Lang sollen sie leben - Odefey & Töchter
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Lang sollen sie leben 32 Tage wird ein Huhn durchschnittlich alt. Bei Lars Odefey darf es viel älter werden und Sonne, Wind und Gras sehen. Aber sterben muss es irgendwann auch. Ein Schlachtbesuch TEXT: JÖRN KABISCH FOTOS: ANIKA MESTER Bei Wasser, Stroh und ausgesuchtem Biofutter. Die Kindheit auf dem Hühnerhof von Lars Odefey ist glücklich … 82 EFFILEE #53 SOMMER 2020
ERZÄHLTES LEBEN … auch wenn das Schlachthaus nur ein paar Schritte entfernt steht EFFILEE #53 SOMMER 2020 83
Lars Odefey hat gelernt: Auch beim Geschäft mit glücklichen Hühnern ist Romantik keine verlässliche Währung. Er sagt: »Die Story kann noch so toll sein, wenn das Fleisch nicht stimmt.« M ontagmorgen. Lars Odefey be- Zucht-, Brut-, Mast- und Schlachtbetrie- diverse Unternehmen im Ausland ange- ginnt die Woche wie immer im ben, die in wenigen Tagen Tausende Tiere sehen, auch das Biogut von Prinz Charles. Schlachtraum. Der Raum wird durch ihr System schleusen, auch im Bio- Mit dem Know-how ging er in seine Hei- nur durch ein kleines Fenster erhellt. Je bereich. Das Ergebnis ist ein Standard- mat zurück und machte 2017 da weiter, wo dunkler, um so ruhiger bleiben die Tie- produkt, das Eins-Komma-zwei-Kilo- sein Vater aufgehört hatte. re. Ein buntes Fliesenmosaik erinnert im Huhn; im Schnitt zweiunddreißig Tage Keine Allerweltshühner also. Ist man Halbdunkel an den Hundertwasser-Bahn- hat in ihm ein Herz geschlagen, wenn es zu Besuch bei Odefey, bekommt man Ex- hof im nahen Uelzen. Odefey trägt statt ein konventionelles ist. emplare mit ganz besonderer Persönlich- Skinny Jeans eine weiße Hose, er hat die In Mehre findet so etwas wie ein Ge- keit aufgetischt. Das Fleisch hat einen Schürze umgehängt und greift in eine Kis- genprogramm statt. Um dem Produkt wie- überraschenden, angenehm festen Biss. te, in der es leise gurrt. Die Keule für die der eine Persönlichkeit zu geben. Wenn »Misfits«, sagte er, als wir am Sonntag- Betäubung liegt bereit. Lars Odefey über den Hof führt, kann abend zwei Hühner für den Ofen vorberei- »Ich kenne zwar nicht jedes meiner man ein Hühnerleben besichtigen, das viel teten. Sie hatten blaue Flecken an Flügel Hühner einzeln«, wird der Hühnerzüch- länger dauert. Von der Brutstation über die und Brustbein. »Haben sich wahrscheinlich ter später sagen, »aber die Gruppen. Jede Aufzuchtställe, wo Küken und Junghüh- zwei gerauft«, erklärte der Bauer. Die kann ist anders.« Irgendeine Geschichte gebe es ner einem neugierig um die Beine laufen, er nicht verkaufen. Während die Hühner immer, die ihm durch den Kopf geht, bei bis zu den Weiden, wo der Landwirt die im Ofen waren, verabschiedete sich Ode- den Hühnern, die etwa dreimal so lange mobilen Ställe immer wieder auf ein neues fey für eine Viertelstunde in die Dämme- leben dürfen wie ihre Brüder und Schwes- Stück saftiges Gras zieht. Er füttert mit rung, die sich über die Heide gelegt hat- tern in der industriellen Zucht und dabei der Hand, um die Tiere im Blick zu haben. te. »Sammeln«, so nennt er das, wenn er die meiste Zeit unter freiem Himmel und Die Gruppen zählen höchstens vierhun- im Halbdunkel der Weideställe geht. Die zwischen Schafen verbringen. dert Vögel, das ist ein Zehntel dessen, was Vögel hatten ihre Köpfe schon in die Ge- in der Biomast erlaubt ist. Vier Quadrat- fieder gesteckt, einzelne wählte er für den meter Platz hat jedes Huhn im Freiland, Schlachttag aus und steckte sie in Kisten. Mehre ist ein Straßendorf in der etwa hundert Tage darf es alt werden. Lüne burger Heide. Hinter den Back- Man vermutet auf einen Rebellen zu steinhöfen sind zu beiden Seiten wei- stoßen, jemanden mit Wut, Überzeugung, Morgens im Schlachtraum geht auf te Äcker, unterbrochen nur von ein paar Sendungsdrang. Trifft aber einen strahlend einmal alles sehr schnell und zupackend, Baumg ruppen. Nichts verrät von außen, gelaunten, jungenhaften Mann, mit stroh- wie man es Odefey gar nicht zugetraut wer hinter dem dreihundert Jahre alten blondem Haar und Hornbrille. Der einfach hätte. Er klemmt das Tier unter den Arm, Resthof mit der Hausnummer eins seine sein Ding macht. Und das, was er anders dann kommt der Schlag mit der Keule. Adresse hat. Ein Züchter, der zur Marke macht, höchstens im Nebensatz in seinen Ein kurzes Flattern, dann wird das Huhn, geworden ist für Hühner, die man wieder norddeutschen Singsang einfließen lässt. nun betäubt, kopfüber in einen Trichter essen will: Weidehühner. Lars Odefey hat Damit man versteht, dass das doch nicht gesteckt, unten schaut der Kopf wieder geschafft, Huhn wieder dort auf die Tel- ganz selbstverständlich ist, was er zeigt. hervor. Nach einem Schnitt durch die ler zu bringen, wo es zum Tabu geworden Lars Odefey ist kein Abtrünniger. Er Halsschlagader blutet das Tier aus. Dann war, in den Sternehäusern. Sein Name führt seit 2017 auf seine Weise fort, was kommt es in die Rupfmaschine, dort wird steht dann mit auf der Speisekarte: Coq schon sein Vater machte, ein ehemaliger es abgebrüht, die Federn abgebürstet, der au vin »Odefey & Töchter«. Manager, der immer Flausen im Kopf hat- nackte Leib wird mit dem Kopf nach unten Odefey macht so ziemlich alles an- te und irgendwann in Biogeflügel machte. aufgehängt. Schon nach den ersten sechs ders als die anderen. Im Detail ist das Der Sohn studierte ökologische Agrarwis- Tieren wabert der Dampf im Dunkel. gar nicht aufzuzählen. Das Geschäft senschaften in Eberswalde, arbeitete bei Odefey sagt, es war eine Überlegung, mit dem Geflügel ist normal ein hoch- einer Unternehmensberatung und einem die Schlachtung auszulagern. Aber es er- industrielles Gewerbe, mit spezialisierten großen Schinkenhersteller und hat sich schien ihm nicht richtig. Er wollte seinen EFFILEE #53 SOMMER 2020 85
ERZÄHLTES LEBEN Und was gibts zu essen? Bei Lars Odefey natürlich das eigene Huhn Immer frisches Gras, aber keine Heizung. Die Weidehühner haben mobile Ställe 86 EFFILEE #53 SOMMER 2020
Tieren auch den letzten Abschnitt ihres unsere Bedürfnisse ideal.« Die Bressehühner Lebens so respektvoll und stressfrei wie haben einen guten Schlachtkörper, sie set- möglich gestalten. Deshalb kommen sie zen gut Fleisch und dazwischen auch Fett schon am Vorabend in Transportboxen, sie an. »Auf das Bauchfett fliegen die Köche ge- ruhen darin, kurz bevor es ans Ende geht. rade.« Der Austausch ist ihm wichtig. Mit Und der Züchter geht auch immer mehr Köchen wie Thomas Imbusch oder Micha zum Gaumenstich über. Der sorgt für Schäfer ist er regelmäßig im Gespräch, einen noch schnelleren Tod, ein besseres um eine Balance zwischen Geschmack, Ausbluten und ist – vor allem – industriell Gewicht und Haltung zu finden, die auch nicht umsetzbar. wirtschaftlich ist. Küken vom Bressehuhn Lars Odefey hat inzwischen gelernt, zum Beispiel sind teuer, inzwischen hat beim Geschäft mit glücklichen Hühnern Odefey mithilfe zweier Restaurants in ist Romantik keine verlässliche Währung. Brutmaschinen investiert, um sie nicht Es sagt: »Die Story kann noch so toll sein, aus Frankreich holen zu müssen. wenn das Fleisch nicht stimmt.« Er erzählt von einer Hühnerrasse, den Italienern, mit der er es einige Zeit versucht hat. »Wunder- Im Nebenraum werden die Hühner schöne Tiere«, sagt er, ganz ähnlich wie ihr ausgenommen und geschnürt. Darum Man kann mit ihm Urahn, das Bankivahuhn. Aber sie setz- kümmern sich heute Sibel, Odefeys Part- viel über Hühner ten nicht genügend Fleisch an. »Wie soll ich nerin, und die dreiundsechzigjährige Eli- rassen sprechen. Es ist solche Hungerhaken verkaufen?« sabeth. Sie ist eine der beiden Helferin- ein bisschen wie Auto- nen, die Odefey beschäftigt. Hedwig, die andere, ist um die achtzig, beide haben quartett, wenn Namen Man kann mit ihm viel über Rassen lange in der Hühnerzerlegung gearbei- fallen wie Sulmtaler, sprechen. Auf der einen Seite müssen die tet und Lars Odefey einiges beigebracht. New Hampshire oder Tiere Robustheit mitbringen, wenn sie Während die Frauen an der Arbeit sind, ihr Leben im Freiland verbringen sollen. hört man, welch unterschiedliche Vögel Bresse-gauloise oder Auf der anderen Seite ist das Bild bei Ver- aus der Zucht kommen. Elisabeth macht Lohmann Brown brauchern wie auch bei Köchen vom Bild den Tieren ganz eigene Komplimente: des konventionellen Huhns geprägt: Di- »Guck mal, was für Klöten«, kommentiert cke Brüste und Keulen, »und über ein Kilo sie, als sie die Hoden aus einem Tier zieht. sollte der Vogel auch schwer sein« – nach dem »Jetzt zier dich nicht so«, als das Messer Schlachten. Es ist ein bisschen wie Auto- nicht gleich durch die Haut will. quartett, wenn Namen fallen wie Sulmta- Auch hier weist ihr Chef wie neben- ler, schwedische Silverudd, New Hampshi- bei wieder auf eine Besonderheit hin. Das re, Bresse-gauloise oder Lohmann Brown. Ausnehmen geschieht trocken. Es ist eine Odefey musste Lehrgeld zahlen. An- selten gewordene Methode, die Odefey gefangen hat er mit Hybridhühnern, wie sich in Frankreich abgeschaut hat. Es ge- sie auch in der Biomast eingesetzt werden. langt kein Wasser in den Schlachtkörper, Aber die Köche, denen er das Fleisch prä- das ist mikrobiologisch vorteilhaft und er- sentierte, konnte er damit kaum begeis- möglicht zusammen mit dem guten Aus- tern. Nach und nach hat er auf Rassehüh- bluten, dass man die Hühner auch reifen ner umgestellt. Sulmtaler etwa, eine alte lassen kann. Landhausrasse aus der Steiermark, auch Um zehn liegen die Hühner versand- Kaisers Giggerl genannt. »Zurückhaltend, fertig nebenan im Kühlhaus, der Spediteur bescheiden«, sagt Odefey, »aber auch ganz hat sich für mittags angekündigt. Nach gute Flieger.« Machen seine Hühner einen dem Töten kann Lars Odefey sich den Ausflug, kann es sein, dass er dreißig Euro Rest der Woche wieder ganz um das gute an Fuchs oder Marder verliert. Leben seiner Hühner kümmern. Etwas temperamentvoller und des- halb schwieriger in der Zweitnutzungs- haltung sind die Bresse-gauloises. »Echte ODEFEY & TÖCHTER Franzosen eben«, sagt Odefey, »aber vor Mehrer Straße 1, 29525 Uelzen allem, was das Fleisch angeht, sind sie für odefeyundtoechter.de EFFILEE #53 SOMMER 2020 87
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