Institut für Angewandte Forschung Hochschule Offenburg - Ausgabe Nr. 23 / 2020

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Institut für Angewandte Forschung Hochschule Offenburg - Ausgabe Nr. 23 / 2020
Institut für Angewandte Forschung   Hochschule Offenburg

                                                                  Ausgabe Nr. 23 / 2020

                                                            Autonomie des Menschen
                                                            versus autonome Systeme

                                                           RIZ Energie
                                                           Regionales Innovationszentrum
                                                           für Energietechnik
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MEDIEN UND INFORMATIONSWESEN

Teilhabe und Emotionen im Marketing
Strategische, organisatorische und kommunikative Anforderungen
Prof. Dr. phil. Thomas Breyer-Mayländer

Bei vielen Marketingthemen geht es nicht nur um die Vermittlung eines konkreten Kundennutzens, mit
dem aufgezeigt wird, welches Problem mit dem beworbenen Produkt – seien es nun Sachgüter oder
Dienstleistungen – gelöst werden kann, sondern um die emotionale Ansprache der Zielgruppen. Dabei
ist es keineswegs nur eine Kommunikationsaufgabe, sondern die Produktkonzeption und die Gesamtaus-
richtung des Marketings verändern sich so, dass eine Teilhabe am Produkt, der Produktentwicklung und
der Produktidee möglich wird.
To communicate the use and new features of a product is quite often not any more sufficient in
marketing. Instead of these rational topics and principles we need quite often a merley emotio-
nal based communication, focused on specific target groups. This change in communication focus
is not only a challenge for the communication but also the product development. It changes the
marketing approach in a way that customers and potential customers are able to participate in the
whole development process.

                      In vielen Einsatzbereichen des Marketings      schied zwischen einer Kundenbeziehung und
                   sind die rein rationalen Argumentationsebenen     einer rein nutzenorientierten Mitgliedschaft im
                   ausgereizt und ermöglichen dennoch keine          Sinn eines Rabattsystems und einem Mitglied-
                   ausreichende Differenzierung. Die stärkere In-    schaftsverständnis, bei dem man selbst Teil
                   teraktion und Dialogorientierung, die mit dem     des Ganzen ist, kann man bei Vereinen wahr-
                   Web 2.0 und der Entwicklung sozialer Medien       nehmen. Wenn etwa ein Fußballverein wie der
                   entstanden ist, führen zu neuen Anforderungen     1. FC Kaiserslautern bei einer außerordentli-
                   der Integration von Kunden in den Produktent-     chen Jahreshauptversammlung über 1500 Mit-
                   wicklungs- und Kommunikationsprozess so-          glieder aktivieren kann und dabei auch nach
                   wie auch für eine zielgruppenorientierte, wer-    mehr als neun Stunden bei keinesfalls nur po-
                   tebasierte Kommunikationsstrategie.               sitiven Aussprache- und Diskussionsthemen
                                                                     mehr als 1000 Mitglieder weiter dicht gedrängt
                   Vom Abonnement zu                                 in der Versammlungshalle des Stadions sitzen,
                   Membership-Modellen                               dann setzt dies eine so starke emotionale Bin-
                                                                     dung an die Institution Verein und damit letzt-
                      Ein Anwendungsbereich, in dem diese Ver-       lich an die Marke 1. FCK voraus [1].
                   änderung sehr stark sichtbar wird, ist das Mar-
                   keting von redaktionellen Presseprodukten,            Eine solche Bindung kann man kaum mit
                   das traditionell vertriebsorientiert über Abon-   herkömmlichen Mitteln bei Produkten und ent-
                   nementmodelle oder im Digitalsektor über          sprechenden Markenwelten erreichen. Daher
                   Paid-Content-Modelle betrieben wurde. Hier        ist die emotionsorientierte Kundenbeziehung
                   sind stattdessen integrierende Mitgliedschafts-   eine grundsätzliche strategische Entscheidung.
                   modelle in der Entwicklung, die deutlich über     Angesichts der disruptiven und nichtdisrupti-
                   die reinen Vorteils- und Rabattclubs hinausge-    ven Marktveränderungen im Mediengeschäft
                   hen, wie sie im Kontext der Einführung von        ist es erforderlich, die bestehenden Erlösmo-
                   Abonnement- und Service-Cards an vielen Stel-     delle auf ihre langfristige Wirksamkeit hin zu
                   len entstanden sind. Den deutlichsten Unter-      überprüfen (vgl. Abb. 1).

                                                              IAF Hochschule Offenburg I forschung im fokus 2020 I 63
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                                                                                                        Abb. 1:
                                                                                                        Beispielhafte Erlösmo-
                                                                                                        delle im Mediensektor
                                                                                                        [2, S. 87]

    Die neue Dominanz durch Plattformen, sei-        und Kundenkartensysteme Mehrwerte für
en es nun Suchmaschinen, Aggregatoren oder           die Abonnenten zu generieren, führt zu einer
andere Varianten der Plattformökonomie, führt        primär rationalen Produktargumentation, die
auch bei redaktionell geprägten Medien dazu,         häufig auch den Sekundärnutzen (Vergünsti-
dass die Erlöse in den klassischen Bereichen         gungen beim Einkaufen bzw. allgemeiner aus-
schwinden und vor allem der Werbeerlös in ei-        gedrückt bei Transaktionen in der Region) in
nem zunehmend fragmentierten Markt für das           den Vordergrund rückt.
einzelne Medium immer weniger Potenzial zur
Refinanzierung bietet. Die neue Bedeutung der           Für die Bindung an die Marke, das Produkt
Vertriebs- gegenüber Werbeerlöse führt in der        und die Institution im Sinn des oben skizzierten
Konsequenz auch zu einer neuen Bedeutung             Erfolgsmodells der emotionalen Bindung ist
des Abonnements. Dennoch gelingt es den              diese sowohl bei Printabonnements als auch
klassischen Publishern, nur begrenzt diese Mo-       bei digitalen Subscriber-Modellen genutzte Va-
delle im Print- oder Digitalbereich zu etablieren,   riante nicht zuträglich.
während Plattformen mit Streamingdiensten
[vgl. 2, S. 72] wie Netflix, DAZN oder Spotify          Echte Membership-Modelle im In- und Aus-
am finanziellen und zeitlichen Medienbudget          land wie Tourtoise oder der Handelsblatt-Wirt-
der Zielgruppen angreifen. Die Lösung im Be-         schaftsclub sind wesentlich dichter am direkten
reich des klassischen Abonnementmarketings           redaktionellen Konzept und der Produktkon-
mit „dummer“ oder „intelligenter“ Customer           zeption des Medienprodukts angesiedelt. Es
Relationship Management (CRM)-Lösungen               geht nicht darum, einen Gemischtwarenladen

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an Zusatzerlösen zu ermöglichen, sondern um         Werk. Eine emotionale Grundhaltung gegen-
das Gefühl, Teil einer Mediengemeinschaft zu        über dem System Schule, die sich dann (leider)
sein, die unabhängige redaktionelle Berichter-      über die Jahre hinweg verlieren und verschlei-
stattung für einen Wert an sich hält, der gerade    ßen kann“ [3]. Angesichts der zunehmenden
angesichts populistischer Tendenzen auch im-        Heterogenität und Diversität der Schülerschaft
mer wertvoller für die einzelnen Konsumenten,       entstehen in vielen Fällen zusätzliche Heraus-
aber auch für die Gesellschaft insgesamt wird.      forderungen für alle Beteiligten, sowohl auf-
In der Folge sind dies auch interdisziplinäre       seiten der Lehrenden und Betreuenden als
Projekte in den Medienhäusern, bei denen tra-       auch aufseiten der Lernenden. Dieses Phäno-
ditionelle Fachabteilungen wie Werbevermark-        men ist dabei nicht auf einzelne Schulformen
tung, Abonnementvertrieb, Marketing/Events          und Schularten begrenzt. Ein Gymnasium, das
und Redaktion zusammenwirken müssen. Da-            zunehmend mit Kindern unterschiedlicher Ein-
mit ist die Zuordnung innerhalb der Aufbauor-       gangsvoraussetzungen gefordert wird, kann
ganisation außerhalb der bestehenden funkti-        hier genauso betroffen sein wie eine Realschule.
onalen Gliederung einer der entscheidenden
Erfolgsfaktoren für den Aufbau echter, emoti-          Die Antworten auf die herausfordernden
onaler Bindungskonzepte in diesem Branchen-         Situationen sind oftmals die Individualisierung
bereich. Wenn Membership-Modelle über rei-          innerhalb und außerhalb des Klassenverbands
ne Vorteilsclubs hinausgehen sollen, dann sind      und selbstständiges, eigenverantwortliches
Zuordnungen in bestehende Fachabteilungen           Lernen, das auch aufgrund des Stands der
wie etwa Kundenmanagement o. ä. nicht hilf-         Lehr- und Lernforschung als wirksames Instru-
reich. Auch bei funktionsübergreifenden Pro-        mentarium zur Vorbereitung auf eine nicht im
jektgruppen oder agilen Teams unter Einbezie-       Detail planbare gesellschaftliche und berufli-
hung der Redaktion wäre diese Abteilung, die        che Zukunft gilt.
am dichtesten an den von den Mitgliedern ge-
schätzten Produktmerkmalen arbeitet, nur mit           Um nun verstärkt emotionale Elemente in
einem „Gaststatus“ versehen. Die Modelle, bei       die Kommunikation aufzunehmen und damit
denen tatsächlich unterschiedliche fachliche        auch den Markenbildungsprozess von Schulen
Kompetenzen und damit auch die unterschied-         zu stärken, müssen zunächst die grundlegen-
lichen Funktionsbereiche der Aufbauorgani-          den Voraussetzungen für emotionale Kommu-
sation zusammenwirken, sehen daher eigene           nikation geklärt werden. Emotionale Botschaf-
Zuordnungen vor.                                    ten wirken dann authentisch, wenn sie sich auf
                                                    vorrangig emotionale Anlässe beziehen. Daher
Werteorientierte und emotionale                     müssen zunächst diese Anlässe ausgearbeitet
Kommunikationsanforderungen                         und berücksichtigt werden.
am Beispiel „Schul-PR“
    Die Notwendigkeit einer verstärkt emoti-
onalen Bindung hat jedoch nicht nur Auswir-
kungen auf die organisatorische Einbindung
der Maßnahmen, wie sie oben am Beispiel der
Nachrichtenmedien aufgezeigt wurde, sondern
wirkt sich auch auf den Kommunikationsansatz
selbst aus. Am Beispiel der PR-Arbeit in und
für Schulen lässt sich dies plastisch darstellen.
Dass Schule eng mit emotionalen Befindlich-
keiten gekoppelt ist, lässt sich nachvollziehen:
„Schulisches Erleben ist stets ein emotionales
Erleben, das durchaus unterschiedlich und
wechselhaft sein kann. Dabei beginnt zunächst
der Einstieg in die Schule in vielen Fällen mit
einer grundsätzlich positiven Tendenz. Die an-
gehenden Erstklässler*innen sind meist sehr
stolz auf ihren Einstieg in die nächste Stufe des
„Großwerdens“ und gehen in vielen Fällen            Abb. 2:
sehr positiv gestimmt und hoch motiviert ans        Emotionale Szenarien am Beispiel der Schulkommunikation [3]

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MEDIEN UND INFORMATIONSWESEN

    Die individualisierten Lehr- und Lernkon-
zepte sowie das teilweise sehr stark individua-
lisierte Freizeit- und Mediennutzungsverhalten
beinhalten jedoch auch die Gefahr einer nega-
tiven Form der Individualisierung, die in eine                             Gerade in der ungleich schwierigeren Pha-
Egozentriertheit münden kann. Daher sind                                se der Krisen-Kommunikation der Schulen in
Schulen verstärkt als wertebildende Instanz                             Corona-Zeiten sind emotionale Bindungen
gefordert, die Kinder und Jugendliche dabei                             und verbindliche Werte eine wichtige Voraus-
unterstützt, sich in einem stabilen Wertegerüst                         setzung für den Kommunikationserfolg [4].
weiterzuentwickeln. Da zudem die Halbwerts-
zeit von Wissen und Kompetenzen in einer di-
gitalen Umwelt und Arbeitsumgebung in vie-
len Bereichen immer kürzer wird, sind Schulen
zunehmend als Vermittler von Sinn und Grund-
sätzlichem gefordert. Auch dies zahlt auf den
Stellenwert der Werte in der schulischen Arbeit
ein. Damit sich eine Schule im Wettbewerb zu
anderen Schulen positionieren kann, muss sie
in der Lage sein, auch auf der Ebene der Kom-
munikation klarzumachen, welches inhaltliche
Profil sie besitzt und wie dieses Profil mit spezi-
fischen Werten der Schule in Verbindung steht.
Diese Wertorientierung muss dann jedoch nicht
nur auf der inhaltlich-intellektuellen Ebene, das
bedeutet auf der rationalen Wirkung, verankert
sein, sondern im Schulalltag real werden und
somit auch emotional erlebbar sein.

   Aus beiden genannten Dimensionen (Wert-
orientierung auf rationaler und emotionaler
Basis) entsteht verstärkt daher auch beim Bei-
spiel der PR-Arbeit im schulischen Sektor die
Anforderung, emotionale Kommunikationsan-                               Abb. 3:
lässe [vgl. 3] zu nutzen und zudem emotionale                           Emotionale Kommunikationskanäle und -formate für Schulen [3]
Kommunikationskanäle und -formate zu fin-
den (vgl. Abb. 3).

   Vor allem diese emotionalen Kanäle und                                 AUTOR
Formate legen nahe, dass sich die Kommuni-
kationsverantwortlichen damit auseinander-                                                   Prof. Dr. phil. Thomas Breyer-Mayländer
setzen, wie man diese Kommunikations- und                                                    Professor für Medienmanagement,
                                                                                             Forschungsgebiete: Medienmanagement,
vor allem auch Interaktionsformen nutzen
                                                                                             Führung, Digitale Transformation, Wissen-
kann. Dies setzt ein eigenes Narrativ voraus,                                                schafts- und Bildungsmanagement
bei dem es auch um ein emotionsorientiertes                                                  breyer-maylaender@hs-offenburg.de
Storytelling geht.

Referenzen/References:
[1] Breyer-Mayländer, Thomas (2019): Emotionale Bindung in              Springer Gabler; Wiesbaden; S. 67-91; ISBN 978-3-658-26049-1
Membership-Modellen, Vortrag beim Fachtag „WELCOME TO THE               [3] Breyer-Mayländer, Thomas (2020): Öffentlichkeitsarbeit muss
CLUB: Neue Mitgliedschaftsmodelle für Verlage“, Bundesverband           Werte und Emotionen vermitteln, in: Regenthal, G./Schütte, J.;
Deutscher Zeitungs-verleger, Berlin, 3. Dezember 2019, Teilbericht      Öffentlichkeitsarbeit mach Schule; Wolters Kluwer Deutschland
basierend auf der Moderation des TOP „Aussprache“ der a. o. JHV         (Aktualisierungslieferung Nr. 25; Februar 2020); Loseblatt-Werk;
des 1. FCK am 1. Dezember 2019 in Kaiserlautern                         Neuwied; ISBN 978-3-556-01044-0
[2] Breyer-Mayländer, Thomas (2019): Hintergrund: Abomarketing          [4] Breyer-Mayländer, T. (2020): Interne und externe Schulkommunika-
im Umfeld disruptiver und nichtdisruptiver Veränderungen aus            tion in der Corona-Krise: Erfahrungen und Empfehlungen für Krisen-
wissenschaftlicher und praktischer Perspektive; in: Breyer-Mayländer,   zeiten, in: SchulVerwaltung Ausgabe Hessen, Rheinland-Pfalz, 25. Jg.
T./Keil, M.(Hrsg.); Kundengewinnung und Kundenbindung bei               05/2020, S. 149-152
Presseabonnements: Aktuelle Methoden und praktische Erfahrungen;

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