Harry Collins Argumente gegen embodiment

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Harry Collins Argumente gegen embodiment
Harry Collins
                    Argumente gegen embodiment

                                    Seminararbeit
                                          zur
                                   Lehrveranstaltung:
                      Forschungsseminar: Neuere psychologische
                                     Fachliteratur
                                        (SS 08)
                                 unter der Leitung von:
                           Ao. Univ.- Prof. Dr. Karl Leidlmair

Eingereicht von:
Bachler Sarah (0518295), Höck Viktoria (0416232) und Pramstraller Magdalena (0517417)

                              Innsbruck, am 10. Juni 2008
Inhaltsverzeichnis

1. Biographie                                                           3
2. Einführung in die neue Orthodoxie und Kritik am „embodiment“         6
3. Sozialität                                                           7
4. Die Einbettung in die Gesellschaft                                   8
5. Sprache und „embodiment“                                             11
6. Sozialität, Sprache und künstliche Intelligenz                       12
7. Interaktionales Know – how                                           16
        7.1 Ein klassisches Experiment zum interaktionalen Know – how   17
                7.1.1 Vorgang                                           19
                7.1.2 Die Sachverständigen                              19
                7.1.3 Möglichkeits- und Identifikations – Bedingungen   20
                7.1.4 Resultate                                         20
                7.1.5 Problematische Faktoren                           21

8. Bibliographie                                                        23

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1. Biographie

Harry Collins ist Professor für Sozialwissenschaften an der Cardiff Universität in England.
(Center for the Study of Knowledge, Expertise and Science). Für seine Werke erhielt er 1997
den   J.   D.   Bernal    Preis   der     Society   of    Social   Studies   of   Science.
Er hat eine Reihe von Büchern geschrieben; am bekanntesten ist das 1993 erschienene Buch
„The Golem: What Everyone Should Know About Science.“
In seinem Werk „Changing Order - Replication and Induction in Scientific Practice“,
behandelt er eine Theorie über die Soziologie der Wissenschaft. Ausgehend vom Konzept des
„Language Game“ und „Forms of Life“             sucht er nach einer Erklärung dafür, wie
Wissenschaftler sich an Regeln und Strukturen halten, wenn sie Experimente durchführen und
wissenschaftlich arbeiten. Collins Perspektive wird eine „relative“ Position genannt, auch
wenn das eine starke Vereinfachung ist.

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Forschungsinteressen:

   •   Die Natur der wissenschaftlichen Erkenntnis und des Wissens im Allgemeinen;
   •   Public Understanding of Science;
   •   Die Natur der Fähigkeiten und Kompetenzen;
   •   Künstliche Intelligenz und die Beziehung zwischen Menschen und Maschinen;
   •   Medizinische Kenntnisse und Fähigkeiten; die Pädagogik der Naturwissenschaften;
   •   Eine Langzeit-Projekt über den Nachweis der kosmischen Gravitationsstrahlung.

Mandate und Positionen:

   •   Januar bis März 2003 Andrew W. Mellon Gastprofessur für Geschichte, California
       Institute of Technology
   •   April bis Mai 2002 Gaststipendiat für Forschung am Max Planck Institut für
       Wissenschaftsgeschichte, Berlin
   •   Oktober bis November 2001 Gaststipendiat für Forschung, Cornell University,
       Abteilung für Wissenschaft- und Technologie-Studien.
   •   1999 – angenommener Forschungsgelehrter an der Fakultät für Geschichte und
       Philosophiewissenschaft, Cambridge University
   •   März bis Juni 1993 Gastprofessur, University of California in San Diego
   •   1991-1993 Präsident der Society for Social Studies of Science Short; Besuch bei
       Xerox PARC (1987) und Princeton University History of Science (1983)

Auszeichnungen und Preise:

   •   1997 Society for Social Studies of Science, J.D. Bernal Auszeichnung für Beiträge zur
       Social Studies of Science.
   •   1995 American Sociological Association, Robert K Merton Buch-Preis (Der Golem).
   •   1994 / 5 Emory und Henry College Virginia, USA. Buch des Jahres (Der Golem).
   •   1985 British Computer Society- Spezialisten-Fraktion in Experten-Systemen; Preis für
       technische Verdienste.

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Lehre

Graduate Aufsicht:

  •     Die Art des Wissens;
  •     Die Art von Fachwissen;
  •     Medizinische Kenntnisse und Praxis;
  •     Public Understanding of Science;
  •     Künstliche Intelligenz;
  •     Menschen und Maschinen

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2. Einführung in die neue Orthodoxie und Kritik am „embodiment“

Wenn Harry Collins über die Künstliche Intelligenz redet, verweist er gerne auf die Texte und
Arbeiten von Hubert Dreyfus. Laut Collins bieten sie eine gute Einführung in das Feld der
künstlichen Intelligenz.
Dreyfus, der die Entstehung und Erforschung der Künstlichen Intelligenz kritisiert, bezieht
sich bei seinen Argumentationen vor allem auf die philosophischen Ansichten von Martin
Heidegger, dessen Konzept der Welt die Umsetzung einer künstlichen Intelligenz unmöglich
macht.
Zwar hat Dreyfus die Grundlagen der Problematik – das Frame-Problem - bei der
Entwicklung einer Künstlichen Intelligenz begriffen, allerdings führt er, laut Collins, einige
seiner Gedankengänge nicht konsequent zu Ende. Zum Beispiel weist Dreyfus darauf hin,
dass es erst dann möglich ist, eine Heideggersche KI, die „embodied“ ist, zu entwickeln,
sobald das Gehirn-Modell darauf ausgerichtet ist, auf die Signifikanz der Umwelt – wie sie
speziell für menschliche Wesen ist – zu reagieren. Dabei macht Dreyfus aber den Fehler, dass
das was er unter „speziell für menschliche Wesen“ meint, eigentlich nichts anderes ist als
„speziell für irgendein Tier“. Egal ob nun Hase, Känguruh – oder eben Mensch. Das ist
insofern auffällig, als Dreyfus in seiner Arbeit, Menschen eine „persönlich und kulturelle
Selbst-Interpretation“ zugesteht, dabei aber zu keiner Zeit weiter ausführt oder darauf eingeht,
was diese ist und wie sie dadurch bei der Entwicklung der KI den Menschen radikal von
Tieren unterscheidet. Und zwar so sehr, dass es dem Menschen zwar irgendwann möglich ist,
irgendwann einmal Maschinen zu bauen, die das Verhalten von lebenden Entitäten (z.B.
Hasen) nachahmen, nicht aber künstliche Mitglieder einer, eine natürliche Sprache
sprechenden Gemeinschaft.

Das stellt das oben erwähnte Frame-Problem dar. Laut Dreyfus besagt dieses, wie sich eine
Kreatur zu einer Reaktion in einer sich ständig ändernden Welt entscheidet. Man kann zwar
versuchen die Aktionen des Computers auf eine zum Rahmen passende Auswahl an Aktionen
einzuschränken – im Restaurant Steak bestellen; zum Grillfest ein Steak mitzubringen – und
im idealsten Fall muss man nur entscheiden, in welchem Rahmen man sich befindet und
demnach die Aktionen auswählen. Hier kommt allerdings Wittgensteins „Rückgriff-Regel“
zum Zug: jede Regel benötigt eine andere Regel, um zu erklären, wie die erstere angewendet
werden muss. Dieses Problem ist nun soweit es Menschen angeht, nach Dreyfus,
durcheinander gemischt mit den Problemen, die Hasen und andere Kreaturen betreffen.

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Dreyfus sieht das genauso wie jene anderen, auf die er sich beruft. Gemeinsam ist ihnen allen,
dass sie besessen sind von Individuen, besonders von deren Körpern.
Collins teilt mit Dreyfus die Meinung, dass das Frame-Problem nicht dadurch gelöst werden
kann, indem man immer kompliziertere Darstellungen der Welt findet, sondern es muss
verstanden werden, wie der Mensch tatsächlich in der Welt selbst lebt und mit ihr interagiert.
Der Mensch muss verstehen, wie er diese Welt in ihrer eigenen Darstellung benutzt.
Aber das Schlüsselbeispiel, das sie bereitstellen, ist immer eine körperliche Interaktion mit
einer physischen Umwelt, wie der von Heidegger „Immer-zur-Hand-Hammer“ Auch wenn
Dreyfus von Kultur redet, redet er von „persönlicher und kultureller Selbstinterpretation“.

Collins erklärt anhand mehrerer Beispiele, warum die Probleme von Menschen und Tieren
bezüglich   der   KI   nicht   vergleichbar   sind.   Diese   Beispiele   zeigen,   dass      jede
Herangehensweise, die nicht zwischen Menschen und Nicht-Menschen unterscheidet, von
vornherein zum Scheitern verurteilt ist.

3. Sozialität

Collins Hauptargument für die Verschiedenheit von Menschen und Tieren ist, dass erstere
eine entwickelte Sprache und Kultur besitzen, zweitere nicht. Je nachdem, in welcher sozialen
Gruppe ein menschliches Individuum aufwächst, erlebt es die physische Welt unterschiedlich.
In natürlichen Sprachen werden diese verschiedenen kollektiven Erfahrungen „embodied“.
Dieses Phänomen ist nur Menschen vorbehalten. Zum Beispiel gibt es keine Hunde oder
Katzen, die Vegetarier sind. Und das, obwohl domestizierte Tiere bei ihrer Aufzucht viele
Überschneidungen mit dem Großziehen von menschlichen Kindern haben. Trotzdem erwartet
niemand von ihnen, das gleiche Ausmaß an Unterscheidungsfähigkeit bei der Interaktion und
Vertrautheit mit ihrer Welt zu haben, wie es Menschen haben.
Es geht also um diesen entscheidenden Unterschied, der es erlaubt, dass es Variationen von
Gruppen von Menschen gibt, der bei Hasen und anderen Tieren nicht gefunden werden kann.
Dieser Unterschied, was auch immer er sein mag, ist wichtig bei der Entwicklung der KI.
Collins verwendet hierfür den Begriff „Was-auch-immer-es-ist-Sozialität“.

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Auch ist er sich nicht sicher, ob Schimpansen oder Delphine eine Sprache (oder Sozialität)
haben. Sollte das der Fall sein, könnte man sie – in gewisser Weise – zur menschlichen Seite
zählen. Denn Collins geht es um Entitäten, die eine Sprache und Sozialität haben, egal welche
das sind, solange die Domäne dieser Entitäten inhaltsgleich oder zumindest beinahe
inhaltsgleich mit derjenigen der Menschen ist. Als Kurzbezeichnung verwendet Collins in
seinen Ausführungen für solche Entitäten den Begriff „Menschen“.

Für Collins besitzen, nach seinem Verständnis, Bienen (und Tiere, die auf ähnliche Weise
kommunizieren) keine Sprache. Seiner Meinung nach tauschen sie lediglich Signale aus. Der
Austausch von Signalen unterscheidet sich vom Gebrauch der Sprache insofern, dass ersteres
ohne Verlust endlos von einer kodierten Form in eine andere transformiert werden kann,
Sprache hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas verliert, wenn man sie übersetzt. Das
geschieht deshalb, weil Sprache immer mit einer Bedeutung innerhalb der Kultur, in die sie
eingebettet ist, in Beziehung steht. Durch Kodieren kann der Austausch von Signalen für
jeden verständlich gemacht werden – deshalb können wir die „Sprache“ der Bienen
„verstehen“. Aber eigentlich geschieht nichts anderes, als dass wir den Code entschlüsseln.
Sprachen können jedoch nur von denjenigen richtig verstanden und übersetzt werden, die eine
kulturelle Überschneidung mit der sprechenden Entität besitzen. Gerade das macht es für
Collins schwer, zu entscheiden, ob Delphine überhaupt eine Sprache sprechen und warum er
die Meinung unterstützt, Affen könnten Sprache verwenden und man sollte ihnen unsere
lehren.

4. Die Einbettung in die Gesellschaft

Bereits 1998 hat Collins zusammen mit Martin Kusch in dem Buch „Die Form von
Handlungen“ analysiert, worin der Unterschied besteht, in Gesellschaft zu leben oder nicht.
Die beiden unterscheiden zwei Arten von Handlungen: mimeomorphe und polymorphe
Handlungen.

Mimeomorphe Handlungen können durch äußerlich sichtbare Verhaltensmuster, die
regelmäßig mit der Handlung assoziiert werden, kopiert werden. Ein Beispiel dafür ist das
Eintippen einer Telefonnummer in einen Tastenblock.

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Polymorphe Handlungen hingegen besitzen keine regelmäßigen Verhaltensmuster, die mit der
Handlung assoziiert werden könnten, und deswegen können sie nicht durch bloße
Nachahmung kopiert werden. Die Geste der Begrüßung, zum Beispiel, muss, soll sie eher
„grüßen“ bleiben      als „salutieren“ oder „mit der Hand drohen“,      Variationen in ihren
Verhaltensumschreibungen haben, damit man die Intention, die hinter dem Verhalten steht,
verstehen kann. Würde man Begrüßungen jedes mal gleich erwidern, würde das nicht
funktionieren. Zusätzlich werden auch unterschiedliche polymorphe Handlungen manchmal
mit dem gleichen Verhalten umschrieben. Mit dem eigenen Namen zu unterschreiben kann
zum Beispiel bedeuten, dass man einen Scheck unterzeichnet oder aber, dass man seinen
Namen unter den letzten Satz eines Liebesbriefes setzt. Von besonderer Bedeutung ist also die
Intention, die hinter dem Verhalten steckt.

Collins sagt, das Verständnis zwischen Verhalten und Handlung ist bei mimeomorphen
Handlungen möglich, ohne die Gesellschaft kennen zu müssen. Genügend Geduld
vorausgesetzt könnte man demnach das Zusammenspiel von Verhalten (das man nicht
versteht) und den entsprechenden Konsequenzen (egal, ob man diese versteht oder nicht)
herausfinden. Das gleiche haben auch die Forscher getan, die den Bienentanz entschlüsselt
haben. Das bedeutet auch, dass man bestimmtes Verhalten wiederholen kann um
Konsequenzen herbeizuführen. Vogelbeobachter machen sich das zunutze indem sie
Vogelrufe benutzen.
Um jedoch mithilfe polymorpher Handlungen interagieren zu können, muss man die
betreffende Gesellschaft und die Handlungen im sozialen Kontext verstehen und einsetzen.
Nur so kann man adäquates Verhalten hervorrufen. Es macht einen großen Unterschied, ob
ich zu einer Freundin, die mich zu ihrer eigenen Unterhaltung erschrickt, „ du Miststück“ sage
oder ob ich das zu einer wildfremden Verkäuferin im Supermarkt sage.

Collins weist darauf hin, dass die soziale Eingebundenheit der Mehrheit unserer Handlungen
ein entscheidender Unterschied zur KI ist. Um dies zu illustrieren verwendet er ein Beispiel
zum Konzept des „Stillen Wissens“ von Michael Polanyi. Dabei handelt es sich um Dinge,
die wir wissen, aber nicht beschreiben können. Dieses Beispiel bringt auch den Kontext von
Heidegger und dem Hammer genau auf den Punkt:

Bei Heidegger muss man sich immer die Frage stellen welches Phänomen er aufzeigen will.
Wenn ein Mensch seine Umgebung beobachtet und dabei lernt, wie er lernt, verbessert sich

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seine Leistung langfristig. Kurzfristig aber, verschlechtert diese Aufmerksamkeit auf das
Lernen, die Leistung. Beispielsweise beim Fahrradfahren denkt ein Mensch nicht darüber
nach, wie er Fahrrad fährt. Er kann sich über andere Sachen Gedanken machen, oder die
Umgebung beobachten. Konzentriert er sich aber darauf wie er fährt, erhöht sich das Risiko,
dass er vom Fahrrad fällt.

Collins ist genauso wie Heidegger der Meinung, dass der Mensch durch bewusste
Aufmerksamkeit auf bestimmte Dinge seine Leistung erhöht und dadurch das Risiko senkt.
Sei es nun beim Radfahren oder beim Hämmern auf einen Nagel.
Der Beweis ist offensichtlich, dass das Fehlen von menschlicher Selbsterkenntnis bei der
Durchführung von physikalischen Tätigkeiten nichts mit der Fähigkeit zu tun hat, eine
Maschine bauen zu können, die diese physikalische Tätigkeit durchführen kann. Es ist leicht
eine künstliche „Fahrradfahr-Maschine“ zu konstruieren- und das wurde bereits gemacht.
Diese Maschine benutzt Gyroskope und Feedback- Systeme. Beim künstlichen Fahrradfahrer
und auch beim Menschen trifft der Fakt zu, dass das Fahren am besten gelingt, wenn man sich
nicht großartig darauf konzentriert, mit anderen Worten, nicht bewusst Aufmerksamkeit
darauf richtet. Und das liegt daran, weil das Gleichgewicht auf einem Fahrrad zu halten, eine
mimeomorphe Handlung ist- alles was die Verhaltensweise reproduziert, imitiert die
Handlung.
Allerdings ist es eine Tatsache, dass der Mensch auch Fahrrad fahren kann, wenn er bewusst
Aufmerksamkeit darauf richtet. Hätte er ein schnelleres Gehirn, oder etwas Vergleichbares -
und er würde sich zum Beispiel auf der Oberfläche eines Asteroiden befinden, der eine andere
Schwerkraft hat und dadurch das Rad langsamer umfallen lassen würde – wäre es ihm durch
Selbsterkenntnis ziemlich leicht möglich, fahren zu lernen, indem er einem Set von Regeln
und Diagrammen folgt, was dem Zusammenbauen von Selbstbau-Möbeln recht ähnlich ist.
Tatsache ist allerdings, dass es gewisse Grenzen in dieser Welt gibt, die es unmöglich
machen, Dinge durch Selbsterkenntnis zu erlernen, Grenzen, die der Mensch mit seinem
Gehirn und Körper nicht überschreiten kann. Collins nennt diese „somatische Grenzen“.
Er weist auch darauf hin, dass es noch eine polymorphe Komponente gibt, die mit dem Fahren
im Verkehr zu tun hat.. So ist zum Beispiel das Fahrradfahren in verschiedenen
Gesellschaften anderen Konventionen unterworfen und muss verstanden werden. Ob man in
China oder in Amerika auf dem Rad fährt, ist etwas vollkommen Verschiedenes und die
Unterschiede können, soweit man bisher weiß, nur durch Sozialisierung erfasst und erlernt
werden. Allen bereits existierenden Maschinen ist es unmöglich die verschiedenen

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Bedeutungen von Fahrradfahren der unterschiedlichsten Gesellschaften zu erfassen und die
konsequente Durchführung der entsprechenden Handlungen zu imitieren.
Und die Tatsache, dass das Fahrradfahren, Hämmern oder auch die Materie nicht voneinander
getrennt wird, führt laut Collins zu einer neuen Orthodoxie.

5. Sprache und Embodiment

Die neue Art des Argumentierens ist es, den gesamten Körper mit einzubeziehen. Nach
Collins sollte man verstehen, dass der Körper von Tieren für sie eine andere Rolle spielt, als
der menschliche Körper für den Menschen. Der Unterschied liegt nach Collins in der sozialen
Verkörperung und der minimalen Verkörperungsthese. Die erste These lautet, dass aus dem
Verhältnis des Körpers, auf die Art geschlossen werden kann, wie sich der Mensch in der
Welt verhält. Die zweite These handelt von den Beziehungen eines Individuums.
Die Form des Körpers, wirkt sich auf das Verhalten in der Welt und auf Umgang mit seinen
Mitmenschen aus.
Uneinigkeiten beginnen bei der These der minimalen Verkörperung: Collins behauptet, dass
Menschen sehr ähnliche Fähigkeiten haben, um sich in der Welt zu recht zu finden, egal, was
für einer Rasse sie angehören -> minimale Verkörperungsthese. Seiner Meinung nach kommt
es nicht auf den Körper an, zumindest nicht für einen Großteil der Menschheit, sondern viel
mehr auf die Sprache. Die Logik dieser Idee verdeutlicht Collins anhand eines Tierbeispiels:

Kaninchen haben z.B. ein bestimmtes Verhaltensrepertoire, das mit ihrem Körper in
Zusammenhang steht. Sie leben in Höhlen, da sie eine sehr leichte Beute sind und dort vor
ihren Feinden in Sicherheit sind. Sie haben extrem kräftige Beine und können sehr stark
beschleunigen, so dass sie sich auf freier Fläche ebenfalls gut vor Feinden schützen können
und schnell weglaufen können. Verliert ein Kaninchen aber z.B. ein Bein, kann es nicht mehr
schnell fliehen und wird so zu einer leichten Beute. Verliert ein Kaninchen zwei Beine, wird
es höchstwahrscheinlich bald sterben. Das heißt, dass das Verhalten eines Kaninchens sehr
stark von seiner körperlichen Erscheinungsform abhängig ist, um überhaupt überleben zu
können.
Collins geht noch weiter: ein männliches Kaninchen mit nur zwei Beinen, kann in seiner
kurzen Lebenszeit, trotzdem ein wohl geformtes Baby zeugen. In Bezug auf die Zucht, hat die
körperliche Form also keinen Einfluss auf die Erhaltung der Kaninchen. Die Logik des Fall

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„Hase“: Bei der Zucht bleibt ein individuelles Kaninchen völlig unverändert, solange es
minimal verkörpert ist – das heißt, es hat nichts mehr von dem „Fehler“, nur die Dinge, die
notwendig sind. In allen anderen Punkten bleibt von einem stark deformierten Kaninchen
nicht mehr viel von einem Kaninchen übrig.
Beim Menschen gibt es einen weiteren wichtigen Aspekt: der einzelne Mensch kann auch mit
einem beeinträchtigten Körper ziemlich gut leben, was an der Tatsache der fließenden
Sprache liegt.
Fazit: ein deformiertes Kaninchen kann ein Baby zeugen, bei dem man keine Schäden sieht
und ein Mensch mit beeinträchtigtem Körper kann normal sprechen. Die Sprache des
Menschen ist so wie der genetische Code von Kaninchen, unabhängig von deren körperlichen
Erscheinungsform. Die Sprache bleibt gleich, sowie der Körper des Kaninchens.

Diese Behauptung hat Collins in Bezug auf die folgende Hypothese gesetzt: Eine Person mit
maximalem interaktionalen Know-how und ohne beitragsfreies Know-how wird, bei einem
Test, der nur auf verbalem Austausch beruht, nicht von einer Person, die beides hat,
unterscheidbar sein.
In diesem Fall bedeutet beitragsfreies Know-how so viel wie das alltägliche Leben bzw. alles,
was dafür nötig ist, während interaktionales Know-how die Sprache allein betrifft,
unabhängig vom Körper. Diese starke interaktionale Hypothese wurde auch experimentell
getestet und überprüft: Es hat sich gezeigt, dass sich Farbenblinde im Turingtest nicht von
normalen Menschen unterscheiden, weil diese gelernt haben, sich in ihrer Umgebung zu recht
zu finden.

6. Sozialität, Sprache und künstliche Intelligenz

Was bedeutet das alles also für die künstliche Intelligenz? Collins ist der Meinung, dass die
künstliche Intelligenz aus drei verschiedenen Arten besteht.
Das Ziel der ersten Art der künstlichen Intelligenz besteht darin, Maschinen zu entwickeln,
die für den Menschen nützlich sind, weil sie ihm gewisse Dinge abnehmen können z.B. eome
Waschmaschine o.Ä.. Es geht nicht darum, ob das Ergebnis dieser Maschinen ähnlich oder
sogar gleich ist, als wenn es ein Mensch gemacht hätte, solange es für den Menschen
nützliche Dinge sind.

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Das Ziel der zweiten Art von künstlicher Intelligenz ist es, menschliche Prozesse zu
reproduzieren und das menschliche Denken zu verstehen.
Menschen, die dieses Ziel haben, werden, laut Collins, Heidegger und Dreyfus sicher gut
verstehen, denn deren Ziel war ebenfalls menschliches Denken zu verstehen und zu erklären
wie Menschen mit ihrer Umwelt interagieren (das Problem der Sozialität und der Sprache
bleibt).

Das Ziel der dritten Art der künstlichen Intelligenz, ist es, menschliches Verhalten zu
imitieren, und zwar unabhängig von den Mitteln, die zur Verfügung stehen. Das Ziel ist also
nicht, die Natur des Menschen zu verstehen, sondern Ziel ist das Wissen, wie man die Natur
bzw. das Verhalten imitieren kann. Für die künstliche Intelligenz der dritten Art ist z.B. das
Balancieren auf dem Fahrrad eine Art von Wissen, das man nachahmen kann, während das
Fahren im Straßenverkehr eine Art von Wissen darstellt, das man voraussichtlich nicht
nachahmen kann.

Aus Collins Sicht sind, für den Ansatz von Dreyfus, das Balancieren auf dem Fahrrad und das
Fahren im Verkehr nicht unähnlich, weil der Weg, wie es Menschen tun, genauso schwierig
zu erklären ist. Die Tatsache, dass Menschen beides in ähnlicher Art und Weise lernen,
nämlich ohne großes Selbsterkenntnis, sondern durch bestimmte Regeln, ist nur ein Zufall,
soweit es dieses Wissen betrifft. Im Prinzip kann man es verstehen, wenn man eine Maschine
baut, die es auf die gleiche Art tut, auch wenn sie nicht verstehen kann, wie es der Mensch
macht.
Nach Collins kommt es auf das Wissen an und nicht auf den Körper. Man muss wissen, wie
man eine Maschine baut. Ein Subziel der dritten Art der künstlichen Intelligenz ist es
Maschinen zu bauen, die mit ihrem künstlichen Gehirn das Gleiche schaffen, wie menschliche
Gehirne.
Collins ist weiters der Meinung, dass ein leistungsfähiger Turing-Test sehr einfach zu
entwerfen ist. Der Test müsse nur die Fähigkeit der Maschine und die des Menschen
vergleichen.
Das Problem der Bearbeitung ist nach Collins einfach zu erklären: betrachtet man z.B.
folgende Wörter: "Meine Rechtschreibprüfung wird „weerd“-Prozessor korrigieren, aber nicht
world-Prozessor." Das ist buchstäblich wahr, wie von der gezackten rote Linie unter „weerd“
und dem Fehlen einer solchen Linie unter "Welt" gezeigt wird. Man könnte dieses Problem

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eventuell beheben, indem man eine elaboriertere Rechtschreibprüfung verwendet, die die
Wort-Paarungen genauso gut prüfen kann wie einzelne Wörter.
Der Punkt für Collins ist jedoch der, dass der Mensch, der diesen Satz bearbeitet, wissen wird,
dass das Wort keine Korrektur benötigt, weil es genau so geschrieben ist, wie beabsichtigt.
Einen spell-checker zu kreieren, der das alles kann, würde erfordern, dass er den ganzen
Absatz versteht und das bedeutet, dass er fließend in der Sprache sein muss und die
Argumentation versteht.

Infolgedessen zieht Collins nun also den Schluss, dass eine Maschine, die gut bearbeiten
kann, die Passagen so kompetent auswählen müsste, wie ein menschlicher Herausgeber die
soziale Eingebundenheit eines menschlichen Herausgebers imitieren würde. Aber bis jetzt ist
der einzige Weg, den Collins und die anderen Wissenschaftler kennen, um eine soziale
Einbettung zu imitieren, die Einbettung in die Gesellschaft – um es so zu machen, wie die
Menschen es tun.
Um einen guten Turing-Test entwerfen zu können, müsste die Maschine in die Gesellschaft
eingebettet werden. Eine solche Maschine könnte dann in jedem Bereich, in dem sie
eingebettet werden würde, interaktionales Know-how entwickeln.
Sie würde nicht länger nur mehr nachahmen, was die Tiere tun, sondern das nachahmen was
die Menschen tun – was über die Reichweite der Tiere hinausgeht.
Sie würde eine Art der Einheit sein, die Sozialität hat und, als Ergebnis an der
Sprachgemeinschaft teilnehmen kann. Sie müsste ein stillschweigendes Spezialisten-Wissen
besitzen, das sich auf die sprachliche Redegewandtheit in einem Spezialbereich bezieht.

Fazit

Collins führt an, dass das Problem der künstlichen Intelligenz nicht gelöst werden könne,
wenn sie sich nicht der zentralen Rolle der Sozialität im menschlichen Leben stellt. Diese
Auseinandersetzung findet nicht statt, so lange das Problem der Tiernachahmung und das
Problem der Menschennachahmung zusammengefasst werden.
Collins sieht grundsätzlich keinen Grund (es gibt vielleicht einige technische Gründe), warum
Tiere nicht durch Techniken der Künstlichen Intelligenz imitiert werden könnten. Wenn dies
funktioniert, gäbe es für Collins auch keinen Grund, warum der Grundsatz der menschlichen

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Fähigkeiten, die allein aus nachahmenden Aktionen bestehen, nicht durch Techniken der
Künstlichen Intelligenz imitiert werden sollten.
Was aber mit Sicherheit gesagt werden kann, ist, dass es derzeit keine vorhersehbaren
Möglichkeiten gibt, dies zu tun.
Die Maschinen müssten sich in der gleichen Art und Weise einbetten, wie die Menschen dies
tun. Die "Position" der Sprache und Kultur ist in der grauen Materie der vielen menschlichen
Gehirne verankert, die das Sprachesprechen oder kulturelle Gemeinschaften zusammenfasst.
Einzelpersonen entscheiden nicht, welche Wörter oder welche Eigenarten in den Gebrauch
der Gesellschaft kommen und welche weggelassen werden, das Kollektiv entscheidet.
Einzelpersonen schlagen vor, aber nur das Kollektiv ordnet an. Ein künstliches Gehirn müsste
in der Lage sein Vorschläge zu machen und diese Vorschläge entsprechend des möglichen
Erfolges zu beurteilen und dann den Erfolg oder Misserfolg akzeptieren, so wie es Menschen
tun.

Collins meint, dass Dreyfus Recht hat, der die Bemühungen von Rodney Brooks's
(menschliches Verhalten zu modellieren, indem er Roboter COG und seinen Nachfolger
erbaut) mit Hohn beschüttet hat. Collins Vergleich: Genauso, wie die Inselbewohner im
Pacific hofften, dass das Errichten von etwas in Form einer Landebahn ihnen Fracht bringen
würde; so scheint es, dass Brooks gehofft hat, dass das Erbauen von etwas mit einer
geringfügigen menschlichen Ähnlichkeit, Intelligenz bringen würde.
Dreyfus denkt, dass Brooks's Projekt hoffnungslos war, weil er nicht gebaut hat, was einem
Menschen in Bezug auf seine körperlichen Fähigkeiten ähnelt. Collins denkt jedoch, dass das
Projekt hoffnungslos war, weil er gar nicht erst anfangen hat, darüber nachzudenken, wie
COG sozialisiert werden könnte.
Die Idee, dass irgendeine einfache Belohnung oder ein Bestrafungsregime mit Sozialisation
gleichwertig ist, empfindet Collins als lächerlich, denn sogar Geräte mit Gehirnen und
Körpern, die identisch zu den Menschen sind (menschliche Babys) und in dem Äquivalent
einer Skinner-Box erzogen wurden, sind nicht in der Lage zu lernen, wie soziale Erwachsene
zu agieren.
Das Wichtigste nach Collins ist, die Sozialisation besser zu verstehen oder heraus zu arbeiten,
wie man sie auf eine andere Weise nachahmt. Sein Vorschlag: „Vielleicht wird dies eher dazu
kommen, wenn man sich selbst dazu veranlasst, das menschliche Wissen zu studieren, anstatt
die Art, wie die Menschen ihr Wissen besitzen.“

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7. Interaktionales Know – how

Im letzten Teil unserer Arbeit möchten wir etwas genauer auf Harry Collins’ Idee vom
interaktionalen Know-how eingehen bzw. ein klassisches Experiment etwas näher erläutern.

Zunächst eine kurze Erklärung, was man unter interaktionalem Know–how versteht.
Wir haben bereits erwähnt, wie wichtig die Sprache für den Menschen ist. Ohne Sprache wäre
es ihm nicht möglich, wirklich zu kommunizieren und gewisse Dinge zu lernen. In einem
Test, der nur auf verbalem Austausch beruht, wird eine Person mit maximalem
interaktionalen Know–how aber keinem beitragsfreiem Know–how nicht unterscheidbar sein
von einer Person, die beides besitzt. In diesem Fall bedeutet beitragsfreies Know–how: alles,
was man im alltäglichen Leben braucht, um sich zurecht zu finden.
Interaktionales Know–how betrifft hingegen immer die Sprache allein, ganz unabhängig vom
Körper. Wie wir bereits erwähnt haben, spielt der Körper für ein Kaninchen eine sehr
wichtige Rolle, nicht aber für den Menschen. Ein Mensch, der körperlich beeinträchtigt ist,
allerdings der Sprache mächtig ist, wird ebenso im alltäglichen Leben zurecht kommen, wie
ein Mensch, dessen Körper nicht beeinträchtigt ist. Das werden wir noch genauer
untermauern.

Interaktionales Know–how umfasst also die Beherrschung der Sprache und ist charakterisiert
durch Regeln, die aber nicht expliziert werden können. Die Verwendung von interaktionalem
Know–how geht weit über das Wissen der Soziologen hinaus. Es ist ein sehr wichtiges
Medium für viele wissenschaftliche Sparten, aber auch für das alltägliche Leben (z.B. im
Journalismus). Es ist eigentlich für alle Menschen wichtig, der Sprache mächtig zu sein, egal
wie und wo sie leben.

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7.1 Ein klassisches Experiment zum interaktionalen Know – how

Wir werden in diesem Absatz ein Experiment vorstellen, das zeigt, wie wichtig
interaktionales Know-how ist und was man alles damit machen kann. Das Experiment beruht
ursprünglich auf dem so genannten Turing-Test, wo ein versteckter Computer und eine
versteckte Person von einem Sachverständigen verhört werden. Wenn nach fünf Minuten der
Sachverständige den PC identifizieren kann, gilt er als intelligent.

Dieser Turing-Test beruht wiederum auf einem sehr alten Versuch, einem so genannten
Nachahmungsspiel, bei dem ein versteckter Mann so tut, als wäre er eine Frau. Dieser
versteckte Mann wird mit einer richtigen Frau verglichen, die ehrlich auf die Fragen eines
Beurteilers antwortet. Dieser muss versuchen, die Frau zu identifizieren.

Harry Collins seinerseits hat sich stets mit dem Phänomen der Gravitationswellenphysik
beschäftigt und sich auf diesem Gebiet sehr viel Wissen angeeignet. Collins hat anschließend
einen Test gemacht, um Laien auf diesem Gebiet mit Gravitationswellenphysikern und
Wissenschaftlern aus anderen Bereichen zu vergleichen. Sachverständige mussten die
Antworten, die die Teilnehmer gegeben hatten, vergleichen und versuchen, die
Gravitationswellenphysiker zu identifizieren. Den Meisten gelang dies nicht.
Die Gründe für Ihre Entscheidungen bei der Identifikation, die die Sachverständigen abgaben,
können in zwei Gruppen aufgeteilt werden. Als erstes gab es Gründe, die auf dem technischen
Inhalt der Antworten basierten. Einige der Antworten von Collins unterschieden sich
bezüglich des technischen Inhaltes ziemlich von den Antworten der Gravitationswellen –
Wissenschaftler. Zweitens gab es Gründe, die auf dem Stil der Antworten basierten. Die
technischen und mehr „Textbuch“ – mäßigen Antworten der Wissenschaftler, auch wenn sie
aus anderen Sparten kamen, wurden als authentischer empfunden. Dies lässt den Schluss zu,
dass es auch hier auf die Sprache ankommt. Menschen, die einer wissenschaftlichen Sprache
mächtig sind, werden als glaubwürdiger empfunden, auch wenn sie sich auf dem
entsprechenden Sektor gar nicht auskennen.

Nun aber zurück zum eigentlichen Experiment. Wir berichten von Experimenten, die unter
anderem dazu dienen, die Idee des interaktionalen Know – hows konkret zu machen. Vier
Kreise auf der linken Seite zeigen Tests für Farbenblindheit und die Wahrnehmung der

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Tonhöhe (siehe Abbildung unten). Sie werden verwendet, um das Konzept des Experiments
aufzuzeigen.

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                                                                              S
            CP                                PB                              IMITATE
                                                                              S

       CB                                PP

                                                                            gwB

         CHANCE                            IDENTIFY

                                                                          gwP

            CP                                PB
                                                                           CHANCE ?

       CB                                PP

         IDENTIFY                           CHANCE

Der erste Kreis repräsentiert eine Gesellschaft wie die unsere, in der die meisten Menschen
nicht farbenblind sind. Die meisten von uns sind normal dazu in der Lage, Farben richtig zu
erkennen. Die Idee des interaktionalen Know–hows ist es nun, aufzuzeigen, dass Menschen,
die farbenblind sind, trotzdem dazu in der Lage sind, über Farben zu sprechen und sie richtig
zu beschreiben. Sie haben die sprachlichen Fähigkeiten erworben, um über Farben sprechen
zu können, obwohl sie kein beitragsfreies Know– how bei der Farbunterscheidung besitzen.

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Eine farbenblinde Person, die mit einem Computer verglichen wird, sollte nicht schlechter
sein als dieser.

Der zweite Kreis repräsentiert ebenfalls eine Gesellschaft wie die unsere. Die wenigsten
Menschen sind dazu in der Lage, die Tonhöhe perfekt wahrzunehmen. Die meisten von uns
können das nicht. Die Theorie besagt, dass die Menschen auch nicht die dazu nötigen
sprachlichen Fähigkeiten besitzen, um die Töne richtig zu beschreiben. Wir können hier auch
kein interaktionales Know–how erwerben. Um das zu untermauern wurden die besagten
Experimente durchgeführt, und die Hypothesen konnten damit auch gestützt werden.

7.1.1 Vorgang

Im Fall unseres Experimentes wurden drei Computer verwendet, die durch ein drahtloses
Netzwerk miteinander verbunden waren. Die Sachverständigen sitzen an einem Computer und
können jede Frage an die Beteiligten stellen, die ihnen in den Sinn kommt und von der sie
glauben, sie könnte den Besitz des Know–hows aufzeigen. Die Frage wird anschließend
weitergeleitet an einen Menschen, der farbenblind ist, aber so tut, als könne er Farben sehen.
Des Weiteren bekommt die Frage jemand, der nicht farbenblind ist und dementsprechend
ehrlich antwortet. Wenn beide geantwortet haben, stehen die beiden Antworten nebeneinander
auf dem Bildschirm der Sachverständigen. Diese versuchen nun, zu erraten, wer von beiden
farbenblind ist und wer nicht. Sie können natürlich auch eine weitere Frage stellen. Das Spiel
wird so lange fortgesetzt, bis die Sachverständigen der Ansicht sind, sie können nichts Neues
erfahren.

7.1.2 Die Sachverständigen

Man nimmt an, dass die Sachverständigen sich klar sein müssen, was das Ziel ist, und wann
man entsprechendes Know–how besitzt. Mit anderen Worten muss vorher klar definiert sein,
welche Äußerungen auf Farbenblindheit hinweisen bzw. welche darauf schließen lassen, dass
eine Person Farben normal sehen kann.

Im Gender – Experiment sollte der Sachverständige eine Frau sein, wenn ein versteckter
Mann versucht, eine Frau zu imitieren. Ein männliches Beurteilermodell einer Frau dürfte zu

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ähnlich sein. Was das Experiment mit den Farben betrifft, sollte der, der das Urteil fällt,
Farben sehen, wenn derjenige, der imitiert ebenfalls Farben sehen kann. Wenn der Mensch
allerdings farbenblind ist, sollte auch die beurteilende Person farbenblind sein.

7.1.3 Möglichkeits- und Identifikations – Bedingungen

Wir beziehen uns auf Durchgänge, in denen wir von den Sachverständigen nicht erwarten, die
Teilnehmer zu identifizieren und bezeichnen diese als Möglichkeitsbedingungen. Jene
Durchgänge, in denen wir erwarten, dass die Beurteiler erkennen, wer wer ist, bezeichnet man
als Identifikationsbedingung.

Interaktives Know-how zeigt sich immer dann, wenn die Proportionen von richtigen
Vermutungen      bei    den     Identifikationsbedingungen     größer    ist,   als   bei   den
Möglichkeitsbedingungen.

7.1.4 Resultate

Es gab zwei Phasen bei diesem besagten Experiment. In Phase 1 führte man den Ablauf 24
mal durch und splitterte diese dann grob auf vier Bedingungen auf. Beide, die farbenblinde
Serie und die Menschen mit der Wahrnehmung der absoluten Tonhöhe – getrennt
voneinander behandelt – unterstützten die Hypothese: In jedem Fall gab es mehr korrekte
Vermutungen in den Identifikationsbedingungen, als in den Möglichkeitsbedingungen.

Dann führte man Phase 2 durch. Hier wird nicht mehr in Echtzeit zwischen den Teilnehmern
und den Sachverständigen interagiert. Stattdessen schickte man die aufgenommenen Diskurse
via gewöhnlichem e- Mail an neue Sachverständige, welche die Ziel-Expertise besaßen, um
eine neue post-hoc-Beurteilung zu machen. Wieder unterstützten die Ergebnisse von beiden
Modalitäten getrennt voneinander die Hypothese.

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7.1.5 Problamatische Faktoren

Bei den Experimenten ist wichtig, den Effekt bestimmter potentiell verwirrender Faktoren zu
minimieren. Wenn die Beurteiler die Teilnehmer beispielsweise persönlich kennen, kann es
möglich sein, sie als Individuen zu identifizieren. Dieses Problem lässt sich weitgehend
eliminieren, indem man sicherstellt, dass die Teilnehmer in keinem einzigen Spiel wissen, wer
die anderen Teilnehmer sind. Das kann geregelt werden, indem die drei benötigten Standorte
möglichst weit voneinander entfernt sind.

Es ist auch möglich, dass der entsprechende nicht sachkundige Teilnehmer entlarvt wird, weil
er lügen muss und es die Debatten im Zusammenhang mit dem Lügen sind, die entlarvt
wurden, anstatt etwas, was mit der Ziel – Kenntnis zu tun hat. Das Problem war illustriert, als
ein Sachverständiger eine logische Falle für die Teilnehmer stellte. Aber selbst dort, wo keine
logischen Fallen benutzt wurden, stellte sich heraus, dass die Beurteiler eher in Richtung Folk
– Theorie der Lüge tendierten; einige dachten z.B. dass eine kurze Antwort einen Lügner
identifiziert, während andere dachten, eine sehr lange Antwort würde auf einen Lügner
hinweisen – das bringt das Experiment bis zu einem gewissen Grad durcheinander. Man hat
versucht, diesen Effekt zu verbessern, indem die Beurteiler gebeten wurden, ihre Fragen auf
das Fachwissen zu richten, anstatt zu versuchen, die Teilnehmer in Lügen zu verstricken.

Ein dritter störender Effekt, besteht darin, dass der Besitz bzw. Nicht – Besitz eines Ziel –
Fachwissens in der Bevölkerung oft mit einigen anderen Faktoren korreliert wird, die leichter
zu erkennen sind. Menschen, die z.B. ein absolutes Gehör besitzen, wissen in der Regel
einiges über Musik. Auf dieses Problem muss man besonders achten.

Es gibt natürlich noch weitere potentielle Störfaktoren. Man nimmer aber an, dass diese durch
das komplizierte, experimentelle Design des beschriebenen Experiments großteils minimiert
werden können und keine wichtige Rolle für die Ergebnisse spielen.

Fazit

Durch das beschriebene Experiment, aber auch durch das Gender – Experiment bzw. durch
Collins’ Gravitationswellen – Experiment, konnte gezeigt werden, was Collins und einige

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andere Wissenschaftler vermuten. Es kommt auf das interaktionale Know – how, also die
Sprache an, nicht auf den Körper. Die Sprache allein befähigt uns dazu, uns in unserem
alltäglichen Leben zu behaupten. In den Experimenten kam es immer auf den sprachlichen
Stil der Antworten an, allein aufgrund dessen, fällten die Sachverständigen ihr Urteil.

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Bibliographie

Collins Harry: Die neue Orthodoxie: Menschen, Tiere, Heidegger und Dreyfus

Collins Harry, Evans Rob, Robeiro Rodrigo, Mill; Experiments with interactional expertixe

http://en.wikipedia.org/wiki/Harry_Collins [Zugriff, am 23. Mai 2008]

http://www.cardiff.ac.uk/socsi/contactsandpeople/academicstaff/C-D/professor-harry-collins-
overview.html [Zugriff, am 19. Mai 2008]

                                                                                            23
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