Wie wär's mit einem anständigen Zoo? - Jörg Luy GASTEDITORIAL
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GASTEDITORIAL TIERethik 6. Jahrgang 2014/2 Heft 9, S. 7-12 Wie wär’s mit einem anständigen Zoo? Jörg Luy Nicht nur Berlin allein – es scheint, als ob sich gerade die ganze Republik Gedanken darüber macht, mit welchem Konzept Zoos in Zukunft betrie- ben werden sollten. Viele Menschen haben ein Interesse an Zoos – aus unterschiedlichen Motiven. Viele Ideen sind bereits vorgetragen worden; das zentrale Problem jedoch wird umschlichen wie der sprichwörtliche „heiße Brei“. Die Frage, die nicht zuletzt auch über den beiden Berliner Einrichtungen schwebt, lautet doch: Lässt sich überhaupt ein Zoo denken, der keine unlösbaren ethischen Probleme aufwirft? Ein Zoo, der von den Menschen und den Tieren geliebt würde? Oder ist das Zoobusiness per se ein nicht komplett zu rechtfertigendes? Ein Geschäft, bei dem nicht alles moralisch Wünschenswerte auch umgesetzt werden kann? Vor sechs Jahren hat die World Association of Zoos and Aquariums (WAZA) in der Schweiz ein Symposium zu der Frage veranstaltet: „Was ist ein guter Zoo?“ Das im umfangreichen Tagungsband niedergelegte Konsensdokument der Zoodirektoren umfasst bemerkenswerterweise nur einen einzigen, allerdings von Weisheit berührten Satz: „Ein guter Zoo ist ein Zoo, in dem sich die Tiere, die Besucher und das Personal wohl füh- len, der wirtschaftlich und nachhaltig arbeitet, der dem Tier-, Natur- und Artenschutz verpflichtet ist und der die Empfehlungen der Welt-Zoo- und Aquarium-Naturschutzstrate- gie bestmöglich umsetzt.“ Damit ist der Rahmen gesteckt. Es ist davon auszugehen, dass diese Ant- wort auch weit über den Kreis der Zoo-Profis hinaus konsensfähig ist. Es ist schwer vorstellbar, dass überhaupt jemand widersprechen könnte. Und doch besteht kein Anlass, die Zoofrage damit als erledigt und in besten Händen zu wähnen. Denn, so wird es einem gleich durch den Kopf schie- ßen: Warum sind denn die Zoos gemessen am Ideal des „guten Zoos“ keine eben solchen, wo doch anscheinend ein Konsens unter den Zoodi- ZOO TIERethik, 6. Jg. 9(2014/2) | 7 |
| Jörg Luy rektoren über diese Definition besteht? Zum einen liegt es wohl daran, dass es sich um ein Ideal handelt. Selbst bei bestem Willen ist es unmöglich sicherzustellen, dass sich je- derzeit jeder Mitarbeiter und jedes Tier wohl fühlt oder dass immer nach- haltig und gleichzeitig wirtschaftlich gearbeitet wird. Ganz zu schweigen von den Spannungen, die zwischen dem Tier- und dem Artenschutz be- stehen. Zum anderen wirken im Alltag zahlreiche Kräfte den Idealen entgegen. Da sind die wirtschaftlichen Zwänge, die jeden noch so moti- vierten Zoodirektor veranlassen, seine Wunschvorstellungen mit viel Ge- duld über einen langen Zeitraum zu verplanen, was zwangsläufig eine Tendenz zur Gewöhnung an Suboptimales begünstigt. Da ist die Politik, die parteiübergreifend darum bemüht ist, beim Thema Zoo ihre Wähler- schaft nicht zu verstimmen. Und die infolge nur dunkel erahnter Wünsche der Bevölkerung nicht immer die sinnvollsten Weichenstellungen für Zoos vornimmt. Und da sind die individuellen Motive der Zoodirektoren, die schließlich nicht alle diese Laufbahn eingeschlagen haben, um genau das umzusetzen, was neuerdings unter einem „guten Zoo“ verstanden wird. Was also ist zu tun, um dennoch zu einem „guten Zoo“ zu gelangen? Das WAZA-Dokument benennt mehrere ethische Aspekte und – gewis- sermaßen als limitierenden Gegenpol – die Wirtschaftlichkeit. Letztere stellt schon immer die Achillesferse jeder Zookonzeption dar. Selbstver- ständlich brauchen Zoos keine Überschüsse zu generieren. Soweit sie als gemeinnützig anerkannt sind, dürften sie es nicht einmal. Es geht allein um ein Konzept, welches sich selbst trägt und keine öffentlichen Zu- schüsse benötigt. Je geringer die Ausgaben, desto preiswerter der Eintritt. Je preiswerter der Eintritt, desto mehr Besucher. Demgegenüber gilt aber auch: Attraktionen locken Besucher sogar aus der Ferne. Deren Zahl und ein entsprechender Aufpreis können die Investition wirtschaftlich klug erscheinen lassen. Attraktionen verführen allerdings auch zum Übertrei- ben. Für den Tierpark Friedrichsfelde ist dieser Balanceakt von nicht unerheblicher Relevanz. Denn die Berliner aus der Umgebung bilden seine Stammbesucher, und ob deren Verringerung gegebenenfalls durch zahlungskräftige Touristen kompensiert werden könnte, ist zumindest fraglich. Und anständig wäre es wohl auch nicht, die weniger zahlungs- kräftigen Stammgäste im neuen Tierpark auszusperren. Menschen leben heute in einer Kommunikationsgesellschaft und kom- munizieren als vermutlich einzige Tierart permanent. Unterstellt man, dass der durchschnittliche Zoobesucher heute mehr Interesse an der Kommunikation mit den Tieren, ersatzweise auch an der Beobachtung | 8 | TIERethik, 6. Jg. 9(2014/2) ZOO
Gasteditorial | lebhafter Interaktionen unter Tieren, als an zoologischen Fakten hat, dann sind die gegenwärtig praktizierten Zookonzepte allesamt nicht wirklich gut aufgestellt. Als Tier-Museen treffen die Zoos die gegenwärtige Ge- sellschaft nicht mehr ins Herz. Wo dennoch Begeisterung geweckt wird, sind es nicht ursächlich die Tiere. Von den Aquarien ausgehend hat sich ein ästhetischer Trend verbreitet, die Tiere in ihrer jeweils spezifischen Umwelt zu erleben, in ihre Welt einzutauchen und sich vom Exotischen inspirieren zu lassen. Käfige werden seit Jahrzehnten reduziert, nicht weil sie die Tiere ein-, sondern weil sie die Besucher aussperren. Dass sich dennoch kontinuierlich gewaltige Besucherzahlen dort einfinden, ist ins- besondere der Faszination geschuldet, die generell von lebenden Tieren ausgeht. Denn wir finden uns in ihnen wieder, während wir gleichzeitig unsere Überlegenheit genießen. Wir beneiden sie, und wir würden den- noch nie mit ihnen tauschen. Die Spannungen zwischen Besucher und lebendem Tier machen, sofern sie erlebbar werden, Tiere dauerhaft inte- ressant. Dies gilt heute vielleicht umso mehr, wo wir nicht mehr so genau wissen, wo überhaupt unser Platz auf der Erde ist. Dieses dauerhafte Inte- resse kann kein noch so spektakuläres Zoo-Bauvorhaben erzeugen; früher oder später wird Gewöhnung einsetzen. Das Erlebnis mit dem Tier sollte also im Vordergrund stehen – und möglichst nicht durch moralisches Unwohlsein belastet werden. Dazu reicht es längst nicht mehr, einfach alle problematischen Aspekte auszu- blenden und zu verschweigen. Dass dennoch darüber debattiert werden wird, zeigt das Beispiel Berlin deutlich. Nein, was nötig ist, um dauerhaft eine Höchstzahl an Besuchern zu erfreuen, ist ein völlig neuartiges Kon- zept, welches sich nur in einem Umfang auf moralische Risiken einlässt, wie diese durch transparente ethische Vertretbarkeitsprüfung gerechtfer- tigt werden können. Die Modelle, anhand derer solche Prüfungen durch- zuführen wären, sind von der Tierethik in den vergangenen Jahrzehnten insbesondere für die tierexperimentelle Forschung entwickelt worden und lassen sich problemlos auf den Zoobetrieb übertragen. Im Kern geht es einfach darum, auf moralisch problematische Tierhaltungen zu verzich- ten, während in den Dilemmata, die insbesondere durch das Artensterben aufgeworfen werden, nur angemessene und niemals unverhältnismäßige Belastungen der Tiere in Kauf genommen werden dürfen. Das liegt zwar theoretisch ganz auf der WAZA-Linie (Welt-Zoo- und Aquarium-Natur- schutzstrategie), müsste aber aus den genannten Gründen, wieder ver- gleichbar der tierexperimentellen Forschung, einer unabhängigen Kon- trolle unterworfen werden. ZOO TIERethik, 6. Jg. 9(2014/2) | 9 |
| Jörg Luy Zookritik entwickelt sich niemals dort, wo gar kein Zweifel an einem sowohl umfassend artgerechten als auch im Prinzip schmerz- und leid- freien Leben der Tiere aufkommt. Als Referenz für eine im weitesten Sinne unproblematische Präsentation von Tieren können daher frei le- bende, unversehrt im Präsentationsgelände siedelnde Populationen heran- gezogen werden. Aufsehen erregende Beispiele reichen von Störchen, Graureihern und Gänsegeiern bis zu Staaten bildenden Insekten. Der Umstand, dass diese Tiere den Zoo jederzeit verlassen könnten, wenn ihnen die dortigen Lebensbedingungen Stress verursachen, entzieht jeder Zookritik den Boden. Wenn überdies Maßnahmen ergriffen werden, um die Tiere bei der Befriedigung ihrer Bedürfnisse und bei der Abwehr von Gefahren zu unterstützen, sind – mit dem Nebeneffekt zunehmender Standorttreue – selbst die Wünsche äußerst tierlieber Menschen erfüllt. Die Präsentation frei lebender Populationen sollte daher eine kleine, aber zentrale Rolle im Zookonzept der Zukunft spielen, da sie es dem verantwortungsbewusst-kritischen Zoobesucher auf eine transparente und Vertrauen erzeugende Weise ermöglicht, das Verhalten und den Zustand von Tieren in einer ethisch idealen Umwelt mit den übrigen Tieren des Zoos oder Aquariums zu vergleichen. Wo es sich anbietet, sollte mit eini- gen geeigneten Tierarten diese am Vorbild von Nisthilfen und Futter- häuschen für Vögel orientierte Präsentation frei lebender Populationen integriert werden. Bei Kulturfolger-Tierarten ermöglicht diese Form der Präsentation auch die Umsetzung des zoopädagogischen Ziels, die An- passungsfähigkeit von Tieren an neue Lebensräume real und zugleich in einer unproblematischen Weise zu demonstrieren. Frei lebende Tiere können überdies auch einfach deswegen präsentiert werden, weil diese Form der Mensch-Tier-Beziehung in ethischer Hinsicht ein für viele Menschen attraktives Ideal darstellt. Vermutlich besuchen nicht wenige Menschen Zoos und Aquarien, weil sie sich in einer ethisch möglichst unproblematischen Weise an mehr oder weniger zahmen Tieren erfreuen möchten. Eine weitere Form der Tierpräsentation, die bis zum Erweis des Ge- genteils als unproblematisch gelten kann, betrifft Tiere, bei denen keine Indizien, insbesondere veterinärmedizinische oder ethologische, darauf deuten, dass der Vorgang der Anpassung an den künstlichen Lebensraum und seine Strukturen, einschließlich der Beschränkung natürlicher Ver- haltensweisen, mit das Wohlbefinden beeinträchtigendem Stress verbun- den ist. Da aber diesen Tieren, im Gegensatz zu den erstgenannten, nicht unterstellt werden kann, sich ihre Lebensbedingungen im Zoo oder Aqua- rium selbst ausgewählt zu haben, können für Menschen unsichtbare Lei- | 10 | TIERethik, 6. Jg. 9(2014/2) ZOO
Gasteditorial | den bei diesen Tieren nicht sicher ausgeschlossen werden. Es ist daher für die haltenden Einrichtungen geboten, die Annahme, dass diese Tiere gut mit ihren Haltungsbedingungen zurechtkommen, regelmäßig durch eige- ne Forschung (bspw. zur Erfassung des Spektrums tatsächlich gezeigter Verhaltensweisen) auf den Prüfstand zu stellen. Die ethisch unproblematischen Formen der Tierpräsentation bedürfen im angesprochenen Rahmen keiner weiteren Rechtfertigung. Und andere Formen der Tierpräsentation sollte es künftig nicht mehr geben. Es soll- ten grundsätzlich keine Tiere gehalten werden, die durch Überforderung ihrer Anpassungsfähigkeit leiden. Die Welt-Zoo-Naturschutzstrategie for- dert die Zoos und Aquarien auf, ihre Ressourcen in den Dienst des Natur- schutzes zu stellen. Dies schließt auch die Frage ein, welche Tierarten gehalten werden sollen. Während die bisherige Antwort lautete, mög- lichst viele Tiere in Erhaltungszuchtprogrammen zu halten, sollte es im Zookonzept der Zukunft heißen: Außerhalb ethisch unproblematischer Haltungsformen sind Tiere nur aus moralisch legitimen Gründen (wie Artenschutz) in Obhut zu nehmen. Tieren bedrohter Arten als „Arche“ temporär einen Ersatzlebensraum zu bieten, bis die Menschheit darüber entschieden hat, ob sie den Originallebensraum erhalten oder anderweitig nutzen will, ist – innerhalb des Rahmens verhältnismäßiger Einschrän- kungen der Lebensqualität – ohne Zweifel rechtfertigungsfähig, wenn nicht gar eine moralische Forderung. Demgegenüber sind die jeweils im Rahmen des Bildungs-, Forschungs- oder Unterhaltungsauftrags verfolg- ten Zwecke in aller Regel nicht in der Lage, eine mit gestörtem Wohlbe- finden bzw. Leiden verbundene Tierhaltung im Zoo oder Aquarium zu rechtfertigen. Die angesprochenen Prüfungen der ethischen Vertretbarkeit müssen daher künftig auch die Bezugsquellen und den Transport der Tiere umfassen sowie das Bestandsmanagement und den Verbleib der Tiere, insbesondere die Rechtfertigungsgründe für eine angst- und schmerzlose Tötung (wie vom Tierschutzgesetz vorgeschrieben). Die Frage, ob sich ein Zoo denken lässt, der keine unlösbaren ethi- schen Probleme aufwirft, ist also zu bejahen. Man muss dazu nur das Konzept von der Ethik ausgehend entwerfen und nicht versuchen, es nachträglich passend zu machen. Ein solcher Zoo könnte weltweit erst- mals den Anspruch erheben, von den Menschen und den Tieren geliebt zu werden. Um zu einem solchen „guten Zoo“ zu gelangen, wäre der von den Zoodirektoren der WAZA beschriebene Weg zu beschreiten, aller- dings nicht naiv, sondern unter den Augen einer strengen unabhängigen Kontrolle. ZOO TIERethik, 6. Jg. 9(2014/2) | 11 |
| Jörg Luy Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. vet. Jörg Luy M.A. Fachtierarzt für Tierschutz und Ethik Privates Forschungs- und Beratungsinstitut für angewandte Ethik und Tierschutz INSTET Menckenstr. 8 12157 Berlin E-Mail: j.luy@gmx.de | 12 | TIERethik, 6. Jg. 9(2014/2) ZOO
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