Kinder mit Blutungsneigung in der Grundschule - Ein Kurzratgeber für Lehrerinnen und Lehrer
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
W. Eberl, C. Escuriola, W. Kreuz, C. Wermes Kinder mit Blutungsneigung in der Grundschule – Ein Kurzratgeber für Lehrerinnen und Lehrer
Inhaltsverzeichnis Vorwort Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Liebe Lehrerinnen und Lehrer, Was ist Hämophilie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Sie betreuen ein Kind mit der Erbkrankheit »Hämophilie« oder »von- Willebrand-Syndrom«? Oder Eltern haben vor, ein betroffenes Kind Wie entstehen Blutungserkrankungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 in Ihrer Einrichtung anzumelden? Wenn Sie ein paar wichtige Dinge beachten und vor allem offen mit den Eltern über die Erkrankung Wie wird die Hämophilie behandelt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 sprechen, können Sie unbesorgt sein. Welche Symptome können auftreten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Blutungserkrankungen sind zwar nach wie vor nicht heilbar. Aber sie Wie erkenne ich Blutungen richtig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 sind inzwischen ausgezeichnet behandelbar, so dass die Kinder ein nahezu normales Leben führen und an den Gemeinschaftsaktivitäten Medizinische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 teilnehmen können. Psychologische und soziale Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Tatsache ist: Im Gegensatz zu Allergien, Asthma und Diabetes kom- men diese Erkrankungen nur sehr selten vor. Daher ist es durchaus ver- Pädagogische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 ständlich, wenn anfänglich noch Unsicherheiten und Fragen auftreten, Rechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 wie »Benötigt das Kind eine besondere Betreuung?« oder »Was gilt es zu beachten, wenn das Kind in eine Notlage gerät?«. Nützliche Adressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Mit dieser Broschüre erhalten Sie einen kurzen Überblick über das Ausklappkarte: »Was tun im Notfall« Krankheitsbild und über medizinische, psychologische und pädago- gische Aspekte sowie rechtliche Fragen, die insbesondere für die Al- tersgruppe von 6 – 10 Jahren eine Rolle spielen. Wir hoffen, damit einen großen Teil Ihrer Fragen zu beantworten, um Sie so in Ihrer täglichen Arbeit mit einem an Hämophilie erkrankten Kind zu unterstützen! Ihre Autorinnen und Autoren 2 3
Was ist Hämophilie? Die Hämophilie A und B sowie das von-Willebrand-Syndrom sind angeborene Gerinnungsstörungen des Blutes. Allen ist gemein- sam, dass ein wichtiges Eiweiß im Blut, das für die Blutgerinnung not- wendig ist, entweder ganz fehlt oder nicht ausreichend aktiv ist. Da- durch kommt es zu einer erhöhten Blutungsneigung. Das heißt, dass Menschen mit dieser Erkrankung häufiger Blutungen haben und diese meist auch länger andauern (z. B. nach Verletzungen). Die Hämophilie A ist die schwerste Form der Bluterkrankheit und wesentlich häufiger als die Hämophilie B. Eine weitere Gerinnungs- störung ist das von-Willebrand Syndrom. Alle Formen können un- terschiedlich schwer ausgeprägt sein. Dank moderner Medikamente können die meisten Betroffenen ein weitgehend normales Leben führen. Lesen Sie mehr dazu im Kapitel »Welche Symptome können auftreten?« und »Wie wird die Hämophilie behandelt?«. Buchtipp Ein möglichst unbeschwerter Alltag für Kinder mit Hämophilie – das ist das Ziel des Ratgebers »Kinder mit Blutungsneigung in Krippe, Kindergarten und Schule«. Speziell für die einzelnen Altersstufen der Kinder in Krippe, Kindergarten, Grundschule und weiterführender Schule sind die je- weils relevanten Themen im Alltag sowie in besonderen Situationen aufbereitet. Zusätzlich geht das Buch auf medizinische, psycho- logische, soziale und auch päda- gogische Fragen der jeweiligen Altersgruppe ein. Weitere Infos sowie die Bestell- möglichkeiten finden Sie im In- ternet unter www.faktorviii.de 5
WAS IST HÄMOPHILIE? Wie entstehen Blutungserkrankungen? Tipp Bei der Hämophilie A und B sowie dem von-Willebrand-Syndrom fehlen den Betroffenen aufgrund einer geschädigten Erbanlage be- Sprechen Sie mit den Eltern und informieren Sie sich stimmte Eiweißstoffe – die Gerinnungsfaktoren VIII, IX oder der über den Schweregrad der Erkrankung und wie das Kind von-Willebrand-Faktor. Dadurch ist die Gerinnungsfähigkeit des behandelt wird. So können Sie die Situation besser ein- Blutes vermindert. Dies führt zu häufigeren und längeren Blutungen. schätzen und wissen im Notfall, was zu tun ist. Von Hämophilie (früher auch »Bluterkrankheit« genannt) sind in Deutschland rund 10.000 Menschen mit unterschiedlichen Schwere- graden betroffen. Die Hämophilie trifft in der Regel aufgrund ihres Ver- erbungsweges fast ausschließlich Jungen bzw. Männer. Nur in extrem seltenen Fällen sind Frauen betroffen. Das von-Willebrand-Syndrom betrifft beide Geschlechter gleichermaßen. In dieser Broschüre wird vor allem die Hämophilie A beschrieben. Wichtig: H ämophilie und das von-Willebrand-Syndrom sind nicht ansteckend! Wie wird die Hämophilie behandelt? Um Blutungen und daraus entstehende Spätschäden zu vermeiden, wird der fehlende Blutgerinnungsfaktor ersetzt. Bei dieser Substi- tutionstherapie spritzen sich die Betroffenen bzw. deren Eltern die fehlenden Blutgerinnungsfaktoren intravenös in die Blutbahn. Die Hämophilie und das von-Willebrand-Syndrom können in unter- schiedlichen Schweregraden auftreten: In Deutschland erhalten prak- tisch alle Kinder mit schwerer Hämophilie ab etwa einem Jahr eine vorbeugende Substitutionsbehandlung, auch Prophylaxe genannt. Die kleinen Patienten bekommen das Faktorpräparat mehrmals pro Woche in die Vene gespritzt. Das Ziel ist ein Leben weitgehend ohne Einschränkungen. Die Bedarfsbehandlung (auch »on demand–Behandlung« genannt) wird hauptsächlich bei mittelschwerer und leichter Hämophilie ange- wendet, z. B. vor dem Zahnarztbesuch, einer Operation – oder auch bei einer akuten Blutung. 6
WAS IST HÄMOPHILIE? Welche Symptome können auftreten? und lassen sich leider nicht immer ganz vermeiden. Das Kind muss so schnell wie möglich ein Faktorpräparat erhalten. Obwohl jedes Gelenk Je nach Schweregrad kommt es zu unterschiedlichen Symptomen: betroffen sein kann, treten Blutungen statistisch betrachtet zu 80 Pro- milde Verlaufsform: häufiger blaue Flecken, Nachblutungen bei zent in Ellenbogen-, Knie- und Sprunggelenken auf. schweren Verletzungen mittelschwere Verlaufsform: höhere Blutungsneigung als bei Diese Anzeichen deuten auf eine Gelenkblutung hin milder Hämophilie nach Verletzungen / Operationen / Zahnbe- Gelenkschwellung handlungen; lebensbedrohliche Blutungen können vorkommen Gelenkerwärmung (mit dem Handrücken überprüfen) schwere Verlaufsform: starke Blutungen bereits nach leichten Ver- letzungen, spontane Blutungen u.a. in Gelenken, Muskeln und Or- Gelenkfehlhaltungen ganen sowie selten im Mund-Nasen-Rachen-Raum Bewegungsauffälligkeiten, seitenungleiche Bewegungen Schonhaltung bei Bewegung des Gelenks Wichtig Muskelblutungen Kinder mit einer Blutgerinnungsstörung haben immer wieder blaue Flecken auch an untypischen Stellen. Das Wenn sich ein Kind angeschlagen oder verletzt hat, können Muskel geschieht häufig ganz spontan und hat nichts mit Kin- blutungen auftreten. Sie tun weh. Außerdem fühlt sich die betroffene desmisshandlung zu tun! Auffällige Blutergüsse können Stelle warm an und schwillt an. Häufig betrifft es Unter- oder Ober- ein Hinweis auf eine Blutung sein. Zeigen Sie diese stets schenkel und den Po sowie die Muskeln im Bauchraum. Ein Hinweis den Eltern. auf eine Muskel- oder Gelenkblutung kann sein, dass das Kind manche Bewegungen vermeidet oder eine Schonhaltung einnimmt. Muskel blutungen müssen schnell behandelt werden, ebenso wie Blutungen Wie erkenne ich Blutungen richtig? unter der Haut. In jedem Fall ist es wichtig, innere und äußere Blutungen rechtzei- tig zu erkennen, damit diese gezielt behandelt werden können. Im Hirnblutungen Folgenden finden Sie die wichtigsten Blutungen im Überblick sowie Blutungen im Gehirn können lebensbedrohlich sein. Bei Verdacht auf wichtige Tipps, wie Sie damit umgehen können: eine Kopfverletzung besteht die Gefahr einer Hirnblutung. Gegebe- nenfalls müssen Kinder über 48 Stunden aufmerksam beobachtet Gelenkblutungen werden. Dazu ist manchmal ein Krankenhausaufenthalt nötig, eine Computertomografie nur selten. Die erste Blutung liegt bei Schulkindern wahrscheinlich schon eine Weile zurück. Gelenkblutungen können nach Stürzen vorkommen 8 9
WAS IST HÄMOPHILIE? Organblutungen: Nierenblutungen und Blutungen der ableitenden Harnwege treten Wichtig oft in Verbindung mit einer Erkältung auf. Also nicht erschrecken, Verdacht auf Hirnblutung: Jetzt muss sofort gehandelt wenn das betroffene Kind berichtet, der Urin sei knallrot. Viel trinken werden. Wie Sie sich in einer solchen Situation verhalten hilft, das Blut rasch auszuspülen. Außerdem muss Faktorkonzentrat müssen, finden Sie im Kapitel »Was tun im Notfall« gegeben werden. Auch im Verdauungstrakt kann es bluten. Das er- (siehe Ausklappkarte). kennt man an sogenannten »Teerstühlen«, die das Blut dunkel färbt. Manchmal zeigen sich die Blutungen auch an blutigem Erbrechen. Hinter Magen- und Darmblutungen stecken auch bei Kindern gele- Weitere Blutungen gentlich Entzündungen, Polypen oder Geschwüre. Deshalb muss im- mer untersucht werden, was die Ursache ist. Außerdem muss Faktor Schleimhautblutungen: gespritzt werden. Blutungen im Mund verheilen grundsätzlich schlechter als andere Verletzungen. Treten diese Blutungen in der Schule auf, sollten die El- tern umgehend informiert werden, damit sie weitere Schritte einleiten Das Hämophiliezentrum: können. Anlaufstelle für optimale Betreuung Ein Schulkind erhält sehr wahrscheinlich bereits seit Jahren eine Wichtig vorbeugende Gabe des fehlenden Blutgerinnungsfaktors – die so genannte Prophylaxe. Dadurch läuft die Blutgerinnung wie- Bei Blutungen am Mundboden oder am Zungengrund der weitgehend normal ab. Damit dies richtig funktioniert, muss besteht Erstickungsgefahr! Sie treten vor allem bei Infek- die Therapie individuell eingestellt werden – eine Aufgabe, die tionen im Mund und im Rachen auf. von spezialisierten Ärzten im Hämophiliezentrum vorgenommen wird. Im Laufe der Zeit lernen hier die Kinder auch unter ärztlicher Aufsicht, das Faktorpräparat richtig aufzulösen und dann selbst Blutungen der Haut: zu injizieren. Wann der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist, Blaue Flecken treten besonders bei Kindern sehr häufig auf. Sie sind wird gemeinsam mit dem betreuenden Zentrum entschieden – meist harmlos, wenn sich dahinter keine Muskelblutung verbirgt. einige Kinder schaffen dies bereits im Alter von neun Jahren selbstständig. Das Hämophiliezentrum stellt auch den Notfallaus- Nasenbluten: weis mit allen wichtigen Informationen aus, damit das Kind bei Wenn Kinder erkältet sind, sich häufig die Nase putzen und die Nasen- Blutungen immer sofort die richtige Behandlung erhält. schleimhäute angegriffen sind, kann es zu Blutungen kommen. Meist kann man Nasenbluten leicht selbst stillen, indem man z. B. Druck auf die Nasenflügel ausübt und Nacken und Nase kühlt. 10 11
Medizinische Fragen Wie häufig kommt es zu Blutungen bei Kindern, die eine Prophylaxe erhalten? Wenn ein Kind regelmäßig Faktor erhält und die Prophylaxe gut auf dessen Bedürfnisse eingestellt ist, sind größere, spontane oder nach kleineren Stürzen stattfindende Blutungen selten. Statistisch betrach- tet tritt ein solches Ereignis weniger als einmal pro Jahr auf. Wichtig Unmittelbar nach der Faktorsubstitution ist das Kind am besten geschützt. Deshalb ist es wichtig, dass ein Kind vor dem Sportunterricht oder Ausflügen eine prophylaktische Gabe erhält. Wie erkennt man, dass ein Kind unter Schmerzen leidet? Im Grundschulalter kann das Kind glücklicherweise äußern, wenn ihm etwas weh tut und wo und wie es gestürzt ist. So können Erwachsene früh erkennen, ob etwa eine Gelenk- oder Muskelblutung droht. Am besten ermutigen Sie das Kind dazu, sich selbst zu beobachten und darüber zu sprechen, wenn es sich nicht gut fühlt. Manchmal fallen Kinder in frühkindliche Verhaltensmuster zurück und projizieren den Schmerz dann, wie früher, in den Bauch. Dieses sogenannte »Regre- dieren« kann auftreten, wenn die Kinder z. B. in der Schule Stress ha- ben oder wenn äußere Einflüsse wie z. B. die Trennung der Eltern, ein neues Geschwisterchen oder ein Umzug sie belasten. »Bauchschmer- zen« sollten also immer ein Anlass sein, der Sache genauer auf den Grund zu gehen. Denn: Wenn der Schmerz nicht richtig behandelt wird, kann er chronisch werden. 13
MEDIZINISCHE FRAGEN zungsträchtiger sind. Dazu gehören etwa Kontaktsportarten wie Fuß- Das Schmerzgedächtnis ball oder Handball. Viele Hämophilieärzte raten von Mannschaftssport- Sind Nervenzellen über längere Zeit Schmerzreizen ausgesetzt, arten ab, da diese sehr körperbetont sind. Wenn das betroffene Kind auf verändern sie sich – und das hat Folgen. Denn das Gehirn kann Mannschaftssport nicht verzichten möchte, empfehlen manche Ärzte sich auch dann an den Schmerz erinnern, wenn die Ursache, Basketball, der deutlich weniger offensiv ist. Auch Kampfsport eignet etwa eine Gelenkblutung, schon längst behoben ist. Dem Kind sich nur bedingt. Generell gilt: Bewegung, die das Gleichgewicht und tut das Gelenk also auch dann weh, wenn es keine Einblutung den Muskelaufbau schult, ist immer gut: Fahrradfahren (mit Helm) ist hat. Um ein solches Schmerzgedächtnis zu vermeiden, sollten also ideal, ebenso wie Tischtennis und Schwimmen. Schmerzen immer behandelt werden. Wichtig Wie lernen Kinder, mit der Hämophiliebehandlung Trainer/innen und Sportlehrer/innen sollten darüber infor- umzugehen? miert sein, dass ein Kind Hämophilie hat. Sie müssen außer- dem die Notfallnummer kennen, um im Falle eines Sturzes Ein langfristiges Ziel der Behandlung ist, dass sich das Kind alleine sprit- oder einer Verletzung schnell Hilfe rufen zu können. zen kann. Daher werden viele Kinder bereits in den ersten Schuljahren von ihren Eltern in die Behandlung und das Spritzen des fehlenden Faktors einbezogen. So lernen sie, eigenständiger mit der Erkrankung umzugehen und sind durch die Prophylaxe für die wachsenden He- Wie kann man möglichst kindgerecht mit dem Thema rausforderungen des Alltags gut gewappnet. Auch gibt es spezielle Schmerz umgehen? Ferienfreizeiten, bei denen die Kinder gemeinsam lernen können, wie sie sich selbst eine Injektion setzen. Sind die Kinder sehr geschickt, kön- Bei Blutungen sollten Sie die Eltern informieren, damit diese bei Be- nen sie sich häufig schon im Alter von sieben bis acht Jahren selbst darf dem Kind Faktorkonzentrat spritzen können. Auch ein Eisbeu- spritzen, allerdings muss dann immer noch ein Erwachsener dabei sein. tel auf der betroffenen Stelle oder bestimmte Schmerzmittel können Die meisten Kinder können sich dann mit etwa 13 Jahren alleine sprit- helfen. Bis die schmerzstillenden Maßnahmen greifen, können die zen. Mit spätestens 16 Jahren sollte jeder Patient dazu in der Lage sein. Betreuer ein Kind seelisch unterstützen. Hilfreich ist es, den Schmerz mit ein paar Sätzen anzuerkennen. Dabei gilt die Regel: Jeder Satz sollte innerlich vom Kind bejaht werden können, z. B.: »Ich weiß, das Welche Sportarten darf das Kind betreiben? tut dir jetzt weh. Es wird auch nicht so schnell aufhören. Aber du weißt ja, wie das beim letzten Mal geklappt hat.« Vielleicht hilft es Alle Experten sind sich einig: Wer über eine gut ausgebildete Muskula- auch, das Kind abzulenken. tur und ein gutes Koordinationsvermögen verfügt, ist wesentlich weni- ger verletzungsanfällig. Beweglichkeit und Gleichgewicht schützen vor Hinfallen. Dennoch gibt es Freizeitaktivitäten, die grundsätzlich verlet- 14 15
Psychologische Wie fördert man die Selbstständigkeit des Kindes am besten? Kinder müssen ihre eigenen Erfahrungen machen dürfen. Selbststän- und soziale Fragen dig mit der Hämophilie umzugehen heißt, verantwortlich für den ei- genen Körper zu sein. Doch wie sollen Sie sich als Lehrer/in verhalten, wenn Kinder sich wiederholt in Gefahr bringen? Je nach Entwick- lungsstand müssen Sie das Kind immer wieder auf Gefahrenquellen aufmerksam machen. In der Schule ist es wichtig, dass das Kind An- sprechpartner hat, denen es vertraut und die über die Hämophilie Be- scheid wissen. Daher sollten Klassen-, Fachlehrer/innen und Betreuer/ innen informiert sein, ebenso wie die besten Freunde. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich alle »Insider« ständig einmischen dürfen. Die Kinder können in diesem Alter normalerweise schon gut selbst ein- schätzen, ob eine Verletzung relevant ist oder nicht. Wichtig Das Kind sollte möglichst selbst bestimmen dürfen, ob die Eltern nach einem kleineren Unfall angerufen werden müssen oder nicht. Auch wenn es vielleicht nicht immer leicht fällt, der Urteilskraft eines Kindes zu trauen, stärken Sie damit eine ganz wichtige Kompetenz: nämlich selbst- bestimmt und verantwortlich mit der Krankheit umzuge- hen. 17
PSYCHOLOGISCHE UND SOZIALE FRAGEN Wie kann man ein Kind bei der Bewältigung seiner Erkrankung stärken? Eine chronische Erkrankung kann ein Kind manchmal mutlos und wü- tend machen. Es merkt, dass es anders ist als andere, dass es unter Um- ständen nicht so viel unternehmen darf und mehr aufpassen muss. Aus diesem Grund kann es sinnvoll sein, wenn das Kind eine Entspan- nungsform erlernt. Viele Studien an erwachsenen Schmerzpatienten deuten darauf hin, dass Entspannungstechniken wie Meditation oder progressive Muskelentspannung besonders wirkungsvoll sind. Sie können den Schmerz zwar nicht mindern, aber die Lebensqualität der Betroffenen deutlich steigern. Denn sie versetzen Menschen in die Lage, ihren Schmerz und ihre Krankheit gelassener zu bewerten. Wer gestresst ist, leidet erst recht an Schmerzen. Für Kinder sind pro- gressive Muskelentspannung nach Jacobson oder eine kindgerechte Form des autogenen Trainings besonders geeignet. Krankenkassen und Volkshochschulen bieten solche Kurse an. Auch das Hämophilie- zentrum kann mit geeigneten Adressen weiterhelfen. Wichtig Wenn Sie als Lehrer/in den Eindruck haben, dass das Kind sich gerade besonders schwertut, mit seiner Krankheit umzugehen, sollten Sie sich an die Eltern wenden. 18 19
Pädagogische Fragen Wie wird dem Kind der Eintritt in die Grundschule erleichtert? Ein neuer Lebensabschnitt beginnt: Eltern und Lehrer/innen können einiges tun, um den Schritt zu erleichtern. Im Lehrerzimmer sollte – nach Absprache mit den Eltern – auf jeden Fall ein Notfallausweis bzw. Informationsblatt (Steckbrief des Kindes) sowie Faktorpräparat hinter- legt werden. Wenn das Kind schon allein zur Schule geht, sollte es im- mer eine Kopie des Notfallausweises bei sich tragen. Wie kann man ein Kind mit Hämophilie bei der Konflikt- bewältigung in der Schule unterstützen? Schule ist für alle Kinder eine Herausforderung, besonders für Jungen – unabhängig davon, ob sie Hämophilie haben oder nicht. Kräfte und Leistungen messen, möglichst keine Schwäche zeigen, cool sein – da- rauf kommt es anfangs oft mehr an als auf die schulische Leistung. Und vermutlich wird auch ein Kind mit Hämophilie mal in eine Schul- hofrangelei verwickelt sein oder Ärger mit Schulkameraden haben. Kommt es zu Konflikten, ist es sinnvoll, nicht sofort überzureagieren. Es ist wichtig, dem Kind zunächst selbst zuzutrauen, die Situation zu bereinigen. Sie sollten darauf achten, dass das Kind gut integriert ist und nicht ausgegrenzt wird. Viele Grundschulen haben Paten für Erstklässler eingeführt. Frühzeitig einen engagierten Paten für das betroffene Kind ausfindig zu machen, kann sehr sinnvoll sein. Der Klassenlehrer bzw. die Klassenlehrerin ist und bleibt aber in jedem Fall eine bedeutsame Bezugsperson. Tipp! In vielen Schulen wird für das erste und vierte Schuljahr ein Selbstbehauptungstraining angeboten. Hier wird mit den Kindergruppen unter anderem geübt, wie sie sich in Konfliktsituationen angemessen verhalten können. 21
PÄDAGOGISCHE FRAGEN Wer sollte in der Schule wie über die Krankheit des Kindes Erkennen Sie frühe Zeichen dafür, dass ein Kind ausgegrenzt wird, informiert sein? können Sie schnell gegensteuern, indem Sie z. B. mit dem/der Mob- ber/in sprechen oder eine Unterrichtsstunde über das Themengebiet Das gesamte pädagogische Team sollte über die Erkrankung des Kin- einbauen. Außerdem gibt es eine ganze Reihe von inzwischen ä ußerst des Bescheid wissen. Am besten besprechen Sie mit den Eltern im erfolgreichen Anti-Mobbing-Trainings (z. B. von den Bremer Psycho- Zuge einer Teamsitzung den Notfallprozess. Bewährt hat es sich, eine logen Prof. Dr. Franz und Ulrike Petermann: »Training mit aggressiven laminierte Notfallkarte (siehe Kapitel »Was tun im Notfall?«) und den Kindern«, Beltz-Verlag, 2005). Einige Psychologen empfehlen Kindern, kopierten Notfallausweis des Kindes z. B. im Schulsekretariat oder im die eher schüchtern und zurückhaltend sind, ein Selbstbewusstseins- Lehrerzimmer zu hinterlegen. Wichtig ist, dass alle Lehrer/innen und training. Manche Trainer kommen auch in die Schule und unterrich- Betreuer/innen wissen, dass das Kind eine Prophylaxe erhält und des- ten die ganze Klasse. halb gut geschützt ist. Eine Klassenfahrt steht an: Was tun, wenn das Kind von anderen ausgegrenzt wird? Wie verhalten sich Lehrerinnen und Lehrer am besten? Jedes dritte Kind wurde Studien zufolge schon einmal in der Schule Bei kürzeren Fahrten genügt es, wenn das Kind am Morgen gespritzt gemobbt. Dabei werden vorzugsweise die Schüler/innen ausgegrenzt, wurde – dann ist es für die nächsten Tage weitgehend geschützt. In je- die anders sind. Ein Kind ist nicht automatisch ein prädestiniertes Op- dem Fall sollten sich die Betreuer/innen Faktorpräparat und den Not- fer, weil es eine Hämophilie hat. Ein Problem besteht allerdings: Es ist fallausweis von den Eltern geben lassen, falls doch ein Problem auftritt. einfach verletzungsanfälliger als andere. Das muss das Kind wissen – und deshalb sollten Sie es auch darauf aufmerksam machen, dass es Die erste längere Klassenfahrt in der Grundschule ist oft der Anlass, Schubsereien und Schlägereien möglichst aus dem Weg geht. Das dass Kinder lernen, sich selbst zu spritzen. Wenn sie diese Fertigkeit kann gerade für Jungs schwierig werden, schließlich messen sie sich gelernt haben, sollten die Lehrer/innen nur noch dafür sorgen, dass jetzt auf dem Schulhof in puncto Kraft und Geschicklichkeit. ein Zimmer mit Tisch zur Verfügung steht und eine erwachsene Per- son des Vertrauens finden, die dem Kind assistieren kann, indem sie ihm beispielsweise Spritzen reicht. Wichtig! Wenn ein Kind psychische Probleme in der Schule hat, kann man sich an den schulpsychologischen Dienst wenden. Adressen von Ansprechpartner/innen erhalten Pädagog/innen über das für ihre Region zuständige Schulamt. 22 23
PÄDAGOGISCHE FRAGEN Wie kann man ein Kind bei längeren Fehlzeiten unterstützen? Im Fall von Fehlzeiten können Schulfreunde das Kind unterstützen, in- dem sie die Hausaufgaben vorbeibringen. Auch ist es gut, den Eltern in regelmäßigen Telefonaten zu berichten, welcher Stoff nachgeholt werden muss und welche Seiten in den Schulbüchern zu bearbei- ten sind. Wenn das Kind die Schule wieder besucht, können intensive mündliche Mitarbeit und extra vereinbarte Referate dafür sorgen, dass das Kind gute mündliche Noten erhält und die Fehlzeit so keinen ne- gativen Einfluss auf die Benotung hat. Welche weiterführende Schule kommt nach der Grundschule infrage? Für ein Kind mit Hämophilie kommen alle weiterführenden Schulen infrage wie für jedes andere Kind auch. Die schulische und berufliche Karriere wird von einer Hämophilie nicht beeinflusst. Ausblick: Die weiterführende Schule Viele ältere Kinder und Jugendliche können schon sehr eigenverant- wortlich mit ihrer Blutgerinnungsstörung umgehen – und das ist auch Soll und darf das Kind am Schulsport teilnehmen? gut so. Mit spätestens 16 Jahren sollte jeder Jugendliche und jede Ju- Normalerweise soll ein Kind mit Hämophilie in jedem Fall am Schul- gendliche sich selbst spritzen können. Dies ist ein wichtiger Schritt, sport teilnehmen. Allerdings ist es wichtig, dass der Sportlehrer stellt allerdings auch eine Herausforderung an Eltern und Betreuer dar. bzw. die Sportlehrerin zuvor in einem Gespräch über ungeeignete So bleiben die typischen Pubertätsprobleme natürlich auch hier nicht Sportarten/Übungen aufgeklärt wurde (siehe Kapitel »Medizinische aus. Studien zeigen, dass die Jugendlichen gerne ab und an mal ver- Fragen«). Damit das Kind gut geschützt ist, sollte das Spritzen am Tag gessen sich zu spritzen. Aufgabe von Eltern und Betreuern ist es daher, des Sportunterrichts stattfinden. Sollte sich ein Kind verletzen, muss dann das richtige Maß an Autonomie und Unterstützung zu fördern. anschließend der Facharzt bzw. die Fachärztin entscheiden, ob das Kind an der nächsten Sportstunde wieder teilnehmen darf oder pau- sieren muss. Aus diesem Grund kann es vorkommen, dass ein Kind ein Attest bekommt und länger nicht zum Sportunterricht erscheint. 24 25
Rechtliche Aspekte Aufsichtspflicht in der Grundschule – das sagt der Gesetzgeber Es gibt keine erhöhte Anforderung an aufsichtspflichtige Personen, wenn Kinder mit Hämophilie beaufsichtigt werden müssen. Die Auf- sichtspflicht besteht aufgrund der Minderjährigkeit sowieso – und nicht aufgrund einer höheren Verletzungsgefahr. Weitere Informationen zum Thema Aufsichtspflicht finden Sie im Internet, z.B. unter: www.aufsichtspflicht.de Das Kind mit Hämophilie in der Schule Normalerweise können fast alle Kinder mit Hämophilie eine Regel- schule auch ohne eine Schulbegleitung besuchen. Für einen klei- nen Teil der Betroffenen wird allerdings die Regelung für Integra- tionshelfer/innen oder Sonder- bzw. Förderschulen relevant, wenn neben der Hämophilie weitere (Folge-) Erkrankungen vorliegen. Gesetzliche Unfallversicherung Die gesetzliche Unfallversicherung gilt selbstverständlich auch an Schulen. Danach sind gesetzlich unfallversichert: angestellte Lehrkräfte und sonstiges Schulpersonal Schülerinnen und Schüler in allgemeinbildenden Schulen in öffentlicher oder freier Trägerschaft gewählte Mitglieder der Gremien der schulischen Mitwir- kung sowie der Gremien auf Kreis- und Landesebene ehrenamtlich für die Schule Tätige 27
Nützliche Adressen / Wichtige Adressen Deutsche Hämophiliegesellschaft (DHG) zur Bekämpfung von Blutungskrankheiten e. V. Internet Bundesgeschäftsstelle Neumann-Reichhart-Str. 34 22041 Hamburg Tel.: 040 / 672 29 70 Fax: 040 / 672 49 44 dhg@dhg.de www.dhg.de (Adressen der Hämophiliezentren der Region: Stichwort »Behandler«) Interessengemeinschaft Hämophiler (IGH e. V.) Wilhelmstr. 2 53604 Bad Honnef Tel.: 02224 / 980 59 88 Fax: 02224 / 980 59 87 mail@igh.info www.igh.info 29
NÜTZLICHE ADRESSEN / INTERNET Nützliche Internetadressen Für allgemeine Gesundheitsinformationen zum Thema Blutgerinnungsstörungen: www.faktorviii.de I nformationsblätter für Kindergarten und Schule: www.faktorviii.de, Menüpunkt »Service« / Schule und Kinder garten rainingsset zum spielerischen Erlernen der Selbst T behandlung: www.faktorviii.de, Menüpunkt »Service« / Bestellcenter Informationen zum Thema Aufsichtspflicht: www.aufsichtspflicht.de Internetseiten der Ministerien: www.bildungsserver.de/Bildungssystem- Deutschland-505.html Informationen zur Einschulung: www.kmk.org Links zu den Schulgesetzen aller Bundesländer: Menüpunkt »Dokumentation, Beschlüsse/Rechtsvorschriften/ Übersicht/Schulgesetze«) Informationen zur Schülerbeförderung in den einzelnen Bundesländern, einschließlich eventueller Sonderrege- lungen für behinderte Schüler: www.busstop.de Österreichische Hämophiliegesellschaft: www.bluter.at Schweizerische Hämophiliegesellschaft: www.shg.ch 30
DIE AUTOREN Dr. med. Wolfgang Eberl Städtisches Klinikum Braunschweig Hämatologie, Onkologie, Hämostaseologie Holwedestr. 16 38118 Braunschweig Dr. med. Carmen Escuriola- Ettingshausen PD Dr. med. Wolfhart Kreuz Hämophilie-Zentrum Rhein-Main Diagnostik, Therapie und Erforschung von Gerinnungsstörungen, Immundefekten und HAE Hessenring 13a, Geb. G DE-64546 Mörfelden Walldorf Dr. med. Cornelia Wermes Werlhof Institut Schillerstr. 23 30159 Hannover 32 33
DER NOTFALLPLAN Bitte tragen Sie hier die Nummer des Notfallhandys ein Behandelnder Arzt Behandlungszentrum Was ist passiert? Das ist zu tun Leichte Stoßverletzungen, Schürf- oder Schnitt- Normale Wundversorgung mit einem Druckverband. wunden ohne langanhaltende Blutungen Eventuell längere Zeit kühlen. Leicht den Kopf angestoßen (kein Erbrechen, Das Kind engmaschig überwachen. Müdigkeit, Schläfrigkeit, Bewusstlosigkeit) Reagiert das Kind auffällig, Notarzt, Eltern und / oder Hämophiliezentrum informieren. Im Zweifel höher dosiert Faktor i.v. spritzen lassen. Ggf. einen Kliniktransport organisieren. Gelenksnahe Verletzungen, Stöße, Schwellungen Die Eltern und/oder das Hämophiliezentrum kontaktieren. So schnell wie möglich Faktor i.v. spritzen lassen. Starkes Kopftrauma und/oder kräftige stumpfe Den Notarzt, Eltern und/oder Hämophiliezentrum Verletzung im Bereich des Brustkorbs oder informieren. Bauchraums (z. B. durch einen festen Tritt oder Sturz, durch starke Gewalteinwirkung) So schnell wie möglich Faktor i.v. spritzen. Einen Kliniktransport möglichst mit ärztlicher Beglei- tung organisieren (das veranlasst der Notarzt). 34 35
DER NOTFALLPLAN Erste Hilfe bei Verletzungen Besondere Vorsicht gilt bei der Angabe von Kopfschmerzen – hier sollte man immer auch an eine Hirnblutung denken. Sie ist zwar selten, kann aber lebensbedrohlich sein und erfordert, dass sofort Wichtig Faktor intravenös gespritzt wird. Nicht bei jeder Verletzung muss der Notarzt gerufen oder das Hämophilizentrum informiert werden. Die Eltern da- Anzeichen für eine Hirnblutung sind: gegen immer! Kopfschmerzen, die anhalten und stärker werden Schmerzen und Steifigkeit im Nacken verschwommenes Sehen, doppeltes Sehen Grundsätzlich gilt Gleichgewichtsstörungen Krämpfe und Krampfanfälle Erste Beurteilung der Situation durch die Übelkeit und Erbrechen Betreuer/innen. Bewusstlosigkeit, auch wenn diese nur kurzfristig eintritt Wo ist die Verletzung und wie schlimm ist sie? Kontaktaufnahme mit den Eltern, die entscheiden, wie es weitergeht. Das muss sichergestellt sein: Blutungen jeder Art müssen so schnell wie möglich gestoppt werden. 1. Eine Kopie des Hämophilieausweises sollte Tritt ein Notfall ein, muss sofort substituiert werden. immer in der Betreuungseinrichtung hinterlegt Erreichen die Betreuungspersonen niemanden, muss der Not- sein. Darin sind alle für den Notfall wichtigen Daten und Befunde eingetragen. arzt das Substitutionsmittel intravenös spritzen. Parallel dazu müssen die Betreuer/innen die Eltern verständigen. 2. Faktor muss immer verfügbar sein. Deshalb sollte in allen Betreuungseinrichtungen des Kindes Faktor hinterlegt werden. 3. Eine Bereitschaftsnummer bzw. die Notfall- handynummer eines Arztes sollte in der Einrichtung für Notfälle hinterlegt sein. Achtung: Das Faktorpräparat muss regelmäßig ausgetauscht werden, bevor es verfällt. Bitte beachten Sie das Verfallsdatum. 36 37
L.DE.SM.11.2013.2076
Sie können auch lesen