Impact Free Impact Free 38 - August 2021 - Journal für freie Bildungswissenschaftler - Gabi Reinmann

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   Impact Free
   Journal für freie Bildungswissenschaftler

   Impact Free 38 – August 2021
   HAMBURG

IMPACT FREE 38 (August 2021)                   Gumm & Hobuß
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Impact Free
Was ist das?
Impact Free ist eine Publikationsmöglichkeit für hochschuldidaktische Texte,
-   die als Vorversionen von Zeitschriften- oder Buch-Beiträgen online ge-
    hen, oder
-   die aus thematischen Gründen oder infolge noch nicht abgeschlossener
    Forschung keinen rechten Ort in Zeitschriften oder Büchern finden, oder
-   die einfach hier und jetzt online publiziert werden sollen.

Wer steckt dahinter?
Impact Free ist kein Publikationsorgan der Universität Hamburg. Es handelt
sich um eine Initiative, die allein ich, Gabi Reinmann, verantworte. Es handelt
sich um eine Publikationsmöglichkeit für freie Wissenschaftler, veröffentlicht
auf meinem Blog (http://gabi-reinmann.de/).
Herzlich willkommen sind Gastautoren, die zum Thema Hochschuldidaktik
schreiben wollen. Texte von Gastautoren können dann natürlich auch in deren
Blogs eingebunden werden.

Und was soll das?
Impact Free ist ein persönliches Experiment. Es kann sein, dass ich hier nur
wenige Texte veröffentliche, es kann sein, dass es mehr werden; und vielleicht
mag sich auch jemand mit dem einen oder anderen Text anschließen. Es
würde mich freuen.
Ich möchte hier Gedanken, die mir wichtig erscheinen, in Textform öffentlich
machen: Gedanken, bei denen ich so weit bin, dass sie sich für mehr als für
Blog-Posts eignen, Gedanken, die ich nicht anpassen möchte an Anforderun-
gen von Gutachtern und Herausgebern – in einer Textform, bei der ich kein
Corporate Design und keine sonstigen Formal-Vorgaben (Genderschreib-
weise, Textlänge) beachten muss. Einfach frei schreiben – und das auch noch,
ohne an irgendeinen Impact zu denken!

Kontaktdaten an der Universität Hamburg:
Prof. Dr. Gabi Reinmann
Universität Hamburg
Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen (HUL)
Leitung | Professur für Lehren und Lernen an der Hochschule

Schlüterstraße 51 | 20146 Hamburg

reinmann.gabi@googlemail.com
gabi.reinmann@uni-hamburg.de
https://www.hul.uni-hamburg.de/
http://gabi-reinmann.de/

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HYBRIDE LEHRE – EINE                                       hybrider Lehre (2.2.). Die Ausführungen wer-
                                                           den ergänzt durch einen Vorschlag zur Deutung
TAXONOMIE ZUR                                              des Präsenzbegriffs (2.3.) sowie durch Hin-
VERSTÄNDIGUNG                                              weise zur praktischen Anwendung der Taxono-
                                                           mie (2.4.).
DORINA GUMM & STEFFI                                       1. Die Vielfalt hybrider Lehre
HOBUß
                                                           1.1 Potentiale hybrider Lehre
                                                           Hybride Lehre wird – unter verschiedenen Be-
                                                           griffen – zwar schon lange diskutiert, ist aber
Einleitung                                                 durch die Umstellung auf digitale Lehrformate
                                                           im Zuge der Corona-Pandemie an vielen Hoch-
Dieser Aufsatz stellt eine systematische Taxo-
                                                           schulen stärker in den Fokus gerückt. In diesem
nomie für den Phänomenbereich Hybride Lehre
                                                           Pandemie-Kontext besteht das Ziel hybrider
vor, die als Grundlage zur Verständigung über
                                                           Lehre meist darin, kleinere Gruppen vor Ort zu
konkrete Lehrgestaltung dienen kann.
                                                           betreuen, oder mehr örtliche und zeitliche Fle-
Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich                   xibilität in der Lehre zu ermöglichen. Hybride
„Hybride Lehre“ als ein Allround-Begriff etab-             Lehre birgt aber auch darüber hinaus eine ganze
liert, um sehr unterschiedliche Konzepte vorzu-            Reihe von Vorteilen und Potentialen, wovon die
stellen, wie Lehrveranstaltungen digital unter-            Ermöglichung der Lehre in Pandemiezeiten nur
stützt und Lernende vor Ort und online betreut             einer ist. Einige dieser Potentiale sollen hier ein-
werden können. Der Begriff hybrid erhält im                leitend vorgestellt werden und zeigen, dass es
Kontext von Lehrgestaltung damit ganz unter-               sich lohnt, hybride Lehre über die Pandemie
schiedliche Bedeutungen, was eine Verständi-               hinaus zu betrachten und einen Rahmen für die
gung über konkrete Ausprägungen hybrider                   gute Gestaltung zu finden.
Lehre erschwert.
                                                           Flexibilisierung für Studierende: Die Erpro-
Die hier vorgestellte Taxonomie systematisiert             bung hybrider Formate insbesondere während
diese verschiedenen Perspektiven auf hybride               der Pandemie zeigt, dass sie von Studierenden
Lehre und stellt anhand der Kategorien Hybride             dankbar angenommen werden, da sie nun ent-
Session - Hybride Lehrveranstaltung - Hybrider             scheiden können, ob sie bestimmte Angebote
Studiengang bzw. hybrides Semester ihre je-                lieber live oder asynchron wahrnehmen, lieber
weils unterschiedlichen Ausprägungen und Fra-              in Gemeinschaft vor Ort oder in Ruhe von Ferne
gestellungen dar. Damit blickt der Beitrag über            lernen. Dieser Bedarf seitens der Studierenden
die gegenwärtige Pandemie-Situation und die                – insbesondere bei jenen in heterogenen Le-
damit einhergehenden gesundheitspolitischen                benslagen (Breitenbach, 2021) – zeigt den
Rahmenbedingungen hinaus. Hybride Lehre                    Wunsch nach Flexibilisierung. Hybride Lehre
wurde bereits vor der Pandemie erprobt und ist             kann hier die Studierbarkeit erhöhen und bes-
auch in Zukunft ein wertvolles Konzept. Inso-              sere Rahmenbedingungen für Personen mit ih-
fern zielt die Taxonomie darauf, diese zukünfti-           ren unterschiedlichen Stärken, Lebens- und
gen Entwicklungen und die Verständigung dar-               Rahmenbedingungen liefern.
über zu unterstützen und zu fokussieren.
                                                           Verzahnung von Studienangeboten: Die Online-
Nach einem Überblick über die unterschiedli-               Studiengänge und -Weiterbildungsangebote an
chen Potentiale hybrider Lehre (1.1.), die durch           der TH Lübeck1 und der Leuphana Universität
unterschiedliche Begriffsverwendungen gege-                Lüneburg2 beinhalten ca. 20% Veranstaltungen
bene Problemstellung (1.2.) und bereits vorlie-            vor Ort, um die Interaktion zu fördern, Grup-
gende Ansätze zur Systematisierung (1.3.) wird             penarbeit zu stärken, Laborgeräte nutzen zu
im zweiten Teil die Taxonomie entfaltet, und               können bzw. im direkten Austausch und mit di-
zwar in Abhängigkeit zur jeweilig betrachteten             rektem Feedback lernen zu können. Studie-
Lehr-Einheit (2.1.) und hinsichtlich unter-                rende, die in der Nähe der jeweiligen Hoch-
schiedlicher Gestaltungsdimensionen im Feld                schule wohnen, würden gern weitere Angebote

1                                                          2
 Online-Studiengänge im Rahmen der VHF                       Leuphana Professional School (www.leuphana.de/pro-
(www.vhf.de) sowie Weiterbildungsangebote über On-         fessional-school.html)
campus GmbH (www.oncampus.de)

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vor Ort, z.B. aus anderen Studiengängen, ergän-                 Lehrveranstaltungen am besten funktioniert o-
zend nutzen wollen. Zusätzlich würden die Stu-                  der welche sozialen und didaktischen Probleme
dierenden klassischer Studiengänge gern On-                     mit der medialen Kommunikation in der Lehre
line-Angebote zusätzlich nutzen können. Hyb-                    verbunden sind (vgl. Riplinger & Schiefner-
ride Lehre kann hier ansetzen, indem zum Bei-                   Rohs, 2017). Die Diskussionen über Hybride
spiel inhaltlich gleiche Module aus Online- und                 Lehre umfassen also alles, was irgendwie mit
klassischen Studiengängen verzahnt und hybrid                   „online“ zu tun hat. Herausforderungen und Lö-
angeboten werden3.                                              sungen hinsichtlich der Didaktik, der techni-
                                                                schen Ausstattung oder der organisatorischen
Erhöhter didaktischer Gestaltungsspielraum:
                                                                Rahmenbedingungen bedingen sich zwar ge-
Um den Studierenden Flexibilität zu ermögli-
                                                                genseitig, die wenig trennscharfen Auseinan-
chen, sind nicht alle Veranstaltungen vor Ort
                                                                dersetzungen damit bleiben aber oft diffus.
immer für alle gemeinsam verpflichtend. Wenn
aber nicht alle Teilnehmer:innen anwesend                       Mit dieser Mischung aus didaktischen, organi-
sind, schränkt das insbesondere die Möglichkei-                 satorischen oder technischen Lösungen für
ten der Lehrenden ein, Gruppenprojekte in die-                  Hybride Lehre stehen jedoch unterschiedliche
sen Veranstaltungen zu fördern. Originär hybrid                 Begriffe Hybrider Lehre nebeneinander. So ver-
geplante Veranstaltungen könnten also auch die                  schwimmt häufig die Grenze zwischen hybrider
Gruppenarbeit stärken, wenn dadurch eine hö-                    Lehre, Online-Lehre oder auch Blended Learn-
here Teilnahmequote erreicht wird.                              ing, was die Fokussierung auf Spezifika des
                                                                Hybriden, den Austausch und die Weiterent-
Berufliche Praxis: Hybride Lehre birgt auch das
                                                                wicklung erschwert (vgl. Reinmann, 2021).
Potential, auf das Berufsleben vorzubereiten.
                                                                Auch der Begriff der Präsenz wird in diesem
Hybride Formate für Teamsitzungen, Work-
                                                                Zusammenhang unterschiedlich genutzt und
shops und Projektarbeit werden zunehmen,
                                                                hinterfragt. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn
denn spätestens die Pandemiezeit hat sowohl
                                                                Universitäten wie die Leuphana, die sich dedi-
die Vorteile der Online-Arbeit als auch die Vor-
                                                                ziert als „Präsenzuniversität“ versteht, begin-
teile der direkten, nicht-medialen Kommunika-
                                                                nen, den Präsenzbegriff neu zu verhandeln. Das
tion sehr deutlich gemacht. Mit hybrider Lehre
                                                                führt dazu, dass in Debatten und Austausch zu
können daher die damit verbundenen Kommu-
                                                                hybrider Lehre immer wieder Themen disku-
nikationsmuster, technischen Möglichkeiten
                                                                tiert werden, die gar nicht das Hybride selbst im
und Grenzen im geschützten Raum des Studi-
                                                                Fokus haben. Eine klare Taxonomie ist bisher
ums erprobt werden.
                                                                noch Desiderat geblieben. Daher stellen wir in
                                                                diesem Text eine Taxonomie vor, die als Grund-
1.2 Problemstellung
                                                                lage zur Verständigung über Hybride Lehre die-
„Hybride Lehre“ hat sich (noch verstärkt seit                   nen und damit für die Gestaltung jeweils kon-
Beginn der Pandemie) als ein Allround-Begriff                   kreter hybrider Lehre hilfreich sein kann.
etabliert, um über ganz unterschiedliche Dinge
zu sprechen, die früher vorwiegend unter den                    1.3 Aktuelle Ansätze zur Systemati-
Stichworten Online-Lehre oder digitale Lehre                        sierung
diskutiert wurden. Unter anderem geht es um
die Frage, welche digitalen Kollaborations-                     Im Folgenden diskutieren wir einige Ansätze
Tools sich für welche Aufgaben am besten eig-                   aus dem vornehmlich deutschsprachigen Raum,
nen (vgl. Hochschulforum Digitalisierung                        die die Vielgestaltigkeit Hybrider Lehre thema-
(2020)); um die Umsetzung didaktischer Kon-                     tisieren und das Gebiet auf verschiedene Wei-
zepte unter Zuhilfenahme digitaler Medien wie                   sen strukturieren.
Flipped Classroom und Blended Learning (vgl.                    Das „Zentrum für multimediales Lehren und
Gerner et al., 2019); um organisatorische Fra-                  Lernen” (LLZ) der Martin-Luther Universität
gen, wie Gruppen teils online, teils vor Ort be-                Halle-Wittenberg (LLZ, 2020) zum Beispiel
treut werden können, insbesondere vor dem                       identifiziert fünf Lehrszenarien „im hybriden
Hintergrund aktueller Abstandsregeln (vgl.                      Semester”, wobei sich zwei Szenarien auf die
Winzker, 2021); die Frage, welche technische                    Aufteilung der Gruppen beziehen („abwech-
Ausstattung von Räumen zum Streamen von

3An der TH Lübeck gibt es dazu seit 2019 Pilotmodule
am FB Informatik und Elektrotechnik, die dies erproben.

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selnde Präsenztermine in verschiedenen Grup-              bedeutet, dass Lerngruppen jeweils abwech-
pen” und „Blockweise Präsenztermine in meh-               selnd     zwischen     vor-Ort-Veranstaltungen
reren Gruppen”) und drei Szenarien auf die                und Selbstlernphasen mit digitalen Materialien
technischen Angebote („Aufzeichnung der                   alternieren (vgl. CTL, o.J.). In einem ins Detail
Lehrveranstaltung”, „Streaming der Lehrveran-             gehenden Foliensatz wird allerdings Blended
staltung” und „Webkonferenz während der Ver-              Learning von hybrid insofern abgegrenzt, dass
anstaltung”). Hier liegt der Fokus also auf der           hybride Settings bedeute, dass 50% der Teilneh-
Hybridität eines Semesters. Die identifizierten           mer vor Ort und 50% „live digital“ dabei sind,
Szenarien beziehen sich allerdings auf zwei ver-          und Blended Learning, dass 50% vor Ort teil-
schiedene Dimensionen (Gruppenkonstellation               nehmen und 50% asynchron arbeiten (vgl. Uni-
und technische Umsetzung), die kombiniert                 versität Wien, 2020). Hybride Lehre wird wei-
werden können, um eine bestimmte Lehrveran-               terhin eingeteilt nach der Größe der Teilneh-
staltung oder auch einen einzelnen Termin zu              meranzahl (bis 100, bis 500, mehr als 500) und
gestalten.                                                dafür technische Umsetzungen empfohlen.
                                                          Ausgehend von der verwendeten Technik wer-
Das „Zentrum für Multimedia in der Lehre”
                                                          den Vorgehensmodelle vorgestellt, wie asyn-
(ZMML) der Universität Bremen beschreibt
                                                          chrone Arbeitsphasen und Kontaktstunden über
„hybride Lehrformate” vor dem Hintergrund,
                                                          ein Semester organisiert werden können. Solche
pandemiebedingte Hygieneregeln einhalten zu
                                                          Modelle werden auch für konkrete Lehrveran-
können (ZMML, o.J.). Dabei bezieht es sich auf
                                                          staltungsformen vorgestellt (z.B. Lektürekurs,
eine Systematisierung der Universität Mainz
                                                          Seminar etc.).
(JGU, 2021), mit der hybride Lehrformate in ei-
nem Koordinatensystem nach dem Maß der                    In ihrem Konzept „Hybride Lehre“ definiert die
Synchronität und dem Maß der Teilnahme (di-               Georg August-Universität Göttingen hybride
gital vs. in Präsenz) eingeteilt werden. Vom              Lehre als all jene Lehrformate, die dafür sorgen,
ZMML werden vier Szenarien vorgestellt, die               dass jenen Teilgruppen von Studierenden, die
sich jeweils in den Außengebieten der Quadran-            nicht vor Ort an der Lehre teilnehmen können,
ten bewegen mit dem Hinweis, dass es beliebige            kein Nachteil entsteht (vgl. Georg August Uni-
Mischformen geben kann. Diese Systematik er-              versität Göttingen, o.J.). Es wird verwiesen auf
scheint vielversprechend, da in ihr zwei für              den aus dem amerikanischen Raum stammen-
Hybridität relevante Dimensionen abgebildet               den Begriff „HyFlex Course Model“, um Lern-
und Szenarien verortet werden. Im Detail der              szenarien zu beschreiben, die Lernaktivitäten
Szenarien wird deutlich, dass jeweils unter-              „vor Ort, synchron und asynchron online“ an-
schiedliche Vorstellungen von „hybrid” mit den            bieten (Beatty, 2019).
Szenarien verbunden sind. So bedeutet z.B.
                                                          In Ihrem Überblicksartikel zu hybrider Lehre
hybrid im Szenario „maximal Präsenz, maxi-
                                                          unterscheidet Reinmann (2021) insbesondere
male Synchronität”, dass Teilnehmende vor Ort
                                                          zwischen zwei Typen von Hybrid-Lehre, die
mit denen online (davon möglichst wenige)
                                                          sich auf „einzelne Lehrhandlungen“ beziehen:
synchron interagieren, und bei großen Teilneh-
                                                          Typ 1 ist die „Kombination von physischer und
merzahlen bedeutet hybrid in diesem Szenario
                                                          digitaler Präsenz“, Typ 2 bezieht sich auf Set-
Streaming, also eine technische Ausdehnung.
                                                          tings mit asynchronem Anteil („ohne doppelte
Im Szenario „Maximale Präsenz, maximale
                                                          Synchronizität“); beide schließen sich nicht aus,
Asynchronität” geht es um die Herausforde-
                                                          sondern können „im Verlauf einer Veranstal-
rung, Lerngruppen einzuteilen und digitale Ar-
                                                          tung“ kombiniert werden. Daraus ergibt sich die
tefakte, z.B. Videos von Instruktionsphasen) zur
                                                          Unterscheidung in synchrones Hybrid-Lehren
Verfügung zu stellen. Im Szenario „Minimale
                                                          und asynchrones Hybrid-Lehren, wobei explizit
Präsenz, maximale Asynchronität” bedeutet
                                                          darauf hingewiesen wird, den Begriff der (A-
hybrid letztendlich die vollständige Verlage-
                                                          )Synchronität ausschließlich zeitlich zu verste-
rung der Lehre in den digitalen Raum (digitale
                                                          hen und nicht automatisch mit der „Online-
Lehre).
                                                          Lehre“ im allgemeinen zu verknüpfen. Als Ge-
Das „Centre for Teaching and Learning“ (CTL)              staltungsdimensionen werden hier – insbeson-
der Universität Wien gliedert hybride Lehre in            dere vor dem Hintergrund der Auflagen durch
zwei Ausprägungen: erstens synchrone Set-                 die Pandemie - die Gruppenaufteilung, der
tings, in denen ein Teil der Studierenden live im         Rhythmus synchroner Settings (Präsenzen) und
Hörsaal und der andere digital zugeschaltet ist;          die Einbindung von digitalem Lehr-Lernmate-
zweitens Blended Learning, was in diesem Fall             rial vorgeschlagen.

IMPACT FREE 38 (August 2021)                                                               Gumm & Hobuß
[4]

Diese Auswahl von Beispielen, hybride Lehre              Eine hybride Session kann z.B. eine gestreamte
zu beschreiben, zeigt die Vielfalt der Schwer-           Vorlesung sein, in der online Teilnehmende le-
punkte als auch der Gestaltungsdimensionen               diglich zuhörend partizipieren (A). Es kann
hybrider Lehre – die übrigens nach Reinmann              auch eine Vorlesung sein, in der online per Chat
(2021) auch im englischsprachigen Diskurs zu             oder per Audio Fragen gestellt werden können
beobachten ist. Dabei fallen vor allem zwei              (B). Eine hybride Session kann aber auch ein
Dinge auf: a) „Hybride Termine“, in denen Stu-           Seminar oder ein Praktikum sein, in dem Teil-
dierende vor Ort und online gleichzeitig betreut         nehmende vor Ort und online intensiv miteinan-
und begleitet werden (ihnen also mehr als ein            der agieren (C). Hybride Sessions unterschei-
Streaming-Angebot gemacht wird), stehen nur              den sich demnach im Grad der Interaktions-
selten im Vordergrund und praktische Beispiele           möglichkeiten und damit im Grad der Teilhabe
zur Umsetzung sind rar. b) Die Vorgehenswei-             (insbesondere der online Teilnehmenden).
sen, Herausforderungen und Gestaltungsdimen-
                                                         Hybride Lehrveranstaltungen unterscheiden
sionen sind deshalb so schwierig zu systemati-
                                                         sich darin, wie Session-Formate (vor Ort, hyb-
sieren, weil sie davon abhängen, ob ein Termin
                                                         rid, online) und asynchrone Betreuung mitei-
hybrid gestaltet werden soll oder sich die Hyb-
                                                         nander während ihrer Laufzeit (meist ein Se-
ridität auf die Laufzeit einer Lehrveranstaltung
                                                         mester) kombiniert werden. Wie in der Abbil-
über das ganze Semester bezieht, in der sich on-
                                                         dung 1 zu sehen ist, können hybride Lehrveran-
line- oder Vor-Ort-Phasen bzw. synchrone und
                                                         staltungen auch hybride Sessions beinhalten (E
asynchrone Phasen abwechseln.
                                                         und F), müssen es aber nicht, wenn sie z.B.
                                                         reine vor-Ort- und reine online-Angebote kom-
2. Hybride Lehre: Eine Taxonomie                         binieren (D, F). Weiterhin ist ersichtlich, dass
2.1 Hybridität in Abhängigkeit zur                       hybride Lehrveranstaltungen synchrone und
    Lehr-Einheit                                         asynchrone Phasen beinhalten können (F), sie
                                                         können aber auch lediglich aus synchronen Ses-
An den bisherigen Ausführungen zeigt sich,               sions bestehen (D, E). Asynchrone Lehre (F)
dass sich unterschiedliche Vorstellungen der             beinhaltet hier z.B. Interaktionen über Foren o-
Hybridität ergeben, die jeweils davon abhängig           der andere Kommunikationsmittel und Arbeits-
sind, welche Lehr-Einheit im Fokus steht. Diese          tools, digitale Lehrmaterialien, Tests oder auch
Vorstellungen sind in Abbildung 1 systemati-             andere interaktive Aufgaben. Zu beachten ist,
siert dargestellt.                                       dass in allen hier beschriebenen Varianten hyb-
                                                         rider Lehrveranstaltungen ein vor-Ort- und ein
                                                         online-Anteil enthalten ist, die Kombination
                                                         reiner Online-Formate aber nicht.

                  Abb. 1: Bedeutung der Hybridität entsprechend der Lehr-Einheit

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[5]

Nach diesem Muster kann auch über hybride                gleichgesetzt (vgl. Reinmann, 2021). Folgen
Studiengänge (oder auch hybride Semester) ge-            wir der Definition von Sauter et al. (2004, S.
sprochen werden, indem sie als Reihung von               68), ist Blended Learning die Verbindung klas-
Modulen bzw. Lehrveranstaltungen betrachtet              sischer Lehre mit e-Learning. In der hier vorge-
werden. Ein hybrider Studiengang kann damit              stellten Systematik wäre eine hybride Lehrver-
aus einer Kombination von reinen Online- und             anstaltung nach dem Muster F in Abbildung 1,
vor-Ort-Modulen wie auch aus hybriden Modu-              in dem vor-Ort-Sessions mit digitaler Lehre
len bestehen. Das heißt, dass die Umsetzung ei-          kombiniert werden, ein klassisches Beispiel für
nes hybriden Studiengangs nicht gleichzeitig             Blended Learning.
bedeutet, dass nur vollständig hybride Lehrver-
anstaltungen angeboten werden müssten.                   2.2 Gestaltungsdimensionen hybrider
In der Abbildung 1 (s.o.) wird zusätzlich von                Lehre
der Lehrplanungsperspektive gesprochen (G).              Die aktuellen Arbeiten zu hybrider Lehre zei-
Aus dieser Perspektive werden die organisatori-          gen auch, dass die Umsetzung hybrider Lehre
schen Fragestellungen betrachtet, die zwar nicht         entlang unterschiedlicher Gestaltungsdimensio-
die Durchführung der Lehre im Einzelnen be-              nen erfolgt, deren Spielräume davon abhängen,
treffen, sich aber durch hybride Lehrformate             welche Lehr-Einheit jeweils im Fokus steht
erst ergeben und die Lehrorganisation vor grö-           (vgl. Abbildung 2).
ßere Herausforderungen stellen als bei reiner
Online- oder reiner vor-Ort-Lehre. Dies betrifft         Der für hybride Lehre naheliegendste – und
zum Beispiel die Raumplanung, die Stunden-               vielleicht meistdiskutierteste – Gestaltungsas-
planung, die Verteilung und Berechnung von               pekt ist der der zeitlichen Betreuung, unter-
Lehrdeputaten und vieles mehr.                           schieden nach der (A-)Synchronität der Lehre.
                                                         Der Gestaltungsspielraum stellt sich aber je

                                   Abb. 2: Gestaltungsdimensionen hybrider Lehre

Wir sprechen also von hybrider Lehre, wenn es            nach Lehr-Einheit sehr unterschiedlich dar: Ein-
in unterschiedlichen Kombinationsformen da-              zelne Sessions sind per se synchrone Settings,
rum geht, Studierende vor Ort und online zu be-          in dieser Dimension gibt es daher für Sessions
treuen. Entsprechend der oben ausgeführten               nicht viel Gestaltungsspielraum. Für eine ge-
Perspektiven kann sich die Hybridität auf ein-           samte Lehrveranstaltung oder einen Studien-
zelne Termine (Sessions) beziehen, auf ganze             gang bieten sich aber eine Reihe von Kombina-
Lehrveranstaltungen (LV) als Reihe solcher               tionsmöglichkeiten an, wie in Abschnitt 1.1.
Sessions oder auch auf Studiengänge. Wir ha-             ausgeführt.
ben also unterschiedliche Lehr-Einheiten, die
                                                         Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Teilhabe
bei der Gestaltung hybrider Lehre im Fokus ste-
                                                         und damit die Intensität der Interaktionen. Steht
hen.
                                                         eine konkrete Session im Fokus der Lehrgestal-
Hybride Lehre wird oft im Kontext von Blended            tung, so kann es hier um die Frage gehen, ob ein
Learning besprochen oder mit diesem gar                  Streaming ausreicht oder Teilnehmende (online

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[6]

und vor Ort) stärker interagieren können sollen.           Anwesenheit vs. Abwesenheit: Wird der Prä-
Steht aber die Lehrveranstaltung als Ganzes im             senzbegriff als Gegenbegriff zu „online“ ver-
Fokus, steht beispielsweise der Rhythmus oder              wendet, bedeutet dies, die Studierenden seien
die Häufigkeit von „Kontakt-Zeiten“ mit Leh-               „in Präsenz“ vor Ort anwesend. Im Umkehr-
renden oder die Teilhabe an Laborversuchen im              schluss würde das aber heißen, dass die wäh-
Vordergrund. Teilhabe kann sich aber auch z.B.             rend der Lernsituation online teilnehmenden
auf Materialien beziehen, seien es physische               Personen „abwesend“ sind. Allerdings sind die
Gerätschaften (z.B. Laborgeräte), digitale                 online-Teilnehmenden zwar nicht leibhaftig-
Werkzeuge (z.B. fachspezifische Software)                  physisch vor Ort, aber sie sind auch nicht abwe-
oder inhaltliche Lehrmaterialien (z.B. Skripte,            send, denn sie nehmen ja am Lerngeschehen
Aufgaben etc.). Steht ein Studiengang im Fokus             teil. Dieses Verständnis von Präsenz kritisiert
der Betrachtung, geht es möglicherweise um die             bereits Derrida, der in seiner Analyse der Prä-
gerechte Verteilung bestimmter Angebote über               senzmetaphysik (vgl. Derrida, 1974) darauf hin-
mehrere Module hinweg.                                     gewiesen hat, dass der Begriff der Präsenz im
                                                           Sinne von Anwesenheit immer auch auf sein
Da hybride Lehre ohne digitale Technologien
                                                           Gegenteil, die Abwesenheit verweist. Dass
undenkbar ist, stellen technische Lösungen
                                                           diese klassische Interpretation des Präsenz-Be-
ebenfalls eine zentrale Gestaltungsdimension
                                                           griffs schwierig ist, zeigt sich heute z.B. in Ar-
dar, und auch hier ist der Spielraum stark abhän-
                                                           beiten zu virtuellen Räumen, bei denen mit dem
gig vom Fokus der Lehreinheit wie auch von
                                                           Begriff der Präsenz nach der „Intensität des Er-
den anderen beiden Gestaltungsdimensionen.
                                                           lebnisses“ gefragt wird oder danach, wie „kon-
Hybride Sessions stellen andere Anforderungen
                                                           kret der Ort der Handlung empfunden“ wird
an die technische Lösung (z.B. mehr oder weni-
                                                           (Pasqualini, 2020). In einigen Beiträgen wird
ger aufwändige Audio- und Video-Anbindung)
                                                           die Problematik des Begriffs auch deutlich,
als hybride Lehrveranstaltungen, die z.B. einen
                                                           wenn von „reinen Präsenzveranstaltungen“
permanent zugänglichen Lernraum benötigen.
                                                           (Sänger, 2011; Börner et al., 2015) in Abgren-
Szenarien mit starker Interaktion brauchen
                                                           zung zu „Präsenzveranstaltungen mit Online-
möglicherweise zusätzliche interaktive Werk-
                                                           Anteilen“ gesprochen wird. Dabei ist die räum-
zeuge, während solche mit eher informativem
                                                           liche, physische Nähe gar nicht immer notwen-
Charakter ein verlässliches Streaming erfor-
                                                           dig, um soziale Interaktionseffekte zu erzeugen
dern. Bei synchronen Settings steht z.B. die Au-
                                                           (vgl. Houben, 2018, S. 14).
dio-Anbindung im Fokus, während es für ein
asynchrones Setting um die mediale Aufberei-               Wertung der vor-Ort-Teilhabe: Insbesondere
tung von Lehrinhalten geht. Die technischen                vor dem Hintergrund der Pandemie schwingt
Lösungen beziehen sich also auf die Bereitstel-            eine Bewertung dahingehend mit, dass die „Prä-
lung virtueller Begegnungsstätten/Räume (z.B.              senz“ im Sinne von „Anwesenheit vor Ort“
Lernraum wie Moodle vs. Videokonferenz), di-               wünschenswert und die Online-Angebote bzw.
gitaler Werkzeuge (z.B. Foren, Boards, Streams             Online-Teilhabe grundsätzlich ein notwendiges
etc.) als auch digitaler Lehrmaterialien (Skripte,         Übel und eine Übergangslösung sind (vgl. z.B.
Aufgaben, Videos, Tests etc.).                             Offener Brief „Zur Verteidigung der Präsenz-
                                                           lehre“, Juni 2020). Dieses Werturteil liegt nach
2.3 Zur Deutung des Präsenzbegriffs                        Derrida (1974) bereits in der angenommenen
                                                           Polarität des Präsenzbegriffs (Anwesenheit vs.
In der Hochschulpraxis und in der Literatur
                                                           Abwesenheit) begründet, so dass die Anwesen-
wird der Präsenzbegriff meist benutzt, um aus-
                                                           heit als gut oder wünschenswert erscheint, die
zudrücken, dass ein Angebot „vor Ort“ stattfin-
                                                           Abwesenheit als negativ oder bloßer Ersatz. Al-
det bzw. um Angebote vor Ort („in Präsenz“)
                                                           lerdings zeigt die Lehrpraxis (nicht nur, aber
von Online-Angeboten abzugrenzen. Danach
                                                           insbesondere während der Pandemie), dass es
sind Studierende vor Ort anwesend (präsent),
                                                           keine kontextunabhängige Priorisierung „besse-
Online-Teilnehmende „abwesend“ (vgl. z.B.
                                                           rer“ und „schlechterer“ Lehr-Lernarrangements
Reinmann, 2021; Handke, 2020 oder Darwish
                                                           gibt, sondern dass immer die jeweiligen Ziele
& Mahmoud, 2021; Breitenbach, 2021; Reimer,
                                                           und Bedürfnisse in Betracht gezogen werden
2020). Hier zeigen sich die Tücken des Präsenz-
                                                           müssen (vgl. Reinmann, 2021).
begriffs:
                                                           Wird der Präsenzbegriff so verstanden, dass er
                                                           vor allem auf die Gegenwärtigkeit, also das Jet-
                                                           zige, Gleichzeitige sowie die damit verbundene

IMPACT FREE 38 (August 2021)                                                                Gumm & Hobuß
[7]

Wirksamkeit verweist, könnten auch solche Ses-            Teilhabe und technischen Ausstattung sind je-
sions als „Präsenz“ bezeichnet werden, die hyb-           weils andere. Daher lohnt es sich, beispiels-
rid oder rein online gestaltetet sind und den             weise zunächst die gesamte Lehrveranstaltung
Teilnehmenden ermöglichen, jeweils für die an-            in den Blick zu nehmen und erst im zweiten eine
deren gegenwärtig zu erscheinen und so mitei-             Session/mehrere konkrete Sessions; oder auch
nander wirksam zu werden. (Houben (2018)                  umgekehrt.
spricht für diesen Fall von „Referenz“ in Ab-
                                                          Entscheidung über den spezifischen Szena-
grenzung zur „Präsenz“.) Voraussetzung dafür
                                                          rien-Typ: Mit dieser Entscheidung kann der
wäre, den Teilnehmenden zusätzlich zum phy-
                                                          Fokus erneut eingeschränkt werden. Es gilt
sischen den technischen Raum zur Mitarbeit zu
                                                          also, in diesem Schritt grob zu klären, welche
bieten, damit sie auch dort ihre Wirksamkeit
                                                          Form der Hybridität möglich bzw. für das (di-
entfalten können.
                                                          daktische) Ziel der Lehr-Einheit gewünscht, in-
Wir schlagen daher vor, in den Diskussionen               teressant, sinnvoll und attraktiv ist. Welche
um hybride Lehre den Begriff der Präsenz we-              Rahmenbedingungen sind zu beachten und was
niger exklusiv zu verwenden und mit ihm                   ist organisatorisch und technisch machbar? Mit
kenntlich zu machen, dass es sich um ein syn-             der expliziten Benennung können so auch Dis-
chrones Lernangebot handelt, an dem die Teil-             kurse beispielsweise im Kollegium geschärft
nehmenden – unabhängig davon, ob im physi-                werden.
schen oder virtuellen Raum – wirksam werden
                                                          Anwendung der Gestaltungsdimensionen auf
können. Dies ist möglich, wenn die Teilneh-
                                                          die spezifische Lehreinheit: Sind die Lehrein-
menden (Studierende, Lehrende) jeweils fürei-
                                                          heit und der Szenarientyp klar, so können nun
nander präsent sind. Die Präsenz wird damit als
                                                          konkret die Dimensionen der zeitlichen Gestal-
ein „relationaler“ Begriff verwendet, der auf die
                                                          tung, der Teilhabe und der technischen Unter-
Beziehung bzw. das Wechselverhältnis zwi-
                                                          stützung geplant bzw. als Szenario beschrieben
schen den Teilnehmenden verweist.
                                                          werden, ohne gleichzeitig diese Dimensionen
                                                          für andere Lehreinheiten mitdenken zu müssen.
2.4 Praktische Anwendung der
    Taxonomie                                             Die Abfolge dieser Schritte kann natürlich vari-
                                                          ieren: So können sich konkrete Szenarien erge-
Die analytische Differenzierung dieser Taxono-            ben aus einer bestimmten bereits gegebenen
mie kann sowohl bei der konkreten Lehrgestal-             technischen Ausstattung; die Entscheidung für
tung helfen als auch bei der Einordnung von               einen bestimmten Session-Typ kann sich auf
bzw. dem Diskurs über unterschiedliche Szena-             das Gesamt-Szenario einer Lehrveranstaltung
rien hybrider Lehre. Sie hilft, für spezifische           auswirken etc. Insofern ist das obige Vorgehen
Herausforderungen die geeigneten didakti-                 als Hilfe zur Differenzierung und weniger als
schen, organisatorischen und technischen Lö-              eine strikte Vorgabe an Schritten zu verstehen.
sungen zu finden und das „Hybride“ nicht als
„Knäuel miteinander zusammenhängender                     Außerdem ist es für die Anwendung wichtig,
Problemstellungen“ wahrzunehmen. Dem gro-                 dass die Taxonomie unabhängig davon genutzt
ßen Respekt vor „dem Hybriden“ (vgl. Lange,               werden kann, aus welchem Anlass die hybride
2020), der davon abhalten kann, hybride Lehre             Lehre gewählt wird: ob nun wegen der Pande-
umzusetzen, ist unserer Überzeugung nach am               mie, weil man von der eigenen Hochschule dazu
ehesten zu begegnen, indem die einzelnen Her-             verpflichtet wird, weil man als Lehrperson
ausforderungen gut differenziert werden, um sie           technikaffin ist und Lust am Ausprobieren
einzeln zu bearbeiten. Zur praktischen Anwen-             neuer Möglichkeiten hat oder mehr Flexibilisie-
dung der hier vorgestellten Taxonomie und der             rung ermöglichen will. Dennoch gehen wir da-
mit ihr verbundenen Überlegungen schlagen                 von aus, dass die Gestaltung hybrider Lehre in
wir daher folgendes Vorgehen vor:                         erster Linie vor dem Hintergrund didaktischer
                                                          Ziele erfolgen sollte und nicht vor dem Hinter-
Entscheidung darüber, welche Lehr-Einheit                 grund, welche technische Ausstattung vorhan-
bei der Lehr-Konzeption im Fokus steht: Auch              den ist oder welche Werkzeuge gerade en vogue
wenn hybride Sessions in der Regel im Kontext             sind (vgl. Reinmann, 2021).
hybrider Veranstaltungen angeboten werden
und hybride Veranstaltungen vielleicht auch
mal ihre Modi wechseln können: Die Antwor-
ten auf die Fragen der zeitlichen Gestaltung,

IMPACT FREE 38 (August 2021)                                                              Gumm & Hobuß
[8]

3. Zusammenfassung und Ausblick                               Literatur
Die hier vorgestellte Taxonomie strukturiert die              Beatty, B. J. (2019). Hybrid-Flexible Course
aktuellen Diskussionen und Vorstellungen zu                   Design: Implementing student-directed hybrid
hybrider Lehre dahingehend, dass sie Betrach-                 classes. EdTech Books. Verfügbar unter:
tungsebenen sichtbar macht: Die grundlegende                  https://edtechbooks.org/hyflex/Acknowledge
Differenzierung findet auf Ebene der Lehrein-                 https://open.umn.edu/opentextbooks/text-
heiten statt (hybride Sessions, hybride Lehrver-              books/864 (letzter Zugriff: 07.07.2021)
anstaltungen, hybride Studiengänge), durch die
                                                              Börner, C. et al. (2015). Heterogenität als
sich unterschiedliche Szenarientypen klar von-
                                                              Chance? Möglichkeiten der Binnendifferenzie-
einander abgrenzen lassen. Die Perspektive auf
                                                              rung in mediendidaktischen Qualifizierungsan-
die gesamtorganisationale Planung hybrider
                                                              geboten. In N. Nistor & S. Schirlitz (Hrsg.), Di-
Lehre steht dabei begleitend zu Seite. Weiterhin
                                                              gitale Medien und Interdisziplinarität. Heraus-
zeigt die Taxonomie Gestaltungsdimensionen
                                                              forderungen, Erfahrungen, Perspektiven (285-
im Hybriden auf, die je nach betrachteter
                                                              288). Münster: Waxmann.
Lehreinheit unterschiedliche Fragestellungen
bezüglich der Gestaltung hybrider Lehre auf-                  Breitenbach, A. (2021). Digitale Lehre in Zeiten
werfen. Vor diesem Hintergrund kann auch der                  von Covid-19: Risiken und Chancen. Marburg.
Präsenzbegriff für hybride Lehrszenarien in der               URN: urn:nbn:de:0111-pedocs-212740
Art nutzbar gemacht werden, als dass er nicht                 CTL (Centre for Teaching and Learning) der
zur Unterscheidung zwischen online- und Vor-                  Universität Wien (o.J.). LV-Modelle für hybride
Ort-Angeboten genutzt wird, sondern zur Be-                   Lehre. Verfügbar unter: https://ctl.uni-
schreibung von Sessions mit hohem Grad der                    vie.ac.at/lehre-im-wintersemester/lv-modelle/
Teilhabe.                                                     (letzter Zugriff: 07.07.2021)
Für die Betrachtung hybrider Lehrveranstaltun-                Darwish, R.M. & Mahmoud, S.S. (2021). Das
gen liegen bereits viele Modelle und Szenarien                fliegende Klassenzimmer in der Corona-Zeit:
vor, wobei in vielen Beiträgen der Fokus auf un-              Hybrides Lernen in Ägypten beim Deutschun-
terschiedlichen Wechselmodellen „Vor Ort vs.                  terricht. Research in Language Teaching, 14
Digital und asynchron“ liegt. Hier lässt sich eine            (2).
starke Überlappung zum Begriff des Blended
Learning feststellen. Vor allem für die Betrach-              Derrida, J. (1974 [1967]). Grammatologie.
tung hybrider Sessions lässt sich feststellen,                Frankfurt/Main: Suhrkamp.
dass derzeit nur vereinzelt Ansätze vorliegen.                Georg August Universität Göttingen (o.J.).
An diesem Desiderat arbeitet derzeit die Special              Konzept „Digitales Lernen und Lehren“. Ver-
Interest Group „Hybride Lehre“, die sich im                   fügbar      unter:   https://www.uni-goettin-
Dachprogramm Lehren 2020 gegründet hat4. Sie                  gen.de/de/hybride+lehre/632946.html (letzter
nutzt die hier vorgeschlagene Taxonomie, um                   Zugriff: 07.07.2021)
Szenarien als Leitplanke für die Gestaltung
hybrider Lehre zu entwickeln. Szenarien, die                  Gerner, V., Jahn, D. & Schmidt, C. (2019).
diese Taxonomie nutzen, sollen in einem                       Blended Learning: Die richtige Mischung
„Living Document“ der Öffentlichkeit der                      macht’s! Ein praktischer Ideengeber für digital
Hochschullehrenden5 zugänglich gemacht wer-                   unterstützte Lehr-/Lernkonzepte (Leitfaden der
den.                                                          FAU Erlangen-Nürnberg und der Hochschule
                                                              Ansbach).            Verfügbar           unter:
                                                              https://www.ili.fau.de/2020/01/28/blended-
                                                              learning-die-richtige-mischung-machts/ (letzter
                                                              Zugriff: 07.07.2021)
                                                              Handke, J. (2020). Der Weg in die digitale
                                                              Lehre. DUZ – Magazin für Wissenschaft und
                                                              Gesellschaft Ausgabe 9/2020.

4
  Dachprogramm Lehren: https://lehrehochn.de/pro-             https://hybridelehre.eduloop.de/loop/?auth=to-
gramme/#dachprogramm                                          ken&t=HyBL2021THL
5 Living Document „Hybride Lehre“ zur Begriffsbestim-

mung und Sammlung von Szenarien (work in progress):

IMPACT FREE 38 (August 2021)                                                                        Gumm & Hobuß
[9]

Hochschulforum       Digitalisierung    (2020).           Ergebnisse.      Hochschule         Offenburg.
Corona: Digitale Tools für Online-Veranstal-              urn:nbn:de:bsz:ofb1-opus-289
tungen - Eine Toolsammlung. Dossier Hoch-
                                                          Sauter, A.M., Sauter, W. & Bender, H. (2004).
schullehre in Krisenzeiten, 24.11.2020.
                                                          Blended Learning. Effiziente Integration von E-
Houben, D. (2018). Von Ko-Präsenz zu Ko-Re-               Learning und Präsenztraining. München:
ferenz – Das Erbe Erving Goffmans im Zeitalter            Luchterhand.
digitalisierter Interaktion. In M. Klemm & R.
                                                          Universität Wien (2020). LV-Modelle: Vor-
Staples (Hrsg.), Leib und Netz. Sozialität zwi-
                                                          schläge für WiSe2020/21. Verfügbar unter:
schen Verkörperung und Virtualisierung (S. 3-
                                                          https://ctl.univie.ac.at/fileadmin/user_up-
20). Wiesbaden: Springer VS.
                                                          load/p_ecdigitalisierung/Unterla-
JGU (Johannes Gutenberg Universität Mainz)                gen_C/LV_Modelle_WiSe20_21.pdf (letzter
(2021). Hybride Lehr- und Studienangebote.                Zugriff: 07.07.2021)
Verfügbar        unter:        https://lehre.uni-
                                                          Winzker, M. (2021). Hochschulen und Corona
mainz.de/hybrid/ (letzter Zugriff: 07.07.2021)
                                                          – „Wir müssen reden!“. Hochschulforum Digi-
Lange, B. (2020). Herausforderungen der hyb-              talisierung 3.6.2021.
riden Lehre. Taskforce Hybride Lehre der Uni-
                                                          ZMML (Zentrum für Multimedia in der Lehre)
versität     Luzern.       Verfügbar     unter:
                                                          der Universität Bremen (o.J.). Hybride Lehrfor-
https://docplayer.org/195081803-Herausforde-
                                                          mate. Verfügbar unter: https://www.uni-bre-
rungen-der-hybriden-lehre-taskforce-hybride-
                                                          men.de/zmml/lehre-digital/hybride-lehre/hyb-
lehre.html (letzter Zugriff: 07.07.2021)
                                                          ride-lehrformate (letzter Zugriff: 07.07.2021)
LLZ (Zentrum für multimediales Lehren und
Lernen) der Martin-Luther Universität Halle-
Wittenberg (2020). Lehrszenarien im Hybridse-             Angaben zu den Autorinnen
mester       umsetzen.       Verfügbar      unter
                                                          Prof. Dr. Dorina Gumm, Technische Hoch-
https://wiki.llz.uni-halle.de/Portal:Onlinebe-
                                                          schule Lübeck Fachbereich Elektrotechnik und
trieb/Hybride_Lehrveranstaltungen/Lehrszena-              Informatik, Beauftragte für Digitalisierung und
rien_im_Hybridsemester_umsetzen (letzter Zu-              Lehre https://www.th-luebeck.de/hoch-
griff: 07.07.2021)                                        schule/hochschulorganisation/personalver-
Offener Brief (2020). Zur Verteidigung der                zeichnis/person/dorina-gumm/
Präsenzlehre, 17.6.2020. Verfügbar unter:                 E-Mail: dorina.gumm@th-luebeck.de
https://mitdenken.ur.de/2020/06/17/offener-
verteidigung-praesenzlehre/ (letzter Zugriff:             Dr. Steffi Hobuß, Leuphana Universität Lüne-
07.07.2021)                                               burg Akademische Leiterin des College
                                                          https://www.leuphana.de/college/kon-
Pasqualini, I. (2020). Wenn Räume berühren.               takt/steffi-hobuss.html
Education Permanente 2.                                   E-Mail: hobuss@leuphana.de
Reimer, R. (2020). Hybrid Education is. Educa-
tion Permanente 2.
Reinmann, G. (2021). Hybride Lehre – ein Be-
griff und seine Zukunft für Forschung und Pra-
xis. Impact Free 35. Hamburg. Verfügbar unter:
https://gabi-reinmann.de/wp-content/uplo-
ads/2021/06/Impact_Free_37.pdf
Riplinger, T. & Schiefner-Rohs, M. (2017). Me-
dieneinsatz in der Hochschullehre. Akademi-
sche Lehr-Lernkonzepte zwischen Zumutung
und Zu-Mutung. Universität zu Köln, Human-
wissenschaftliche Fakultät, Department Erzie-
hungs- und Sozialwissenschaften: Köln.
Sänger, V. (2011). Hybride Lernarrangements
in der Informatiklehre – Konzeption und erste

IMPACT FREE 38 (August 2021)                                                              Gumm & Hobuß
[10]

Bisher erschienene Impact Free-Artikel                  Reinmann, G. (2020). Wissenschaftsdidaktik-
                                                        Spielend ins Gespräch kommen. Impact Free
Reinmann, G. (2021). Präsenz-, Online- oder
                                                        24. Hamburg.
Hybrid-Lehre? Auf dem Weg zum post-pande-
mischen Teaching as Design. Impact Free 37.             Reinmann, G. (2019). Forschungsnahe Curricu-
Hamburg.                                                lumentwicklung. Impact Free 23. Hamburg.
Reinmann, G. (2021). Prüfungstypen, -formate,           Reinmann, G. (2019). Lektüre zu Design-Based
-formen oder -szenarien? Impact Free 36. Ham-           Research – eine Textsammlung. Impact Free
burg.                                                   22. Hamburg.
Reinmann, G. (2021). Hybride Lehre – ein Be-            Reinmann, G., Schmidt, C. & Marquradt, V.
griff und seine Zukunft für Forschung und Pra-          (2019). Förderung des Übens als reflexive Pra-
xis. Impact Free 35. Hamburg.                           xis im Hochschulkontext – hochschuldidakti-
                                                        sche Überlegungen zur Bedeutung des Übens
Reinmann, G. & Vohle, F. (2021). Vom Reflex             für Brückenkurse in der Mathematik. Impact
zur Reflexivität: Chancen der Re-Konstituie-
                                                        Free 21. Hamburg.
rung forschenden Lernens unter digitalen Be-
dingungen. Impact Free 34. Hamburg.                     Langemeyer, I. & Reinmann, G. (2018). „Evi-
                                                        denzbasierte“ Hochschullehre? Kritik und Al-
Herzberg, D. & Joller-Graf, K. (2020). For-             ternativen für eine Hochschulbildungsfor-
schendes Lernen mit DBR: eine methodologi-              schung. Impact Free 20. Hamburg.
sche Annäherung. Impact Free 33. Hamburg.
                                                        Reinmann, G. (2018). Was wird da gestaltet?
Weißmüller, K.S. (2020). Lehren als zentrale            Design-Gegenstände in Design-Based Research
Aufgabe der Wissenschaft: Drei Thesen zu
                                                        Projekten. Impact Free 19. Hamburg.
Ideal und Realität. Impact Free 32. Hamburg.
                                                        Reinmann, G. (2018). Entfaltung des didakti-
Reinmann, G. (2020). Präsenz – (K)ein Garant            schen Dreiecks für die Hochschuldidaktik und
für die Hochschullehre, die wir wollen? Impact          das forschungsnahe Lernen. Impact Free 18.
Free 31. Hamburg.
                                                        Hamburg.
Tremp, P. & Reinmann, G. (Hrsg.) (2020). For-
                                                        Klages, B. (2018). Utopische Figurationen
schendes Lernen als Hochschulreform? Zum
                                                        hochschulischer Lehrkörper – zum transforma-
50-Jahr-Jubiläum der Programmschrift der                torischen Potenzial von Utopien am Beispiel
Bundesassistentenkonferenz. Impact Free 30              kollektiver Lehrpraxis an Hochschulen. Impact
(Sonderheft). Hamburg.                                  Free 17. Hamburg.
Reinmann, G. (2020). Universitäre Lehre in ei-
                                                        Burger, C. (2018). Weiterbildung für diversi-
ner Pandemie – und danach? Impact Free 29.              tätssensible Hochschullehre: Gedanken und
Hamburg.                                                erste Ergebnisse. Impact Free 16. Hamburg.
Weißmüller, K.S. (2020). Zwei Thesen zum                Reinmann, G. (2018). Strategien für die Hoch-
disruptiven Potenzial von OER für öffentliche           schullehre – eine kritische Auseinandersetzung.
Hochschulen. Impact Free 28. Hamburg.                   Impact Free 15. Hamburg.
Casper, M. (2020). Wem gehört die Ökonomi-              Reinmann, G. (2018). Shift from Teaching to
sche Bildung? Die problematische Leitkultur
                                                        Learning und Constructive Alignment: Zwei
der Wirtschaftswissenschaften aus hochschul-            hochschuldidaktische Prinzipien auf dem Prüf-
und mediendidaktischer Perspektive. Impact
                                                        stand. Impact Free 14. Hamburg.
Free 27. Hamburg.
                                                        Reinmann, G. (2017). Empirie und Bildungs-
Reinmann, G., Vohle, F., Brase, A., Groß, N. &          philosophie – eine analoge Lektüre. Impact
Jänsch, V. (2020). „Forschendes Sehen“ – ein
                                                        Free 13. Hamburg.
Konzept und seine Möglichkeiten. Impact Free
26. Hamburg.                                            Reinmann, G. (2017). Universität 4.0 – Gedan-
                                                        ken im Vorfeld eines Streitgesprächs. Impact
Reinmann, G., Brase, A., Jänsch, V., Vohle, F.
                                                        Free 12. Hamburg.
& Groß, N. (2020). Gestaltungsfelder und -an-
nahmen für forschendes Lernen in einem De-              Fischer, M. (2017). Lehrendes Forschen? Im-
sign-Based Research-Projekt zu Student Crowd            pact Free 11. Hamburg.
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[11]

Reinmann, G. (2017). Ludwik Flecks Denkstile
– Ein Kommentar. Impact Free 10. Hamburg.
Reinmann, G. (2017). Verstetigung von Lehrin-
novationen – Ein Essay. Impact Free 9. Ham-
burg.
Reinmann, G. (2017). Col-loqui – Vom didak-
tischen Wert des Miteinander-Sprechens. Im-
pact Free 8. Hamburg.
Reinmann, G. (2017). Überlegungen zu einem
spezifischen Erkenntnisrahmen für die Hoch-
schuldidaktik. Impact Free 7. Hamburg.
Reinmann, G. & Vohle, F. (2017). Wie agil ist
die Hochschuldidaktik? Impact Free 6. Ham-
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Reinmann, G. (2016). Wissenschaftliche Lek-
türe zum Einstieg in die Hochschuldidaktik. Im-
pact Free 5. Hamburg.
Reinmann, G. (2016). Die Währungen der
Lehre im Bologna-System. Impact Free 4.
Hamburg.
Reinmann, G. & Schmohl, T. (2016). Autoeth-
nografie in der hochschuldidaktischen For-
schung. Impact Free 3. Hamburg.
Reinmann, G. (2016). Entwicklungen in der
Hochschuldidaktik. Impact Free 2. Hamburg.
Reinmann, G. (2016). Forschungsorientierung
in der akademischen Lehre. Impact Free 1.
Hamburg.

IMPACT FREE 38 (August 2021)                             Gumm & Hobuß
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