In-vivo-Untersuchungen zur Fruchtbarkeit lebender Europäischer Feldhasen (Lepus europaeus) in Nordrhein-Westfalen
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Wo liegt der Hase im Pfeffer? In-vivo-Untersuchungen zur Fruchtbarkeit lebender Europäischer Feldhasen (Lepus europaeus) in Nordrhein-Westfalen Mirja Faßbender, Frank Göritz, Steffen Blottner, Markus Gilles, André Lange, Alexandra Broich, Mirko Quest, Thomas Lengwinat, Heinrich Spittler, Thomas Hildebrandt Die Jagdstrecken beim Europäischen Feldhasen sind seit Mitte der siebziger Jahre konsequent rückläufig. Die Ursachen müssen sicherlich als komplexes Gefüge aus klimatischen Faktoren, Nahrungsangebot, negativen Ein- flüssen durch zunehmende Intensivierung und Technisierung der Landwirtschaft, veränderter Prädatorendichte, Bejagungsintensität, Gesundheitsstatus und reproduktiver Fitness gesehen werden. Die Aufnahme in Kategorie III der roten Liste für den Monat Mai im Bundesland Nordrhein-Westfalen zeigt Bedarf für fundierte Untersu- chungen zur Aufklärung der Ursachen dieses Rückganges. In dem Gefüge von populationsbeeinflussenden Fak- Im Rahmen eines 1998 initiierten Forschungsprojek- toren spielen die Fruchtbarkeit sowie die postnatale tes wurden quantitative und qualitative Untersuchun- Sterblichkeitsrate der Junghasen eine bedeutende gen der Geschlechtsorgane einschließlich der Rolle. Beide Faktoren sind wiederum von vielen Fruchtanlagen an lebenden Feldhasen durchgeführt. Einzelelementen abhängig. Die Keimdrüsen als Ort Die Langzeitstudie bietet erstmals die Möglichkeit, der mitotischen und meiotischen Zellteilungspro- den Verlauf saisonaler Fruchtbarkeitsparameter wie zesse für die Gametenproduktion sowie die Trächtig- Spermaqualität, Trächtigkeitsrate und Laktations- keit mit ihren intensivierten Wachstums- und Stoff- status über mehrere Jahre zu analysieren. wechselprozessen der embryonalen und fetalen Entwicklung sind besonders empfindlich gegenüber In Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle für negativen Umwelteinflüssen. Die weiblichen Feld- Jagdkunde und Wildschadensverhütung (FJW) des hasen zeigen kein ausgeprägtes Nestbau- und Brut- Landes Nordrhein-Westfalen und der Tierklinik für pflegeverhalten, so dass die frisch gesetzten Tiere Fortpflanzung der Freien Universität Berlin wurden den Einflüssen ihrer Habitatstruktur in besonderem bisher 302 Tiere in 6 Fangaktionen aus insgesamt 16 Maße ausgesetzt sind. Bisher gibt es außerordentlich unterschiedlichen Fanggebieten in Nordrhein-West- geringe Kenntnisse darüber, ob eine mangelnde falen untersucht. 5 der Fang- und Untersuchungs- Fruchtbarkeit der Elterntiere und/oder eine erhöhte aktionen fanden in den Monaten März und April postnatale Sterblichkeit an dem beobachteten Rück- 1998–2000 statt. Zusätzlich wurde eine Aktion im gang der Populationen beteiligt sind. Juli 1999 durchgeführt. Für die Untersuchungen wurde ein zentrales Labor in der FJW in Bonn Pütz- Die Möglichkeiten zur Bewertung der reproduktiven chen eingerichtet. Das Einfangen der Tiere, organi- Fitness durch Studien post-mortem sind limitiert. siert und durchgeführt von der FJW, erfolgte mit Wichtige Untersuchungen für die Charakterisierung Hilfe einer speziell entwickelten Netztechnik. Die der Reproduktionsbiologie (z.B. Gewinnung und Hasen wurden in die zuvor am Rand von landwirt- Beurteilung von Ejakulat, Charakterisierung fetaler schaftlichen Nutzflächen aufgestellten, ca. 1 m Vitalitätsparameter sowie Beurteilung der Organ- hohen, grobmaschigen, aus festem Garn hergestell- aktivität der Gonaden durch Blutflussmessung) können ten Spiegelnetze getrieben. Die Tiere wurden dann an erlegten Hasen nicht durchgeführt werden. Es war aus diesen Netzen herausgegriffen und separat in erforderlich, eine Methode zu entwickeln, die die not- Tiertransportkisten verbracht (Abb. 1). Anschließend wendigen Untersuchungen an lebenden Individuen in erfolgte der direkte Transport zur FJW. Für die fol- der aktiven Phase der Reproduktionssaison gestattet. genden Untersuchungen war es notwendig, die Tiere NUA-Seminarbericht Band 7 47
Faßbender et al.: Fruchtbarkeit Europäischer Feldhasen Entfernung der Bauchdeckenhaare (Leiste bis Nabel) mit einer elektrischen Schermaschine. Zusätzlich wurde bei den männlichen Tieren der Hodensack rasiert. Bei jedem Hasen wurde die Oberschenkel- vene (Vena femoralis) an der Schenkelinnenseite zur Blutentnahme punktiert (Abb. 3). Die gewonnenen Blutproben (EDTA und Serum) wurden für spätere Hormonanalysen (Testosteron und Progesteron) sowie zur EBHS-Antikörperbestimmung genutzt. Geplant sind noch Genomanalysen aus dem isolier- ten Blutzellanteil der einzelnen Individuen zur Untersuchung der genetischen Gesamtsituation in den verschiedenen Hasenpopulationen. Kot- und Haarproben wurden für spätere Analysen zur Ermitt- lung des parasitären Status sowie der Schwermetall- Abb. 1: a) Einfangen der Feldhasen mit speziell entwickelten Spiegelnetzen (nach kontamination ebenfalls entnommen. Spittler). Jedes Tier erhielt subkutan im Bereich des Schulter- blattes einen elektronischen Transponder, um die individuelle Identifizierung der bereits einmal unter- suchten Tiere bei Folgestudien zu sichern. Alle Tiere wurden gewogen und gemessen (Scheitel-Steiß- länge, Lauflänge und Ohrlänge). Bei den männlichen Tieren wurden zunächst die Hoden mit Neben- hodenschwanz sowie die Hautdicke des Hoden- sackes mit einem Orchimeter vermessen (Abb. 4). Die Urogenitalorgane wurden bei beiden Geschlech- tern mit Hilfe unterschiedlicher Ultraschallverfahren Abb. 1: b) Tiertransportkiste. mittels Inhalationsnarkose (Isofluran/Sauerstoff) ruhig zu stellen. Die Einleitung der Narkose erfolgte in einer speziellen, dicht verschließbaren Narkose- box. Nach Einschlafen des Tieres in der Box wurde die Narkose auf dem Untersuchungstisch mittels Gesichtsmaske aufrechterhalten (Abb. 2). Das ver- wendete Inhalationsnarkotikum ermöglichte eine schonende und kontrollierte Ruhigstellung während der Untersuchung. Herzfrequenz sowie Sauerstoff- sättigung des Blutes wurden mit Hilfe eines Pulsoxi- meters permanent kontrolliert. Negative Einflüsse auf Vitalitätsparameter der Elterntiere und Feten konnten nicht nachgewiesen werden. In Vorbereitung auf die ultrasonographischen Unter- Abb. 2: a) Dicht verschließbare Narkosebox - der Plexiglaseinsatz suchungen erfolgte bei beiden Geschlechtern die im Deckel ermöglichte die ständige Sichtkontrolle. 48 NUA-Seminarbericht Band 7
Wo liegt der Hase im Pfeffer? Abb. 2: b) Narkosegesichtsmaske zur Aufrechterhaltung der Iso- Abb. 3: Punktion der Vena femoralis an der Innenseite des Hinter- fluran-Inhalationsnarkose während der Untersuchung. laufes zur Blutentnahme. (Graustufen-, Color-Flow-Doppler- und 3-D-Sono- Für die Ejakulatgewinnung durch Elektrostimulation graphie) untersucht. Die für die reproduktive Diagnos- musste erst eine bisher noch nicht verfügbare, den tik gewählten Sondenfrequenzen zwischen 4 und 12 anatomischen Gegebenheiten des Feldhasen ange- MHz ermöglichen die Darstellung von Strukturen bis passte Sonde entwickelt und hergestellt werden zu 0,6 mm Größe. Bei den weiblichen Tieren wurden (Abb. 9). Mit der im Durchmesser ca. 1 cm starken Gebärmutter und Eierstöcke mit vorhandenen Funkti- und 3,5 cm langen Sonde war es möglich, den Eja- onskörpern wie Follikel oder Gelbkörper erfasst kulationsprozess durch elektrische Stimulation im (Abb. 5). Diese Form der nicht invasiven Untersu- Niedervoltbereich auszulösen. Die gewonnenen Pro- chung erlaubte darüber hinaus die Ermittlung der ben wurden bezüglich Volumen, Farbe, Spermien- Gesamtzahl der Fruchtanlagen sowie die Untersu- dichte, -motilität und -morphologie untersucht. Bei chung auf Resorptionen und Uterusnarben vorausge- nicht erfolgreicher Elektroejakulation und/oder dem gangener Trächtigkeiten. Mit Hilfe der zur Verfügung Verdacht auf eine Oligozoospermie wurden Hoden- stehenden Technik gelang durch Darstellung unter- schiedlicher Entwicklungsstadien die Altersbestim- mung der Embryonen bzw. Feten (Abb. 6). Bei den männlichen Tieren wurden insbesondere die akzessorischen Geschlechtsdrüsen sowie die Hoden untersucht (Abb. 7). Die Color-Flow-Doppler-Sono- graphie (farbkodierte Darstellung der Fließeigen- schaften des Blutes) an Keimdrüsen, akzessorischen Geschlechtsdrüsen, Uterus und Plazenta ermöglicht Aussagen über den Aktivitätszustand dieser Organe. Diese Technik ermöglichte eine genaue Beurteilung der fetalen Herzaktivität und damit eine zuverlässige Einschätzung der fetalen Lebensfähigkeit. 3-D-Ultra- schalltechnik erlaubte durch detaillierte räumliche Organdarstellungen die präzise Beurteilung der embryonalen bzw. fetalen Integrität sowie ein früh- zeitiges Erkennen fetaler Missbildungen oder Schä- Abb. 4: Vermessen der Hoden mittels Orchimeter; schematisierte Darstellung der digungen (Abb. 8). Dimensionen. NUA-Seminarbericht Band 7 49
Faßbender et al.: Fruchtbarkeit Europäischer Feldhasen Abb. 5: Ultrasonographische Darstellung der Gonaden weiblicher Tiere mit einem 10 MHz Linear-Schallkopf. a) Gegen das echodichte Ovarparenchym hebt sich der Follikel als echoärmere Struktur deutlich ab. b) Aktive Trächtigkeitsgelbkörper (C.l. ‰ Corpus luteum) assozi- iert mit der Darstellung embryonaler und fetaler Strukturen waren sichere Zeichen für das Vorliegen einer Trächtigkeit. Abb. 6: Die Fetometrie ermöglichte eine Altersbestimmung der Fruchtanlagen. a) Fetus ca. 20. Trächtigkeitstag. b) Fetus kurz vor der Geburt, ca. 41. Trächtigkeitstag. 50 NUA-Seminarbericht Band 7
Wo liegt der Hase im Pfeffer? Abb. 7: Transkutane Darstellung der Hoden mit einem 10 MHz Linearschallkopf. a) Nebenhodenschwanz (Cauda epididymidis). b) Hoden mit zentral gelegenem Rete testis sowie am unteren Bildrand erkennbarem Nebenhodenkörper (Corpus epididymidis). c) Nebenhodenkopf (Caput epididymidis). Abb. 8: 3-D-Ultrasonographie. Fetus kurz vor der Geburt mit schematischer Andeutung der Ohren- und Rumpfform. NUA-Seminarbericht Band 7 51
Faßbender et al.: Fruchtbarkeit Europäischer Feldhasen ten, dass 68,1% der Tiere tragend respektive 19,9% laktierend waren. Lediglich 12,1% der Tiere waren weder tragend noch laktierend. Bei all diesen Tieren wurden jedoch im Rahmen der ultrasonographischen Untersuchung Follikel bzw. Gelbkörper an den Keimdrüsen gefunden, die eine physiologische zyklische Aktivität auch an diesen Individuen beleg- ten. In keinem der Fälle gab es Anzeichen auf fetalen Tod oder Missbildungen. Die partielle embryonale Resorption (bis zum Stadium der Gastrulaformation) insbesondere bei Mehrlings- trächtigkeiten betrug im Untersuchungsmaterial ca. 11%. Dieses Phänomen findet sich auch bei anderen Wildtierarten, deren Populationsgrößen jedoch stabil sind. Im Mittel wurden 2,1 Embryonen/Feten je Trächtig- keit gezählt. Maximal waren 5 Fruchtanlagen pro Trächtigkeit vorhanden. Die Elektroejakulation ergab mehrere Fraktionen. In den meisten Fällen konnten drei Phasen unterschie- den werden. Dem zum größten Teil spermienfreien Vorsekret (0,3–0,8 ml) folgte eine spermienreiche Hauptphase (0,5–1,5 ml). Die dritte Fraktion (0,5– 3,0 ml) war durch eine erhöhte Viskosität gekenn- zeichnet. Die Spermiendichte aller untersuchten männlichen Tiere betrug im Mittel 218,8 x 106 / ml (±421,9). Der Befruchtungserfolg wird jedoch auch Abb. 9: a) Elektrostimulationssonde zur Ejakulatgewinnung. b) Schematisierte Dar- maßgeblich durch die Fähigkeit zur aktiven Fortbe- stellung des männlichen Genitaltraktes. Die Pfeile markieren die Sondenposition wegung der Spermien beeinflusst. Die Motilität lag während der Stimulation. im Mittel bei 87,3% (±11,21). An Hand mikroskopi- scher Untersuchungen wurden 84,6% (±14,7) der bioptate (ultraschallgestützte Feinnadelbiopsie) ent- Spermien als morphologisch intakt bewertet. Die bei nommen. Die anschließende Beurteilung durch das sehr geringer Spermienkonzentration im Ejakulat Verfahren der Durchflusszytometrie charakterisiert durchgeführte flowcytometrische Analyse von Biop- die Verteilung der testikulären Zelltypen und ermög- taten ergab normale Werte der Spermatogenese. licht somit die anteilige Bestimmung der Spermati- den an der Gesamtzellpopulation des Hodens. Als Schlussfolgerung lässt sich feststellen, dass Bei den Tieren, die nach einem Jahr zum zweiten weder bei den weiblichen noch bei den männlichen Mal im Rahmen dieser Studie untersucht wurden, Tieren bis zum jetzigen Zeitpunkt eine Abnahme der war der Gesundheitszustand als sehr gut einzustufen. Fruchtbarkeitsleistung ermittelt werden konnte. Alle Die durchgeführten Untersuchungen in den vorher- untersuchten weiblichen Tiere zeigten sich repro- gehenden Jahren scheinen die Tiere bezüglich ihrer duktionsbiologisch aktiv. Auch bei den männlichen Allgemeingesundheit und Geschlechtsgesundheit Tieren waren mitotische und meiotische Keimzell- nicht negativ beeinflusst zu haben. teilungsprozesse sowie die Spermiogenese als un- gestört einzustufen. Bisher gibt es keine Hinweise Die Ergebnisse der Untersuchungen von den insge- darauf, dass Störungen in der primären Fortpflan- samt 142 hinsichtlich ihrer reproduktionsbiologi- zung für den Rückgang der Populationen verantwort- schen Gesundheit beurteilten weiblichen Tiere zeig- lich zu machen wären. 52 NUA-Seminarbericht Band 7
Wo liegt der Hase im Pfeffer? Da bisher nur wenig aussagekräftige, meist auf Schätz- Mirko Quest werten beruhende Informationen über die postnatale Thomas Lengwinat Sterblichkeit sowie über die Junghasenentwicklung Thomas Hildebrandt zur Verfügung stehen, wurde im vergangenen Früh- Institut für Zoo- und Wildtierforschung jahr damit begonnen, Junghasen im Feld mittels Alfred-Kowalke-Str. 17 10315 Berlin moderner Infrarottechnik aufzuspüren und deren Ent- wicklung zu verfolgen. In Zukunft bedarf es weiterer Markus Gilles Studien, um erste Tendenzen mit zuverlässigen Zah- André Lange len zu untermauern. Diese Methode bietet aber Klinik für Fortpflanzung sicherlich neue Möglichkeiten auf dem sonst nur sehr FB Veterinärmedizin schwer zugänglichen Gebiet der Jungtierentwick- FU Berlin lungsdokumentation bei im Freiland lebenden Arten. Königsweg 63 14163 Berlin Heinrich Spittler Anschriften der Verfasser: Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung Mirja Faßbender und Forsten (LÖBF) / Forschungsstelle für Frank Göritz Jagdkunde und Wildschadenverhütung Steffen Blottner Pützchens Chaussee 228 Alexandra Broich 53229 Bonn NUA-Seminarbericht Band 7 53
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