Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020 - Rente muss für ein gutes Leben reichen! - Sachsen-Anhalt
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Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020 Rente muss für ein gutes Leben reichen! Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020 3
Impressum Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Landesbüro Sachsen-Anhalt Otto-von-Guericke-Straße 6 39104 Magdeburg Tel.: 0391 6250310 Fax: 0391 6250327 sachsen-anhalt@dgb.de www.sachsen-anhalt.dgb.de www.niedersachsen-bremen-sachsenanhalt.dgb.de Der DGB Sachsen-Anhalt bei Facebook: www.facebook.com/dgb.sachsenanhalt Der DGB Sachsen-Anhalt bei Twitter: www.twitter.com/DGBSAN Text und Redaktion: Abteilung Sozialpolitik, DGB-Bezirk Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt Janina Mink, Lars Niggemeyer, Sebastian Meise, Regina Stipani und Martin Mandel Hannover und Magdeburg, Januar 2020 Diese Veröffentlichung basiert in Teilen auf dem Rentenreport des DGB Bayern. Bildnachweise: dobledphoto/123RF (Titel), Graphiqastock/Freepik.com (S. 16), DG Gestaltung und Druck: QUBUS media GmbH 4 Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020 – die zentralen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Gute Rente? Die Lage in Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Gesetzliche Altersrente – arm trotz Rente? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Erneuter Sinkflug des Rentenniveaus droht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Armutsrisiko Erwerbsminderungsrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Niedrige Löhne, niedrige Renten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Rente mit 67? Weit gefehlt! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Rentenpolitische Forderungen des DGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020 5
6 Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020
Vorwort Mit dem Rentenreport legt der Deutsche Ge- sicherung ist viel zu wenig verbreitet. Die private werkschaftsbund (DGB) in Sachsen-Anhalt einen Altersvorsorge ist trotz staatlicher Förderung Bericht zur Situation der Rentnerinnen und nicht in der Lage, die Lücke zu schließen. Gerade Rentner im Land vor. Aktuelle Daten und Fakten Beschäftigte mit niedrigen Einkommen können sie zeigen den rentenpolitischen Handlungsbedarf auf. sich schlicht und ergreifend nicht leisten. Außer- Die detaillierten Auswertungen belegen, dass es dem sind die realen Renditen häufig negativ. bereits heute für viele Ältere schwierig ist, mit ihrer Rente den Alltag zu bestreiten. Dies gilt besonders Um Altersarmut entgegenzuwirken und das für Frauen. Wenn die Politik nicht handelt, werden Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung zu künftig noch mehr Menschen nicht mit ihrer stärken, braucht es einen Kurswechsel. Die Stabi- Rente auskommen. lisierung des Rentenniveaus bis 2025 war richtig. Jetzt muss die Politik den nächsten Schritt gehen Neue Umfragen zeigen, dass über drei Viertel der und dieses dauerhaft auf 50 Prozent anheben. Menschen in Deutschland sich um ihre Rente im Langjährige Beitragszahler müssen durch eine Alter Sorgen machen. Das ist kein Zufall. Viele Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung vor Armut Beschäftigte müssen nach dem Erwerbsleben geschützt werden. Außerdem bedarf es guter deutliche Abstriche hinnehmen. In den letzten Arbeit mit Tarifverträgen und als unterstem Netz zehn Jahren hat sich in Sachsen-Anhalt die einen deutlich höheren gesetzlichen Mindestlohn, Armutsquote der Rentnerinnen und Rentner aber- damit die Menschen von ihrem Einkommen leben mals erhöht: Sie ist von 13,5 Prozent im Jahr 2008 und Rentenbeiträge zahlen können. auf 16,4 Prozent im Jahr 2018 angestiegen. Keine andere Personengruppe hat eine derart dramatische Ein stabiles und ausreichendes gesetzliches Zunahme der Armut zu verzeichnen. Rentenniveau ist gerade auch für junge Menschen von existenzieller Bedeutung. Denn nur dann Diese Zahlen belegen, dass die Teilprivatisierung haben sie eine gute Absicherung im Alter. der gesetzlichen Rente ein Irrweg war. Mit dem Es gibt keinen Interessengegensatz zwischen 3-Säulen-Modell sollte neben der staatlichen auch Jung und Alt. Der technische Fortschritt und das die betriebliche und private Altersvorsorge das Produktivitätswachstum ermöglichen wachsenden Leben im Alter sichern. Doch diese Erwartungen Wohlstand für alle bei insgesamt sinkender haben sich nicht erfüllt. Die betriebliche Alters- Lebensarbeitszeit. Eine interessante Lektüre wünscht Susanne Wiedemeyer Landesleiterin DGB Sachsen-Anhalt und stellvertretende Vorsitzende des DGB-Bezirks Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020 7
Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020 – die zentralen Ergebnisse Das Thema Rente gewinnt zunehmend an Bedeu- Ähnlich ist das Bild bei den Erwerbsminde- tung. Im Jahr 2018 bezogen in Sachsen-Anhalt rungsrenten. Aufgrund des gesundheitsbeding- 704.000 Menschen Rente – das ist fast ein Drittel ten vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbs- der Bevölkerung. leben liegen diese auf noch niedrigerem Niveau als die Altersrenten. Im Jahr 2018 lag das Renten- Die durchschnittliche gesetzliche Altersrente be- eintrittsalter wegen Erwerbsminderung bei trug 2018 in Sachsen-Anhalt für Männer 1.219 Euro durchschnittlich 52,8 Jahren. Je nach Eintrittsalter und für Frauen 939 Euro. Im Vergleich zum Jahr müssen Bezieherinnen und Bezieher von Erwerbs- 2000 ist das rein zahlenmäßig ein Plus von minderungsrenten lebenslang Abschläge von bis 185 Euro bei den Männern und von 344 Euro bei zu 10,8 Prozent in Kauf nehmen. Frauen erhielten den Frauen. Diese eigentlich positive Entwicklung 2018 eine durchschnittliche Erwerbsminderungs- relativiert sich angesichts eines Kaufkraftverlustes rente in Höhe von 866 Euro. Das nominale Plus von rund 30 Prozent im selben Zeitraum. Statt von 255 Euro im Vergleich zum Jahr 2000 eines Zuwachses bleibt für den durchschnittlichen schrumpfte kaufkraftbereinigt jedoch auf 72 Euro. männlichen Rentner real ein Verlust von rund Noch gravierender ist die Situation der Männer. 124 Euro. Von der nominalen Steigerung bei den Sie bezogen 2018 eine Erwerbsminderungsrente Frauen von 344 Euro bleiben kaufkraftbereinigt von lediglich 758 Euro pro Monat. Kaufkraft- lediglich 166 Euro übrig. bereinigt stehen Männern im Vergleich zum Jahr 2000 sogar 170 Euro weniger zur Verfügung. Besorgniserregend ist die Entwicklung der Diese Erwerbsminderungsrenten, die 2018 Neurenten. Männliche Neurentner erhielten mit insgesamt mehr als 15.000 Menschen in 1.073 Euro im Jahr 2018 eine geringere gesetz- Sachsen-Anhalt erhielten, sind nicht armutsfest. liche Rente als diejenigen Rentner, die vor 2018 eine Rente bezogen. Bei Neurentnerinnen zeigt sich für das Jahr 2018 noch ein minimaler Anstieg auf 969 Euro gegenüber 939 Euro bei den Bestands- rentnerinnen. Bei den Neurenten spiegeln sich geringere Beitragszeiten, Abschläge aufgrund der Rente mit 67 wie auch das sinkende Renten- niveau wider. 8 Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020
Das durchschnittliche Eintrittsalter in die Sinkt das Rentenniveau wie geplant weiter, Altersrente steigt weiter an. Im Jahr 2018 werden zukünftig immer mehr ältere Menschen lag es in Sachsen-Anhalt bei 63,6 Jahren, mit von Altersarmut bedroht sein. Diese Entwertung minimalen Unterschieden zwischen Frauen und der Lebensleistungen gilt es zu verhindern. Männern. Das sind 1,5 Jahre mehr als noch Deshalb brauchen wir einen Kurswechsel in 2008. Dabei sollte nicht außer Acht bleiben, der Rentenpolitik. Um Altersarmut zu vermeiden, dass die Beschäftigten durch die „Rente mit 67“ muss das Rentenniveau stabilisiert und langfristig Rentenkürzungen hinnehmen, wenn sie früher deutlich erhöht werden. ausscheiden. Die die von den Gewerkschaften geforderte „Rente mit 63“ schützt Versicherte Rente muss für ein gutes Leben reichen! mit mindestens 45 Beitragsjahren vor lebens- langen Rentenabschlägen. In Sachsen-Anhalt profitieren jährlich rund 10.000 Menschen von der abschlagsfreien Rente mit 63. Immer mehr Menschen kommen bereits heute mit ihrer Rente nicht mehr über die Runden. Im Jahr 2018 bezogen knapp 22.700 Menschen in Sachsen-Anhalt Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Vor 15 Jahren waren es noch halb so viele. Dies ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Die Armutsgefährdungs- quote von Rentnerinnen und Rentnern stieg innerhalb von nur zehn Jahren um ein Fünftel auf nunmehr 16,4 Prozent im Jahr 2018. Bei kaum einer anderen gesellschaftlichen Gruppe stieg die Armutsgefährdung so dramatisch an. Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020 9
Gute Rente? Die Lage in Sachsen-Anhalt In der Bundesrepublik Deutschland gab es am Neurentner erhalten deutlich Stichtag 1. Juli 2018 insgesamt 21 Millionen niedrigere Renten Rentnerinnen und Rentner, das entsprach 25,4 Prozent der Gesamtbevölkerung von Die durchschnittliche Altersrente für Männer, 82,9 Millionen Menschen. die vor 2018 in Rente gingen, beträgt 1.219 Euro. Männer, die erst seit 2018 eine Rente erhalten, In Sachsen-Anhalt bezogen rund 704.000 Men- bekommen hingegen nur 1.073 Euro, also schen Rente. Insgesamt entsprach das einem Anteil 146 Euro weniger. Verglichen mit einem Neu- von 31,8 Prozent an der Gesamtbevölkerung rentner im Jahr 2000, hatten sie im Jahr 2018 Sachsen-Anhalts, die also älter als der Bundes- einen Kaufkraftverlust von gut 134 Euro zu durchschnitt ist. verkraften. RentnerInnen (ohne reine Waisenrente, mit Witwen-/Witwerrente) im Vergleich Sachsen-Anhalt (31,8 Prozent) Bundesgebiet (25,4 Prozent) EinwohnerInnen 2.213.900 82.887.000 Rentner 299.132 9.015.259 Rentnerinnen 405.074 12.027.256 RentnerInnen insgesamt 704.206 21.042.515 Quellen: Statistik der Deutschen Rentenversicherung – Rentner am 1. Juli 2018 nach Bundesländern; Statistisches Bundesamt; Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt Circa 57 Prozent der Rentenzugänge 2018 in Renten von Frauen Sachsen-Anhalt waren Altersrenten. Knapp 31 Pro- steigen nur geringfügig zent waren Witwen- und Waisenrenten und rund 12 Prozent entfielen auf Erwerbsminderungsrenten. 2018 erhielten Neurentnerinnen 969 Euro monatlich. Erwerbsminderungsrenten erhalten Erwerbstätige, Damit stieg ihre Rente im Vergleich zu langjährigen die nicht mehr oder nur noch eingeschränkt arbeiten Rentnerinnen um 30 Euro. Im Vergleich zum Jahr können. 2000 erhalten Neurentnerinnen im Jahr 2018 nominal 308 Euro mehr, kaufkraftbereinigt hatten Der Vergleich des Rentenbestandes des Jahres 2018 sie jedoch lediglich 110 Euro mehr zur Verfügung mit dem Rentenzugang 2018, also mit denjenigen, als im Jahr 2000. die 2018 erstmals eine Rente bezogen, zeigt den Rückgang der durchschnittlichen Zahlbeträge. Dennoch bekamen Frauen, die im Jahr 2018 erst- Ein Grund dafür ist das auf nunmehr nur noch mals eine Rente erhielten, im Vergleich zu Männern 48 Prozent des Durchschnittslohns gesunkene durchschnittlich 104 Euro weniger Rente. Dabei Rentenniveau. Hinzu kommen Abschläge leisten Frauen nicht weniger Arbeit als Männer. bei Renteneintritt vor Erreichen der Regel- altersgrenze. 10 Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020
Rentenzahlbeträge in Sachsen-Anhalt Steigender Bedarf an Rentenhöhe bis 2018 Rentenhöhe ab 2018 Grundsicherung im Alter (BestandsrentnerInnen) (NeurentnerInnen) Frauen und Männer ohne ausreichende Rentenan- sprüche oder private Vorsorge haben den gesetzlichen Erwerbsminderungsrente Anspruch auf Grundsicherung im Alter. Diese setzt Frauen sich zusammen aus der selbsterworbenen Rente und einem Teil aufstockender Sozialleistungen. 866 € 803 € Im Jahr 2018 bezogen in Sachsen-Anhalt rund 3.580 Männer und 4.010 Frauen Grundsicherung im Alter. 2003 waren es noch rund 1.130 Männer und 3.500 Frauen. Erwerbsminderungsrente Männer Erwerbsminderungsrente bleibt Sorgenkind 758 € 726 € Das größte Sorgenkind des Rentensystems ist nach wie vor die Erwerbsminderungsrente. Diese Rente erhalten Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr erwerbstätig sein können. Ihre Renten- Altersrente Frauen ansprüche sind deutlich geringer als bei Menschen mit regulärem Eintritt in die Altersrente, daher sind sie in deutlich höherem Maß auf Grundsicherung 939 € 969 € angewiesen. Insgesamt bezogen ca. 15.100 Men- schen – rund 9.330 Männer und 5.770 Frauen – im Alter von 18 Jahren bis unter das jeweilig geltende Renteneintrittsalter im Jahr 2018 in Sachsen-Anhalt eine Grundsicherung wegen Erwerbsminderung. Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund – Rente 2018 Auch hier stieg die Anzahl seit 2003 deutlich an: Altersrente Männer Damals bezogen nur rund 4.080 Männer und 2.990 Frauen Grundsicherung bei Erwerbsminde- rung. Aufgrund von Schamgefühl, Unwissenheit, Angst vor Auseinandersetzungen mit Behörden oder Befürchtungen eines Rückgriffs auf unterhaltspflich- 1.219 € 1.073 € tige Kinder kann davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Zahl der Anspruchsberechtigten deutlich über den offiziellen Angaben liegt. Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020 11
Gesetzliche Altersrente – arm trotz Rente? Von Armut bedroht sind Personen, denen weniger erhielten sogar unter 600 Euro Rente im Monat. als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Die meisten haben ihr ganzes Leben gearbeitet, Verfügung steht. Im Jahr 2018 lag die Armuts- Kinder erzogen und Angehörige gepflegt. Aber gefährdungsschwelle für eine alleinstehende niedrige Löhne, prekäre Jobs und Arbeitslosigkeit Person bei 1.035 Euro pro Monat. Unterhalb sowie Preisanstiege sorgen dafür, dass ihre Rente dieser Schwelle ist gesellschaftliche Teilhabe kaum trotzdem kaum zum Leben reicht. möglich. 16,4 Prozent der Rentnerinnen und Rentner – absolut: 115.500 – waren 2018 von Armutsgefährdung ist nicht nur für die überwie- Armut bedroht. Das ist fast ein Fünftel mehr als gende Mehrheit der Frauen eine bittere Realität. noch zehn Jahre zuvor. Damals waren 13,5 Pro- Auch fast die Hälfte der neu in die Rente eintre- zent der Rentnerinnen und Rentner von Armut tenden Männer muss mit weniger als 1.035 Euro bedroht. Bei kaum einer anderen gesellschaft- pro Monat auskommen, es sei denn, sie können lichen Gruppe stieg die Armutsgefährdungsquote auf zusätzliche Einkommensarten oder Vermögen im selben Zeitraum so dramatisch an. zurückgreifen. Niedrige Löhne, Zeiten der Arbeits- Armutsgefährdung nach soziodemografischen Merkmalen in Sachsen-Anhalt 25,0 22,1 21,8 21,4 20,6 21,1 20,9 21,3 21,0 19,8 20,1 19,5 20,0 17,9 17,0 17,4 17,3 17,0 16,4 14,6 14,7 15,0 13,5 13,2 13,7 12,9 12,6 10,0 11,1 11,9 11,7 11,1 11,4 11,4 9,9 10,4 10,2 5,0 0,0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 RentnerInnen und PensionärInnen Beschäftigte Insgesamt Angabe in Prozent, gemessen am Bundesmedian Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2019; eigene Darstellung Fast zwei Drittel der Frauen losigkeit oder auch Brüche im Erwerbsverlauf hin- dern allerdings viele Menschen daran, anderweitig erhalten eine Altersrente unterhalb Vermögen aufzubauen. Für sie bleibt die gesetz- der Armutsgefährdungsschwelle liche Rente die entscheidende Einkommensquelle Frauen, die erstmals 2018 in die Rente eintraten, im Alter. sind von Altersarmut besonders betroffen: Für fast zwei Drittel dieser Neurentnerinnen lag der Deshalb sind inzwischen viele auf einen Zuver- Zahlbetrag unter der Armutsgefährdungsschwelle dienst im Rentenalter angewiesen oder müssen von 1.035 Euro, 16,4 Prozent der Neurentnerinnen sich bei den Tafeln mit Lebensmitteln versorgen. 12 Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020
Neuzugänge der Altersrente in Sachsen-Anhalt 2018 Nach Zahlbetragsklassen in Prozent Männer Frauen 34,4% über 1.200 € 28,8% 32,6% 900–1.200 € 20,7% Armutsgefährdungsschwelle 2018 = 1.035 €* 22,5% 600–900 € 32,4% 300–600 € 8,7% 16,4% unter 300 € 1,8% 1,6% * Einpersonenhaushalt bei 60 Prozent des Medians der Äquivalenzeinkommen der Bevölkerung, abrufbar unter www.amtliche-sozialberichterstattung.de Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund – Sonderauswertung Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020 13
Erneuter Sinkflug des Rentenniveaus droht Die Rentenhöhe wird hauptsächlich von zwei Fakto- hängen maßgeblich vom Versicherungsverlauf sowie ren bestimmt: Einerseits durch die eingezahlten Ver- von den entrichteten Beiträgen ab. Dabei liegen die sicherungsbeiträge (abhängig von Einkommenshöhe Standardrenten in den neuen Bundesländern heute während des Berufslebens und Beitragsjahren) und auf einem Niveau von ca. 96 Prozent der Renten in andererseits durch die jeweils geltende Rentenformel. den alten Bundesländern, ausgehend von nur knapp Seit den 1980er-Jahren wurde das Rentenniveau über 60 Prozent Anfang der 1990er-Jahre. immer weiter abgesenkt: Von 57,6 Prozent (1980 in der alten Bundesrepublik) auf 48,2 Prozent (2019). Bereits heute ist absehbar, dass in Zukunft vielen Bis 2030 darf es auf bis zu 43 Prozent sinken. Menschen die Altersarmut droht, selbst wenn sie lebenslang in die Rentenversicherung eingezahlt Die Absenkung des Rentenniveaus war ein Kern- hätten. Ohne rentenpolitische Veränderungen wird es punkt der Kampagne „Rente muss zum Leben selbst für den sogenannten „Eckrentner“ problema- reichen“ im Jahr 2017. Der DGB und seine Mit- tisch. Es ist jedoch fraglich, wie viele Beschäftigte gliedsgewerkschaften haben eine Stabilisierung künftig überhaupt 45 Beitragsjahre erreichen. des Rentenniveaus auf mindestens 48 Prozent bis Warteschleifen zwischen Schule und Ausbildung, zum Jahr 2025 erreicht. Aber: Nach 2025 kann das Brüche in der Erwerbsbiografie durch (Langzeit-) Rentenniveau weiter sinken, im schlimmsten Fall auf Arbeitslosigkeit sowie Pflege- und Betreuungszeiten, 43 Prozent! Das hätte gravierende Folgen für die machen das für viele Menschen nicht möglich. Eine Höhe der Rente von Tausenden Rentnerinnen und Beschäftigung im Niedriglohnbereich wie auch Rentnern. (unfreiwillige) Teilzeitbeschäftigung führen dazu, dass der Durchschnittslohn häufig gar nicht erreicht wird. Der Versicherungsverlauf entscheidet Für die Sicherung auskömmlicher Renten sind Unten stehender Übersicht liegen völlig gleichmäßige Korrekturen im Rentenrecht, genauso aber im Arbeitsbiografien, d. h. durchschnittliches Arbeits- Arbeitsrecht notwendig, die gegen die Zunahme von entgelt und volle 45 Versicherungsjahre zugrunde. prekärer Beschäftigung und gegen Niedriglöhne Bei den hier beschriebenen Zahlen (allgemeine Ren- wirken. Denn mit guten Löhnen und vernünftigen tenversicherung, alte Bundesländer) handelt es sich Rentensicherungsbeiträgen heute, erhalten wir die um Durchschnittsbeiträge. Somit gibt es teils deut- angemessene Grundlage für die Weiterentwicklung liche Ausschläge nach oben wie nach unten. Diese der Rentenauszahlbeträge. Entwicklung von Einkommen und Standardrentenniveaus seit 1990 Ø Jahresentgelt (netto1) Standardrente (netto1) Rentenniveau in % (netto1) 1990 18.306 10.071 55,0 1995 21.918 11.822 53,9 2000 23.340 12.356 52,9 2005 24.389 12.821 52,6 2010 25.632 13.232 51,6 2017 30.661 14.772 48,2 20192 33.057 15.920 48,2 1 vor Steuern, vgl. § 154 (3) SGB VI 2 Ab 2019: Neudefinition der Nettogrößen und des Nettorentenniveaus vor Steuern, vgl. § 154 Abs. 3a SGB VI; Vergleichbarkeit mit Vorjahreswerten eingeschränkt. Quellen: Statistisches Bundesamt; Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Deutsche Rentenversicherung Bund 14 Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020
Armutsrisiko Erwerbsminderungsrente Wer wegen gesundheitlicher Probleme nur noch ein- Neuzugänge der Erwerbsminderungsrente in geschränkt oder gar nicht mehr arbeiten kann, be- Sachsen-Anhalt 2018 kommt Erwerbsminderungsrente. Der Bezug dieser Rentenarten ist an strenge Voraussetzungen gekop- Nach Zahlbetragsklassen in Prozent pelt, insbesondere an folgende: Männer Frauen • Einen entsprechenden Antrag stellen darf nur, wer noch keinen Anspruch auf eine Regelaltersrente hat. über 1.200 € • Die oder der Betroffene wird auch durch Rehabili- 7,2% 10,9% tation nicht mehr gesund und kann täglich weni- ger als drei Stunden („volle Erwerbsminderung“) bzw. drei bis unter sechs Stunden („teilweise Erwerbsminderung“) arbeiten. 900–1.200 € • Außerdem müssen Antragsteller/-innen mindestens 21,0% 23,6% fünf Jahre in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert gewesen sein und in den Jahren vor Ein- Armutsgefährdungsschwelle 2018 = 1.035 €* tritt der Erwerbsminderung überwiegend Beiträge gezahlt haben. Bei den Erwerbsminderungsrenten haben in den letzten Jahren bestimmte Krankheitsbilder deutlich zugenommen, allen voran psychische Erkrankungen. 34,4% 600–900 € 39,8% Daneben sind Krankheiten des Muskel-Skelett-Sys- tems und Krebs am häufigsten. Alarmierend ist die Höhe der Erwerbsminderungsrente nach Zahlbetragsklassen. Rund 80 Prozent der Frauen und 85 Prozent der Männer erhalten weniger als 1.035 Euro und liegen damit unterhalb der Armuts- 300–600 € gefährdungsschwelle. Nur wenige der Betroffenen 28,6% 21,4% erreichen ein Niveau von über 1.200 Euro. Bei Männern sind es 7,2 Prozent, bei Frauen 10,9 Prozent. Leichte Verbesserung der Renten- höhe bei Erwerbsminderungsrente 8,7% unter 300 € 4,3% Seit 2014 gab es mehrere Rentenpakete, die zu leichten Verbesserungen bei der Erwerbsminderungs- rente führten. So wurden z. B. Zurechnungszeiten * Einpersonenhaushalt bei 60 Prozent des Medians verlängert sowie eventuelle Einkommenseinbußen vor der Äquivalenzeinkommen der Bevölkerung, abruf- bar unter: www.amtliche-sozialberichterstattung.de Erwerbsminderungseintritt abgemildert. Trotzdem lag Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund – Sonderauswertung die durchschnittliche Erwerbsminderungsrente 2018 in Sachsen-Anhalt bei nur 763 Euro. Damit trägt sie für viele Menschen nicht zur Armutsvermeidung bei, sondern bleibt auf einem viel zu niedrigen Stand. die Abschläge abgeschafft werden. Wer aus gesund- heitlichen Gründen nicht oder nur eingeschränkt Es braucht weitere Maßnahmen zur Stärkung der arbeiten kann, muss in Würde von seiner Rente Erwerbsminderungsrenten. Insbesondere müssen leben können. Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020 15
Männer Frauen Die Erwerbsminderungsrenten von Männern Die Erwerbsminderungsrenten von Frauen sind befinden sich nach wie vor auf einem niedrigen etwas höher als die von Männern. Im Jahr 2018 Niveau. Wie in der Grafik zu erkennen ist, erhielten wurden durchschnittlich 803 Euro erreicht. Männer im Jahr 2018 durchschnittlich eine Er- Die nominale Steigerung der Zahlbeträge von werbsminderungsrente von 726 Euro. Im Vergleich 162 Euro für Erwerbsminderungsrentnerinnen zum Jahr 2000 erhalten Männer nominal durch- seit der Jahrtausendwende relativiert sich deutlich schnittlich 69 Euro mehr Erwerbsminderungsrente, nach Abzug des Kaufkraftverlustes. Bezogen auf kaufkraftbereinigt müssen sie jedoch mit 160 Euro das Jahr 2000 ist ein Minus von ca. 41 Euro zu weniger auskommen. verzeichnen. Entwicklung der Erwerbsminderungerente in Sachsen-Anhalt Durchschnittlicher Zahlbetrag der Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit Männer 657 € 632 € 597 € 585 € 570 € 565 € 594 € 642 € 726 € 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2018 641 € 633 € 613 € 599 € 596 € 597 € 624 € 722 € 803 € Frauen Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund - Rente 2018 16 Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020
Niedrige Löhne, niedrige Renten Die Arbeitslosigkeit, die die Menschen in Sachsen- Der Anteil atypischer Beschäftigung lag 2018 in Anhalt viele Jahre lang sehr belastet hat, ist in den Sachsen-Anhalt bei 38,8 Prozent. Damit liegt er letzten Jahren von über 20 Prozent auf nunmehr zwar leicht unter dem Bundesdurchschnitt von 7 Prozent deutlich zurückgegangen. Allerdings profi- 40,4 Prozent, dennoch ist er im Vergleich zu tieren nicht alle Menschen in gleicher Weise von dieser 25,7 Prozent im Jahr 2003 doch deutlich ange- Entwicklung: Langzeitarbeitslosigkeit und Unterbe- wachsen (plus 51 Prozent). schäftigung sind weiterhin ein großes Problem. Nur noch 50 Prozent der Beschäftigten in Sachsen-Anhalt Frauen sind in weit höherem Maße atypisch werden nach Tarifvertrag bezahlt. Ungefähr ein Drittel beschäftigt als Männer. Schlechtere Renten- der Beschäftigten arbeitet im Niedriglohn. Das erwartungen sind die langfristige Folge. Denn wer Normalarbeitsverhältnis ist für viele nicht mehr selbstverständlich. Atypische Beschäftigungsverhält- nisse, wie Leih- und Teilzeitarbeit sowie geringfügige Beschäftigung (z. B. Minijobs) nehmen deutlich zu. tigung"; Anteile atypischer Beschäftigung an Beschäftigten insgesamt 2018 Sachsen-Anhalt Bundesgebiet Teilzeit (ohne Leiharbeit) 27,1 % 24,4 % Leiharbeit (ohne Minijobs) 2,7 % 2,7 % Minijobs (ausschließlich) 9,0 % 13,2 % Atypische Beschäftigung gesamt 38,8 % 40,4 % Quelle: Bundesagentur für Arbeit; eigene Berechnungen Entwicklung der atypischen Beschäftigung an Beschäftigten insgesamt 42,0 % 40,4 % 40,0 % 39,3 % 38,9 % 38,8 % 38,0 % 37,2 % 36,2 % 36,0 % 34,5 % 33,9 % 34,0 % 32,0 % 32,2 % 30,1 % 30,0 % 30,0 % 28,0 % 28,0 % 26,0 % 25,7 % 24,0 % 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2018 Sachsen-Anhalt Deutschland Quellen: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung – Regionale Datenbank „Atypische Beschäftigung“; Bundesagentur für Arbeit; eigene Berechnungen Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020 17
längere Zeit schlecht verdient bzw. nicht durch- (16,6 Prozent). In Sachsen-Anhalt ist heute nach gängig beschäftigt ist, kann im Alter nur eine niedrige wie vor mehr als ein Drittel aller Beschäftigten Rente erwarten. Das gehört zur Logik des Renten- davon betroffen. systems, das auf den gezahlten Beiträgen aufbaut. Während sich der Niedriglohnsektor in Ost- Wer nur eine Teilzeitstelle findet, obwohl er bzw. deutschland nach der Wiedervereinigung rasch sie eigentlich für ein ausreichendes Einkommen etablierte und seit vielen Jahren nahezu konstant Vollzeit arbeiten muss und möchte, wer als hoch ist, weiteten sich in der Bundesrepublik Leiharbeitnehmer/-in schlechter bezahlt wird als prekäre und schlecht bezahlte Beschäftigungen die fest angestellten Kollegen/Kolleginnen, wer infolge der Agenda 2010 aus, mit Konsequenzen sich von einer befristeten Stelle zur nächsten für das gesamtwirtschaftliche Lohngefüge. hangelt und auch wer keinen anderen als einen Minijob findet, hat schlechte Chancen, Renten- Die Einführung des Mindestlohns 2015 konnte versicherungsbeiträge in einer Höhe einzuzahlen, hier ein Stück weit entgegenwirken: Nach die im Alter für ein auskömmliches Einkommen jahrelanger Stagnationsphase sind die Löhne der sorgen. Aber der Anteil solcher unsicheren und Beschäftigten im Niedriglohnsektor erstmals wieder meist schlecht bezahlten Arbeitsplätze ist hoch. deutlich gestiegen. Doch viele werden um ihren Anspruch auf Mindestlohn betrogen. In Deutsch- Neben den Zeiten unterbrochener Erwerbstätigkeit ist land sind 1,8 Millionen Arbeitnehmer/-innen von der hohe Anteil von Beschäftigung im Niedriglohn Mindestlohnbetrug betroffen. Engmaschige das größte Problem für den späteren Rentenbezug. Kontrollen und Dokumentationspflichten sind Der Niedriglohnsektor in Deutschland hat sich daher dringend notwendig! Außerdem müssen die seit dem Jahr 2000 ausgeweitet und sein Niveau Tarifbindung und Mitbestimmung vorangetrieben stagniert seit 2012. Fast jeder vierte Beschäftigte werden. Denn sobald ein Betrieb tarifgebunden ist ist betroffen. Dabei sind Frauen mit 29,2 Prozent oder über einen Betriebsrat verfügt, geht die Zahl stärker von Niedriglöhnen betroffen als Männer der Mindestlohn-Betrügereien signifikant zurück. Entwicklung des Niedriglohnanteils 1995–2016, in % der Beschäftigten 40 37,2 % 38,5 % 37,1 % 38,0 % 35,0 % 35 35,0 % 35,0 % 30 33,0 % 25 23,7 % 22,7 % 21,4 % 18,7 % 20 16,6 % 20,8 % 20,3 % 15 18,4 % 10 14,6 % 11,8 % 5 0 1995 2000 2005 2010 2016 Deutschland gesamt Ostdeutschland Westdeutschland Sachsen-Anhalt Quelle: IAQ-Report – Niedriglohnbeschäftigung 2016; eigene Darstellung 18 Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020
Rente mit 67? Weit gefehlt! Durchschnittliches Rentenalter steigt Jahren eine Altersrente, und damit 1,5 Jahre später als noch 2008. Das durchschnittliche Renten- statistisch bedingt an eintrittsalter betrug damals 62,1 Jahre. Im langfristigen Vergleich steigt das Rentenzugangs- alter in Sachsen-Anhalt an. Das ist einerseits darauf Renteneintritt von Männern und zurückzuführen, dass ältere Beschäftigte nicht mehr, Frauen gleicht sich an wie viele Jahre praktiziert, früher aus dem Erwerbs- leben gedrängt werden. Andererseits ist das gestie- Das Renteneintrittsalter von Frauen lag mit gene Renteneintrittsalter auf vermehrte gesetzliche 63,5 Jahren minimal unter dem durchschnitt- Eingriffe in den letzten Jahren zurückzuführen. Dazu lichen Renteneintrittsalter von Männern, das zählen die Einführung und Ausweitung von Abschlä- 63,7 Jahre betrug. Es ist jedoch zu beachten, gen bei vorzeitigem Rentenbeginn ebenso wie die dass es angesichts der „neuen“ Mütterrente Rente mit 67. Diese Eingriffe erfolgten mit dem Ziel, zu Sondereffekten kommt. Viele Frauen ab den Renteneintritt hinauszuschieben. Zum anderen 65 erlangten durch die Anerkennung eines wurde das Rentenniveau immer weiter abgesenkt. weiteren Kindererziehungsjahres pro Kind, das Für viele Menschen stellt sich dadurch die Frage, ob vor 1992 geboren wurde, die Wartezeit von sie es sich überhaupt leisten können, früher aus dem fünf Jahren für einen erstmaligen Renten- Erwerbsleben auszuscheiden. anspruch. Bei Männern blieb das durchschnitt- liche Renteneintrittsalter in den letzten Jahren Im Durchschnitt erhielten Arbeitnehmerinnen und relativ konstant. Arbeitnehmer in Sachsen-Anhalt 2018 mit 63,6 Durchschnittliches Zugangsalter bei Altersrenten in Sachsen-Anhalt 64,0 63,6 63,7 63,7 63,7 63,7 63,6 63,6 63,0 63,7 62,9 62,9 62,9 63,5 63,5 63,0 62,7 62,7 63,4 63,4* 63,4 62,2 62,7 62,0 61,9 62,0 61,6 61,4 60,9 61,6 61,5 61,5 61,5 61,5 61,0 61,1 61,3 61,4 61,0 60,8 60,7 60,5 60,0 59,0 58,0 00 01 002 003 004 005 006 007 008 009 010 011 012 013 014 015 016 017 018 20 20 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 Männer Frauen * Sondereffekte durch „neue“ Mütterrenten 2014 und 2015: Viele Frauen im Alter ab 65 haben durch die Anerkennung eines weiteren Kindererziehungsjahres pro Kind mit Geburt vor 1992 die Wartezeit von fünf Jahren für einen erstmaligen Rentenanspruch erlangt. Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund – Sonderauswertung Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020 19
Zugangsalter in Aus Mangel an Alternativen rücken die renten- nahen Jahrgänge vermehrt in die Erwerbsminde- Erwerbsminderungsrente steigt rungsrente nach. Im Jahr 2018 betrug das Renteneintrittsalter bei Erwerbsminderung durchschnittlich 52,8 Jahre. Frauen gehen aktuell durchschnittlich über ein Damit stieg das Renteneintrittsalter seit Mitte Jahr früher in Erwerbsminderungsrente als Männer. der 2000er-Jahre wieder an, nachdem es zu Sie müssen dabei auch eine längere Zeit mit Beginn der 2000er-Jahre zunächst gesunken war. vergleichsweise niedriger Rente leben. Je nach Der Zeitraum um die Jahrtausendwende war von Eintrittsalter, sind lebenslang Abschläge von bis einer Reihe von Frühverrentungen geprägt. Der zu 10,8 Prozent hinzunehmen. Angesichts der Anstieg des Renteneintrittsalters in den letzten geringen und weiter sinkenden Erwerbsbetei- Jahren ist hingegen auf die beschriebenen ligung im rentennahen Bereich ab 60 Jahren Reformen im Rentenrecht mit dem Ziel einer muss fast jede Rentnerin und fast jeder Rentner längeren Erwerbstätigkeit zurückzuführen. Abschläge in Kauf nehmen. Durchschnittliches Zugangsalter bei Erwerbsminderungsrenten in Sachsen-Anhalt 64,0 2000 2005 2010 63,6 63,7 63,7 201563,6 201863,7 63,7 63,6 63,0 53,0 63,7 53,5 62,9 62,9 62,9 63,5 63,5 63,0 62,7 62,7 63,4 63,4* 63,4 53 Jahre 62,2 62,0 62,7 61,9 62,0 61,6 52,1 52,1 61,4 52 Jahre 60,9 61,6 61,5 61,5 61,5 61,5 61,0 61,1 61,3 61,4 51 Jahre Männer 60,8 61,0 51,4 60,7 60,5 50,6 60,0 50,3 50 Jahre 59,0 50,1 49,2 49,6 4958,0 Jahre Frauen 00 0 01 002 003 004 005 006 007 008 009 010 011 012 013 014 015 016 017 018 48 Jahre2 20 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 Männer Frauen Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund – Sonderauswertung 20 Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020
Rente mit 67 geht an der Statt auf eine an der Lebenswirklichkeit vorbei gehende, immer längere Lebensarbeitszeit zu Lebenswirklichkeit vorbei setzten, oder sogar die Kopplung des Renten- Die Zahlen zeigen eines deutlich: Von der gesetz- einstiegsalters an die Lebenserwartung zu for- lichen Vorgabe der Rente mit 67 Jahren sind wir dern, bedarf es eines konsequenten Umbaus der weit entfernt. Viele Menschen schaffen es einfach Arbeitswelt hin zu guter Arbeit. Dazu gehören die nicht, gesund diesen Schwellenwert zu erreichen. Stärkung der betrieblichen Gesundheitsförderung Das gesetzliche Renteneintrittsalter entspricht unter Einbezug psychischer Belastungen sowie fair somit nicht dem reellen Erwerbsaustrittsalter vieler gestaltete, flexible Übergänge in die Rente und Menschen. Hinzu kommt die Beschäftigungssitua- darüber hinaus eine kontinuierliche Steigerung bei tion Älterer am Arbeitsmarkt. Umso mehr sich die der Beschäftigung Älterer. Beschäftigten ihrem Renteneintritt annähern, umso geringer sind die Beschäftigungsquoten Das Absinken des Rentenniveaus bewirkt, dass Älterer in den Betrieben und Verwaltungen. eine zunehmende Zahl von Rentnerinnen und Bundesweit waren lediglich 22,7 Prozent der Rentnern arbeiten muss, da ihre Rente nicht zur 63-Jährigen und nur 12,1 Prozent der 64-Jährigen Sicherung des Lebensstandards oder gar zur im Jahr 2018 in Vollzeit sozialversicherungspflich- Deckung des Lebensunterhaltes reicht. Bundes- tig beschäftigt. Die Stigmatisierung Älterer am weit hatten 2018 über eine Million Menschen Arbeitsmarkt zeigt sich auch darin, dass es Ältere über 65 eine ausschließlich geringfügige deutlich schwerer haben, den Wiedereinstieg in Beschäftigung. den Arbeitsmarkt zu finden. Hier braucht es ein Umdenken der Arbeitgeber. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte im rentennahen Alter 2018 Beschäftigungszahlen und -quoten zwischen 60 und 64 Jahren am 30.06.2018 38,2 40 35,8 650.000 35 642.354 205.114 33,2 600.000 30 583.780 186.502 500.000 522.831 166.992 25 22,7 437.240 400.000 20 397.278 355.839 350.036 112.518 300.000 15 12,1 200.000 237.518 10 184.865 62.793 100.000 122.072 5 0 0 60 Jahre 61 Jahre 62 Jahre 63 Jahre 64 Jahre Insgesamt Vollzeitbeschäftigte Teilzeitbeschäftigte Vollzeitbeschäftigungsquote (rechte Achse, in Prozent) Quelle: IAQ; eigene Darstellung Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020 21
Rentenpolitische Forderungen des DGB Die gesetzliche Rente schwächen und auf private 2040er-Jahren von voraussichtlich 25 Prozent zu Vorsorge setzen. Das war Anfang der 2000er-Jahre finanzieren, 1,4 Prozentpunkte mehr als bei die Idee der Politik. Sie beschloss, das Niveau der sinkendem Rentenniveau die Prognosen heute gesetzlichen Rente zu senken. Das entlastet zwar schon ausweisen. Für ein um rund 20 Prozent die Arbeitgeber von Sozialabgaben, die Beschäf- höheres Rentenniveau müssten die Beschäftigten tigten zahlen aber zusätzliche Beiträge für die also weniger als ein Prozent mehr Beitrag zahlen. private Rentenversicherung. Seitdem steigen die Renten langsamer als die Löhne: Das Renten- Um dies zu erreichen müssen auch alle versiche- niveau ist bereits um etwa zehn Prozent gesunken rungsfremden Leistungen voll aus Steuermitteln und wird – wenn alles bleibt, wie es ist – bis 2045 finanziert werden – beispielsweise die Mütterrente um weitere 13 Prozent sinken. Doch nach 15 Jahren oder die Ost-West-Angleichung. Jüngste Berech- zeigt sich: Dieser Plan lässt viele Menschen auf nungen der Rentenversicherung zeigen, dass sozialen Abstieg und Armut im Alter zusteuern. derzeit eine jährliche Unterdeckung nicht beitrags- Aktuelle Studien weisen darauf hin (DIW Wochen- gedeckter Leistungen durch den Bund in Höhe von bericht 21/22 2019), dass ohne eine Änderung 30 Milliarden Euro besteht. Dieser Griff in die der Rentengesetze durch das weiter absinkende Rentenkasse muss gestoppt werden. Zur Finanzie- Rentenniveau die schon jetzt große Altersarmut rung der notwendigen Leistungsverbesserungen in Zukunft noch erheblich steigen wird. Gibt es muss die Rentenversicherung außerdem mittel- keinen Kurswechsel, bedeutet das: Auch bei durch- fristig zu einer Erwerbstätigenversicherung weiter- schnittlichem Einkommen über Jahrzehnte drohen entwickelt werden. Dies bedeutet im ersten Schritt im Alter erhebliche finanzielle Einbußen und der eine Stärkung der Basis an Beitragszahlern durch soziale Abstieg. eine Ausweitung des Schutzes der Rentenversiche- rung auf Selbstständige und Minijobber. Um diese fatale Entwicklung zu stoppen, schlägt der Deutsche Gewerkschaftsbund folgende Grundrente für langjährige Maßnahmen vor: Beitragszahler Rentenniveau von 50 Prozent Neben dem sinkenden Rentenniveau gibt es eine zweite zentrale Ursache für geringe Renten: statt weiterer Rentensenkung Geringe Löhne über lange Zeiträume. Gerade Das Rentenniveau ist die wichtigste Stellschraube Frauen haben oft über Jahrzehnte nur zu gerin- für eine würdige Rente und die Verhinderung von gen Stundenlöhnen und in unfreiwilliger Teilzeit Altersarmut. Daher ist es richtig, dass die große gearbeitet – oftmals wegen Kindererziehung Koalition eine Stabilisierung des Rentenniveaus oder Pflege. Das sind nicht nur Ausnahmen. auf dem heutigen Stand von 48 Prozent bis 2025 Solche Erwerbsbiografien haben Millionen von beschlossen hat. Dies reicht aber bei Weitem nicht Menschen und diese Biografien kann man nicht aus. Nach 2025 soll laut geltendem Recht eine umschreiben. Die Rente muss auch in diesen Fällen weitere erhebliche Senkung der Renten folgen: für ein menschenwürdiges Leben reichen. Deshalb Im Jahr 2045 droht ein Rentenniveau von nur müssen geringe Löhne bei langjähriger Versiche- noch 41,5 Prozent. Diese Armutsspirale muss rungszeit aufgewertet werden. So kann verhindert enden. Wir brauchen dauerhaft sicherere Renten werden, dass Beschäftigte nach einem langen durch eine Erhöhung des Niveaus auf 50 Prozent. Arbeitsleben im Alter in die Grundsicherung fallen. Die Rente muss wieder für ein Leben im Alter Eine Bedürftigkeitsprüfung wäre dabei kontra- in Würde reichen und vor sozialem Abstieg produktiv: Es geht darum, die Lebensleistung der schützen. Menschen zu würdigen und sie vor Altersarmut zu schützen – wer jahrzehntelang gearbeitet Dies ist auch finanzierbar und überfordert weder hat, darf nicht im Alter gezwungen werden, zum die Beschäftigten noch die Unternehmen. Unsere Grundsicherungsamt zu gehen und sein gesamtes Forderungen sind mit einem Beitragssatz in den Vermögen zu veräußern. 22 Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020
Übergänge in Rente absichern – wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden und 45 Jahren versicherungspflichtiger Beschäftigung Renten stärken mindestens 12,63 Euro pro Stunde verdienen. Besser gestaltete und abgesicherte Übergänge vom Erwerbsleben in die Rente sind unumgänglich, da Die Leiharbeit muss endlich wirksam reguliert es in vielen Fällen durch Krankheit, Erwerbsminde- werden (gleicher Lohn ab dem ersten Einsatztag, rungen oder Arbeitslosigkeit zu regelrechten Wiedereinführung des Synchronisationsverbotes Entwertungen von Lebensleistungen kommt. Um und eine arbeitsplatzbezogene Überlassungs- solche flexibleren Ausstiege aus dem Berufsleben höchstdauer). Mit der sachgrundlosen Befristung vor Erreichen des regulären Rentenalters zu von Arbeitsverhältnissen muss Schluss gemacht ermöglichen, muss insbesondere die Altersteilzeit werden; der Missbrauch von Werkverträgen und wieder gefördert werden. Die Abschläge bei Solo-Selbstständigkeit muss wirksam bekämpft Erwerbsminderungsrenten müssen entfallen. werden. Hierzu braucht es einen klaren gesetz- lichen Kriterienkatalog sowie Mitbestimmungs- Außerdem hat sich die Rente mit 67 als Irrweg rechte für Betriebsräte. Für alle Formen abhängiger erwiesen. Viele Beschäftigte können nicht gesund Beschäftigung muss die Sozialversicherungspflicht so lange arbeiten. Der reguläre Renteneintrittsalter ab dem ersten Euro gelten. sollte wieder bei 65 Jahren liegen – wie in fast allen anderen Industriestaaten auch. Aufgrund des stetigen Von diesen Verbesserungen würden insbesondere Produktivitätswachstums war auch in der Vergangen- Frauen profitieren. Frauen sind wesentlich häufiger heit ein späteres Renteneintrittsalter ökonomisch als Männer unfreiwillig mit reduzierten Arbeits- nicht erforderlich. Durch die Digitalisierung sind in zeiten, in unsicheren Jobs sowie im Niedriglohn- der Zukunft noch außerordentliche Schübe des sektor beschäftigt. Produktivitätswachstums zu erwarten. Vor diesem Hintergrund ist die Rente mit 67 überholt. Gesundheitsschutz Außerdem brauchen wir eine Stärkung der be- endlich ernst nehmen trieblichen Altersversorgung durch eine leichtere Allgemeinverbindlichkeitsregelung, sodass alle Zu beobachten ist eine Fachkräftedebatte auf der Beschäftigten einer Branche von diesen Regelun- einen Seite und hohe Zahlen der Erwerbsminde- gen profitieren. Dabei ist darauf zu achten, dass rungsrenten auf der anderen Seite. Das passt nicht sich auch die Arbeitgeber angemessen an der zusammen. Für uns als DGB ist klar: Die Anzahl der Finanzierung der Betriebsrente beteiligen. Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner muss drastisch reduziert werden. Der Schlüssel hierzu ist Gute Arbeit. Besonders im Hinblick auf die alternde Arbeitsmarkt in Ordnung bringen Gesellschaft – der Anteil der über 50-Jährigen wird Ziel muss sein, flächendeckend Gute Arbeit zu in den nächsten Jahren stark ansteigen – muss die schaffen, denn wer dauerhaft zu Niedriglöhnen Arbeitsgestaltung in den Betrieben und Verwaltun- arbeitet, erhält auch niedrige Renten. Um dies gen alters- und alternsgerechter werden. Um dem abzuwenden, brauchen wir eine Neuordnung des Phänomen der psychischen Belastungen entgegen- Arbeitsmarktes: Das Normalarbeitsverhältnis zu zuwirken, brauchen die Beschäftigten einen größeren Tarifbedingungen muss wieder Standard sein. Schutz. Die Gewerkschaften fordern eine Anti- Daher muss die Allgemeinverbindlichkeitserklärung Stress-Verordnung, die Klarheit für die Betriebe und von Tarifverträgen deutlich vereinfacht werden, die staatliche Gewerbeaufsicht schafft. Das gewinnt sodass nicht mehr einzelne Arbeitgeberverbände auch deshalb an Bedeutung, da durch die Digitalisie- diese blockieren können. Der Mindestlohn muss rung der Gesellschaft die Gefahr der Überlastung deutlich steigen und oberhalb der Armutsschwelle vermutlich noch zunehmen wird. Außerdem müssen liegen: Um eine Rente oberhalb der Grund- die Kontrollen der staatlichen Aufsichtsbehörden sicherung zu erhalten, muss man aktuell bei einer deutlich ausgeweitet werden. Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020 23
24 Rentenreport Sachsen-Anhalt 2020
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