Italianismen im Wienerischen - OPUS 4

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Italianismen im Wienerischen - OPUS 4
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                   Constanze Neudek/Barbara Schäfer-Prieß

                 Italianismen im Wienerischen

1. Einleitung

Der folgende Artikel1 beschäftigt sich mit lexikalischen Italia-
nismen, die spezifisch sind für die heute gesprochene Sprache
Wiens und von denen zumindest ein Teil vermutlich durch di-
rekten, mündlichen Sprachkontakt im Alltag Eingang in die
Sprache der Wiener Bevölkerung fand (cf. Ille/Rindler-
Schjerve/Vetter 2009:108).2 Anders als bei den Internationalis-
men italienischer Herkunft, die sich wahrscheinlich vorrangig
durch geschriebene Texte sowie eventuell durch „Elitenimmigra-
tion“ (Ille/Rindler-Schjerve/Vetter 2009:97; cf. Kap. 4.1.) verbrei-
teten, spielt hier als Ausgangssprache nicht nur das Standardita-
lienische eine Rolle, sondern es kommen auch dialektale Varietä-
ten Norditaliens und der Schweiz in Betracht. Da es einerseits
häufig keine klare Zuordnung der Ausgangswörter gibt und
andererseits die Abgrenzung zwischen Italo- und Rätoromania
ohnehin nicht eindeutig ist (cf. den Status des Friaulischen und
die questione ladina), sei hier im Folgenden „Italianismus“ in dem

1 An dieser Stelle sei Herrn emer. o. Univ.-Prof. Dr. Peter Wiesinger von der
Universität Wien ganz herzlich für seine wertvollen Hinweise gedankt.
2 Es sei also nur am Rande der Blick auf die internationale Sprache der Musik

und des Theaters, auf das Italienisch der Gastronomie und des internationalen
Bankwesens gerichtet. Auch die termini technici aus dem Kunst- und Architek-
tursektor sowie dem Militärwesen sollen nicht detailliert erwähnt werden, da
sie ebenfalls in vielen anderen Sprachen als Internationalismen etabliert sind.
Wobei nicht zu klären war, ob und inwieweit die Entwicklung zu Internationa-
lismen durch die starke Präsenz der Italiener in Wien begünstigt wurde, bzw.
ob diese Internationalismen eventuell z.T. ihren Ausgangspunkt in Wien hat-
ten, weshalb in den genannten Bereichen nur auf einige wenige Beispiele (cf.
Kap 4.1, z.B. Elitenimmigration und FN 8) verwiesen werden soll.
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Sinn verwendet, dass außer dem Standarditalienischen auch die
norditalienischen und ggf. die rätoromanischen Varietäten ein-
geschlossen sind.
   Dabei können unter Umständen noch weitere romanische Va-
rietäten sowie das Lateinische ins Spiel kommen (cf. Stammerjo-
hann 2013:135). In einigen Fällen scheint z.B. das Französische
als Vermittlersprache gedient zu haben. Auch diese Wörter wer-
den hier unter der Rubrik ‚Italianismen‘ behandelt. Grundsätz-
lich werden alle Wörter berücksichtigt, denen in mindestens ei-
ner einschlägigen Publikation italienische Herkunft zugeordnet
wird, also auch solche, für die es alternative Etymologien gibt.

2. Das Wienerische

Unter Wienerisch wird hier die aus einer mittelbairischen Varie-
tät hervorgegangene Stadtsprache der Stadt Wien verstanden
(Wiesinger 2003:2355). Dabei handelt es sich um keine einheitli-
che Sprachform (cf. Wehle 1980:15-16).
   Wiesinger (1995) gliedert das Varietätensystem der gespro-
chenen Sprache Wiens in die folgenden drei (bzw. vier) Schich-
ten:
    1) „Hoch- oder Schriftdeutsch“, d.h. die an der Schriftspra-
       che orientierte Standardsprache,
    2) „Umgangssprache“, im Sinne eines Ausgleichsproduktes
       zwischen Standardsprache und Dialekt
    3) „Dialekt“ als „bodenständige, in langer Tradition entwi-
       ckelte Sprachform“, unterteilt in
       3.1)    den eigentlichen Dialekt mit einer geringeren
               Ausprägung der phonatorischen Eigenschaften
               und
       3.2)    den Jargon mit einer gesteigerten Ausprägung
               phonatorischer Eigenschaften. Er tritt besonders

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              als Gruppensprache der sozialen Unterschicht auf
              und weist v.a. bei Jugendlichen auch einen Son-
              derwortschatz auf.
Er stellt damit eine generelle Relation zwischen Sozialschicht
und Sprachvarietät fest (cf. Wiesinger 1995:447-448).
   Soweit möglich, sollen im Folgenden alle diese Varietäten be-
rücksichtigt werden, wobei eine präzise Zuordnung der Wörter
bzw. Ausdrücke nur in Einzelfällen und unter Vorbehalt mög-
lich ist.
   Da das Wienerische als Sprache der Hauptstadt Österreichs
seit langem das österreichische Deutsch allgemein beeinflusst, ist
davon auszugehen, dass zumindest ein Teil der Wörter auch
außerhalb Wiens gebräuchlich ist oder war (cf. Wiesinger
2003:2357).

3. Historische Beziehungen zwischen Wien und Italien
3.1. Politische und Handelskontakte

Abgesehen von der geographischen Nähe zu (Ober-)Italien, be-
standen bereits unter den Babenbergern, der Dynastie, die Öster-
reich von 976 bis 1246 regierte, enge Kontakte mit Italien in den
Bereichen Stadtarchitektur und Handel (ab ca. 1200 mit Venedig,
ab 1239 mit Parma). Ab dem 13. Jh. war der Hauptumschlagplatz
für den Warenverkehr – u.a. Gewürze, Südfrüchte und Seiden-
stoffe – das Handelshaus der Deutschen, der Fondaco dei Tedeschi
(< arab. fundūq, ‚Hotel‘) am Canal Grande, direkt neben der Rial-
tobrücke in Venedig. Zur gleichen Zeit waren „welsche“ Kauf-
leute in Wien tätig (nach diesen „Walchen“ wurde im 14. Jh. die
Wiener Walchstraße bzw. Walichstraße, heute Wallnerstraße, be-
nannt). Das 1224 gegründete Minoritenkloster geht auf italieni-
sche Initiative zurück. Auch Dominikaner und Augustiner hat-
ten enge Bindungen nach Italien (cf. Czeike:online). Noch heute
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existiert die Minoritenkirche der Franziskaner (cf. Ordo fratrum
minorum conventualium) als italienische Nationalkirche.
   Der Beginn der Beziehungen zwischen der Habsburgermo-
narchie und der italienischen Halbinsel läßt sich auf das Jahr
1363 zurückführen. Schon ab diesem Zeitpunkt gehörten italie-
nischsprachige Gebiete Tirols den Habsburgern. Ende des 14.
Jhs. kamen die Markgrafschaft Istrien und die Stadt Triest dazu,
Anfang des 16. Jhs. die „Welschen Konfinen“ (das sind die Vika-
riate Ala, Avio, Brentonico und Mori, alle in der Provinz Trient
gelegen) und Cortina d’Ampezzo (cf. Reiter-Zatloukal 2009:33-
37).3 Es folgten Anfang des 18. Jhs. Mailand, Mantua, Neapel
und Sardinien, 1720 Sizilien (im Tausch gegen Sardinien) und
1736 Parma und Piacenza (im Tausch gegen Neapel-Sizilien, das
an die spanischen Bourbonen ging).
   Durch Kriege und Friedensschlüsse änderten sich auch in den
Folgejahren die Besitzverhältnisse häufig. Auf dem Wiener Kon-
gress (1814/1815) schließlich wurden Mailand, Mantua und Ve-
nedig zum Königreich Lombardo-Venetien vereinigt und an Ös-
terreich übertragen. Parma-Piacenza-Guastalla wurde habsbur-
gisch, ebenso die Toskana.
   Die Beziehungen zwischen der Habsburgermonarchie und
den verschiedenen italienischen Provinzen blieben auch weiter-
hin wechselreich. Im Frieden von Wien (1866) musste Österreich
nach der Niederlage bei Königgrätz (1866) Venetien an König
Viktor Emanuel II. (1820-1878, Kg. 1849-1861, it. Kg. 1861-1878)
abtreten (cf. Reiter-Zatloukal 2009:38-39).
   Bei Österreich verblieben nun ca. eine halbe Million Italiener,
die sich im Wesentlichen auf Südtirol und das Trentino sowie

3 Unter Ferdinand I. (1503-1564, Ks. 1558-1564) wurde Wien de facto die Haupt-
stadt des Heiligen Römischen Reiches (Czeike: online).
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auf die Gebiete Görz, Triest, Istrien und Dalmatien verteilten (cf.
Reiter-Zatloukal 2009:39).

3.2. Dynastische Verbindungen

Neben diesen kurz skizzierten Handels- und politischen Bezie-
hungen zeugen auch die dynastischen Verbindungen von einem
engen Verhältnis der Habsburger zu Italien. „Die Tradition der
habsburgischen Heiratspolitik wurde von Leopold III. [1351-
1386, Hz. 1365-1386] eröffnet, der eine Visconti zur Frau nahm“
(Ricaldone 1986:31), nämlich die aus Mailand stammende Viridis
Visconti (1352-1414). Es folgte 1494 die Verbindung von Maximi-
lian I. (1459-1519, dt. Kg. 1486-1519, Ks. 1508-1519) mit Bianca
Maria Sforza (1472-1510), Tochter des Herzogs Galeazzo Maria
Sforza (1444-1476, Hz. 1466-1476) von Mailand. Katharina (1533-
1572), eine Tochter Ferdinands I. (1503-1564, Kg. 1531-1564, Ks.
1558-1564), heiratete 1549 den Herzog Francesco III. Gonzaga
(1533-1550, Hz. 1540-1550) von Mantua, ihre Schwester Eleonore
(1534-1594) dessen Bruder Guglielmo Gonzaga (1538-1587, Hz.
1550-1587). Die dritte Schwester Johanna (1547-1578) heiratete
Francesco I. de᾽ Medici (1541-1587, Ghz. 1574-1587) in Florenz.
Im Jahre 1582 heiratete Erzherzog Ferdinand II. (1529-1595, Gf.
1564-1595), Graf und Landesfürst von Tirol, der jüngere Bruder
Maximilians II. (1527-1576, dt. Kg. 1562-1576, Ks. 1564-1576), in
zweiter Ehe Anna Caterina Gonzaga (1566-1621), die Tochter des
Herzogs Guglielmo von Mantua. Ferdinands Tochter Anna
(1585-1618) wurde die Frau von Kaiser Matthias (1557-1619, Ks.
1612-1619). Eleonore (1598-1655), die zweite Frau des Kaisers
Ferdinand II. (1578-1637, Ks. 1619-1637), stammte ebenfalls aus
Mantua. „Die Herzöge von Mantua waren als Mäzene und För-
derer nicht nur der Künste, sondern auch der Wissenschaften

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berühmt. Diese Familientradition wurde in gewissem Sinn nach
Wien importiert“ (Ricaldone 1986:31).
   Einige Ehefrauen kamen aus der Toskana. So heiratete Erz-
herzog Leopold V. (III. von Tirol) (1586-1632, Rg./Lfs. 1619/
1626-1632) eine Medici, nämlich Claudia de᾽ Medici (1604-1648),
ebenso sein Sohn Erzherzog Ferdinand Karl (1628-1662, Lfs.
1646-1662), der Anna de᾽ Medici (1616-1676) ehelichte und wie
sein Vater als Landesfürst von Tirol regierte. Auch zwei der vier
Frauen von Kaiser Franz II. (1768-1835, Ks. 1792-1806) (als öster-
reichischer Kaiser Franz I., 1804-1835), selbst in Florenz geboren,
waren Italienerinnen. Im Jahr 1820 heiratete Erzherzog Rainer
(1783-1853), ein jüngerer Bruder von Kaiser Franz II./I., Maria
Elisabeth von Savoyen (1800-1856), Schwester von König Karl
Albert (1798-1849, Kg. 1831-1849) von Sardinien-Piemont. Die
Tochter Rainers, Erzherzogin Adelheid (1822-1855), heiratete
Viktor Emanuel Herzog von Savoyen, den späteren König Viktor
Emanuel II. (1820-1878, Kg. 1841-1861, it. Kg. 1861-1878) (cf. Ri-
caldone 1986:32-34).

3.3. Italienisch als Kultursprache im Wien der Frühen Neuzeit

Das Italienische kann als die wichtigste lebende Fremdsprache
im Wien der frühen Neuzeit betrachtet werden (cf. Boaglio
2012:94). Schon zwischen dem 15. und dem 17. Jh. gab es zahlrei-
che Wörterbücher, Grammatiken und Handbücher für die Kon-
versation, was „eine unmittelbar praktische Verbreitung der
Sprache“ im damaligen Wien vermuten lässt (cf. Ricaldone
1986:79).
   Im Jahr 1675 soll der Literat Graf Lorenzo Megalotti (1637-
1712), toskanischer Botschafter am Wiener Hof, geäußert haben,
es sei nicht notwendig, die deutsche Sprache zu erlernen, denn
„wer hier nur einen anständigen Rock trägt, der spricht geläufig

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italienisch. Die Damen sprechen nicht bloß mit Italienern, son-
dern auch untereinander sehr häufig italienisch“ (Ricaldone
1986:79). Stammerjohann bezeichnet das Italienische zu dieser
Zeit als die dritte offizielle Sprache in Wien – neben Deutsch und
Latein –, in der z.B. auch Testamente abgefasst wurden (cf.
Stammerjohann 2013:72-73).
    Die italienische Sprache war jedoch nicht nur bei Hofe und in
gebildeten Kreisen geläufig. Gastspiele „welscher Komödianten“
und Marionettenspiele waren ebenso beliebt wie Theaterauffüh-
rungen in italienischer Sprache, auch bei den unteren Bevölke-
rungsschichten (cf. Czeike:online).
    Zeichen der kulturellen Bedeutung waren die nach italieni-
schem Vorbild entstandenen literarischen Akademien. Die erste
Akademie dieser Art gründete Kaiser Ferdinand III. (1608-1657,
Ks. 1637-1657), der selbst in italienischer Sprache dichtete. Ein
Sitzungsbericht aus dem Jahr 1675 gibt Auskunft über den
Zweck der Akademie: Es sollte die italienische Dichtkunst ge-
pflegt werden mittels einer „ehrbaren Unterhaltung“ (it. virtuoso
intrattenimento) (Ricaldone 1986:84). Unter dem Vorsitz von Kai-
ser und Kaiserin befasste man sich mit Musik, Poesie in italieni-
scher Sprache, ökonomischen Fragen und gesellschaftlichen
Problemen. Es bildete sich eine Tradition, die bis zum Ende der
Habsburgermonarchie lebendig war (cf. Ricaldone 1986:79-85).
Die Präsenz des Italienischen spiegelt sich auch in den in Wien
publizierten italienischsprachigen Zeitungen, deren langlebigste
(bis 1746) der 1671 gegründete Corriere ordinario (später umbe-
nannt in Il Corriere di Vienna) war (cf. Ricaldone 1986:86). Rück-
blickend lässt sich das Italienische in dieser Form einer prestige-
reichen Zweitsprache als Kulturadstrat klassifizieren.

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4. Kontaktsituationen: Elitenimmigration vs. Arbeitsimmigra-
   tion

Die italienische Immigration ins kaiserliche Wien vollzog sich
durch mehrere Jahrhunderte, begann im Spätmittelalter und
erreichte ihren Höchststand und ihr höchstes Prestige im 17. und
18. Jh., wobei ein Anteil von ca. 5% bis 10% italienischer Ein-
wanderer an der Gesamtbevölkerung Mitte des 17. Jhs. für mög-
lich gehalten wird (cf. Ille/Rindler-Schjerve/Vetter 2009:96).4 Die
Zuwanderung erfolgte aus den südlichen Provinzen der Habs-
burgermonarchie, aus italienischen Fürstentümern und aus der
Schweiz. Nachdem 1859 die Lombardei und 1866 Venetien an
den neuen italienischen Nationalstaat gefallen waren, sank der
Anteil auf 0,2%. Dies dürfte auch heute der geschätzte Anteil
sein (cf. Ille/Rindler-Schjerve/Vetter 2009:97).
   Grundsätzlich ist zur Zeit der Habsburger zu unterscheiden
zwischen einerseits der „Elitenimmigration“, zu der Künstler,
Architekten, Ärzte, Wissenschaftler (z.B. bedeutende Mediziner
an der 1365 gegründeten Wiener Universität) und Offiziere im
Dienste des Hofes ebenso zählten wie Vertreter des Bankwesens,
des Verlagswesens und des Klerus, und andererseits einer Ar-
beitsimmigration: Stuckateure, Seidenweber, Seidenfärber,
Rauchfangkehrer, Kaffeesieder, Eisverkäufer u.a., ergänzt durch
v.a. im 19. Jh. den pendolarismo der Wander- und Saisonarbeiter
überwiegend aus Friaul oder dem Veneto (cf. Ille/Rindler-
Schjerve/Vetter 2009:98).5
   Den größten Anteil an der Immigration hatten zunächst
Handwerker und kleine (Straßen-)händler, wie der Figurimann

4 Joseph Anton Bellesini (1709-1767), Sohn eines immigrierten Seidenfärbers,
bekleidete von 1765 bis 1767 sogar das Amt des Bürgermeisters der Stadt Wien.
5 Zu verschiedenen Formen der Migration im Kontext von Sprachkontaktsitua-

tionen cf. Schöntag (2019).
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und der Salamimann (cf. Kap. 4.2.), die bis ins 20. Jh. das Straßen-
bild prägten. Zu diesen Straßenhändlern, die zum Teil als Wan-
derhändler unterwegs waren, zählen auch die Strazzensammler
(Lumpensammler),6 die Zinngießer und die Scherenschleifer
(Arrotini), die überwiegend aus dem Trentino kamen (cf. Steidl
2009:16-17). Bis in unsere Zeit hinein haben sich die Gelatieri,
Betreiber der Eissalons/Eisdielen, gehalten, die teilweise noch
heute im Frühjahr als Saisonarbeiter aus Norditalien (Dolomiten-
täler) angereist kommen.
   Einige Migranten, wie z.B. die Rauchfangkehrer, die sich be-
reits Ende des 17. Jhs. zu Zünften zusammenschlossen (nachdem
sie ursprünglich als wandernde Rauchfangkehrer unterwegs
waren; cf. Ricaldone 1986:135), konnten sich dauerhaft in der
Stadt niederlassen. Für sie war die Ortsveränderung begleitet
von einem sozialen Aufstieg. Andere wiederum, so die Erdarbei-
ter, kamen für einzelne Aufträge zeitlich begrenzt nach Wien.
Auf diese Weise war wohl das Überleben durch den - wenn auch
meist sehr niedrigen – Lohn gesichert. Ein dauerhafter Wohnsitz
in der Stadt oder gar eine soziale Besserstellung war mit der Ar-
beitsstelle aber nicht verbunden (cf. Steidl 2009:32-33).

4.1. Sprachliche Auswirkungen der Elitenimmigration

Der Habsburger Hof beschäftigte im 17. und 18. Jahrhundert „in
kulturell wichtigen Hofdiensten“ (Czeike:online) bevorzugt Ita-
liener: Hof- und Theaterarchitekten, Hofmaler, Hofdichter, Hof-
historiographen, Hofkomponisten, Hofsänger. Die in Italien
entwickelte neue Kunstform der Oper (it. opera) wurde in Wien
heimisch. Leibärzte und Beichtväter des Hofes kamen ebenfalls
bevorzugt aus Italien.

6   Lumpen wurden zur Papierherstellung gebraucht.
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    Die Habsburger Kaiser, die laut Ille/Rindler-Schjerve/Vetter
(2009:97) meist selbst Italienischkenntnisse besaßen, boten den
italienischsprachigen Vertretern der Elitenimmigration, die häu-
fig aus der Lombardei und aus Venezien kamen, ein komfor-
tables Ambiente, sich in der mündlichen Kommunikation des
prestigeträchtigen Italienisch, d.h. der jeweiligen oberitalieni-
schen Varietäten ihrer Herkunftsregion, und im Schriftverkehr
des „toskanisierten Normitalienisch“ zu bedienen.7 In diesem
Zusammenhang kam es zu Übertragungen italienischer Admi-
nistrationsbegriffe ins österreichische Deutsch, wie z.B. it. stam-
piglia > ödt. Stampiglie (‚Stempel‘), it. detto > ödt. detto (‚besagt,
genannt, dito‘), it. avviso > ödt. Aviso (‚Mitteilung einer Lieferung
oder Zahlung‘) (cf. Ille/Rindler-Schjerve/Vetter 2009:97-98).
Weitere noch heute gebräuchliche Begriffe aus dem Bereich
Verwaltung und Handel sind die Bollette ‚Zoll-/Steuerbe-
scheinigung‘ (< it. bolletta ‚Bescheinigung‘), die Polizze ‚(Versi-
cherungs-)Police‘ (< it. polizza ‚Schein, Versicherung‘), der Sensal
‚Makler‘ (< it. sensale ‚Vermittler, Makler‘) und skartieren ‚alte
Akten o.Ä. ausscheiden‘ (< it. scartare ‚aussortieren‘) (cf. Ebner
2008:15; Duden GFWB). Ein Administrationsbegriff, der im heu-
tigen Alltagsleben noch präsent ist, ist die Kassa (von it. cassa
‚Kasten, Kasse‘ < lat. capsa ‚Behältnis‘; cf. Duden online; Duden
DUWB), die als solche in jedem Wiener Supermarkt (und auch
österreichweit) anzutreffen ist, ebenso als (Abend-)kassa in den
Theater-, Konzerthaus- und Kinofoyers.
    Was die zahlreichen Entlehnungen aus den einleitend ge-
nannten Bereichen Kunst, Musik etc., die seit der Renaissance
allgemein ins Deutsche gelangt sind,8 angeht, so lässt sich

7Auch Maria Theresia (1717-1780, Rg. 1740-1780) und ihr Sohn und Mitregent
Joseph II. (1741-1790, Ks. 1765-1790) waren der italienischen Schriftsprache
mächtig (cf. Ille/Rindler-Schjerve/Vetter 2009:98).
8 Aus dem Architekturbereich seien u.a. die Loggia, die Arkade und der Altan

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schwer entscheiden, inwiefern und in welchen Fällen Wien eine
Rolle als Einfallstor gespielt haben könnte. Da die Entlehnung
dieser Internationalismen aber normalerweise eher über ge-
schriebene Texte als über persönliche Kontakte erfolgt sein dürf-
te, ist die Wahrscheinlichkeit als gering anzusetzen.

4.2. Sprachliche Auswirkungen der Arbeitsimmigration

Die Elitenmigration, die vor allem das höfische Umfeld betraf,
hatte also wenig nachweisbare Auswirkungen auf das Wieneri-
sche. Anders verhält es sich mit der Arbeitsmigration, durch die
kleine Händler, Handwerker etc. in persönlichen Kontakt mit
der Bevölkerung traten und sich wie erwähnt teilweise in die
deutschsprachige Gemeinschaft integrierten, so z.B. die Rauch-
fangkehrer und Seidenweber/-färber. Dies führte im Alltagsle-
ben zur Übernahme von Italianismen ins gesprochene Wiene-
risch, die sich zum Teil bis heute – mit unterschiedlicher Fre-
quenz – erhalten haben.

Die Wanderhändler
Im 19. Jh. war das Stadtbild Wiens geprägt von fahrenden Händ-
lern und von deren Offertrufen, mit denen sie ihre Waren an-
priesen. Sie waren „Teil der Wiener Kultur und gingen als ur-
wienerische, soziale und kulturelle Figuren in die Geschichte
[…] ein. Ein besonderer Aspekt ist hierbei, dass sie der unteren
sozialen Schicht angehörten und trotz ihres Migrationshinter-
grundes zur Stützung der Wiener Identität beitrugen.“ (Kraml
2017:70)

genannt; aus der bildenden Kunst das Kolorit, das Sfumato, das Fresko; aus dem
Militärwesen das Bataillon, die Brigade, der Alarm; aus dem Bankwesen das
Giro, das Konto, die Bilanz; aus dem Musik-/Theaterbereich der Sopran, das
Adagio, der Harlekin.
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Im Zuge der voranschreitenden Industrialisierung wechselten
viele Wanderhändler das Gewerbe und fanden Arbeit in den
entstehenden Fabriken. Aber nur wenigen gelang es, sich in
Wien zu etablieren. „Seit dem sozialen Aufstieg der Arbeiter-
klasse und der (sic!) veränderten wirtschaftlichen und gesell-
schaftlichen Strukturen gab es keinen Platz mehr für diesen Sek-
tor, und er starb langsam aus“ (Kraml 2017:77).

Die Rauchfangkehrer (Schornsteinfeger)
Der erste italienische Rauchfangkehrer9 (Schornsteinfeger) soll
1512 nach Wien gekommen sein. Das Gewerbe der spazzacamini
blieb bis ins 19. Jh. in italienischen Händen (cf. Czeike:online).
Zu Beginn waren es noch wandernde Rauchfangkehrer, aber
schon gegen Ende des 17. Jhs. schlossen sie sich in Wien in Zünf-
ten zusammen. Zu dieser Zeit wurden neuartige Kamine nach
italienischem Vorbild errichtet. Die sie installierenden Baumeis-
ter aus Italien brachten in ihrem Gefolge die spezialisierten
Rauchfangkehrer mit, vornehmlich aus Norditalien und der ita-
lienischsprachigen Schweiz (Locarno) (cf. Ricaldone 1986:135-
136).
    Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dominierten Migranten
aus der Schweiz, aus den italienischsprachigen Alpentälern im
Tessin und in Graubünden das Rauchfangkehrergewerbe in
Wien […]. Das erstrebenswerte Ziel war das Amt des kaiserli-
chen Hofrauchfangkehrers, das neben den großen Verdienst-
möglichkeiten mit hohem sozialem Prestige verbunden war. Ihm
waren alle Gebäude der kaiserlichen Verwaltung anvertraut.
(Steidl 2009:28)

9Antonio Salieri (1750-1825) komponierte zu diesem Thema das Singspiel mit
deutschem Libretto Der Rauchfangkehrer, dessen Uraufführung 1781 am Wiener
Burgtheater stattfand (cf. Stammerjohann 2013:74).
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Der Salamúdschi
Zu den Wanderhändlern zählte auch der Salamimann, der nach
seinem Rufen „Salami, salamini, salamucci!“ (Hlavac 2019:49)
meist Salamúdschi genannt wurde, „[…] eine seit dem ersten
Weltkrieg aus Wien verschwundene, einst überaus volkstümli-
che Gestalt […], (ein) meist aus dem Trienter Gebiet stammender
Italiener, der in den Gasthäusern des Praters […] Salami und
Käse bester Sorte feilbot. Mit seinem mächtigen, breitkrämpigen
Schlapphut (‚Kalabreser‘), seinem meinst schwarzblauen Sam-
trock und seiner gewaltigen Künstlerkrawatte machte er einen
malerischen Eindruck. Stets bester Laune und voll geschäftiger
Beflissenheit schnitt und reichte er seine verlockend geordneten
Waren, die er mit dem weithin vernehmlichen Rufe ‚Salamini,
Geß, Geß, duri-duri!‘ (= Salamiwürste, Käse, Käse, harte, harte)
ankündigte; unter ‚duri‘ waren die in Wien sehr beliebten harten
(it. duro ‚hart‘, Mz. duri) ungarischen Salamiwürste – im Ggs. zur
weicheren it. Veroneser Salami – zu verstehen […]“ (Schuster
1984:133-134). Mit Beginn des 1. Weltkrieges verschwand der
Salamúdschi aus dem Wiener Straßenbild (cf. Kraml 2017:72).

Der Figurini
Auch der Figurini (oder Figurimann), metonymisch benannt
nach seinen „Offertrufen“ (Ille/Rindler-Schjerve/Vetter 2009:
101), ist ein seit dem ersten Weltkrieg aus dem Straßenbild ver-
schwundener Wanderhändler, der meist aus dem Trienter Gebiet
oder Istrien kam. Er handelte, bevorzugt an Straßenecken und in
Durchgängen, mit allerlei Gipsfiguren (it. figurini: v.a. Büsten
von Dichtern und Musikern, kleine Genreszenen) und ermunter-
te die Passanten zum Kauf mit den Worten „Figure, figure! Figu-
rine, figurine!“ (Schuster 1984:59-60).10

10   Die Figurini sollen Ende des 19./Anfang des 20. Jhs. auch in Schleswig-
                 Beiträge zur bayerischen Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2021)
116                         Italianismen im Wienerischen

Der Mandoletti-Krämer
Der Mandoletti-Krämer verkaufte in den Straßen Wiens Man-
delgebäck und andere venezianische Mandelspezialitäten (it.
mandorla ‚Mandel‘, mandorlatto ‚Mandelgebäck‘). Unter Joseph II.
(1741-1790, Ks. 1765-1790) kam es zu einem zeitweisen Verbot
des Handels, so daß die Mandoletti-Krämer in die Vorstädte
ausweichen mussten. Nach und nach geriet dieses Verbot jedoch
in Vergessenheit, und die Händler konnten ihre Spezialitäten
wieder in der Stadt anbieten. Auch die Mandoletti-Krämer ver-
schwanden mit Ausbruch des 1. Weltkrieges aus Wien (cf. Kraml
2017:73).

Die Scherenschleifer
Die Scherenschleifer (it. arrotini) zählten im 18. und 19. Jh. auch
zu den überwiegend aus Norditalien (Trentino, Istrien) kom-
menden Wanderarbeitern, die von Haus zu Haus gehend ihre
Dienste und Waren anboten. Noch heute sind einige Wiener
Messer- und Scherenhandlungen in italienischem Familienbesitz
(cf. Ricaldone 1986:145).

Der Essigmann
Auch der Essigmann, meist aus dem Trentino oder Istrien zuge-
wandert, ging von Haus zu Haus. Auf dem Rücken trug er „ein
Tragfass mit Pipe (Ablasshahn), an dem unten zwei Trichter ein-
gehängt waren. Dargestellt wird er mit Knotenstock, kurzem
Rock und Fürtuch, breitkrempigem Hut und derbem Schuh-
werk“ (Czeike:online). Den Essig bezog er von Großhändlern
aus der Oberen Bäckerstraße, die 1908 nach einem dort ansässi-
gen „bürgerlichen“ Essighändler in Essiggasse umbenannt wur-

Holstein anzutreffen gewesen sein (cf. Stammerjohann 2013:74).
               Beiträge zur bayerischen Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2021)
Constanze Neudek & Barbara Schäfer-Prieß                          117

de (cf. Czeike:online). Auch der Essigmann verschwand mit
Ausbruch des 1. Weltkrieges aus dem Stadtbild.

Die Zinngießer
Die wandernden italienischen Zinngießer (überwiegend aus dem
Piemont) hatten seit dem 17. Jh. keinen guten Ruf, da sie für un-
qualifiziert und betrügerisch gehalten wurden. Andererseits gal-
ten sie aber auch als fleißig und geschickt und somit als Bedro-
hung für das Gewerbe der Einheimischen. Auf die Zinngießer
soll die Bezeichnung „Katzelmacher“ (pejorativ für Italiener; cf.
Kap. 5.) zurückgehen, da cazza das venezianische Wort für ‚Zinn-
löffel/Zinnkelle‘ ist (cf. Kraml 2017:75).

Die Strazzensammler (Lumpensammler)
„Obwohl sie eine so wichtige Tätigkeit für die Papierherstellung
innehatten, nämlich die Besorgung der Ressourcen […], standen
sie am unteren Ende der Papiermacherhierarchie“ (Kraml
2017:75) und führten ein Nomadenleben in bitterer Armut. Zu-
dem führte die sogenannte „Hadernkrankheit“, ein Lungenmilz-
brand, ausgelöst vom Lumpenstaub, häufig zu Siechtum und
frühzeitigem Tod (cf. Kraml 2017:75).

Die Bau- und Erdarbeiter
Die ungelernten Bau- und Erdarbeiter, meist aus dem Friaul,
waren als Saisonarbeiter von Frühjahr bis Ende Herbst auf
Großbaustellen in Wien beschäftigt. Die in Bautrupps organisier-
ten Wanderarbeiter blieben so lange auf einer Baustelle, bis die
Arbeiten abgeschlossen waren. Im günstigen Fall gab es einen
Anschlussauftrag, andernfalls kehrten die Arbeiter zurück in
ihre Heimat. Sie mussten unter unmenschlichen Bedingungen
arbeiten, zu einem Lohn, der kaum zum Überleben reichte (cf.
Kraml 2017:85). Große und bedeutende Einsatzgebiete waren die

             Beiträge zur bayerischen Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2021)
118                       Italianismen im Wienerischen

Donauregulierung sowie der Bau des Donaukanals, der Votiv-
kirche, des Wiener Rathauses und anderer Ringstraßengebäude
sowie der Semmering- und der Brennerbahn (cf. Kraml 2017:62-
63).

Die Stuckateure (ödt. Stuccateure)
Stuckaturen (ödt. Stuccaturen < it. stucco ‚Stuck‘, ‚Kitt‘) standen
im 16. Jh. als ornamentale Elemente an Bauwerken, insbesondere
Kirchen und Palais, hoch im Kurs und erlebten ihre Blütezeit im
Barock und Rokoko. Italienische Stuckateure waren begehrt und
zahlreich vertreten in Wien. Berühmt war die Familie Carlone,
auch die Namen Piazzoli, Aliprandi, Alfieri, Barberino und eini-
ge andere sind dokumentiert. Von Santino Bussi di Bissone weiß
man, daß er Ende des 17. Jhs. von Prinz Eugen nach Wien beru-
fen wurde und nach 1714 „Hofstukkateur“ war (cf. Ricaldone
1986:70-71). Diese Position könnte ein Hinweis darauf sein, dass
zur damaligen Zeit ein Aufstieg von der Arbeitsimmigration zur
Elitenimmigration durchaus möglich war.

Der G(e)frornesmann und die Eisssalons
Die Tradition der italienischen Eissalons in Wien begann Mitte
des 19. Jhs. mit ambulanten Eismachern, überwiegend aus den
kargen Dolomitentälern Val di Zoldo und Val di Cadore, die die
Bewohner zu temporärer Migration zwangen. Beliebtheit und
Erfolg des Speiseeises italienischer Herstellung liegen laut Kraml
(2017:68-69) in „streng gehüteten Familienrezepten“. Meist be-
trieben die Gelatieri das Eisgeschäft in den Monaten März bis
August, um zu der dann beginnenden Holzwirtschaft in ihre
Heimat zurückzukehren. Der erste Eismacher (cf. Czeike:online:
der „Gfrornesmann“) stellte seinen carretto im Prater auf; es folg-
ten weitere, die sich in der gesamten Stadt verteilten. Bald bezo-
gen sie feste Quartiere. Die heutigen Eisdielen befinden sich zum

             Beiträge zur bayerischen Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2021)
Constanze Neudek & Barbara Schäfer-Prieß                          119

Teil in vierter und fünfter Generation in Wien. Einige bieten ihr
gelato artigianale zu jeder Jahreszeit an, andere sind nach wie vor
saisonale Unternehmen (cf. Kraml 2017:68-69).

Die Kaffeehäuser
Die aus Italien eingewanderten Kaffeehausbesitzer brachten eine
Neuerung nach Wien: das Café im Freien. Sein Initiator war
Giovanni Taroni (cf. Schanigärten in Kap. 5.) mit der Eröffnung
des Cafés am Graben (an der Ecke zur heutigen Habsburgergas-
se) im Jahr 1748. Es folgten im Laufe des 18. Jhs. weitere Kaffee-
häuser, darunter 1771 das traditionsreiche Café am Kohlmarkt
von Giovanni Milani. Diese Kaffeehäuser wurden zu Orten der
kulturellen Begegnung für Dichter, Literaten, Künstler, Intellek-
tuelle. Waren vor Einzug der italienischen Kaffeesieder die alten
Wiener Kaffeehäuser oft kleine und niedrige Lokale, die im Win-
ter überfüllt waren, so gab es nun auch Cafés, die im Sommer
sehr gern frequentiert wurden (cf. Ricaldone 1986:141-142).

Die Seidenindustrie
Schon um 1500 kamen erste Seidengewänder (it. serici panni) aus
Italien nach Wien, denn Italien genoss ein hohes Prestige in der
Herstellung und Verarbeitung von Seide (cf. Ricaldone
1986:138). Die erste eigene Seidenmanufaktur entstand 1666 un-
ter Leopold I. (1640-1705, Ks. 1658-1705). Mit ihr sollte vermie-
den werden, dass diese Luxusgüter nur aus dem Ausland einge-
führt werden. Schon bald wurde die Seidenindustrie der wich-
tigste Produktionszweig in Wien und erlebte einen bedeutenden
Aufschwung nach der Französischen Revolution, da diese die
französische Produktion zum Erliegen brachte. Im erwähnten
Jahr 1666 entstand auch das Collegium Commerciorum, eine Verei-
nigung der meist aus Italien (Trentino) stammenden „Seiden-
meister“ (Kraml 2017:80).

             Beiträge zur bayerischen Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2021)
120                       Italianismen im Wienerischen

Auch die Rohstoffe kamen überwiegend aus Italien. Im Gefolge
der Seidenmeister kamen zahlreiche italienische Arbeitsmigran-
ten nach Wien, wo es Ende des 18. Jhs. schließlich 29 Seidenfab-
riken mit 3000 Webstühlen gab. Der 7. Wiener Gemeindebezirk
sollte das Zentrum der Produktion werden (cf. Kraml 2017:80).
Unter den Migranten fanden sich auch viele Frauen. Das Zu-
sammendrehen der Seidenfäden wurde meist von Kindern erle-
digt (cf. Kraml 2017:80).
   Die Arbeitsbedingungen waren äußerst gefährlich für die Ge-
sundheit. Das Auskämmen der aus den Kokons gewonnenen
Fäden, um diese von Raupenrückständen zu befreien, reizte die
Atemwege und führte früher oder später zu starker Atemnot.
Ein hohes Alter erreichten die Seidenarbeiter selten (cf. Kraml
2017:81).
   Wie schon das Metier der Rauchfangkehrer entwickelte sich
auch die Seidenindustrie zu einem Monopol italienischer Fami-
lien. So lag auch die Weiterverarbeitung der Seide durch Sei-
denweber, Seidenfärber, Tapezierer und Schneider in italieni-
scher Hand. Auch die Herstellung von Kleidung generell hat
eine lange italienische Tradition. Bereits im 15. Jh. kamen die
Schneider bei Hofe aus Italien. Im 19. Jh. kleidete man sich in
Wiener Innenstadtgeschäften all‘ italiana ein (cf. Ricaldone
1986:139-140).
   Anders als bei der Elitenmigration kann bei der Arbeitsmigra-
tion nicht vorausgesetzt werden, dass die Migranten gute
Kenntnisse im Standarditalienischen besaßen. Wie zu sehen war,
stammten sie typischerweise aus den nördlichen Gebieten der
Italoromania und sprachen demnach Varietäten, die vom Stan-
dard deutlich abweichen (cf. Kap. 6.).

             Beiträge zur bayerischen Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2021)
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5. Liste der Italianismen im heutigen Wienerisch

Die Liste basiert auf den Einträgen bei Ricaldone (1986), Eh-
mer/Ille (2009), Sedlaczek (2014) und Ebner (2008, 2019). Zusätz-
lich wurden noch einige digitale Wörterbücher ausgewertet: das
Österreichische Volkswörterbuch (ÖVWB), das Digitale Wörterbuch
der deutschen Sprache (DWDS) (inkl. Deutsches Wörterbuch von
Jacob Grimm und Wilhelm Grimm – DWB), das Wörterbuch Ös-
terreichisch-Deutsch (im Folgenden WÖD) sowie der Duden (Du-
den DUWB, Duden GFWB, Duden online). Weitere Informatio-
nen lieferten die laienlinguistischen Online-Portale www.
janko.at/wienerisch. und www.echtwien/at/de/wiener-sprache
(im Folgenden „Janko“ bzw. „Echtwien“). Eine Unterscheidung
zwischen Wienerisch und allgemein österreichischem Deutsch
kann grundsätzlich nicht vorgenommen werden, da einerseits
davon auszugehen ist, dass die Sprache Wiens auch auf die an-
deren Regionen ausstrahlt, es andererseits aber auch möglich ist,
dass eine Entlehnung anderswo stattgefunden hat. Dies ist vor
allem bei den Wörtern zu erwarten, die laut Duden im gesamten
bairischen Sprachraum, also auch in Teilen Süddeutschlands,
mehr oder weniger geläufig sind. Diese Wörter sind mit einem *
gekennzeichnet.

   ·   agentieren, v.: ‚als Agent tätig sein‘, ‚Käufer, Kunden werben‘.
       Laut Ebner (2019:90) italienischer Herkunft ohne konkrete An-
       gabe. Möglich wäre eine direkte Herkunft von it. agente
       ‚Agent‘, andererseits auch über frz. agent mit derselben Bedeu-
       tung (cf. https://www.cnrtl.fr/etymologie, im Folgenden
       CNRTL). Auch das DWB verweist auf eine frz. oder it. Her-
       kunft. Der Begriff sei zwar „veraltend“, kommt aber laut Ebner
       (2019:90) u.a. in der Friedhofsordnung der Stadtgemeinde
       Schwechat von 2008 vor.

             Beiträge zur bayerischen Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2021)
122                             Italianismen im Wienerischen

      ·   *Alzerl, n.n.: ‚kleines Stück‘. Geht laut Sedlaczek (2014:15) zu-
          rück auf it. alzo ‚Stück‘ (= kleines Lederstück auf/im Schuh).
          Daher auch: ‚kleinste Maßeinheit‘ (Janko). Laut ÖVWB Be-
          kanntheitsgrad 2006: 100%, gebräuchlich im Raum Wien: ein
          Alzerl besser: eine Spur besser. Laut WÖD (1995:7) ausgespro-
          chen „Äuzerl“: ‚ein winziges bißchen‘. Für Wehle (1980:94) ist
          der Ursprung eher mhd. älzelîn: ‚Kleinigkeit‘, ‚vierter Teil eines
          Lots‘.

      ·   *Amant, n.m.: ‚Liebhaber‘. Geht laut Ricaldone (1986:144) zu-
          rück auf it. amante ‚Liebhaber‘. Ille/Rindler-Schjerve/Vetter
          (2009:100) sprechen sich dagegen für die friaulische Herkunft
          aus (cf. Kap. 6.2.), das DWB für eine französische Herkunft.
          Laut ÖVWB Bekanntheitsgrad 2006: 50%: „War gebräuchlich in
          der Bürgerklasse“. Duden DUWB gibt die Herkunft mit frz.
          amant Part. Präs. zu frz. aimer > lat. amare an. Eine französische
          Herkunft scheint auf jeden Fall ebenso plausibel wie eine itali-
          enische/friaulische.

      ·   Ambo, n.m.: ‚Lottotreffer mit zwei gezogenen Nummern‘. Laut
          Ebner (2019:95) von it. ambo ‚beide‘.

      ·   Animo, n.n.: ‚Schwung‘, ‚Lust auf etwas‘, ‚Antrieb zu etwas‘.
          Laut Ebner (2019:98) italienischer Herkunft ohne nähere Anga-
          be. Laut Duden DUWB von it. animo (< lat. animus).

      ·   *Aranzini, n.pl.: ‚Orangeat‘ (cf. Ebner 2008:15). Laut Duden
          DUWB: ‚überzuckerte oder schokoladenüberzogene gekochte
          Orangenschalen‘. Übernahme von it. arancino sg./arancini pl.
          ‚Apfelsine‘ (cf. Devoto/Oli 2014:176), zu it. arancia < arab.
          nāranǧ ‚Orange‘ (cf. Duden GFWB).

      ·   Arschkappl, n.n.: ‚Arsch‘ (als Schimpfwort). Geht laut Sed-
          laczek (2014:20) zurück auf it. ciappa ‚Arschbacke‘. Das DWB
          hierzu: „arschkappe, f. als schimpfwort für männer […] cf. it.

                   Beiträge zur bayerischen Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2021)
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    chiappa […]“. Dazu: Arschkappelmuster, n.n.: Schimpfwort für
    Männer; laut ÖVWB Bekanntheitsgrad 2008: 33%.

·   *Aviso, n.n.: ‚Ankündigung‘, ‚Benachrichtigung‘ (cf. DWDS).
    Laut Duden DUWB und Duden GFWB von frz. avis, aus afrz.
    ço m’est a vis ‚das ist meine Ansicht‘ < vlat. mihi visum est ‚es
    scheint mir‘. Dazu: Avisotafel, n.f.: „über Fahrbahnen ange-
    brachte Hinweis- und Warntafel (an Autobahnen)“ (Ebner
    2019:120).

·   *Ballawatsch, n.m.: ‚Durcheinander‘, ‚Chaos‘. Laut Ricaldone
    (186:145) vermutlich von it. balordaggine ‚Tölpelhaftigkeit‘.
    Auch bei Janko gelistet. Laut ÖVWB Bekanntheitsgrad 2004:
    85%.

·   *Ballésterer, n.m.: 1. ‚Fußballspieler‘, 2. ‚Vergnügungsfußbal-
    ler‘. Geht laut Sedlaczek (2014:29) zurück auf it. balestra, mlt. ba-
    lestrum ‚Wurfmaschine‘; soll wegen des Gleichklangs mit Ball
    später auf den Fußballsport übertragen worden sein, zum Teil
    auch mit der abwertenden Bedeutung Freizeitfußballer. Laut
    ÖVWB Bekanntheitsgrad 2007: 40%: „Ballesterer ist ein alter ös-
    terreichischer Ausdruck für Fußballer, der seinen Ursprung im
    Wien der Zwischenkriegszeit haben dürfte. Besonders tech-
    nisch versierte Fußballer wurden von Medien und Zuschauern
    als ‚Ballesterer‘ bezeichnet.“ Außerdem erscheint seit dem Jahr
    2000 das Ballesterer Fußballmagazin. Dazu: ballestern, v.: ‚(zum
    Vergnügen) Fußball spielen‘ (cf. Sedlaczek 2014:29; Echtwien).
    Laut ÖVWB Bekanntheitsgrad 2006: 64%. Bei Wehle (1980:221)
    ist ballestern unter palästern gelistet: ‚Fußball spielen‘, wahr-
    scheinlich ein Wort griechischen Ursprungs, „denn palaistra
    war die Turnschule, die Ringhalle der alten Hellenen (palaio =
    ich ringe); durch Vermittlung der Studentensprache […]“
    (ibid.); ballestrisch, adj.: ‚fußballerisch‘ (cf. Ebner 2019:122).

           Beiträge zur bayerischen Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2021)
124                          Italianismen im Wienerischen

      ·   balwiern, v.: ‚rasieren‘. Laut Ricaldone (1986:145) von it. barbie-
          re ‚Barbier‘. Auch in der Bedeutung ‚übervorteilen‘, ‚betrügen‘
          (cf. Wehle 1980:100).

      ·   *Bamperletsch, n.m./n.: ‚kleines Kind‘ (eher pejorativ). Stammt
          laut WÖD (1995:12) von it. bambino ‚Kind‘; cf. Devoto/Oli
          (2004:282): bamboleggiare: ,comportarsi come un bambinoʻ. Laut
          ÖVWB Bekanntheitsgrad 2008: 66%.

      ·   *Baraber, n.m.: ‚Arbeiter‘ (Ebner 2008:15; DWDS). Laut Duden
          online: zu norditalienisch barabba = „Landstreicher, Tauge-
          nichts, eigentlich Barabbas“, jedoch laut Duden DUWB ‚Bauar-
          beiter (pejorativ)‘ zu it. parlare, d.h. im Sinne ‚Jmd. der parlare
          statt sprechen sagt‘ und deshalb zunächst nur eine Bezeichnung
          für italienische Bauarbeiter. Laut Kluge (2002:90): ‚Bauarbeiter‘.
          „Vermutlich zu it. barabba ‚Nichtsnutz, Rowdy‘ (nach dem bib-
          lischen Namen Barrabas […]“. Dazu: *barabern, v.: ‚schwer ar-
          beiten‘ (cf. Ebner 2019:123; DWDS).

      ·   Bassena, n.f.: ‚Wasserleitungshahn mit Becken‘. Laut Ricaldone
          (1986:145) ist der Ursprung it. bacino ‚Waschbecken‘. Sedlaczek
          (2014:31) dagegen führt die Bassena zurück auf frz. bassin. Pa-
          raschkewow (2004:34) erläutert: „Durch Kreuzung von frz. bas-
          sin und seinem bedeutungsgleichen Kognaten ital. bacino ist die
          besonders in Wien gebräuchliche Dublette österr. Bassena
          ‚Wasserbecken im Flur eines alten Wohnhauses, von dem meh-
          rere Wohnparteien das Wasser holen‘ entstanden, cf. ferner die
          damit gebildeten, aber meist durch die Konnotation ‚kleinlich,
          auf niedrigem Niveau‘ gekennzeichneten Komposita Bassenage-
          rücht, -streit, -tratsch.“ Laut ÖVWB Bekanntheitsgrad der Basse-
          na 2002: 58 %, 2017: 0 %. Der Bassenatratsch ist jedoch laut
          ÖVWB 2010 noch bekannt. Laut Ebner (2019:124) ist die Bassena
          „heute wieder aufgewertet als Name verschiedener Wiener
          Stadtteil- und Jugendzentren“.

                Beiträge zur bayerischen Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2021)
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·   Biskotte, n.f.: ‚Löffelbiskuit‘. Soll zurückgehen auf it. biscotto
    ‚Biskuit‘ (cf. Janko; Kluge 2002:126; Ebner 2019:139; DWDS) <
    mlat. biscoctus (-um) ‚zweimal Gebackenes‘ (cf. Duden DUWB).
    Das Wort könnte aber ebenso zurückgehen auf frz. biscotte, ein
    Lehnwort aus dem Italienischen (cf. CNRTL). Laut ÖVWB Be-
    kanntheitsgrad 2006: 63%. Von Biskotten träumen: ‚geistesabwe-
    send, fernab der Realität sein‘ (cf. ÖVWB). Dazu: Biskottenzuz-
    ler, n.m.: 1. ‚zahnloser Greis‘; 2. ‚zahmer Kritiker‘ (cf. Sedlaczek
    2014:36). Biskotterlfahren, n.n.: „zu Dritt in einem zweisitzigen
    Wagen fahren, wobei sich die mittlere Person vorschiebt (wie
    Biskotten in einer Verpackung)“ (Sedlaczek 2014:36).

·   Bizl, n.m.: ‚Zorn‘. Geht laut Ricaldone (1986:146) zurück auf it.
    bizza ‚Zorn‘. Dazu: bizln, v.: ‚Nörgeln von kleinen Kindern‘.
    Laut ÖVWB Bekanntheitsgrad 2006: 67%.

·   Bojazzer, n.m.: ‚lächerlich angezogener Mensch‘, ‚Clown‘,
    ‚Spaßmacher‘ (cf. Sedlaczek 2014:40; ÖVWB). Geht laut Sed-
    laczek zurück auf venezian. pajazzo (< it. paglia ‚Stroh‘), das
    strohsackähnliche Wollkleid, das die Commedia-dell’arte-Figur
    Bajazzo getragen haben soll. (cf. Pagliacci, dt. Der Bajazzo, Oper
    von Ruggero Leoncavallo (1857-1919), Uraufführung 1892;
    Standarditalienisch , Norditalienisch ).

·   Bollette, n.f.: ‚Berechtigungsschein‘, ‚Zollschein‘, ‚Zollerklä-
    rung‘ (cf. Ebner 2019:142). Geht zurück auf it. bolletta ‚Schein‘,
    ‚Rechnung‘. Laut Duden DUWB: ‚Zoll-, Steuerbescheinigung‘,
    zu it. bolla < lat. bulla ‚Bulle‘. Auch im ÖVWB gelistet.

·   detto, adv.: ‚dasselbe‘; ‚wie oben‘ (cf. Ebner 2019:161). Kommt
    von it. detto ‚besagt, (oben) benannt‘. Laut ÖVWB Bekannt-
    heitsgrad 2006: 73%.

·   *Falott, n.m.: ‚Lump‘, ‚Gauner‘, ‚Schelm‘. Könnte laut Sed-
    laczek zurückgehen auf it. fa lotto ‚spielt Lotto‘ in der Bedeu-

           Beiträge zur bayerischen Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2021)
126                           Italianismen im Wienerischen

          tung: ‚spielt Lotto statt zu arbeiten‘, möglicherweise auch auf
          frz. falot ‚schnurriger Mensch‘ (cf. Sedlaczek 2014:66; Duden
          DUWB). Auch bei Ebner (2019:187) ist Falott französischen Ur-
          sprungs. Laut ÖVWB Bekanntheitsgrad 2004: 70%; gelistet
          auch bei Janko.

      ·   Farferl, n.n.: 1. ‚Suppeneinlage aus Nudelteig‘, 2. ‚unansehnli-
          ches, ungeschicktes Mädchen‘, ‚Mädchen mit einem gezierten
          Verhalten‘. Könnte laut Sedlaczek (2014:66) zurückgehen auf it.
          farfalle ‚Schmetterlinge‘; ‚eine Art Suppennudeln‘. Auch bei
          Echtwien gelistet: ‚unbeholfenes, unansehnliches Mädchen‘.
          Laut ÖVWB: 1.‘ Suppeneinlage‘; 2. ‚Dummes Mädchen‘; Be-
          kanntheitsgrad 2006: 70%.

      ·   Fasche, n.f.: ‚Binde‘ (cf. Ebner 2008:15). Laut Duden DUWB:
          ‚lange Binde zum Umwickeln verletzter Gliedmaßen‘. Über-
          nahme von it. fascia ‚Stoffverband‘ < lat. fascia (cf. Devoto/Oli
          2014:1061; Kluge 2002:276). Dazu: (ein)faschen und (ein)fatschen,
          v.: ‚bandagieren‘ (cf. Ebner 2019:188).

      ·   Fazi, n.m.: 1. ‚Geschäftsführer‘, 2. ‚Zellenältester‘ (gauner-
          sprachlich). Geht laut Sedlaczek (2014:67) zurück auf it. facitore
          (< lat. facere ‚machen‘). Laut ÖVWB Bekanntheitsgrad 2012:
          20%: ‚Hausarbeiter im Gefängnis‘. Mit derselben Bedeutung
          und Herkunft auch bei Ebner (2019:189). Die Entwicklung aus
          dem Italienischen ist umstritten. Der Begriff könnte auch aus
          dem Rotwelschen stammen. So ist Fazi bei Wehle (1980:119) ein
          „Diener, Faktotum; aus der Gaunersprache: Häftling mit Funk-
          tion, lat. calefacere = heizen“.

      ·   *Fierant, n.m.: ‚Marktfahrer‘. Geht laut Sedlaczek (2014:71), Ri-
          caldone (186:146) und Ebner (2019:193) zurück auf it. fiera
          ‚Jahrmarkt‘. Laut ÖVWB Bekanntheitsgrad 2008: 56%.

                 Beiträge zur bayerischen Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2021)
Constanze Neudek & Barbara Schäfer-Prieß                          127

     ·   *Fisole, n.f.: ‚grüne Bohne‘. Geht laut Sedlaczek (2014:73) zu-
         rück auf friaul. fasul/mhd. visol ‚grüne Bohne in Schoten-
         form‘.11 Auch gelistet bei Janko. Laut ÖVWB Bekanntheitsgrad
         2003: 51%.

     ·   Flamo, n.m.: ‚großer Hunger‘. Geht laut Sedlaczek (2014:74) zu-
         rück auf friaul. flamón ‚großer Hunger‘. Auch in der Variante
         Flam(m)oh: ‚Hunger‘ (ÖVWB). Für Wehle (1980:124) kommt
         Flammóh aus der Soldatensprache. Der Begriff lebt weiter im
         Namen des Wiener Restaurants Flammóh im 1. Bezirk.

     ·   fortstampern, v.: ‚wegjagen‘, ‚(ver)scheuchen‘, ‚wegweisen‘.
         Geht laut Sedlaczek (2014:77) zurück auf it. stampare ‚drucken‘,
         ‚pressen‘, ‚stanzen‘. Auch in der Form stampern ‚vertreiben‘ (cf.
         WÖD 1995:80); ‚vertreiben‘, ‚(unhöflich) wegbitten‘. Laut
         ÖVWB Bekanntheitsgrad 2016: 73%.

     ·   Frakerl, n.n.: ‚kleines Schnapsglas (oft in Flaschenform)‘. Geht
         laut Sedlaczek (2014:77) möglicherweise zurück auf it. flacone
         ‚kleine Flasche‘ (Lautwechsel von /fl/ zu /fr/) oder auf ladin.
         fracla ‚altes Viertelmaß‘, ‚Weinkrug‘ bzw. friaul. frachil ‚altes
         Maß‘. Laut ÖVWB ist ein Frakerl die Maßeinheit für 6 cl
         Schnaps.

     ·   *Frittaten, n.f., pl.: ‚In dünne Streifen geschnittene Pfannku-
         chen als Suppeneinlage‘. Geht laut Sedlaczek (2014:79) zurück
         auf it. frittata ‚Omelette‘. Laut Ebner (2019:201) ist die Herkunft
         oberitalienisch. Auch gelistet bei Janko. Laut ÖVWB Bekannt-
         heitsgrad 2006: 80%. Bei Wehle (1980:129) als Fridatten gelistet.
         Über Wien bzw. Österreich hinaus bekannt ist die Frittatensup-
         pe.

11Lat. phaseolus < griech. φάσηλος (phásēlos). Auch im arabischen und türkischen
Sprachraum fasulye oder ähnliche Formen. Neapolitanisch auch fasul.
                Beiträge zur bayerischen Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2021)
128                            Italianismen im Wienerischen

      ·   Fum, n.m.: ‚übertriebener Stolz‘, ‚vornehmes Getue‘, ‚hochmü-
          tige Geisteshaltung‘. Geht laut Sedlaczek (2014:80) zurück auf
          it.   fumo    ‚Rauch‘,        ‚Adelsstolz‘,         ‚Titelwahn‘.            Laut Wehle
          (1980:130) nur in der Redensart: „Er gibt sich an’n Fum = er will
          vornehm erscheinen; vielleicht von ital. fumo.“

      ·   *futsch, adj.: ‚weg‘, ‚verschwunden‘. Geht laut Ricaldone
          (1986:146) zurück auf it. fuggire ‚fliehen‘. Laut ÖVWB Bekannt-
          heitsgrad 2006: 79%. Kluge (2002:324) dagegen hält futsch für
          eine „Lautgebärde“ und erwähnt eine lautliche Nähe zu frz.
          foutu ‚futsch‘. Laut Duden DUWB: „wohl lautmalend“. Auch
          das DWDS priorisiert eine „lautmalende Bildung“, kann aber
          eine Herleitung von „ital. fuggito ‚geflohen‘ zum Verb fuggire
          ‚fliehen‘“ nicht ganz ausschließen.

      ·   *Fuzerln, n.n., pl.: ‚kleine Gegenstände‘, ‚Stoffreste‘. Gehen laut
          Ricaldone (1986:146) zurück auf it. futile ‚geringfügig‘. Auch bei
          Janko gelistet. Bei Sedlaczek (2014:82) erwähnt als Fuzel ‚ein
          winziges Stück‘, die Herkunft sei unklar, Verwandtschaft zu
          Fussel wahrscheinlich; Fuzerl Verkleinerung von Fuzel ‚winzi-
          ges Stück‘. Dazu: fuzerln, v.: ‚klein schreiben‘. Laut ÖVWB Be-
          kanntheitsgrad 2006: 100%. Bei Sedlaczek (2014:82) heißt fuzeln
          ‚sehr klein schreiben oder zeichnen‘. Fuzlerei, n.f.: 1. ‚Etwas sehr
          klein Geschriebenes oder Gezeichnetes‘. 2. ‚Sehr klein Schrei-
          ben oder Zeichnen‘ (cf. Sedlaczek 2014:82).

      ·   *Gspaß, n.m.: ‚Spaß, scherzhafte Äußerung‘, ‚Freude‘, ‚Ver-
          gnügen‘, (iron.) ‚Unannehmlichkeit‘. Geht laut Sedlaczek
          (2014:107) und Ricaldone (1986:146) zurück auf it. spasso ‚Spaß‘
          (zur Vorsilbe G(e) cf. Gspusi/Gschpusi). Dazu: Gspassettln, n. pl.:
          ‚harmlose Späße‘, ‚Gaudi‘. Laut Sedlaczek (2014:107) französi-
          sierende Weiterbildung zu Gspaß, meist mit kurzem /a/ ge-
          sprochen,       daher        Schreibung            mit      .          Laut   ÖVWB

                  Beiträge zur bayerischen Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2021)
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    Gspass(ß)etteln, Bekanntheitsgrad 2006: 100%. Gspaßlaberln,
    n.pl.: ‚kleine Brüste‘ (cf. Wehle 1980:151; Sedlaczek 2014:107).

·   *Gspusi/Gschpusi, n.n.: ‚Liebschaft‘, ‚Verhältnis‘. Geht laut
    Sedlaczek (2014:108) und Ricaldone (1986:146) zurück auf it.
    sposi ‚Verlobte‘, ‚Eheleute‘. Auch gelistet bei Janko. Laut ÖVWB
    Bekanntheitsgrad 2002: 90%. Die Vorsilbe G(e) hat sich laut
    DWDS folgendermaßen entwickelt: „Gespons n. (auch m.)
    ‚Bräutigam, Ehemann‘, n. ‚Braut, Ehefrau‘, mhd. gespunse m. f.,
    gespons f. ‚Bräutigam, Braut‘, Entlehnungen aus lat. spōnsus m.,
    spōnsa f. ‚Verlobte(r)‘; zu lat. spondēre (spōnsum) ‚feierlich gelo-
    ben, versprechen‘. Auf derselben lat. Grundlage beruht ital.
    sposo m., sposa f. ‚Bräutigam, Braut‘; deren präfigierte Entleh-
    nung führt in mundartlicher Eigenentwicklung zu südd. öst.
    Gspusi n. ‚Liebelei, Schatz, Liebste(r)‘ (19. Jh.).“ Hierzu Wehle
    (1980:151): „[…] wer bewirkte diese Vokalumfärbung?; viel-
    leicht die Musik oder eher die Texter, die zu dem Wort Musi
    dringend einen passenden Reim brauchten. Nach einer ober-
    flächlichen Zählung kommt der Reim Musi – Gspusi in Wiener
    Texten über 1500mal vor.“

·   *Gstanzl, n.n.: ‚Strophe‘, ‚volkstümliches Lied‘. Geht laut Sed-
    laczek (2014:108), Ricaldone (1986:146), Duden DUWB und
    DWDS zurück auf it. stanza ‚Strophe‘. Auch bei Ebner
    (2019:227) und Janko gelistet. Laut ÖVWB Bekanntheitsgrad
    2002: 88% (zur Vorsilbe G(e) siehe Gspusi/Gschpusi).

·   *Gusto/Guster, n.m.: ‚Appetit, Lust‘, ‚Verlangen, Begehren‘.
    Geht laut Sedlaczek (2014:112) und DWB zurück auf it. gusto
    ‚Geschmack‘ (< lat. gustare ‚kosten‘). Laut DWB stammt die
    Entlehnung aus dem 16. Jh. und war bis Ende des 17.Jhs. „al-
    lein herrschend“ in der Form gust und wurde im 18. Jh. ver-
    drängt durch gusto; diese Form war v.a. in der Schriftsprache
    geläufig, bekam dann aber im 19. Jh. eine rein dialektale Gel-

           Beiträge zur bayerischen Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2021)
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