Lang sollen sie leben - Odefey & Töchter

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Lang sollen sie leben - Odefey & Töchter
Lang sollen sie leben
       32 Tage wird ein Huhn durchschnittlich alt. Bei Lars Odefey darf
       es viel älter werden und Sonne, Wind und Gras sehen. Aber sterben
       muss es irgendwann auch. Ein Schlachtbesuch
       TEXT: JÖRN KABISCH FOTOS: ANIKA MESTER

Bei Wasser, Stroh und ausgesuchtem
Biofutter. Die Kindheit auf dem Hühnerhof
von Lars Odefey ist glücklich …

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ERZÄHLTES LEBEN

                            … auch wenn das
                            Schlachthaus nur
                            ein paar Schritte
                            entfernt steht

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     Helferin Elisabeth
     holt sich zwei Tiere
     zum Ausnehmen

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Lars Odefey hat gelernt: Auch beim Geschäft mit glücklichen Hühnern
                          ist Romantik keine verlässliche Währung. Er sagt: »Die Story kann noch
                          so toll sein, wenn das Fleisch nicht stimmt.«

M
            ontagmorgen. Lars Odefey be-       Zucht-, Brut-, Mast- und Schlachtbetrie-      diverse Unternehmen im Ausland ange-
            ginnt die Woche wie immer im       ben, die in wenigen Tagen Tausende Tiere      sehen, auch das Biogut von Prinz Charles.
            Schlachtraum. Der Raum wird        durch ihr System schleusen, auch im Bio-      Mit dem Know-how ging er in seine Hei-
nur durch ein kleines Fenster erhellt. Je      bereich. Das Ergebnis ist ein Standard-       mat zurück und machte 2017 da weiter, wo
dunkler, um so ruhiger bleiben die Tie-        produkt, das Eins-Komma-zwei-Kilo-            sein Vater aufgehört hatte.
re. Ein buntes Fliesenmosaik erinnert im       Huhn; im Schnitt zweiunddreißig Tage               Keine Allerweltshühner also. Ist man
Halbdunkel an den Hundertwasser-Bahn-          hat in ihm ein Herz geschlagen, wenn es       zu Besuch bei Odefey, bekommt man Ex-
hof im nahen Uelzen. Odefey trägt statt        ein konventionelles ist.                      emplare mit ganz besonderer Persönlich-
Skinny Jeans eine weiße Hose, er hat die            In Mehre findet so etwas wie ein Ge-     keit aufgetischt. Das Fleisch hat einen
Schürze umgehängt und greift in eine Kis-      genprogramm statt. Um dem Produkt wie-        überraschenden, angenehm festen Biss.
te, in der es leise gurrt. Die Keule für die   der eine Persönlichkeit zu geben. Wenn        »Misfits«, sagte er, als wir am Sonntag-
Betäubung liegt bereit.                        Lars Odefey über den Hof führt, kann          abend zwei Hühner für den Ofen vorberei-
     »Ich kenne zwar nicht jedes meiner        man ein Hühnerleben besichtigen, das viel     teten. Sie hatten blaue Flecken an Flügel
Hühner einzeln«, wird der Hühnerzüch-          länger dauert. Von der Brutstation über die   und Brustbein. »Haben sich wahrscheinlich
ter später sagen, »aber die Gruppen. Jede      Aufzuchtställe, wo Küken und Junghüh-         zwei gerauft«, erklärte der Bauer. Die kann
ist anders.« Irgendeine Geschichte gebe es     ner einem neugierig um die Beine laufen,      er nicht verkaufen. Während die Hühner
immer, die ihm durch den Kopf geht, bei        bis zu den Weiden, wo der Landwirt die        im Ofen waren, verabschiedete sich Ode-
den Hühnern, die etwa dreimal so lange         mobilen Ställe immer wieder auf ein neues     fey für eine Viertelstunde in die Dämme-
leben dürfen wie ihre Brüder und Schwes-       Stück saftiges Gras zieht. Er füttert mit     rung, die sich über die Heide gelegt hat-
tern in der industriellen Zucht und dabei      der Hand, um die Tiere im Blick zu haben.     te. »Sammeln«, so nennt er das, wenn er
die meiste Zeit unter freiem Himmel und        Die Gruppen zählen höchstens vierhun-         im Halbdunkel der Weideställe geht. Die
zwischen Schafen verbringen.                   dert Vögel, das ist ein Zehntel dessen, was   Vögel hatten ihre Köpfe schon in die Ge-
                                               in der Biomast erlaubt ist. Vier Quadrat-     fieder gesteckt, einzelne wählte er für den
                                               meter Platz hat jedes Huhn im Freiland,       Schlachttag aus und steckte sie in Kisten.
     Mehre ist ein Straßendorf in der          etwa hundert Tage darf es alt werden.
Lüne­ burger Heide. Hinter den Back-                Man vermutet auf einen Rebellen zu
steinhöfen sind zu beiden Seiten wei-          stoßen, jemanden mit Wut, Überzeugung,            Morgens im Schlachtraum geht auf
te Äcker, unterbrochen nur von ein paar        Sendungsdrang. Trifft aber einen strahlend    einmal alles sehr schnell und zupackend,
Baum­g ruppen. Nichts verrät von außen,        gelaunten, jungenhaften Mann, mit stroh-      wie man es Odefey gar nicht zugetraut
wer hinter dem dreihundert Jahre alten         blondem Haar und Hornbrille. Der einfach      hätte. Er klemmt das Tier unter den Arm,
Resthof mit der Hausnummer eins seine          sein Ding macht. Und das, was er anders       dann kommt der Schlag mit der Keule.
Adresse hat. Ein Züchter, der zur Marke        macht, höchstens im Nebensatz in seinen       Ein kurzes Flattern, dann wird das Huhn,
geworden ist für Hühner, die man wieder        norddeutschen Singsang einfließen lässt.      nun betäubt, kopfüber in einen Trichter
essen will: Weidehühner. Lars Odefey hat       Damit man versteht, dass das doch nicht       gesteckt, unten schaut der Kopf wieder
geschafft, Huhn wieder dort auf die Tel-       ganz selbstverständlich ist, was er zeigt.    hervor. Nach einem Schnitt durch die
ler zu bringen, wo es zum Tabu geworden             Lars Odefey ist kein Abtrünniger. Er     Halsschlagader blutet das Tier aus. Dann
war, in den Sternehäusern. Sein Name           führt seit 2017 auf seine Weise fort, was     kommt es in die Rupfmaschine, dort wird
steht dann mit auf der Speisekarte: Coq        schon sein Vater machte, ein ehemaliger       es abgebrüht, die Federn abgebürstet, der
au vin »Odefey & Töchter«.                     Manager, der immer Flausen im Kopf hat-       nackte Leib wird mit dem Kopf nach unten
     Odefey macht so ziemlich alles an-        te und irgendwann in Biogeflügel machte.      aufgehängt. Schon nach den ersten sechs
ders als die anderen. Im Detail ist das        Der Sohn studierte ökologische Agrarwis-      Tieren wabert der Dampf im Dunkel.
gar nicht aufzuzählen. Das Geschäft            senschaften in Eberswalde, arbeitete bei          Odefey sagt, es war eine Überlegung,
mit dem Geflügel ist normal ein hoch-          einer Unternehmensberatung und einem          die Schlachtung auszulagern. Aber es er-
industrielles Gewerbe, mit spezialisierten     großen Schinkenhersteller und hat sich        schien ihm nicht richtig. Er wollte seinen

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Und was gibts zu essen? Bei Lars Odefey natürlich das eigene Huhn

                                                Immer frisches Gras, aber keine Heizung. Die Weidehühner haben mobile Ställe

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Tieren auch den letzten Abschnitt ihres         unsere Bedürfnisse ideal.« Die Bressehühner
Lebens so respektvoll und stressfrei wie        haben einen guten Schlachtkörper, sie set-
möglich gestalten. Deshalb kommen sie           zen gut Fleisch und dazwischen auch Fett
schon am Vorabend in Transportboxen, sie        an. »Auf das Bauchfett fliegen die Köche ge-
ruhen darin, kurz bevor es ans Ende geht.       rade.« Der Austausch ist ihm wichtig. Mit
Und der Züchter geht auch immer mehr            Köchen wie Thomas Imbusch oder Micha
zum Gaumenstich über. Der sorgt für             Schäfer ist er regelmäßig im Gespräch,
einen noch schnelleren Tod, ein besseres        um eine Balance zwischen Geschmack,
Ausbluten und ist – vor allem – industriell     Gewicht und Haltung zu finden, die auch
nicht umsetzbar.                                wirtschaftlich ist. Küken vom Bressehuhn
      Lars Odefey hat inzwischen gelernt,       zum Beispiel sind teuer, inzwischen hat
beim Geschäft mit glücklichen Hühnern           Odefey mithilfe zweier Restaurants in
ist Romantik keine verlässliche Währung.        Brutmaschinen investiert, um sie nicht
Es sagt: »Die Story kann noch so toll sein,     aus Frankreich holen zu müssen.
wenn das Fleisch nicht stimmt.« Er erzählt
von einer Hühnerrasse, den Italienern, mit
der er es einige Zeit versucht hat. »Wunder-         Im Nebenraum werden die Hühner
schöne Tiere«, sagt er, ganz ähnlich wie ihr    ausgenommen und geschnürt. Darum
                                                                                               Man kann mit ihm
Urahn, das Bankivahuhn. Aber sie setz-          kümmern sich heute Sibel, Odefeys Part-        viel über Hühner­
ten nicht genügend Fleisch an. »Wie soll ich    nerin, und die dreiundsechzigjährige Eli-      rassen sprechen. Es ist
­solche Hungerhaken verkaufen?«                 sabeth. Sie ist eine der beiden Helferin-
                                                                                               ein bisschen wie Auto-
                                                nen, die Odefey beschäftigt. Hedwig, die
                                                andere, ist um die achtzig, beide haben        quartett, wenn Namen
      Man kann mit ihm viel über Rassen         lange in der Hühnerzerlegung gearbei-          fallen wie Sulmtaler,
sprechen. Auf der einen Seite müssen die        tet und Lars Odefey einiges beigebracht.       New Hampshire oder
Tiere Robustheit mitbringen, wenn sie           Während die Frauen an der Arbeit sind,
ihr Leben im Freiland verbringen sollen.        hört man, welch unterschiedliche Vögel         Bresse-gauloise oder
Auf der anderen Seite ist das Bild bei Ver-     aus der Zucht kommen. Elisabeth macht          Lohmann Brown
brauchern wie auch bei Köchen vom Bild          den Tieren ganz eigene Komplimente:
des konventionellen Huhns geprägt: Di-          »Guck mal, was für Klöten«, kommentiert
cke Brüste und Keulen, »und über ein Kilo       sie, als sie die Hoden aus einem Tier zieht.
sollte der Vogel auch schwer sein« – nach dem   »Jetzt zier dich nicht so«, als das Messer
Schlachten. Es ist ein bisschen wie Auto-       nicht gleich durch die Haut will.
quartett, wenn Namen fallen wie Sulmta-              Auch hier weist ihr Chef wie neben-
ler, schwedische Silverudd, New Hampshi-        bei wieder auf eine Besonderheit hin. Das
re, Bresse-gauloise oder Lohmann Brown.         Ausnehmen geschieht trocken. Es ist eine
      Odefey musste Lehrgeld zahlen. An-        selten gewordene Methode, die Odefey
gefangen hat er mit Hybridhühnern, wie          sich in Frankreich abgeschaut hat. Es ge-
sie auch in der Biomast eingesetzt werden.      langt kein Wasser in den Schlachtkörper,
Aber die Köche, denen er das Fleisch prä-       das ist mikrobiologisch vorteilhaft und er-
sentierte, konnte er damit kaum begeis-         möglicht zusammen mit dem guten Aus-
tern. Nach und nach hat er auf Rassehüh-        bluten, dass man die Hühner auch reifen
ner umgestellt. Sulmtaler etwa, eine alte       lassen kann.
Landhausrasse aus der Steiermark, auch               Um zehn liegen die Hühner versand-
Kaisers Giggerl genannt. »Zurückhaltend,        fertig nebenan im Kühlhaus, der Spediteur
bescheiden«, sagt Odefey, »aber auch ganz       hat sich für mittags angekündigt. Nach
gute Flieger.« Machen seine Hühner einen        dem Töten kann Lars Odefey sich den
Ausflug, kann es sein, dass er dreißig Euro     Rest der Woche wieder ganz um das gute
an Fuchs oder Marder verliert.                  Leben seiner Hühner kümmern.
      Etwas temperamentvoller und des-
halb schwieriger in der Zweitnutzungs-
haltung sind die Bresse-gauloises. »Echte       ODEFEY & TÖCHTER
Franzosen eben«, sagt Odefey, »aber vor         Mehrer Straße 1, 29525 Uelzen
allem, was das Fleisch angeht, sind sie für     odefeyundtoechter.de

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