Hallo Sam, hier bin ich - Russell Stannard
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Russell Stannard Hallo Sam, hier bin ich Russell Stannard Hallo Sam, hier bin ich Schatzinsel
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Zum Text »Hi Sam! wie geht’s?« Mit dieser harmlosen Frage beginnt eine im besten Sinne des Wortes beunruhigende Beziehung. Ein Un- bekannter hat sich via Computer in Sams Leben gemischt und fängt ein Gespräch über »Gott und die Welt« an. Dass dies nicht nur eine sprichwörtliche Floskel ist, wird recht bald klar. Unklar hingegen bleibt, wer dieser unbekannte Gesprächspartner ist. Ein Scherzbold, ein Hacker, der sich ein Späßchen macht? Ein verirrter Internet-Surfer, der zum Chatten aufgelegt ist? Die Sa- che gewinnt an Brisanz, als der unbekannte Gesprächspartner den Bildschirmtext verlässt und nun direkt über die Soundkarte des Computers mit dem Jungen zu reden beginnt, ja mehr, ihn sogar hört. Doch alle Spekulationen Sams, ob es sich hier viel- leicht um eine besondere Form geheimer Überwachung handelt, werden hinfällig, als der Fremde eigene Simulationen auf den Monitor projiziert. Ungeahnte Dinge nehmen ihren Lauf, und Sam wird hineingezogen in ein Frage- und Antwort-»Spiel« über Grundfragen des Lebens. Die Identität des Hackers bleibt ge- heimnisvoll, er behauptet jedenfalls von sich, Gott zu sein. Sam lässt sich auf diesen Gott ein, doch nicht ohne klarzustellen, dass er »aus dem Alter heraus« sei, in dem man an Gott glaube. Er denke nun selber. Dieses »Glaubensbekenntnis« gibt den An- stoß für einen Gottesbeweis ganz besonderer Art. »Der große Hacker im Himmel, der sich in das Leben der Menschen ein- mischt« (S. 19), erklärt sich und seine Welt durch anschauliche Beispiele und Vergleiche. »Menschen zu zwingen, an mich zu glauben, wäre nur Zeitverschwendung.« (S. 59 f.) stattdessen möchte er zum Nachdenken (statt Nachplappern) ermutigen, da dies ein durchaus gangbarer Weg der Erkenntnis Gottes sei. Das eigenständige Denken, das Sam gegen den Glauben ins Feld führt, ist für Mr. Hacker der Schlüssel zur Erkenntnis. Am Bei- spiel der Diskussion um Schöpfung contra Evolution sei dies kurz aufgezeigt: »Die biblischen Geschichten über die Schöp- fung und über Adam und Eva sind Geschichten, die dir helfen, dich selbst zu verstehen. Das ist der entscheidende Punkt. Es sind 41
Geschichten über dich.« (S. 35) Mit dieser Auslegung wird die Brücke zwischen der Überlieferung der Schöpfungsgeschichten und den Naturwissenschaften geschlagen. Die grundlegende Bedeutung dieser und anderer biblischer Texte wird somit ak- tualisiert und die Aussage über Sam direkt an den Leser weiter- gegeben. Dem Autor gelingt es dabei, das vermutlich vorhan- dene Teilwissen der Schülerinnen und Schüler aufzugreifen und zu erweitern. Oft existieren nur religiöse Fragmente in den Köp- fen und verhindern die Auseinandersetzung mit den eigentlichen religiösen Aussagen angesichts der heutigen Erkenntnisse. Stannard stellt sich diesen und anderen Fragen mit einer intellek- tuellen Redlichkeit, die der didaktischen Reduzierung großer Wahrheiten in kleine Münzen standhält. Dieser Mr. Hacker-Gott wirkt sehr sympathisch mit seinen menschlichen Zügen. Er lacht, kann reden, schweigen und zuhö- ren, er argumentiert und provoziert. Aber in all dem wirkt er weder frömmelnd noch dozierend. Er ist so ganz und gar nicht der liebe alte Opa mit dem Rauschebart, und genau das lässt Sam an seiner Identität zweifeln. Sollte dieser Gesprächspartner inko- gnito wirklich Gott sein? Die theologisch-philosophische Computerdiskussion widmet sich den unterschiedlichsten Aspekten des Lebens: Identität, Naturwissenschaft und Glaube, Wunder, Lebenssinn, Welt- religionen, Glaube als Privatsache, Träume, Gewissen, Gebet, Sexualität, Werte, Leid und Gerechtigkeit, Himmel und Hölle und immer wieder das große Thema der Freiheit. Das Buch bietet keine eindeutige Auflösung über die wahre Identität des vertraut gewordenen Unbekannten. Aber dies ist auch nicht mehr wichtig, denn an einer Stelle des Gesprächs heißt es: »Ist es Gott, der dir diese Botschaften schickt, oder ein Hacker? Wenn ich an den Naturgesetzen drehe, damit dich diese Botschaften erreichen können, na schön, dann kämen sie also von mir – unmittelbar von mir. Das ist einleuchtend. Aber nimm an, ich lasse diese Zeichen durch einen meiner Nachfolger an dich richten – wo liegt der Unterschied? Die Botschaften kämen über einen Hacker, na gut. Doch wessen Botschaften sind es? Es 42
sind meine Botschaften. Sie erreichen dich über den Hacker, aber sie kommen von mir. [. . .] Hacker oder nicht Hacker – es ist Gott, der zu dir spricht, Sam!« (S. 95 f.) Didaktische Überlegungen Das Buch knüpft mit seiner Grundidee eines jugendlichen Com- puterfreaks an die Lebenswirklichkeit der Schüler an. Den meis- ten ist das Arbeiten am und Spielen mit dem Computer vertraut, wenn auch nicht immer zum Vorteil. Erfahrungen mit einem Hacker dürften allerdings die wenigsten gemacht haben, derar- tige Berichte entstammen meist einer fernen Welt, in der Unbe- kannte in militärische oder wirtschaftliche Netzwerke eindrin- gen und manipulieren oder Geheimgehaltenes aufdecken. Trotz der Illegalität gehört das Hackerwesen zu den Abenteuerphanta- sien Computerbegeisterter. Was wäre wenn . . .? Hier setzt das Buch ein und erzählt schier Unglaubliches. Unter Ausnutzung der technischen Möglichkeiten entspinnt sich ein interaktives Gespräch, in dem die Setzung der Fiktion und seine Glaubwür- digkeit bewusst durch die Wahl des Mediums in der Schwebe gehalten wird. Vieles scheint in dieser Welt möglich zu sein: wenn Cyberspace und virtuelle Realität – warum dann nicht auch Kontakt zu einem Hacker, der sich als Gott ausgibt? Der Vorteil des Buches ist es, dass der Inhalt der Gespräche als Zen- trum des Buches keine Computerkenntnisse verlangt. Auch mul- timediale Laien werden Zugang gewinnen, denn es geht nicht um eine Fachsimpelei über Bits und Bytes, sondern um die Basics des menschlichen Lebens. Das Buch verknüpft den Adressaten- und Freizeitbezug in aus- gewogener Weise und dient damit auch der Leseförderung, d. h. einer »Erziehung zum Lesen«. Darüber hinaus bietet es ein gro- ßes Potenzial an Gesprächs- und Themenanregungen, das die Schülerinnen und Schüler zum Nachdenken über Gott und Welt herausfordert (»Erziehung durch Lesen«). Es reizt zum Entwi- ckeln eigener Standpunkte, schärft die eigene und fremde Wahr- 43
nehmung und fördert die Fähigkeit, miteinander über wesent- liche Dinge zu kommunizieren. Zugleich erfordert es aber auch Erfahrungen im Umgang mit Lektüre und eine Atmosphäre zwi- schen Schülern und Lehrkraft, die dem einzelnen Schutzraum bietet. Die Thematik des Buches ermöglicht den Einsatz in Deutsch bzw. in Religion (Ethik), auch eine fächerübergreifende Verknüpfung ist denkbar. Sollte dies nicht kontinuierlich mög- lich sein, so erscheint doch zumindest die Besprechung einzelner Themenkomplexe in Koordination mit den jeweiligen Fachleh- rern / Fachlehrerinnen oder deren Besuch im Unterricht sinnvoll. Eine solche Kooperation darf jedoch nicht zulasten des Ver- trauens innerhalb der Gruppe und zur Lehrkraft gehen. Religion wird immer Bestandteil der Biographie sein, zustim- mend oder ablehnend, selbst Gleichgültigkeit ist keine Neutra- lität. Aus diesem Grunde erscheint es sinnvoll, mittels eines Buches mit Schülerinnen und Schülern über religiöse Fragen ins Gespräch zu kommen. Obwohl dem Buch das monotheistische, christlich-jüdische Gottesbild zugrunde liegt, erhebt es keinen Exklusivanspruch, sondern sieht in den Religionen den Aus- druck unterschiedlicher Wahrnehmungsweisen. Das Buch ist deshalb auch für den Einsatz in religiös-heterogenen Gruppen, wie sie in den Schulen anzutreffen sind, geeignet. »Du bist wichtig.« (S. 25) Dieser positive Akzent bestimmt das Gespräch zwischen den beiden ungleichen Partnern und durchzieht das Buch wie ein roter Faden. Den sicherlich nicht immer Zustimmung findenden Aussagen des Unbekannten wird Sams Zweifel, sein Hinterfragen und Ablehnen entgegengestellt. Diese Zweigeteiltheit relativiert manche Aussagen, aber vor al- lem lässt sie Raum für das eigene Denken. Mit Hilfe der Skepsis Sams können sich die Lesenden unverfänglich in die Diskussion mit einbringen, mal mit Sam gegen den Hacker sympathisieren, dann wieder sich eher dessen Argumenten anschließen. Diese Grundstruktur sollte auch bei der Besprechung des Buches ihren Niederschlag finden. Das Buch lässt Raum für Zweifel, Zustim- mung, Nach- und Mitdenken. Dieser Freiraum sollte durch den Unterricht nicht eingeengt werden. Die Chance der Besprechung 44
im Unterricht liegt im Ermutigen und Anleiten der Klasse zu eigener Denkfähigkeit, der Herausbildung von Welt(an)sichten und der Stärkung der Individualität. Zugleich sollte man sich der enormen Herausforderung bewusst sein: Das Buch will und wird in einem gewissen Sinn auch beunruhigen, die Lesenden werden sich der grundsätzlichen Anfrage des Buches nur schwer entziehen können. In dem Unterrichtsverlauf des Lesens und Be- sprechens wird es zudem zu unterschiedlichen Entwicklungen kommen, der Lese- und Verarbeitungsprozess wird individuell sehr unterschiedlich sein. Wahrnehmung und Einschätzung der einzelnen Schülerinnen und Schüler im Laufe der Lektüre be- stimmen daher die Auswahl der inhaltlichen und methodischen Schritte. Nicht alles Besprechungswürdige ist in der konkreten Unterrichtssituation auch wünschenswert. Im Unterschied zur klassischen Verfahrensweise erscheint mir dieses Buch für eine Art »Hintergrundlektüre« sehr geeignet. Es bildet die Folie, vor deren Hintergrund die genannten Aspekte besprochen werden können. Das Buch eignet sich weniger zur genauen Textarbeit im Sinne von sprachlicher Erschließung, Handlungsverlauf, Charakterisierung einzelner Figuren etc. Stattdessen bietet es einen hervorragenden Gesprächsauslöser und begleitet den heranwachsenden Jugendlichen vermutlich auch über den Schullektürezeitraum hinaus. Die Lektüre und Besprechung des Buches muss im Hinblick auf die Lerngruppe (nicht nur Jahrgangsstufe) sorgfältig ausge- wählt werden. In dem vorliegenden Entwurf wird auf eine hete- rogene, aber interessierte 7. Klasse Bezug genommen, es ist aber durchaus auch eine Verlagerung in eine höhere Klasse denkbar. Die Komplexität des Textes und der Gedanken setzt dem Einsatz in unteren Klassen eine zu respektierende Grenze. Bücher mit einer verwandten bzw. weiterführenden Thematik sind z. B. Jostein Gaardners »Sophies Welt« und Fynns »Hallo Mister Gott, hier spricht Anna«. Wer über das Buch Spaß am Denken gefunden hat, kann sich als nächstes z. B. mit der Relati- vitätstheorie auseinander setzen, vom selben Autor ansprechend verpackt und anschaulich erklärt. 45
Querverbindungen zur Bibel »Ich bin«: Mr. Hacker stellt sich Sam als ICH BIN vor. Diese beiden Worte sind es auch, mit denen Sam mit ihm in Kontakt treten und das »ICH BIN-Programm« aufrufen lassen kann. Für diesen Namen gibt es gleich zwei Erklärungen, die auch im Buch angedeutet werden. Zum einen bezeichnet sich Jahwe (so der alte jüdische Gottesname) in der Begegnung mit Mose selbst mit dieser Umschreibung: »Da sprach Gott zu Mose: Ich bin, der ich bin.« Und weiter: »Du sollst sagen, der Ich bin hat mich zu euch geschickt.« (2. Mose / Exodus 3, 14) Das hebräische Wort für »sein« klingt an den Gottesnamen JAHWE an. Statt Ich bin, der ich bin ist es auch möglich, Ich werde sein, der ich sein werde zu übersetzen. Der Grundgedanke bleibt gleich: Gott verbirgt sein Wesen, er ist nicht erfassbar, aber er sichert Konti- nuität und Begleitung zu. In der Geschichte des Gottesbegriffs zeigt sich dabei innerhalb der biblischen Überlieferung eine Wandlung: die Menschen erfahren Gott schließlich als den ganz anderen, den Unerwarteten und Unbekannten. Diese Erfahrung vermittelt auch Stannard in seinem Buch. Der Name ist geheim- nisvoll, der Gott, für den sich der Hacker ausgibt, ist es auch. Eine zweite Verbindungslinie, die sich zwischen Buch und Bibel ziehen lässt, ist der Verweis auf die Ich-bin-Worte, mit denen v. a. im Johannes-Evangelium Selbstaussagen Jesu verbunden wer- den: Ich bin das Brot und das Wasser des Lebens; Ich bin der Weg, die Wahrheit, das Leben; Ich bin der Weinstock etc. Obwohl hier von konkreten Dingen gesprochen wird, ist das Verstehen nicht unmittelbar möglich. Es sind Symbole und Me- taphern für dahinter stehende Wahrheiten. Im Buch zitiert Stan- nard »Ich bin das Brot des Lebens« (S. 63/Job. 6, 35) und knüpft daran Gedanken über den Lebensinhalt. Der Titel des Buches und der Name des Jungen kommen nicht von ungefähr, sondern sind Anspielungen auf eine Berufungsge- schichte, wie sie in 1. Samuel 3, 1 – 9 beschrieben wird. Der Pro- phetenschüler Samuel hört nachts eine Stimme, die ihn bei sei- nem Namen ruft. Nachdem er sie zunächst irrtümlich einem Menschen (seinem Priester) zugeordnet hatte, bemerkt er ver- 46
wundert, dass Jahwe ihn anspricht und zum Propheten ernennt. Samuel hat in der Folge noch viele weitere Kontakte (Auditio- nen) mit Gott. Die Assoziation zu der Kontaktaufnahme des Hackers und seiner geheimnisvollen Identität ist offensichtlich, wenn auch nicht bis zum Ende durchgestaltet. Methodische Vorschläge zur Gestaltung einer Unterrichtsreihe Die folgenden Stundenschwerpunkte orientieren sich an der Ab- folge der Kapitel. Sollte eine Lektüre im Vorfeld erfolgt sein, so sind die Stunden durchaus untereinander verschiebbar. Grund- sätzlich gebührt der Wahrnehmung der Schülerinnen und Schü- ler und ihren Fragen der Vorrang. Zur Einstimmung auf das Buch empfiehlt sich ein kleines Gedankenexperiment: Was wäre, wenn . . .? 䉴 Was wäre, wenn ein Computer anfänge, mit seinem Benut- zer zu reden? 䉴 Über was würde gesprochen? 䉴 Wer könnte dahinter stecken? Zur Setzung dieser Fiktion könnte eine kurze erfundene Zei- tungsnotiz dienen, an die sich die o. g. Fragen zur Gesprächs- strukturierung anschließen: Botschaften vom Bildschirm Hacker oder neuer Computervirus? Cambridge (dpa). Agenturmeldungen zufolge hat ein engli- scher Schüler Botschaften auf seinem Computer empfangen. Das Betriebssystem habe sich selbständig gemacht und spre- che mit ihm wie ein menschliches Gegenüber. Dabei verfüge es über erstaunliche Kenntnisse aus dem Leben des Schülers. Experten vermuten dahinter einen Hacker, der sich in das System eingeklinkt habe. Gerüchte über einen intelligenten Virus wurden bisher nicht bestätigt. 47
Das Gespräch bereitet die Klasse auf die Lektüre vor und klärt im Vorfeld evtl. Begriffschwierigkeiten oder auch Probleme der Machbarkeit bzw. Wahrheit. Dies entlastet das Lesen und Be- sprechen des Buches, der Inhalt rückt in den Vordergrund. Das 1. Kapitel sollte in dieser Stunde gemeinsam begonnen wer- den zu lesen, und aufkommende Fragen sollten notiert werden. Die Schülerinnen und Schüler werden so zum Führen eines Lese- tagebuches angeleitet. Nach diesem Einstieg lesen sie unter Erstellung des persön- lichen Lesetagebuches weiter. Je nach Vermögen der einzelnen Schülerinnen bzw. Schüler wird ein begleitendes Lesen sinnvol- ler sein als das Einräumen einer Lesefrist. Wichtig ist es, den Charakter des Lesetagebuches zu betonen. Hier können per- sönliche Eindrücke festgehalten, Fragen bis zum Besprechungs- zeitraum notiert und Anregungen gesammelt werden. Es ist durchaus auch erwünscht, Kritik oder Gefühle aufzuschreiben. Entgegen vielleicht üblicher Praxis sollte dies nicht benotet wer- den. Aus dem 1. Kapitel empfiehlt es sich eine Äußerung Sams auf- zugreifen. Er meint, er denke selber und brauche nicht zu glau- ben (vgl. S. 18). Diese Allgemeinplätze (Glauben ist Kinder- kram; Wer glaubt, muss seinen Verstand abgeben etc.) können Gesprächsanlass sein, die Schülererfahrungen und -einstellun- gen zu sammeln. Im Fortgang des Buches wird zudem immer wieder auf das Denken zurückgekommen und seine Nützlichkeit und Grenze thematisiert. Zu den Grundfragen des heranwachsenden Menschen gehört die Suche nach der Identität, die Frage nach der Originalität des eigenen Lebens und nach seinem Ursprung. Das Gespräch zwi- schen dem Hacker und Sam kommt ganz unvermittelt auf diesen Bereich und führt zu einer Hypothese, die erschütternd und ver- traut zugleich ist: »wenn die Welt von ganz allein entstanden wäre, [. . .] dann wärst du nichts als eine Laune der Natur. Ein zufälliges Ereignis, verloren in der Unendlichkeit des Welt- raums.« (S. 23) Welcher Jugendliche denkt nicht über Woher 48
und Wohin des Lebens nach, über den eigenen Platz in der Weite des Universums? Dieses Nachdenken und Fragen wird hier aufgegriffen, ohne jedoch zu einer vorschnellen Antwort zu kommen. Der Zweifel ist zugelassen, die Deutungen sind Ange- bote: »›Na gut‹, sagte ich. ›Wenn es so ist, dann ist es eben so. Lieber sehe ich der Wahrheit ins Gesicht, als dass ich mich mit einem bequemen Märchen zum Narren halte.‹ – ›Ich habe es schon einmal gesagt, das ist nur recht und billig. Es ist eine ehr- liche Antwort. Wenn du so empfindest, dann ist das genau die Antwort, die ich mir von dir wünsche.‹« (S. 54 f.) Eine Stunde mit dem Schwerpunkt Wer bin ich? sollte die Jugendlichen nicht in existenzielle Krisen stürzen lassen, sondern ihnen ver- mitteln, dass solche Fragen und das Gefühl der Einsamkeit in der Weite des Universums durchaus Erfahrungen sind, die viele Menschen, auch Erwachsene, teilen. Eckpunkte des Gesprächs könnten die Fragen nach Familienähnlichkeiten und Besonder- heiten, nach dem Verhältnis von Erziehung und Prägung durch Eltern, Schule, Freunde etc. sein. Als Einstieg könnten zum Bei- spiel Fingerabdrücke der Schüler dienen, um die herum am Ende der Stunde individuelle Persönlichkeitsmerkmale grup- piert werden. Im 2. Kapitel »Ein Kübel voll Schlamm« wird das Verhältnis von Naturwissenschaft und Glaube zum ersten Mal angespro- chen, hier mit dem Schwerpunkt Evolution. Diese Zuspitzung ist sehr theologisch und sollte nur angesprochen werden, wenn ein Klärungsbedürfnis besteht. In einem solchen Falle wird es unum- gänglich sein, dass die Lehrkraft sich mit den unterschiedlichen Positionen in Bezug auf Evolution und Kreationismus vertraut macht. Entsprechende Ausführungen dazu an dieser Stelle wür- den nicht nur den Rahmen sprengen, sondern auch den Schwer- punkt verlagern. Der Bereich Naturwissenschaft und Glaube soll deshalb unter einem anderen Aspekt beleuchtet werden: Im 4. Kapitel (»Wunder oder Lunchpakete«) fordert Sam von dem Unbekannten ein Wunder, damit er wirklich an ihn glauben kann. Doch statt des Wunders bekommt Sam eine kleine Einfüh- 49
rung in die Frage nach den Grenzen des naturwissenschaftlichen Weltbildes. »Ich bin dafür, dass Menschen so viel wie möglich über Naturwissenschaft lernen. Aber sie ist sehr begrenzt. Die Naturwissenschaft bewältigt nur ganz bestimmte Fragen – und nicht unbedingt die wichtigsten. Darüber musst du dir im Klaren sein.« (S. 65) Zu dieser Qualifizierung der Fachdisziplinen bietet sich eine Übertragung an, die neue Gesprächsimpulse setzt. Vom Deutschlandfunk Köln erschien 1983 die Serie »Das Jen- seits – Erfahrungen mit einer anderen Wirklichkeit«. In 20-mi- nütigen Hörfolgen wird mit unterschiedlichen Schwerpunkten und von verschiedenen bekannten Autoren aus Theologie, Psy- chologie, Pädagogik und Naturwissenschaft der Versuch einer Gratwanderung zwischen verschiedenen Wirklichkeiten unter- nommen, ohne auf esoterische Abwege zu geraten. In der Folge »Die Sterne leuchten, auch wenn wir sie nicht sehen« geht es um die naturwissenschaftliche Erforschung objektiv beobachtbarer Phänomene und die Frage nach den Grenzen der naturwissen- schaftlichen Erkenntnismodelle. Die Tonkassette erweitert die Fragestellung des Kapitels und fundiert damit ein Gespräch über den o. g. Themenkomplex. Für heranwachsende Jugendliche ist es wichtig, sich mit den Ansprüchen und Grenzen der jeweiligen Fachwissenschaften auseinander zu setzen, um Scharlatanerie einerseits und All- machtsphantasien andererseits begegnen zu können. Im Anschluss an die Beschäftigung mit den Leistungen und Gren- zen unterschiedlicher Erkenntniswege kann übergeleitet werden zu der Frage nach der Einstellung zum eigenen Leben und dem Weltganzen, wie sie z. B. im 5. Kapitel »Sehen ist glauben – oder?« (aber auch darüber hinaus) angesprochen wird: »Wis- senschaft befasst sich nur mit Dingen. [. . .] Wie ich schon einmal gesagt habe, sie ist sehr begrenzt. Aber Schmerz und Liebe und Ärger sind wichtig – wenn man richtig lebendig ist. Vermutest du ein Gefühl hinter einer Sache, dann gehst du mit dieser Sache anders um. [. . .] Dasselbe ist es mit mir und der Welt. Wenn du hinter allem einen Sinn siehst – meinen Sinn –, wenn du meine 50
Gegenwart darin spürst, dann verändert das deine Haltung dazu. Du lebst anders. Am Ende sind es Gefühl und Verstand, die wirklich wichtig sind – auch wenn du sie niemals siehst.« (S. 81 f.) Das Gespräch kann nun auf Grundmotivation und Aus- richtung des Lebens gelenkt werden. An dieser Stelle ist es auch möglich, Beispiele aus anderen Kapiteln mit einzubeziehen, z. B. das Engagement der Mutter Theresa (S. 132 f.). An konkreten Lebensbildern, möglichst auch lokal engagierter Menschen, kann den Schülerinnen und Schülern die Notwendigkeit und die Motivation sozial und karitativ tätiger Menschen verdeutlicht werden. Vielleicht ist es möglich, jemanden in den Unterricht einzuladen und ihn bzw. sie zu befragen? Denkbar sind auch Besuche bei derartigen Organisationen oder Einrichtungen. In beiden Fällen lassen sich damit bestimmte Fertigkeiten üben wie Sammeln von Informationen und Adressen, Verfassen einer Ein- ladung, Organisation eines Besuches, Interviewtechnik, Schrei- ben und Redigieren eines Artikels für die Schülerzeitung etc. Das ganze Unterfangen sollte jedoch nach Möglichkeit nicht zum Selbstläufer werden, der das Buch nur funktionalisiert. Für das Buch wichtig, für den Deutschunterricht evtl. aber zu theologisch ist die Frage nach dem Leid, dem Bösen in der Welt. Mr. Hacker formuliert seine Antwort im 8. Kapitel »Der Teufel und seine Handlanger« wie folgt: »Ich erschaffe keine bösen Menschen. Ich erschaffe ganz einfache Menschen. [. . .] Sie sind frei, um nach ihren eigenen Vorstellungen etwas mit ihrem Le- ben anzufangen. [. . . ] Ich bin es nicht, der Böses schafft. [. . . ] Ich gebe dem Menschen höchsten die Gelegenheit zum Bösen. Und das muss ich tun, damit ich euch auch die Möglichkeit bieten kann, mich zu lieben.« (S. 117 f.) Die Besprechung dieser Stelle und des damit verbundenen Sachverhalts ist wohl eine der schwierigsten Stellen des Buches. Doch so bedeutsam sie auch ist, sie ist nicht zwingend erforderlich. Das Buch bietet auch so genug wesentlichen Gesprächsstoff. Wer sich allerdings an das Thema heranwagt, sollte sich auch selbst Klärung verschaffen. Auf ein hilfreiches Buch sei an dieser Stelle verwiesen: 51
Harold Kushner: Wenn guten Menschen Böses widerfährt (München: Tomus Verlag 1981). Zur Umsetzung des Themas und zur Entlastung kann es hilf- reich sein, einen Kunstgriff vorzunehmen: Die Schülerinnen und Schüler sollen sich nicht auf eine der beiden Seiten stellen, son- dern einen Dialog aufschreiben, in dem zwei Einflüsterer bzw. innere Stimmen miteinander reden. Die unterschiedlichen Posi- tionen werden so besser zur Geltung gebracht, ausgesprochen und evtl. ansatzweise im Sinne von These und Gegenthese auf- einander bezogen. Für eine Gesamtreflexion am Ende der Gespräche bietet es sich an, noch einmal Bezug zu nehmen zur Fiktion, die dem Werk zu- grunde liegt: Das Buch liegt uns als gedrucktes Medium in der Hand, doch sein Inhalt wird z.T. multimedial vermittelt. Die Realitäten wechseln, Sam erlebt sich als Zuschauer und zugleich als Akteur in dieser Mischung aus Spiel- und Lehrfilm, die der Hacker über den Monitor laufen lässt. Leitend für das Gespräch aus der Sicht des »göttlichen« Hackers ist die These: »Je mehr du von mir erfährst und je mehr du mir nacheiferst, desto mehr er- fährst du über dich selbst – über dein wahres Ich.« (S. 37) Diese These eignet sich sehr gut als Impuls für eine Gesprächsrunde über den Anspruch, mit dem der Unbekannte in Sams Leben tritt. 䉴 Was wollte Mr. Hacker von Sam? 䉴 Wie ist es Sam während dieser Zeit ergangen? 䉴 Was hat sich verändert? 䉴 Was ist mit dem »wahren Ich« gemeint? Zur Sicherung kann es hilfreich sein, die Schülerinnen und Schü- ler einen Brief schreiben zu lassen (z. B. an Sams Freundin Premi- kar), in dem Sam von den Erlebnissen der letzten Wochen berichtet. Das Buch bietet natürlich noch weiter gehende Gesprächsthe- men. Die hier vorgestellten Anregungen dienen jedoch nicht der vollständigen Erschließung des Buches, wie es sonst im Litera- turunterricht üblich ist, sondern dem Aufzeigen gewisser inhalt- 52
licher Schwerpunkte. Auswahl und fassbare Umsetzung hängen nicht zuletzt von den Beteiligten ab. »Und das ist das Großartige am Geschichtenschreiben – an guten Geschichten. Die Figuren werden lebendig, sie bekommen ein Eigenleben. [. . .] Was herauskommt ist eine eigenartige Mischung von dem, was der Autor in die Geschichte hineingelegt hat, und von dem, was von den Personen selber kommt.« (S. 21 f.) AV-Medien-Empfehlungen Je nach gewähltem Schwerpunkt bieten sich in den einzelnen Stunden Vertiefungen an, die mit Hilfe der folgenden audiovisu- ellen Medien unterstützt werden können. Steven Hawkins: Eine kurze Geschichte der Zeit (als Videofilm und Buch erhältlich). Der englische Physiker Hawkins nimmt den Zuschauer mit auf eine philosophische Reise durch Raum und Zeit, in der die physikalischen Grundannahmen unseres Lebens und aller Mate- rie und Wahrnehmung hinterfragt werden und die Unendlich- keit schrumpft. Der Film ist sehr anspruchsvoll und eher für ältere Schüler geeignet, doch man muss ihn nicht gänzlich verste- hen, um Anregungen zu gewinnen. Zur Sinnfrage gibt es unzählige Materialien, viele allerdings ideologisch oder weltanschaulich geprägt, sodass ein möglichst neutraler Impuls kaum möglich ist. Eine rühmliche und vielseitig einsetzbare Ausnahme bietet dabei der Film »Balance« von Christopher und Wolfgang Lauenstein. Der 1990 mit einem Os- car ausgezeichnete Puppentrickfilm dauert nur 8 Minuten und bietet dennoch eine Fülle von Anregungen. Im Verleihtext heißt es: »Fünf Figuren bewegen sich auf einer schwebenden Platt- form. Jeder von ihnen weiß, nur wenn sich alle gleichmäßig ver- teilen, bleibt das Gleichgewicht gewahrt: Es beginnt ein Spiel, bei dem mit jedem Schritt die Balance mehr in Gefahr gerät. Als eine rätselhafte Kiste auftaucht, wird die fatale Abhängigkeit al- ler voneinander offensichtlich.« Der Film lässt sich auch zu den Themen Egoismus, Verantwortung, Abhängigkeit und Kommu- 53
nikation einsetzen und erfordert wegen seiner Vielschichtigkeit ein mehrmaliges Ansehen durch die Lehrkraft. In einer Diaserie von Dietrich Steinwede sind Realfotos und Dokumentarbilder (s / w und farbig) zusammengestellt, die unter den Themen »Schöpfung« und »Von Gott« Interpretationen liefern und zum Weiterfragen anregen. Aus den je 12 Dias um- fassenden Serien erscheinen besonders die Bildthemen Andro- medanebel, Schöpfung / Urbeginn, Modernes Weltbild / Mensch und Weltall interessant. Jedem Dia sind didaktische Anleitungen für den Einsatz in der Schule beigegeben. Alle genannten AV-Medien sind entweder über die Landes- filmbildstellen und deren örtliche Niederlassungen oder aber über kirchliche Informations- und Medienzentralen erhältlich. Zum Autor Russell Stannard war bis 1997 Professor für Physik an der eng- lischen Universität in Milton Keynes. Er sagt: »Meine Bücher sollen jungen Lesern die wichtigsten Dinge nahe bringen – Ein- steins Relativitätstheorie und den Sinn des Lebens. Gleichzeitig versuche ich zu unterhalten.« Das Geheimnis seines Erfolges liegt vielleicht darin, dass er die Bücher nicht alleine schreibt, sondern die erste Version Schülern zum Testen gibt. Sie stellen dann dazu Fragen und haben Einwände, die Stannard bei der endgültigen Fassung des Buches berücksichtigt. Russell Stannard ist verheiratet und hat sieben Kinder – vier eigene und drei, die er und seine Frau adoptiert haben. In der Reihe »Fischer Schatzinsel« sind von Russell Stannard auch »Durch Raum und Zeit mit Onkel Albert« (Band 80015) und »Onkel Albert und der Urknall« (Band 80055) erschienen: 54
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