Humanismus, Reformation, Renaissance bei den Slawen und ihre Bedeutung für die Herausbildung eines Nationalbewusstseins Die Hussitenbewegung bei ...

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Humanismus, Reformation, Renaissance bei den Slawen und ihre Bedeutung
              für die Herausbildung eines Nationalbewusstseins

    Die Hussitenbewegung bei den Tschechen als eine Vorform der Reformation

                       (zusammengefasst von Peter Deutschmann)

0. Die eigentliche protestantische Reformation in Deutschland und der Schweiz

16. u. 17. Jh. wird in Europa vielfach als „Zeitalter der Reformation“ definiert. Der
begriffliche Inhalt von „Reformation“ ist umstritten. Die Reformationsbewegung ist
eine der wichtigsten Erscheinungen der Zeit eines Wandels um 1500, in der
mittelalterliche Ordnungen und überlieferte Traditionen nicht mehr als zwingend
erachtet wurden. Begünstigt wurde die protestantischen Reformation in Deutschland
(Martin Luther, Philipp Melanchthon) und der Schweiz (Ulrich Zwingli, Johannes
Calvin) von den neuen Tendenzen in Südeuropa, die als Humanismus und
Renaissance bezeichnet werden.
Das Leben der Christen in der Welt wurde in dieser Zeit neu bestimmt. Schon seit
dem Beginn des 13.Jh. wurde innerhalb der katholischen Kirche eine Reform
gefordert, die alle Schichten der Kirche betreffen sollte, wirklich populär wurde der
Begriff erst im 15. Jh. Es ging nicht um die Schaffung von etwas völlig Neuem,
sondern um die Wiederherstellung der früheren, guten Verhältnisse und um
Maßnahmen, die Missstände (weltliche Interessen des Klerus, Ablasshandel u. dgl.)
in der Kirche zu reduzieren
In dieser Zeit auch war der Begriff „Reformation“ auch innerhalb der katholischen Kir-
che sehr gebräuchlich: Ordens- u. Klerusreformen (im Sinn von Wiederherstellung
des alten, aber auch im Sinn von Erneuerung z.B. Franz von Assisi, Dominikaner).
Luther (1483-1546) selbst hat den „Reformation“ als Begriff für seine Lehre selten
verwendet. Rückbesinnung auf das von Gott gewollte, wie es in der Bibel zum Aus-
druck kommt. Philipp Melanchthon (1497-1560), der Verfasser des Augsburger Be-
kenntnisses (1530) (1497-1560) und der in Deutschland wirkende Kroate Matthias
Flacius Illyricus (1520-1575) verwenden den Begriff „Reformation“ ebenfalls nicht,
wenn sie von Luthers Werk sprechen. Erst ab 18. Jh. auf Luther und sein Wirken be-
zogen (1517 (95 Thesen zu Ablass und Buße in Wittenberg) bis 1555). In der Folge
kam es zur Begriffsdifferenzierung von Reformation und Reform.

Beim Konzil von Trient/Trento (Südtirol, 1545-1563) wurden einige Kritikpunkte Lu-
thers berücksichtigt: Jeder Christ hat in seinem Beruf Gott zu dienen. Verbindung von
Reformation und Humanismus führte zu einer Verbreiterung schul. Bildung, das Bil-
dungsmonopol der Kirche wurde zurückgedrängt. Abendländische Kirche ging in
Konfessionskirchen (röm.-kath.., Augsburger Bekenntnis, Helvetisches Bekenntnis1,
Anglikanische Kirche etc) auseinander.

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  Helvetisches Bekenntnis (Ulrich Zwingli wurde mit Luther nicht einig, nach seinem Tod schlossen
sich seine Anhänger der Lehre der Genfer Theologen Johannes Calvin (1509-1564)
(Prädestinationslehre) an: Altäre, Kerzen, Bilder und Schmuck aus der Kirche verbannt.

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1.        Die Hussitenbewegung als eine Vorform der Reformation

1.a.      Der geschichtliche Kontext der Hussitenbewegung2

Böhmen unter Otakar Přemysl I 1198 zum Königreich innerhalb des Heiligen Römi-
schen Reiches Deutscher Nation. Freie Königswahl wurde so möglich. Im 12.Jhdt.
einsetzen der Siedlerbewegung durch die Deutschen (Priester, Adelige, Kaufleute
schon vorher, dann auch Handwerker, Bauern und Bergleute). Reichtum durch Sil-
berbergbau, größte Machtentfaltung unter Otakar Přemysl II. Beginnende Auseinan-
dersetzung zwischen dem reichen grundbesitzenden Adel und dem Königtum (Vor-
wurf an den König, das Land den Deutschen ausgeliefert zu haben). Einseitige, aber
beliebte Deutung der diversen gesellschaftlichen Konflikte durch sprachlich-nationale
Differenzen bzw. Zweisprachigkeit. Rechtsansprüche des Adels wurden nach Ermor-
dung des letzten Přemysliden (Václav/Wenzel III, +1306) deutlicher. Neue Königsdy-
nastie der Luxemburger, Blütezeit unter Karl IV, der zugleich Kaiser des Deutschen
Reiches war und Prag zum Zentrum seines Reiches machte (1348 Gründung der
Prager Universität), „Goldene Bulle“ 1356 stärkte die Stellung des Königs und der
Luxemburger gegenüber den Kurfürsten, die dafür große Zugeständnisse erhielten
(Unteilbarkeit von deren Länder). 1344 wurde Prag zum Erzbistum, was auch kir-
chenrechtliche Unabhängigkeit zur Folge hatte. Unter Václav IV, dem Sohn Karls IV
Niedergang der königlichen Macht, Beginn einer Reformbewegung, welche die kirch-
lichen und sozialen Missstände kritisierte. Sprecher war der Anhänger des engli-
schen Theologen John Wyclif, Jan Hus, der als tschechischer Patriot das Papsttum
und die Kirche kritisierte und die Tschechen zur Durchsetzung des wahren Evangeli-
ums aufrief. John Wyclif (1330-1384) war Theologe in Oxford und lehrte dort, dass
allein die Bibel die Grundlage der Religion sei und dass spätere Riten und Bräuche –
etwa Beichte und Heiligenverehrung – abgeschafft werden sollten.

1.b Jan Hus und die Folgen seiner Hinrichtung
Jan Hus (*um 1370 in Südböhmen vermutl. in Husinec, hingerichtet 1415 in Kon-
stanz)
Studium in Paris und Prag (Magister der freien Künste (->Mistr (d.i. Magister) Jan
Hus), Priesterweihe, Prediger in der Prager Bethlehemskapelle. Unter dem Einfluß
von John Wyclif Kritik an der kathol. Geistlichkeit, insbesonders an deren Besitzstre-
ben. Lehrer an der Prager Universität, 1409 Rektor. Unter dem Rektor Hus und Vác-
lav IV kam es zur Prager Universitätsverfassung zugunsten der tschechischen Ge-
lehrten (natio bohemica, Dekret von Kutná Hora/Kuttenberg) und zum Auszug der
deutschen Gelehrten (-> Gründung der Universität Leipzig). Päpstliche Bulle gegen
Wyclif führte in Prag zu Diskussionen, Hus hatte zuerst noch den Prager Erzbischof
und König Václav IV. an seiner Seite, 1412 päpstlicher Bann, Flucht aus Prag. Hus
hielt sich bei adeligen Förderern in Südböhmen auf. Trotz des kaiserlichen Geleit-
briefes für das Konzil in Konstanz (1414-1418), wo er seine Anschauungen darlegen
und verteidigen sollte, wurde Hus in Konstanz verhaftet und zum Widerruf seiner
Lehren aufgefordert, was er jedoch verweigerte, wenngleich er seine Treue zur Kir-
che bestätigte. Wegen Häresie verurteilt. Verbrennung auf dem Scheiterhaufen, ein
Jahr später wurde auch sein Prager Mitstreiter Hieronymus von Prag am Scheiter-
haufen hingerichtet.

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    Siehe auch das Skriptum „Die slawischen Sprachen im Überblick“ für diese Einführungsvorlesung.

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Jan Hus lieferte auch die Grundlagen für eine tschechische Schriftsprache und re-
formierte die tschechische Orthographie (Orthographia Bohemica, entstanden 1406
oder 1412).
Seine Anhänger hingen der Kommunion in beiderlei Gestalt (sub utraque specie, da-
her auch die Bezeichnung „Utraquisten“) an. Priestern soll ein Privileg genommen
werden, das Symbol ihrer Überlegenheit gegenüber Laien geworden war. Der „Lai-
enkelch“ wurde zum gemeinsamen Symbol für die verschiedenen Gruppierungen der
Hussitenbewegung
   Der Tod von Hus führte zu einer Steigerung seiner Popularität und zu einer
nationalistischen Wende der Auseinandersetzung. Die deutschen Bürger und Uni-
versitätsmagister lehnten die religiösen Reformen ab, was zu nationalen Antagonis-
men führte. Hus wurde von seinen vornehmlich tschechischen Anhängern als Märty-
rer und Nationalheld angesehen. Der tschechische Adel stellte sich hinter Hus. Ver-
bindung von Politik und Nationalbewusstsein. Hus selbst war kein tschechischer Na-
tionalist, ihm lag viel mehr an der Erneuerung der Kirche in dem Wunsch, aus ihr
eine authentische, auf Christus und die Eucharistie zentrierte Gemeinschaft zu ma-
chen
Václav IV wies die Priester, die den Laienkelch reichten, aus den Städten aus. Diese
unternahmen Wallfahrten auf Berge, der 1.Prager Fenstersturz in der Neustadt
(rechtes Moldauufer) war der Auftakt zur Hussitenrevolution (1419-1436). Unter der
Führung eines Mönchs wurden mehrere Ratsherren aus dem Rathaus geworfen..
Rasche Ausbreitung im Volk. 1420 Gründung der Stadt Tábor in Südböhmen (radi-
kaler Flügel der Taboriten), dort Sozialordnung nach dem Vorbild des Urchristen-
tums. Erwartung der Endzeit. Nach 1. Kreuzzug gegen die Hussiten 1419 vier hussi-
tische Forderungen („Prager Artikel“) an den Kaiser (Freiheit der Verkündigung des
Gotteswortes [auch in tschechischer Sprache]), Abendmahl in beiderlei Gestalt, Ver-
bot des weltlichen Besitzes des Klerus, Bestrafung der Todsünden).
Soziale Veränderungen im Zuge der raschen Verbreitung des Hussitentums (Böh-
men war mehrheitlich hussitisch: In den Städten setzte sich das tschechische Bür-
gertum gegenüber den Deutschen besser durch; da der kirchliche Grundbesitz ein-
gezogen bzw. säkularisiert wurde, erfuhr der niedrige tschechische Landadel eine
Bereicherung. Von den Nachbarländern wurden diese Erscheinungen beunruhigt
aufgenommen, erstmals in der Geschichte der römischen Kirche hatte eine religiöse
Bewegung soweit Zulauf, dass ein ganzes Land sich vom Papst distanzierte und sich
von der Kirche lossagte
   Die Hussiten waren eine heterogene Gruppe reformatorischer und kämpferischer
sozialreformatorischer Gruppen, die von der Idee des Laienkelchs sowie durch die
gegen sie vom Kaiser organisierten fünf Kreuzzüge zusammengehalten wurden. Das
hussitische Volksheer verteidigte sich lange erfolgreich (Wagenburgen als neue
Kampftechnik) Gemäßigte Utraquisten, radikale Taboriten, in der ideologischen Mitte
die Orebiten (Feldherr Jan Žižka). Ihre Bestrebungen gingen z.T. weit über die Ideen
von Hus hinaus (Taboriten: Abschaffung des Privateigentums. Adamiten: natürliche
Nacktheit, freie Liebe als Zeichen des Ausdrucks der Unschuld vor dem Sündenfall,
Taboriten selbst kämpften gegen diese)
   Der radikale Flügel der Hussiten unternahm auch kriegerische Vorstöße in
Nachbarländer. Niederlage der Taboriten unter Prokop dem Kahlen 1434 bei Lipan
führte zum kirchlich-politischen Kompromiss der Kompaktate von Iglau/Jihlava und
zur Rückkehr des 1421 vom Landtag abgesetzten Königs Sigismund nach Böhmen.
Den Hussiten wurde der Laienkelch erlaubt, die anderen drei Forderungen der Pra-
ger Artikel wurde in abgeminderter Form entsprochen

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1.c   Einige Werke von Jan Hus

Orthographia Bohemica (lat. geschrieben): Begründung der diakritischen Notation
der tschechischen Sprache für von der Lautung lateinischer Buchstaben differieren-
der Laute. Verwendung von Punkt und Akutzeichen (Apex). Aus dem Punkt wurde
später das Haček-Zeichen (noch im 15.Jh.), Ersatz der bisher üblichen Buchstaben-
kombination (cz, sz) durch Einzelbuchstaben, phonetisches Prinzip („jeder Laut soll
eigenen Buchstaben haben“), Länge der Vokale durch Akut/Apex. Beschreibung der
Aussprache tschechischer Laute, begründete Unterscheidung zwischen palatalen
und velaren Lauten, eine der seltenen Beschreibung der Phonetik einer lebenden
Sprache im späten Mittelalter. Diakritisches Prinzip setzte sich in der Folge in vielen
Sprachen und in der Linguistik (wiss. Transliterationsregeln) durch.

Postila aneb Vyloženie svatých čteni nedĕlních (Postille oder Auslegung der heiligen
Lesungen zum Sonntag)
Interpretationen einzelner Evangelienstellen von Jan Hus „zum Lob Gottes, zur Ret-
tung der gläubigen Tschechen, die den Willen Gottes zu erkennen und zu erfüllen
wünschen“. Wichtigkeit der Bibel als Grundlage für den Glauben wurde so festgelegt.
   59 Evangelienstellen ausgelegt, Muster: die Auslegungen von John Wyclif, andere
Auslegungen aus Predigten (Homilien) der Kirchenväter Hl. Gregor von Nazianz, Jo-
hannes Chrysostomus. Neue, höhere Ansprüche an die Moral des Individuums
kommen in dieser Postille zum Ausdruck. Befasst sich auch mit religiösen Zeitereig-
nissen (Verbot von Hussens Liedern in der Prager Bethlehemskapelle, patriotisch
Anklage gegen die Deutschen, die diese Kapelle zu zerstören versuchten).

Knížky o svatokupectvi, 1413 (Büchlein über die Simonie): Kritik an der Käuflichkeit
spiritueller Riten der Kirche

Výklad Viery, Desatera božieho přikazanie a modlitby páne (Auslegung des Glau-
bensbekenntnisses, der Zehn Gebote und des Vaterunsers)
Katechetische Schrift, 1520 posthum erschienen, 1412 in südböhmischer Verban-
nung vollendet. Dieser Katechismus soll dem einfachen Volk die Hauptstücke des
christlichen Glaubens beibringen, ohne Lateinkenntnisse und theologische Kennt-
nisse vorauszusetzen.
   „Gesetz Christi“ (John Wyclif): Laien und Priester sind vor Gott gleich. „Alle Chris-
ten sollen glauben, was Gott zu glauben geheißen hat.“ Bei der Auslegung der Zehn
Gebote auch Rückgriff auf die Kommentare John Wyclifs.
   Scharfe Kritik an kirchlichen und gesellschaftlichen Missständen (Ablasswesen,
Ämterkauf, weltliche Interessen des Klerus – gegen die „Arglist des Klerus […], der
seinen Stand in der weltlichen Macht erheben, in Herrschaft, Heiligkeit und Besitz
über die Laien stellen und diese in Schrecken halten will“. Rigorose Auffassung der
Zehn Gebote wird gegen den „Verfall der Sitten“ gestellt.
   Diese „aufklärerische“ Schrift sollte alle Bevölkerungsschichten erfassen, daher
auch eine Kurzfassung (Výklad menši). Als Katechismus nicht in Gebrauch, dennoch
maßgeblich für das Glaubensbekenntnis der Taboriten und der Böhmischen und
Mährischen Brüder.

1.d   Die Zeit nach der Hussitenrevolution bis zum Dreißigjährigen Krieg

Die Hussitenrevolution führte bereits vor der eigentlichen lutheranischen Reformation
zu einer religiösen Spaltung des Königreichs Böhmen (die Bevölkerung Böhmens

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war mehrheitlich für den Laienkelch, ein Teil von Mähren, Schlesien und die Lausitz
blieb kirchentreu). Die religiöse Auseinandersetzung isolierte Böhmen aber weitge-
hend von den Ideen des Humanismus und der Reformation, da religiöse bzw. soziale
und nationale Fragen die Diskussion dominierten. Das böhmische Königtum verlor
gegenüber den protestantisch gestimmten Ständen an Autorität, der Adel konnte
seine Machtposition weiter ausbauen. Nachdem die Stände den Utraquisten Jiři z
Podĕbrad (1458-1471) zum König gewählt haben brachen die Auseinandersetzun-
gen mit den Repräsentanten des Katholizismus (Kirche, kath. Adel) erneut aus.
1471 bis 1526 praktisch Herrschaft der Stände, weil zwei Könige aus der polnisch-li-
tauischen Dynastie der Jagiellonen von Ungarn aus regierten. Nach der Schlacht von
Mohács (Südungarn), bei dem Ungarn gegen die Osmanen eine vernichtende Nie-
derlage erlitt, gelangten die Habsburger auf den böhmischen (und ungarischen)
Thron (bis 1918). Die Habsburgerherrschaft wurde von tschechischer Seite als Ende
der selbstständigen Landespolitik gedeutet (z.B. von František Palacký, dem tsche-
chischen Nationalhistoriker des 19. Jh.) Mit den Habsburgern einsetzende Rekatholi-
sierung, Zentralisierung der Herrschaftsgewalt, Bevorzugung des kath. und deutsch-
sprachigen Adels).
    Habsburger schmälerten den politischen Einfluss der Stände (Ständeaufstand
1546/47 gegen die Herrschaftspraxis von Ferdinand I), in der Confessio Bohemica
erhielt die protestantische Ständeopposition von Kaiser Maximilian II mündliche Zusi-
cherung über freie Glaubensäußerung. Ab 1700 Verschärfung der religiösen Kon-
flikte, die protestantischen Stände (Utraquisten, Böhmische Brüder, Lutheraner) be-
trieben eine Konföderationsbewegung.
    1618: 2. Prager Fenstersturz (Beginn des Dreißigjährigen Krieges): Sturz der
Habsburger 1619, Confoederatio Bohemica gegen den Absolutismus, Europäisie-
rung der böhmischen Frage, 1620 Niederlage der Stände in der Schlacht am Weißen
Berg und der Folge gewaltsame Rache an den protestantischen Ständen (Hinrich-
tungen 1621). Katholizismus nun der einzig zugelassene Glaube („Verneuerte Lan-
desordnung“ 1627/28, kathol. Geistlichkeit erster Stand, Böhmen wurde als Erbkö-
nigtum der Habsburger festgesetzt). Vordringen des Deutschen als gleichberechtigter
Landessprache, allmählicher Verlust der Selbstständigkeit an den Wiener Hof (Auflö-
sung der Böhmischen Hofkanzlei). Europäisierung der böhm.-mährischen Adelsge-
sellschaft.

2.    Jan Amos Komenský (Comenius), der letzte Bischof der Böhmischen und
      Mährischen Brüder

Die Böhmisch-Mährischen Brüder waren eine Religionsgemeinschaft, die 1457 in der
Nachfolge des Hussitismus, während der Herrschaft des utraquistischen Königs Jiří z
Podĕbrad gegründet wurde. Für die Brüdergemeinde (Unitas Fratrum) war der hussi-
tische Philosoph Petr Chelčický (1380-1460) theologisch wichtiger als Jan Hus), der
im Gegensatz zu Jan Hus für freiwillige Armut und Gewaltlosigkeit eintrat. Diese rigo-
rose Tendenz wurde aufgegeben, eine größere Verbreitung wurde so erreicht. Den
Lutheranern nahestehend, aber dogmatische Differenzen. Nach der Schlacht am
Weißen Berge Flucht nach Polen und Sachsen.
   Das Toleranzpatent von Joseph II erteilte den Lutheranern und Calvinisten Freiheit
der Religionsausübung, nicht jedoch den B.-M. –Brüdern. In der Folge eigenständige
Organisation, im 20.Jh. Allianz mit den tschechischen Calvinisten. Die Evangelische
Kirche der Böhmischen Brüder (Českobratrská cirkev evangelická), neben der
Československá cirkev husitská die zweitwichtigste Kirche, die nach Gründung der

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Tschechoslowakei an die Grundsätze des Hussitismus anknüpfte. (Geschichtl. Be-
deutung für antikatholizistische Tendenzen der Tschechoslowakei. Dennoch heut-
zutage die katholische Kirche am stärksten vertreten (39% der Bevölkerung), gefolgt
von den protestantischen Kirchen Augsburger oder helvetischen Bekenntnisses, erst
dann kommen die „hussitischen“ Kirchen).

Johannes Amos Comenius (Jan Amos Komenský)
*1592 (Nivnice/Mähren), + 1670 in Amsterdam
Comenius gilt als Begründer der modernen Pädagogik.
Studium der evangelischen Theologie in Herborn und Heidelberg, nach der Schlacht
am Weißen Berge 1628 Flucht nach Polen (Leszno), wo die Böhmisch-Mährischen
Brüder ihre Tätigkeit fortsetzen durften. Verlor im Dreißigjährigen Krieg seine Familie,
die Gegenreformation war der Grund für sein Exil. 1632 wurde er zum letzten wirkli-
chen Bischof der Brüdergemeinde gewählt. Längere Reisen nach England, Schwe-
den und Ungarn, nach dem Schwed.-Polnischen Krieg Flucht nach Holland. Das reli-
giös tolerante und weltoffene Amsterdam nannte er das „Auge der Welt“, Amsterdam
war auch die Widmungsträgerin seiner pädagog. Schriften.

Werke:
De Rerum Humanarum Emendatione Consultatio Catholica. Ad genus humanum
ante alios vero ad eruditos, religiosos, potentes Europae
(neulateinisch; Allgemeine Beratung über die Verbesserung der menschlichen Dinge.
An das Menschengeschlecht, vor allem aber an die Gelehrten, Theologen und
Machthaber Europas), philosophischer Traktat 1644-1656 (fragmentarisch erhalten)
   Pansophisches Hauptwerk, erfuhr aber kaum Verbreitung (entgegen der im Titel
ausgesprochenen Adresse), erst 1966 einigermaßen vollständig erschienen. Ge-
schichtstheologischer Ausgangspunkt für Comenius ist die Disharmonie der Welt, die
durch menschliche Anstrengung korrigiert werden muss. „Sind auch die menschli-
chen Dinge verderbt, so sind sie doch nicht vernichtet, denn es bleibt auch bei Wir-
kung eines Sauerteigs von Irrtümern, Fehlern und Verwirrnis ein Teil zurück, der
göttlichen Werkes ist.“
   Dreiteilung (Trinitätsprinzip) durchzieht alle Aspekte des Werks: z.B. sind Philoso-
phie (intellectus), Religion (voluntas) und Politik (res agendi facultas) „drei große
Bäume“, die aus dem Grunde der Seele sprießen. Die Schrift entwirft einen Plan, wie
im „Verstand ein universales Licht angezündet werden kann“ (drei Lichtquellen: Welt,
Ratio, Hl. Schrift). Drei Hindernisse beim Anzünden des universalen Lichtes: die un-
endliche Zahl von Erfahrungstatsachen, die Uneinheitlichkeit der Bildung der Men-
schen, die Verschiedenheit der menschlichen Sprachen.
   Im Abschnitt „Pansophia“ wird eine Anatomie des Weltalls gezeichnet (8 Welten:
von allgemeinen Normen über das Reich der Engel, der Natur und der Arbeit zu den
Letzten Dingen): Katalog all dessen, was existiert (in seinem Wesen und in seiner
Ordnung)
   Im Abschnitt „Panpaedia“ (Universale Erziehung: vier Stadien. Schule des
Geborenwerdens, des Mannes- u. Greisenalters und des Todes, alle Menschen auf
der Welt gleich welcher Herkunft und Sprache und Bildung sollen gebildet werden
   Panglottia (Universale Sprachpflege): Forderung einer Universalsprache, die soll
vernünftig harmonisch und „pansophisch“ sein, also die Welt nach dem Muster von
Comenius abbilden können. Dafür wurde ein pansophisches Wörterbuch geschaffen.
   Panorthosia (Universale Reformation): Soll mit den Wirren aufräumen und eine
Verbesserung der Dinge bewirken: Drei Gremien: Collegium lucis (Welterziehung),

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Consistorium oecomenicum (Weltkirchenbehörde), Dicasterium pacis (Weltjustizbe-
hörde)
   Universale Mahnung zum Zusammenspiel von göttlichen und menschlichen Plan.
Das Gemeinwohl ist das Höchste aller Dinge: „Niemand von euch kann zwar die
Sonne über den Erdkreis heben; aber wenn sie aus eigener Kraft aufsteigt, kann je-
der mahnen, werken und bewirken, dass die Menschen nicht länger bei Licht schla-
fen, sondern aufstehen, die Fenster öffnen und etwas des Lichts Würdiges tun.“
Lichtmystik, Lichtmetaphorik (aus Neoplatonismus: Meister Eckhard, Jakob Böhme,
Paracelsus) und zeitgenössische naturwissenschaftliche Lichttheorien, Verbindung
von Naturwissenschaft und „synkritischen“ Momenten.
Utopistische Schrift (wie Th. Morus), allerdings nicht auf Einzelstaaten bezogen, son-
dern auf die gesamte Menschheit.

Didactica Magna (nlat. Große Unterrichtslehre)
pädag. Hauptschrift, (1627-1632, ersch. 1657)
Die Aspekte christlicher Erziehung dominieren über die Momente realistischer bzw.
empirisch-naturwiss. Prägung. Natur hat für Comenius auch übernatürliche spirituelle
Aspekte: Mensch als Ebenbild Gottes, Vernunftwesen, das sich durch Wissen bildet,
durch Tugend Kontrolle über sich selbst erlangt, das durch Religion die Vereinigung
mit Gott erreicht. „Natur“ als verlorener Ursprung und wiederzuerlangendes Ziel des
Unterrichts. Der Vogel brütet im Frühling, daher auch soll in Kindheit und Jugend,
dem Frühling des Lebens, gelernt werden, von Innen nach Außen, also kein bloß
theoretisches Wissen, sondern Praxis. Die Natur macht keine Sprünge, also auch
kontinuierlicher Unterricht.
   Schulen sind die „Freudenanstalten zur Weisheit und Lustgärten des
Menschengeschlechts“. Der Unterricht soll durch Vernunft, statt durch „Schreien,
Einsperren und Prügeln“ wirken.
   Strukturierung der Schulbildung in „Mutterschule“ (bis zum 6. Lebensjahr: gleicht
den „Knospen und mannigfach duftenden Blüten des Frühlings“), „Elementarschule“
(7. bis 12. Jahr, in jeder Gemeinde einzurichten), „Lateinschule“ bzw. „Gymnasium“
(vom 13.-18 Lebensjahr in jeder Stadt) und „Akademie“ und Reisen für all jene, die
„Schule, Kirche und Staat“ wohl zu leiten verstehen.

Kšaft umírající matky Jednoty Bratrské (Vermächtnis der sterbenden Mutter der Brü-
derunität) 1650
Comenius als der letzte Bischof der Böhmischen und Mährischen Brüder schrieb die-
ses Manifest als resignative Reaktion auf den Westfälischen Frieden, der Böhmen
und Mähren den Habsburgern und damit der Gegenreformation zusprach, was be-
deutete, dass die Angehörigen der Brüdergemeinde nicht in ihre Heimat zurückkeh-
ren durften. Das Vermächtnis ist zum einen an die protestant. Schwesterkirchen
(deutscher, polnischer und helvetischer Protestantismus) gerichtet, zum anderen an
die Anhänger der Böhmischen und Mährischen Brüdergemeinde, die durch den Frie-
densvertrag weiter im Exil bleiben mussten. „Auch ich vertraue und hoffe zu Gott,
dass nach Vergehen der Hasses-Stürme, die unsere eigenen Sünden über unsere
Häupter beschworen, die Regierung deiner Angelegenheiten wieder in deine Hände
zurückkehrt, o tschechisches Volk“ – einer der Schlüsselsätze der antihabsburgiani-
schen Bewegung, der an die Hussitentradition anknüpfenden national-tschechischen
Bewegung. Zuversichtliches Ende trug im 18. Jh. zu einem „Revival“ der Brüderbe-
wegung bei. Im Revolutionsjahr 1848 erstmals in Böhmen gedruckt, zuvor ein frühes
Beispiel für „Samizdat“ (Verbreitung von offiziell nicht genehmigter Literatur über in-
offizielle Wege, z.B. Abschreiben, Verteilen etc.)

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Labyrint Svĕta a Ráj Srdce (Das Labyrinth der Welt und das Paradies des Herzens)
Allegorische Reisebeschreibung in tschechischer Sprache, 1631 erschienen, das
wichtigste literarische Werk von Comenius.
   Anlehnung an utopische Schriften (z.B. Tommaso Campanellas Sozialutopie Città
del Sole (1623) und an J.V. Andreaes Christianopolis (1619).
Trostwerk als Reaktion auf die Schlacht am Weißen Berge (1620), in welcher die
protestantischen Stände eine vernichtende Niederlage hinnehmen mussten, was die
Rekatholisierung Böhmens und Mährens bedeutete.
   Allegorische Beschreibung der Welt und der Zeitgenossen. Labyrinthstadt Welt,
durch die der Ich-Erzähler auf seiner Pilgerreise nach der Suche von wahren und
richtigen Zielen von zwei allegorischen Figuren geführt wird („Allwissend“ und „Ver-
blendung“). Der Pilger durchschaut die Machenschaften der anderen, oft wird wird er
auch getäuscht. Der Perspektivenwechsel des Pilgers ist ein erzähltechnisches No-
vum in der tschechischen Literatur.

ORBIS Sensualium Pictus, H.E. Omnium Fundamentalium in Mundo Rerum et in vita
Actionum Pictura et Nomenclatura (Die sichtbare Welt in Bildern, d.i. aller vor-
nehmsten Weltdinge und Lebensverrichtungen Abbildung und Benennung)
neulateinisch geschriebenes Unterrichtswerk, erschienen 1658
   In dieses Werk sind Comenius frühere Werke Ianua linguarium reserata (Das er-
schlossene Sprachentor, 1631) und Vestibulum ianuae linguarium (Die Vorhalle des
Sprachentors, 1633) eingeflossen, Orbis Sensualium Pictus ist das verbreitetste und
erfolgreichste Lehrbuch überhaupt (in 24 Sprachen z.T. polyglott übertragen).
Ziel des Lehrbuchs ist, eine dem Alter der Lernenden zweisprachige Ausbildung in
Latein und der Muttersprache der Schüler über die Welt zu vermitteln.
   Grundgedanke der Didaktik von Comenius ist, dass die göttliche Ratio und der
menschliche Verstand sich ergänzen und entsprechen, der Mensch muss durch
seine Geisteskraft das Wissen, seine Fähigkeiten und den Glauben erweitern. Die
Wahrheit liegt somit nicht im Menschen allein, sondern auch in der Dingwelt, in den
Gegenständen der göttlichen Schöpfung. Im Buch sind Realia in Bild und sprachli-
chen Bezeichnungen enthalten, sodass die Sprachvermittlung durch die Kombination
von Bild und Wort erfolgen kann
   Für das Anfangsstadium im Sprachunterricht: Jedes Zeichen des Alphabets hat
ein Tier zu Illustration, dessen Stimme dem Laut entsprechen soll (siehe Abbildung)
Für alle Lernstadien werden Realia in Bild dargestellt und zweisprachig beschrieben.
Auch abstrakte Begriffe werden so erklärt (siehe Abbildung)
Diente lange in mehreren Sprachen als Lehrbuch der Erstsprache u. zugl. Lateinfibel.
Stark in Wortschatzvermittlung, Grammatik, Syntax und Morphologie für den Sprach-
unterricht aber nicht ausgearbeitet. Bis zur Mitte des 19. Jh. in Gebrauch.

Unum Necessarium, scire quid sibi sit necessarium in vita et morte et post mortem.
(nlat: Eins aber ist not, zu wissen, was im Leben und im Tod und danach nötig ist)
Laienbrevier (erschienen 1668, das letzte zu Lebzeiten veröffentlichte Werk)
   Geistiges und geistliches Vermächtnis von Comenius. Autobiographische
Lebensbilanz mit didaktischer Absicht. Zugleich Selbstkritik, schließt mit einem Lob-
preis Gottes und einem Gebet für die Nachwelt.
   „Eile dich, dass auch du die Labyrinthe der Welt hinter dir lässt, den rollenden
Sisyphusstein zum Stehen bringst und trügerische Tantalusfreuden in wahre ver-
wandelst, die wirklichen Genuss gewähren“. Vanitas-Motivik des Barock illustriert an-
hand von Motiven aus der antiken Mythologie. Der Ausweg aus den Irrungen des ir-

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dischen Lebens besteht im Schauen auf Gott, im Lebensprinzip der Bedürfnislosig-
keit. Von großer Bedeutung für die protestantische Erbauungsliteratur.

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Fragen:
   1. Nennen Sie die wichtigsten religiösen Grundsätze der Hussitenbewegung!
   2. Jan Hus hat neben seinen theologischen Schriften auch eine für Philologen
      interessante Schrift verfasst. Wie heißt diese und worin besteht deren histori-
      sche Bedeutung?
   3. Charakterisieren Sie einige pädagogischen bzw. philosophischen
      Überzeugungen aus den Werken von Jan Amos Komenský!

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