Informatik Spektrum - Software Engineering E-ID-Gesetz und Datenschutz Informatikunterricht in Deutschland - eine Übersicht - GI Radar

 
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Informatik Spektrum - Software Engineering E-ID-Gesetz und Datenschutz Informatikunterricht in Deutschland - eine Übersicht - GI Radar
Organ der Gesellschaft für Informatik e.V.              Band 44 • Heft 2 • April 2021
      und mit ihr assoziierter Organisationen

      Informatik
      Spektrum

                                                           Software Engineering
                                                    E-ID-Gesetz und Datenschutz
123                         Informatikunterricht in Deutschland – eine Übersicht
Informatik Spektrum - Software Engineering E-ID-Gesetz und Datenschutz Informatikunterricht in Deutschland - eine Übersicht - GI Radar
ZUM TITELBILD
     Informatik
        Spektrum                                    Organ der Gesellschaft für Informatik e. V. und mit ihr assoziierter Organisationen

       Physikalisch plausible monokulare 3D-Bewegungserfassung
       Unser neues Framework „PhysCap“ erfasst umfassende menschliche
       3D-Bewegungen in einer physikalisch plausiblen Weise aus 2D-Videos in
       Echtzeit, automatisch und ohne den Einsatz von Markern. Die Abbildung
       zeigt einen Standweitsprung und unsere 3D-Rekonstruktionen.
       Dank seiner Entwicklung auf der Basis physikalisch basierter Dynamik,
       kann unser Algorithmus komplexe menschliche 3D-Bewegungen, die in 2D
       aufgenommen wurden, wiederherstellen und Artefakte wie das Gleiten der
       Füße, das Durchdringen des Fußbodens, unnatürliche Körperneigung und
       Flackern vermeiden, die früheren monokularen Posenschätzungsmethoden
       Probleme bereiteten.
       Quelle: Max-Planck-Institut für Informatik

A2
Informatik Spektrum - Software Engineering E-ID-Gesetz und Datenschutz Informatikunterricht in Deutschland - eine Übersicht - GI Radar
INHALT
                  Informatik
                     Spektrum
Band 44 | Heft 2 | April 2021
                                                                         Organ der Gesellschaft für Informatik e. V. und mit ihr assoziierter Organisationen

                                EDITORIAL
                                Peter Pagel
                         81     Ist ja alles so schön bunt hier …

                                HAUPTBEITRÄGE
                                Michael Felderer · Ralf Reussner · Bernhard Rumpe
                         82     Software Engineering und Software-Engineering-Forschung im Zeitalter
                                der Digitalisierung. Ein Beitrag über das aktuelle und zukünftige
                                Selbstverständnis des Software Engineering
                                Richard Schwarz · Lutz Hellmig · Steffen Friedrich
                         95     Informatikunterricht in Deutschland – eine Übersicht
                                Bernhard G. Humm · Hermann Bense · Michael Fuchs · Benjamin Gernhardt ·
                                Matthias Hemmje · Thomas Hoppe · Lukas Kaupp · Sebastian Lothary · Kai-Uwe Schäfer ·
                                Bernhard Thull · Tobias Vogel · Rigo Wenning
                         104    Machine intelligence today: applications, methodology, and
                                technology. Selected results of the 1st online Dagstuhl workshop on
                                applied machine intelligence
                                Mathias Ellmann
                         115    Fernlehren und Fernlernen von Objektorientierter Programmierung
                                (OOP)

                                AKTUELLES SCHLAGWORT
                                Ernst Denert
                         122    Software Engineering

                                KOLUMNE
                                Gunter Dueck
                         126    Digitaler Workaround ist keine Digitalisierung. Wem berechtigte Kritik
                                egal ist, der siecht dahin

                                REZENSION
                                Frank J. Furrer
                         129    Buchrezension. Ada Byron Lovelace and the Thinking Machine

                                FORUM
                                Stefan Ullrich · Rainer Rehak
                         131    Gewissensbits – wie würden Sie urteilen?
                                Ursula Sury
                         134    E-ID-Gesetz und Datenschutz
                                Reinhard Wilhelm
                         136    Verifizierter Interessenskonflikt. Einsichten eines Informatikers von
                                geringem Verstande
                                Rolf Windenberg
                         138    Um etliche Ecken ged8. Gehirn-Jogging auf Basis der math.- und
                                informatisch-orientierten Rechtschreibreform

                                MITTEILUNGEN
                         140    Mitteilungen der GI im Informatik Spektrum 2/2021
Informatik Spektrum - Software Engineering E-ID-Gesetz und Datenschutz Informatikunterricht in Deutschland - eine Übersicht - GI Radar
Informatik
                  Spektrum                                         Organ der Gesellschaft für Informatik e. V. und mit ihr assoziierter Organisationen

     Hauptaufgabe dieser Zeitschrift ist die Weiterbil-     der Schweiz oder eines Staates der Europäischen         Prof. Dr. H. Federrath, Universität Hamburg
     dung aller Informatiker durch Veröffentlichung         Gemeinschaft ist, kann unter bestimmten Voraus-         Prof. O. Günther, Ph. D., Universität Potsdam
     aktueller, praktisch verwertbarer Informationen        setzungen an der Ausschüttung der Bibliotheks- und      Prof. Dr. D. Herrmann,
     über technische und wissenschaftliche Fort-            Fotokopietantiemen teilnehmen. Nähere Einzelhei-        Otto-Friedrich-Universität Bamberg
     schritte aus allen Bereichen der Informatik und        ten können direkt von der Verwertungsgesellschaft       Prof. Dr. W. Hesse, Universität Marburg
     ihrer Anwendungen. Dies soll erreicht werden           WORT, Abteilung Wissenschaft, Goethestr. 49,            Dr. Agnes Koschmider, Universität Kiel
     durch Veröffentlichung von Übersichtsartikeln und      80336 München, eingeholt werden.                        Dr.-Ing. C. Leng, Google
     einführenden Darstellungen sowie Berichten über              Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Han-           Prof. Dr. F. Mattern, ETH Zürich
     Projekte und Fallstudien, die zukünftige Trends        delsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dieser            Prof. Dr. K.-R. Müller, TU Berlin
     aufzeigen.                                             Zeitschrift berechtigt auch ohne besondere Kenn-        Prof. Dr. W. Nagel, TU Dresden
            Es sollen damit unter anderem jene Leser an-    zeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen       Prof. Dr. E. Portmann, Universität Fribourg
     gesprochen werden, die sich in neue Sachgebiete        im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-            Prof. Dr. F. Puppe, Universität Würzburg
     der Informatik einarbeiten, sich weiterbilden, sich    Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher     Prof. Dr. R.H. Reussner, Universität Karlsruhe
     einen Überblick verschaffen wollen, denen aber         von jedermann benutzt werden dürfen.                    Prof. Dr. S. Rinderle-Ma, Universität Wien
     das Studium der Originalliteratur zu zeitraubend                                                               Prof. Dr. O. Spaniol, RWTH Aachen
     oder die Beschaffung solcher Veröffentlichungen        Vertrieb, Abonnement, Versand                           Dr. D. Taubner, München (bis 2020: msg systems ag)
     nicht möglich ist. Damit kommt als Leser nicht nur     Papierausgabe: ISSN 0170-6012                           Sven Tissot, Iteratec GmbH, Hamburg
     der ausgebildete Informatikspezialist in Betracht,     elektronische Ausgabe: ISSN 1432-122X                   Prof. Dr. Herbert Weber, TU Berlin
     sondern vor allem der Praktiker, der aus seiner Ta-    Erscheinungsweise: zweimonatlich
     gesarbeit heraus Anschluss an die wissenschaftliche
     Entwicklung der Informatik sucht, aber auch der              Den Bezugspreis können Sie beim Customer
     Studierende an einer Fachhochschule oder Univer-       Service erfragen: customerservice@springernature.
     sität, der sich Einblick in Aufgaben und Probleme      com. Die Lieferung der Zeitschrift läuft weiter, wenn
     der Praxis verschaffen möchte.                         sie nicht bis zum 30.9. eines Jahres abbestellt wird.    Impressum
            Durch Auswahl der Autoren und der The-          Mitglieder der Gesellschaft für Informatik und der       Verlag:
     men sowie durch Einflussnahme auf Inhalt und            Schweizer Informatiker Gesellschaft erhalten die         Springer, Tiergartenstraße 17,
     Darstellung – die Beiträge werden von mehreren         Zeitschrift im Rahmen ihrer Mitgliedschaft.              69121 Heidelberg
     Herausgebern referiert – soll erreicht werden, dass          Bestellungen oder Rückfragen nimmt jede
     möglichst jeder Beitrag dem größten Teil der Le-       Buchhandlung oder der Verlag entgegen.                   Redaktion:
     ser verständlich und lesenswert erscheint. So soll     SpringerNature, Kundenservice Zeitschriften,             Peter Pagel, Vanessa Keinert
     diese Zeitschrift das gesamte Spektrum der Infor-      Tiergartenstr. 15, 69121 Heidelberg, Germany             Tel.: +49 611 787 8329
     matik umfassen, aber nicht in getrennte Sparten        Tel. +49-6221-345-0, Fax: +49-6221-345-4229,             e-mail: Peter.Pagel@springer.com
     mit verschiedenen Leserkreisen zerfallen. Da die       e-mail: customerservice@springernature.com
     Informatik eine sich auch weiterhin stark ent-         Geschäftszeiten: Montag bis Freitag 8–20 h.
     wickelnde anwendungsorientierte Wissenschaft ist,            Bei Adressänderungen muss neben dem Ti-            Herstellung:
     die ihre eigenen wissenschaftlichen und theore-        tel der Zeitschrift die neue und die alte Adresse        Madeleine Schnurr,
     tischen Grundlagen zu einem großen Teil selbst         angegeben werden. Adressänderungen sollten               e-mail: Madeleine.Schnurr@springer.com
     entwickeln muss, will die Zeitschrift sich an den      mindestens 6 Wochen vor Gültigkeit gemeldet
     Problemen der Praxis orientieren, ohne die Auf-        werden. Hinweis gemäß §4 Abs. 3 der Postdienst-          Redaktion Gl-Mitteilungen:
     gabe zu vergessen, ein solides wissenschaftliches      Datenschutzverordnung: Bei Anschriftenänderung           Cornelia Winter
     Fundament zu erarbeiten. Zur Anwendungsori-            des Beziehers kann die Deutsche Post AG dem Verlag       Gesellschaft f¨ur Informatik e.V. (GI)
     entierung gehört auch die Beschäftigung mit den        die neue Anschrift auch dann mitteilen, wenn kein        Wissenschaftszentrum,
     Problemen der Auswirkung der Informatikan-             Nachsendeauftrag gestellt ist. Hiergegen kann der        Ahrstraße 45, D-53175 Bonn,
     wendungen auf den Einzelnen, den Staat und die         Bezieher innerhalb von 14 Tagen nach Erscheinen          Tel.: +49 228-302-145, Fax: +49 228-302-167,
     Gesellschaft sowie mit Fragen der Informatik-          dieses Heftes bei unserer Abonnementsbetreuung           Internet: http://www. gi.de,
     Berufe einschließlich der Ausbildungsrichtlinien       widersprechen.                                           e-mail: gs@gi.de
     und der Bedarfsschätzungen.
                                                            Elektronische Version                                    Wissenschaftliche Kommunikation:
                                                            springerlink.com                                         Anzeigen: Eva Hanenberg
     Urheberrecht                                                                                                    Abraham-Lincoln-Straße 46
     Mit der Annahme eines Beitrags überträgt der Au-                                                                65189 Wiesbaden
     tor Springer (bzw. dem Eigentümer der Zeitschrift,     Hinweise für Autoren                                     Tel.: +49 (0)611/78 78-226
     sofern Springer nicht selbst Eigentümer ist) das       http://springer.com/journal/00287                        Fax: +49 (0)611/78 78-430
     ausschließliche Recht zur Vervielfältigung durch                                                                eva.hanenberg@springer.com
     Druck, Nachdruck und beliebige sonstige Verfahren
     das Recht zur Übersetzung für alle Sprachen und
                                                            Hauptherausgeber
                                                            Prof. Dr. Dr. h. c.mult. Wilfried Brauer (1978–1998)     Satz:
     Länder.
                                                            Prof. Dr. Dr. h. c. Arndt Bode,                          le-tex publishing services GmbH, Leipzig
            Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen
                                                            Technische Universität München (1999–2019)
     einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urhe-
                                                            Prof. Dr. T. Ludwig,                                     Druck:
     berrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht
                                                            Deutsches Klimarechenzentrum GmbH, Hamburg               Printforce,
     ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen
                                                            (seit 2019)                                              The Netherlands
     ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustim-
     mung des Eigentümers. Das gilt insbesondere für
     Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen,      Herausgeber                                              springer.com
     Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und            Prof. Dr. S. Albers, TU München
     Verarbeitung in elektronischen Systemen. Jeder         Prof. A. Bernstein, Ph. D., Universität Zürich           Eigentümer und Copyright
     Autor, der Deutscher ist oder ständig in der Bundes-   Prof. Dr. T. Braun, Universität Bern                     © Springer-Verlag GmbH Deutschland,
     republik Deutschland lebt oder Bürger Österreichs,     Prof. Dr. O. Deussen, Universität Konstanz               ein Teil von Springer Nature, 2021

A4
Informatik Spektrum - Software Engineering E-ID-Gesetz und Datenschutz Informatikunterricht in Deutschland - eine Übersicht - GI Radar
Informatik Spektrum (2021) 44:81
https://doi.org/10.1007/s00287-021-01350-2

    EDITORIAL

Ist ja alles so schön bunt hier ...
Peter Pagel1

Angenommen: 10. März 2021
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021

einigen ist es sicher schon aufgefallen, seit der vergange-             Workaround keine Digitalisierung ist. Wir wünschen allen
nen Ausgabe sind die Abbildungen im Informatik Spektrum                 Lesern eine spannende Lektüre und viele neue Sichtweisen
farbig. Bislang waren diese schwarzweiß – ein Relikt aus                und Anregungen.
der Historie dieser traditionsreichen Zeitschrift. Farbe ist
bekanntlich mehr als Schmuck, viele Grafiken und Illustra-              Bleiben Sie gesund!
tionen sind leichter zu erfassen oder aussagekräftiger, wenn
mehrere Farben und nicht nur Grauschattierungen verwen-                 Peter Pagel
det werden – vielleicht ein Grund mehr, um über ein Abon-               Chefredakteur
nement des gedruckten Heftes nachzudenken?
                                                                                                   Peter Pagel
   Mit Heft 1/2021 hatten wir uns einem ungewöhnlichen
Thema gewidmet, der digitalen Kunst. Uns und den Betei-
ligten hat das viel Spaß gemacht, wir hoffen, Ihnen ebenso.
Sollten Sie Ideen oder konkrete Vorschläge für außerge-
wöhnliche Inhalte mit IT-Bezug haben, hat die Redaktion
dafür immer ein offenes Ohr. Wir freuen uns auf Nachrich-
ten von Ihnen.
   Das aktuelle Heft wendet sich wieder allgemeinen The-
men zu. Die hier gesammelten Texte drehen sich um so
unterschiedliche Themen wie den Informatikunterricht in
Deutschland, Machine Intelligence, die Fernlehre zu Objek-
torientierter Programmierung sowie Software Engineering.
Außerdem erklärt Gunter Dueck, weshalb ein digitaler

 Peter Pagel
     peter.pagel@springer.com

1
     Wiesbaden, Deutschland

                                                                                                                       K
Informatik Spektrum - Software Engineering E-ID-Gesetz und Datenschutz Informatikunterricht in Deutschland - eine Übersicht - GI Radar
Informatik Spektrum (2021) 44:82–94
https://doi.org/10.1007/s00287-020-01322-y

    HAUPTBEITRAG

Software Engineering und Software-Engineering-Forschung im
Zeitalter der Digitalisierung

Ein Beitrag über das aktuelle und zukünftige Selbstverständnis des Software Engineering

Michael Felderer1 · Ralf Reussner2 · Bernhard Rumpe3

Online publiziert: 13. November 2020
© Der/die Autor(en) 2020

Zusammenfassung
Die Digitalisierung und der damit verbundene digitale Wandel durchdringen alle Lebensbereiche. Qualitativ hochwertige
Software ist der zentrale Baustein und Treiber der Digitalisierung. Damit nimmt auch das ingenieurmäßige Erstellen von
Software, das Software Engineering, eine zentrale Rolle im digitalen Wandel ein und ist dabei selbst großen Veränderungen
unterworfen. Dieser Artikel versucht deshalb eine Standortbestimmung des Software Engineering und seiner Forschung
im Zeitalter der Digitalisierung vorzunehmen.

     „Die Informatik verändert sich. Deshalb müssen auch        Software und damit das Software Engineering zum kriti-
     die Informatiker Ihre Rolle in der Gesellschaft neu        schen Baustein und zentralen Innovationstreiber der Digi-
     überdenken.“                                               talisierung in allen Lebensbereichen. Auch wissenschaft-
     von Ranga Yogeshwar 2018 auf der Informatik                lich ergeben sich neue Chancen und Herausforderungen für
     Tagung der GI.                                             das Software Engineering als treibende Disziplin bei der
                                                                Entwicklung jedweder technischer Innovation. Gerade die
                                                                Chancen dürfen allerdings auch nicht dem Wettbewerb um
                                                                bibliometrische Zahlen als Selbstzweck geopfert werden.
Aktueller Stand und Beobachtungen
                                                                Trends
Die Digitalisierung wirkt sich nicht nur auf die Gesellschaft
aus, sie verlangt auch eine Neubestimmung des Standorts         Konkret können wir gegenwärtig wenigstens diese sieben
der Informatik und der InformatikerInnen, wie sie der Wis-      Trends über Software und das Software Engineering beob-
senschaftsjournalist Yogeshwar in seinem obigen Zitat an-       achten:
regt. Da gerade sämtliche Aspekte der Digitalisierung auf
                                                                1. Software spielt in vielen Produkten die Rolle des we-
Software beruhen, soll dieser Artikel der Versuch einer
                                                                   sentlichen Innovationstreibers oder Produkte werden
Neubestimmung insbesondere der Rolle des Software En-
                                                                   durch softwarebasierte Dienstleistungen ergänzt, um
gineering und seiner Forschung sein. Schon jetzt haben
                                                                   sich am Markt wesentlich zu differenzieren. Beispiele
softwarebasierte Produkte, Systeme oder Dienstleistungen
                                                                   sind automatisiertes Fahren oder die Digitalisierung von
praktisch alle Lebensbereiche durchdrungen. Dadurch wird
                                                                   Geschäftsprozessen.
                                                                2. Software integriert Geräte und Dienstleistungen und ist
                                                                   damit der Kern sogenannter Systems-of-Systems. Bei-
 Michael Felderer
     michael.felderer@uibk.ac.at                                   spiele sind die Themen zusammengefasst unter „Indus-
                                                                   trie 4.0“, das Smart Energy Grid oder moderne multimo-
1
     Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich                  dale Mobilitätssysteme.
2
     KIT Karlsruhe, Karlsruhe, Deutschland                      3. Software wird sogar noch zunehmend von Personen ent-
3
                                                                   wickelt, die dies nicht primär gelernt haben. Das liegt
     RWTH Aachen, Aachen, Deutschland

K
Informatik Spektrum - Software Engineering E-ID-Gesetz und Datenschutz Informatikunterricht in Deutschland - eine Übersicht - GI Radar
Informatik Spektrum (2021) 44:82–94                                                                                        83

     zum Teil an der Unterversorgung des Arbeitsmarkts und          Mit der Industrialisierung und der Vergesellschaftung
     zum Teil an dem zur Entwicklung notwendigen Domä-           von Software und Daten einhergehend ist auch zu beob-
     nenwissen. Notwendiger- und glücklicherweise wird zu-       achten, dass immer mehr Menschen aktiv in die Entwick-
     mindest die Programmierung von Software zum Com-            lung von Software eingebunden sind, sei es durch die Be-
     modity, deren Möglichkeiten und Grundzüge allerdings        reitstellung von Anforderungen, das Testen von Systemen
     jeder wenigstens ansatzweise verstehen sollte.              im Feld oder die Teilnahme an der Softwareentwicklung
4.   Software nutzt zunehmend KI-Techniken, um Funk-             selbst und dass mit immer kürzeren Innovationszyklen auch
     tionalitäten zu lernen, zu verbessern oder anzupassen.      immer kürzere Entwicklungszyklen einhergehen. Konkret
     Dadurch wird die Überprüfung von Qualitätseigenschaf-       wird Software zur Laufzeit durch nachladbare Komponen-
     ten während der Entwicklungszeit eingeschränkt und          ten und Apps stark veränderlich, erweiter- und anpassbar.
     manchmal sogar verhindert, da das eigentliche Verhalten     Der Mensch ist als Datenquelle heute (mehr passiv) Teil
     der Software erst nach der Trainingsphase absehbar ist,     von Softwareökosystemen. Aber auch zur aktiven Konfi-
     und nicht nur durch bloße Analyse des Codes oder das        guration (z. B. der vielen einzelnen Geräte im zukünfti-
     klassische Testen von Anforderungen deduziert werden        gen E-Home) werden immer mehr Menschen die Fähigkeit
     kann. Beispiele finden sich etwa in der Bild- und Sprach-   benötigen, rudimentär Software zu programmieren („Pro-
     verarbeitung und damit auch in sicherheitskritischen        gramming as a Commodity“). Zudem rückt der Mensch als
     Systemen wie autonomen Fahrzeugen. Obwohl dies zum          User immer mehr in den Fokus der Entwicklung, um durch
     Beispiel aufgrund der Nutzung von Datenbanken im-           neue Interfaces wie Sprachein- und -ausgabe oder Aug-
     mer schon partiell so war, übernehmen nun die Daten         mented Reality die User Experience zu optimieren. Soft-
     eine stärkere Rolle bei der Definition des Verhaltens von   ware Engineering muss sich also in Zukunft nicht nur mit
     Software. Zudem haben KI-Techniken (etwa durch neue         der Entwicklung von Software beschäftigen, sondern auch
     Verfahren der Bild- und Spracherkennung) auch zu einer      mit deren hoch-adaptiver Konfigurierbarkeit, Benutzerak-
     Erweiterung des Spektrums der Benutzerschnittstellen        zeptanz und der Qualitätssicherung von konfigurierter und
     und damit der Bedeutung der User Experience beigetra-       durch Daten trainierter Software.
     gen.                                                           Schon aus technischer Perspektive ergeben sich aus den
5.   Auch für den Forschungsprozess im Software Enginee-         obigen Beobachtungen neue Herausforderungen, die auch
     ring selbst sind Daten entscheidend, um Hypothesen          eine neue Standortbestimmung der nunmehr 50 Jahre alten
     empirisch zu prüfen. Allerdings birgt die beinahe belie-    Disziplin des Software Engineering [1–4] erfordern:
     bige Verfügbarkeit von Daten im Software Engineering
                                                                 1. Software Engineering nimmt Regulationen und Werte-
     auch Gefahren für den Forschungsprozess. Zu häufig
                                                                    verständnisse auf und versucht Verfahren, Algorithmen
     werden Daten etwa aus Softwarerepositorien oder durch
                                                                    und deren Konfigurationsdaten sowie Architekturen zu
     Umfragen generiert und anschließend publiziert ohne
                                                                    entwickeln, um diese systematisch umzusetzen.
     diese durch eine Theorie, eine genaue Kontextdefiniti-
                                                                 2. Software Engineering verpackt Softwareansätze so, dass
     on oder eine Vision zur Entwicklung einer Methode zu
                                                                    auch Nicht-SoftwaretechnikerInnen sie nutzen können.
     fundieren, wodurch der Nutzen dieser Arbeiten für die
                                                                    Als Beispiel und Vorbild können Datenbanksysteme gel-
     Disziplin des Software Engineering unklar bleibt.
                                                                    ten, die auch von Nicht-InformatikerInnen sinnvoll ein-
6.   Software greift immer normativer in Lebensrealitäten
                                                                    gesetzt werden können. Die Nutzbarmachung wesentli-
     ein. Softwareprodukte haben bereits heute institutionel-
                                                                    cher Algorithmen, insbesondere des maschinellen Ler-
     len Charakter: Sie regeln und machen Vorgaben, aller-
                                                                    nens, ist für andere Disziplinen eine weitere Schnittstel-
     dings oft ohne die Legitimation der üblichen Institu-
                                                                    le, zugegebenermaßen nicht nur, aber auch zu den Sozial-
     tionen. Sie werden daher in Zukunft notwendigerweise
                                                                    und Gesellschaftswissenschaften.
     zunehmend von staatlicher Seite reguliert. Dazu ge-
                                                                 3. Software Engineering beschäftigt sich natürlich primär
     hört insbesondere der Schutz personenbezogener Daten
                                                                    mit Software und den notwendigen Grundlagen ihrer
     als essenzielle Komponente des Schutzes der Personen
                                                                    Entwicklung. Aber auf beide Bereiche haben Menschen
     selbst.
                                                                    und Organisationen einen entscheidenden Einfluss. Die
7.   Der Umgang mit Software wirkt sich auch auf die Ko-
                                                                    Entwicklung und Untersuchung von Software-Enginee-
     gnition und die Persönlichkeit der BenutzerInnen sowie
                                                                    ring-Artefakten bedarf deshalb die Einbeziehung des
     auf die Gesellschaft als Ganzes aus. Diese Wirkungen
                                                                    Entstehungs- und des Anwendungskontextes. Unter an-
     sind heute zwar erkennbar, aber noch nicht wirklich ab-
                                                                    derem deshalb ist die Anwendung von empirischen For-
     geschätzt oder gar reflektiert bei der Entwicklung der
                                                                    schungsmethoden und Theorien aus den Sozialwissen-
     Software.
                                                                    schaften wie Psychologie oder Soziologie notwendig,
                                                                    um menschliche und organisatorische Kontextfaktoren

                                                                                                                   K
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     geeignet in den Software-Engineering-Forschungspro-          ware werden einzelne Produkte und Dienstleistungen
     zess weiter zu integrieren. Software Engineering hat in      vernetzt. Damit ergibt sich durch Software oft erst die
     diesem Sinne nicht nur Züge von traditionellen Inge-         Möglichkeit, innovative Szenarien umzusetzen, z. B. für
     nieurswissenschaften wie Maschinenbau oder Elektro-          Energieversorgung mit regenerativen Energieformen,
     technik, sondern unterscheidet sich von diesen durch         Mobilität in der Kombination verschiedener Verkehrsträ-
     diesen zusätzlichen sozialwissenschaftlichen Charakter.      ger oder zur komplexen Wertschöpfungsketten vernetzte
                                                                  Produktionsanlagen. Dadurch kommt den Softwarein-
                                                                  genieurInnen aber auch eine wesentliche Rolle in der
Konsequenzen für das Software Engineering                         „Findung“ oder sogar „Erfindung“ und Definition der
                                                                  eigentlichen Funktionalität des Systems-of-Systems zu.
Daraus lassen sich einige Konsequenzen für Software En-           Während sich durch die Vernetzung die Produkte im-
gineering ableiten:                                               mer mehr integrieren, differenzieren sich die Rollen und
                                                                  Fähigkeiten der an einem Produkt beteiligten Entwickle-
1. Eine der wesentlichsten Konsequenzen aus diesen Be-
                                                                  rInnen immer weiter aus. Dies gilt sowohl für Produkte,
   obachtungen ist, dass Software bzw. die Handlungen,
                                                                  als auch für die immer stärker vernetzte und digitalisier-
   Vorschläge und Entscheidungen, die Software trifft oder
                                                                  te Welt der Produktion. Dabei nicht zu vernachlässigen
   ausführt, in Zukunft besser nachvollziehbar sein müs-
                                                                  sind auch die immer komplexeren Softwarewerkzeuge,
   sen. Dies gilt insbesondere bei adaptiver Software, bei
                                                                  die zur Entwicklung selbst eingesetzt werden und auf-
   lernender Software und bei Software, die in dem oben
                                                                  grund der Vernetzung ihrerseits die Verbindung zum
   genannten Maß durch EndnutzerInnen modifizierbar sein
                                                                  ausgelieferten, aber beobachtbaren und aktualisierbaren
   soll. Solche Software zu erstellen ist natürlich auch für
                                                                  Produkt halten werden.
   Software Engineering eine Herausforderung, da sowohl
                                                               4. Software wird datengetrieben adaptiv. Durch den Einsatz
   die Form der Erklärung für NutzerInnen einfach und gut
                                                                  von Verfahren des maschinellen Lernens zur Erbringung
   verstehbar sein muss, als auch zum Beispiel bei adaptiver
                                                                  von Softwarefunktionalität kann diese häufig nicht mehr
   und lernender Software Erklärungen nicht notwendiger-
                                                                  zur Entwicklungszeit überprüft werden, da die Funktio-
   weise vorab bereits definiert und fixiert werden können.
                                                                  nalität nicht nur durch den Code, sondern auch durch
2. Software Engineering drängt sich vermehrt in die Rol-
                                                                  (Trainings-)Daten festgelegt wird. Hier müssen wir ver-
   le des umfassenderen Systems Engineering. Durch die
                                                                  stehen lernen, unter welchen Bedingungen und inwieweit
   zunehmend dominierende Rolle von Software in tech-
                                                                  ein zu bauendes System noch zur Entwicklungszeit ab-
   nischen Systemen verändert sich der Zusammenhang
                                                                  sicherbar ist, unter welchen Bedingungen eine Laufzeit-
   von Software und Systems Engineering. Konnte man
                                                                  überwachung durch sogenannte „Monitore“ möglich ist,
   Software Engineering bisher als einen Teil des Systems
                                                                  wann eine A-posteriori-Analyse von Fehlern noch zuläs-
   Engineering betrachten, so bietet heute Software Engi-
                                                                  sig ist oder auch wann ein System nicht gebaut werden
   neering selbst oft die grundlegenden Methoden für die
                                                                  darf, da es nicht mehr absicherbar ist. Und dies gilt so-
   Entwicklung softwareintensiver technischer Systeme.
                                                                  wohl dann, wenn das Training selbst bereits in der Ent-
   Software Engineering entwickelt sich deshalb von ei-
                                                                  wicklungszeit abgeschlossen wird, als auch dann, wenn
   ner „Nebenbeschäftigung“ des Systems Engineers zum
                                                                  das System in Betrieb weiter lernt („life-long learning“).
   primären Treiber der Entwicklung. Daraus lassen sich
                                                               5. Software muss normen- und gesetzessicher gebaut wer-
   einige Konsequenzen ableiten, die vor allem Entwick-
                                                                  den. Durch die notwendige zunehmende Regulierung
   lungsprozesse betreffen. Immer noch beißen sich der
                                                                  softwarebasierter Produkte und Dienstleistungen gerade
   funktionsorientierte Softwareentwicklungsprozess mit
                                                                  im Bereich des Datenschutzes und der Personensicher-
   dem vor allem geometrisch dekomponierenden Syste-
                                                                  heit ergeben sich neue Anforderungen an die Software
   mentwicklungsprozess. Viele Methoden zur Systemati-
                                                                  und ihre Entwicklungsmethodik. Bisher können An-
   sierung und Automatisierung der Software-Engineering-
                                                                  forderungen wie der Schutz personenbezogener Daten
   Aktivitäten bei Dekomposition, Synthese, Qualitätssi-
                                                                  gemäß sich wechselnder Einverständniserklärungen für
   cherung, aber auch im Management von Evolution und
                                                                  verschiedene sich ändernde Arten der Datennutzung über
   Varianten müssen noch in den Systementwicklungs-
                                                                  den gesamten Lebenszyklus der Software nicht systema-
   prozess übertragen werden. Erst dann lassen sich auch
                                                                  tisch umgesetzt geschweige denn nachgewiesen werden.
   die von vielen gewünschten agilen Vorgehensmethoden
   stärker und gewinnbringend in die Systementwicklung
                                                                  Gemeinsam ist all diesen Herausforderungen, dass zum
   einbringen.
                                                               einen dadurch die Komplexität der Software weiter massiv
3. Software Engineering war es immer und wird es noch
                                                               ansteigen wird, zum anderen, dass immer mehr Menschen
   stärker werden: eine Integrationsdisziplin. Durch Soft-
                                                               in verschiedenen Rollen mit Software und ihrer Entwick-

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Informatik Spektrum (2021) 44:82–94                                                                                       85

lung zu tun haben werden und von ihrer Funktionalität und      Software Engineering in Kombination mit anderen Diszi-
von ihren Entscheidungen noch stärker als bisher abhängen      plinen ist in den nächsten Jahren essenziell. In den letzten
werden. Insbesondere ist eine oben genannte Konsequenz         50 Jahren hat sich innerhalb des Software Engineering We-
daraus, dass auch der Bedarf an Nachvollziehbarkeit und        sentliches getan. Eine solide und große Sammlung an Me-
Erklärbarkeit von Software steigen wird. Nur so wird auch      thoden erlaubt uns, punktgenau Agilität mit der konstrukti-
die notwendige Akzeptanz beim Nutzer, bei Organisationen       ven Entwicklung und Synthese der Software und der ana-
und in der Gesellschaft insgesamt erreichbar sein. Auch ist    lytischen Qualitätssicherung zu verzahnen. Requirements
klar, dass es noch weniger als heute Personen geben wird,      Engineering ist seinem Wesen nach schon immer eine hoch-
die ein Gesamtverständnis – oder auch nur einen detail-        gradig an Innovationen interessierte Methodik. Softwarear-
lierten Überblick – haben werden. Die Konsistenzhaltung        chitektur erlaubt es, funktionsorientiert, aufgabenorientiert,
der verschiedenen Sichten auf ein System wird also immer       orientiert an den physikalischen Gegebenheiten oder da-
wichtiger.                                                     tenorientiert komplexe Herausforderungen zu zerlegen, zu
                                                               organisieren und in robuste Lösungen umzusetzen. Modell-
Weiterentwicklung des Software Engineering                     bildung hat als Wesenszug zur Abstraktion und Darstellung
                                                               der funktionalen Essenz eines Systems in der Software-
Im Zuge des Jubiläums „50 Jahre Software Engineering“          entwicklung unter anderem durch die Standards UML und
[1] – seit der NATO Konferenz 1968 – gibt es mehrere           SysML, aber auch durch domänenspezifische Sprachent-
Diskussionen über deren Essenz und weitere Entwicklung         wicklungen Einzug gehalten. Varianten- und Versionsma-
des Software Engineering als Disziplin. Basierend auf der      nagement befinden sich genauso in der Werkzeugkiste der
hohen praktischen Relevanz von Software-Engineering-Lö-        SoftwareingenieurInnen wie Simulations-, Testautomatisie-
sungen schlagen Basili und Briand [2] eine stärkere Kon-       rungs- und Analysewerkzeuge zur Qualitätssicherung sowie
textorientierung der Software-Engineering-Forschung vor,       Messwerkzeuge verschiedenster Arten.
da die Anwendbarkeit und Skalierbarkeit von Software-En-          Eine der großen Herausforderungen für Software-Engi-
gineering-Lösungen zentral von Kontextfaktoren wie dem         neering-Forschungsergebnisse selbst bleibt allerdings ihre
Menschen (etwa seines Persönlichkeitstyps und Wissens-         praktikable Umsetzbarkeit durch Werkzeuge. Werkzeuge
hintergrunds), der Organisation (etwa Kosten- und Zeitre-      entstehen häufig als Nebenprodukt wissenschaftlicher For-
striktionen) oder der Domäne (wie etwa der Kritikalität oder   schung oder werden durch eine gemeinsame Community
der geforderten Compliance zu Standards) abhängt. In ih-       als Open-Source-Werkzeuge so weit vorangetrieben, wie
rem kontextgetriebenen Forschungsparadigma für das Soft-       es dieser Community möglich ist. Werkzeuge sind heute
ware Engineering schlagen sie demnach vor, nicht mehr          hochkomplex und benötigen sowohl einen guten Bedie-
weiter primär top-down allgemeine Ansätze ohne Berück-         nungskomfort, als auch die relevante Funktionssicherheit
sichtigung von Kontextfaktoren zu entwickeln, sondern bot-     und müssen auf große Projekte skalieren.
tom-up in Kollaboration mit Praktikern innovative Lösun-
gen zu entwickeln und dabei Zusammenhänge zu erken-
nen, Theorien zu entwickeln und wissenschaftlich vor al-       Was hat Software Engineering auch für
lem durch den Einsatz empirischer Methoden zu evaluieren.      andere Disziplinen zu bieten?
Damit in Verbindung stehend hebt Broy [3] den integrati-
ven Charakter des Software Engineering für alle etablier-      Software Engineering ist zunächst wie jede Ingenieursdis-
ten Ingenieursdisziplinen hervor sowie die Notwendigkeit       ziplin eine konstruktive Wissenschaft. In den 50 Jahren seit
die Software-Engineering-Ausbildung aufgrund der strate-       Bestehen der Disziplin wurde zunehmend gelernt, welche
gischen und gesellschaftlichen Bedeutung von Software da-      Konsequenzen sich aus der Besonderheit von Software ab-
hingehend zu erweitern, dass SoftwareingenieurInnen kom-       leiten, nicht materiell zu sein. Aktuell ist Software dabei,
petent Entscheidungen von strategischer Tragweite treffen      den Alltag von Individuen, Organisationen und letztlich der
können. Booch [4] sieht Abstraktion, Separation of Con-        Gesellschaft in jeder Hinsicht so schnell wie kaum eine an-
cerns, Verteilung von Verantwortlichkeiten sowie Einfach-      dere Disziplin zuvor zu verändern. Nahezu alle Disziplinen
heit zum Management von Komplexität als zentrale Funda-        und Domänen sind in Begriff, sich zu digitalisieren. Für
mente des Software Engineering, die es zukünftig etwa auf      eine Standordbestimmung setzen wir deshalb das Software
KI-Systeme anzuwenden gilt, um Antworten auf zentrale          Engineering sowohl zu den anderen Ingenieurswissenschaf-
Fragen in diesen Systemen, wie etwa nach ihrem Lebens-         ten als auch den Sozialwissenschaften in Bezug.
zyklus, ihre Qualitätssicherung oder ihre Konfiguration, zu-
friedenstellend beantworten zu können.
    Wir denken, die Weiterentwicklung des Software Engi-
neering und insbesondere die integrative Anwendung des

                                                                                                                  K
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Bezug zu anderen Ingenieurswissenschaften                         Dadurch ergeben sich für die Entwicklung softwarein-
                                                               tensiver technischer Systeme eine Reihe von Möglichkei-
Wie einleitend, beschrieben wird der Bezug zu anderen In-      ten, Einsichten aus dem Software Engineering zu übertra-
genieurswissenschaften gegenwärtig geprägt durch               gen. Dazu gehören zum Beispiel Vorgehensmodelle, die
                                                               nicht mehr von der Vorausplanbarkeit eines ganzen Sys-
a. den steigenden Anteil von Software in vielen technischen
                                                               tems ausgehen, sondern eine dezentrale Entwicklung von
   Systemen,
                                                               Systemen erlauben, die lose gekoppelt sind und keinem ge-
b. der Vernetzung dieser Systeme zu Systems-of-Systems
                                                               meinsamen Entwicklungsprozess unterliegen, obwohl sie
   durch Software,
                                                               Systemkomponenten und -schnittstellen teilen. Dazu gehö-
c. dem hohen Anteil an Software beim Innovationsgrad
                                                               ren zum Beispiel auch agile Verfahren zur Unterstützung
   technischer Systeme sowie
                                                               schneller Innovationszyklen. Da Software letztlich auch ein
d. dem antizipierten Nutzen, wenn spezifische software-
                                                               Modell der Realität mehr oder weniger explizit und ausführ-
   technische Vorgehensweisen auch im Systems Enginee-
                                                               lich in sich trägt, sind Verfahren der Modellierung aus dem
   ring angewandt werden.
                                                               Software Engineering, wie zum Beispiel die UML, SysML
   Letztlich bedingen diese Faktoren einander, sodass wir      oder Meta-Modellierung, sowie die Synthese, Analyse und
sie gemeinsam mit dem letzten beginnend ausführen.             Transformation von Modellen von besonderem Interesse für
   Im Vergleich zu den Artefakten anderer Ingenieursdiszi-     das Systems Engineering, zumal der Umgang mit Modellen
plinen ermöglicht die Eigenschaft von Software, nicht mate-    und deren Analyse und Simulation ohnehin zum bestehen-
riell zu sein, einen größeren Entwurfsraum, der kaum durch     den Ingenieursvorgehen passt. In der Praxis zeigt sich aber,
physische Materialeigenschaften eingeschränkt ist. Werk-       dass die Modelle der Software Engineering und des Sys-
zeuge und Methoden sind unter dem Stichwort Agilität in        tems Engineering bzw. die zugrunde liegenden Paradigmen
den letzten Jahren intensiv weiterentwickelt worden, sodass    nicht einfach vereint werden können und daher noch viel
schnelle Feedback- und Innovationszyklen in der Software       grundlegende Forschung notwendig ist.
üblich sind. Seit etwa 2000 wissen wir, dass die Time-to-         Besonders sichtbar ist die Nutzung von Modellierungs-
Market im Internetzeitalter noch viel wichtiger geworden ist   techniken, wenn diese nicht nur zur Entwicklung, sondern
und im Internet „ein Jahr nur drei Monate“ dauert. Negative    auch während des Betriebs der Software im Einsatz sind.
Auswüchse des schnellen Entwickelns, wie etwa der Bana-        Traditionell sind das zum Beispiel explizite Datenmodel-
nensoftware, die erst beim Kunden reift, sind durch metho-     le oder Geschäftsprozessmodelle, die manchmal in Gren-
dische Maßnahmen, wie etwa aktive Beta-Tester, testgetrie-     zen, aber öfter auch flexibel anpassbar sein sollen. In der
bene Entwicklung, frühe Reviews (z. B. auch Pair-Program-      Produktwelt sind das digitale Twins, also rein virtuelle,
ming) oder kontinuierliches Monitoring des Kundenverhal-       durch Modelle und Simulationen betriebene „Zwillinge“
tens und damit auch der Kundenzufriedenheit abgefangen         physischer Artefakte, die auch Meta-Information enthalten
worden.                                                        und durch prädiktive Techniken zur Vorhersage von Eigen-
   Wenn Software selbst keine physikalische Manifestation      schaften, aber insbesondere zur Kontrolle und Steuerung
hat, ist ihre „Produktion“ reduziert auf den Build-Prozess,    ihrer physischen Zwillinge eingesetzt werden können. Die
das Deployment und die Konfiguration. Da diese Vorgänge        gemeinsame, weil eng verzahnte Entwicklung des physi-
weitgehend automatisierbar sind, ist vor allem der Entwick-    schen Produkts und seines virtuellen Zwillings erfordert
lungsprozess, um den sich traditionell ja das Software En-     neue Techniken. Dies ist auch deshalb notwendig, weil auch
gineering kümmert, der limitierende Faktor. Dabei spielen      viele physische Produkte mit der Zeit ergänzt, erweitert,
die einzelnen entwickelnden Menschen, die Teamstruktur         aktualisiert oder durch Ersatzteile modifiziert werden und
und -zusammensetzung sowie die Randbedingungen durch           ein digitaler Zwilling dies reflektieren und idealerweise so-
die Organisation eine größere Rolle als bei anderen Inge-      gar antizipieren muss. Hier wird das bestehende Verständ-
nieurswissenschaften. Sie prägen den Prozess der Produkt-      nis von „Digital Engineering“ substanziell erweitert, indem
entwicklung erheblich und beeinflussen damit letztlich auch    nicht „nur“ bestehende Entwicklungsprozesse durch Soft-
Qualitätseigenschaften des Produkts selbst intensiv. Diese     ware unterstützt werden, sondern nun auch softwaretech-
menschlichen und organisatorischen Faktoren sind deshalb       nische Methoden neue Entwicklungsprozesse ermöglichen.
ebenfalls ein wichtiger Einflussfaktor und damit Untersu-      Eine Vision wäre die integrierte Modellierung und Analyse
chungsgegenstand des Software Engineering. Darüber hi-         in einem gemeinsamen Entwurfsraum, im dem Software,
naus bietet das Software Engineering als Disziplin eine        aber auch physische Artefakte methodisch gemeinsam be-
Fülle an Techniken und Methoden, welche die Effizienz          handelt werden. Natürlich müssen diese Verfahren systema-
und Effektivität der menschlichen Interaktion im Kontext       tisch mit Fragen der unterschiedlichen Lebenszyklen von
der Softwareentwicklung optimieren.                            Software und physischen Artefakten umgehen und dabei
                                                               ihre Konsistenz sicherstellen.

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Informatik Spektrum (2021) 44:82–94                                                                                      87

Bezug zu den Sozialwissenschaften                                  können Untersuchungen über die langfristigen Konse-
                                                                   quenzen und Diskussionen über das, was gesellschaftlich
Es ist wie immer im Software Engineering: Die Einführung           wünschenswert ist, ausgelöst und faktenorientiert geführt
neuer Systeme verändert die Verhaltensweisen und Aktivi-           werden.
täten (Geschäftsmodelle und -prozesse, Support, etc.) der     2.   Software Engineering nimmt Regulationen und Werte-
NutzerInnen. Das muss so sein, denn sonst wäre die Soft-           verständnisse auf und versucht, Verfahren, Algorithmen
ware sinnlos. Die zurzeit massiv voranschreitende Digitali-        und Architekturen zu entwickeln, um diese systematisch
sierung wird daher starke Konsequenzen für Individuen, Or-         umzusetzen. Dieser Punkt ist gewissermaßen das Gegen-
ganisationen, Unternehmen und die Gesellschaft haben, die          stück zum vorherigen Punkt, wo das Software Enginee-
durchaus mit denen der Industrialisierung im 19. Jahrhun-          ring Szenarien liefert; hier nimmt es solche von den So-
dert vergleichbar sind. Offensichtlich hat sich das Kommu-         zialwissenschaften auf.
nikationsverhalten bereits massiv verändert. Untersuchun-     3.   Software Engineering unterstützt Softwareentwicklungs-
gen zeigen aber auch Änderungen der menschlichen Ko-               ansätze mit Methoden und Werkzeugen, sodass auch
gnition durch die allgegenwärtige Nutzbarkeit digitaler Ge-        Nicht-SoftwaretechnikerInnen sie nutzen können. Als
räte oder der Arbeitsweisen von Teams. Die Auswirkungen            Beispiel können die bereits genannten Datenbanksyste-
neu entstehender Geschäftsmodelle und ihrer gesellschaft-          me gelten oder auch das Enduser-Computing, das in ver-
lichen Auswirkungen können im sozialen und im Arbeits-             schiedensten Formen weitere Verbreitung findet. Dazu
leben immens sein, wenn die Wertschöpfung durch Au-                gehören einfache und intuitive Konfigurationssprachen,
tomatisierung und dem damit auch verbundenen Wegfall               wie sie etwa im Bereich der Home-Automatisierung
traditioneller Arbeitsplätze zugunsten neu geschaffener di-        angeboten werden, oder auch Wizards für bestimmte
gitaler Arbeitsplätze einhergeht. Dazu kommen Geschäfts-           partikulare Probleme. Darüber hinaus trägt das Software
modelle, die aus personenbezogenen Daten Werte schöpfen            Engineering auch zur Nutzbarmachung wesentlicher Al-
und Social-Media-Anwendungen, die durch das permanente             gorithmen bei, insbesondere im Bereich des maschinel-
Feedback zu den Handlungen einzelner auch grundlegen-              len Lernens von Zusammenhängen aus Datenmengen,
de Rechte wie Privatheit oder Gleichbehandlung zumindest           wodurch den Sozialwissenschaften neue quantitative
neu austarieren.                                                   Methoden effektiv zur Verfügung stehen.
   Die Erforschung dieser Effekte auf Einzelne, Organisa-     4.   Mit der Durchdringung aller Lebensbereiche mit soft-
tionen und die Gesellschaft insgesamt ist in den Sozialwis-        warebasierten Produkten und Dienstleistungen rückt der
senschaften als Technologiefolgenabschätzung bereits im            Mensch als Nutzer, dessen User Experience es zu opti-
Gange und beeinflusst auch das Software Engineering.               mieren gilt, immer mehr in den Fokus der Entwicklung.
   Daher gibt es mehrere Schnittstellen des Software En-           Solche Usability-Aspekte können nur mit sozialwissen-
gineering zu den Sozialwissenschaften, die auch deshalb            schaftlichen Methoden, insbesondere aus der Psycholo-
relevant sind, weil viele Möglichkeiten der Digitalisierung        gie, adäquat adressiert werden. Die Bedeutung der User
und die daraus folgenden Verwendungsformen aktuell noch            Experience für den Erfolg von softwarebasierten Lösun-
nicht umgesetzt sind, sondern höchstens angedacht wer-             gen hat zusätzlich durch eine Vielzahl neuer Benutzer-
den. Dazu gehören sowohl Techniken der Speicherung und             schnittstellen wie etwa für die Sprachein- und -ausga-
Verarbeitung personenbezogener Daten im Bereich Data               be oder Augmented bzw. Virtual Reality stark zugenom-
Science als natürlich auch die Methoden der künstlichen            men.
Intelligenz, die im aktuellen Hype-Zyklus einige weitere      5.   Wie bereits besprochen haben Menschen und Organi-
Probleme lösen wird, aber auch dieses Mal alle nicht Pro-          sationen einen entscheidenden Einfluss auf das Soft-
bleme, zu deren Lösung Intelligenz notwendig ist, in den           ware Engineering. Die Entwicklung und Untersuchung
Griff bekommen dürfte. Software Engineering steht dem-             von Software-Engineering-Artefakten bedarf deshalb
nach zu den Sozialwissenschaften in folgenden Wechsel-             der Anwendung von empirischen Forschungsmethoden
wirkungen:                                                         und Theorien aus den Sozialwissenschaften wie der
                                                                   Psychologie oder Soziologie, um menschliche und orga-
1. Software Engineering kann Szenarien liefern, die ver-
                                                                   nisatorische Kontextfaktoren geeignet in den Software
   ständlich machen, welche Softwarefunktionalitäten in
                                                                   Engineering Forschungsprozess integrieren zu können.
   der nächsten Zukunft realisierbar sind oder realisierbar
                                                                   Software Engineering hat in diesem Sinne nicht nur Züge
   werden können. Hier sind durchaus auch sowohl Sze-
                                                                   von traditionellen Ingenieurswissenschaften wie Maschi-
   narien interessant, die das Wohl einzelner oder das Ge-
                                                                   nenbau oder Elektrotechnik, sondern unterscheidet sich
   samtwohl der Menschen verbessern, aber auch Szenarien
                                                                   von diesen durch diesen ausgeprägteren sozialwissen-
   beschreibbar, die nach dem aktuellen Werteverständnis
                                                                   schaftlichen Charakter.
   zwar möglich, aber nicht wünschenswert sind. Dadurch

                                                                                                                 K
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   Eigentlich war es schon immer eine Aufgabe des Soft-                      Was macht moderne Software-Engineering-
ware Engineering, sicherzustellen, dass Software nachvoll-                   Forschung aus und welche Themen müssen
ziehbar ist. Allerdings steigt die Komplexität von Soft-                     diskutiert werden?
ware, die aus immer umfangreicheren Technologie-Stacks
sowie aus immer mehr und stärker vernetzten Anwendungs-                      Um aktuelle und zukünftige Forschungsbeiträge des Soft-
komponenten entsteht, weiter deutlich an. Es werden im-                      ware Engineering abzustecken und den Bezug zu anderen
mer häufiger selbstlernende Komponenten, aber auch tradi-                    Wissenschaften zu präzisieren, ist es notwendig, die moder-
tionell programmierte intelligentere („smarte“) Komponen-                    ne Software-Engineering-Forschung im Zeitalter der Digi-
ten zur Kontrolle immer kritischerer und mit immer mehr                      talisierung zu charakterisieren.
Sensorik behafteter und daher unsicherer Systeme einge-                         Abb. 1 zeigt die Kernbereiche der Software-Engineering-
baut werden. Machine-Learning-Komponenten komplizie-                         Forschung und ihre Wechselbeziehungen zu Anwendungs-
ren dies weiter. Die Verstehbarkeit von Software, also ins-                  domänen und zu Grundlagenwissenschaften. Im Sinne der
besondere die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen und                     oben genannten Kontextorientierung des Software Enginee-
Kontrolle, die Software trifft bzw. ausübt, wird daher in der                ring [2] und der Durchdringung aller Lebensbereiche mit
nächsten Zeit deutlich wichtiger. Dabei ist Nachvollzieh-                    Software liefern Anwendungsdomänen wie die Produkti-
barkeit während der Nutzung aber auch „post mortem“,                         on, die Logistik, das Gesundheitswesen, aber auch Wis-
zum Beispiel zur Verbesserung der Software oder für ge-                      senschaftsdisziplinen selbst (insbesondere auch die Infor-
richtliche Klärungen, notwendig. Sollte das nicht nachhaltig                 matik) den Kontext, d. h. Daten und Problemstellungen aus
gelingen, werden roboterpsychologische Analysen für das                      einem bestimmten Sachzusammenhang, für die Software-
Verhalten intelligenter Maschinen im Sinne von Asimovs                       Engineering-Forschung. In der Software-Engineering-For-
notwendig.                                                                   schung werden Artefakte (etwa Werkzeuge oder Entwick-
   Während die anderen Ingenieurswissenschaften im We-                       lungsmethoden) und Evidenz, d. h. empirisch oder formal
sentlichen die Naturwissenschaften und die Mathematik als                    fundierte Einsichten, bereitgestellt, um die Problemstellung
Grundlagenwissenschaften nutzen, sind dies für das Soft-                     im Anwendungskontext zufriedenstellend zu adressieren.
ware Engineering vor allem die Mathematik, aber auch die                        Als Ingenieursdisziplin greift die Software-Engineering-
Sozialwissenschaften, weshalb eine Befruchtung in beide                      Forschung dabei neben eigenen Forschungsansätzen auf
Richtungen (zwischen Software Engineering und Sozial-                        Grundlagenwissenschaften wie Mathematik, Informatik,
wissenschaften) sinnvoll und notwendig ist.                                  andere Ingenieurswissenschaften oder Sozialwissenschaf-
                                                                             ten zurück. Diese liefern Algorithmen und Theorien und
                                                                             unterstützen dabei das Design von Lösungen und die Wis-
                                                                             sensgewinnung im Software Engineering. In den folgenden
                                                                             Abschnitten behandeln wir den Kern des Software Engi-

                                                      Soware-Engineering-Forschung
                                    Artefakte,                                                             Theorien,
                                     Evidenz                                                              Algorithmen
                                                                Einflussfaktoren
                                                 Usability       Nachhalgkeit       Verlässlichkeit
                                                                                                                                          Grundlagenwissenschaen

                               Informak                                                                               Mathemak
 Anwendungsdomänen

                     Unterhaltung                                                                          Informak
                                     Handel         Programm,                      Mensch,
                           Mobilität                                                                             Künstliche Intelligenz
                                                   Spezifikaon                   Organisaon
                                      Energie                                                              Data Science
                     Wissenscha
                                                                                                                      Psychologie
                     Produkon Logisk
                              Kommunikaon           Produkt,                     Methode,                   Betriebswirtschaslehre

                      Finanzwirtscha                 System                      Werkzeug                 Elektrotechnik
                             Gesundheitswesen                                                                           Soziologie
                                                                Einflussgruppen
                                                 Wirtscha           Staat            Gesellscha

                                     Kontext                                                            Fragestellungen

Abb. 1 Software-Engineering-Forschung sowie Verbindung zu Anwendungsdomänen und Grundlagenwissenschaften

K
Informatik Spektrum (2021) 44:82–94                                                                                        89

neering, also auch den Bezug zu Anwendungsdomänen und           2. Der Mensch (als Entwickler, Anwender oder in einer der
Grundlagenwissenschaften ausführlich.                              vielen weiteren Rollen) und die Organisation (Entwick-
                                                                   lungsteam, Integration in eine Gesamtorganisation)
Kern der Software-Engineering Forschung                         3. Das Produkt (etwa die softwaregetriebene Innovation, die
                                                                   Qualität, die Softwarelogistik) oder System (etwa die In-
Software Engineering und die zugehörige Forschung sind             tegration von Software mit Hardware oder die Integration
seit langem klar definiert, daran ändern auch aktuelle Dis-        von Systemen)
kussionen wie hier oder im Zuge von 50 Jahre Software           4. Die Methode (das Verfahren, die menschliche Aktivität,
Engineering [1] nichts. Die folgende, bereits 1990 im IEEE         der automatisierte Bearbeitungsalgorithmus im Werk-
Glossary of Software Engineering Terminology [5] vorge-            zeug, Prozessmodelle) oder das Werkzeug zur Unter-
nommene Definition ist auch heute noch gültig und muss             stützung aller Phasen des Softwarelebenszyklus (etwa
aus Sicht der Autoren nicht adaptiert werden:                      Modellierungs- oder Testwerkzeuge)
1. The application of a systematic, disciplined, quantifia-
                                                                   Als Ingenieursdisziplin folgt das Software Engineering
   ble approach to the development, operation, and mainte-
                                                                sinnvollerweise einem Design-Science-Ansatz, bei dem Ar-
   nance of software; that is, the application of engineering
                                                                tefakte sich auf alle vorhin genannten Untersuchungsgegen-
   to software.
                                                                stände des Software Engineering beziehen können. Der Be-
2. The study of approaches as in (1).
                                                                griff „Artefakt“ ist dabei relativ breit angelegt und schließt
   Sie definiert das Software Engineering als Ingenieurs-       Werkzeuge, zum Beispiel automatisierende oder unterstüt-
disziplin („application of engineering to software“) mit ei-    zende Algorithmen etwa zur Testfallgenerierung, Templates
ner eigenen Methodik („systematic, disciplined, quantifia-      zur Dokumentation von Anforderungen oder eine Methodik
ble approach“), angewendet auf alle Phasen des Lebenszy-        für die Aufwandsschätzung von Softwareprojekten mit ein.
klus von Software („development, operation, and mainte-         Mit der Durchdringung diverser Produkte und Dienstleis-
nance of software“). Der zweiteilige Aufbau der Definiti-       tungen mit Software nimmt neben der systematischen Kon-
on bringt auch die enge Verzahnung von Software Engi-           struktion von Artefakten die kreative Innovation eine immer
neering (1) und Software-Engineering-Forschung (2) zum          bedeutendere Rolle ein und wird auch zunehmend durch
Ausdruck. Die Grenzen zwischen beiden verschwimmen              Ansätze wie das Design Thinking oder Continuous Experi-
bisweilen. In der Software-Engineering-Forschung ist auf        mentation unterstützt. Werkzeuge spielen eine herausragen-
alle Fälle die systematische Reflexion deutlich ausgepräg-      de Rolle im Software Engineering, da sie die entwickel-
ter und der angestrebte Nutzen sowie die Generalisierbar-       ten Artefakte für die praktische Nutzung zugänglich ma-
keit der Ergebnisse jenseits einzelner Projekte deutlich grö-   chen. Erst die Existenz bestimmter Arten von Werkzeugen
ßer. Eine scharfe Trennung kann jedoch nicht gezogen wer-       haben moderne Entwicklungsmethoden, wie zum Beispiel
den, da zum Beispiel die Entwicklung eines Frameworks,          agile Entwicklung, möglich gemacht. Extreme Program-
Werkzeugs oder Meta-Modells gleichzeitig sowohl Anwen-          ming wäre ohne leichtgewichtige Testinfrastruktur, schnelle
dungs- als auch Forschungscharakter haben kann.                 Generatoren und Übersetzer sowie Entwicklungsumgebun-
   Klassischerweise differenziert sich Software-Enginee-        gen mit integrierten Refactoring-Werkzeugen undenkbar.
ring-Forschung selbst in die spezifische Betrachtung der        Der Komfort von spezifischen Editoren für Programmier-
unterschiedlichen Aktivitäten im Softwarelebenszyklus.          sprachen (typspezifische Autovervollständigung, Highligh-
Diese sind Analyse, Design, Implementierung, Testen,            ting, Refactoring im Editor) hat die Programmierweise der
Deployment und Wartung. Hinzu kommen Querschnitts-              Entwickler massiv verändert. Hätten wir solche Werkzeu-
aktivitäten wie Projektmanagement, Qualitätsmanagement,         ge auch in den früheren Phasen, wären auch Requirements
Modellierung und Modellierungssprachen oder Varianten-          Engineering, Architektur und Design wesentlich effizienter.
management, die ebenfalls Teil der Software-Engineering-        Auch fehlen uns gute Werkzeuge zur Nachverfolgung von
Forschung sind. Den zentralen Untersuchungsgegenstän-           Anforderungen und Designentscheidungen, die man drin-
den in all diesen Kern- und Querschnittsaktivitäten des         gend benötigt, um den Impact von Änderungen zu antizi-
Softwarelebenszyklus können vier Bereichen zugeordnet           pieren.
werden:                                                            Software Engineering bzw. die Anwendung in konkreten
                                                                Projekten beinhaltet typischerweise eine ausgeprägte Re-
1. Das Programm (der Code oder dessen Ausführung) und
                                                                flexion, die sowohl zur Optimierung innerhalb des Projekts
   die Spezifikation (das informelle Diagramm, das formale
                                                                als auch zur Weitergabe von projektübergreifendem Wissen
   textuelle oder grafische Modell, die natürlichsprachliche
                                                                genutzt werden. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass
   Anforderung)
                                                                ein Teil der Software-Engineering-Forschung notwendiger-
                                                                weise im industriellen Kontext vorgenommen werden muss

                                                                                                                   K
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und es deshalb des Einsatzes empirischer Methoden be-            Charakter komplexer. Natürlich sind die Informatik, die
darf, um im industriellen Kontext Evidenz abzuleiten, etwa       etwa genetische Algorithmen für das Search-Based Soft-
um Entscheidungen zu unterstützen, welches Prozessmodell         ware Engineering oder die damit verwandte künstliche In-
in welcher Adaptierung in welchem Kontext am effektivs-          telligenz bereitstellt, und das Data Science als Datenwis-
ten funktioniert. Das „Manifest für Agile Softwareentwick-       senschaft wichtige Grundlagendisziplinen für das Software
lung“ [7] etwa wurde 2001 auf einem Treffen von Prakti-          Engineering. Mit der zunehmenden Bedeutung der cyber-
kern formuliert und von diesen in die Praxis der Software-       physikalischen Systeme sind auch andere technische Wis-
entwicklung getragen. Die Aufgabe der Software-Enginee-          senschaften wie die Elektrotechnik oder der Maschinen-
ring-Forschung ist es, in diesem Zusammenhang die Metho-         bau bzw. die Physik als deren Grundlage wichtige Grund-
den wissenschaftlich fundiert weiterzuentwickeln und deren       lagendisziplinen. Wie bereits erwähnt sind aber auch die
praktischen Einsatz kritisch und empirisch fundiert zu hin-      Wirtschafts- und Sozialwissenschaften wie die Betriebs-
terfragen und zu bewerten, um sie dadurch abhängig vom           wirtschaftslehre, die Soziologie oder die Psychologie wich-
Anwendungskontext durch die Bereitstellung von Evidenz           tige Grundlagenwissenschaften für die Software-Enginee-
zu optimieren.                                                   ring-Forschung. Wenn demnächst biologische Informati-
   Aufgrund der Anwendungsorientierung und der durch             onsverarbeitung stärker eine Rolle spielt, wie das heute Hu-
Software getriebenen Digitalisierung spielen auch Einfluss-      man-Brain-Projekte oder Modellierung biologischer Syste-
faktoren und Einflussgruppen für die Software-Enginee-           me mit Informatikmethoden andeuten, werden auch Biolo-
ring-Forschung eine große Rolle. Zu den Einflussfaktoren         gie und Chemie als Grundlage noch relevanter.
gehören die Verlässlichkeit („Dependability“), die Nach-             Der enge Bezug des Software Engineering zu Grund-
haltigkeit („Sustainability“) und die Benutzerfreundlichkeit     lagenwissenschaften ist bereits im Software Engineering
(„Usability“). Verlässlichkeit ist traditionell stark vom Ein-   Body of Knowledge (SWEBoK) [6] sichtbar, in dem ei-
satz softwarebasierter Systeme in kritischen Domänen wie         gene Kapitel Computing Foundations, Mathematical Foun-
der Luftfahrt beeinflusst und umfasst Attribute wie Zuver-       dations und Engineering Foundations im Wesentlichen auf
lässigkeit („Reliability“), Sicherheit („Safety“), Verfügbar-    die Grundlagenwissenschaften Informatik, Mathematik und
keit („Availability“ und damit letztlich auch Performanz),       Ingenieurswissenschaften verweisen.
Wartbarkeit („Maintainability“) und Informationssicherheit           In der Software-Engineering-Forschung entstehen dabei
(„Security“), aber zunehmend auch Nachvollziehbarkeit            bestimmte Fragestellungen, die mithilfe der Grundlagen-
und Erklärbarkeit, speziell im Kontext moderner daten-           wissenschaften adressiert werden. Diese stellen Algorith-
getriebener Anwendungen. Ausgehend vom ökologisch                men oder Theorien bereit, die formal-mathematischer, phy-
geprägten schonenden Umgang mit Ressourcen beinhaltet            sikalischer oder sozialwissenschaftlicher Natur sein kön-
die Nachhaltigkeit auch ethische Aspekte wie die Fair-           nen, die im Forschungsprozess des Software Engineering
ness von Entscheidungsalgorithmen. Usability steht für           in die Entwicklung und Evaluierung von Lösungen ein-
die Benutzerfreundlichkeit oder Gebrauchstauglichkeit ei-        fließen und die als Artefakte und Evidenz wieder in die
nes softwarebasierten Produkts oder eine Dienstleistung          Anwendungsdomänen zurückfließen können.
und gewinnt insbesondere mit neuen Benutzerschnittstellen            Je nach betrachtetem Untersuchungsgegenstand kann
zunehmen an Bedeutung.                                           Software Engineering daher sehr mathematiknah und ana-
   Als Einflussgruppen spielen die Wirtschaft, der Staat         lytisch formal sein, zum Beispiel, um formale Modelle oder
und die Gesellschaft eine große Rolle, etwa indem sie den        Programme zu behandeln, aber auch sehr empirisch und
rechtlichen Rahmen für die Entwicklung und den Einsatz           experimentell, um etwa spezifische Hypothesen über den
von Software abstecken, wie zum Beispiel durch die Da-           menschlichen Faktor bei der Entwicklung und der Nutzung
tenschutzgrundverordnung in Bezug auf die Verarbeitung           zu untersuchen. Die dritte große Säule des Erkenntnisge-
personenbezogener Daten.                                         winns, die Simulation, ist im Software Engineering als
                                                                 Test bereits intensiv im Einsatz und wird bei integrierter
Relation des Software Engineering zu ihren                       Qualitätssicherung von Software (beispielsweise durch Ar-
Grundlagenwissenschaften                                         chitektur- oder Verhaltenssimulation) in einem komplexen
                                                                 System wie etwa einer Smart City auch in anderen Formen
Als Ingenieurswissenschaft ist das Software Engineering          noch intensiver eine Rolle spielen. Im Software Engineering
wie andere Ingenieurswissenschaften auch auf die Erkennt-        fehlen aber immer noch Eigenschaften klassischer Inge-
nisse von Grundlagenwissenschaften angewiesen. Für die           nieursdisziplinen, wie der durchgängigen modellbasierten
anderen Ingenieurswissenschaften sind im Wesentlichen die        Simulation vor der Realisierung zur frühen Qualitätsbewer-
Naturwissenschaften und die Mathematik die Grundlagen-           tung. Abgesehen von einzelnen Ansätzen (wie Software-
wissenschaften, im Software Engineering ist die Situati-         Architektursimulation) ist allerdings auch unklar, ob eine
on durch den immateriellen und den immanent humanen              solche frühe Simulation auf Modellbasis zur Qualitätsbe-

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