autismuszentrum KJPD Zürich Ø FIVTI (Frühe Intensive Verhaltenstherapeutische Intervention) Ø verhaltenstherapeutische Intensivmassnahme (ABA-basiert) Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Frühe Förderung – aktuelle Fragestellungen, Diskussionspunkte Ø Erweiterung der Intensivangebote Ø Erweiterung der Intensität der Heilpädagogischen Früherziehung und Logopädie Ø kombinierte, autismusspezifische Angebote Heilpädagogischer Früherziehung und Logopädie Ø Hand in Hand der verschiedenen Angebote Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 25
Schulische Förderung – aktuelle wissenschaftliche Empfehlungen Ø es gibt nicht die „eine, richtige“ Schule für Kinder und Jugendliche mit einer Autismus-Spektrum-Störung Ø Schulen sollten vielmehr auf dem Weg zur „autismusfreundlichen Schule“: Ø autismusspezifische Rahmenbedingungen bereitstellen Ø sich methodisch an wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS orientieren Ø spezifische Kompetenzen aufbauen Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Schulische Förderung – aktuelle wissenschaftliche Empfehlungen Rahmenmodell der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störungen Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (Eckert & Sempert 2012) 26
Schulische Förderung – aktuelle wissenschaftliche Empfehlungen Kompetenzmodell zur schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit ASS (Weiter-) Entwicklung eines Autismuskonzepts Das Autismus-Spektrum verstehen Autismusspezifische Diagnostik und Förderplanung Sprache und Kommunikation Herausforderndes Verhalten Lernen und Lernorganisation Soziale Kompetenzen und Gestaltung von Peerbeziehungen Kooperation, Vernetzung und Kommunikation Entwicklungsbedingte und strukturelle Übergänge Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (Eckert et al. 2018) Schulische Förderung – aktuelle wissenschaftliche Empfehlungen 12 Tipps, ein autismusfreundliches Schulumfeld zu gestalten 1. ein ruhiges, gut strukturiertes 9. Zugang zu sonderpädagogischer Schulzimmer Unterstützung 2. sensorische Überladung vermeiden 10. Lehrpersonen, die ein empathisches 3. minimale Wechsel von Routinen und Verstehen des Kindes zeigen Personal 11. Lehrpersonen, die flexibel in ihren 4. sichtbare Tagespläne der Aktivitäten Lernstrategien, Prüfungen und und Vorbereitung von Übergängen Erwartungen sind 5. wohlwollende Gleichaltrige als Paten 12. Personal, das das Kind mag und 6. eine „Arbeitsstation“ oder ein „Büro“ wertschätzt, seine Fähigkeiten 7. eine „to-do“ Liste respektiert und die Motivationen und 8. Extrazeit, um eine Aktivität oder Lernprofile des Kindes kennt Aufgabe fertigzustellen Interkantonale Hochschule (Tony Attwood, 12 Tips to create an ASD friendly classroom) für Heilpädagogik 27
Schulische Förderung – aktuelle Praxissituation: Schulformen - Integration in die Regelschule mit/ohne IS/ISR/IF-Status - Heilpädagogische Schule - Sonderschule Förderschwerpunkt Verhalten - Schulwohnheime mit HPS, Sonderschule - Privatschulen - spezifische Schulen für Kinder und Jugendliche mit ASS - Stiftung Kind und Autismus Urdorf - SILASS - Homeschooling Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Schulische Förderung – aktuelle Fragestellungen, Diskussionspunkte - Integration von Kindern und Jugendlichen mit ASS – Chancen und Grenzen? - Bereitstellung von adäquaten und ausreichenden Beratungs- und Unterstützungsangebote - kantonale Beratungsangebote - Pensenzuweisung - Qualifizierung von Fachpersonen - Erweiterung der Autismus-Kompetenzen Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 28
Therapeutische Massnahmen im Schulalter – aktuelle wissenschaftliche Empfehlungen • Alternative Kommunikationsansätze, z.B. das Picture Exchange Communication System (PECS) (Howlin et al. 2007) • Autismusspezifische Gruppentherapien zur Förderung sozialer Kompetenzen, z.B. das Programm SOSTA-FRA (Cholemkery & Freitag 2014) • Strukturierungs- und Visualisierungshilfen, z.B. nach dem TEACCH-Ansatz (Häußler 2016) Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Therapeutische Massnahmen im Schulalter – aktuelle wissenschaftliche Empfehlungen Weitere im Einzelfall hilfreiche Förderangebote (ohne „ausreichende“ wissenschaftliche Wirksamkeitsnachweise) • Ergotherapie • Psychotherapie • Training sozialer Kompetenzen im Einzelsetting • Psychomotorik-, Bewegungstherapie • Physiotherapie • Sprachtherapie • Tanztherapie • ... Þ Bedeutsamkeit der Berücksichtigung autismusspezifischer Aspekte Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 29
Therapeutische Massnahmen im Schulalter – aktuelle wissenschaftliche Empfehlungen Zentral bei der Planung und Durchführung aller Unterstützungs- und Förderangebote ist Ø der Blick auf die vielfältigen individuellen Bedürfnisse und Ressourcen Ø die Einbeziehung der „Expertinnen / Experten in eigener Sache“ Ø der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen mit Ø der Eltern und Familien Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Therapeutische Massnahmen im Schulalter – aktuelle Praxissituation • primär Bereitstellung von häufig nicht autismusspezifischen Angeboten (Logopädie, Psychomotoriktherapie) im schulischen Kontext • zusätzlich einzelne Angebote autismusspezifischer Ergotherapie und Psychotherapie • wenige Angebote von Sozialtrainingsgruppen über die Schweiz verteilt (u.a. Autismushilfe Ostschweiz) Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 30
Therapeutische Massnahmen im Schulalter – aktuelle Fragestellungen, Diskussionspunkte • grosser Entwicklungs-, Erweiterungsbedarf autismusspezifischer Angebote in den Bereichen § Logopädie / Psychomotoriktherapie / Ergotherapie / Psychotherapie • Ausbau der Sozialtraingsgruppen • Erweiterung der Autismus-Kompetenzen von Therapeutinnen und Therapeuten Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Beratung, Koordination und Familienbegleitung – aktuelle wissenschaftliche Empfehlungen Ø kontinuierliche Beratungsangebote ab dem frühen Kindesalter Ø Bereitstellung von Anlaufstellen, Autismus-Kompetenzzentren Ø Koordination von Angeboten, Case-Management Ø Bereitstellung von familiären Entlastungsangeboten Ø Psychoedukative Elterntrainings Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 31
Beratung, Koordination und Familienbegleitung – aktuelle Praxissituation Ø vielfältige Beratungsangebote, Beratungsstellen in der Schweiz vorhanden, mit regionalen Unterschieden Ø zentrale, koordinierende Anlaufstellen nur in einzelnen Regionen, Kantonen im Angebot Ø Finanzierung der Beratungsangebote häufig nicht gesichert Ø Mangel an spezifischen Angeboten psychoedukativer Elterntrainings Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Beratung, Koordination und Familienbegleitung – aktuelle Fragestellungen, Diskussionspunkte Ø finanzielle Absicherung und quantitative Ausweitung von Ø Beratungsangeboten Ø Anlaufstellen Ø Entlastungsangeboten Ø Elterntrainings Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 32
Berufliche Integration und Autonomieentwicklung – aktuelle wissenschaftliche Empfehlungen Ø autismusspezifische Gestaltung des Berufsfindungs- und Berufsvorbereitungsprozesses in der Schulzeit Ø im Bedarfsfall individuelle Begleitung in Ausbildung und Berufstätigkeit, sowohl für die Person mit ASS als auch den Betrieb (Job-Coaching, Supported Employment) Ø Bereitstellung von autismusspezifisch gestalteten Beschäftigungsmassnahmen Ø Bereitstellung von individuell abgestimmten Unterstützungsangeboten für ein selbständiges bzw. begleitetes Wohnen Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Berufliche Integration und Autonomieentwicklung – aktuelle Praxissituation Ø zunehmende Vielfalt an autismusspezifischen Ausbildungsangeboten, -institutionen Ø zahlreiche individuelle konzipierte Arbeitsangebote und Unterstützungsangebote Ø zunehmendes Angebot an spezifischen Wohnmodellen Ø Finanzierung der Angebote in vielen Fällen schwierig, Kooperation der IV stark variierend Ø Angebote weisen grosse regionale Unterschiede auf und sind vielerorts nicht ausreichend Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 33
Berufliche Integration und Autonomieentwicklung – aktuelle Fragestellungen, Diskussionspunkte Ø Optimierung des Berufsfindungsprozeses im schulischen Kontext Ø finanzielle Absicherung und quantitative Ausweitung von Ø individuell angepassten Ausbildungs- und Arbeitsplätzen Ø Modellen des selbständigen bzw. begleiteten Wohnens Ø Erweiterung der Autismuskompetenzen in Institutionen des Jugend- und Erwachsenenalters Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Angebote der Begleitung und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit einer ASS Für die letzten 10-15 Jahre lassen sich deutliche Entwicklungsschritte aufzeigen. Gleichzeitig bleibt der Handlungsbedarf sehr gross. Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 34
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