Informationsblätter - Bund für soziale ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
BUND FÜR SOZIALE VERTEIDIGUNG e.V. Konflikte gewaltfrei austragen – Militär und Rüstung abschaffen Informationsblätter Häusliche Gewalt Häusliche Gewalt wird häufig mit Gewalt in Paarbeziehungen oder mit Gewaltausübung gegenüber Frauen gleichgesetzt, jedoch umfasst der Begriff ein viel breiteres Spektrum von Erscheinungen. Gewalt von Frauen gegen Männer in Paarbeziehungen, Gewalt zwi- schen gleichgeschlechtlichen Partner*innen oder in Trennungssituationen zählt ebenso dazu wie Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen in der Familie. Aber auch Gewalt zwischen Geschwistern untereinander und gegen ältere Menschen im Familienverband fallen unter dem Begriff „häusliche Gewalt“. Die Betroffenen stehen in einer familiären, ehelichen oder eheähnlichen Beziehung zueinander und die Gewaltausübung kann inner- halb einer bestehenden oder beendeten häuslichen Gemeinschaft stattfinden. Dabei be- schränkt sich häusliche Gewalt nicht nur auf den sozialen Nahraum, sondern weitet sich auch auf das öffentliche Leben der Betroffenen aus. Formen und Arten von Gewalt Häusliche Gewalt wird häufig mit körper- Sexuelle Gewalt licher Gewalt (Schlägen) assoziiert, jedoch Sexuelle Gewalt umfasst psychische wie gibt es neben solcher physischen Gewalt physische Formen von Gewalt z.B. weitere Formen, die einzeln oder zusam- Alle nicht gebilligten und von ei- men auftreten können. nem*r Partner*in unerwünschten Se- Psychische Gewalt xualpraktiken Auflauern nach einer Trennung (Stal- Das Herstellen einer sexualisierten king) Atmosphäre Diskriminierende Gewalt in Form von Sexistisches Bloßstellen Beleidigungen, Missachtung, Demü- Durch Zwang sexuelle Handlungen tigungen, Einschüchterung und das durchzuführen Erzeugen von Schuldgefühlen Vergewaltigung Schwere Drohungen, Nötigungen Es kann dabei zwischen zwei Arten von Sozioökonomische Gewalt Gewalt unterschieden werden, zum einen Soziale und ökonomische Gewalt sind Gewalt als spontanes Konfliktverhalten Ausformungen direkter Gewalt und zum anderen Gewalt als systemati- Einschränkung des sozialen Lebens sches Gewalt- und Kontrollverhalten. Be- einer Person z.B. durch Bevormun- ziehungen, in denen regelmäßig schwere dung oder Verbot von Außenkontak- Gewaltausübung auftritt, werden in der ten und Einsperren Fachdiskussion als Misshandlungsbezie- Zwang zur Arbeit oder Arbeitsverbot hungen bezeichnet. Alleinige Verfügungsmacht über fi- nanzielle Ressourcen
Folgen von häuslicher Gewalt „Auch häusliche Gewalterfahrungen in Die Folgen von Gewalt sind ebenso viel- der Kindheit und Jugend übertragen sich fältig wie dessen Formen. Neben körper- oftmals auf die nächsten Generationen – lichen Schäden für die betroffenen Opfer frühere Opfer können dann auch zu Tä- können ebenso (psycho-)somatische und ter*innen werden oder laufen Gefahr, im psychische Folgen entstehen, aber auch Erwachsenenalter erneut Opfer von Ge- walt zu werden. ‚Körperliche und psychi- gesundheitsgefährdende (Überlebens-) sche Gewalt durch die Eltern, ein einge- Strategien (z.B. durch Einnahme von Me- schränkter familiärer Zusammenhalt dikamenten oder Suchmittelmissbrauch) oder elterliche Psychopathologie sind und Folgen für die reproduktive Gesund- einerseits mit höheren heit gehören dazu. Generell kann zwi- Viktimisierungswahrscheinlichkeiten schen nicht-tödlichen und tödlichen Fol- verbunden, andererseits auch mit Ag- gen differenziert werden. Zu letzteren gression und Gewaltausübung‘, so Dr. zählt nicht nur der Mord bzw. die Tötung, Robert Schlack, Sprecher der Ständigen sondern auch Suizid. Langes Leid geht Kaiserin-Auguste-Viktoria-Kommission oftmals der tödlichen Gewalt oder dem für Prävention der Deutschen Gesell- Suizid voraus. Viele der betroffenen Op- schaft für Sozialpädiatrie und Jugend- fer haben langes Leid hinter sich, bevor medizin und Gesundheitswissenschaftler ihnen das Leben genommen wird oder am Robert Koch-Institut (RKI).“ diese sich selber das Leben nehmen. https://www.aekno.de/aerzte/rheinische s-aerzteblatt/ausgabe/artikel/2019/02- Neben gesundheitlichen und lebensbe- 2019/gewalt-in-der-familie-wird-von- drohlichen Folgen hat häusliche Gewalt kindern-als-existenzielle-bedrohung- auch Auswirkungen auf die Persönlich- erlebt keit(sentwicklung) der Betroffenen. Be- sonders Gewalt im sozialen Nahraum ge- Neben einer höheren genüber Kindern und Jugendlichen hat Viktimisierungswahrscheinlichkeit, also schwerwiegende Folgen für die Persön- der Gefahr, Opfer zu werden, stehen lichkeitsentwicklung, unabhängig davon, häusliche Gewalterfahrungen im Kindheit ob diese Gewalt direkt erlitten oder indi- und Jugendalter mit einem erhöhten rekt miterlebt haben. Erlebte oder miter- Aggressions- und Gewaltpotential in Ver- lebte Gewalt wirkt sich unmittelbar und bindung, wodurch die Wahrscheinlichkeit nachhaltig auf das Erwachsenenleben aus: steigt, dass frühere Opfer selber zu Tä- tern werden. Die zahlreichen Studien, die „Frauen, die in ihrer Kindheit und Jugend die negativen Auswirkungen von gewalt- körperliche Auseinandersetzungen zwi- samer Erziehung auf die spätere Entwick- schen den Eltern miterlebt haben, erlei- lung der Kinder aufzeigen konnten, führ- den später mehr als doppelt so häufig ten zur schrittweisen rechtlichen Aufhe- bung des Züchtigungsrechts in Deutsch- selbst Gewalt durch den Partner als land. Seit 2000 besagt das Bürgerliche Frauen, die keine Zeuginnen von elterli- Gesetzbuch, dass Kinder ein Recht auf cher Gewalt geworden sind. Frauen, die gewaltfreie Erziehung haben (BGB) §1631, in Kindheit und Jugend direkt Opfer von Absatz 2). Zuvor hatten Eltern das Recht, körperlicher Gewalt durch Erziehungs- Gewalt als Erziehungsmaßnahme einzu- personen wurden, waren im Erwachse- setzen. In der BRD wurde die Prügelstrafe nenalter dreimal so häufig wie andere an Schulen im Jahre 1973 per Gesetz ver- Frauen später von Gewalt durch den boten, im Freistaat Bayern wurde die Partner betroffen.“ Prügelstrafe erst sieben Jahre später ab- geschafft. In der DDR wurde die Prügel- https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/g strafe offiziell mit der Gründung im Jahre leichstellung/frauen-vor-gewalt- 1949 abgeschafft. schuetzen/haeusliche-gewalt/haeusliche- gewalt/80642 Häusliche Gewalt als gesellschaftliches Die Folgen werden als lebensbestimmend Problem bezeichnet: Ein überwiegender Teil körperlicher und seelischer Gewalt im Leben eines Men-
schen findet im sozialen Nahraum statt, Jugendamt melden, es besteht aber kei- an einem Ort, der eigentlich besonderen ne Pflicht dazu. Auch die Jugendämter Schutz bieten sollte. Warum dies der Fall haben die Anweisung, Fälle erst dann der ist, erklärt der Soziologe Sutterlüty wie Polizei bzw. der Staatsanwaltschaft zu folgt: melden, wenn die Mitarbeiter*innen „In der Familie gibt es ein strukturell an- glauben, dass sie mit ihren Möglichkeiten gelegtes Gewaltpotenzial. Die familiale das Wohl des Kindes nicht schützen kön- Interaktion ist stark emotionsgeladen. nen. Die hohen Erwartungen an das private Neben gesetzlich verankerten Faktoren Glück sind sehr enttäuschungsanfällig. spielen auch Faktoren eine Rolle, die mit Auch ist das Verhalten innerhalb der Fa- der Position der Opfer in Verbindung milie von einer ganz anderen Körperlich- steht. Die meisten polizeilichen regis- keit als in anderen sozialen Sphären ge- trierten Taten werden durch die Anzeige prägt. Im häuslichen Bereich gibt es oft von Opfern bekannt. Dies ist für Kinder nichts Drittes, das von außen käme und und Jugendliche schwierig, allein auf- Eskalationen stoppen könnte. Je isolier- grund der mangelnden Kenntnisse von ter eine Familie lebt, desto höher sind Ansprechpartner*innen. Auch durch die die Gewaltraten.“ persönliche Nähe und emotionale Bin- https://www.fr.de/politik/femizide- dung von Täter*innen und Opfern sinkt morde-frauen-weil-frauen-sind-zr- die Anzeigewahrscheinlichkeit. Des Wei- 13243993.html teren trauen sich viele Opfer aus Angst nicht, sich Hilfe zu suchen, häufig wurde Im öffentlichen Diskurs werden meist nur ihnen bereits im Vorfeld gedroht. Die schwere Gewaltformen thematisiert und resultierende Angst ist in den meisten leichtere Formen außen vor gelassen, Fällen berechtigt, da die Drohungen oft in wodurch der Eindruck entsteht, Gewalt in die Realität umgesetzt werden. der Familie sei eine Ausnahme (kollektive Besonders Frauen, die bereits in ihrer Selbsttäuschung). Häusliche Gewalt ist Herkunftsfamilie häufig Gewalt ausge- verbreiteter, als viele denken, tritt in je- setzt waren, haben sich daran gewöhnt der Bildungs- und Einkommensschicht und brauchen unter Umständen längere gleichermaßen auf und existiert bei allen Zeit, um Gewalt in einer Beziehung als Nationalitäten, Altersgruppen, Religionen solche wahrzunehmen. Wohlmöglich und Kulturen, in jeder Gesellschaft. Um könnten die Betroffenen die Gewalt auch das tatsächliche Ausmaß von häuslicher als Liebeserklärung des Partners auffas- Gewalt darzustellen, nehmen statistische sen nach dem Motto: Er schlägt mich, weil Erhebungen eine wichtige Rolle ein. Sie er mich liebt. Neben den genannten Fak- sind notwendig, um auf ein bestimmtes toren können noch zahlreiche weitere Problem innerhalb einer Gesellschaft zu genannt werden, wie beispielsweise die verweisen und um effektive Strategien zu finanzielle und soziale Abhängigkeit zwi- entwickeln. Politiker*innen und die Öf- schen Tätern und Opfern. fentlichkeit müssen über das tatsächliche Ausmaß von häuslicher Gewalt aufmerk- Der Bundesregierung zufolge ist sam gemacht werden, um dieses als ein „jede Dritte Frau in Deutschland ... min- Problem wahrzunehmen und diesem ent- destens einmal in ihrem Leben von phy- gegenzuwirken, unter anderem durch das sischer und/oder sexualisierter Gewalt Verabschieden neuer Gesetze, durch Er- betroffen. Etwa jede vierte Frau wird weiterung der Hilfs- und Schutzangebote mindestens einmal Opfer körperlicher und durch Aufklärungsarbeit. oder sexueller Gewalt durch ihren aktu- Das wirkliche Ausmaß häuslicher Gewalt ellen oder früheren Partner.“ zu erkennen, ist nicht einfach, da die ärzt- https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/g liche Schweigepflicht und das Fehlen von leichstellung/frauen-vor-gewalt- anonymisierten Statistiken über Gewalt- schuetzen/haeusliche-gewalt/haeusliche- fälle in Familien, die durch Jugendämter gewalt/80642 erhoben werden könnten, führen zu einer Oft ohne eine Nennung der hohen Dun- hohen Dunkelziffer. In Deutschland be- kelziffer werden die gesammelten Daten steht seit 2012 zwar die Möglichkeit, dass der polizeilichen Kriminalstatistik der Öf- Ärzte*innen bei besonders schweren fentlichkeit präsentiert, wodurch das tat- Verdachtsfällen dies unter anderem dem
sächliche Ausmaß des Problems ver- hinzuzieht: Die Statistik zeigt, dass jeden schleiert wird. In der Regel veröffentlicht Tag mindestens ein Mann versucht, seine das Bundeskriminalamt (BKA) einmal im Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten, Jahr Statistiken zur häuslichen Gewalt in 2018 lag die Zahl der Mordversuche bei Deutschland. Nach Angaben des BKA rund 365 Frauen. Auch hier können die wurden im Jahr 2018 insgesamt 140.755 realen Zahlen als weitaus höher geschätzt Menschen Opfer von Partnerschaftsge- werden, weil in diesem Fall ebenfalls be- walt, davon waren 114.393 Opfer, weib- stimmte Filter entgegenwirken, wenn lich. Es handelt sich dabei um das soge- Tötungsversuche beispielsweise nicht als nannte Hellfeld, also um amtlich regis- trierte Straftaten. Ein wahrheitsgetreue- solche erfasst werden, sondern als res Bild liefern bedauerlicherweise die schwere Körperverletzung oder wenn es erschreckend hohen Zahlen an Tötungs- zu Suizid infolge von häuslicher Gewalt delikten, d.h. von Menschen, die durch kommt. ihren Partner oder Ex-Partner getötet Die meisten Morde an Frauen gehen vom wurden oder versucht wurden zu töten. Im Jahr 2018 starben 122 Frauen in familiären Umfeld aus. Im Jahr 2017 star- Deutschland durch die Hand eines Part- ben weltweit 87.000 Frauen durch einen ners oder Ex-Partners. Im Vergleich dazu Tötungsdelikt, 50.000 davon wurden vom lag die Anzahl der ermordeten Männer Partnern oder Expartnern begangen: infolge von häuslicher Gewalt im Jahr 2018 bei 26. Die folgende Tabelle zeigt, dass die Mordfälle im Jahr 2018 im Ver- gleich zu den Vorjahren etwas zurückge- gangen sind. In Folge der Lockdown- Maßnahmen mit weitgehender Isolation Zuhause im Jahre 2020 wurde allgemein davon ausgegangen, dass die häusliche Gewalt zugenommen hat. (Quelle: https://www.zdf.de/nachrichten/panoram a/coronavirus-haeusliche-gewalt- 100.html) . Geschlechts- spezifische Gewalt und Femizid sowie internationale Verträge Aufgrund der hohen ge- schlechtsbezog enen Gewalt gegen Frauen hat der Europa- rat im Jahr 2011 bei seinem Tref- fen in Istanbul „die Konvention zur Verhütung Abbildung 1: Zahl von Mordfällen in der Familie in Deutschland. und Bekämp- fung von Ge- https://www.zeit.de/2019/51/frauenmorde-gewalt-partnerschaft- bundeskriminalamt. Quelle: BKA, eurostat walt gegen Frauen und häuslicher Ge- Noch alarmierender wird es, wenn man walt“, bekannt die Mordversuche an (Ex-)Partnerinnen
als Istanbul-Konvention, als völkerrechtli- häuslicher Gewalt einher und werden von chen Vertrag beschlossen. Die Istanbul- (Ex-)Partnern oder Ehemännern verübt, Konvention trat im Jahr 2014 in Kraft und jedoch fällt darunter nicht nur der Mord definiert Gewalt gegen Frauen als eine an einer Frau infolge von Gewalt in einer Menschenrechtsverletzung. Laut Art. 1a bestehenden oder aufgelösten Partner- lautet der Grundsatz der Konvention: schaft, sondern auch das gezielte Töten „Zweck dieses Übereinkommens ist es, von Mädchen und Frauen in bewaffneten Frauen vor allen Formen von Gewalt zu Konflikten und Fälle, die in Verbindung schützen und Gewalt gegen Frauen und mit Banden- oder organisierter Kriminali- häusliche Gewalt zu verhüten, zu verfol- tät, Drogen- sowie Frauen- und Mädchen- gen und zu beseitigen.“ handel stehen. Auch die Tötung von Frauen und Mädchen im Namen der https://www.unwomen.de/informieren/i (männlichen) „Ehre“ fällt unter dem Be- nternationale-vereinbarungen/die- griff Femizid. istanbulkonvention.html Zwischen den tragischen Fällen von Frau- Die Mitgliedsstaaten werden dazu ange- enmorden wird kaum eine Verbindung halten, die Konvention auf alle Opfer von hergestellt, dies soll mit der Einführung häuslicher Gewalt auszuweiten, somit des Begriffs geändert werden. Darin liegt auch auf Kinder und Männer (Art.2). Mitt- auch die Berechtigung des Begriffs so der lerweile haben 46 Mitgliedsstaaten des Soziologe Sutterlüty in einem Interview Europarats die Konvention unterzeichnet, mit der Frankfurter Rundschau: davon haben 34 Mitgliedsstaaten den Vertrag ratifiziert, darunter auch Der Begriff Femizid soll „die politische Deutschland. Die Ratifizierung wurde am Aufmerksamkeit auf einen systemati- 01. Juli 2017 im Deutschen Bundestag schen Tatbestand lenken (…) dass es beschlossen, woraufhin die Konvention eben Morde an Frauen gibt, weil sie am 1. Februar 2018 gesetzlich und damit Frauen sind. Das ist keine Privatangele- rechtlich verbindlich in Kraft trat. genheit, sondern gehört auf die politi- sche Bühne.“ Zur Überwachung der Verpflichtung wur- de eine Expert*innenkommission einge- https://www.fr.de/politik/femizide- richtet, die GREVIO (Group of expert on morde-frauen-weil-frauen-sind-zr- action against violence against women 13243993.html and domestic violence). Im Kontext von häuslicher Gewalt bringt Durch die Istanbul-Konvention wurde ein der Begriff Femizid zum Ausdruck, dass Rechtsrahmen auf paneuropäischer Ebe- der Mord an einer Frau infolge von Ge- ne geschaffen, jedoch handelt es sich bei walt in einer Partnerschaft keinen Einzel- häuslicher Gewalt um ein globales Prob- fall darstellt, sondern ein gesellschaftli- lem. Laut den Vereinten Nationen (UN) ches Problem ist. Es soll auf die struktu- gibt es in 49 Ländern derzeit keine Geset- rellen Hintergründe des Feminizids auf- ze zum Schutz von Frauen vor häuslicher merksam gemacht werden und dadurch Gewalt. (Quelle: die Problematik in die Öffentlichkeit ge- https://unric.org/de/17ziele/ziel-5/ rückt werden. Insbesondere in Latein- amerika hat sich der Begriff Femizid Unverhältnismäßig stark sind Frauen (Femicidio) durchgesetzt. In Argentinien ebenfalls von tödlichen Angriffen durch beispielsweise wird der Begriff Femizid ihren (Ex-)Partner betroffen, wie die Zah- als Bezeichnung in den Medien und sogar len oben verdeutlichten. Aufgrund der vor Gericht verwendet. Des Weiteren hohen geschlechtsspezifischen Tötungen wurde Femizid um den Begriff Feminizid an Frauen und Mädchen plädieren unter (Feminicidio) erweitert. Dieser beschreibt anderem Frauenrechtler*innen dafür, den im Zusammenhang mit Femizid die Straf- von der Weltgesundheitsorganisation losigkeit und institutionelle Gewalt in (WHO) geprägten Begriff Femizid auch in Anbetracht der unzureichenden Rechen- Deutschland einzuführen. Der Begriff schaftspflicht und Vernachlässigung des beschreibt den Mord an einer Frau auf- Phänomens vonseiten des Staates. grund ihres Geschlechts und deckt alle Tötungen an Frauen ab, die durch hierar- Femizid wird häufiger als ein Problem der chische Geschlechterverhältnisse moti- sog. „nicht entwickelten Länder“ gesehen, viert sind. Häufig gehen Femizide mit es ist jedoch ein globales Problem über
alle Ländergrenzen hinweg, unabhängig haben Betroffenen eine Reihe zivilrechtli- davon auf welchem Kontinent. cher Ansprüche, neben der Erwirkung von Darauf zu hoffen, dass die Implementie- Schmerzensgeld oder Kontaktverbot, rung des Begriffs Femizid als eigenstän- kann der Täter oder die Täterin der Woh- diger Strafbestand in Abgrenzung vom nung verwiesen werden. „Wer schlägt, Mord eine Lösung des Problems darstellt, der geht!“ wurde zum Leitmotiv verän- hält die Frauenrechtlerin Alejandra Cas- derter staatlicher Intervention in tillo Ara für einen Trugschluss. Laut ihr Deutschland. Es wird den Opfern nicht würde mit der Schaffung von Femizid als mehr zugemutet, ihr vertrautes Umfeld Strafbestand, so zumindest ihre Einschät- nach dem erlebten Leid aufgeben zu zung in Bezug auf Lateinamerika, wichti- müssen. ge präventiven Maßnahmen zum Thema Doch sind die gesetzlichen Vorgaben in geschlechtsspezifische Gewalt vernach- Deutschland bislang nach Ansicht von lässigt und die Frau lediglich scheinbar Menschenrechtler*innen unzureichend. besser in der Gesellschaft positioniert So berücksichtigen die Gesetze z.B. nicht werden. Politische Maßnahmen wie die die speziellen Probleme ausländischer tatsächliche Gleichstellung, Chancen- Frauen, die in einem Asylverfahren ste- gleichheit und Strukturreformen hält die hen. Diese haben zusätzlich Probleme Frauenrechtlerin für effektivere Lösun- hinsichtlich ihres Aufenthaltsstatus zu gen. (Quelle: https://www.uni- befürchten, weil ihr Status von ihrem giessen.de/fbz/fb01/fakultaet- Ehemann abhängig ist. Es bedarf einen institutio- eigenständigen Aufenthaltstitel für beide nen/franzliszt/mediathek/dateien/forsch Partner*innen in Ehegemeinschaften, um ung/gender-studies/vortrag-femizid- mögliche Gewaltopfer zu schützen und lateinamerika-castillo-ara.pdf) ihnen eine Trennung von ihrem gewalttä- Neben staatlichen Initiativen zur Daten- tigen Partner zu ermöglichen, ohne eine erhebung nimmt die unabhängige Be- Abschiebung zu riskieren. richterstattung von Nichtregierungsor- Doch darf auch nicht auf eine alleinige ganisationen (NROs) ebenfalls eine wich- Lösung des Problems durch das Verab- tige Rolle ein, wenn es darum geht, Daten schieden von Gesetzen gehofft werden. über Femizide aufzuschlüsseln, darzustel- Die Gewaltprävention muss durch Be- len und der Gesellschaft somit den Zu- wusstseinsschaffung und Sensibilisierung gang zu Informationen zu erleichtern. der Öffentlichkeit erfolgen. Die allgemei- „Through hard data, we can change laws; ne Wahrnehmung von Gewalt in einer through laws, we can then work on chang- Gesellschaft muss sich ändern. Gewalt ing attitudes to femicide“ darf nicht als etwas Unspektakuläres oder https://keinemehr.wordpress.com/statisti Alltägliches wahrgenommen werden. ken-2/ Gewalt innerhalb einer Familie beispiels- weise in Form körperlicher Gewalt ge- genüber Frauen darf von der Öffentlich- Prävention und Ausblick keit nicht als „Kavaliersdelikt“ gesehen Staat und Gesellschaft müssen häusliche werden und genauso wenig darf elterli- Gewalt als ein Problem wahrnehmen und che Gewalt gegen Kinder und Jugendli- sich in der Verantwortung sehen, häusli- che toleriert werden. Opfer häuslicher che Gewalt einzudämmen, ihr entgegen- Gewalt sind noch immer von der herr- zuwirken und den Betroffenen Schutz schenden Tabuisierung des Themas be- und Gerechtigkeit zu bieten. Unter ande- troffen und viele schämen sich für die rem ist dafür ein umfangreicher Rechts- erlebte Gewalt. Besonders Männer, die schutz notwendig - sowohl auf strafrecht- Opfer häuslicher Gewalt werden, sind von licher als auch auf zivilrechtlicher Ebene. der Tabuisierung des Themas betroffen. In Deutschland sind sowohl physische als Veraltete Rollenbilder und Vorurteile auch viele Formen psychischer Gewalt begünstigen dabei ein Klima des Schwei- strafbar, dabei macht das Strafrecht kei- gens und erhöhen das Schamgefühl bei nen Unterschied, ob Taten innerhalb oder den Opfern. Es bleibt viel zu tun. außerhalb einer Partnerschaft passieren. Den Betroffenen muss signalisiert wer- Durch das Gewaltschutzgesetz, welches den, dass sie in Fällen von häuslicher Ge- 2002 in Deutschland eingeführt wurde, walt nicht alleine dastehen. Es muss ein
großes Hilfs- und Schutzangebot, bei- auf die bestehenden Hilfsangebote auf- spielsweise in Form von Beratungsstellen merksam gemacht werden, aber auch auf und Frauenhäusern, vorhanden sein. Dass Hilfe für gewaltausübende Menschen in Deutschland ein relativ großes Hilfs- hinweisen. und Schutzangebot existiert, ist vielen Opfern nicht bewusst, was gravierend ist, Neben den bereits angesprochenen Maß- weil sich Opfer alleine, ohne sachkundige nahmen zur Bekämpfung von häuslicher Beratung und gesellschaftliche Unter- Gewalt nimmt die Gleichstellung zwi- stützung, oft lange Zeit nicht aus der Ge- schen den Geschlechtern eine Schlüssel- waltbeziehung lösen können. Diese Ge- rolle ein. Darunter fällt unter anderem waltschutzangebote, Frauenhäuser und die Chancengleichheit im beruflichen Le- Beratungseinrichtungen sind häufig un- ben. Einkommensungleichheiten und un- terfinanziert und oft auch überbelegt, so gleiche Einstellungs- und Aufstiegschan- dass Frauen warten müssen, bevor sie cen begünstigen häusliche Gewalt auf- angenommen werden. Manchmal fehlt es grund der finanziellen Abhängigkeit zwi- auch an Angeboten an Kinder, die eben- falls betroffen von der häuslichen Gewalt schen Tätern und Opfern. Die Beseitigung sind. Eine bessere Finanzierung ist drin- von der immer noch vorhandenen struk- gend nötig. Aufklärungsarbeit ist enorm turellen Ungleichbehandlung von Frauen wichtig, damit die Betroffenen von den im Erwerbsleben würde somit häuslicher Hilfsangeboten wissen. Aktionen, wie Gewalt entgegenwirken. Hinweise über Hilfsangebote als Aufdru- Gewalt ist kein Phänomen, dem Gesell- cke auf Konsumgütern wie Milchverpa- ckungen oder Brötchentüten scheinen schaft und Staat hilflos gegenüberstehen. läppisch, sind aber nützlich. Es geht da- Um häusliche Gewalt wirksam zu bekämp- rum, dass die betroffenen Opfer mit der fen, ist die Zusammenarbeit aller Verant- Aktion erreicht werden. wortlichen in staatlichen und nicht- staatlichen Institutionen erforderlich. Aber auch die Zivilcourage durch das per- sönliche Umfeld, wie Familie, Freund*innen und Nachbarin*innen, nimmt eine wichtige Rolle ein, indem die- se aufmerksam auf ihr Umfeld achten und aktiv werden. Der Staat und die Gesellschaft tragen die Verantwortung, zu signalisieren, dass Gewalt jeglicher Form, unabhängig davon, gegen wen diese sich richtet, nicht tole- riert, sondern bestraft wird. Belastende Situationen, wie die Corona- Krise, können häusliche Gewalt ver- Ein Beispiel für die Aufklärungsarbeit in schlimmern und stellen Gesellschaft und Deutschland ist die Initiative „Stärker als Staat vor besonders schwierige Heraus- Gewalt“, etabliert im Jahr 2019 vom Bun- forderungen. Maßnahmen gegen die desfrauenministerium im Rahmen des Pandemie haben, darauf weisen immer Aktionsprogramms „Gemeinsam gegen mehr Daten hin, zur Verschärfung von Gewalt an Frauen“. Unter anderem infor- häuslicher Gewalt beigetragen. Die Aus- miert die Initiative über einzelne Formen nahmesituation während des Lockdowns von Gewalt und zeigt Wege zur Hilfe auf, im Frühjahr 2020 oder im Falle von gegen wie Gewalt beendet werden kann. Durch Familien verhängte Quarantänemaßnah- die Kampagne soll ein gesellschaftliches men, haben sowohl Gewalt als spontanes Klima geschaffen werden, welche Gewalt Konfliktverhalten als auch Gewalt als sys- verurteilt und Menschen dazu motiviert, tematisches Gewalt- und Kontrollverhal- sich gegen Gewalt einzusetzen. Des Wei- ten innerhalb der Familie begünstigt. Fi- teren sollen Betroffene und ihr Umfeld nanzielle Sorgen aufgrund von Jobverlust
oder Kurzarbeit, ungewohnte Tagesab- hang mit der verschärften Wohnsituation läufe und soziale Isolation sind nur einige aufgrund der Ausgangs- und Kontakt- Faktoren, die zu verstärkter Unsicherheit, sperren erhöht hat: In einigen Teilen Stress und Anspannung geführt haben. Russlands wurden zur Bekämpfung der Alle Faktoren können als Nährboden für Corona-Pandemie die Handy-Technik ge- Gewalt innerhalb der Familie gesehen nutzt. Bürger*innen durften ihr Haus nur werden, wodurch das Risiko für die Zu- noch verlassen, wenn sie vorher über eine nahme häuslicher Gewalt gestiegen ist. App eine Genehmigung beantragt hatten. Gleichzeitig sind die betroffenen Opfer in Für die überwiegend männlichen Täter ihren Möglichkeiten, sich Hilfe von außen war es ein Leichtes, den Opfern den Zu- zu suchen, beispielsweise im Familien- gang zum Handy zu verweigern, wodurch und Freundeskreis oder bei Beratungs- sich die Opfer in einer ausweglosen Situa- stellen, aufgrund von Kontaktsperren und tion sahen, ohne jegliche Fluchtmöglich- Quarantäne eingeschränkt gewesen. keit zu den bereits ohnehin begrenzten Aber auch Warnsignale, die unter norma- Zufluchtsorten während der Quarantäne. len Umständen von Außenstehenden evtl. wahrgenommen werden, blieben durch die Isolation der Betroffenen aus. Eine Text: Mario Ivanovic Maßnahme in Russland zur Bekämpfung der Pandemie zeigt eine Extremsituation Oktober 2020 auf, die häusliche Gewalt im Zusammen- Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen: 25. November Der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen ist ein am 25. November jährlich abgehaltener Gedenk- und Aktionstag zur Bekämpfung von Diskriminierung und Gewalt jeder Form gegenüber Frauen und Mädchen. Seit 1981 organisieren Menschenrechts- organisationen jedes Jahr zum 25. No- vember Veranstaltungen, bei denen die Einhaltung der Menschenrechte gegen- über Frauen und Mädchen thematisiert wird. Hintergrund für die Initiierung des Aktionstages war der Fall Mirabal. Die Schwestern Mirabal, Mitglieder der „Movimiento Revolucionario 14 de Junio“, wurden 1960, nach mehreren vorangegangenen Verhaftungen, in der Dominikanischen Republik durch Militär- angehörige des damaligen Diktators Ra- fael Trujillo verschleppt und schließlich Foto: Camelia.boban - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, ermordet. 1981 wurde bei einem Treffen https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid= lateinamerikanischer und karibischer 74650311 Feministinnen der 25. November zum Gedenktag der Opfer von Gewalt an Frauen ausgerufen (Dia Internacional de la No Violencia Contra la Mujer) und 1999 offiziell durch die Vereinten Nationen (Resolution 54/134) aufgegriffen (Quelle: Wikipedia) Bankverbindung: Bund für Soziale Verteidigung e.V. Unsere Projektseiten: BSV ist u.a. Mitglied dieser Organisationen: __________________________________________________________________________________________________ Schwarzer Weg 8 Sparkasse Minden - Lübbecke www.love-storm.de War Resisters‘ International 32423 Minden BLZ 490 501 01 www.share-peace.de Forum Ziviler Friedensdienst Telefon 05 71 - 29 45 6 Kto. 89 420 814 www.friedensbildung-nrw.de Kooperation für den Frieden Telefax 05 71 - 23 01 9 IBAN DE73 490 501 01 0089 420 814 Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden info@soziale-verteidigung.de www.soziale-verteidigung.de Swift-Code WELADED1MIN Nonviolent Peaceforce Alliance https://soziale-verteidigung.de/spenden Plattform Zivile Konfliktbearbeitung
Sie können auch lesen