IST ER DER RICHTIGE ? - NRW School of Governance

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IST ER DER RICHTIGE ? - NRW School of Governance
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                                        IST ER DE R RI C H TI G E ?
                                        CDU-Chef Armin Laschet steht gerade gewaltig unter Druck.
                                        Das ändert nichts daran, dass er sich das Kanzleramt zutraut.
                                        Dochist er wirklich gerüstet für den Spitzenjob? Ein Eignungstest
                                        Von Andreas Hoidn-Borchers und Axel Vornbäumen
FOTO: LUKAS SCHULZE/GETTY IMAGES

                                   24     8.4.2021
IST ER DER RICHTIGE ? - NRW School of Governance
Schattenmann:
  Als CDU-Vorsit-
 zender ist Armin
   Laschet schon
     qua Amt der
   Favorit für die
Merkel-Nachfolge

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IST ER DER RICHTIGE ? - NRW School of Governance
D
                                                                                                                                     Blick nach vorn:
                                                                                                                                       Armin Laschet
                                                                                                                                     muss auch viele
                                                                                                                                      CDU-Anhänger
                                                                                                                                          noch davon
                                                                                                                                         überzeugen,
                                                                                                                                          dass er der
                                                                                                                                    richtige Kanzler-
                                                                                                                                         kandidat ist

Die Vorosterwoche war zum Abgewöhnen.
An den Feiertagen hat er nachgedacht. Jetzt
beginnen die entscheidenden Tage.
    Seit Ostermontag läuft die bis Pfingsten
gesetzte Frist, in der sich Armin Laschet
mit Markus Söder für die wichtigste stra-
tegische Entscheidung der Union der letz-
ten 16 Jahre zusammenraufen muss – die
Aufstellung für den Neuanfang nach der
Ära Merkel. Sie tun das inmitten einer
­tiefen Sinnkrise der Union, flankiert von
 einem dramatischen Vertrauensverlust
 der Politik insgesamt und geradezu unter-
 irdischen Beliebtheitswerten Laschets.
 Laut einer Forsa-Umfrage wollen nur
 21 Prozent der CDU-Mitglieder Laschet als
 Kanzlerkandidaten. Zweifel im eigenen
 Laden. Im Fußball würde man sagen: Der
 Favorit steckt mitten im Abstiegskampf.
    Denn Favorit – das ist Armin Laschet
auch weiterhin. Als CDU-Chef ist er der
 erste Anspruchsberechtigte auf die Kanz-
 lerkandidatur der Union. Sollte Laschet da-
 von überzeugt sein, dem Amt des Bundes-

                                               „VIELE VERTRAUEN IHM“
 kanzlers gewachsen zu sein – und diesen
 Eindruck vermittelt er nach wie vor –,
 dann gilt: Will er, dann wird er.
                                               Herr Kerkhoff, Sie haben als       ein Wohlfühlgefühl                            halb vertrauen ihm
    Nur, ist der Mann aus Aachen der Rich-
                                               Berater mit Sitz in Düsseldorf     für alle Beteiligten zu                       viele Unternehmer.
 tige?                                         viele Kontakte zu Unterneh-        entwickeln, was Kom-                          Interessant ist etwa
    Die Frage gewinnt auch deshalb an Be-      men – wie wird Armin               promisse erleichtert.                         das geplante „Belas-
 deutung, weil die Pandemie dieses Land        Laschet wahrgenommen?              Er hinterlässt keine                          tungsmoratorium“.
                                                                                                                                                        FOTOS: JULIA SELLMANN/LAIF; FUNKE FOTO SERVICES; JENS STEINGÄSSER
 länger beschäftigen wird als gedacht.         Anfangs gab es in der Wirt-        verbrannte Erde. Sein                         Damit will er Firmen
 Als nächster Kanzler würde er, bevor er       schaft große Zweifel, ob Armin     Image ist es, anzupa-                         vor zu viel Kosten
 Deutschland aus der Corona-Krise heraus-      Laschet der richtige „Landes-      cken und Lösungen im Kon-          und Bürokratie bewahren.
 führen kann, den Staat mutmaßlich bis auf     vater“ ist: zu unspektakulär, zu   sens zu suchen. Seine Themen       Bringt er denn die Eigen-
                                               angepasst, zu wenig charisma-      entsprechen dem Zeitgeist: Di-     schaften als Kanzler mit?
 Weiteres durch die Corona-Krise führen        tisch? Auch bei der Wahl zum       gitalisierung, Ausbau der Was-
 müssen. Armin Laschet hat das schon mal                                                                             Armin Laschet hat in NRW be-
                                               Bundesvorsitzenden der CDU         serstoffwirtschaft, eine grünere   wiesen, dass er eine Regierung
 an exponierter, aber eben auch nachgeord-     schien die Wirtschaftskompe-       Energieversorgung der Grund-       führen kann. Er kennt die
 neter Stelle in Düsseldorf üben können.       tenz seines Kontrahenten alles     stoff- und Stahlindustrie.         wichtigen Themen und arbei-
 Überzeugend war er dabei nicht.               zu überstrahlen. Aber Laschet      Ist er jemand, der mit Unter-
                                                                                                                     tet daran. Wenn auch die bun-
    Der stern hat versucht, sich bei der ge-   ging seinen Weg. Mittlerweile      nehmen das Gespräch sucht?
                                                                                                                     desdeutsche Komplexität eine
 meinsamen Suche mit Experten (siehe           hat er die Mehrzahl der Unter-     Herr Laschet genießt unzwei-
                                                                                                                     wesentlich höhere ist, ist es
                                               nehmenslenker erreicht.            felhaft einen guten Ruf. Er
 Kästen) nach einer Antwort auf die Frage                                                                            ihm zuzutrauen, diese Themen
                                               Wa­rum? Er hört zu, ist an den     forciert den Strukturwandel in
 nach dem Richtigen von Eindrücken der         Themen ernsthaft interessiert      Richtung Digitalisierung und       im Konsens zu lösen.
 letzten Tage frei zu machen, von der Kritik   und geht sie lösungsorientiert     Klimaschutz, aber er betont im-    Gerd Kerkhoff ist Chef der
 Merkels an ihm bei „Anne Will“, von den       an! Zudem versteht er es, trotz    mer „Maß und Mitte“. Er würde      Unternehmensberatung
 Sticheleien Söders aus Bayern und von den     unterschiedlicher Meinungen        nie zu aggressiv vorgehen, des-    Kerkhoff Consulting

26        8.4.2021
IST ER DER RICHTIGE ? - NRW School of Governance
„WENIG INTERESSE AM KLIMASCHUTZ“
weitgehend irrlichternden Auftritten die-
ses getrieben wirkenden Mannes bei „Mar-
kus Lanz“ und anderswo.
                                                 „Ich will, dass unser Land        manns-Romantik, als sei gera-     Erderhitzung genau nutzen
   Kanzler sein, so viel steht fest, das kann    klimaneutral wird, nicht mit      de 1965. Und wenn man seine       soll – ach nein, doch: „Grüner
nicht jeder. Nicht einmal jeder Spitzen-         Bürokratie, sondern mit Inno-     Verlautbarungen durchforstet,     Stahl“ soll dabei rauskommen.
politiker. Die „Todeszone der Politik“ hat       vation, mit nachhaltigen          kommt da ein „Modernisie-         Industriepolitisch ist Laschet
es Joschka Fischer einmal genannt, der           Technologien und mit markt-       rungsjahrzehnt“ vor, in dem       als Boomer im Wirtschafts-
Achttausender ohne Sauerstoffflasche.            wirtschaftlichen Instrumenten.“   aber ein rigides Klimaschutz-     wunder stehen geblieben, kli-
   Die Bundesrepublik hat in ihren sieben        Nun ja, könnte man zu diesem      konzept offenbar nicht zur        mapolitisch kommt er bis heute
                                                 klimapolitischen Programm         Modernisierung zählt. Alles,      nicht hinterher. Denn Klima-
Jahrzehnten wenig Kanzler gebraucht. Kei-        Armin Laschets sagen, das         was er in dieser Richtung er-     schutz muss immer „im Aus-
ner von ihnen, so viel kann man sagen, war       wird das Klimasystem wenig        zählt bekommen hat und was        gleich zwischen sozialen und
ein Ausfall. Und gerade die zunächst skep-       beeindrucken. Denn das Set-       für ihn modern zu sein scheint,   wirtschaftlichen und klimapoli-
tisch Beäugten haben dem Land gutgetan.          zen auf die berühmten markt-      ist Wasserstoff. Grüner Wasser-   tischen Fragen gefunden
Willy Brandt, der den Rechten als Vater-         wirtschaftlichen Instrumente      stoff. Der soll’s bringen,                     werden“, und wir
landsverräter galt; Helmut Kohl, der für die     hat im Gegensatz zu verschärf-    aber mehr so worthül-                          wissen ja aus Erfah-
                                                 ten Emissionsgesetzen bislang     senmäßig: „Deutsch-                            rung, dass wir ihn
Linke „Birne“ war, ein Depp aus der Pro-         noch kein Gramm CO2 einge-        land kann und soll                             da lange suchen
vinz; Merkel, von den eigenen Leuten als         spart. Klimaschutz interessiert   Wasserstoffland Num-                           können, den Klima-
ostdeutscher Fremdkörper empfunden.              Laschet ungefähr so intensiv      mer eins werden.“                              schutz. Glückauf.
   Was also muss, was müsste der Mann            wie die FDP. In seiner Bewer-     Weder wird klar, warum                         Harald Welzer ist
mitbringen, um die Bundesrepublik als            bungsrede für den CDU-            und wie, und was das                           Autor des Buches
neunter Kanzler durch die 20er Jahre des         Vorsitz punktete er mit Berg-     im Kampf gegen die                             „Klimakriege“
21.Jahrhunderts zu führen, jenes gerade
beginnende Jahrzehnt des weltweiten Auf-
bruchs, in dem der Planet beim Klimawan-            Ministerpräsident ist im Prinzip ein           Vertrauen aufbauen. Verlässlichkeit be-
del am Scheideweg steht, in dem Europa           gehobener Verwaltungsjob – Kanzler sein           weisen. Kontakte knüpfen. Kompromisse
politisch und ökonomisch zu verzwergen           aber bedeutet: Handlungssicherheit auf            schließen. Bei Bedarf: klare Kante zeigen.
droht und in dem die Demokratie im In-           ganz großer Bühne. Es ist die Königsdiszi-          Laschet allerdings stiege in schweren
nern verteidigt werden muss.                     plin. Das internationale Ansehen eines            Zeiten ins globale Polit-Business ein. „Die
   Eine Herkulesaufgabe? Nur wenn man            Landes steht und fällt ganz wesentlich mit        internationale Ordnung wandelt sich. Es
es oberflächlich betrachtet. Es ist viel mehr.   der Performance des Regierungschefs. Es           wird viel Kraft kosten, für das einzustehen,
Die entscheidende Frage lautet deshalb:          ist der Kanzler, der die Definitionshoheit        was uns wert ist“, analysierte der Präsident
Was bringt Armin Laschet mit?                    darüber hat, wie die globale Rolle Deutsch-       der Bundesakademie für Sicherheitspoli-
                                                 lands aussehen soll. Außenpolitische              tik, Ekkehard Brose, unlängst die Weltlage.
Die große Bühne                                  Expertise wäre gut. Laschet hat sie, von          Das stimmt. Die EU ist innerlich zerrissen
Der NRW-Ministerpräsident weist in eige-         Europa abgesehen, nicht.                          und ökonomisch bislang schlechter durch
ner Sache gern darauf hin, dass jeder               Schon richtig, auch Merkel hat dafür Zeit      die Pandemie gekommen als China und
Regierungschef eines großes Bundeslan-           gebraucht: Die zunächst zögerliche Annä-          die USA; sie findet sich inmitten eines
des auch qualifiziert sei, ins Kanzleramt        herung an Obama, die erst spät zu einem           Behauptungskampfes wieder, bei dem alte
einzuziehen. Selbst hochmögende Partei-          Verhältnis auf Augenhöhe führte, die vie-         Allianzen unter Donald Trump erhebli-
freunde halten das, nicht ganz zu Unrecht,       len Reisen nach China, die Treffen und            chen Schaden davongetragen haben. Die-
für „hanebüchenen Unsinn“.                       Telefonate mit Putin. Vieles ist Handwerk.        se wiederzubeleben wird nicht einfach         4
IST ER DER RICHTIGE ? - NRW School of Governance
Die kurze Szene verdeutlicht sehr schön,
                                                                                                        was ein CDU-Mann als derzeitige „Sinn-
                                                                                                        suche“ der Partei beschreibt. Laschet muss
                                                                                                        den Leidensdruck über langsames Inter-
                                                                                                        net und bräsige Bürokratie in Reformwil-
                                                                                                        len transferieren und dabei darauf achten,
                                                                                                        dass die Erinnerung daran verblasst, wer
                                                                                                        für den beklagten Reformstau verant-
                                                                                                        wortlich war. „Warum wollen wir nach 16
                                                                                                        Jahren noch mal regieren?“, fragt ein Par-
                                                                                                        teifreund und klagt: „Darauf haben wir
                                                                                                        noch keine überzeugende Antwort.“
                                                                                                           Genau diese Antwort müsste Laschet
                                                                                                        liefern. „Wir können Veränderung. Doch
                                                                                                        wir sind in den letzten Jahren zu bequem
                                                                                                        geworden“, hielt der CDU-Chef vorige Wo-
                                                                                                        che zu Beginn der Programmdiskussion
                                                                                                        seiner Partei und dem ganzen Land vor.
     Dunkle Wolken über Düsseldorf. „Wir sind in den letzten Jahren                                        Ist er selbst der Modernisierer, der da-
       zu bequem geworden“, sagt Armin Laschet. Analyse kann er                                         für nun nötig wäre? Um hier ausnahms-
                                                                                                        weise seinen Konkurrenten als Ver-
                                                                                                        gleichsgröße anzuführen – Markus Söder
   sein, schon gar nicht für einen Neuling an         lande mit China hält, macht seinen Job            wäre in dieser Disziplin jedenfalls der
   Deutschlands Regierungsspitze.                     nicht einfacher.                                  Glaubwürdigere. Söder ist ein Hightech-
      Der Zauber des Neuanfangs wäre schnell            Und dann ist da noch der ewige Putin.           Aficionado, pumpt Milliarden in seinen
   verflogen, sollte sich ein künftiger Kanz-         Immerhin, Laschet favorisiert den Weiter-         Freistaat, um die digitale Transformation
   ler auf Nato-Gipfeln standhaft weigern,            bau der Pipeline Nord Stream 2. Das könn-         voranzubringen, und lässt keine Gelegen-
   dem US-Druck nach mehr militärischem               te bei den Beziehungen zu Russland hel-           heit aus, seine Technikbegeisterung zu
   Engagement und stärkerer finanzieller              fen, verprellt aber die Amerikaner.               demonstrieren. Laschet ist in dieser Hin-
   Beteiligung nachzugeben. Ist er zu nach-                                                             sicht dezenter. In NRW sorgt eher der
   giebig, droht Ärger mit seinem mutmaß-             Das neue Deutschland                              Koalitionspartner FDP für Tempo.
   lichen Koalitionspartner, den Grünen.              Armin Laschet hat es selbst festgestellt:            Immerhin – Anfang des Jahres hat
      Merkel hatte überdies früh China als            „Dieses Land ist in keinem guten Zu-              Laschet gemeinsam mit Jens Spahn (der da-
   kommende Supermacht identifiziert, sie             stand.“ Nach vorn klingt das ambitioniert         mals noch bessere Beliebtheitswerte hatte
   entwickelte eine Faszination für das Land,         – als Bilanz der Ära Merkel ist es eine her-      als heute) einen Plan „Für ein innovatives
   aus der eine Beziehung gegenseitigen Re-           be Kritik. Auf den Vorhalt in der Talkshow        und lebenswertes Deutschland“ vorgelegt.
   spekts erwuchs. Laschet? Kennt Peking nur          von Moderator Markus Lanz – „Wer hat              Darin unter anderem enthalten: ein Digi-
   in Form der gleichnamigen Ente von unten           denn jetzt 16 Jahre regiert?“ – antwortete        talministerium, die Schaffung einer Block-
   links auf der Speisekarte. Dass die USA            Laschet eher schusselig denn schlüssig:           chain-Infrastruktur, die Digitalisierung
   misstrauisch beäugen, wie man es hierzu-           „Das hat doch damit nichts zu tun.“               der öffentlichen Verwaltung.                4

                                                                                                                                                          FOTOS: JULIA SELLMANN/LAIF; SEBASTIAN GOLLNOW/DPA; LAND NRW/RALPH SONDERMANN
„EUROPA HAT IHN GEPRÄGT“
                  Kann Armin           ten Jahr Präsident und erst einmal
                  Laschet Europa,      die Autorität in der Gemeinschaft.
                  Herr Oettinger?      Armin Laschet kann es aber schaf-
                  Eindeutig ja. Ich    fen, nach einer Anlaufphase von 18
                  habe ihn oft in      Monaten an Merkels führende Rolle
                  Sitzungen erlebt.    anzuknüpfen – auch dank der
Ich kann mich an keinen Satz von       starken deutschen Volkswirtschaft.
ihm erinnern, der euroskeptisch        Wird er das Prinzip weiter
oder gegen Europa gerichtet war. Er    verfechten: Geld gegen Einfluss?
ist stolzer Aachener, aufgewachsen     Armin Laschet weiß, wie überle-
im Dreiländereck, das hat ihn ge-      benswichtig die EU für uns ist. Wir
prägt. Er ist es gewohnt und bereit,   haben riesiges Interesse daran, dass
über Grenzen, über den Tellerrand      Grenzen und Zölle wegfallen und                                                      Mit Macron und Merkel
hinauszugucken.                        wir Handelsabkommen schließen
Könnte er Merkels Führungsrolle        können. Das geht nur mit Europa.       deutscher Unternehmer zurück.        trales Kapitel sich mit der Stärkung
in der EU übernehmen?                  Und da müssen wir auch ein biss-       Was muss er anders machen als        Europas befasst – und dass dies ab
Die Antwort kennt man erst, wenn       chen einzahlen für schwache Regio-     Merkel?                              dem ersten Tag umgesetzt wird.
im April nächsten Jahres in Frank-     nen. Von jedem Euro, den Berlin        Ich erwarte, dass ein Kanzler        Das traue ich ihm auch zu.
reich gewählt worden ist. Wird er im   nach Brüssel überweist, kommen 70      Laschet einen Koalitionsvertrag      Günther Oettinger (CDU) war zehn
Amt bestätigt, ist Macron im sechs-    Prozent allein in die Auftragsbücher   aushandelt, dessen erstes und zen­   Jahre EU-Kommissar

   28         8.4.2021
IST ER DER RICHTIGE ? - NRW School of Governance
BI D E N , P U T I N , X I - D A S IS T D IE
                                                                                                         fenen Herzen – durchsetzen. Integration
                                                                                                         bekäme unter ihm ein stärkeres Gewicht.
                                                                                                            Früh als „Türken-Armin“ und Migran-
                                                                                                         ten-Versteher verspottet, würde er als
                                                                                                         Kanzler einen Kurs zwischen Gefühl und
                                                                                                         Härte fahren: mehr Hilfen für die Integra-
                                                                                                         tionswilligen – und ein rigoroses Vor­gehen
                                                                                                         gegen Clankriminalität.
                                                                                                            Schwieriger würde es für ihn dagegen,
                                                                                                         zumindest am Anfang, den immensen
                                                                                                         Verlust des Vertrauens in die Politik im All-
                                                                                                         gemeinen und die Union im Besonderen
                                                                                                         wettzumachen. Genau deshalb war Mer-
                                                                                                         kels Angriff auf Laschet, in NRW gegen die
    Die Rede seines Lebens: Laschet beim digitalen Parteitag, auf dem er im Januar                       gerade beschlossenen Corona-Richtlinien
       zum CDU-Vorsitzenden gewählt wurde. Besser wurde es seitdem nicht mehr                            zu verstoßen, so verheerend für ihn. Sie
                                                                                                         zielte auf das größte Kapital, über das Poli-
                                                                                                         tiker verfügen: Vertrauen.
     Angela Merkel, man muss das so sagen,          Corona-Monat wachsende Staatsverdros-
  hat in ihren Regierungsjahren auch viel           senheit.                                             Die Kunst des Ausgleichs
  über die Bedeutung der Digitalisierung               Für diese Aufgabe wäre Laschet geeig-             Laschet beherrscht eine politische Kunst,
  ­doziert. Es kam dann aber immer etwas            net wie für keine der anderen Herausfor-             die ein Regierungschef, der seinen Amts-
   Wichtigeres dazwischen.                          derungen. Selten positioniert er sich der-           eid ernst nimmt und sich tatsächlich als
                                                    art klar wie bei der Abgrenzung gegen                Kanzler aller Deutschen versteht, unbe-
  Der innere Zusammenhalt                           rechts. Die AfD? „Die AfD ist nicht bürger-          dingt beherrschen muss: Er kann zusam-
  Merkels Nachfolger muss Krise, Klima-             lich, sie ist der Feind unserer freiheitlichen       menführen.
  wandel und Internationales können. Alles          Grundordnung.“ Und: „Jedwede Koopera-                  Der CDU-Chef ist ein Mann des Aus-
  andere ist Beiwerk, Alltagsgeschäft. Dafür        tion, Zusammenarbeit, Duldung oder                   gleichs, was nicht zuletzt seinem rheini-
  gibt es Fachminister. Mit einer Ausnahme:         Koalition mit der AfD ist für Christdemo-            schen Charakter geschuldet ist. In diesem
  Er muss die Gesellschaft im Innersten             kraten inakzeptabel.“                                Punkt ist er Helmut Kohl weit ähnlicher als
  zusammenhalten und, angemessen großes                In der Flüchtlingskrise stand er als einer        Angela Merkel. Die hat sich vorzugsweise
  Wort, die Demokratie verteidigen. Gegen           von wenigen bis zuletzt an der Seite Mer-            mit Ähnlichdenkern umgeben und den kon-
  die Feinde von rechts außen, gegen Anti-          kels. Ein Kanzler Laschet hätte wohl nicht           servativen Teil der CDU nachhaltig vergrätzt.
  semitismus und Rassismus, gegen die               anders gehandelt und würde auch jetzt                  Kohl hatte es in seinen guten Zeiten im-
  Zweifler und die mit jedem weiteren               eine Politik der offenen Grenzen – und of-           mer geschafft, fast die gesamte Breite der

„FÜHREN UND SAMMELN“
Kanzler müssen robust sein. Sie       Merkel-Jahre: sachlich, zurückhal-     Erfahrung – idealerweise                          mit Mehrheitsregeln, die
sind keine Übermenschen, aber ohne    tend, bescheiden und bis an die        in Regierungsämtern –                             administrative Arena mit
grenzenlose physische Belastbarkeit   Schmerzgrenze nüchtern. Führung        verfügen. Denn das Un-                            einvernehmlicher Koopera-
ist der Job nicht auszuüben. Nie      aus dem Kanzleramt hatte immer         erwartete zu managen                              tion (dem Machtgebrauch
                                                                                                                                                             FOTOS: STEFFEN BOETTCHER/LAIF; HORST GALUSCHKA/DDP

privat, immer öffentlich, das muss    Büroleiter-Charme. Der erklärungs-     bedarf politischer Erfah-                         ohne Machtdemonstration)
man auch mögen. Die Erwartungen       arme Pragmatismus der Situations-      rungslinien. Ob sie oder er                       und die öffentliche Arena,
an dieses Amt sind hoch.              kanzlerin kam postheroisch-unauf-      eher kooperativ-empa-                             in der Aufmerksamkeit und
Insofern sollte man enttäuschungs-    geregt daher. Zum Merkelismus          thisch oder neodirigistisch führt, ist   Präsenz zur Machtwährung gehören.
resistent sein. Denn die vielen       gehört auch das Unterargumentie-       im Moment der Pandemie unent-            Wer diese drei Arenen klug bespielt,
unerfüllten Erwartungen muss man      ren: die Herausforderung der           schieden. Aber die Sehnsucht nach        kann sich lange im Amt halten.
aushalten können, ohne depressiv zu   Wirklichkeit jetzt abzuarbeiten.       einem neuen Auftritt ist messbar.        Führen und sammeln muss dabei
werden.                               Der Wirklichkeitsgehorsam dieses       Bedient Laschet diese Projektionen       der Antrieb des neuen Tagesinte­
Jeder Kanzler hat einen eigenen,      Regierungsstils, der uns sicher        aus der politischen Mitte?               grationsweltmeisters sein.
besonderen Führungs- und Kommu-       durch viele Krisen navigierte,         Der Erfolg hängt entscheidend da-        Karl-Rudolf Korte, 62, ist Professor
nikationsstil ausgeprägt. Nach der    kommt an einen Endpunkt, weil          von ab, wie die drei zentralen Arenen    an der Universität Duisburg-Essen.
rot-grünen maskulin protzenden        ihm der Möglichkeitssinn fehlt.        des Regierens gekonnt spielerisch        Kürzlich erschien sein neues
Kraftmeierei der Schröder-Jahre       Der Kanzler oder die Kanzlerin in      verzahnt werden. Das Politik­            Buch„Coronakratie.Demokratisches
gewöhnten wir uns schnell an die      der politischen Erbschaft von Merkel   management aus dem Kanzleramt            Regieren in Ausnahmezeiten“
protestantische Armutsästhetik der    muss zudem über große politische       braucht die parlamentarische Arena       (Campus)

  30        8.4.2021
IST ER DER RICHTIGE ? - NRW School of Governance
M E SS LATT E
  Gesellschaft schon im allerdings sehr            fängt er oft an zu faseln und mit den Hän-         lerin“, wie es der Politikwissenschaftler
  männerlastigen Kabinett abzubilden –             den zu fuchteln. Souverän, unsouverän,             Karl-Rudolf Korte formuliert.
  vom Herz-Jesu-Marxisten Norbert Blüm             Laschet.                                             Immerhin: Generell mangelnde Druck-
  bis zu den harten konservativen Knochen            Es hat ihn, den Grundanständigen, bis-           resistenz kann man Laschet nicht vorwer-
  wie Manfred Kanther. Und er hat viel Zeit        lang in der Politik nach oben gespült, mit         fen. In eigener Sache besitzt er sie durch-
  am Telefon verbracht, um Parteifreunden          harten Bandagen kämpfen musste er                  aus. Im Januar hat er in der entscheiden-
  das Gefühl zu geben, wichtig zu sein.            nicht. Vom Rütteln am Zaun des Kanzler-            den Situation die Rede seines Lebens
     Laschet ist da ähnlich. Er weigert sich be-   amts ganz zu schweigen. Franz Münte­               gehalten und den CDU-Parteitag von sich
  harrlich, schlecht über andere zu reden:         fering, der alte SPD-Vereinfacher, hat die         überzeugt. Und bis zum Redaktions-
  „Mein Stil ist das nicht.“ Mögliche Konflik-     Welt einmal eingeteilt in Steher und Ge-           schluss dieser Ausgabe trotzt er standhaft
  te versucht er bereits im Kabinett abzuräu-      her – Menschen, um die sich bei einer Par-         dem orkanartigen demoskopischen
  men. Wer die über viele Jahre üblichen           ty Trauben bilden, und die anderen, die            Gegenwind.

  Streitereien in den Berliner Koalitionen         von Traube zu Traube ziehen. Laschet ist             Daraus zu folgern, dass er als Kanzler
  erlebt hat, weiß: Das ist ein Pfund. „Er ist     ein Geher, seine Verdrängung ist gering.           kühlen Kopfes die richtige Entscheidung
  sachorientiert und unprätentiös“, sagt           Man dreht sich nicht automatisch um,               treffen würde, wenn er nachts um drei in
  Allensbach-Chefin Renate Köcher, die La-         wenn er einen Saal betritt, was auch an            einer Frage auf Leben und Tod aus dem
  schet berät. „Außerdem grundanständig.“          seinem Habitus liegt. Das hat mit seiner           Schlaf geklingelt wird, ist müßig. Man weiß
    Nur – sind das die Eigenschaften, auf die      überschaubaren Körpergröße (1,72 Meter)            es nicht. Man muss darauf vertrauen, dass
  es ankommt, oder sind es, in der Todeszone       übrigens nichts zu tun, Gerhard Schröder,          Armin Laschet selbst glaubt, diese Frage
  der Politik, allenfalls Sekundärtugenden?        der Rüttler am Zaun, war auch nicht viel           für sich und die ganze Nation richtig be-
  Anders gefragt: Kann, wer zusammen-
  führt, auch führen? Vor allem: Kennt er die
                                                   größer.
                                                     Sicher, auch hierfür gilt: Das ändert sich
                                                                                                      antworten zu können.      2
  Richtung?                                        mit dem Amt. Aber ein bisschen Strahl-                              Andreas Hoidn-Borchers (l.)
                                                                                                                       und Axel Vornbäumen
    Da sind Zweifel angebracht. Sein Kurs          kraft neben dem Nimbus der wichtigen
                                                                                                                       sympathisieren in der K-Frage
  in der Corona-Krise schwankte perma-             Position würde nicht schaden, ein anderer                           mittlerweile mit Karl Valentin:
  nent zwischen Lockerheit und Lockdown.           Auftritt nach den Jahren des „erklärungs-          „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie
  Muss er sich und seine Politik verteidigen,      armen Pragmatismus der Situationskanz-             die Zukunft betreffen.“ Mitarbeit: Timo Pache

                                     Lesen Sie auf den folgenden Seiten: Laschets Bilanz in NRW und Stimmen zum Verlust des Vertrauens in die Politik
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