Jakob Hummel: Lehrer - Archäologe - Museumsgründer in
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Geschichte An der Wiege der Aserbaidschanischen Archäologie. Jakob Hummel: Lehrer – Archäologe – Museumsgründer in Helenendorf/Göy Göl Karte des Stadtzentrums von Helenendorf vor 1941 Prof. Dr. Eva-Maria AUCH Berlin SPRICHT MAN HEUTE VON „ASERBAIDSCHAN“ WERDEN DAMIT VORDERGRÜN- DIG „BAKU“ UND „ERDÖL“ ASSOZIIERT. DABEI BIRGT DAS LAND VIEL MEHR ENTDECKENSWERTES UND STEHT – NICHT NUR IM BEREICH DER KULTURGE- SCHICHTLICHEN FORSCHUNGEN – UNVERDIENTERMASSEN ETWAS IM SCHATTEN DER BEIDEN NACHBARN GEORGIEN UND ARMENIEN. DABEI HABEN GERADE DEUTSCHE WISSENSCHAFTLER EINEN BESONDEREN BEITRAG ZUR ERKUNDUNG DER GESAMTEN SÜDKAUKASISCHEN REGION GELEISTET.1 NAMEN WIE ADAM OLEARIUS (UM 1600 -1671) UND JOHANN ANTON GÜLDENSTÄDT (1745 -1781) STE- HEN NUR STELLVERTRETEND FÜR DIE REISENDEN UND FORSCHER, DIE KAUKASIEN BESCHRIEBEN. ZU DEN BEKANNTESTEN FORSCHERN, DIE IN SÜDOSTKAUKASIEN GRABUNGEN DURCHFÜHRTEN, DÜRFTEN DIE SCHÜLER VON RUDOLF VIRCHOW (1821-1902) GEHÖREN, DER 1888 SELBST KAUKASIEN BEREIST HATTE, UND DEN GRUNDSTEIN FÜR DIE KAUKASISCHE SAMMLUNG DER BERLINER STAATLICHEN MUSEEN PREUSSISCHER KULTURBESITZ LEGTE. 40 www.irs-az.com
D urch die in den letzten bergs in den Kaukasus gekommen len von Wladikavkaz nahm er ein Jahren durchgeführten ar- waren, auf. Seine Vorfahren gehör- Fernstudium an der Naturkundlich- chäologischen Grabungen ten zu den 118 „Stammfamilien“, Historischen Fakultät in Petersburg im heutigen Gebiet Gäncä2 wur- welche die Kolonie gegründet hat- (dann Petrograd) auf, welches er den auch die Arbeiten eines Man- ten. Da die deutschen Kolonisten 1918 beendete. nes dem Vergessen entrissen, der oftmals untereinander heirateten, Sein Wirken als Lehrer in Hele- an der Wiege der aserbaidschani- waren nach über hundert Jahren nendorf begann 1921, als Aserbaid- schen Archäologie stand und vor fast alle Einwohner in Helenendorf schan bereits sowjetisiert war, aber dem Zweiten Weltkrieg die Win- miteinander verwandt. Um das Jahr die Gemeinde durch die Gründung zersiedlung Helenendorf zu einem 1920 lebten ungefähr 400 Nachfah- einer Produktions- und Vertriebsge- kleinen „Mekka der Archäologie im ren eines der ersten Siedler, Johann nossenschaft, in welche auch Güter Kaukasus“ machte: Jakob Johan- Heinrich Hummel (gest. 1835), in der Familien Hummel eingingen, an nes/russifiziert: Ivanovič / Hummel Helenendorf.4 die wirtschaftliche und kulturelle (1893-1946). Seine Schulbildung erhielt Ja- Blüte der Vorkriegsjahre anknüpfen Geboren am 25. Januar 1893 in kob Hummel zunächst in Helenen- konnte. Helenendorf (heute Göy Göl) wuchs dorf, von 1910 bis 1914 studierte er Um das Bildungssystem Jakob Hummel3 in einer ehemaligen an der naturkundlich-historischen Deutschlands zu studieren, wur- „Kolonie“ deutscher Auswanderer, Fakultät des Aleksandrov-Lehrerin- de Jakob Hummel 1923-24 vom die 1817/18 überwiegend aus pie- stituts in Tiflis. Neben seiner Lehr- Volkskommissariat für Bildung Aser- tistischen Kreisen Baden-Württem- ertätigkeit an verschiedenen Schu- baidschans nach Preußen, Sachsen, www.irs-az.com 41
Geschichte J.I. Hummel, Helenendorf/ heute Göy Göl. Das Foto aus dem Jahre 1932 ist mit einer Widmung für den aserbaidschanischen Archäologen und Numismatiker E.A. Pachomov versehen. Es befindet sich im Nationalen Historischen Museum Aserbaidschans (NMGA) Baku Bayern, Hamburg und Bremen seiner Studien- und Lehrfächer geschickt, wo er Vorlesungen in beeinflussten. Der populären Auf- Pädagogik und Psychologie hörte arbeitung von Heimatgeschichte, und sich besonders für die Arbeit Publikationen in Zeitungen und von Schullaboratorien interessier- Zeitschriften („Kaukasische Post“) te. Nach Angaben von Mamed folgten Ende der 1920er Jahre Džafarly5 habe er dort bei Verhand- kleine Monographien („Der Deut- lungen mit dem Reichsbildungsmi- sche in Transkaukasien“, 1927, „Das nisterium erreicht, dass der Status Heimatbüchlein der Deutschen in der Helenendorfer Schule aufge- Transkaukasien“, 1928), die der Ge- wertet wurde und Absolventen schichte der „Schwabendörfer“ ge- ohne Aufnahmeprüfung an deut- widmet waren. schen Hochschulen aufgenommen Mit dem Beginn seiner Arbeit werden konnten. Nachweisbar ist in als Lehrer erweiterte sich sein Tä- diesem Zusammenhang zumindest tigkeitsfeld, und er widmete sich eine Aktivierung der Bildungskon- neben Geschichte und Ethnogra- Sammlungen7, sondern wurde im takte nach und aus Deutschland, phie auch der Flora und Fauna des Sowjetmaßstab als vorbildlich ein- woran aber nicht zuletzt auch die heimatlichen Kreises. Mit seiner gestuft und sollte schließlich zum Helenendorfer Studierenden und Forscher- und Sammelleidenschaft ersten Zentrum archäologischer Emigranten in Deutschland einen verstand es Jakob Hummel – ab Forschungen Aserbaidschans au- wichtigen Anteil hatten. Jakob 1928 als Direktor der Helenendor- ßerhalb von Baku werden. Hummel als Direktor der Helenen- fer Sekundarschule –, Schüler und Liest man die Beschreibung der dorfer Oberschule6 hatte hier zwei- Kollegen zu begeistern. Als erstes Museumsbestände aus dem Jahr fellos eine wichtige Brücke geschla- Ergebnis seiner Anstrengungen um 19298 ist man auch heute noch be- gen. eine Erforschung des Gebietes Gän- eindruckt. Es ist nicht nur die Vielfalt Sehr früh schon hatten sich bei cä konnte 1927 das Heimatkund- der Exponate, die ohne Geldmittel Hummel heimatkundliche Interes- liche Museum eröffnet werden. Es beschafft wurden, sondern auch sen gezeigt, die nicht nur die Wahl beeindruckte nicht nur durch seine das Anliegen, welches mit dem Museum verbunden war: „Es stellt sich die Aufgabe – die Kenntnis der Heimat zu vertiefen, dem ge- samten Unterricht in der Arbeits- schule Klarheit, Wahrheit, Wärme und Leben zu sichern und eine im Heimatboden verwurzelte Bildung zu ermöglichen […]. Ganz falsch ist die Vorstellung, dass man schon in eine Heimat hineingeboren werde. Zur Heimat wird der Geburts- oder auch einfach Wohnort erst dann, wenn man sich in ihn hinein gelebt hat, wenn man mit dem Boden und was daraus entsprossen ist – mit Natur, Volk und Kultur – innerlich 42 J.I. Hummel 1928 bei Ausgrabungen mit seinen Schüler in der Nähe www.irs-az.com von Helenendorf. Quelle: NMGA
Grabungsfund der Bronzezeit von J.I. Hummel. Aquarellmalerei, NMGA verwachsen ist.“ die in der Umgebung von Hele- Für Jakob Hummel bedeutete nendorf fündig geworden waren. das nach jahrtausendealten Spuren Die Darstellungen der Eiszeit, Stein-, von Tieren, Pflanzen und menschli- Bronze- und Eisenzeit wurden mit chen Kulturen zu suchen und „cha- Exponaten gestaltet. Neben Stein- rakteristische“, „typische“ Objekte hämmern und Steinperlen fanden auszustellen, die ein „lebendiges sich u.a. zehn Tongefäße mit Zeich- Bild der Eigenart, des Lebens und nungen und Bronzeschmuck, sowie Schaffens der wichtigsten trans- Gefäße aus der Bronzezeit und eine kaukasischen Volksstämme“ zeigen Sammlung ausgegrabener Münzen sollten. Abteilung III. war der Naturkun- So war Abteilung I. „Vorge- de gewidmet und enthielt die zu je- schichtlichen Tieren und Pflanzen“ ner Zeit „klassischen Sammlungen“: gewidmet. Ablagerungen, die im Mineralien, Bodenarten, Herbarien, Steinbruch, beim Brunnenbau oder eine zoologische Sammlung und bei Feldarbeiten gefunden worden eine Mappe mit photographischen waren, wurden hier zusammen mit Aufnahmen „Schönheiten der Na- zelner Männer und Frauen“, Zim- Karten, Tabellen und Lichtbildern (!) tur“. mereinrichtungen, Volkstrachten, gezeigt. Abteilung IV. trug die Bezeich- Kunsthandwerk, Sammlungen von In der Abteilung II. fanden sich nung „Völkerkunde“ und stellte die Musikalia, Brauch- und Zauberre- Exponaten mit dem Thema „Der Entwicklung der schwäbischen Ge- geln, Medizingerät und einer Biblio- vorgeschichtliche Mensch“. Hier meinde in einem multiethnischen thek mit Beständen in der Mund- wurde lt. Katalog an die Grabun- Umfeld dar: „Durch Vergleiche der art fanden sich Zeugen einer über gen von Emil Rössler (Gegenstän- Kultur der Deutschen mit der der 100jährigen Geschichte, die inner- de gingen ein in die Bestände des einheimischen Völker – der Tur- halb eines Jahres mehr als 2.000 Gä- Hamburger Museums) und Rosen- kotataren, Armenier und Georgier ste besichtigt hatten. dorf (Sammlungen der Museen von – wächst das Bewusstsein der Zu- Beginnend mit dem Jahr 1930 Moskau und Petersburg) erinnert, gehörigkeit zu einer großen Völker- konzentrierte sich die Erkundungs- familie. Die Museumsgegenstän- arbeit von Jakob Hummel zuneh- de und anderes Material zeugen mend auf Spuren früher Kulturen von gegenseitiger Beeinflussung, auf dem Gebiet Aserbaidschans. Nachahmung, Hemmung, und der Bald waren archäologische Gra- Besucher […] bekommt die volle bungen nicht nur Bestandteil des Überzeugung der Notwendigkeit Geschichtsunterrichts in der Schu- eines harmonischen Zusammen- le, sondern es kamen die ersten lebens, Zusammenwirkens, einer Studenten und Archäologen, um friedlichen Gesamtentwicklung.“ sich mit den Arbeiten bekannt zu Eine gesonderte Abteilung war machen. In der Erinnerung des Soh- der „Volkskunde der Schwaben in nes heißt es: „Nach den archäolo- Transkaukasien“ gewidmet. Von der gischen Ausgrabungen, die in den Geschichte der Einwanderung, der Sommerferien stattfanden, bearbei- Bau-, Verwaltungs-, Kirchen- und tete er im Verlauf des Jahres nach Schulgeschichte bis zur „Darstel- dem Schulunterricht bis spät in die lung der Geschicke und Taten ein- Nacht die Funde, schrieb Bücher. Gegenstände www.irs-az.comder Bronzezeit, Grabungsfunde von J.I. Hummel. 43 Tuschezeichnung auf Papier (NMGA)
Geschichte Die St. Johannes-Kirche in Göy Göl nach der Restaurierung 2008. ren, erfolgte 1925 der erste große (© Auch) Schlag gegen die „Konkordija“. In der in Tbilisi erscheinenden Zeitung „Zarja Vostoka“ wurde eine Kam- pagne unter dem Titel „Hinter den Mauern der Konkordija“ eingeleitet. Die Vorwürfe lauteten: „Schutz von Kulakeneigentum unter dem Deck- mantel einer Genossenschaft“, „Er- ziehung der Jugend im deutschen Geiste“. Der Verhaftung des Vorstan- des 1925 folgte im August 1926 in Baku ein Prozess, der mit der De- portation der Angeklagten endete. Betroffen waren auch Verwandte von Jakob Hummel. Er selbst wurde 1927 in die Parteizentrale der KP in Gäncä einbestellt und verwarnt, er solle die Schule nicht länger gegen- über der kommunistischen Ideolo- gie abschirmen. Der nächste Schlag erfolgte mit der einsetzenden Kollektivierung 1929: Die zwangsweise Überfüh- rung der Winzergenossenschaften in Siedlungskolchosen führte ab 1929 zur Liquidierung der Eigen- ständigkeit der Kooperativen. Wie- Er gönnte sich keinen Urlaub, kei- und Moskau bis nach Taschkent derum wurde die Leitung ausge- ne Entspannung, als ob er spürte, und Novosibirsk. Zudem existierte tauscht, die sich gegen den Unsinn dass ihm nur wenig Zeit geblieben eine Vielzahl von Handwerkerbe- der „ideellen Kommunisten“ wand- war.“9 – Die Zeichen der Zeit gingen trieben in der Stadt und das Spiritu- te, die nun den „praktischen Kom- schließlich auch an Helenendorf osengeschäft wurde in und um He- munismus der Kolonisten“ abschaf- nicht vorüber. lenendorf stetig weiter ausgebaut. fen wollte und sich gegen die damit In den Jahren 1922 bis 1927 hat- Trotz ständiger Geldknappheit verbundene Umstrukturierung des te sich die Winzergenossenschaft erfüllte die Genossenschaft weiter- Winzerverbandes in einen Kolchos „Konkordija“ zum prosperierend- hin wichtige soziale und kulturelle wandte. Die Folgen betrafen wie- sten Unternehmen im Wein- und Funktionen, wie die Finanzierung derum zahlreiche Vertreter der Fa- Spirituosensektor Südkaukasiens der Schulen, Kindergärten, des Ver- milien Hummel: sie verloren ihre entwickelt. Allein 1924/25 wurden einslebens sowie sogar einer Taub- Arbeit und ihre Rechte als Bürger, 1.350.397 Eimer Wein umgeschla- stummenanstalt. Trotz oder gerade als „Kulaken“ durften sie zudem kein gen. Das Handelsnetz umfasste 183 wegen der herausragenden Lei- Wahlrecht ausüben. Das Jahr 1930 Filialen in der gesamten UdSSR und stungen, die ohne kommunistische brachte weitere tiefe Einschnitte reichte von Kiew über Petersburg Führung zustande gekommen wa- in das Leben der ehemaligen Win- 44 www.irs-az.com
zerkolonie. Mit der Ernennung zur gen deutscher Pastoren gegeben, widmete sich nur noch der Wissen- Kreisstadt wurde die Siedlungs- setzte eine neue Verhaftungswelle schaft.“ – berichtet sein Sohn. struktur endgültig aufgebrochen. im Dezember 1934 ein. Von 31 bis- Berücksichtigt man, welche Das bedeutete nicht nur die Auf- her ermittelten Pastoren wurden 15 schwierigen Zeiten in Helenendorf nahme von ca. 4.000 Personen (Be- verhaftet, verbannt oder ermordet. angebrochen waren und welchen amte mit ihren Familien), sondern: 1937 wurden die Kirchen als geist- Gefahren der Lehrer und Wissen- a) Verdrängung der Deutschen aus liche Zentren endgültig geschlos- schaftler täglich ausgesetzt war, führenden Ämtern (Verhaftungen sen, umgebaut oder zerstört. 1938 wiegt die Leistung von Jakob Hum- und Verschickungen), b) Schaffung erfolgte eine gewaltsame Reorga- mel doppelt: von Wohnraum durch Erhebung nisation des schulischen Ausbil- In rund zehn Jahren hat er 150 von unbezahlbaren Steuern bzw. dungswesens in den Kolonien: Der Kurgane, darunter zwei Königs- zwangsweise Einquartierung und Unterricht in allen Fächern wurde gräber, geöffnet und beschrieben. im günstigsten Fall, c) Rodung von von der deutschen auf die russische Fast 80 Abhandlungen wurden Weinbergen zum Bau notwendiger Sprache umgestellt, Deutsch- und veröffentlich – darunter seine Mo- Gebäude (ca. 20 Prozent Verluste). Geschichtslehrer wurden entlassen. nographie „Studien zur Archäolo- Der Prozess der allmählichen Den massiven Druck musste Ja- gie“ (1940), welche als Lehrwerk an Verdrängung der deutschen Be- kob Hummel bereits 1933 spüren aserbaidschanischen Hochschulen völkerung setzte sich bis 1933 sy- als er wegen angeblicher Spionage Verwendung fand.11 Als er 1936 stematisch fort und nahm immer für Deutschland von der Staatspoli- zum korrespondierenden Mitglied deutlicher politische Züge an. Der zei (OGPU)10 verhaftet wurde: „Nach des Instituts für Kaukasologie der Aufnahme von Flüchtlingen aus sechsmonatiger Untersuchungs- Aserbaidschanischen Filiale der dem Wolga- und Kubangebiet folg- haft im Gefängnis von Baku, wo er Akademie der Wissenschaften der ten in der zweiten Hälfte der 1930er seelisch und physisch gemartert UdSSR berufen wurde, war Jakob Umsiedler aus den Grenzgebieten wurde, wurde er mangels Beweisen Hummel bereits über die Gren- Armeniens, während Verhaftungen als gebrochener Mann entlassen. zen hinaus bekannt. Bis heute wird und Prozesse (1926, 1930, 1933 und Ab dieser Zeit mied er alle gesell- mit seinem Namen die Entdek- 1935), die ca. 10 Prozent aller deut- schaftlichen Veranstaltungen und kung des Strahlengesetzes bei den schen Einwohner in den Kolonien betrafen, die deutsche Bevölkerung weiter dezimierten. Die Verban- nung zahlreicher Familien (76 allein im März-April 1935, 600 aus An- nenfeld und Helenendorf bis Ende 1935) führten 1934/35 zur systema- tischen Zerstörung der „Konkordija“, der in der Zeit des „Roten Terrors“ 1937/38 Erschießungen vieler Hele- nendorfer – darunter auch Vertreter fast aller Hummel-Familien – folg- ten. Auch im kirchlichen und schuli- schen Bereich waren die Repressa- lien einschneidend. Hatte es bereits seit den 1920er Jahren Verfolgun- www.irs-az.com Alter deutscher Friedhof neben der Gedenkstätte für 45 deutsche Kriegsgefangene in Göy Göl
Geschichte fens. Musste er bereits seit Jahren seine wissenschaftlichen Kontak- te ins Ausland und vor allem nach Deutschland einstellen, um sich und seine Familie nicht weiter zu gefährden, so wurden alle weite- ren Pläne zunichte gemacht, als der Befehl kam, Helenendorf innerhalb weniger Tage zu verlassen. Auf Be- schluss Nr. GKO-744ss vom 8. Okto- ber 1941 des Staatlichen Verteidi- gungskomitees der UdSSR „Über die Umsiedlung der Deutschen aus der Georgischen, Aserbaidschanischen Bestattungsritualen der Bronzezeit rabočij“. Regelmäßig publizierte er und Armenischen SSR“ waren aus verbunden. Das Heimatkundliche in den „Izvestija“ der aserbaidschani- Georgien 23.580, aus Aserbaid- Museum hatte sich zu einer Lehr- schen Filiale der Akademie der Wis- schan 22.741 und aus Armenien und Sammelstätte entwickelt, von senschaften, einiges in der „Izvestija“ 212 Personen „umzusiedeln“. Zuvor der aus Expeditionen über die Georgiens und der Akademie der waren bereits 1.842 Personen als Ortsgrenzen von Helenendorf hin- Wissenschaften der UdSSR. Seine „antisowjetische Elemente“ erfasst, aus in das Gebiet Gäncä (seit 1934 letzten noch in Helenendorf verfas- verhaftet und teilweise erschossen Kirovabad), Kedabeg, Annenfeld sten Artikel erschienen hier 1948 als worden.12 Vom 15.-30. Oktober 1941 (Šamchor) und Karabach führten. er bereits in der Verbannung ver- erfolgte über Baku und Krasnovodsk Ein wichtiges Anliegen von Jakob storben war. die Deportation nach Kasachstan.13 Hummel war es dabei, die örtliche Zweifellos stand Jakob Hum- Wie Zeitzeugen berichten, nahm Bevölkerung über den Sinn seiner mel beim Ausbruch des Zweiten Jakob Hummel – trotz einer stren- Grabungen umfassend aufzuklären Weltkrieges im Zenit seines Schaf- gen Beschränkung des Gepäcks – und für die Wahrung des kulturel- len Erbes der „Etiunen“ (so nannte er die Bevölkerung am Ende des 2. und Anfang des 1. Jahrtausend) zu werben. Eine Vielzahl von Vorträ- gen und Ausstellungen begleiteten seine Aktivitäten an den Orten der Ausgrabungen, zugleich zog er Be- sucher durch Sonderausstellungen in Helenendorf/Chanlar an. In Chan- kendi (dem damaligen Stepanakert) richtete er sogar ein weiteres Mu- seum ein, über dessen Verbleib es allerdings keinerlei Informationen gibt. Viele seiner Forschungsergeb- nisse erschienen in der auflagen- stärksten (Partei-) Zeitung „Bakinskij Sport gehörte neben Musik in Helenendorf zu 46 einer sehr beliebten Freizeitbeschäftigung www.irs-az.com
Dorfjubiläum 1894 einen Koffer mit Büchern und letz- te Funde mit auf den äußerst be- schwerlichen Weg über das Kaspi- sche Meer in das Gebiet Akmolinsk. Dort arbeitete er tagsüber als Lehrer in einem Steppendorf und nachts saß er über seinen Manuskripten, die für ihn lebenswichtig waren und doch nicht mehr veröffentlicht wurden. Kontakte zu Kollegen wa- ren abgebrochen, Deutsche galten nach dem Überfall Nazi-Deutsch- lands auf die Sowjetunion grund- sätzlich als Verräter und Faschisten. Die Angst blieb neben dem Hunger allgegenwärtig. Jakob Hummel ver- starb schließlich am 19. April 1946 nach schwerer Krankheit in seinem Verbannungsort Novyj-Koluton. Sein Name geriet immer mehr in Vergessenheit. Das Museum in sei- Literatur: in Šamkir, Xanlar und Irmašly, ner Heimatstadt wurde geschlos- in: Knauß u. a., Ein Perserbau in sen, seine Bücher verschwanden im 1 Vgl. Auch, Eva-Maria:, Öl und Azerbajdžan. Ausgrabung auf Archiv, die Exponate des Museums Wein am Kaukasus. Deutsche dem Ideal Tepe bei Karačamirli wurden ohne Nennung seines Na- Forschungsreisende, Koloni- 2006, AMIT 38, 2006, 321–323. mens auf andere Museen verteilt, sten und Unternehmer im vor- 3 Die biographischen Daten wur- ihre Spuren verlieren sich 1961. revolutionären Aserbaidschan, den der Autorin von seinem Erst seit dem Zusammenbruch Wiesbaden 2001; Dies.: Notizen Sohn, Dr. Jakob Hummel, zur der Sowjetunion und der Wiederer- zum Forscherleben Jacob Hum- Verfügung gestellt, dem hier- richtung der staatlichen Unabhän- mels: Lehrer, Archäologe, Mu- mit ausdrücklich zu danken ist; gigkeit Aserbaidschans konnte die seumsgründer in Helenendorf/ siehe auch: Hummel, Jakob: Suche nach deutschen Spuren in Göy Göl (Aserbaidschan). In: Ar- Jakob Hummel – das Schicksal Aserbaidschan aufgenommen wer- chaeologia Circumpontika, H. 5 eines deutschen Archäologen den. Allmählich erinnert man sich (2009), S. 10 -22. in der UdSSR. In: Volk auf dem wieder an den „ersten aserbaidscha- 2 Knauß, Florian u.a.: Ein Perserbau Weg 1 (1993), S. 14. Weitere nischen Archäologen deutscher in Azerbajdžan. Ausgrabung auf Ausführungen stützen sich auf Abstammung“, der einstmals die dem Ideal Tepe bei Karačamirli eine Broschüre, die 1999 anläs- Stadt Helenendorf/Chanlar – heute 2006, AMIT 38, 2006; Ders. u.a.: slich des 180jährigen Jubiläums Göy Göl – dadurch in Enzyklopädi- Ein Perserbau auf dem Ideal Helenendorfs von der Autorin en brachte, dass er hier Ausgrabun- Tepe bei Karacamirli (Aserbaid- zusammengestellt wurde und gen durchführte, die weltbekannt schan), http://www.acheme- dem Wirken Jacob Hummels wurden. net.com/document/2007.002- gewidmet ist. Knauss.pdf; Mehnert, Gundula: 4 1921-23 gelang es nur rd. 40 Per- Exkurs: Deutsche Kolonisten sonen nach Deutschland, in die www.irs-az.com 47
Geschichte 1934 – 1946 NKWD /Narodnyj kommissariat vnutrennych del. 11 Zur Entwicklung der aserbaid- schanischen Archäologie siehe: Pogrebova, M.N.: Archeology of Arran province, http://www. cais-soas.com/CAIS/Geogra- phy/arran_archaeology.htm. Zugleich war J. Hummel Koau- tor eines Geschichtslehrbuches für die Klassen 8 und 9 (1939), sowie einer „Geschichte Aser- baidschans“ (1941). 12 Eisfeld, Alfred/Herdt, Viktor (Hrsg.): Deportation, Sonder- siedlung, Arbeitsarmee. Deut- Letzte Konfirmation in Helenendorf sche in der Sowjetunion 1941 bis 1956, Köln 1996, S. 104-106. USA, die Türkei, Persien auszu- beitsschule gehandelt haben. 13 Bleiben durften nur deutsche reisen, die restlichen Personen 7 Eine eindrucksvolle Beschrei- Frauen, die in nichtdeutsche waren fast alle dem Stalinschen bung der damaligen Bestände Familien eingeheiratet hatten. Terror ausgesetzt, wurden ver- liegt uns vor: Hummel, Jacob; Kinder und Jugendliche mit haftet und nach Zentralasien Das Heimatkundliche Muse- deutschem Vater und nicht- deportiert oder erschossen. um zu Helenendorf in Aser- deutscher Mutter durften bis 5 Džafarly, Mamed, Političeskij baidschan, Moskau 1929. Die zum 16. Lebensjahr bei der terror i sud’by azerbajdžanskich Sammlungen des Museums Mutter bleiben und wurden da- nemcev, Baku 1998, S. 210. wurden nach der Deportation nach deportiert. Mit dem Erlass 6 Offiziell lautete die Bezeich- der deutschen Bevölkerung des Präsidiums des Obersten nung „Deutsch-sowjetische 1941 zugunsten anderer Mu- Sowjets vom 26. November Schule II. Stufe“. Seit 1919 be- seen allmählich und 1961 end- 1948 wurde ihnen das Recht stand sie als 8klassige Schule gültig aufgelöst. Seit Jahren be- auf Rückkehr in ihre früheren mit Grund- und Oberstufe, mit müht sich der Kultur- und Wis- Siedlungsorte aberkannt. 2006 dem Schuljahr 1927/28 wur- senschaftsverein „EuroKaukAsia wurde die Zahl der Bürger deut- de sie in eine 7klassige Schule e.V.“ unter Leitung der Autorin scher Abstammung in den drei mit einem landwirtschaftlichen um eine Wiedereinrichtung. kaukasischen Republiken auf Zweig umgebildet, in diesem 8 Hummel, Jacob: Das Heimat- ca. 3.000 geschätzt, ungefähr Zusammenhang erfolgte die kundliche Museum zu Helenen- die gleiche Anzahl ist aus den Ernennung von Jakob Hum- dorf in Aserbaidschan, Moskau südkaukasischen Staaten nach mel zum Direktor. In seiner Bio- 1929; die nachfolgenden Zitate Deutschland ausgereist. Im Au- graphie wird gleichzeitig eine sind der Broschüre entnom- gust 1991 gründete sich in Tbi- Lehrtätigkeit am „Technikum“ men. lisi die Assoziation der Deutschen genannt, es kann sich hierbei 9 Hummel (1993), S.14. Georgiens (Einung), ein Jahr spä- jedoch gerade um diesen „land- 10 Glavnoe Političeskoe upravlenie ter in Baku die Gesellschaft Wie- wirtschaftlichen Zweig“ der Ar- / Politische Hauptverwaltung, dergeburt. 48 www.irs-az.com
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