"Kein Transportweg, kein Stress" - Waidwerker

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"Kein Transportweg, kein Stress" - Waidwerker
Hof und Stall
             32–2021
           St.Galler Bauer

                             Metzger und Jäger Damian Signer ist in der ganzen Ostschweiz unterwegs. Bild: Carmen Wueest

                             «Waidwerker» Damian Signer hat sich auf Hof- und Weidetötungen spezialisiert

                             «Kein Transportweg, kein Stress»
                             Seit Juli 2020 sind Hoftötun-           Nase. Das Tier trägt eine Schlinggur-   38 Mutterkühe der Rasse Grauvieh
                             gen zur Fleischgewinnung in             te am Halsband. Es beschnuppert         x Aubrac stehen in zwei gegen-
                             der Schweiz erlaubt. Damian             kurz das Futter und frisst es dann.     überliegenden Reihen in den Fress-
                             Signer aus Appenzell führt              Sein Kopf steckt in einer speziellen    gittern und fressen das frische
                             Hoftötungen durch. Bauern,              Fixation zur Hoftötung, Marke Eigen-    Gras. Die Kälber liegen im Kälber-
                             die ihre Tiere zur Fleischgewin-        bau. Gitter und Tor lassen sich zu-     schlupf im Stroh. Anita Senn, To­
                             nung auf dem Hof töten lassen           sammen sekundenschnell mit einem        bias Kosters Lebenspartnerin, ist
                             wollen, müssen eine Bewilli-            Griff öffnen, was wenig später auch     auch in den Stall gekommen, es
                             gung vom Veterinäramt haben.            nötig sein wird. Schon vor Tagen hat    bleibt noch etwas Zeit zum Reden.
                             So wie Tobias Koster aus Gais.          der Landwirt damit begonnen, das        «Jährlich werden auf der Streichel-
                                                                     Rind an die Box und an die Fixation     farm 38 Natura-Beef verkauft. Anita
                             Text: Melanie Graf, Nassen              zu gewöhnen.                            kümmert sich um die Direktvermark-
                                                                                                             tung», erzählt Tobias Koster. Bisher
                             Auch wenn Rinder ihr Leben lang im      Mehr direkt vermarkten                  habe sie etwa vier bis sechs Beef di-
                             heimischen Stall tiergerecht gehal-     Es ist knapp fünf Uhr morgens.          rekt vermarktet, sagt sie. Künftig sol-
                             ten wurden, der letzte Gang ist meis-   Draussen ist es noch dunkel. Die        len es aber mehr sein. «Unser Ziel ist
                             tens mit Stress verbunden. «Das will    Schwalben im Stall sind bereits ak-     es, dass wir zehn Natura-Beef pro
                             ich vermeiden», sagt Tobias Koster      tiv. Vor einer halben Stunde hat To-    Jahr direkt vermarkten.»
                             von der Streichelfarm in Gais und       bias Koster das Rind in die separa-     Das Tierwohl sei ihm sehr wichtig,
                             schiebt einem zehnmonatigen Rind,       te Box gebracht. Von hier aus kann      aber auch die Qualität des Fleisches,
                             das in einer separaten Box steht,       es seine Artgenossen sehen, hören       sagt Tobias Koster. Er wolle nicht,
      22                     noch etwas frisches Gras unter die      und riechen.                            dass die Tiere durch den Transport
"Kein Transportweg, kein Stress" - Waidwerker
gestresst seien oder sogar Todes­

                                                                                                                               32–2021
                                                                                                                                          Hof und Stall
angst empfänden. «Das sind die
Hauptgründe für die Hoftötung.»

                                                                                                                             St.Galler Bauer
Wie aufs Stichwort fährt Metzger
Damian Signer auf den Platz.

Bewilligung nötig
Anfang dieses Jahres hat sich Dami­
an Signer aus Appenzell einen lang­
ersehnten Traum erfüllt. Er hat eine
eigne Firma gegründet, die Waid­
werker GmbH. Signer ist Fleisch­
fachmann EFZ mit Fachrichtung Ge­
winnung und er ist Jäger. So berät
er einerseits Wildschädengeplagte
und andererseits führt er Hof- und         Damian Signer und Landwirt Tobias Koster besprechen die Dokumente.
Weidetötungen durch. Seit Juli 2020        Eine Hoftötung erfordert viel Papierkram.               Bild: Carmen Wueest
ist dies in der Schweiz für alle Betrie­
be erlaubt, welche die Vorausset­          Wenn ein Landwirt ein Bewilli­             Lebendtierschau nötig sein. Wer
zungen erfüllen (siehe Kasten).            gungsgesuch für die Hoftötung zur          eine definitive Bewilligung erhal­
Der Metzger manövriert seinen              Fleischgewinnung beim Kanton               ten hat, wird vom kantonalen Ve­
Anhänger rückwärts ins Tenn, nur           einreicht, wird das Veterinäramt           terinäramt nur noch stichproben­
wenige Meter vom separierten               auch ein Auge auf den korrekten            weise, mindestens aber einmal
Rind entfernt. Der Anhänger ist            Ablauf der Hoftötung werfen. Bis           jährlich kontrolliert.
eine Spezialanfertigung. Die offe­         eine definitive Bewilligung für die
ne Oberseite ist mit einer Blache          Hoftötung vorliegt, wird der Ver­          Auf Sekunden kommts an
verdeckt, die sich ruck, zuck entfer­      treter des Veterinäramts fünf Mal          Das Rind hat aufgehört zu fressen
nen lässt. Tobias Koster hat den           dabei sein und den Ablauf kontrol­         und beobachtet neugierig die Men­
Heukran einige Meter oberhalb              lieren. Tobias Koster und Anita            schen, die im Tenn stehen. Damian
zwischen Anhänger und dem Rind             Senn erhalten nach dieser Hoftö­           Signer hat den Bolzenschussappa­
in der Fixation in Position gebracht.      tung die definitive Bewilligung –          rat bereitgelegt. Dann geht er noch­
Wenige Minuten später trifft auch          die erste im Kanton Appenzell Aus­         mals eine Checkliste durch, der Ve­
ein amtlicher Tierarzt des Veteri­         serhoden. Der Besuch des Tierarz­          terinär kontrolliert weitere Papiere
näramts beider Appenzell ein.              tes wird in Zukunft nur noch für die       und Dokumente. Eine solche Hoftö­
                                                                                      tung erfordert viel Papierkram, um
                                                                                      die vom Lebensmittelgesetzt ver­
                                                                                      langte Rückverfolgbarkeit sicher­
                                                                                      stellen zu können. Anita Senn steht
                                                                                      mit der Stoppuhr bereit. Denn nicht
                                                                                      nur die Papiere müssen stimmen,
                                                                                      auch die Zeit.
                                                                                      Dann setzt Damian Signer den Bol­
                                                                                      zenschussapparat an die Stirn des
                                                                                      Rindes und drückt ab. Gleichzeitig
                                                                                      drückt Anita Senn die Stoppuhr.
                                                                                      Das Tier weiss nicht, wie ihm ge­
                                                                                      schieht und sackt in sich zusam­
                                                                                      men. Dann geht alles sehr schnell.
                                                                                      60 Sekunden: So lange haben der
                                                                                      Metzger und der Bauer Zeit, das Tier
Das Rind (links) steht in einer separaten Box und ist fixiert. Von hier aus           in den Anhänger zu hieven, damit
kann es seine Artgenossen sehen, hören und riechen.               Bild: Anita Senn   es entblutet werden kann. Koster             23
"Kein Transportweg, kein Stress" - Waidwerker
Hof und Stall
             32–2021
           St.Galler Bauer

                             Nach der Betäubung geht alles schnell. Das Rind wird ins       Im Anhänger wird das betäubte, kopfüber hängende
                             Tenn gezogen und in den Anhänger gehievt.  Bild: Anita Senn   Tier ausgeblutet.                        Bild: Anita Senn

                             öffnet mit einem Griff die Fixation,      terbein des Rindes. Koster zieht den     es mit zum Schlachthof nehmen
                             Signer kontrolliert die Augenreflexe      Kran hoch, manövriert das kopfüber       und dort entsorgen. Auf dem Boden
                             des Rindes und hängt die Schling-         hängende Tier in den Anhänger, wo        im Tenn ist kein einziger Tropfen
                             gurte an den Kran. Koster betätigt        Signer das Tier mittels Bruststich       Blut zu sehen.
                             die Knöpfe der Steuerung des Krans,       entblutet. 57 Sekunden.                  Die Stoppuhr läuft weiter. Spätes-
                             das bewusstlose Tier wird ins Tenn        Signer lässt das betäubte Tier einige    tens innerhalb von 45 Minuten
                             gezogen. Der Metzger löst die             Minuten entbluten. Das Stichblut         nach der Betäubung muss der
                             Schlinggurte vom Kran und vom             wird in der Wanne des Anhängers          Schlachttierkörper ausgeweidet
                             Halsband und zieht es über das Hin-       aufgefangen. Damian Signer wird          sein. Es bleibt nicht viel Zeit. To­bias
                                                                                                                Koster löst den Zug am Kran,
                                                                                                                Damian Signer fixiert das Rind im
                             Voraussetzungen für eine Hof- und Weidetötung                                      Anhänger auf einer rollbaren
                             Seit dem 1. Juli 2020 ist das Betäuben und Entbluten von Tieren auf                Schiene, deckt den Anhänger mit
                             dem Herkunftsbetrieb als erster Schritt der Schlachtung erlaubt. Der               der Blache zu und fährt los Rich-
                             Schlachtbetrieb, in dem der Schlachtvorgang vollendet wird, bleibt wei-            tung Schlachthof. Der Veterinär
                             terhin im Zentrum des Schlachtprozesses. Bei der Hoftötung müssen die              fährt ihm nach.
                             betreffenden Schlachttiere für die Betäubung tierschutzkonform fixiert
                             werden. Die Einrichtung und deren Platzierung muss geeignet sein, da-              In der ganzen Ostschweiz
                             mit das Tier sicher betäubt und anschliessend schnell, hygienisch und              Damian Signer ist ein Pionier in der
                             ungefährlich entblutet werden kann. Stichblut muss aufgefangen und                 Hof- und Weidetötung und hat
                             in einem Schlachtbetrieb entsorgt werden. Das Gesuch für die Bewilli-              Kunden in der ganzen Ostschweiz.
                             gung muss an das kantonale Veterinäramt gestellt werden. Dazu müs-                 Um die vorgeschriebenen 45 Minu-
                             sen folgende Infos bereitgestellt werden:                                          ten vom Entbluten bis zum Auswei-
                             – TVD und Adresse des Betriebs                                                     den einhalten zu können, arbeitet
                             – Details zum Tötungs- und Schlachtungsprozess (Örtlichkeiten)                    Damian Signer mit Metzgern in den
                             – Details zum Transportanhänger und Fahrzeug                                      verschiedenen Regionen zusam-
                             – Gattung und Anzahl der zur Tötung vorgesehenen Tiere                            men. Nur so kann garantiert wer-
                             – Ausbildungs- und Praxisnachweis des Metzgers für die Betäubung                  den, dass die Zeit nicht überschrit-
                                und das Entbluten von Schlachtvieh                                              ten wird. Von allen Beteiligten er­
                             Die Weidetötung ist bei Rindern ab vier Monaten und Gehegewild zu-                 fordert dies Flexibilität. Doch die
                             lässig. Die Weidetötung darf nur ein Schütze vornehmen, der eine gül-              Hoftötung hat einen grossen Vor-
                             tige Jagdausübungsbewilligung vorlegen kann.                 pd./meg.             teil: «Dank Tötung vor Ort auf dem
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"Kein Transportweg, kein Stress" - Waidwerker
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                                                                                  TELEX

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                                                                                  Klimaneutraler Käse. Die Käse­
                                                                                  rei des Landwirtschaftsbetriebes
                                                                                  Holzhof in Amlikon-Bissegg stellt
                                                                                  neu den ersten zertifizierten kli­
                                                                                  maneutralen Käse der Schweiz
                                                                                  her. In der Käserei und auf dem
                                                                                  Landwirtschaftsbetrieb Holzhof
                                                                                  Amlikon-Bissegg arbeitet die Fa­
                                                                                  milie Wartmann seit Jahren an ih­
                                                                                  rem Konzept der geschlossenen
                                                                                  Kreisläufe. So wird mit der eige­
                                                                                  nen Biogasanlage aus Mist, Gülle
In der Schlachtanlage der Appenzeller Fleisch und Feinkost AG in                  und pflanzlichen Abfällen elektri­
Unterschlatt wird der Schlachtvorgang beendet.              Bild: Melanie Graf   sche und thermische Energie pro­
                                                                                  duziert. Damit und mit der Photo­
entfallen für das Tier lange Trans­      Damian Signer positioniert den An­       voltaikanlage kann heute der
portwege und Wartezeiten im              hänger, steigt aus, öffnet die hinte­    ganze Hof und die Käserei ener­
Schlachthof. Das wirkt sich positiv      re Klappe und rollt das Rind aus         gieautark betrieben werden.  lid.
auf die Qualität des Fleisches aus»,     dem Anhänger in den Schlachtbe­
sagt Damian Signer. Stress ver­          trieb. Gemeinsam machen sich Sig­        Deutschland reagiert auf Futter-
ursacht eine Steigerung des pH-          ner und Koch an die Arbeit. 37 Mi­       mangel. In deutschen Flutgebieten
Werts, das Fleisch wird weniger la­      nuten dauerte es, bis das Tier fertig    zeichnet sich eine Futterknappheit
gerfähig und dadurch bedingt auch        geschlachtet ist. Der Veterinär be­      ab. Nun sollen ökologische Vor­
weniger zart.                            gutachtet die Checkliste der vorge­      rangflächen für Futterzwecke ge­
                                         gebenen Selbstkontrolle und das          nutzt werden dürfen.          lid.
Arbeit im Schlachthaus                   vollständig ausgefüllte Begleitdo­
Die Fahrt führt von Gais zur             kument. Damian Signer reinigt den        In der EU landen tierische Ne-
Schlachtanlage der Appenzeller           Anhänger, dann fahren er und der         benprodukte wieder im Trog.
Fleisch und Feinkost AG beim Res­        amtliche Tierarzt zum nächsten           Wie «Animal Health Online» be­
taurant Anker in Unterschlatt. Metz­     Bauern. Die Nachfrage nach Hof­          richtet, ist die Verwendung von
ger Christian Koch wartet bereits.       tötungen ist gross.                      verarbeitetem tierischem Protein
                                                                                  von Schweinen in Geflügelfutter
                                                                                  und umgekehrt von Geflügel in
Hofschlachtung ist keine Hoftötung                                                Schweinefutter in der EU wieder
Im Unterschied zur Haus- respektive Hofschlachtung unterliegt die Hof-            erlaubt – vorausgesetzt, das Ma­
und Weidetötung zur Fleischgewinnung einer Bewilligungspflicht durch              terial stammt aus der Schlachtung
die zuständige kantonale Behörde. Jedes Schlachttier unterliegt der               gesunder Tiere.               lid.
Schlachttier- und Fleischuntersuchung, da das gewonnene Fleisch in
den Verkehr gebracht werden darf.                                                 Welt lebt auf Pump. Der «Earth
Wer seine eigenen Tiere auf seinem eigenen Betrieb schlachten will,               Overshoot Day» markiert den
darf das, sofern dies fachgerecht und tierschutzkonform geschieht. Das            Tag, an dem die Menschheit alle
Fleisch aus diesen sogenannten Haus- respektive Hofschlachtungen                  natürlichen Ressourcen aufge­
darf jedoch nicht in den Konsum gelangen; es darf nur im engsten Fa­              braucht hat, welche die Erde in­
milienkreis verwendet werden. Das Weiterverkaufen oder Verschenken                nerhalb eines Jahres wiederher­
ist nicht zulässig. Wer das Fleisch seiner eigenen Tiere selber vermark­          stellen und damit nachhaltig zur
ten will, muss die Tiere daher in einer bewilligten Schlachtanlage                Verfügung stellen kann. Seit dem
schlachten lassen, wo eine amtliche Schlachttier- und Fleischuntersu­             29. Juli lebt die Weltbevölkerung
chung stattfindet.                                             pd./meg.          quasi auf Pump.               lid.
                                                                                                                              25
"Kein Transportweg, kein Stress" - Waidwerker "Kein Transportweg, kein Stress" - Waidwerker
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