Vom Gänseblümchen bis zur Trägerrakete Bewegliche Kulturdenkmale und Zubehör
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Vom Gänseblümchen bis zur Trägerrakete Bewegliche Kulturdenkmale und Zubehör Im letzten Heft des Nachrichtenblattes der Landesdenkmalpflege ging der Autor der Geschichte der Erfassung und des Schutzes beweglicher Sachen als Kulturdenkmale nach. Doch um welche Gegenstände handelt es sich eigent- lich bei beweglichen Kulturdenkmalen und Zubehör im Bereich der Bau- und Kunstdenkmalpflege? Und warum schützt die staatliche Denkmalpflege solche Gegenstände, obwohl es doch so viele Museen, Bibliotheken, Archive und auch private Sammler gibt, die sich bereits der Bewahrung und der Pflege beweglicher Kulturgüter angenommen haben? Dieter Büchner Die Frage nach dem Warum lässt sich zunächst ein- mal mit einem Verweis auf das Denkmalschutz- gesetz beantworten, denn das verpflichtet die Denkmalpflege dazu. So heißt es in dem Paragra- fen, der den Gegenstand des Denkmalschutzes de- finiert: „Kulturdenkmale im Sinne dieses Gesetzes sind Sachen, Sachgesamtheiten und Teile von Sa- chen“. Bei Kulturdenkmalen muss es sich also kei- neswegs um Gebäude oder archäologische Fund- stellen handeln, vielmehr können grundsätzlich alle Sachen, also auch alle beweglichen, Kultur- denkmale sein, sofern – wie es im Gesetz weiter heißt – „an ihrer Erhaltung aus wissenschaftlichen, künstlerischen oder heimatgeschichtlichen Grün- den ein öffentliches Interesse besteht“. Einzelgegenstände als selbständige bewegliche Kulturdenkmale Die früher in der Kirche von Bihlafingen aufgestell- te „Bihlafinger Madonna“ (Abb. 1) erkannte man 1923 als Arbeit des Ulmer Bildhauers Hans Mult- scher (um 1400– 1467). Noch im selben Jahr wurde die damals in Privatbesitz befindliche Figur in das Verzeichnis der beweglichen Kulturdenk- male eingetragen. Multscher gilt in der deutschen Skulptur der Gotik als Wegbereiter des niederlän- disch-burgundischen Realismus, der den bis dahin herrschenden „weichen“ oder „schönen“ Stil ab- löste. In der Madonnenfigur, wohl einem seiner spätesten Werke, wandte Multscher sich aber be- reits wieder vom bloßen Naturalismus ab und be- mühte sich vielmehr um einen besonders innigen Ausdruck der Mutter-Kind-Beziehung. Dies er- 1 „Bihlafinger Madonna“, reichte er aber nicht durch einen plakativen Blick- Hans Multscher zuge- kontakt, sondern durch weit subtilere künstleri- schrieben, um 1460–65, sche Mittel wie den Griff des Christuskindes in das Holz ehemals gefasst, Kopftuch der Mutter, die wiederum ihren Mantel Ulmer Museum. fürsorglich so rafft, dass Christus seinen linken Fuß 132 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021
2 Dritte Stufe der Träger- rakete „Europa 1“, ohne Verkleidung, ehemals In- stitut für Raumfahrtech- nik der Universität Stutt- gart (Abb.), jetzt Institut für Raumfahrtantriebe in Lampoldshausen. 3 Württembergisches Herzogsschwert, 1495, Silber, teilvergoldet, Privatbesitz. darauf abstützen kann. An der „Bihlafinger Ma- lichen oder heimatgeschichtlichen Gründen ein öf- donna“ besteht daher vor allem aus künstlerischen fentliches Interesse besteht, sind für die Praxis der Gründen ein öffentliches Erhaltungsinteresse. Denkmalerfassung in der Bau- und Kunstdenk- Im Jahr 1962 wurde die European Launcher De- malpflege allerdings eher untypisch. Selbständige velopment Organisation (ELDO) mit dem Ziel ge- Einzelgegenstände bilden hier bislang nämlich die gründet, eine Trägerrakete zu entwickeln, mit der Ausnahme, jedoch nicht, weil es nur so wenige sich Europa von den USA unabhängig machen von ihnen gäbe – das Gegenteil ist der Fall –, son- konnte. Die ersten beiden Stufen der dreistufigen dern weil man bei ihnen zumeist davon ausgehen „Europa 1“ wurden von englischen und französi- kann, dass sie nur einen vergleichsweise geringen schen Firmen, die dritte Stufe „Astris“ aber von Schutz benötigen und daher nicht vordringlich den deutschen Unternehmen ERNO sowie der Böl- sind in der Erfassung. Zumindest gilt dies für Kunst- kow GmbH und der Messerschmitt AG, der spä- gegenstände wie Gemälde, Grafiken, Skulpturen teren Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB), ge- oder kunsthandwerkliche Objekte, denn deren fi- baut. In den Jahren 1968 bis 1970 erfolgten drei nanzieller Wert bewahrt sie in der Regel vor einer Tests der Trägerrakete, die jedoch alle misslangen. absichtlichen Zerstörung oder Beschädigung. Stär- Daraufhin stellte man den Bau der „Europa 1“ ein ker in ihrer Substanz gefährdet sind meist nur Ob- und entwickelte die „Europa 2“. In Baden-Würt- jekte, die keine potenziellen Sammler- oder Mu- temberg hat sich als wissenschaftlich bedeutendes seumsstücke sind und daher keinen oder nur einen Zeugnis dieser frühen Bemühungen um eine ei- geringen Marktwert haben. genständige europäische Raumfahrt ein nicht mehr zum Einsatz gekommenes Exemplar der drit- Sammlungen als selbständige ten Stufe der „Europa 1“ erhalten (Abb. 2). bewegliche Kulturdenkmale Der württembergische Graf Eberhard V. im Barte (1445– 1496) wurde im Jahr 1495 auf dem Worm- Ist der Marktwert von Kunstwerken zumeist der Er- ser Reichstag durch Kaiser Maximilian I. zum Her- haltung ihrer Substanz förderlich, so kann er doch zog erhoben. Als Zeichen dieser Standeserhöhung eine andere Gefahr für bewegliche Kulturdenkma- überreichte man ihm ein Gewand, einen Herzogs- le heraufbeschwören, nämlich diejenige eines Aus- hut und ein reich verziertes, mit den Wappen von einanderreißens historischer Zusammenhänge Württemberg und Teck versehenes Schwert durch Herauslösen von wertvollen Einzelgegen- (Abb. 3). Heute ist das Schwert die einzige erhal- ständen aus Sachgesamtheiten. Bei den meisten ten gebliebene Insignie der württembergischen der in das Denkmalbuch eingetragenen beweg- Herzogswürde und hat somit eindeutig eine be- lichen Kulturdenkmale handelt es sich daher um sondere heimat- und sogar landesgeschichtliche Sammlungen, bei denen die einzelnen Gegenstän- Bedeutung. de durch ein übergeordnetes Moment dergestalt Diese drei Beispiele für bewegliche, von ihrem Auf- miteinander verbunden sind, dass sie zusammen bewahrungsort unabhängige Kulturdenkmale, an das Kulturdenkmal bilden und ihre geschlossene deren Erhaltung aus künstlerischen, wissenschaft- Erhaltung deshalb im öffentlichen Interesse liegt. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021 133
4 Fotografie des Denk- Ein Beispiel für eine Sammlung, bei der gerade der gewachsene Sammlung später auf verschiedene mals Kaiser Wilhelms I. Marktwert ihrer einzelnen Gegenstände beinahe Gebäude der Universität verteilt. Die Professoren- auf dem Kaiserplatz in zu einer kompletten Auflösung geführt hätte, ist galerie überliefert das Aussehen zahlreicher be- Karlsruhe, 1906. das Archiv der Tübinger Postkartenfirma Metz. Seit kannter Tübinger Gelehrter von Apian über Boh- ihrer postalischen Einführung im Jahr 1870 hatte nenberger und Camerarius bis hin zu Osiander und die damals sogenannte Korrespondenzkarte im Schickart. Wie das hier als beliebiges Beispiel ge- Deutschen Reich einen sagenhaften Aufschwung zeigte Porträt des Tübinger Professors Jonathan erlebt. Noch vor der Jahrhundertwende wurden in Friedrich Bahnmeier (1774– 1841) (Abb. 5) erah- Deutschland jährlich 300 bis 400 Millionen Post- nen lässt, ist es aber nicht in erster Linie der künst- karten gedruckt. Die Brüder Heinrich und Gustav lerische oder dokumentarische Wert der einzelnen Metz in Tübingen wollten von diesem Boom pro- Porträts, welcher die Professorengalerie zu einem fitieren und ließen seit 1896 nahezu den gesam- beweglichen Kulturdenkmal macht. Ihre Bedeu- ten deutschen Südwesten für die Herstellung von tung liegt vielmehr darin, dass die Tübinger Univer- Ansichtskarten fotografisch dokumentieren. Bis in sität sich mit der illustren Reihe ihrer ins Bild ge- die 1960er Jahre kamen so mehr als 300 000 Glas- setzten Professoren gewissermaßen selbst ein negativplatten von Landschaften, Städten, Gebäu- Denkmal ihrer Gelehrsamkeit schuf. Es ist offen- den und Ereignissen sowie etliche Tausende von sichtlich, dass die Professorengalerie diese Wir- Diapositiven, Abzügen, Druckvorlagen und Mus- kung nur dann entfalten kann, wenn die Samm- termappen bis hin zu Kameras und anderen Ge- lung ungeschmälert erhalten bleibt. rätschaften zusammen (Abb. 4). Nach dem Kon- Eine Sammlung mit Denkmalwert ist auch die histo- kurs der Firma im Jahr 1988 bestand die akute Ge- rische Schulbibliothek des Heinrich-Suso-Gymna- fahr einer vollständigen Zerstreuung dieses wohl siums in Konstanz. Die ältesten Bestände dieser Bi- singulären Zeugnisses der Geschichte der Post- bliothek dienten dem 1604 im Zuge der Rekatho- karte sowie der städtebaulichen, architektonischen lisierung der Stadt errichteten Jesuitenkolleg als und kulturräumlichen Entwicklung des Landes. Lehrbibliothek für die Ausbildung des Priester- Dies konnte durch die Eintragung der gesamten nachwuchses. Nach der Auflösung des Jesuiten- Sammlung in das Denkmalbuch verhindert wer- ordens im späten 18. Jahrhundert gingen die Bü- den. Heute befindet sich das Archiv im Haus der cher zunächst auf das österreichische „Collegium Geschichte Baden-Württemberg. Josephinum“, dann auf das österreichische Gymna- Ein Beispiel für eine geschützte Gemäldesamm- sium, gefolgt vom badischen „Großherzoglichen lung ist die Professorengalerie der Eberhard Karls Lyzeum“ und schließlich auf das heutige staatliche Universität in Tübingen. Seit dem 16. Jahrhundert Gymnasium über. Somit dient die Bibliothek des war es dort Usus, dass Professoren sich porträtie- Heinrich-Suso-Gymnasiums seit mehr als vier Jahr- ren ließen. Ehemals in der Alten Aula unterge- hunderten, wenn auch an verschiedenen Stand- bracht, wurde die bis heute auf 332 Gemälde an- orten und in unterschiedlicher Trägerschaft, unun- 134 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021
terbrochen als Lehrbibliothek. Deshalb ist sie nicht 5 Bildnis des Tübinger nur durch ihre einzelnen seltenen Exemplare oder Professors für Pädagogik Unikate – darunter auch Inkunabeln aus der Früh- und Homiletik Jonathan zeit des Buchdrucks und sogar Handschriften Friedrich Bahnmeier (1774– 1841), Öl auf (Abb. 6) – von Bedeutung, sondern vor allem da- Leinwand. durch, dass sie mit ihren mehr als 24 000 Bänden die Entwicklung der Schulbildung von der Spätre- naissance bis heute dokumentiert. Die Vorausset- zung für die Erhaltung dieses Quellenwertes ist na- türlich, dass die Bibliothek als Ganzes erhalten bleibt. Ein weiteres Beispiel für eine Sammlung, bei der es auf jeden einzelnen Bestandteil ankommt, ist das Herbarium, das der Konstanzer Apotheker und Bo- taniker Ludwig Leiner (1830– 1901), der Gründer des Rosgartenmuseums, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in jahrzehntelanger Sammel- tätigkeit, aber auch durch umfangreiche Tausch- geschäfte mit anderen Pflanzensammlern zusam- mentrug. So gelang es ihm, das umfangreichste Herbarium der Gegend rund um den Bodensee aus der Zeit vor der Industrialisierung zu erstellen. Stellvertretend wird hier das Blatt mit einer von Lei- ner 1852 erstmals beschriebenen lokalen Form des belege, und seien sie für sich gesehen so belang- Südlichen Wasserschlauchs abgebildet (Abb. 7). los wie ein Gänseblümchen, verloren gingen. Dieses Herbarium, das aus mehr als 30 000 ge- pressten und auf Karton aufgeklebten und be- Unselbständige bewegliche Kultur- schrifteten Pflanzenbelegen besteht, ist ein bedeu- denkmale tendes Zeugnis für die Geschichte der wissen- schaftlichen Disziplin der Botanik und eine bis Bei der Unterschutzstellung von beweglichen Kul- heute wertvolle Quelle für die Flora des Boden- turdenkmalen im Bereich der Bau- und Kunstdenk- seegebietes. Dieser wissenschaftliche Wert wäre malpflege kommt es demnach vor allem darauf an, erheblich beeinträchtigt, wenn einzelne Pflanzen- dass die jeweiligen Gegenstände nicht nur in ihrer 6 Psalterium Romanum, süddeutsch (?), zweite Hälfte des 15. Jahrhun- derts, Handschrift auf Pergament. 7 Getrocknete Exempla- re des Südlichen Wasser- schlauchs, mit Beschrif- tungen Ludwig Leiners, 1852/54. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021 135
liegt. Dies ist regelmäßig der Fall bei Gegenstän- den, die zusammen mit der Architektur entstan- den sind und vielleicht sogar vom selben Archi- tekten entworfen wurden, sowie bei Gegenstän- den, die der Kirche gestiftet wurden oder aus sonstigen Gründen einen engen historischen Zu- sammenhang mit ihr haben. Ein Beispiel ist die aus Holz geschnitzte und farbig gefasste Skulptur einer Pietà in der Friedhofska- pelle von Nenningen (Abb. 8). Dieses Hauptwerk der sakralen Plastik des Spätbarocks in Deutsch- land wurde 1774 von dem Münchner Bildhauer Ignaz Günther (1725– 1775) geschaffen. Durch Archivalien ist gesichert, dass er den Auftrag von Maximilian Emanuel von Rechberg und Rothen- löwen (1736– 1819) erhalten hatte, der als Oberst- hofmeister in Diensten des Kurfürsten von Bayern stand und Günther deshalb bereits gekannt haben muss. Rechberg hatte auch die Kapelle gestiftet. Nur kurze Zeit nach deren Weihe am 12. Juni 1774 traf die Skulptur am 8. Dezember desselben Jahres in Nenningen ein. Die heute auf einem modernen Sockel stehende Skulptur wurde also eigens an- gefertigt zur Aufstellung in der Nenninger Fried- hofskapelle, mit der sie zudem durch ihren ge- 8 Pietà, Ignaz Günther, Substanz erhalten bleiben, sondern auch in ihrem meinsamen Stifter und durch ihre identische Ent- 1774, signiert und da- ursprünglichen Zusammenhang. Dieser muss aber stehungszeit verbunden ist. tiert, Holz gefasst, nicht immer aus einer Sammlung von lauter be- Eine schützenswerte Einheit von Denkmalwert mit Nenningen, Friedhofs- weglichen Gegenständen bestehen. Schützens- der jeweiligen Kirche bilden oft auch Vasa Sacra, kapelle. wert kann auch der Zusammenhang eines beweg- beispielsweise der zwischen 1749 und 1751 von lichen Objektes mit einem unbeweglichen Kultur- dem Augsburger Goldschmied Franz Thaddäus denkmal sein. Der bewegliche Gegenstand gilt Lang (1693– 1773) angefertigte Messkelch in der dann als sogenanntes Zubehör zu dem Baudenk- katholischen Stadtpfarrkirche St. Verena in Bad 9 Messkelch, Franz Thaddäus Lang, Augs- mal, das rechtlich als sogenannte Hauptsache fun- Wurzach (Abb. 9). Zwar trägt der Messkelch we- burg 1749/51, Silber ver- giert. der eine Inschrift noch ist er archivalisch greifbar; goldet, Emails, Bad Wur- In großem Umfang gibt es solches Zubehör vor al- bei näherer Betrachtung der Emaillebilder auf der zach, Stadtpfarrkirche lem in Kirchengebäuden. Altäre, Kanzeln, Orgeln, Kuppa und auf dem Fuß fällt jedoch auf, dass ei- St. Verena. Beichtstühle und andere Ausstattungsstücke, die nes die hl. Verena und damit die Kirchenpatronin der allgemeinen Anschauung nach als unabding- darstellt, eines den hl. Nikolaus, der zur Entste- bar zu einem Kirchengebäude zugehörig angese- hungszeit des Kelches der Wurzacher Stadtpatron hen werden und oft auch fest mit diesem verbun- war, und eines den hl. Franziskus, der der Ordens- den sind, gelten jedoch nicht als Zubehör, sondern heilige des benachbarten Klosters Maria Rosen- in der Regel als sogenannte wesentliche Bestand- garten ist. Die übrigen drei Emaillen zeigen die Hei- teile der Architektur. Denkmalrechtliches Zubehör ligen des Hochaltars und der beiden Seitenaltäre. können dagegen alle beweglichen Kunstwerke Der Messkelch weist also eine so spezifische Zu- wie Skulpturen und Gemälde sowie alle liturgi- sammenstellung von Themen auf, dass er sich auf schen Geräte wie Kelche, Patenen, Monstranzen, keinen Fall nur zufällig in der Kirche St. Verena be- Ziborien, Altarleuchter, Rauchfässer, liturgische Bü- finden kann. Er muss vielmehr eigens für sie her- cher oder Paramente sein. Allerdings gilt nicht je- gestellt worden sein. des beliebige bewegliche Ausstattungsstück einer Außer im sakralen Kontext gibt es natürlich auch Kirche, die ein Kulturdenkmal ist, denkmalrecht- in profanen Gebäuden denkmalrechtliches Zube- lich als Zubehör. Erforderlich ist vielmehr, dass das hör. Insbesondere bei Kulturdenkmalen des Hand- betreffende Objekt eine Einheit von Denkmalwert werks und der Industrie sind die Zubehörstücke oft mit dem Gebäude bildet; es muss also aus künst- wichtige Zeugnisse der ehemaligen Funktionen lerischen, wissenschaftlichen oder heimatge- der Gebäude. Dies gilt auch für das bewegliche schichtlichen Gründen in einem so engen Zu- Inventar der Ott-Pauserschen Fabrik in Schwäbisch sammenhang mit dem Kirchengebäude stehen, Gmünd (Abb. 10), die 1845 durch den Goldarbei- dass dessen Erhaltung in öffentlichem Interesse ter Nikolaus Ott zwecks Herstellung von Bijoute- 136 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021
10 Ott-Pausersche Fabrik, historische Auf- nahme, Schwäbisch Gmünd. riewaren erbaut wurde. Die Fabrik, die neben unverändert erhalten (Abb. 11–12). Zweifellos ist Schmuck auch Tabakdosen, Kerzenständer, Ess- die bewegliche Ausstattung des Schlosses Lich- bestecke und anderes produzierte, wurde rasch be- tenstein für das gesamte Denkmal von einer Be- 11 Galerieraum mit alt- kannt und auf den Weltausstellungen von 1851 deutung, die derjenigen der Architektur nicht deutschen Gemälden, bis 1873 mit zahlreichen Auszeichnungen verse- nachsteht. Schließlich macht erst die Ausstattung 1840/42, Schloss Lichten- hen. Schon kurze Zeit später setzte jedoch ihr all- das Schloss zu dem, was es heute ist, nämlich ein stein. mählicher Niedergang ein, der 1979 schließlich zur endgültigen Stilllegung führte. Zahlreiche, meist noch im 19. Jahrhundert angeschaffte Maschinen und Werkzeuge wie Pressen, Zieh- und Drehbänke, Sägen, Schraubstöcke, Gesenke, verschiedenste Handwerkzeuge sowie fertige und halbfertige Pro- dukte blieben erhalten. Zusammen mit dem Ge- bäude bilden diese Gegenstände ein bedeutendes Zeugnis der Wirtschaftsgeschichte Schwäbisch Gmünds und das wohl einzige komplett erhaltene Beispiel einer Bijouteriewarenfabrik des 19. Jahr- hunderts. Zubehör findet sich in großer Zahl auch in Schlös- sern. Ein Beispiel ist das oberhalb des Echaztals bei Honau in den Jahren ab 1839 erbaute Schloss Lich- tenstein. Der Bauherr, Graf Wilhelm von Würt- temberg (1810– 1869), war äußerst interessiert an der deutschen Geschichte des Mittelalters und trug deshalb zahlreiche „altdeutsche“ oder dafür gehaltene Gegenstände zusammen. Um diesen ei- nen angemessenen Rahmen zu geben, ließ er auf dem Lichtenstein über den Resten einer spät- mittelalterlichen württembergischen Burg eine „altdeutsche Ritterburg“ errichten und mit seinen Sammlungen von Waffen, Gemälden und kunst- handwerklichen Gegenständen ausstatten. Nach seinem Tod blieb das Gebäude bis heute nahezu Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021 137
12 Arbeitszimmer des Grafen Wilhelm von Württemberg, 1840/42, Schloss Lichtenstein. vollkommen authentisch erhaltenes Denkmal der Denkmalpflege aus, denn, so Dehio, „die Museen romantischen Vorstellung, die man im 19. Jahr- schützen nicht, was der Denkmalpflege oberstes hundert von einer mittelalterlichen Ritterburg Gesetz ist, den historischen Besitzstand, das his- hatte. torische Milieu, sondern sie leben von dessen Unterhöhlung und Zertrümmerung“. Sicherlich Das Ziel: die Erhaltung beweglicher war Dehio zu hart in seinem Urteil über die Mu- Kulturdenkmale in ihrem historischen seen, die ganz zweifellos große Verdienste um den Kontext Erhalt und die Erforschung von beweglichen Kul- turgütern haben, aber man könnte es zumindest Die vorgestellten Beispiele zeigen, welche Bedeu- nicht deutlicher formulieren, weshalb es unbe- tung für unsere Kulturgeschichte die ungeschmä- dingt erforderlich ist, dass sich nicht nur die Mu- lerte Erhaltung beweglicher Kulturdenkmale in ih- seen, Bibliotheken und andere sammelnde Insti- rem jeweiligen historischen Zusammenhang hat. tutionen mit beweglichen Kulturgütern befassen, Wie sich bereits in der im letzten Heft geschilder- sondern auch die Denkmalpflege. Dehio fuhr fort: ten langen Tradition der Erfassung und des Schut- „Museen sind Herbarien. Herbarien sind nützlich; zes beweglicher Kulturgüter durch die staatliche aber man lässt sie liegen, wenn man die lebenden Denkmalpflege andeutet, ist das Wissen um den Pflanzen sehen kann mitsamt ihren Nachbarn, oft engen und denkmalwerten Bezug beweglicher ihrer Wurzelerde, ihrer Atmosphäre“, wenn man Kulturgüter zu ihrer Umgebung jedoch keines- also die beweglichen Kulturdenkmale in ihrer ur- wegs neu. sprünglichen Umgebung erleben kann. Genau das Noch heute aufschlussreich ist in diesem Zusam- ist es, was die Denkmalpflege will. menhang ein Vortrag, den Georg Dehio, einer der Gründerväter der modernen Denkmalpflege, im Jahr 1911 auf dem Tag für Denkmalpflege in Salz- burg hielt. Ein Kunstwerk, so stellte Dehio damals fest, hängt „geistig mit hundert Fäden mit der Um- Dr. Dieter Büchner welt, in der und für die es einst geschaffen war, zu- Landesamt für Denkmalpflege sammen“. Aus dieser Erkenntnis heraus machte im Regierungspräsidium Stuttgart Dehio die großen Museen als Widersacher der Dienstsitz Esslingen 138 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021
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