IMPULSPAPIER "DIE SCHWEIZ UND EUROPA IM BANNE CHINAS" - Was müssen wir im Zusammenhang mit dem Erstarken Chinas heute anpacken? Das Europa Forum ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
IMPULSPAPIER Was müssen wir im Zusammenhang mit dem Erstarken Chinas heute anpacken? Das Europa Forum Luzern präsentiert Denkanstösse und Handlungsempfehlungen zum Thema «DIE SCHWEIZ UND EUROPA IM BANNE CHINAS». Ausgabe 2021
Das Europa Forum Luzern bedankt sich bei den 25 Impulsgeber:innen des Jahres 2021, den zahlreichen Speaker:innen des Annual Meetings und der unterjährigen Anlässe sowie den Interviewpartnern:innen, die mit den fachkundigen Meinungen zum Thema «Im Banne Chinas» wichtige Im- pulse für die Erstellung der Thesen geliefert haben. Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein beim Redaktionsteam des Europa Forum Luzern. Die Sammlung aller Beiträge finden Sie unter compendium.europaforum.ch. Compendium 2021
EDITORIAL Die Schweiz und Europa im Banne Chinas Seit China im Jahr 2013 die «Belt and Road»-Initiative ins Leben gerufen hat, ist China als «schlafender Riese» Ge- schichte, und die Schweiz, und damit auch Europa, ste- hen im Banne Chinas. China ist heute fest entschlossen, im Zuge seines wirtschaftlichen Wachstums geopolitisch eine Führungsrolle zu übernehmen. Diese Absicht zeigt sich unter anderem an der sich stark verändernden Rolle Chinas in Bezug auf den Multilateralismus. Es nutzt seinen wach- senden Einfluss, um das multilaterale System zu seinen Gunsten umzugestalten. So deutet Peking Normen der be- stehenden internationalen Ordnung getreu seines Gesell- schafts- und Entwicklungsmodells um oder eröffnet eigene Entwicklungsbanken nach seinem Gusto. Dieser Führungsanspruch Chinas fällt just in eine Zeit - und das dürfte kein Zufall sein -, in der unsere westlichen Werte einer der grössten Prüfungen unserer jüngeren Geschich- te unterzogen werden und das westliche Lebensmodell vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu zerfallen droht: Einerseits wird unser Glaube an Demokratie und Liberalis- mus durch nationalistische und autokratische Tendenzen, soziale Medien sowie durch die Gesundheitskrise auf- grund der Covid-19-Pandemie auf die Probe gestellt. Andererseits haben die Finanzkrise und einzelne Skandale geldgieriger Manager:innen das Vertrauen in Kapitalismus und Marktwirtschaft stark erschüttert. Schliesslich führt sicherheits- und machtpolitisches Scheitern, wie der un- koordinierte Rückzug aus Afghanistan, zur Schwächung der westlichen Allianz und beschädigt weltweit den Glau- ben an eine nachhaltige Zukunft einer westlich orientierten liberalen Weltordnung. Zwischen China und der westlichen Welt bestehen funda- mentale Unterschiede bezüglich der Weltanschauung, der Werte sowie der wirtschaftlichen, politischen und gesell- schaftlichen Ideologie. Es zeichnet sich ein Systemwett- bewerb ab zwischen dem chinesischen Staatskapitalismus und dem westlichen Modell der freien Marktwirtschaft, eine neue bipolare Weltordnung, mit China und den USA als den beiden Polen.. 1
Diese Bipolarität hat ein bedeutendes Konfliktpotenzial. Im Zuge dessen hat sich die US-amerikanische Chinapoli- tik bereits stark verändert: Washington bezeichnet China nicht mehr als Partner, sondern als «strategischen Wett- bewerber». Die wachsende Skepsis ist parteiübergreifend und deren Ursprung hat nichts mit der Präsidentschaft Trumps zu tun – die Rivalität liegt viel tiefer und wird stark zunehmen. Die Welt droht in eine West- und eine Ost- hemisphäre zu zerfallen mit entsprechender Abgrenzung in Normenräume mit je eigenen Wertesystemen, Industrie- standards, Datenräumen und Zahlungssystemen. Eine solche Blockbildung geht zuungunsten globa- ler, multilateraler Lösungen und würde weit mehr Ver- lierer als Gewinner hervorbringen. Unter besonderem Druck steht Europa, welches gerade in dieser Situation innere Stärke und Eigenständigkeit demonstrieren müss- te. Europa ist jedoch durch den Brexit geschwächt und befindet sich durch die sicherheitspolitische Bindung an die USA einerseits und die wirtschaftspolitische Ver- knüpfung mit China andererseits in einer Zerreissprobe. Für die EU und die Schweiz stellen sich fundamentale Fragen: Wie positionieren sich Europa und die Schweiz ange- sichts der drohenden geopolitischen Bipolarität? Wie verbindet man wirtschaftliche Interessen mit unse- rem Glauben an eine liberale Wirtschaftsordnung, Rechts- staatlichkeit und den in unserem Kulturkreis verankerten individuellen Grundrechten? Wie kann China in ein System des Multilateralismus eingebunden und motiviert werden, Verantwortung zu übernehmen angesichts globaler Herausforderungen wie Klimawandel, Nachhaltigkeitsziele, Migration, Cyber Security und Gesundheitsrisiken? China wird in ein paar Jahren fast alle Rankings anfüh- ren, das Wachstum hat erst begonnen – im guten wie im schlechten Sinn. Zusammenarbeit und Austausch sind daher besser als Konfrontation und dogmatische Kritik. Europa muss eine klare Strategie bezüglich seiner Stellung in der Welt des 21. Jahrhunderts definieren und der dro- henden Zerreissprobe zwischen Ost und West mit mehr Kohärenz begegnen. 2
Dies umso mehr, als die Anzahl der Akteure, die Kontakte mit China pflegen und damit im weiteren Sinne die China- politik mitgestalten, stetig zunimmt. Gleichzeitig ist nicht zu verkennen, dass die Chinakompetenz häufig noch unter- entwickelt ist. Entscheidend ist eine klare Positionierung und Identi- tät Europas als Vorreiter einer neuen globalen sozial- ökologischen Wirtschaftspolitik, gestützt durch eine gesamteuropäische Finanz- und Sicherheitspolitik als Basis der künftigen Prosperität Europas und als Gegen- pol zur heutigen bipolaren Konfrontation zwischen den USA und China. Die von der EU-Kommission vorgeleg- te neue Wachstumsstrategie eines «European Green Deal», die auf eine faire und wohlhabende Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbe- werbsfähigen Wirtschaft abzielt, ist ein wichtiger Schritt für dieses europäische Selbstverständnis, das sich so- wohl vom chinesischen als auch vom amerikanischen ab- grenzt. Es stärkt Europa, soll vereinen und vorbildlich sein. Im Weitern ist die Welt mit grossen Herausforderungen konfrontiert, welche im Interesse aller – China, USA und Europa – gemeinsam angegangen werden. Zu diesen Beziehungsfeldern zählen beispielsweise die Klimaver- änderung, Umweltanliegen, Entwicklungspolitik, Migra- tionsfragen, Gesundheitsfragen, Bildung, Forschung und Investitionen. China ist somit Partner, Wettbewerber und Systemrivale gleichzeitig. Es ist deshalb richtig, wenn Europa klare Forderungen stellt. Das Jahresthema «Die Schweiz und Europa im Banne Chi- nas» bringt den Zeitgeist auf den Punkt. Es gilt zu handeln, in der EU wie auch in der Schweiz, und Weichen zu stellen. Das Europa Forum packt genau hier an. Wir wünschen Ihnen eine bereichernde Lektüre. Doris Leuthard Marcel Stalder Co-Präsidentin Steering Committee Präsident Executive Committee 3
INHALT Editorial 01 Impulspapier 05 Thesen: Wirtschaft 08 Thesen: Politik 10 Thesen: Wissenschaft 12 Thesen: Gesellschaft 14 Thesen: Generation Zukunft 16 Compendium 18 Europa Forum Luzern 19 Impressum 20
IMPULSPAPIER «Farbe bekennen in der Chinafrage» China hält die Welt in seinem Bann und Stehen wir wirklich in Chinas Bann oder zwingt uns zu einer Neuausmarchung können wir uns noch daraus lösen? Ein der globalen Werte- und Machtsysteme. ganzes Jahr lang hat sich das Europa Die Volksrepublik präsentiert sich immer Forum Luzern zusammen mit Asienfach- selbstbewusster als erfolgreicher Gegen- leuten aus Wirtschaft, Politik, Zivilgesell- entwurf zur wertebasierten, liberal-demo- schaft, Wissenschaft und der Generation kratischen Weltordnung der Nachkriegs- Zukunft ausgetauscht. Insbesondere aus zeit; als Macht, die auch militärisch Muskeln den vielfältigen Impulsen der langjährigen zeigt. Die Frage, wie ein Land zu China Chinakenner:innen aus dem In- und Aus- steht, ist zur «Gretchenfrage des 21. Jahr- land sowie aus den Beiträgen am Annual hunderts» geworden. Kein Land wird sich Meeting hat das Redaktionsteam zehn längerfristig um eine klare Antwort drücken konkrete Thesen herausdestilliert, die dem können. Es ist an der Zeit, dass sich die Bundesrat strategische Denkanstösse für Schweiz strategisch vertieft mit China aus- den künftigen Umgang mit einem immer einandersetzt. aggressiver und selbstbewusster auftre- tenden China geben sollen. Verantwortung mittragen «Niemand hat einen genügend langen Als eine der ältesten Demokratien Europas Löffel, um auf lange Frist allein mit China trägt auch die Schweiz Verantwortung Suppe zu essen», sagte einer der Impuls- in diesem Kampf um eine globale Neu- geber. Seine Aussage unterstreicht die ordnung. Gerade sie muss die Grundpfeiler Notwendigkeit der Zusammenarbeit, denn einer europäisch geprägten Gesellschaft kleine Länder geraten zunehmend unter mittragen und vehement verteidigen. Nicht Druck Chinas — wie die Erfahrung Litauens zu handeln, geht nicht mehr, Schweigen aktuell zeigt. Es zeigt, dass Multilateralis- allein ist zu wenig Kritik. Ein Positionsbezug mus unsere einzige Antwort auf Chinas der Schweiz bedingt aber ein differen- Versuche sein muss, die liberal-demokra- ziertes Chinabild und das Verständnis der tische Gemeinschaft auseinanderzudivi- Zusammenhänge innerhalb der gesamten dieren und zu desorientieren. aufstrebenden asiatischen Region. 5
IMPULSPAPIER Kompetenz, Respekt und konsequente Haltung Mit diesem Dokument liefert das Europa Schweizer:innen auf eine Welt «mit China» Forum dem Bundesrat Impulse für dessen und nicht auf eine Welt «gegen China» langfristigen Chinakurs. Die vorliegen- bestmöglich vorbereiten muss. Das Instru- den zehn handlungsorientierten Thesen ment in diesem Werte- und Machtkampf dienen als Kompass und Denkanstösse in soll ein Dialog mit kraftvollen Argumenten der Chinastrategie. Sie lassen die grossen sein, die auf Kompetenz und Respekt, aber Fragen erkennen und dienen als Ansporn, auch auf Wissen sowie auf Vertrauen in vorausschauend nach Szenarien und stra- die eigenen Stärken beruhen. tegischen Antworten zu suchen. Nur eine starke Schweiz mit glaubwürdi- Die Verfasser:innen vertreten die Meinung, gen Positionen und der Kraft, auf Worte dass der Bundesrat dabei den liberalen, auch Taten folgen zu lassen, kann Farbe demokratischen Werten der Aufklärung bekennen und einem erstarkten China mit hohe Priorität einräumen und die strategischer Intelligenz begegnen. 6
Das Redaktionsteam des Europa Forum Luzern hat zehn konkrete Thesen entwickelt, die als stra- tegische Denkanstösse für den künftigen Umgang mit einem immer aggressiver und selbstbewusster auftretenden China dienen sollen.
«In den bilateralen Beziehungen zu China wird das Ungleichgewicht in Zukunft weiter im Zentrum stehen. Hingegen bietet sich in asiatischen Ländern ausserhalb Chinas wirt- schaftliches Potenzial und es lassen sich neue nachhaltige Partnerschaften aufbauen.» Adrian T. Keller, Präsident Asia Society und Impulsgeber 2021
THESEN: WIRTSCHAFT 1 «Will die Schweiz handlungsfähig bleiben, darf sie wirtschaftlich nicht zu stark an Chinas Tropf hängen.» China bietet nach wie vor grosse Chan- dern auch grössere, dringend benötigte, cen für die Schweizer Wirtschaft. Damit politische Freiheit im Umgang mit China. verbunden sind aber auch massive Risiken Die Auslagerung in umliegende asiatische für die eigene Volkswirtschaft und den Länder bietet nicht nur lukrative Alterna- politischen Handlungsspielraum. Zu starke tiven, sondern stärkt gleichzeitig Chinas wirtschaftliche Abhängigkeit von China Nachbarstaaten in deren Selbstbewusst- führt zu einem Klumpenrisiko und kleinerem sein gegenüber dem in der Region immer Handlungsspielraum in politisch heiklen dominanter auftretenden Nachbarn und Fragen. Die Antwort lautet: Diversifikation, führt somit zu einem globalen Gegenge- besonders auch im asiatischen Raum. wicht. Zu viel wirtschaftliche Abhängigkeit Daraus erwachsen nicht nur Resilienz und von China als Absatz- und Produktions- mehr Flexibilität in Handelsketten, son- markt führt zu politischer Erpressbarkeit. 2 «Die Antwort auf Chinas starren Kurs darf nicht ein Abbau unserer liberalen Werte sein, viel mehr müssen wir uns auf sie zurückbesinnen und sie stärken.» Der Handel mit China sollte den Wandel wieder, die Demarkationslinie zwischen des autoritären Landes automatisch mit liberalem Handeln und sicherheitsrelevan- sich bringen, erhoffte man sich noch vor tem Schutz abzuwägen. Die Antwort auf zehn Jahren. Das Gegenteil traf ein: China Chinas starren Kurs soll gleichwohl nicht hat sich nicht verändert und wird sich auch ein Rückzug und Abbau dieser universalen nicht ändern. Ironischerweise antwortet liberalen Werte sein, sondern eine selbst- Europa darauf mit Restriktionen, Handels- bewusste Rückbesinnung auf dieselben. abschottung, Sanktionen und Regelwerken Dies geht einher mit einer Aufforderung, und wirft damit zentrale Pfeiler liberaler kreativ nach neuen Wegen der konkret Grundwerte über Bord. Das ist vor dem gelebten Kooperation zu suchen, welche Hintergrund eines angemessenen Inves- Spielraum auf beiden Seiten schaffen, aber titionsschutzes richtig, und es gilt immer unser Wertebekenntnis nicht minieren. 9
THESEN: POLITIK 3 «China zwingt uns, in der Beziehung zur EU über unseren eigenen Schatten zu springen.» Die Schweiz ist nicht nur das geografische können sich kleine Staaten wie die Schweiz Herz Europas, sondern auch einer der China gegenüber behaupten. Je mehr stabilsten Horte der Demokratie. Daraus sich China abkoppelt und sich als Gegen- entstehen auch Verpflichtungen. Die zu- block der – uns letztlich wertemässig nehmende Aggressivität Chinas zwingt eindeutig näherstehenden – USA definiert, uns, klar und deutlich Stellung zu bezie- umso mehr muss Europa in dieser bipola- hen bezüglich der Werte und Strategien ren Weltordnung als starker dritter Player der europäischen Nachbarn und damit auftreten. Da gehört zwingend auch die auch der EU. Das notwendige Zusammen- Schweiz mit dazu. Zu einem Szenario hy- rücken innerhalb Europas kann für die brider Kriegsführung gegen Europa ge- Schweiz eine Chance sein, sich der EU neu hören auch sicherheitsstrategische und zu nähern. Denn nur mit grossen Partnern militärische Fragen. 4 «Die Schweiz darf sich die Neutralität gegenüber einem autoritären Regime nicht länger leisten.» Die Neutralität der Schweiz gerät zuneh- mend unter Druck und muss neu definiert Chinastrategie, über alle Departemente der Verwaltung hinweg. Kleinräumiges werden. Denn die Schweiz muss sich im Silodenken spielt China in die Hände und globalen Kräftemessen klar den demokra- schwächt uns als Verhandlungspartner. tischen europäischen Ländern zuordnen, Dies gilt auch für Kantone und Städte, die nicht nur wirtschaftlich, sondern auch poli- z. B. mit Bildungs-, Tourismus- oder Kultur- tisch und strategisch. Damit wird sie sich partnerschaften ebenfalls einer möglichst längerfristig nicht hinter der Aufgabe der einheitlichen schweizerischen Strategie «guten Dienste» verstecken können und unterliegen sollen. Eine verantwortungsvol- muss ihren langjährigen «Schlängelkurs» le, werteorientierte Neutralität darf keine als blinder Passagier aufgeben. Daraus Ausrede sein, für ein klares Bekenntnis zu folgt zwingend eine kohärentere und dif- Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demo- ferenziertere Formulierung sowie die kon- kratie. sequentere Umsetzung der beschlossenen 10
«Das Freihandelsabkommen schafft zwar vereinfachten Zugang zum Markt in China, es entbindet die Wirtschaft aber auch nicht davon, selbst ethische und menschenrechtliche Grund- prinzipien einzuhalten.» Damian Müller, Ständerat FDP Kanton Luzern und Impulsgeber 2021
«Die EU sollte sich selbstbewusst als dritte Grossmacht in die Belange der Welt einbringen und diese aktiv mitgestalten.» Stéphanie Balme, Dekanin Sciences Po College und Impulsgeberin 2021
THESEN: WISSENSCHAFT 5 «Gezielte Forschung in Bereichen, die China künftig brauchen wird, stärkt die Position des Forschungsplatzes Schweiz im globalen Wett- bewerb und bildet einen Hebel in den Verhandlungen mit China.» Will die Schweiz Innovationsweltmeisterin Beispiele, die der Forschung in Zukunft in bleiben, muss sie ihre Forschung gezielt auf China viele Felder öffnen und die China Bereiche ausrichten, die künftig in China nicht allein bewältigen kann. Dabei gilt es benötigt werden. Chinas demografische stets, in der Schweiz gemeinsam nach Ko- und sozioökonomische Strukturen bieten operationsstrategien zu suchen und nicht in vielen Bereichen, in denen die Schweiz naiv Forschungskooperationen (dual use, stark ist, grosse Möglichkeiten. Die Über- knowledge transfer, industrial espionage) alterung der Gesellschaft, die Urbani- beizutreten, die direkt zu Konkurrenten sierung und der jahrelange Raubbau an oder gar in den chinesischen Sicherheits- Ressourcen und Umwelt sind nur einige apparat führen könnten. 6 «Freies und kritisches Denken muss bewusst gefördert und gestärkt werden, denn es macht unsere Bildungsinstitutionen autoritären Regi- men gegenüber überlegen.» Kritisches, freies und kreatives Denken diese wichtigen Eckpfeiler einer unabhän- und letztlich die akademische Freiheit gigen Wissenschaft nicht gewährleistet. sind die wichtigsten Pfeiler für innovative Eine Forschung, über der das Damokles- Forschung, die seit Dekaden das Rück- schwert einer Parteidoktrin schwebt, ist grat der Wissenschaft, der Forschung und geschwächt und abhängig. Dies muss letztlich des Erfolgs der Schweiz bilden. insbesondere auch bei Forschungspart- Alle unsere Bildungsinstitute müssen diese nerschaften berücksichtig werden. Die Grundpfeiler gezielt fördern und vehement Freiheit der Wissenschaft und Forschung verteidigen, um damit unsere tief veran- darf in der Schweiz keinesfalls unter Druck kerten Werte zu behaupten. Die daraus geraten. entstehenden Wettbewerbsvorteile sind konsequent zu nutzen. In China sind genau 13
THESEN: GESELLSCHAFT 7 «Der vermeintliche Schweizer Sonderstatus verhindert eine kritische Auseinandersetzung mit China.» Es ist Zeit, sich nicht länger von China demokratische Grundwerte und Men- Sand in die Augen streuen zu lassen. Der schenrechtsverletzungen hinweggeschaut angebliche Sonderstatus, den die Schweiz wird, aus Angst, die «langjährige Sonder- in China geniesst und den China gegen- stellung» zu gefährden. Dieser Sondersta- über der Schweiz regelmässig hervorhebt, tus muss überdacht werden, denn er birgt ist trügerisch. Er verhindert eine klare Sicht als Kehrseite der Medaille die Gefahr, zum und eine kritische Auseinandersetzung. Die Maulkorb zu werden. Auch ein Sondersta- «gute Freundschaft» endet da, wo über tus hat einen Preis. 8 «Für einen wirkungsorientierten Umgang mit China braucht die Schweiz dringend mehr Chinakompetenz.» China muss medial und in der Bildung stufe bis hin zu den Gymnasien und den viel mehr ins Zentrum rücken. Nur wenn Universitäten. Die Chinakompetenz muss die nächste Generation solide auf China auch in der Zivilgesellschaft gefördert wer- vorbereitet ist, wird sie sich kritisch und den. Das schaffen wir nur durch eine breite lösungsorientiert den Herausforderungen und differenzierte Präsenz in den Medien, einer von China geprägten Welt stellen die allübergreifend den Diskurs fördert, können. Dazu gehört die Förderung einer und indem wir sicherstellen, dass ein Aus- breiten China- und Asienkompetenz an tausch in der Gesellschaft stattfindet. Schweizer Bildungsinstitutionen. Über- Kritische und weltoffene Bildung und eine greifende Asienkunde von Geschichte und freie, vielfältige und qualitativ möglichst Politik über Wirtschaft bis zu Kultur gehört hochwertige Medienlandschaft sind die genauso ins Curriculum wie die Geschichte Pfeiler unserer Demokratie. der USA oder Europas und zwar ab Primar- 14
«Unser Dilemma mit der Volksrepublik China: Eine Mehrheit scheint aus westlicher Sicht nicht zu wollen, was sie wollen sollten.» Uli Sigg, ehem. Botschafter und Impulsgeber 2021
«Die Schweiz sollte sich in einem komplexen internationalen Umfeld geopolitisch klarer positionieren.» Markus Herrmann Chen, Managing Director China Macro Group und Impulsgeber 2021
THESEN: GENERATION ZUKUNFT 9 «Digitale Kompetenzen werden über künftige hybride Kriege entschei- den und sind nötig, um nicht in einer Diktatur der Bequemlichkeit zu landen.» Daten bedeuten Macht. Wer sie besitzt, kritischen Blick auf den eigenen Medien- steuert und gezielt einsetzt, wird künftig konsum gefördert werden. Nur so können die Welt lenken: Wer Datennetzwerke manipulative Ansätze grosser Konzerne kontrolliert und Menschen zu manipulie- und mächtiger Staaten frühzeitig entlarvt ren vermag, kann beispielsweise Wahlen werden. China ist schon heute Meister in beeinflussen und Narrative bestimmen. der digitalen Kontrolle seines Volkes (aber Der Kampf um diese Daten und deren zunehmend auch weltweit), vom Kaufver- Hoheit wird die Grundlage kommender halten über die öffentliche Meinung bis Kriege. Mit höchster Priorität muss unsere hin zur Kontrolle des gesamten gesell- junge Generation auf einen kompetenten schaftlichen Narrativs. Wir müssen unsere und verantwortungsvollen Umgang mit Jugend mit dem nötigen Wissen und den dieser Thematik auf dieser Makroebe- Kompetenzen ausstatten, damit sie nicht ne vorbereitet werden. Auch muss auf in die Falle einer Bequemlichkeitsdiktatur individueller Ebene die Medienkompetenz tappen, Meinungen von Fakten trennen und eine viel grössere Sensibilität für einen und Echokammern erkennen können. 10 «Die Schweizer Jugend muss erkennen, dass die Gesellschaft ihre Partizipation dringend braucht. Denn ‹Konsumieren und Maul halten› öffnet Tür und Tor für autoritäre Tendenzen.» «Reich werden und Maul halten, konsumie- überleben, in dem sich alle Bürgerinnen ren statt reklamieren», so etwa lautet der und Bürger an der Gestaltung der Zu- Gesellschaftsvertrag der letzten Gene- kunft beteiligen, genau so, wie das in der ration Chinas. Die unendliche Macht der Schweiz seit Generationen der Fall ist. kommunistischen Partei war auch darum Das Beispiel China soll uns dazu anhalten, möglich, weil grosse Teile der Bevölkerung diesen Schatz weiter zu pflegen und die mit steigendem Reichtum und Wohlstand Jugend als aktive Gesellschaftsbürger:in- zufriedengestellt werden konnten. Dieser nen einzubinden. «Konsumieren statt rekla- (pseudo-)utilitaristische Gesellschafts- mieren» darf bei uns nicht Schule machen. vertrag könnte mit einer zukünftigen Wollen wir unsere Stärke gegenüber Generation nicht mehr aufgehen. Interes- Regimen wie China weiterhin stärken, müs- santerweise allerdings gewinnen ähnliche sen wir die nächste Generation zu kritisch Tendenzen auch hierzulande an Gewicht. Denkenden erziehen, sie in Entscheidungs- Langfristig kann aber aus unserer Sicht findungen einbinden und damit auch in die nur ein partizipatives Gesellschaftsmodell Pflicht nehmen. 17
COMPENDIUM Ihre Impulsplattform zum Thema «Im Banne Chinas» Was müssen wir im Zusammenhang mit Die Sammlung der Meinungsbeiträge, dem Erstarken Chinas heute anpacken? Interviews sowie weiterführenden Links Welche Chancen bieten sich? Über welche und Publikationen hat das Europa Forum Herausforderungen sollten wir uns Gedan- Luzern im Laufe des Jahres und am Annual ken machen? Entdecken Sie im Compen- Meeting vom 24. und 25. November 2021 in dium die breitgefächerten Antworten der Luzern erarbeitet. 25 Impulsgeber:innen und Experten:innen Die Website compendium.europaforum.ch in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Wis- ist frei zugänglich und dient als Nachschla- senschaft, Gesellschaft und Generation gewerk für alle Interessierten rund um das Zukunft. aktuelle Jahresthema. Das Europa Forum Luzern leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung in der Bevöl- kerung und verfolgt das Ziel, kontroverse Diskussionen nicht nur während der An- lässe, sondern ganzjährig zu ermöglichen. Compendium 2021 18
EUROPA FORUM LUZERN Wir leisten von Luzern aus, dem Eine bereichernde und Herzen der Schweiz, einen Beitrag zeitgemässe Plattform zur Zukunftsfähigkeit Europas. Vorausschauend, mutig Anders als übliche Konferenzen in der Schweiz bietet das Europa Forum als par- und wirkungsorientiert. tizipative Plattform das ganze Jahr über Aktivitäten in den Handlungsräumen Wirt- Wir bringen nationale und internationa- schaft, Politik, Wissenschaft, Gesellschaft le Persönlichkeiten zusammen, um auf und Generation Zukunft, die erfrischende zukunftsrelevante Fragen gemeinsam Vernetzung sorgfältig zusammengesetzter konkrete Antworten zu entwickeln und junger sowie erfahrener Entscheidungsträ- neue Wege zu bereiten. Ob es dabei um ger:innen und den Einbezug von relevanten Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Gesell- Persönlichkeiten aus Europa. Es ist der schaft oder die nächste Generation geht, Raum, in dem sie sich auf Augenhöhe be- im Zentrum dieser Dialog- und Impuls- gegnen, voneinander lernen und gemein- plattform steht die Zukunft einer starken sam Lösungen finden können. Schweiz und eines starken Europas. Mit dem «Förderkreis 92» nimmt das Europa Forum Luzern eine wichtige Netzwerk- funktion wahr. Hier pflegen ausgesuchte Führungspersönlichkeiten in zeitgemässen Formaten den Austausch von Best Practices, erhalten Orientierung mit Blick auf Zukunftsthemen und pflegen die persönlichen Beziehungen innerhalb des Europa Forum Luzern Netzwerkes.
IMPRESSUM EUROPA FORUM LUZERN Spinnereistrasse 5 6020 Emmenbrücke T +41 41 260 85 34 impulse@europaforum.ch europaforum.ch Geschäftsleitung Dr. Dominik Isler, Co-Direktor Fabian Wassmer, Co-Direktor Redaktion und Konzept Caroline Willems Michael Hebeisen Pascal Nufer Gestaltung Cecilia Dannibale Publikation 1. Ausgabe, 28. Januar 2022 © Europa Forum Luzern 20
DIE NÄCHSTE GENERATION ÜBERNIMMT DIE MACHT AUF DEM ALTEN KONTINENT. WELCHES EUROPA WOLLEN DIE «MILLENNIALS»? Save the Date Am 23. und 24. November 2022 findet als Hö- hepunkt unserer Jahresaktivitäten das Annual Meeting im KKL Luzern statt. Diskutieren Sie am ersten Tag mit namhaften Referent:innen die Perspektiven für die Schweiz und Europa. Am zweiten Tag erhalten Sie aufschlussreiche Impulse zum Jahresthema «Let Europe arise! Welches Europa wollen die Millennials?».
Sie können auch lesen