Kein Raum für Missbrauch: Personalverantwortung bei Prävention und Intervention nutzen!

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                                                                          DIJuF
                                                    DEUTSCHES INSTITUT
                                                    FÜR JUGENDHILFE UND
                                                    FAMILIENRECHT e.V.
                                                                          FORUM FÜR FACHFRAGEN

        BROSCHÜRE

        Kein Raum für Missbrauch:
        Personalverantwortung bei
        Prävention und Intervention
        nutzen!
        Wie Institutionen im Rahmen von Schutz­­­-
        kon­­zep­ten vorbeugend oder bei Verdacht auf
        sexuellen Missbrauch durch eine*n Mitarbeiter*in
        arbeitsrechtlich vorgehen können.

        Katharina Lohse, Dr. Janna Beckmann, Sarah Ehlers
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    Kein Raum für Missbrauch:
    Personalverantwortung bei Prävention
    und Intervention nutzen!1
    Wie Institutionen im Rahmen von
    Schutzkonzepten vorbeugend oder                                             Eine Institution ist zum Schutz der von ihr be-
    bei Verdacht auf sexuellen Miss-                                            treuten Kinder und Jugendlichen vor sexuellem
                                                                                Missbrauch durch eine*n ihrer Mitarbeiter*innen
    brauch durch eine*n Mitarbeiter*in                                          verpflichtet, und zwar im Sinne der Prävention
    arbeitsrechtlich vorgehen können.1                                          – also der generellen Vorbeugung zB bei der
                                                                                Personalauswahl – als auch bei der Intervention

    1. Vorbeugen: Personalauswahl,                                              im Falle eines konkreten Verdachts. Die Schutz-
                                                                                pflicht gilt im Interventionsfall sowohl gegen-
       Verhaltenskodex,                                                         über dem konkret betroffenen Kind/dem*der

       fortlaufende Begleitung                                                  konkret betroffenen Jugendlichen, als auch
                                                                                gegenüber allen anderen in der Einrichtung
                                                                                betreuten Minderjährigen. Die Institution ist als
    Institutionen tragen die Verantwortung, die Beschäfti-
                                                                                Arbeitgeberin gleichzeitig zum Schutz des
    gung potenziell übergriffiger Mitarbeiter*innen zu
                                                                                Persönlichkeitsrechts aller Mitarbeiter*innen
    vermeiden bzw. zu beenden. Die kinderschutzsensib-
                                                                                verpflichtet. Bei ihrem Vorgehen hat Leitung
    le Personalauswahl erfolgt durch eine Reihe von
                                                                                diese verschiedenen Schutzpflichten im Blick
    Maßnahmen, die über die Einsichtnahme in das erwei-
                                                                                zu behalten und ggf. gegeneinander abzuwä-
    terte Führungszeugnis hinausgehen. Sie haben daher
                                                                                gen, wobei grundsätzlich dem Schutz von
    alle datenschutzrechtlich zulässigen Möglichkeiten
                                                                                Kindern vor sexualisierter Gewalt besonders
    zu nutzen, um im Kontext von Missbrauchsgefahren
                                                                                hohes Gewicht zukommt.
    relevante Informationen über Bewerber*innen bzw.
    Mitarbeiter*innen zu erheben.

    →→ Bereits im Bewerbungs- oder Vorstellungsge-
        spräch sollte deutlich werden, welch große
                                                                      →→ Zu den erlaubten Fragen gehört auch die nach
        Bedeutung Kinderschutz für diese Einrichtung
                                                                         erfolgten Verurteilungen und laufenden
        hat. Fragen nach Erfahrungen mit Präventionsan-
                                                                         Ermittlungsverfahren wegen Sexualstraftaten, weil
        sätzen an früheren Arbeitsplätzen sind hier
                                                                         sie Aufschluss über die Eignung des*der
        möglich, aber auch Fragen danach, wie die neue
                                                                         Bewerber*in geben und insofern für den*die
        pädagogische Fachkraft mit sensiblen Situatio-
                                                                         Arbeitgeber*in von berechtigtem Interesse sind.
        nen umgehen würde.
                                                                         Ein berechtigtes Interesse besteht darüber hinaus
                                                                         an Vorfällen in früheren Beschäftigungsverhältnis-
                                                                         sen, die zu einer Gefährdungseinschätzung und
                                                                         vielleicht sogar zu einer Beendigung der
    1    Die in diesem Überblick dargestellten rechtlichen Voraus-
                                                                         Beschäftigung geführt haben, bei denen die
    setzungen sind ausführlich auf S. 153 in der Expertise „Präven-
    tion und Intervention bei innerinstitutionellem sexuellem            Strafverfolgungsbehörden jedoch nicht involviert
    Missbrauch“ des DIJuF und des Unabhängigen Beauftragten              wurden. Auch nach solchen Vorfällen sollte
    erläutert, abzurufen unter www.beauftragter-missbrauch.de            gefragt werden.
3

    →→ Die Einsicht in Arbeitszeugnisse kann wichtige         zu begleiten, wenn ihnen ein Umgang mit Kindern und
       Hinweise geben. Zwar sind bloße Anzeichen für          Jugendlichen, der ihre Grenzen achtet, oder die Ein-
       strafbares Verhalten, die nicht durch gerichtliche     haltung des Verhaltenskodex nicht gelingt. Grund­
       Entscheidung oder eindeutige Fakten nachweis-          sätzlich sollte das Thema Prävention sexueller Gewalt
       bar sind, im Arbeitszeugnis im Grundsatz               im Einrichtungsalltag, zB in Teamsitzungen und Mitar-
       unzulässig. Das gilt aber nicht, wenn die              beiter*innen-Gesprächen regelmäßig Gegenstand
       mutmaßliche Tat in konkretem Zusammenhang              bleiben.
       zum Arbeitsverhältnis steht und – wie bei
       Sexualstraftaten zulasten von Kindern oder
       Jugendlichen – im Fall des Verschweigens am
                                                              2. Erste Schritte bei Verdacht:
       neuen Arbeitsplatz ein erheblicher Schaden                Gespräche, Freistellung,
       droht.
                                                                 Fachberatungsstelle,
    →→ Mit Einwilligung der Bewerber*innen dürfen
       (standardmäßig und insbesondere bei berechtig-
                                                                 Rechtsbeistand
       ten Zweifeln an den Angaben) Informationen bei
                                                              Sofern der Verdacht des sexuellen Missbrauchs durch
       ehemaligen Arbeitgeber*innen eingeholt werden.
                                                              den*die Mitarbeiter*in nicht offensichtlich unbegrün-
       Diese dürfen nur solche Angaben machen, an
                                                              det ist und eine Kindeswohlgefährdung nicht auszu-
       denen der*die neue Arbeitgeber*in ein
                                                              schließen ist, muss die Leitung – aufgrund ihrer Ver-
       berechtigtes Interesse hat – wozu Vorfälle
                                                              pflichtung, den Schutz der von ihr betreuten Kinder
       (vermuteten) sexuellen Missbrauchs durch
                                                              und Jugendlichen sicherzustellen – sofortige Schutz-
       den*die Bewerber*in zu zählen sind. Das
                                                              maßnahmen ergreifen. Das gewählte Vorgehen zielt
       Fragerecht bedeutet daher nicht, dass frühere
                                                              nicht auf die strafrechtliche Überführung eines
       Arbeitgeber*innen im Zuge einer solchen
                                                              Beschuldigten, was Aufgabe der Strafverfolgungs­
       Nachfrage beliebig Auskunft geben dürften, da
                                                              behörden ist, sondern dient dem Kinderschutz.
       dies die Grundsätze zur Erteilung qualifizierter
       Arbeitszeugnisse unterlaufen könnte.                   Zur Schutzpflicht gehört ein Gespräch mit dem betrof-
                                                              fenen Kind/dem*der betroffenen Jugendlichen und
    →→ Für einen effektiven Schutz sollte die Beschäfti-
                                                              seinen Eltern. Dieses Gespräch dient zum einen der
       gung und daher auch der tatsächliche Beschäfti-
                                                              weiteren Sachverhaltsaufklärung. Aus dem Betreu-
       gungsantritt von der vorherigen Vorlage des
                                                              ungsvertrag und ihrer Schutzpflicht ist die Leitung
       erweiterten Führungszeugnisses abhängig
                                                              verpflichtet, die Eltern über wesentliche (gefährdende!)
       gemacht und vertraglich die regelmäßige Vorlage
                                                              Vorkommnisse während der Betreuung zu informieren.
       verpflichtend vorgesehen werden.
                                                              Nur so können die Eltern ihrer sorgerechtlichen Verant-
                                                              wortung nachkommen (zB entscheiden, dass Kind
    Alle Mitarbeiter*innen sollten einen Verhaltens- bzw.
                                                              nicht mehr in die Einrichtung zu geben, therapeutische
    Ehrenkodex unterzeichnen, der regelt, wie mit Situa­
                                                              Unterstützung in Anspruch zu nehmen usw). Der Be-
    tionen umgegangen wird, die von Täter*innen aus­
                                                              schäftigtendatenschutz hat insoweit zurückzutreten.
    genutzt werden könnten, und der damit zugleich Mit-
                                                              Als Ausgleich für diese frühzeitige Informationsweiter-
    arbeiter*innen vor falschem Verdacht schützt.
                                                              gabe ist die Institution verpflichtet, effektive Maßnah-
    Empfehlenswert ist auch eine Selbstverpflichtungser-
                                                              men zur Rehabilitierung zu treffen, falls sich der Ver-
    klärung, mit der sich Mitarbeiter*innen verpflichten,
                                                              dacht als unbegründet erweist.
    den*die Arbeitgeber*in zu informieren, wenn gegen
    sie ein Ermittlungsverfahren wegen einer Straftat gegen   Zur Schutzpflicht gehört weiter zu prüfen, ob die
    die sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit von Minder-       Strafverfolgungsbehörden einzuschalten sind.2 Eben-
    jährigen eröffnet wird.                                   falls ist Bestandteil sowohl der Schutzpflicht (da es der

    Personalverantwortung schließt aber auch ein, Mit­
    arbeiter*innen anzusprechen und kritisch-konstruktiv      2   Ausführlich hierzu s. Expertise, S. 56 ff.
4

             Aufklärung dient) als auch der Fürsorgepflicht gegen-
             über dem*der verdächtigen Mitarbeiter*in, ein Ge-
                                                                               3. Weitere arbeitsrechtliche
             spräch mit ihm*ihr zu führen. Die Schutzpflicht gegen-               Schritte: Trennung von
             über dem betroffenen Kind kann dieses aber auch
             gerade zunächst einmal hindern, wenn und solange
                                                                                  Mitarbeiter*in
             der wirksame Schutz des Kindes durch das Gespräch
                                                                               Erwiesener Missbrauch = außerordentliche fristlose
             infrage gestellt wäre.3 Daher muss im jeweiligen Einzel-
                                                                               Kündigung
             fall abgewogen werden, wann das Gespräch stattfinden
             kann.                                                             Ist der Verdacht erwiesen, ist eine außerordentliche
                                                                               fristlose Kündigung auszusprechen. Diese ist gem.
             Ist der Verdacht nicht offensichtlich unbegründet,
                                                                               § 626 BGB zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, auf-
             sollte der*die Mitarbeiter*in bis auf weiteres bei Lohn-
                                                                               grund derer dem*der Arbeitgeber*in die Fortsetzung
             fortzahlung freigestellt werden – auch wenn der
                                                                               des Arbeitsvertrags nicht zugemutet werden kann.
             Sachverhalt noch weiter aufzuklären ist und die Kündi-
                                                                               Im Fall eines erwiesenen sexuellen Missbrauchs ei-
             gungsvoraussetzungen noch geprüft werden (hierzu
                                                                               nes*einer Minderjährigen liegt ein wichtiger Grund für
             unten).
                                                                               eine außerordentliche fristlose Kündigung vor. In Be-
             Zu prüfen ist, ob weitere eigene Maßnahmen zur                    tracht kommt eine personenbezogene Kündigung
             Sachverhaltsaufklärung möglich und sinnvoll sind.                 wegen einer Nichteignung der Person (zB bei einem
                                                                               Tätigkeitsausschluss nach § 72a SGB VIII und einer
                                                                               Tätigkeitsuntersagung durch die betriebserlaubnis­
                                                                               erteilende Behörde) oder eine verhaltensbedingte
        Da das Vorgehen und Kommunikation bei einem                            Kündigung aufgrund eines vorgeworfenen Verhaltens.
        Verdacht auf innerinstitutionellen sexuellen
        Missbrauch fachlich und rechtlich höchst                               Verdacht = Verdachtskündigung
        anspruchsvoll sind, empfiehlt sich dringend,
                                                                               Ist der Verdacht zwar nicht erwiesen, aber nach Über-
        von Beginn an eine Fachberatungsstelle4 sowie
                                                                               zeugung von Leitung hinreichend wahrscheinlich, ist
        arbeitsrechtlichen Rechtsbeistand hinzuzu­
                                                                               eine Verdachtskündigung auszusprechen: Eine Kündi-
        ziehen.
                                                                               gung trotz nicht bewiesener Vorwürfe gegenüber ei-
                                                                               nem*einer Arbeitnehmer*in sieht die arbeitsgerichtli-
                                                                               che Rechtsprechung als zulässig an, wenn „starke,
                                                                               auf objektiven Umständen gründende Verdachts­
                                                                               momente gegeben sind, die geeignet sind, dass
                                                                               Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber*in und
                                                                               Arbeitnehmer*in zu zerstören“. Es muss eine hohe
                                                                               Wahrscheinlichkeit geben, dass die Tat begangen
                                                                               wurde, etwa wenn ein*e Zeug*in oder mehrere
                                                                               Zeug*innen glaubhaft von Übergriffen berichten.

                                                                                  →→ Alle zumutbaren Anstrengungen zur
                                                                                      Aufklärung des Sachverhalts müssen
                                                                                      unternommen worden sein.

                                                                                  →→ Zudem müssen die Arbeitnehmer*innen vor
                                                                                      der Verdachtskündigung angehört werden.
    3 Ausführlich hierzu s. Expertise, S. 91 ff.                                  →→ Vor dem Arbeitsgericht müssen die Umstände
    4    Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sind auf Grundlage der             eines dringenden Verdachts konkret
    mit ihnen gem. § 8a Abs. 4 SGB VIII zu treffenden Vereinbarungen zu
                                                                                      dargelegt werden.
    der Hinzuziehung einer insoweit erfahrenen Fachkraft sogar verpflichtet.
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    Beachtung der Zweiwochenfrist!                           Aufhebungsvertrag?

    Bei fristlosen Kündigungen ist zu beachten, dass diese   Um der Möglichkeit vorzubeugen, dass die Kündigung
    nach § 626 Abs. 2 BGB nur innerhalb von zwei Wochen      vom Arbeitsgericht aufgehoben wird, kann der Versuch
    ab dem Zeitpunkt, in dem der*die Kündigungs­             vorrangig sein, mit dem*der verdächtigen Mitarbei-
    berechtigte von den für die Kündigung maßgebenden        ter*in (wenigstens) einen Aufhebungsvertrag zu
    Tatsachen Kenntnis erlangt, ausgespro­chen werden        schließen. Problematisch an diesem Vorgehen ist zwar,
    können. Die Anhörung eines etwaigen Betriebsrats         dass spätere Arbeitgeber*innen den Trennungsgrund
    oder einer Schwerbehin­dertenvertretung muss daher       nicht nachvollziehen können. In diesem Falle sind aber
    entspre­chend rechtszeitig erfolgen. Die Frist beginnt   andere Informationswege zu prüfen, insbesondere
    jedoch erst dann zu laufen, wenn ein*e Kündigungs­       eine Weitergabe an die Aufsichtsbehörde.
    berechtigte*r zuverlässige Kenntnis von den zur
    Kündigung führenden Tatsachen hat. Es wird daher im      Besonderheiten bei ehrenamtlich Beschäftigten,
    Einzelfall abzuwägen sein, ob die Umstände, die der      Honorarkräften und Beamten
    Institution bereits bekannt sind, schon ausreichen, um
                                                             Bei Honorarkräften und Ehrenamtlichen gelten weni-
    einen dringenden Verdacht zu begründen, und sofort
                                                             ger enge Kündigungsvoraussetzungen als bei Be-
    eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden
                                                             amt*innen und Arbeitnehmer*innen. Bei Honorarkräf-
    sollte oder, ob bspw. die Ermittlungsergebnisse der
                                                             ten ist eine Kündigung des Dienstverhältnisses zum
    Staatsanwaltschaft abgewartet werden, um von ausrei-
                                                             Ende des vereinbarten Vergütungszeitraums (§ 621
    chend starken Verdachtsmomenten ausgehen zu
                                                             BGB) möglich bzw. fristlos bei wichtigem Grund (§ 626
    können.
                                                             BGB). Bei Ehrenamtlichen ist – falls es keine abwei-
                                                             chenden Vereinbarungen gibt – eine Kündigung jeder-
    Abmahnung?
                                                             zeit ohne Beachtung des Kündigungsschutzes mög-
    Eine verhaltensbedingte Kündigung ist, wenn es um        lich.
    sexuellen Missbrauch geht, ohne vorherige Abmah-
                                                             Für Beamt*innen (zB Lehrer*innen) kommen die je-
    nung zulässig, weil eine solche nicht ausreichend zur
                                                             weiligen Landesbeamtengesetze und die Disziplinar-
    Sicherstellung des Schutzes ist. Zudem war für den*die
                                                             gesetze der Länder zur Anwendung, die je nach
    Mitarbeiter*in der Institution die Tatsache, dass das
                                                             Schwere unterschiedliche Maßnahmen beinhalten (zB
    Verhalten von dem*der Arbeitgeber*in nicht geduldet
                                                             Warnung, Verweis, Geldbußen oder Kürzungen der
    werden kann, eindeutig erkennbar.
                                                             Dienstbezüge, Disziplinarklage mit dem Ziel der Zu-
                                                             rückstufung oder der Entfernung aus dem Dienst). Ein
    Versetzung?
                                                             Beamt*innenverhältnis wird durch ein disziplinarrecht-
    Grundsätzlich sind zwar vor einer Kündigung immer        liches Urteil eines Verwaltungsgerichts beendet. Dies
    mildere arbeitsrechtliche Maßnahmen wie bspw. eine       kann durch den*die Dienstvorgesetzte*n beantragt
    Versetzung, die den Kontakt zum betroffenen Kind/        werden und ist angezeigt, wenn eine Zurückstufung
    zum*zur betroffenen Jugendlichen ausschließt, zu         oder Versetzung nicht hinreichend erfolgsverspre-
    prüfen. Eine solche würde aber im Fall des sexuellen     chend ist.
    Missbrauchs dem Fehlverhalten insbesondere deshalb
    nicht gerecht werden, weil neben bereits betroffenen
    auch weitere Kinder/Jugendliche in der Einrichtung
    zukünftig gefährdet sein könnten. Allenfalls kann eine
    Beschäftigung in einem Bereich in Betracht gezogen
    werden, in der ein Kontakt mit jeglichen Kindern und
    Jugendlichen gänzlich ausgeschlossen ist.
6

        4. Verhältnis von Familien­                               Grundsätzlich hat jedes Gericht den Sachverhalt
                                                                  selbstständig zu ermitteln und rechtlich zu würdigen.
           gerichts-, Arbeits­gerichts- und
                                                                  Die Erstattung einer Strafanzeige oder einer Verurtei-
           Strafverfahren                                         lung im Strafverfahren ist nicht Voraussetzung für
                                                                  arbeits- oder familiengerichtliche Schritte. Wurde ein
        Familiengerichtliches, arbeitsgerichtliches und Straf-
                                                                  Ermittlungsverfahren eingestellt oder ein*e Arbeit-
        verfahren haben unterschiedliche Funktionen, Ziele
                                                                  nehmer*in freigesprochen, bedeutet das nicht auto-
        und Maßstäbe:
                                                                  matisch, dass der Kinderschutz gewährleistet ist und
        Im familiengerichtlichen Kinderschutzverfahren wird       arbeitsrechtliche Schritte nicht erforderlich wären.
        geprüft, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, die       Es werden allerdings an die Darlegung des Kündi-
        die Eltern nicht abwenden, und daher Eingriffe in das     gungsgrunds besonders hohe Anforderungen zu
        elterliche Sorgerecht erforderlich sind. Im arbeitsge-    stellen sein.
        richtlichen Kündigungsschutzverfahren wird geprüft,
                                                                  Erfährt ein*e Arbeitgeber*in von einer Straftat, die be-
        ob ein tatsächlicher Missbrauch bzw. starke, auf objek-
                                                                  reits aus dem Bundeszentralregister gelöscht wurde,
        tiven Tatsachen gründende Verdachtsmomente für den
                                                                  so ist eine Kündigung allein deshalb nicht ausge-
        Missbrauch gegeben sind, die geeignet sind das Ver-
                                                                  schlossen. Die zugrunde liegende Straftat stellt gleich-
        trauensverhältnis zwischen Arbeitgeber*in und Arbeit-
                                                                  wohl einen entscheidenden Eignungsmangel dar und
        nehmer*in zu zerstören und daher die Kündigung
                                                                  der*die Arbeitgeber*in muss die Möglichkeit haben,
        rechtfertigen. Im Strafverfahren muss das Gericht von
                                                                  eine angenommene Gefahr für die Kinder abzuwen-
        der Tatbegehung durch den*die Angeklagte*n über-
                                                                  den, für deren Wohl er*sie die Verantwortung trägt.
        zeugt sein. Im Zweifel hat das Gericht ihn*sie freizu-
        sprechen.

    Der Zweifelssatz des Strafverfahrens lässt
    sich nicht auf die Personalverantwortung der
    Institution in Fällen des Verdachts des sexuel-
    len Missbrauchs übertragen. Hier gilt vielmehr,
    die Perspektive des Kinderschutzes an erste
    Stelle zu setzen. Aus der Schutz- und Fürsor-
    gepflicht der Institution gegenüber den von ihr
    betreuten Kindern und Jugendlichen folgt, dass
    auch in Verdachtsfällen und nicht erst in erwie-
    senen Fällen arbeitsrechtliche Schritte geprüft
    werden müssen. Dabei sind die Erfolgsaussich-
    ten, insbesondere aber auch die Belastung des
    Kindes/des*der Jugendlichen durch das Ver-
    fahren zu prüfen. Die Schutzpflicht ist aktiviert,
    wenn eine Gefährdung des Wohls von einem                      Weitere Informationen sowie Beratungs-, Hilfe- und Unterstützungs­
                                                                  angebote des UBSKM:
    Kind/einem*einer Jugendlichen oder mehreren
                                                                  www.beauftragter-missbrauch.de
    Kindern/Jugendlichen wahrscheinlich ist.                      www.hilfeportal-missbrauch.de
    Kommt eine Kündigung nicht in Frage, muss die                 Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800 – 22 55 530 (anonym und
                                                                  kostenfrei) | www.hifeltelefon-missbrauch.de I www.anrufen-hilft.de
    Institution andere Maßnahmen ergreifen, etwa
                                                                  www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de I www.kein-raum-fuer-
    einen Aufhebungsvertrag anbieten oder eine                    missbrauch.de I www.wissen-hilft-schützen.de
    Versetzung anordnen.                                          www.kein-kind-alleine-lassen.de
                                                                  Twitter: @ubskm_de
                                                                  Instagram: @missbrauchsbeauftragter
Arbeitsrechtliche Möglichkeiten zu Prävention und Intervention bei innerinstitutionellem sexuellem Missbrauch

    VOR DER                          WÄHREND DER
                                                                    VORFALL                        AUFKLÄRUNG                                   BEENDIGUNG DER BESCHÄFTIGUNG
    BESCHÄFTIGUNG                    BESCHÄFTIGUNG

                                                                 Kenntnis von externem
Eignungsprüfung                    Eignungsprüfung                                               Inanspruchnahme von Fachberatung             Angestellte
                                                                 Verdacht/Missbrauch

→ Einholung eines erweiterten     →V
                                     orlage eines erweiterten   → Laufendes Ermittlungs­       Gespräch mit dem*der verdächtigten           → Ordentliche Kündigung
   Führungszeugnisses               Führungszeugnisses in           verfahren                    Mitarbeiter*in?                              Voraussetzung: Vorliegen eines Kündigungsgrundes
→ Befragung im Bewerbungs-         regelmäßigen Abständen       → Eingestelltes Ermittlungs­                                                   → Personenbedingte Kündigung
  gespräch                                                          verfahren                    Voraussetzung: dadurch keine Gefährdung
                                                                                                 des Kindes/des*der Jugendlichen                 → bei behördlicher Tätigkeitsuntersagung
→ Internetrecherche               Sensibilisierung              → Verdacht früherer
                                                                                                                                                 → bei Nichteignung (in der Person liegender Grund: Gefährlichkeit für Kinder/Jugendliche)
→ Einsicht in Arbeitszeugnisse                                     Arbeitgeber*innen
                                                                 → Vorstrafe                    Gespräch mit dem Kind/Personen/                   → Vorstrafe
→ Nachfrage bei Arbeit­           → Fort-/Weiterbildung                                        Sorgeberechtigten                                 → Getilgte Vorstrafe
  geber*innen                      → Thematisierung im          → Getilgte Vorstrafe
                                                                                                                                                   → Tat außerhalb der Einrichtung
                                     beruflichen Alltag
                                                                 Verdacht in der                 Einschaltung Straf­verfolgungs­                 → Verhaltensbedingte Kündigung
                                                                 Einrichtung                     behörden?                                         → bei feststehendem Missbrauch in der Einrichtung
                                                                                                                                                   → ggf. bei Verstoß gegen eine Selbstverpflichtungserklärung
Sensibilisierung                                                 → Beobachtung durch andere     → mit Einwilligung des Kindes/des*der
                                                                                                                                                   → Verdachtskündigung: bei dringendem Verdacht = hohe Wahrscheinlichkeit für den
                                                                    Mitarbeiter*innen               Jugendlichen bzw. des*der Personen­
                                                                                                                                                      Missbrauch
→ Thematisierung im                                             → Anvertrauen durch betrof-       sorgeberechtigten
  Bewerbungsgespräch                                               fenes Kind/betroffene*n       → ohne Einwilligung des Kindes/des*der
                                                                   Jugendliche*n oder               Jugendlichen bzw. des*der Personen-       → Außerordentliche fristlose Kündigung (§ 626 BGB)
                                                                   Mitteilung durch Personen-      sorgeberechtigten nur nach Abwägung,          Voraussetzung: Es liegen Tatsachen vor, aufgrund derer dem*der Arbeitgeber*in eine
                                                                   sorgeberechtigten               insbesondere:                                 Fortsetzung des Arbeitsvertrags nicht einmal bis zum Ablauf der Kündigungsfirst zuge­
                                                                 → Beobachtungen durch            → wenn zur Abwendung der Gefahr für          mutet werden kann (idR anzunehmen beim Vorliegen der oben genannten Kündigungs-
                                                                    andere Kinder/Jugendliche         das konkret betroffene Kind/den*die        gründe)
Beschäftigungsvertrag
                                                                 → Anvertrauen durch miss­           betroffene*n Jugendliche*n zwingend        Außerdem beachten: Kündigungsfrist, bei außerordentlicher Kündigung Zweiwochenfrist
                                                                    brauchenden Mitarbeiter*in        erforderlich                               nach Kenntnis des Kündigungsgrundes, Sonderkündigungsschutz, Verhältnismäßigkeit,
→ Verhaltenskodex/Ehren­                                                                                                                        Formalien, Anhörung Arbeitnehmer*in bei Verdachtskündigung
                                                                                                   → wenn der Schutz weiterer Kinder/
   kodex/Schutzvereinbarung
                                                                                                      Jugendlicher das Interesse des*der
→ Selbstverpflichtung zur                                                                            Betroffene*n überwiegt                  Beamt*innen
   Information über Ermittlungs-
  verfahren
                                                                                                 Eigene Einschätzung                          → Disziplinarmaßnahmen
                                                                                                                                              →E
                                                                                                                                                ntfernung aus dem Beamt*innenverhältnis nach gerichtlichem Disziplinarverfahren =
                                                                                                 Achtung: Arbeitsrechtliche Maßnahmen          Voraussetzung: schwerwiegendes Dienstvergehen
                                                                                                 sind unabhängig von der Einleitung eines     →B
                                                                                                                                                eendigung des Beamt*innenverhältnisses infolge eines Strafgerichtsurteils = Voraus-
                                                                                                 Strafverfahrens und auch VOR dem Vorlie-      setzung: Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen vorsätzlicher Tat
                                                                                                 gen des Ermittlungsergebnisses zu prüfen!
                                                                                                 Ein Ermittlungsergebnis der Strafverfol-
                                                                                                 gungsbehörden (zB Einstellung) ist nicht     Honorarkräfte (= Dienstverhältnis)
                                                                                                 bindend für die Prüfung arbeitsrechtlicher
                                                                                                 Maßnahmen.
                                                                                                                                              → Kündigung zum Ende des vereinbarten Vergütungszeitraums (§ 621 BGB)
                                                                                                                                              → Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund

                                                                                                 Einschätzung von Maßnahmen
                                                                                                                                              Ehrenamtlich Beschäftigte
                                                                                                 → Inanspruchnahme von Rechtsberatung
                                                                                                 → Prüfung der Auswirkung eines Gerichts-    → jederzeitige Kündigung ohne Beachtung des Kündigungsschutzes möglich, es sei denn
                                                                                                   verfahrens auf das Kind                       abweichende vertragliche Vereinbarungen

7                                                                                                                                             ggf. vorrangig: Zuweisung einer anderen Tätigkeit? Freistellung? Abmahnung?
                                                                                                                                              Aufhebungsvertrag?
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    Autorinnen

    Katharina Lohse
    Fachliche Leiterin des Deutschen Instituts für Jugendhilfe
    und Familienrecht e. V. (DIJuF)

    Dr. Janna Beckmann
    Leiterin der Abteilung Rechtsberatung/Rechtspolitik/
    Forschung im Deutschen Institut für Jugendhilfe und
    Familienrecht e. V. (DIJuF)

    Sarah Ehlers
    Referentin für Kinder- und Jugendhilferecht im Deutschen
    Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF)

    Impressum

    Herausgeber:
    Arbeitsstab des Unabhängigen Beauftragten
    für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs
    Glinkastraße 24
    10117 Berlin
    www.beauftragter-missbrauch.de

    Gestaltung:
    MediaCompany – Agentur für Kommunikation GmbH, Berlin

    Veröffentlichung:
    September 2021
    (letzter Bearbeitungsstand: Dezember 2020)
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