Jakob Hummel: Lehrer - Archäologe - Museumsgründer in

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Jakob Hummel: Lehrer - Archäologe - Museumsgründer in
Geschichte

                 An der Wiege
     der Aserbaidschanischen Archäologie.
        Jakob Hummel:
     Lehrer – Archäologe
     – Museumsgründer in
                           Helenendorf/Göy Göl
Karte des Stadtzentrums
von Helenendorf vor 1941
                                                                            Prof. Dr. Eva-Maria AUCH
                                                                                                 Berlin

                               SPRICHT MAN HEUTE VON „ASERBAIDSCHAN“ WERDEN DAMIT VORDERGRÜN-
                               DIG „BAKU“ UND „ERDÖL“ ASSOZIIERT. DABEI BIRGT DAS LAND VIEL MEHR
                               ENTDECKENSWERTES UND STEHT – NICHT NUR IM BEREICH DER KULTURGE-
                               SCHICHTLICHEN FORSCHUNGEN – UNVERDIENTERMASSEN ETWAS IM SCHATTEN
                               DER BEIDEN NACHBARN GEORGIEN UND ARMENIEN. DABEI HABEN GERADE
                               DEUTSCHE WISSENSCHAFTLER EINEN BESONDEREN BEITRAG ZUR ERKUNDUNG
                               DER GESAMTEN SÜDKAUKASISCHEN REGION GELEISTET.1 NAMEN WIE ADAM
                               OLEARIUS (UM 1600 -1671) UND JOHANN ANTON GÜLDENSTÄDT (1745 -1781) STE-
                               HEN NUR STELLVERTRETEND FÜR DIE REISENDEN UND FORSCHER, DIE KAUKASIEN
                               BESCHRIEBEN. ZU DEN BEKANNTESTEN FORSCHERN, DIE IN SÜDOSTKAUKASIEN
                               GRABUNGEN DURCHFÜHRTEN, DÜRFTEN DIE SCHÜLER VON RUDOLF VIRCHOW
                               (1821-1902) GEHÖREN, DER 1888 SELBST KAUKASIEN BEREIST HATTE, UND DEN
                               GRUNDSTEIN FÜR DIE KAUKASISCHE SAMMLUNG DER BERLINER STAATLICHEN
                               MUSEEN PREUSSISCHER KULTURBESITZ LEGTE.

40                                                                                       www.irs-az.com
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D
         urch die in den letzten     bergs in den Kaukasus gekommen         len von Wladikavkaz nahm er ein
         Jahren durchgeführten ar-   waren, auf. Seine Vorfahren gehör-     Fernstudium an der Naturkundlich-
         chäologischen Grabungen     ten zu den 118 „Stammfamilien“,        Historischen Fakultät in Petersburg
im heutigen Gebiet Gäncä2 wur-       welche die Kolonie gegründet hat-      (dann Petrograd) auf, welches er
den auch die Arbeiten eines Man-     ten. Da die deutschen Kolonisten       1918 beendete.
nes dem Vergessen entrissen, der     oftmals untereinander heirateten,         Sein Wirken als Lehrer in Hele-
an der Wiege der aserbaidschani-     waren nach über hundert Jahren         nendorf begann 1921, als Aserbaid-
schen Archäologie stand und vor      fast alle Einwohner in Helenendorf     schan bereits sowjetisiert war, aber
dem Zweiten Weltkrieg die Win-       miteinander verwandt. Um das Jahr      die Gemeinde durch die Gründung
zersiedlung Helenendorf zu einem     1920 lebten ungefähr 400 Nachfah-      einer Produktions- und Vertriebsge-
kleinen „Mekka der Archäologie im    ren eines der ersten Siedler, Johann   nossenschaft, in welche auch Güter
Kaukasus“ machte: Jakob Johan-       Heinrich Hummel (gest. 1835), in       der Familien Hummel eingingen, an
nes/russifiziert: Ivanovič / Hummel   Helenendorf.4                          die wirtschaftliche und kulturelle
(1893-1946).                             Seine Schulbildung erhielt Ja-     Blüte der Vorkriegsjahre anknüpfen
    Geboren am 25. Januar 1893 in    kob Hummel zunächst in Helenen-        konnte.
Helenendorf (heute Göy Göl) wuchs    dorf, von 1910 bis 1914 studierte er      Um       das     Bildungssystem
Jakob Hummel3 in einer ehemaligen    an der naturkundlich-historischen      Deutschlands zu studieren, wur-
„Kolonie“ deutscher Auswanderer,     Fakultät des Aleksandrov-Lehrerin-     de Jakob Hummel 1923-24 vom
die 1817/18 überwiegend aus pie-     stituts in Tiflis. Neben seiner Lehr-   Volkskommissariat für Bildung Aser-
tistischen Kreisen Baden-Württem-    ertätigkeit an verschiedenen Schu-     baidschans nach Preußen, Sachsen,

www.irs-az.com                                                                                               41
Jakob Hummel: Lehrer - Archäologe - Museumsgründer in
Geschichte                  J.I. Hummel, Helenendorf/ heute Göy Göl. Das Foto aus dem Jahre 1932 ist
                                                 mit einer Widmung für den aserbaidschanischen Archäologen und
                                              Numismatiker E.A. Pachomov versehen. Es befindet sich im Nationalen
                                                              Historischen Museum Aserbaidschans (NMGA) Baku

Bayern, Hamburg und Bremen             seiner Studien- und Lehrfächer
geschickt, wo er Vorlesungen in        beeinflussten. Der populären Auf-
Pädagogik und Psychologie hörte        arbeitung von Heimatgeschichte,
und sich besonders für die Arbeit      Publikationen in Zeitungen und
von Schullaboratorien interessier-     Zeitschriften („Kaukasische Post“)
te. Nach Angaben von Mamed             folgten Ende der 1920er Jahre
Džafarly5 habe er dort bei Verhand-    kleine Monographien („Der Deut-
lungen mit dem Reichsbildungsmi-       sche in Transkaukasien“, 1927, „Das
nisterium erreicht, dass der Status    Heimatbüchlein der Deutschen in
der Helenendorfer Schule aufge-        Transkaukasien“, 1928), die der Ge-
wertet wurde und Absolventen           schichte der „Schwabendörfer“ ge-
ohne Aufnahmeprüfung an deut-          widmet waren.
schen Hochschulen aufgenommen              Mit dem Beginn seiner Arbeit
werden konnten. Nachweisbar ist in     als Lehrer erweiterte sich sein Tä-
diesem Zusammenhang zumindest          tigkeitsfeld, und er widmete sich
eine Aktivierung der Bildungskon-      neben Geschichte und Ethnogra-        Sammlungen7, sondern wurde im
takte nach und aus Deutschland,        phie auch der Flora und Fauna des     Sowjetmaßstab als vorbildlich ein-
woran aber nicht zuletzt auch die      heimatlichen Kreises. Mit seiner      gestuft und sollte schließlich zum
Helenendorfer Studierenden und         Forscher- und Sammelleidenschaft      ersten Zentrum archäologischer
Emigranten in Deutschland einen        verstand es Jakob Hummel – ab         Forschungen Aserbaidschans au-
wichtigen Anteil hatten. Jakob         1928 als Direktor der Helenendor-     ßerhalb von Baku werden.
Hummel als Direktor der Helenen-       fer Sekundarschule –, Schüler und        Liest man die Beschreibung der
dorfer Oberschule6 hatte hier zwei-    Kollegen zu begeistern. Als erstes    Museumsbestände aus dem Jahr
fellos eine wichtige Brücke geschla-   Ergebnis seiner Anstrengungen um      19298 ist man auch heute noch be-
gen.                                   eine Erforschung des Gebietes Gän-    eindruckt. Es ist nicht nur die Vielfalt
    Sehr früh schon hatten sich bei    cä konnte 1927 das Heimatkund-        der Exponate, die ohne Geldmittel
Hummel heimatkundliche Interes-        liche Museum eröffnet werden. Es       beschafft wurden, sondern auch
sen gezeigt, die nicht nur die Wahl    beeindruckte nicht nur durch seine    das Anliegen, welches mit dem
                                                                             Museum verbunden war: „Es stellt
                                                                             sich die Aufgabe – die Kenntnis
                                                                             der Heimat zu vertiefen, dem ge-
                                                                             samten Unterricht in der Arbeits-
                                                                             schule Klarheit, Wahrheit, Wärme
                                                                             und Leben zu sichern und eine im
                                                                             Heimatboden verwurzelte Bildung
                                                                             zu ermöglichen […]. Ganz falsch ist
                                                                             die Vorstellung, dass man schon in
                                                                             eine Heimat hineingeboren werde.
                                                                             Zur Heimat wird der Geburts- oder
                                                                             auch einfach Wohnort erst dann,
                                                                             wenn man sich in ihn hinein gelebt
                                                                             hat, wenn man mit dem Boden und
                                                                             was daraus entsprossen ist – mit
                                                                             Natur, Volk und Kultur – innerlich

42     J.I. Hummel 1928 bei Ausgrabungen mit seinen Schüler in der Nähe                               www.irs-az.com
       von Helenendorf. Quelle: NMGA
Jakob Hummel: Lehrer - Archäologe - Museumsgründer in
Grabungsfund der Bronzezeit von J.I. Hummel.
                                                                                           Aquarellmalerei, NMGA

verwachsen ist.“                        die in der Umgebung von Hele-
    Für Jakob Hummel bedeutete          nendorf fündig geworden waren.
das nach jahrtausendealten Spuren       Die Darstellungen der Eiszeit, Stein-,
von Tieren, Pflanzen und menschli-       Bronze- und Eisenzeit wurden mit
chen Kulturen zu suchen und „cha-       Exponaten gestaltet. Neben Stein-
rakteristische“, „typische“ Objekte     hämmern und Steinperlen fanden
auszustellen, die ein „lebendiges       sich u.a. zehn Tongefäße mit Zeich-
Bild der Eigenart, des Lebens und       nungen und Bronzeschmuck, sowie
Schaffens der wichtigsten trans-         Gefäße aus der Bronzezeit und eine
kaukasischen Volksstämme“ zeigen        Sammlung ausgegrabener Münzen
sollten.                                    Abteilung III. war der Naturkun-
    So war Abteilung I. „Vorge-         de gewidmet und enthielt die zu je-
schichtlichen Tieren und Pflanzen“       ner Zeit „klassischen Sammlungen“:
gewidmet. Ablagerungen, die im          Mineralien, Bodenarten, Herbarien,
Steinbruch, beim Brunnenbau oder        eine zoologische Sammlung und
bei Feldarbeiten gefunden worden        eine Mappe mit photographischen
waren, wurden hier zusammen mit         Aufnahmen „Schönheiten der Na-           zelner Männer und Frauen“, Zim-
Karten, Tabellen und Lichtbildern (!)   tur“.                                    mereinrichtungen, Volkstrachten,
gezeigt.                                    Abteilung IV. trug die Bezeich-      Kunsthandwerk, Sammlungen von
    In der Abteilung II. fanden sich    nung „Völkerkunde“ und stellte die       Musikalia, Brauch- und Zauberre-
Exponaten mit dem Thema „Der            Entwicklung der schwäbischen Ge-         geln, Medizingerät und einer Biblio-
vorgeschichtliche Mensch“. Hier         meinde in einem multiethnischen          thek mit Beständen in der Mund-
wurde lt. Katalog an die Grabun-        Umfeld dar: „Durch Vergleiche der        art fanden sich Zeugen einer über
gen von Emil Rössler (Gegenstän-        Kultur der Deutschen mit der der         100jährigen Geschichte, die inner-
de gingen ein in die Bestände des       einheimischen Völker – der Tur-          halb eines Jahres mehr als 2.000 Gä-
Hamburger Museums) und Rosen-           kotataren, Armenier und Georgier         ste besichtigt hatten.
dorf (Sammlungen der Museen von         – wächst das Bewusstsein der Zu-             Beginnend mit dem Jahr 1930
Moskau und Petersburg) erinnert,        gehörigkeit zu einer großen Völker-      konzentrierte sich die Erkundungs-
                                        familie. Die Museumsgegenstän-           arbeit von Jakob Hummel zuneh-
                                        de und anderes Material zeugen           mend auf Spuren früher Kulturen
                                        von gegenseitiger Beeinflussung,          auf dem Gebiet Aserbaidschans.
                                        Nachahmung, Hemmung, und der             Bald waren archäologische Gra-
                                        Besucher […] bekommt die volle           bungen nicht nur Bestandteil des
                                        Überzeugung der Notwendigkeit            Geschichtsunterrichts in der Schu-
                                        eines harmonischen Zusammen-             le, sondern es kamen die ersten
                                        lebens, Zusammenwirkens, einer           Studenten und Archäologen, um
                                        friedlichen     Gesamtentwicklung.“      sich mit den Arbeiten bekannt zu
                                        Eine gesonderte Abteilung war            machen. In der Erinnerung des Soh-
                                        der „Volkskunde der Schwaben in          nes heißt es: „Nach den archäolo-
                                        Transkaukasien“ gewidmet. Von der        gischen Ausgrabungen, die in den
                                        Geschichte der Einwanderung, der         Sommerferien stattfanden, bearbei-
                                        Bau-, Verwaltungs-, Kirchen- und         tete er im Verlauf des Jahres nach
                                        Schulgeschichte bis zur „Darstel-        dem Schulunterricht bis spät in die
                                        lung der Geschicke und Taten ein-        Nacht die Funde, schrieb Bücher.

Gegenstände
www.irs-az.comder Bronzezeit, Grabungsfunde von J.I. Hummel.                                                      43
Tuschezeichnung auf Papier (NMGA)
Jakob Hummel: Lehrer - Archäologe - Museumsgründer in
Geschichte
                                        Die St. Johannes-Kirche in Göy Göl
                                        nach der Restaurierung 2008.           ren, erfolgte 1925 der erste große
                                        (© Auch)                               Schlag gegen die „Konkordija“. In
                                                                               der in Tbilisi erscheinenden Zeitung
                                                                               „Zarja Vostoka“ wurde eine Kam-
                                                                               pagne unter dem Titel „Hinter den
                                                                               Mauern der Konkordija“ eingeleitet.
                                                                               Die Vorwürfe lauteten: „Schutz von
                                                                               Kulakeneigentum unter dem Deck-
                                                                               mantel einer Genossenschaft“, „Er-
                                                                               ziehung der Jugend im deutschen
                                                                               Geiste“. Der Verhaftung des Vorstan-
                                                                               des 1925 folgte im August 1926 in
                                                                               Baku ein Prozess, der mit der De-
                                                                               portation der Angeklagten endete.
                                                                               Betroffen waren auch Verwandte
                                                                               von Jakob Hummel. Er selbst wurde
                                                                               1927 in die Parteizentrale der KP in
                                                                               Gäncä einbestellt und verwarnt, er
                                                                               solle die Schule nicht länger gegen-
                                                                               über der kommunistischen Ideolo-
                                                                               gie abschirmen.
                                                                                    Der nächste Schlag erfolgte mit
                                                                               der einsetzenden Kollektivierung
                                                                               1929: Die zwangsweise Überfüh-
                                                                               rung der Winzergenossenschaften
                                                                               in Siedlungskolchosen führte ab
                                                                               1929 zur Liquidierung der Eigen-
                                                                               ständigkeit der Kooperativen. Wie-
Er gönnte sich keinen Urlaub, kei-     und Moskau bis nach Taschkent           derum wurde die Leitung ausge-
ne Entspannung, als ob er spürte,      und Novosibirsk. Zudem existierte       tauscht, die sich gegen den Unsinn
dass ihm nur wenig Zeit geblieben      eine Vielzahl von Handwerkerbe-         der „ideellen Kommunisten“ wand-
war.“9 – Die Zeichen der Zeit gingen   trieben in der Stadt und das Spiritu-   te, die nun den „praktischen Kom-
schließlich auch an Helenendorf        osengeschäft wurde in und um He-        munismus der Kolonisten“ abschaf-
nicht vorüber.                         lenendorf stetig weiter ausgebaut.      fen wollte und sich gegen die damit
    In den Jahren 1922 bis 1927 hat-       Trotz ständiger Geldknappheit       verbundene Umstrukturierung des
te sich die Winzergenossenschaft       erfüllte die Genossenschaft weiter-     Winzerverbandes in einen Kolchos
„Konkordija“ zum prosperierend-        hin wichtige soziale und kulturelle     wandte. Die Folgen betrafen wie-
sten Unternehmen im Wein- und          Funktionen, wie die Finanzierung        derum zahlreiche Vertreter der Fa-
Spirituosensektor Südkaukasiens        der Schulen, Kindergärten, des Ver-     milien Hummel: sie verloren ihre
entwickelt. Allein 1924/25 wurden      einslebens sowie sogar einer Taub-      Arbeit und ihre Rechte als Bürger,
1.350.397 Eimer Wein umgeschla-        stummenanstalt. Trotz oder gerade       als „Kulaken“ durften sie zudem kein
gen. Das Handelsnetz umfasste 183      wegen der herausragenden Lei-           Wahlrecht ausüben. Das Jahr 1930
Filialen in der gesamten UdSSR und     stungen, die ohne kommunistische        brachte weitere tiefe Einschnitte
reichte von Kiew über Petersburg       Führung zustande gekommen wa-           in das Leben der ehemaligen Win-

44                                                                                                   www.irs-az.com
Jakob Hummel: Lehrer - Archäologe - Museumsgründer in
zerkolonie. Mit der Ernennung zur       gen deutscher Pastoren gegeben,        widmete sich nur noch der Wissen-
Kreisstadt wurde die Siedlungs-         setzte eine neue Verhaftungswelle      schaft.“ – berichtet sein Sohn.
struktur endgültig aufgebrochen.        im Dezember 1934 ein. Von 31 bis-         Berücksichtigt man, welche
Das bedeutete nicht nur die Auf-        her ermittelten Pastoren wurden 15     schwierigen Zeiten in Helenendorf
nahme von ca. 4.000 Personen (Be-       verhaftet, verbannt oder ermordet.     angebrochen waren und welchen
amte mit ihren Familien), sondern:      1937 wurden die Kirchen als geist-     Gefahren der Lehrer und Wissen-
a) Verdrängung der Deutschen aus        liche Zentren endgültig geschlos-      schaftler täglich ausgesetzt war,
führenden Ämtern (Verhaftungen          sen, umgebaut oder zerstört. 1938      wiegt die Leistung von Jakob Hum-
und Verschickungen), b) Schaffung        erfolgte eine gewaltsame Reorga-       mel doppelt:
von Wohnraum durch Erhebung             nisation des schulischen Ausbil-          In rund zehn Jahren hat er 150
von unbezahlbaren Steuern bzw.          dungswesens in den Kolonien: Der       Kurgane, darunter zwei Königs-
zwangsweise Einquartierung und          Unterricht in allen Fächern wurde      gräber, geöffnet und beschrieben.
im günstigsten Fall, c) Rodung von      von der deutschen auf die russische    Fast 80 Abhandlungen wurden
Weinbergen zum Bau notwendiger          Sprache umgestellt, Deutsch- und       veröffentlich – darunter seine Mo-
Gebäude (ca. 20 Prozent Verluste).      Geschichtslehrer wurden entlassen.     nographie „Studien zur Archäolo-
    Der Prozess der allmählichen            Den massiven Druck musste Ja-      gie“ (1940), welche als Lehrwerk an
Verdrängung der deutschen Be-           kob Hummel bereits 1933 spüren         aserbaidschanischen Hochschulen
völkerung setzte sich bis 1933 sy-      als er wegen angeblicher Spionage      Verwendung fand.11 Als er 1936
stematisch fort und nahm immer          für Deutschland von der Staatspoli-    zum korrespondierenden Mitglied
deutlicher politische Züge an. Der      zei (OGPU)10 verhaftet wurde: „Nach    des Instituts für Kaukasologie der
Aufnahme von Flüchtlingen aus           sechsmonatiger Untersuchungs-          Aserbaidschanischen Filiale der
dem Wolga- und Kubangebiet folg-        haft im Gefängnis von Baku, wo er      Akademie der Wissenschaften der
ten in der zweiten Hälfte der 1930er    seelisch und physisch gemartert        UdSSR berufen wurde, war Jakob
Umsiedler aus den Grenzgebieten         wurde, wurde er mangels Beweisen       Hummel bereits über die Gren-
Armeniens, während Verhaftungen         als gebrochener Mann entlassen.        zen hinaus bekannt. Bis heute wird
und Prozesse (1926, 1930, 1933 und      Ab dieser Zeit mied er alle gesell-    mit seinem Namen die Entdek-
1935), die ca. 10 Prozent aller deut-   schaftlichen Veranstaltungen und       kung des Strahlengesetzes bei den
schen Einwohner in den Kolonien
betrafen, die deutsche Bevölkerung
weiter dezimierten. Die Verban-
nung zahlreicher Familien (76 allein
im März-April 1935, 600 aus An-
nenfeld und Helenendorf bis Ende
1935) führten 1934/35 zur systema-
tischen Zerstörung der „Konkordija“,
der in der Zeit des „Roten Terrors“
1937/38 Erschießungen vieler Hele-
nendorfer – darunter auch Vertreter
fast aller Hummel-Familien – folg-
ten.
    Auch im kirchlichen und schuli-
schen Bereich waren die Repressa-
lien einschneidend. Hatte es bereits
seit den 1920er Jahren Verfolgun-

www.irs-az.com                          Alter deutscher Friedhof neben der Gedenkstätte für                    45
                                        deutsche Kriegsgefangene in Göy Göl
Jakob Hummel: Lehrer - Archäologe - Museumsgründer in
Geschichte
                                                                                   fens. Musste er bereits seit Jahren
                                                                                   seine wissenschaftlichen Kontak-
                                                                                   te ins Ausland und vor allem nach
                                                                                   Deutschland einstellen, um sich
                                                                                   und seine Familie nicht weiter zu
                                                                                   gefährden, so wurden alle weite-
                                                                                   ren Pläne zunichte gemacht, als der
                                                                                   Befehl kam, Helenendorf innerhalb
                                                                                   weniger Tage zu verlassen. Auf Be-
                                                                                   schluss Nr. GKO-744ss vom 8. Okto-
                                                                                   ber 1941 des Staatlichen Verteidi-
                                                                                   gungskomitees der UdSSR „Über die
                                                                                   Umsiedlung der Deutschen aus der
                                                                                   Georgischen, Aserbaidschanischen
Bestattungsritualen der Bronzezeit       rabočij“. Regelmäßig publizierte er       und Armenischen SSR“ waren aus
verbunden. Das Heimatkundliche           in den „Izvestija“ der aserbaidschani-    Georgien 23.580, aus Aserbaid-
Museum hatte sich zu einer Lehr-         schen Filiale der Akademie der Wis-       schan 22.741 und aus Armenien
und Sammelstätte entwickelt, von         senschaften, einiges in der „Izvestija“   212 Personen „umzusiedeln“. Zuvor
der aus Expeditionen über die            Georgiens und der Akademie der            waren bereits 1.842 Personen als
Ortsgrenzen von Helenendorf hin-         Wissenschaften der UdSSR. Seine           „antisowjetische Elemente“ erfasst,
aus in das Gebiet Gäncä (seit 1934       letzten noch in Helenendorf verfas-       verhaftet und teilweise erschossen
Kirovabad), Kedabeg, Annenfeld           sten Artikel erschienen hier 1948 als     worden.12 Vom 15.-30. Oktober 1941
(Šamchor) und Karabach führten.          er bereits in der Verbannung ver-         erfolgte über Baku und Krasnovodsk
Ein wichtiges Anliegen von Jakob         storben war.                              die Deportation nach Kasachstan.13
Hummel war es dabei, die örtliche            Zweifellos stand Jakob Hum-               Wie Zeitzeugen berichten, nahm
Bevölkerung über den Sinn seiner         mel beim Ausbruch des Zweiten             Jakob Hummel – trotz einer stren-
Grabungen umfassend aufzuklären          Weltkrieges im Zenit seines Schaf-        gen Beschränkung des Gepäcks –
und für die Wahrung des kulturel-
len Erbes der „Etiunen“ (so nannte
er die Bevölkerung am Ende des 2.
und Anfang des 1. Jahrtausend) zu
werben. Eine Vielzahl von Vorträ-
gen und Ausstellungen begleiteten
seine Aktivitäten an den Orten der
Ausgrabungen, zugleich zog er Be-
sucher durch Sonderausstellungen
in Helenendorf/Chanlar an. In Chan-
kendi (dem damaligen Stepanakert)
richtete er sogar ein weiteres Mu-
seum ein, über dessen Verbleib es
allerdings keinerlei Informationen
gibt. Viele seiner Forschungsergeb-
nisse erschienen in der auflagen-
stärksten (Partei-) Zeitung „Bakinskij

                                         Sport gehörte neben Musik in Helenendorf zu
46                                       einer sehr beliebten Freizeitbeschäftigung
                                                                                                        www.irs-az.com
Jakob Hummel: Lehrer - Archäologe - Museumsgründer in
Dorfjubiläum 1894

einen Koffer mit Büchern und letz-
te Funde mit auf den äußerst be-
schwerlichen Weg über das Kaspi-
sche Meer in das Gebiet Akmolinsk.
Dort arbeitete er tagsüber als Lehrer
in einem Steppendorf und nachts
saß er über seinen Manuskripten,
die für ihn lebenswichtig waren
und doch nicht mehr veröffentlicht
wurden. Kontakte zu Kollegen wa-
ren abgebrochen, Deutsche galten
nach dem Überfall Nazi-Deutsch-
lands auf die Sowjetunion grund-
sätzlich als Verräter und Faschisten.
Die Angst blieb neben dem Hunger
allgegenwärtig. Jakob Hummel ver-
starb schließlich am 19. April 1946
nach schwerer Krankheit in seinem
Verbannungsort         Novyj-Koluton.
Sein Name geriet immer mehr in
Vergessenheit. Das Museum in sei-           Literatur:                                in Šamkir, Xanlar und Irmašly,
ner Heimatstadt wurde geschlos-                                                       in: Knauß u. a., Ein Perserbau in
sen, seine Bücher verschwanden im       1   Vgl. Auch, Eva-Maria:, Öl und             Azerbajdžan. Ausgrabung auf
Archiv, die Exponate des Museums            Wein am Kaukasus. Deutsche                dem Ideal Tepe bei Karačamirli
wurden ohne Nennung seines Na-              Forschungsreisende,         Koloni-       2006, AMIT 38, 2006, 321–323.
mens auf andere Museen verteilt,            sten und Unternehmer im vor-          3   Die biographischen Daten wur-
ihre Spuren verlieren sich 1961.            revolutionären Aserbaidschan,             den der Autorin von seinem
    Erst seit dem Zusammenbruch             Wiesbaden 2001; Dies.: Notizen            Sohn, Dr. Jakob Hummel, zur
der Sowjetunion und der Wiederer-           zum Forscherleben Jacob Hum-              Verfügung gestellt, dem hier-
richtung der staatlichen Unabhän-           mels: Lehrer, Archäologe, Mu-             mit ausdrücklich zu danken ist;
gigkeit Aserbaidschans konnte die           seumsgründer in Helenendorf/              siehe auch: Hummel, Jakob:
Suche nach deutschen Spuren in              Göy Göl (Aserbaidschan). In: Ar-          Jakob Hummel – das Schicksal
Aserbaidschan aufgenommen wer-              chaeologia Circumpontika, H. 5            eines deutschen Archäologen
den. Allmählich erinnert man sich           (2009), S. 10 -22.                        in der UdSSR. In: Volk auf dem
wieder an den „ersten aserbaidscha-     2   Knauß, Florian u.a.: Ein Perserbau        Weg 1 (1993), S. 14. Weitere
nischen Archäologen deutscher               in Azerbajdžan. Ausgrabung auf            Ausführungen stützen sich auf
Abstammung“, der einstmals die              dem Ideal Tepe bei Karačamirli            eine Broschüre, die 1999 anläs-
Stadt Helenendorf/Chanlar – heute           2006, AMIT 38, 2006; Ders. u.a.:          slich des 180jährigen Jubiläums
Göy Göl – dadurch in Enzyklopädi-           Ein Perserbau auf dem Ideal               Helenendorfs von der Autorin
en brachte, dass er hier Ausgrabun-         Tepe bei Karacamirli (Aserbaid-           zusammengestellt wurde und
gen durchführte, die weltbekannt            schan), http://www.acheme-                dem Wirken Jacob Hummels
wurden.                                     net.com/document/2007.002-                gewidmet ist.
                                            Knauss.pdf; Mehnert, Gundula:         4   1921-23 gelang es nur rd. 40 Per-
                                            Exkurs: Deutsche Kolonisten               sonen nach Deutschland, in die

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Geschichte
                                                                                  1934 – 1946 NKWD /Narodnyj
                                                                                  kommissariat vnutrennych del.
                                                                               11 Zur Entwicklung der aserbaid-
                                                                                  schanischen Archäologie siehe:
                                                                                  Pogrebova, M.N.: Archeology
                                                                                  of Arran province, http://www.
                                                                                  cais-soas.com/CAIS/Geogra-
                                                                                  phy/arran_archaeology.htm.
                                                                                  Zugleich war J. Hummel Koau-
                                                                                  tor eines Geschichtslehrbuches
                                                                                  für die Klassen 8 und 9 (1939),
                                                                                  sowie einer „Geschichte Aser-
                                                                                  baidschans“ (1941).
                                                                               12 Eisfeld, Alfred/Herdt, Viktor
                                                                                  (Hrsg.): Deportation, Sonder-
                                                                                  siedlung, Arbeitsarmee. Deut-
Letzte Konfirmation in Helenendorf                                                sche in der Sowjetunion 1941
                                                                                  bis 1956, Köln 1996, S. 104-106.
     USA, die Türkei, Persien auszu-       beitsschule gehandelt haben.        13 Bleiben durften nur deutsche
     reisen, die restlichen Personen    7  Eine eindrucksvolle Beschrei-          Frauen, die in nichtdeutsche
     waren fast alle dem Stalinschen       bung der damaligen Bestände            Familien eingeheiratet hatten.
     Terror ausgesetzt, wurden ver-        liegt uns vor: Hummel, Jacob;          Kinder und Jugendliche mit
     haftet und nach Zentralasien          Das Heimatkundliche Muse-              deutschem Vater und nicht-
     deportiert oder erschossen.           um zu Helenendorf in Aser-             deutscher Mutter durften bis
5    Džafarly, Mamed, Političeskij         baidschan, Moskau 1929. Die            zum 16. Lebensjahr bei der
     terror i sud’by azerbajdžanskich      Sammlungen des Museums                 Mutter bleiben und wurden da-
     nemcev, Baku 1998, S. 210.            wurden nach der Deportation            nach deportiert. Mit dem Erlass
6    Offiziell lautete die Bezeich-          der deutschen Bevölkerung              des Präsidiums des Obersten
     nung       „Deutsch-sowjetische       1941 zugunsten anderer Mu-             Sowjets vom 26. November
     Schule II. Stufe“. Seit 1919 be-      seen allmählich und 1961 end-          1948 wurde ihnen das Recht
     stand sie als 8klassige Schule        gültig aufgelöst. Seit Jahren be-      auf Rückkehr in ihre früheren
     mit Grund- und Oberstufe, mit         müht sich der Kultur- und Wis-         Siedlungsorte aberkannt. 2006
     dem Schuljahr 1927/28 wur-            senschaftsverein „EuroKaukAsia         wurde die Zahl der Bürger deut-
     de sie in eine 7klassige Schule       e.V.“ unter Leitung der Autorin        scher Abstammung in den drei
     mit einem landwirtschaftlichen        um eine Wiedereinrichtung.             kaukasischen Republiken auf
     Zweig umgebildet, in diesem        8 Hummel, Jacob: Das Heimat-              ca. 3.000 geschätzt, ungefähr
     Zusammenhang erfolgte die             kundliche Museum zu Helenen-           die gleiche Anzahl ist aus den
     Ernennung von Jakob Hum-              dorf in Aserbaidschan, Moskau          südkaukasischen Staaten nach
     mel zum Direktor. In seiner Bio-      1929; die nachfolgenden Zitate         Deutschland ausgereist. Im Au-
     graphie wird gleichzeitig eine        sind der Broschüre entnom-             gust 1991 gründete sich in Tbi-
     Lehrtätigkeit am „Technikum“          men.                                   lisi die Assoziation der Deutschen
     genannt, es kann sich hierbei      9 Hummel (1993), S.14.                    Georgiens (Einung), ein Jahr spä-
     jedoch gerade um diesen „land-     10 Glavnoe Političeskoe upravlenie        ter in Baku die Gesellschaft Wie-
     wirtschaftlichen Zweig“ der Ar-       / Politische Hauptverwaltung,          dergeburt.

48                                                                                                    www.irs-az.com
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