Italianità lässt "Select" weiterleben
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H OTEL S UND RE S TAUR A NT S 2 3 1 | Der offene hohe Raum mit der Wendeltreppe nimmt die Volumetrie des einstigen Kinos Nord-Süd auf. 2 | Ein langer Marmortresen, die Select-Stühle, 1934 entworfen von Architekt Max Moser, zwei Kronleuchter als Signature-Element und ein grosser Spiegel, wo einst die Leinwand war, sorgen für italienisches Flair. 3 | Raumskizze: Atelier Ushi Tamborriello. Kleine Studiokinos mit nur einem Vorführsaal sind Vergangenheit. Auch das legendäre Studiokino Nord-Süd an der Zürcher Schifflände hat seine Türen längst geschlossen. Das Atelier Ushi Tamborriello hat es mit dem Restaurant Molino Select wieder zum Leben erweckt. Der Innenarchitektin ist es gelungen, im Einklang mit der Denkmalpflege italienisches Flair und historische Zitate auf raffinierte Weise zu verweben. Text Christina Horisberger Fotos Jochen Splett Das Café Select am Zürcher Limmatquai mit erinnert sich der Schweizer Musiker Hardy an der einstigen Liegenschaft von Willy dem daneben liegenden Studiokino Nord-Süd Hepp, dass «hier am Hechtplatz, zwischen den Boesigerin Sachen Erdgeschossnutzung eini- blickt auf eine traditionsreiche und legendäre beiden Künstler- und Intellektuellentreffs Café ges geändert. Auch die neoklassizistische Fas- Geschichte zurück. Als der Architekt und Le- Odéon und Café Select, das Epizentrum der sade wurde vom Architekturbüro Zanoni wie- Corbusier-Schüler Willy Boesiger das einstige kulturellen Eruption der Sechzigerjahre war». der in den historischen Zustand überführt, Hotel Du Lac (1839/49) und spätere Geschäfts- während Willy Boesiger, ein Anhänger des haus 1934 erwarb, entwarf er für das Erdge- Das erste Studiokino der Schweiz Neuen Bauens, damals einige radikale Eingriffe schoss und das Entresol ein Café mit Bar nach Willy Boesiger war damals auch ein cleverer an der Fassade vorgenommen hatte. Neu sind Pariser Vorbild mit einem schlichten funktio- Geschäftsmann. Ihm war bewusst, dass ein al- in den Obergeschossen Büros und Wohnun- nalen Interieur. Das Café Select – Insider nann- koholfreies Café sich auf Dauer finanziell nicht gen, bei denen es gelungen ist, den Charme der ten es Café «Inselektuell» – wurde bald zu ei- lohnen würde, und er holte die Allround- historischen Hotellerie mit der Betonung auf nem berühmt-berüchtigten Treffpunkt für In- künstlerin Anna Indermühle mit ins Boot, die den Raumfluchten durch die Restaurierung tellektuelle, Schauspieler, Architekten. In den gleich nebenan das erste Studiokino – genannt historischer Materialien mit modernen Ergän- Kriegsjahren wurde hier stundenlang Kaffee «cinéma d’art et d’essay» – der Schweiz be- zungen wieder spürbar zu machen. getrunken, während kaum Geld für die Behei- trieb. Man sagt, dass sie ihre Filme jeweils auf zung der Wohnung übrig war. Man diskutierte dem Schwarzmarkt erstanden habe. Und in der Subtile Zitate über das politische Weltgeschehen und ver- Tat liefen hier auch bis zur Schliessung immer Der Umbau hingegen des Restaurants Molino trieb sich mit einer Partie Schach die düstere spannende Studiofilme, angekündigt mit klei- Select war für das Atelier Ushi Tamborriello ei- Stimmung, die sich über Europa breitgemacht nen Plakaten in den Vitrinen zur Schifflände ne räumliche Herausforderung, denn es galt, hatte. Das «Select» war zudem das erste Bou- hin. Nun blickt der Passant, die Passantin nicht die Atmosphäre des Ortes und seine Geschich- levardcafé in der Zwinglistadt (ab 1940). Und mehr auf verheissungsvolle Kinoplakate, son- te als Kino mit einem Restaurantkonzept in noch bis in die 1990er-Jahre gaben sich hier dern durch grossflächige Fenster in das Inte Übereinstimmung zu bringen. Der Kinosaal Prominente und solche, die dazugehören woll- rieur des Restaurants Molino Select. So oder so musste gemäss Denkmalpflege in seiner Kuba- ten, im «Select» die Türklinke in die Hand. So hat sich am Schiffländeplatz beziehungsweise tur erhalten, das schmale Raumvolumen mit spectrooms 3 / 2020 | 19
H OTEL S UND RE S TAUR A NT S 4 4 | Die gemütlichen, gesteppten Nischensofas sind 5 6 eine Sonderanfertigung der Firma Glaeser. 5 | Die historische Fotografie des ehemaligen Studiokinos stammt aus dem Bauge- schichtlichen Archiv der Stadt Zürich. 6 | Die Signature- Leuchten, die mit Lichtkompe- tenz entwickelt wurden, sind eine Anleihe an das italienische Design der Sechzigerjahre und ein Blickfang im Restaurant. seiner Ausrichtung auf die einstige Lein- heute ist er bei Horgenglarus in einer Holzaus- Samt gepolsterten, gesteppten Sitzgelegenhei- wand lesbar gemacht werden. Auch die cha- führung erhältlich. Der lange Marmortresen ten, Sonderanfertigungen der Firma Glaeser, rakteristische Wendeltreppe hinauf zur einsti- lenkt den Blick über die gesamte ursprüngli- sind ein Zitat an das Studiokino, aber in einer gen Galerie musste berücksichtigt und in das che Raumtiefe des Kinos und auch in die Höhe. modernen italienischen Art interpretiert. Wei- Gesamtkonzept eingebunden werden. Über dieses Raumvolumen spürt der Gast noch tere Bezüge zum historischen Bestand sind immer die Dimensionen des einstigen Studio- auch der grosse Spiegel am Ende des Raums, Atmosphärisches Gespür kinos. Zitate an das Studiokino – Ushi wo einst die Leinwand hing. Ein besonderes Wer heute das «Molino Select» über den Tamborriello zeigt wie immer ein Gespür für Augenmerk verdient die Raumleuchte, eine Schiffländeplatz betritt, wähnt sich ein biss- die ursprüngliche Atmosphäre und die Cha- Signature-Leuchte aus feinen Glasröhrchen, chen in einer Turiner Bar mit langem Marmor- rakteristik eines Ortes – hat die Innenarchi- die Ushi Tamborriello zusammen mit Licht- tresen und Barstühlen, die eine Weiterent- tektin subtil in das Gesamtambiente des Res- kompetenz entwickelt hat. Mit dem Umbau des wicklung des legendären Select-Stuhls mit taurants eingebunden. So wurde aus akusti- Gebäudeensembles wurde das neue «Molino halbrunder Lehne von Horgenglarus sind. Die- schen und ästhetischen Gründen die zweige- Select» zu einem stimmigen Ganzen, das unter se Stühle waren über Jahrzehnte ein Charakte- schossige Raumhöhe im oberen Bereich mit anderem der engen Zusammenarbeit zwischen ristikum des Café Select, da der Stuhl extra für grünen Samtvorhängen umfasst: eine Reverenz dem Architekturbüro Zanoni und dem Atelier das Café entworfen und immer wieder erneu- an die textile Qualität des einstigen Studio Ushi Tamborriello zu verdanken ist. || ert wurde. Zu Beginn war er noch gepolstert, kinos mit seinen Velourssitzen. Auch die mit ushitamborriello.com | zanoni-architekten.ch | molino.ch 20 | spectrooms 3 / 2020
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