III. Quartal 2021 - BRP Renaud & Partner

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Newslet ter
III. Quartal 2021

 mit Beiträgen zu:

 Bau-, Architekten- und            Auszeichnung Deutschlands beste Anwälte 2021
 Ingenieurrecht
 Insolvenzrecht                   Im aktuellen Ranking „Deutschlands beste Anwälte‟, welches das Han-
                                  delsblatt in Kooperation mit dem US-Fachverlag Best Lawyers® veröf-
 Kartellrecht
                                  fentlicht, werden 23 Anwältinnen und Anwälte von BRP in zehn Rechts-
 Medizinrecht                     gebieten empfohlen. Zum ersten Mal wurden in der diesjährigen Aus-
 Mietrecht                        gabe zwei Anwälte von BRP zusätzlich als „Anwalt des Jahres‟
 Patentrecht                      ausgezeichnet: Dr. Thomas Weimann im Bereich Datenschutzrecht und
                                  Aljoscha Schmidberger im Bereich Bank- und Finanzrecht. Das Ranking
 Verfahrensrecht
                                  kann unter best-lawyers.com abgerufen werden.
 Vergaberecht
 Versicherungsrecht               Ein großes Dankeschön an unsere Mandantinnen und Mandanten für
                                  diese Anerkennung und das entgegengebrachte Vertrauen!

                                   Veranstaltungsankündigung
 B R P a k t u e l l              Versicherer-Roundtable

 Ab dem 1. Oktober wird Rechts-   Am 23.09.2021 findet dieses Jahr wieder unser Versicherer-Round­table
 anwalt Justus Bauer das Frank-   statt. Dr. Jürgen Bürkle, Dr. Volker Nill und Carsten Gnewikow infor-
 furter BRP-Büro im Bereich
                                  mieren über aktuelle Rechtsprechung und Tendenzen im Versiche-
 gewerblichen Rechtsschutz ver-
                                  rungsrecht mit anschließender Diskussionsrunde. Anmeldemöglichkeit
 stärken.
                                  und weitere Informationen unter brp.de/roundtable2021
 Herzlich willkommen bei BRP!

                                  Informationskongress 5. Compliance Conference Stuttgart
                                  Der Informationskongress für Unternehmen aus dem Mittelstand

                                  Am 30.09.2021 findet im LOOK21 in Stuttgart die 5. Compliance Con-
                                  ference statt. Dr. Eike Dirk Eschenfelder, Sonja Fingerle, LL.M. und
                                  Dr. Johannes Scherzinger, LL.M. referieren mit weiteren Expertinnen
                                  und Experten zum diesjährigen Schwerpunkt „Unternehmen im Fokus
                                  der Behörden und Staatsanwaltschaften‟. Als Keynote Speaker konn-
                                  ten Dr. Hans Richter, Oberstaatsanwalt (HAL) a.D. sowie der Group
                                  Compliance Officer der HUGO BOSS AG, Dominik Heske gewonnen
                                  werden. Wir freuen uns, Sie vor Ort oder digital zu treffen und uns mit
                                  Ihnen auszutauschen. Gerne stellen wir Ihnen einen Promotion-Code
                                  „PARTNER_COMPLIANCE_2021‟ (-30%) zur Verfügung.
                                  Weitere Informationen zu Programm und Anmeldemöglichkeiten finden
                                  Sie unter brp.de/compliance2021

                                   Bau-, Architekten- und Ingenieurrecht
                                  Vergütung auch ohne schriftlichen Auftrag!

                                  Es kommt im Baualltag nicht selten vor, dass der Auftragnehmer Leis-
                                  tungen ausführt, die vom Leistungssoll des Bauauftrags nicht erfasst
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                                                                                       Ne w sle t te r I I I . Q u a r t a l 2021

     sind. In diesen Fällen stellt sich regelmäßig die Fra-   tung bei drei Prüfungspunkten verändert und damit
     ge, ob diese geänderte oder zusätzliche Leistung         maßgeblich zurückgenommen. Einerseits wird es
     vom Auftraggeber zu vergüten ist. Grundsätzlich          für den Insolvenzverwalter künftig schwieriger sein,
     werden Leistungen, die der Auftragnehmer ohne            die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung zu
     Auftrag oder unter eigenmächtiger Abweichung             beweisen, da sich nach Auffassung des Bundesge-
     vom Auftrag ausführt, nicht vergütet. Das Gesetz         richtshofs ein schematisches Vorgehen bei der
     und die VOB/B, wenn sie denn rechtswirksam in            Beweiswürdigung verbietet. Andererseits wird in
     den Vertrag einbezogen wurde, sehen für solche           der Literatur bereits jetzt kritisiert, dass dies für die
     Leistungen in bestimmten Ausnahmefällen Ver­             Empfänger anfechtbarer Leistungen mit größerer
     gütungsgrundlagen vor.                                   Rechtsunsicherheit einhergehe.

     Über die Vergütung von nicht bzw. vom Vertrag            Gemäß § 133 InsO ist eine Rechtshandlung (z. B.
     abweichenden Leistungen hat das Oberlandesge-            Zahlung), die der Schuldner in den letzten zehn
     richt München mit Urteil vom 21.07.2021 entschie-        Jahren vor dem Insolvenzantrag oder nach diesem
     den. In dem Fall verlangte der Auftragnehmer eine        Antrag vorgenommen hat, anfechtbar, wenn der
     Mehrvergütung für die Verarbeitung von breiteren         Schuldner dabei den Vorsatz hatte, seine Gläubiger
     Profilen und Wetterblechen. Der Auftraggeber hat-        zu benachteiligen und wenn der Leistungsempfän-
     te – anders als ursprünglich vorgesehen – eine           ger diesen Vorsatz des Schuldners kannte. Diese
     stärkere Außendämmung anbringen lassen, wes-             Kenntnis wird vermutet, wenn der Leistungsemp-
     halb der Auftragnehmer zwangsläufig breitere Pro-        fänger wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des
     file und Wetterbleche verarbeiten musste als beauf-      Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläu-
     tragt. Das Oberlandesgericht München hat den Auf-        biger benachteiligte. Der Insolvenzverwalter muss-
     traggeber zur Zahlung der Mehrvergütung gemäß            te bisher beweisen, dass der Leistungsempfänger
     § 2 Abs. 5 VOB/B bzw. § 2 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B             wusste, dass der Schuldner mit Gläubigerbenach-
     ­verurteilt. Das Gericht hielt die Mehrleistungen zur    teiligungsvorsatz handelte. Als ausreichendes Indiz
      Erreichung des Werkerfolgs für zwingend not­            hierfür genügte der Beweis der Kenntnis des Leis-
      wendig und ging angesichts der Einbringung einer        tungsempfängers, dass der Schuldner seine
      stärkeren Dämmung auch von der Kenntnis des             ­Z ahlungen eingestellt hatte. Denn gemäß § 17
      Auftraggebers aus, dass der Auftragnehmer brei­          Abs. 2 InsO ist im Falle der Zahlungseinstellung die
      tere Profile und Wetterbleche verarbeitet. Die im        Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen. Man
      Bauvertrag enthaltene Klausel, wonach jegliche           konnte somit sagen, dass der Leistungsempfänger
      Nachforderung ausgeschlossen sein solle, wenn die        bei Kenntnis der Zahlungseinstellung auch die Zah-
      Nachträge bzw. die zusätzlichen Leistungen nicht         lungsunfähigkeit und den Gläubigerbenachtei­li­
      auf schriftlichen Aufträgen beruhen, hielt das          gungsvorsatz des Schuldners kannte.
      Gericht für unwirksam.
                                                              Der Bundesgerichtshof hat nun erkannt, dass sich
     Die Entscheidung bestätigt zwar, dass auch nicht         diese Rechtsprechung nicht ohne Bruch in die Sys-
     beauftragte oder abweichend vom Leistungssoll            tematik der Anfechtungstatbestände einfügt. Es
     ausgeführte Bauleistungen ausnahmsweise vom              gelten daher jetzt deutlich strengere Beweisanfor-
     Auftraggeber zu vergüten sind. Dennoch ist es            derungen. Fehlt es an einer eigenen Erklärung des
     für den Auftragnehmer ratsam, mit zusätzlichen           Schuldners, zahlungsunfähig zu sein, müssen sons-
     Leistungen von vornherein offen umzugehen und            tige Umstände in die Gesamtwürdigung des Gerichts
     mit dem Auftraggeber eine Regelung über die              einbezogen werden. Diese müssen ein der Erklä-
     Zusatzleistungen und den Umfang der Vergütung            rung des Schuldners, zahlungsunfähig zu sein, ver-
     zu treffen, bevor es zum Streit kommt.                   gleichbares Gewicht haben. Dafür genügt allein eine
                                                              häufigere Zahlungsverzögerung nicht. Ausreichen
                                                              können aber verstärkter Mahn- und Vollstreckungs-
                                                              druck anderer Gläubiger oder selektive Zahlungen
      Insolvenzrecht                                          des Schuldners an existenziell wichtige Gläubiger
                                                              bei gleichzeitiger Nichtzahlung auf weniger wichtige
     Änderung der Rechtsprechung: Keine Gleichstel-           Verbindlichkeiten. Hat der Gläubiger einmal Kennt-
     lung von Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit und            nis von der Zahlungseinstellung des Schuldners
     Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes          erlangt, so wurde bisher und wird auch künftig die
     bei der Vorsatzanfechtung                                Fortdauer dieser Kenntnis widerleglich vermutet.
                                                              Nun hängen allerdings Dauer und Stärke der Ver-
     Der Bundesgericht shof hat mit Ur teil vom               mutung davon ab, in welchem Umfang die Zah-
     06.05.2021 seine seit vielen Jahren als zu weitge-       lungsunfähigkeit zutage getreten ist. Bei einer rela-
     hend kritisierte Rechtsprechung zur Vorsatzanfech-       tiv geringfügigen Forderung (im Streitfall war dies
03

BRP

eine Forderung von lediglich ca. 2.500,00 €, die vor
langer Zeit nicht bezahlt wurde) kann eine Vermu-       Kartellrecht
tung für die Fortdauer der Zahlungseinstellung
auch gänzlich entfallen.                               EU-Kommission: Geldbußen wegen Abstimmungen
                                                       zu technischen Entwicklungen
Bisher war es für die Feststellung eines Gläubiger-
benachteiligungsvorsatzes des Schuldners und der       Die EU-Kommission hat am 08.07.2021 Geldbußen
Kenntnis von diesem Vorsatz bei dem Gläubiger des      in Höhe von über 875 Mio. € gegen die VW-Gruppe
Schuldners ausreichend, wenn beiden die Zah-           und BMW verhängt. Daimler ist die Geldbuße als
lungsunfähigkeit des Schuldners im Zeitpunkt der       Kronzeuge erlassen worden. Nach den Feststellun-
Leistung an den Gläubiger bekannt war. Dies soll       gen der EU-Kommission hatten die Automobilherstel-
künftig nicht mehr genügen, vielmehr muss hinzu-       ler Absprachen über technische Entwicklungen im
kommen, dass der Schuldner weiß oder billigend in      Bereich der Stickoxidreinigung getroffen, nament-
Kauf nimmt, dass er seine Gläubiger auch zu einem      lich über die Größen ihrer AdBlue-Tanks, die AdBlue-
späteren Zeitpunkt nicht vollständig wird befriedi-    Reichweiten und den zu erwartenden durchschnitt-
gen können. Von Bedeutung ist in diesem Zusam-         lichen AdBlue-Verbrauch. Außerdem tauschten die Un-
menhang die im Moment der angefochtenen Rechts-        ternehmen diesbezüglich sensible Informationen aus.
handlung bestehende Deckungslücke zwischen
dem liquiden Vermögen des Schuldners und seinen        Dieses Verhalten verstößt nach Ansicht der EU-
Verbindlichkeiten. Lässt diese auch bei optimisti-     Kommission gegen das Kar tellverbot. Dem
scher Einschätzung in absehbarer Zeit keine voll-      Beschluss der EU-Kommission zufolge beschränken
ständige Befriedigung der bereits vorhandenen und      die Absprachen und der Informationsaustausch der
weiterer hinzutretenden Gläubiger erwarten, hat        Automobilhersteller den Wettbewerb um bestimm-
der Schuldner Gläubigerbenachteiligungsvorsatz.        te Produktmerkmale, die für die Kaufentscheidung
Besteht dagegen die Aussicht auf eine nachhaltige      des Kunden von Relevanz sein können. Derartige
Beseitigung innerhalb eines Zeitraums, von dem         Wettbewerbsparameter müssen nicht zwingend
der Schuldner annehmen durfte, dass er ihm zur         kommerziell sein, sie können auch technischer
Beseitigung seiner Zahlungsschwierigkeiten ver-        Natur sein. Die EU-Kommission nannte diesbezüg-
bleibt, liegt kein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz    lich zwei Wettbewerbsparameter, die beschränkt
vor. Darlegungs- und beweisbelastet hierfür ist der    wurden: Eine über die gesetzlichen Anforderungen
Insolvenzverwalter.                                    hinausgehende Reinigung der NOx-Emissionen
                                                       (sogenannte „Übererfüllung‟) sowie den AdBlue-
Bei seiner Beweisführung kann der Insolvenzver-        Nachfüllkomfort.
walter sich grundsätzlich auf die Vermutung des
§ 133 Abs. 1 InsO stützen, wonach die Kenntnis des     Während es in der Vergangenheit bei Kartellbuß-
Leistungsempfängers vermutet wird, wenn er wuss-       geldverfahren regelmäßig (zumindest auch) um
te, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners        Absprachen oder einen Informationsaustausch zu
drohte und dass die Leistung des Schuldners gläu-      Preisen, Kunden oder Marktaufteilungen ging, hat
bigerbenachteiligend war. Nach der Entscheidung        die EU-Kommission in diesem Verfahren erstmalig
des Bundesgerichtshofs kann allerdings allein aus      Geldbußen für Kartellrechtsverstöße verhängt, die
der Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit         sich allein auf die Beschränkung der technischen
nicht auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz         Entwicklung bezogen. Dabei hatten die Gespräche
geschlossen werden. Hierfür müssen weitere             der Automobilhersteller einen kartellrechtlich legi-
Umstände hinzukommen, bspw. die gezielte Befrie-       timen Ansatz, nämlich den technischen Fortschritt
digung eines Altgläubigers in der sicheren Erwar-      bei der Abgasreinigung. Der Grat zwischen zulässi-
tung des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit. Die        ger technischer Kooperation und kartellrechtswid-
zusätzlich erforderliche Kenntnis von der objektiven   riger Abstimmung ist bei Wettbewerbern jedoch
Gläubigerbenachteiligung wird weiterhin durch die      schmal. Die Grenzen einer noch zulässigen techni-
Kenntnis von der drohenden oder bereits eingetre-      schen Kooperation wurden hier nach Ansicht der
tenen Zahlungsunfähigkeit indiziert, wenn der          EU-Kommission überschritten. Sie konstatierte,
Anfechtungsgegner weiß, dass es noch andere            das Verfahren sei „ein Beispiel dafür, was passieren
Gläubiger gibt. Damit muss er – wie bisher schon       kann, wenn eine eigentlich legitime technische
– rechnen, wenn der Schuldner unternehmerisch          Zusammenarbeit schiefgelaufen ist‟.
tätig ist.
                                                       Die EU-Kommission kündigte an, auch künftig ent-
                                                       schieden gegen alle Formen von Kartellrechtsver-
                                                       stößen vorzugehen, die die ehrgeizigen Ziele des
                                                       Grünen Deals der EU gefährden.
04
                                                                                     Ne w sle t te r I I I . Q u a r t a l 2021

                                                             mutung des § 630h Abs. 3 BGB führe. In dieser
      Medizinrecht                                           Bestimmung ist die bisherige Rechtsprechung zur
                                                             Beweislastumkehr bei Dokumentationsversäumnis-
     Zum Beweiswert der elektronischen Dokumen­              sen kodifiziert. Im Einklang mit dieser knüpft sie
     tation                                                  beweisrechtliche Folgen nur daran, dass der Behan-
                                                             delnde eine medizinisch gebotene wesentliche Maß-
     Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung         nahme und ihr Ergebnis entgegen § 630f BGB nicht
     vom 27.04.2021 entschieden, dass einer elektroni-       in der Patientenakte aufgezeichnet oder die Patien-
     schen Dokumentation, die nachträgliche Änderun-         tenakte nicht aufbewahrt. Nach Ansicht des Bun-
     gen entgegen § 630f BGB nicht erkennbar macht,          desgerichtshofs erstreckt sich diese Vermutungs-
     keine positive Indizwirkung dahingehend zukommt,        wirkung auf die unterbliebene, lückenhafte, nicht
     dass die dokumentierte Maßnahme von dem Behan-          zeitnahe, nicht auffindbare oder entgegen § 630f
     delnden tatsächlich getroffen worden ist. Nach          Abs. 3 BGB nicht aufbewahrte Dokumentation. Den
     Ansicht des Bundesgerichtshofs genügt eine elekt-       Fall, dass die medizinische Maßnahme zwar elek-
     ronische Dokumentation, die nachträgliche Ände-         tronisch dokumentiert, die Dokumentation aber mit
     rungen nicht erkennbar macht, nicht den Anforde-        einer, nachträgliche Änderungen nicht erkennbar
     rungen des § 630f BGB. Nach diesen Bestimmun-           machenden Software erstellt wurde, regele die
     gen sind Berichtigungen und Änderungen von              Bestimmung dagegen nicht.
     Eintragungen in der Patientenakte nur zulässig,
     wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar
     bleibt, wann sie vorgenommen wurden. Dies sei
     auch für elektronisch geführte Patientenakten            Mietrecht
     sicherzustellen. Ziel der Regelung sei es, eine fäl-
     schungssichere Dokumentation sicherzustellen.           1. Formale Anforderungen an die Eigenbedarfs-
     Deshalb muss im Falle einer elektronisch geführten      kündigung
     Patientenakte die eingesetzte Software gewährleis-
     ten, dass nachträgliche Änderungen erkennbar            Die ordentliche Kündigung eines Wohnraummiet-
     werden. Anders als bei der herkömmlichen hand-          verhältnisses ist für den Vermieter gemäß § 573 BGB
     oder maschinenschriftlichen Dokumentation, bei          nur möglich, wenn er ein berechtigtes Interesse an
     der nachträgliche Änderungen durch Streichung,          der Beendigung des Mietverhältnisses besitzt. Einer
     Radierung, Einfügung oder Neufassung regelmäßig         der Hauptanwendungsfälle dieses berechtigten
     auffallen, bietet die mit Hilfe einer – nachträgliche   Interesses ist der sogenannte Eigenbedarf des Ver-
     Änderungen nicht erkennbar machenden – Soft-            mieters. Ob Eigenbedarf in der Sache gegeben ist,
     ware geführte elektronische Dokumentation jedem         ist eine materiell-rechtliche Frage, die gegebenen-
     Zugriffsberechtigten die Möglichkeit, den bisher        falls in einem Rechtsstreit zu beurteilen ist. Wichtig
     aufgezeichneten Inhalt in kurzer Zeit, mit geringem     für den Vermieter ist darüber hinaus, bereits bei
     Aufwand und fast ohne Entdeckungsrisiko nach-           Erklärung der Kündigung formale Anforderungen zu
     träglich zu ändern. Darüber hinaus besteht die          beachten. Gemäß § 573 Abs. 3 BGB müssen näm-
     Gefahr der versehentlichen Löschung oder Verän-         lich die Gründe für ein berechtigtes Interesse des
     derung des Inhalts. Einer solchen Dokumentation         Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnis-
     fehlt es an der für die Annahme einer Indizwirkung      ses im Kündigungsschreiben angegeben werden.
     erforderlichen Überzeugungskraft und Zuverlässig-       Wird dieses Formerfordernis nicht beachtet, ist die
     keit. Sie rechtfertigt daher nicht den ausreichend      Kündigung bereits aus diesem formalen Grund
     sicheren Schluss, die dokumentierte Maßnahme sei        unwirksam. Der Zweck der Formvorschrift besteht
     tatsächlich auch erfolgt. Dies gilt auch dann, wenn     darin, dem Mieter möglichst früh Klarheit über sei-
     der Patient keine greifbaren Anhaltspunkte dafür        ne Rechtsposition zu verschaffen, um ihn dadurch
     darlegt, dass die Dokumentation nachträglich zu         in die Lage zu versetzen, rechtzeitig alles Erforder-
     seinen Lasten geändert worden ist. Da der Patient       liche zur Wahrung seiner Interessen veranlassen zu
     insoweit außerhalb des maßgeblichen Gesche-             können. Ausreichend für die formale Begründung
     hensablaufs stehe, wird er nach Ansicht des Bun-        der Kündigung ist im Allgemeinen, wenn im Kündi-
     desgerichtshofs regelmäßig nicht in der Lage sein,      gungsschreiben der Kündigungsgrund so bezeich-
     Anhaltspunkte für eine – bewusste oder versehent-       net wird, dass er identifiziert und von anderen
     liche – nachträgliche Abänderung der elektroni-         Gründen unterschieden werden kann. Für die Eigen-
     schen Dokumentation vorzulegen.                         bedarfskündigung bedeutet dies, dass die Angabe
                                                             der Person erforderlich ist, für die die Wohnung
     Jedoch stellte der Bundesgerichtshof klar, dass die     benötigt wird, sowie die Darlegung des Interesses,
     Verwendung einer, nachträgliche Änderungen nicht        dass diese Person an der Erlangung der Wohnung
     erkennbar machenden Software nicht zu der Ver-          hat. Diese Angaben sind erforderlich und zugleich
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ausreichend. Eine solche Individualisierung des         dung, so der Bundesgerichtshof, sei nicht ausrei-
Kündigungsgrundes liegt in ausreichender Weise          chend, um ein berechtigtes Interesse in Form eines
vor, wenn der Vermieter als Bedarfsperson z. B.         Betriebsbedarfs anzunehmen. Solche Gründe
seinen Sohn benennt und als Interesse, dass der         rechtfertigten die Kündigung eines Wohnraummiet-
Sohn aufgrund von Homeoffice-Tätigkeiten einen          verhältnisses nur dann, wenn die Nutzung der Woh-
größeren Raumbedarf habe. Diese Begründung ist          nung für die „betrieblichen Abläufe‟ nach den Auf-
in formaler Hinsicht ausreichend. Damit ist es dem      gaben der Bedarfsperson von wesentlicher Bedeu-
Mieter möglich zu prüfen, ob er die Kündigung           tung sei. Dies sei hier nicht dargelegt. Vielmehr
akzeptiert oder ob er sich gegen die Kündigung ver-     müsse der Betriebsbedarf mindestens so schwer
teidigen möchte. Weitere Angaben, dies hat der          wiegen, wie die vom Gesetz aufgezählten Regelbei-
Bundesgerichtshof in einem Beschluss vom                spiele des § 573 Abs. 2 BGB, zu denen z. B. der
09.02.2021 klargestellt, wie z. B. zu den bisherigen    Eigenbedarf gehört. Bei einem Betriebsbedarf eines
Wohn- und Raumverhältnissen der Bedarfsperson,          Unternehmens als berechtigtes Interesse sei daher
sind nicht erforderlich. Es sei nämlich nicht Aufgabe   auch erforderlich, dass die Nutzung der Wohnung
des Vermieters, den Mieter bereits im Vorfeld, d. h.    für die „betrieblichen Abläufe‟ nach den Aufgaben
im Kündigungsschreiben, auf rechtliche Verteidi-        der Bedarfsperson von wesentlicher Bedeutung für
gungsmöglichkeiten in einem etwaigen späteren           das Unternehmen sei.
Kündigungsprozess hinzuweisen.
                                                        Auch diese Entscheidung zeigt, dass die ordentliche
Auch dieser Beschluss des Bundesgerichtshofs            Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses sel-
zeigt, dass an die Abfassung einer Kündigungser-        ten ein „Selbstläufer‟ ist. Sowohl bei der Prüfung,
klärung im Wohnraummietrecht Sorgfalt anzulegen         ob ein berechtigtes, die Kündigung rechtfertigen-
ist. Selbst wenn die Anforderungen an die formale       des Interesse vorliegt, als auch bei der Abfassung
Wirksamkeit der Kündigung nicht überspannt wer-         des Kündigungsschreibens ist daher Sorgfalt gebo-
den dürfen, ist darauf zu achten, Bedarfsperson         ten, um eine Kündigung gegebenenfalls auch strei-
und -gründe konkret und in ausreichender Weise zu       tig durchsetzen zu können.
bezeichnen. Andernfalls läuft der Vermieter Gefahr,
bereits aus formalen Erwägungen heraus eine
unwirksame Kündigung auszusprechen.
                                                         Patentrecht
2. Kündigung von Wohnraummietverhältnissen
wegen Betriebsbedarfs                                   Zweites Gesetz zur Vereinfachung und Modernisie-
                                                        rung des Patentrechts
Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der
Beendigung eines Wohnraummietverhältnisses              Das zweite Gesetz zur Vereinfachung und Moderni-
gemäß § 573 BGB kann auch beim sogenannten              sierung des Patentrechts hat Bundestag und Bun-
Betriebsbedarf bestehen. Betriebsbedarf ist – kurz      desrat passiert und tritt am Tage nach seiner Ver-
gesagt – der Eigenbedarf von Unternehmen (den           kündung in Kraft. Das Gesetz bringt vor allem drei
diese im Wortsinne nicht haben können, da sie           wichtige Neuerungen in das Patentrecht:
selbst nicht wohnen können). Nach der Rechtspre-
chung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass        1. Patentrechtlicher Unterlassungsanspruch
der Betriebsbedarf eines Unternehmens ein Kündi-
gungsgrund sein kann. Allerdings sind die Anforde-      Wer eine patentier te Er findung rechtswidrig
rungen hierzu durchaus streng, was der Bundesge-        benutzt, kann von dem Verletzten auf Unterlassung
richtshof in einem Beschluss vom 23.02.2021             in Anspruch genommen werden. Zwar hatten die
erneut klargestellt hat. Nicht jeder Betriebsbedarf     Gerichte auch bisher den verfassungsrechtlich ver-
eines Unternehmens rechtfertigt eine ordentliche        ankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der
Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses. Im           Rechtsanwendung zu beachten. Im Patentrecht
entschiedenen Fall hatte der Vermieter ein Wohn-        wurde eine Verurteilung zur Unterlassung allerdings
raummietverhältnis für eine Person gekündigt, die       bislang praktisch nie als unverhältnismäßig ange-
für ihn „Haushältertätigkeiten, Pfortendienst,          sehen. Im Falle der Unterlassung dürfen die patent-
Sekretariatsaufgaben‟ erledige. Weiter war ange-        verletzenden Erzeugnisse nicht mehr angeboten
geben, dass die Bedarfsperson alle üblicherweise in     werden und müssen vom Markt genommen werden
einem Pfarrhaus anfallenden Tätigkeiten (im Neben-      – was für das betroffene Unternehmen existenzver-
amt) ausführe. Deshalb sei eine Unterbringung in        nichtend sein kann, zumal Patente teilweise kleins-
der Nähe des Pfarrhauses erforderlich und die           te technische Details eines komplexen Produkts wie
Unterbringung im Gästezimmer des Pfarrhauses sei        Kraftfahrzeuge oder Smartphones schützen, die im
jedenfalls dauerhaft unzumutbar. Diese Begrün-          Falle eines Unterlassungstitels überhaupt nicht
06
                                                                                    Ne w sle t te r I I I . Q u a r t a l 2021

     mehr vertrieben werden dürfen. In Ausnahmefällen        3. Schutz von Geschäftsgeheimnissen
     kann ein solches Vertriebsverbot außer Verhältnis
     zum Wert des betroffenen Patents stehen.                Es wird ein Verweis auf die Regelungen zum Ver­
                                                             fahrensschutz von Geschäftsgeheimnissen im
     Um unverhältnismäßige Härten abzufedern, sieht          Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen
     nun § 139 Abs. 1 PatG vor, dass der Unterlassungs-      (GeschGehG) aufgenommen. Das Gericht kann jede
     anspruch ausgeschlossen ist, „soweit die Inan-          Information, die in das Verfahren eingeführt wurde,
     spruchnahme aufgrund der besonderen Umstände            als geheimhaltungsbedürftig einstufen, wenn diese
     des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glau-       ein Geschäftsgeheimnis sein könnte. Geschäfts­
     ben für den Verletzer oder Dritte zu einer unver-       geheimnisse, die in patentrechtlichen Verfahren
     hältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht      oftmals eine Rolle spielen, können so durch die ver-
     nicht gerechtfertigten Härte führen würde.‟ Es ist      fahrensrechtlichen Vorschriften des GeschGehG
     aber auch in der Zukunft davon auszugehen, dass         geschützt werden. Dazu gehören Maßnahmen wie
     Gerichte nur in besonders gelagerten Ausnahme­          der Ausschluss der Öffentlichkeit oder die Anord-
     fällen die Unzumutbarkeit einer Unterlassungs­          nung einer vertraulichen Behandlung des Streit-
     verpflichtung annehmen werden. Als für den Patent-      stoffs an die Beteiligten.
     inhaber milderes Mittel als der vollständige Aus-
     schluss des Unterlassungsanspruchs kommt die
     Einräumung von Aufbrauchs- und Umstellungsfris-
     ten für den Verletzer in Betracht. In jedem Fall ist     Verfahrensrecht
     vom Verletzer ein angemessener Ausgleich in Geld
     an den Patentinhaber zu bezahlen.                       Online-Klagetool

     2. Nichtigkeitsverfahren                                Bürgerinnen und Bürger haben sich zunehmend
                                                             daran gewöhnt, viele ihrer Angelegenheiten online
     Während patentrechtliche Verletzungsverfahren in        von zu Hause aus zu erledigen. Bis auf die Einlei-
     erster Instanz regelmäßig von Landgerichten ent-        tung eines gerichtlichen Mahnverfahrens sowie die
     schieden werden, ist eine Nichtigkeitsklage grund-      Inanspruchnahme privater Rechtsdienstleister bei
     sätzlich vor dem Bundespatentgericht zu erheben.        Flugverspätungen oder Mietmängeln gibt es für die
     Letztere Verfahren dauern oftmals deutlich länger       Bürger jedoch kaum Wege, ihre Ansprüche im
     als die Verletzungsverfahren. Beide Verfahren laufen    Streitfall schnell und einfach durchzusetzen. Um die
     oftmals parallel ab, da die im Verletzungsverfahren     Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen und den
     in Anspruch genommene Partei das Klagepatent            Zugang zur Justiz zu vereinfachen und zu verbes-
     häufig mit einer Nichtigkeitsklage angreift.            sern, startete das Bundesministerium der Justiz
                                                             und für Verbraucherschutz (BMJV) am 16.08.2021
     Dabei geschieht es oft, dass eine Partei vor Been-      ein Projekt zur digitalen Klageeinreichung. Damit
     digung des Nichtigkeitsverfahrens und sogar bevor       soll die Möglichkeit der Klageeinreichung im Wege
     das Bundespatentgericht seinen sogenannten qua-         eines Online-Verfahrens eingeführt werden!
     lifizierten Hinweis zur vorläufigen Auffassung gege-
     ben hat, wegen Patentverletzung verurteilt wird.        Schon seit 2018 ist es mit der Einführung des
     Das ist besonders misslich, wenn das Klagepatent        besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA)
     später im Nichtigkeitsverfahren für nichtig erklärt     Anwälten möglich, Schriftsätze digital bei Gericht
     wird und das Bundespatentgericht bereits im qua-        einzureichen. Die Praxis zeigt, dass ebenso die
     lifizierten Hinweis entsprechende Zweifel am            Gerichte von der Übermittlung per beA vermehrt
     Rechtsbestand des Patents geäußert hatte.               Gebrauch machen. Auch die Vorschrift des § 128a
                                                             Abs. 1 ZPO hat im Zuge der Corona-Pandemie ver-
     Der zeitliche Ablauf beider Verfahren soll nun bes-     stärkt an Bedeutung gewonnen, die es Gerichten
     ser abgestimmt werden. Dies geschieht u. a. durch       ermöglicht, mündliche Verhandlungen statt als Prä-
     eine Regelung, wonach das Bundespatentgericht           senztermine im Wege der digitalen Videoverhand-
     seinen qualifizierten Hinweis zur vorläufigen Auffas-   lung durchführen.
     sung innerhalb bestimmter zeitlicher Grenzen
     geben und unmittelbar an das Verletzungsgericht         Vor diesem Hintergrund würde auch das vom BMJV
     übermitteln soll, sodass dieser vom Verletzungsge-      beabsichtigte Online-Klagetool die Gerichtspraxis
     richt bei der Abwägung, ob das Verletzungsverfah-       zunehmend digitalisieren und weiter modernisie-
     ren bis zum Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens        ren, mit der Folge, dass nicht nur Anwälte, sondern
     ausgesetzt wird, berücksichtig werden kann. Diese       jeder einzelne Bürger (wo ohne Anwalt zulässig) in
     Regelungen treten allerdings erst neun Monate           digitaler Form eine Klage einreichen kann. Zur kon-
     nach der Verkündung des Gesetzes in Kraft.              kreten Ausgestaltung und Funktion des Online-­
07
BRP

Klagetools hat sich das BMJV noch nicht abschlie-      Papierverwertung umfasse. Folglich sei entgegen
ßend geäußert. Fest steht aber, dass das Projekt       der gemachten Vorgaben keine Betriebshaftpflicht-
des BMJV in Kooperation mit dem Fellowship-Pro-        versicherung zu etwaigen Ansprüchen aus dem
gramm „Tech4Germany‟ läuft und spätestens              Vertrag nachgewiesen. Dieser Auffassung hat das
Anfang November 2021 ein Prototyp für ein Online-      Oberlandesgericht München eine Absage erteilt, da
Klagetool entwickelt werden soll.                      der zu schließende Vertrag nur die Übernahme und
                                                       Vermarktung des Altpapiers vorsehe und nicht des-
Vor dem Hintergrund, dass viele Bürgerinnen und        sen Verwertung. Dementsprechend müsse die
Bürger insbesondere bei einer geringeren Forde-        Haftpflichtversicherung keine Ansprüche sichern,
rungshöhe häufig aus Gründen des dafür nötigen         die aus einer nicht ordnungsgemäßen Verwertung
Aufwands sowie des Prozessrisikos von einer Klage­     entstehen können. Der von der Beigeladenen vor-
einreichung absehen, kann die Einführung eines         gelegte Nachweis über die Haftpflichtversicherung
Online-Klagetools durch Verfahrensvereinfachun-        deckte also alle Ansprüche aus dem zu schließen-
gen die Hemmschwelle für den Zugang zu den             den Vertrag ab, sodass weder ein Grund für eine
Gerichten senken. Auch den Gerichten kann das          weitere Aufklärung oder Nachforderung der vorge-
Online-Klagetool entgegenkommen, da sie damit          legten Unterlagen bestand noch für einen Aus-
viele strukturell gleichgelagerte Fälle einfacher,     schluss des Angebots der Beigeladenen.
schneller und ressourcenschonender bearbeiten
können. Allerdings ist zu beachten, dass ein Online-   Die Entscheidung macht deutlich, welche enorme
Klagetool nichts an dem Unterliegens- und Kosten-      Bedeutung eindeutige Formulierungen haben. Dies
risiko ändert, das Kläger bei jedem Gerichtsprozess    gilt nicht nur für die eigentliche Leistungsbeschrei-
zu tragen haben. Dementsprechend steht nicht zu        bung, sondern auch für die von der Vergabestelle
erwarten, dass künftig Forderungen mit niedrigen       geforderten Unterlagen. Die Vergabestelle sollte
Streitwerten allein aufgrund der Einführung einer      dabei nicht nur klarstellen, welche konkreten Nach-
Online-Klagemöglichkeit in wesentlich größerem         weise sie verlangt, um z.B. die Eignung eines
Umfang als bisher geltend gemacht werden.              Bewerbers oder Bieters prüfen zu können. Auch
                                                       den Zeitpunkt der Vorlage hat die Vergabestelle
                                                       eindeutig festzulegen: Einige Unterlagen werden
                                                       schon mit dem Angebot angefordert, andere erst
 Vergaberecht                                          auf gesondertes Verlangen. Bei der Festlegung der
                                                       vorzulegenden Unterlagen, die durch den Gegen-
1. Eignungsnachweise müssen eindeutig gefordert        stand des Vertrags gerechtfertigt sein müssen,
werden!                                                sollte die Vergabestelle darauf achten, Bewerber
                                                       und Bieter nicht zu überfordern. Denn anderenfalls
Immer wieder entsteht Streit zwischen öffentlichen     kann die Vergabestelle gezwungen sein, Bewerber
Auftraggebern und Bietern darüber, welche Unter-       und Bieter wegen nicht vorgelegter Unterlagen aus-
lagen zum Nachweis der Eignung vorzulegen sind.        zuschließen, die die Vergabestelle im Nachhinein als
Fehlen z. B. im Angebot vom Auftraggeber gefor-        nicht zwingend identifiziert.
derte Unterlagen, sind diese nachzufordern oder
das Angebot ist wegen Unvollständigkeit auszu-         2. Zur Rahmenvereinbarung gehören Schätz- und
schließen. Das Oberlandesgericht München hat in        Höchstmenge
einem Beschluss vom 30.11.2020 klargestellt, dass
ein Ausschluss von Angeboten wegen Unvollstän-         Der EuGH hat mit Urteil vom 17.06.2021 klarge-
digkeit aber nur dann zulässig sein kann, wenn die     stellt, dass in einer Ausschreibung zu Rahmenver-
vorzulegenden Eignungsnachweise nach Art, Inhalt       trägen eine Schätzmenge sowie eine Höchstmenge
und Zeitpunkt der Vorlage eindeutig gefordert sind.    der zu erbringenden Leistungen oder ein Höchst-
                                                       wert anzugeben seien. Dies folge aus dem Grund-
In dem vom Oberlandesgericht München entschie-         satz der Transparenz. Richtig ist, dass die Bieter
denen Fall hatte die Vergabestelle die Übernahme       ohne Kenntnis der voraussichtlich zu liefernden
und Vermarktung von Altpapier ausgeschrieben.          Mengen (Schätzmenge) kaum ein Angebot kalkulie-
Mit dem Angebot sollten die Bieter Nachweise zu        ren können. Naheliegend ist aus Sicht der Bieter
einer Betriebshaftpflichtversicherung zur Deckung      auch die Angabe einer Höchstmenge oder eines
etwaiger Ansprüche aus dem zu schließenden Ver-        Höchstwerts.
trag vorlegen. Im Nachprüfungsverfahren meinte
die – aus anderen Gründen angerufene – Vergabe-        Problematisch ist aber die weitere Vorgabe des
kammer (!), das Angebot der Beigeladenen sei           EuGH, dass die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung
wegen fehlender Nachweise auszuschließen, da die       verliere, wenn die in der Ausschreibung angegebe-
vorgelegte Versicherungsbestätigung nicht die          ne Höchstmenge oder der angegebene Höchstwert
Ne w sle t te r I I I . Q u a r t a l 2021

erreicht werde. Zum einen fordert die Vergabericht-              cken können. Für flächendeckende Betriebsschlie-
linie für Rahmenverträge lediglich die Festlegung                ßungen aufgrund einer Pandemie seien die Versi-
von Bedingungen für die Aufträge insbesondere in                 cherungen weder vorgesehen noch kalkuliert. Wei-
Bezug auf den Preis und „gegebenenfalls die in Aus-              ter wird eingewandt, der Versicherungsschutz
sicht genommene Menge‟. Der Wortlaut der Verga-                  umfasse nur die bei Abschluss der Versicherung im
berichtlinie verlangt also keine Angabe einer                    Infektionsschutzgesetz genannten Erreger und
Höchstmenge oder eines Höchstwerts. Zum ande-                    nicht die neuartigen Corona-Viren. Häufig werden
ren widerspricht es allgemeinen zivilrechtlichen                 Leistungsablehnungen auch damit begründet, es
Grundsätzen, wenn ein Rahmenvertrag – der auf                    liege keine vollständige Betriebsschließung vor, weil
Zeit geschlossen wird – durch das Erreichen einer                der Betrieb trotz des „Lockdowns‟ in geringem
Höchstmenge oder eines Höchstwerts seine „Wir-                   Umfang weiterlaufen konnte, z B. in Form des
kung verliert‟. Trotzdem sind die Vorgaben des                   Außer-Haus-Verkaufs.
EuGH selbstverständlich zu beachten: Dies gilt
nicht nur für die bei der Ausschreibung von Rah-                 Es liegen bereits zahlreiche Entscheidungen der
menverträgen zu machenden Angaben, sondern                       Landgerichte und inzwischen auch erste Urteile von
auch für die Beendigung von Rahmenverträgen.                     Oberlandesgerichten vor. Die Tendenz der bisher
Denn die Beendigung tritt unter Umständen nicht                  veröffentlichten Entscheidungen der Oberlandesge-
erst mit Ablauf der Vertragslaufzeit ein, sondern                richte geht dahin, dass überwiegend ein Versiche-
bereits früher durch das Erreichen der in der Aus-               rungsschutz für Betriebsschließungen aufgrund der
schreibung angegebenen Höchstmenge bzw. des                      Corona-Pandemie verneint wird. So hat u. a. das
Höchstwerts.                                                     Oberlandesgericht Stuttgart entschieden, dass die
                                                                 Aufzählungen der Krankheitserreger in den übli-
                                                                 chen Versicherungsbedingungen, in denen SARS-
                                                                 CoV-2 nicht erwähnt wird, als abschließend anzuse-
  Versicherungsrecht                                             hen seien. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat
                                                                 hingegen mit Urteil vom 30.06.2021 die Bedingun-
Betriebsschließungsversicherung: Ansprüche auf-                  gen eines Versicherers als intransparent angesehen
grund der Corona-Pandemie                                        und dem Versicherungsnehmer Leistungen zuge-
                                                                 sprochen.
Die Gerichte müssen sich derzeit in einer Vielzahl
von Rechtsstreiten mit der Frage befassen, ob                    In zahlreichen Fällen haben die Oberlandesgerichte
Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversiche-                 die Revision zum Bundesgerichthof zugelassen. Es
rung bestehen, wenn der Betrieb aufgrund eines                   ist daher relativ kurzfristig mit einer höchstrichter-
allgemeinen „Lockdowns‟ infolge der Corona-Pan-                  lichen Klärung der streitigen Rechtsfragen zu rech-
demie geschlossen wurde. Die Versicherer lehnen                  nen. Dabei ist allerdings auch zu berücksichtigen,
ganz überwiegend eine Deckung ab oder bieten nur                 dass die Versicherungsbedingungen sehr unter-
sehr geringe „Kulanzleistungen‟ an, so dass sich                 schiedlich formuliert und nicht selten zusätzlich
viele Unternehmen gezwungen sehen, den Rechts-                   Leistungsverbesserungen oder spezielle „Makler­
weg zu beschreiten.                                              bedingungen‟ vereinbart sein können. Selbst wenn
                                                                 der Bundesgerichtshof der bisherigen Linie der
Die Versicherer argumentieren, dass Betriebs-                    Oberlandesgerichte folgen und einen Versiche-
schließungsversicherungen, die Schließungen auf-                 rungsschutz aufgrund der „gängigen‟ Bedingungs-
grund von Krankheitserregern umfassen, von vorn-                 werke ablehnen sollte, können daher im Einzelfall
herein nur betriebsinterne Ursachen, wie z. B. das               dennoch Leistungsansprüche bestehen.
Auftreten eines Salmonellen-Falls im Betrieb, abde-

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