Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Augmentation mit individuellen Titangittern Eine Fallserie mit Behandlungsoptionen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Volkmann et al. Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Titangitteraugmentationen Alexander Volkmann, Helmut Hildebrandt, Stephan Große, Amely Hartmann, Keyvan Sagheb, Bilal Al-Nawas Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Augmentation mit individuellen Titangittern Eine Fallserie mit Behandlungsoptionen INDIZES CAD/CAM, Augmentation, Titangitter, Komplikationen, Dehiszenzen, Exposition, Implantat ZUSAMMENFASSUNG Anstelle herkömmlicher Titangitter können für die Rekonstruktion von komplexen Knochende- fekten individuelle CAD/CAM-gefertigte Titangitter verwendet werden. Dieser Ansatz bietet verschiedene Vorteile, wie insbesondere eine einfachere klinische Handhabung und kürzere Ope- rationszeiten. Eine der häufigsten Komplikationen bei der Anwendung von Titangittern ist die weichgewebliche Dehiszenz. Für die weitere Prognose des Knochenaufbaus spielen die Ätiologie und damit einhergehend der Zeitpunkt der Dehiszenzbildung eine entscheidende Rolle. Die vor- liegende Arbeit nimmt eine Klassifikation der Dehiszenzen bei Augmentation mit individuellem Titangitter vor. Dehiszenzen können nach dem Zeitpunkt ihres postoperativen Erscheinens in Frühdehiszenzen (innerhalb der ersten beiden Wochen), mittelfristige Dehiszenzen (zwischen der 3. und 10. postoperativen Woche) und Spätdehiszenzen (ab. der 10. Woche) eingeteilt werden. Entsprechend des Zeitpunkts sowie impliziert entsprechend der Kausalität der Dehiszenzen sollen in dieser Arbeit Empfehlungen für die Therapie und jeweilige Prognoseabschätzungen abgeleitet werden. Manuskripteingang: 17.10.2019; Annahme: 30.10.2019 Einleitung Knochenlagers, vor allem bei großen vertikalen und kombinierten Defekten, eine komplexe Her- Zahnimplantate stellen einen adäquaten Ersatz ausforderung dar6. beim Zahnverlust dar. Sie zeichnen sich durch Zur Beurteilung der klinischen Erfolgswahr- hohe Langzeitüberlebensraten aus1−3. Langzeiter- scheinlichkeit wurden in diesem Zusammenhang folg und Stabilität der Implantate korrelieren dabei die Ergebnisse diverser Augmentationsverfahren direkt mit der Weichgewebesituation, der Kno- histologisch und radiologisch in präklinischen chenqualität sowie der Breite und der Höhe des In-vivo-Untersuchungen sowie in umfangrei- Restknochens an der Implantat-Insertionsstelle4,5. chen klinischen Studien abhängig vom Ort und Sie erfordern in vielen Fällen eine vorherige knö- der Größe des Defekts untersucht7. Vergleichende cherne Augmentation des Implantationslagers. Studien zu unterschiedlichen Augmentations- Trotz der fortschreitenden Entwicklung verschie- techniken existieren kaum. Daher können die dener Augmentationstechniken und -materialien für die unterschiedlichen Augmentationsmetho- stellt die Wiederherstellung eines ausreichenden den typischen Vor- und Nachteile in den jewei- Implantologie 2020;28(1):79–86 79
Volkmann et al. Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Titangitteraugmentationen ligen Indikationen lediglich einzeln aufgezeigt angepassten Gitter möglicherweise die Gingiva werden. Die am besten untersuchten Verfahren beschädigen und somit eine nachfolgende Expo- zum Aufbau des Kieferknochens sind dabei die sition des Gitters provozieren. Auflagerungsplastiken. Diese erfolgen entweder Die CAD/CAM-Technologie bietet Lösungen durch einen Knochenblock oder durch partikuläres an, um einige zentrale Nachteile der herkömmli- Augmentationsmaterial in Kombination mit einem chen Titangitter zu überwinden6. Hierbei werden stabilen Platzhalter6,8. zunächst die Daten des patientenspezifischen Ein seit Langem bewährter und gut untersuch- Knochendefekts mittels Computertomographie ter Platzhalter für den Knochenaufbau mit parti- (CT) oder digitaler Volumentomographie (DVT) kulärem Augmentationsmaterial ist das Titangitter. virtuell visualisiert. In einem anschließenden digi- Initial wurden konfektionierte Titangitter für die talen Workflow kann ein individualisiertes Titan- Rekonstruktion von ossären maxillofazialen Defek- gitter mit einer präzisen Passform für ein vorher ten verwendet. Danach wurde das Einsatzgebiet berechnetes Augmentationsvolumen angefertigt erweitert und die Gitter wurden auch für die Wie- werden18,21. derherstellung von Knochendefekten im Bereich Beim Yxoss CBR (ReOss, Filderstadt, Deutsch- der zahnlosen Kieferkämme eingesetzt9−11. Darü- land) handelt es sich um ein solches 3-D-gedruck- ber hinaus erfolgt der Einsatz von herkömmlichen tes patientenspezifisches Titangerüst. Es wurde als Titangittern zur Augmentation von lokalisierten maßgeschneiderte Lösung zur Behandlung von Alveolarkammdefekten bei gleichzeitiger bzw. Patienten von einfachen bis komplexen Alveo- anschließender Implantatinsertion12−15. larkammdefekten entwickelt und kombiniert die Klinische Studien zeigen hierbei übereinstim- Vorteile von 3-D-Bildgebung, moderner Planungs- mend sehr gute Ergebnisse sowohl für die hori- software und 3-D-Druck. zontale als auch für die vertikale Knochenrekon- Ziel dieser Untersuchung war es, Komplikatio- struktion mit dieser Titangittertechnik14. Auch ein nen dieses Augmentationsverfahrens sowie deren kürzlich durchgeführtes systematisches Review Ursachen zu evaluieren, um adäquate Therapie- legt nahe, dass der Einsatz von Titangittern vielen empfehlungen zur Prävention und zum Manage- anderen Techniken überlegen ist, wenn eine verti- ment solcher Komplikationen geben zu können. kale Augmentation beim Alveolarkamm von mehr als 3,7 mm benötigt wird8. Bei der Verwendung eines formstabilen Git- Material und Methoden ters zur Vergrößerung des Knochenvolumens besteht die Möglichkeit, das osteogene Potential Es erfolgte eine retrospektive monozentrische des Transplantats zu erhöhen, indem autologe Analyse der oben beschriebenen Augmenta Knochenspäne mit partikulärem Knochenersatz- tionsmethode mit CAD/CAM-hergestellten material gemischt werden. Somit entfällt die Not- patientenspezifischen Titangittern. Der Fokus lag wendigkeit für eine Knochenblockentnahme und − auf der Dehiszenzrate, dem zeitlichen Erscheinen damit einhergehend − die zum Teil zeitaufwendige von Dehiszenzen und den möglichen Ursachen. Anpassung der Blöcke an die Defektmorphologie. Dabei wurden die Dehiszenzen − entsprechend Jedoch sind konventionelle Titangitter mit einem ihres chronologischen Erscheinens in der Wund- erhöhten Komplikationsrisiko hinsichtlich Weich- heilungsphase nach Gitterinsertion − in 3 Katego- gewebedehiszenz im Bereich der Augmentations- rien eingeteilt. Dehiszenzen innerhalb der ersten region verbunden8,16−18. Diese Gitter werden in 2 postoperativen Wochen wurden als Frühdehis- Form von planaren Platten geliefert und erfordern zenzen gewertet. Dehiszenzen ab der 3. postope- eine intraoperative, manuell anspruchsvolle und rativen Woche galten als mittelfristige Dehiszen- zeitaufwendige Anpassung entsprechend dem zen und Dehiszenzen ab der 10. postoperativen patientenspezifischen Defekt19,20. Darüber hin- Woche als Spätdehiszenzen. Im Folgenden werden aus können die Ecken und Kanten dieser manuell die Beobachtungen deskriptiv aufgeführt. 80 Implantologie 2020;28(1):79–86
Volkmann et al. Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Titangitteraugmentationen Tab. 1 Übersicht über inserierte Gitter, beobachtete Dehiszenzen, Augmentationsvolumen und Augmentatverluste sowie die Anzahl der geplanten, tatsächlichen und verlustigen Implantate. Patienten Gitter Dehiszenz Frühzeitige Mittelfristige Spätdehiszenz Dehiszenz mit Dehiszenz Dehiszenz Infektion Anzahl gesamt 38 41 15 (36,6) 6 (14,6) 5 (12,2) 4 (9,8) 8 (19,5) (%) Maxilla (%) 11 (28,9) 11 (26,8) 2 (4,9) 0 (0) 0 (0) 2 (4,9) 2 (4,9) Mandibula (%) 27 (71,1) 30 (73,2) 13 (31,7) 6 (14,6) 5 (12,2) 2 (4,9) 6 (14,6) Ø Augmentationsvolumen Ø Verweildauer des Augmentat- Geplante Inserierte Implantat- [mm3] Gitters in situ [d] verluste Implantate Implantate verluste Insgesamt (%) 1402 121 0 (0) 85 85 2 (2,4) Maxilla (%) 1262 109 0 (0) 25 (29,4) 25 (29,4) 2 (2,4) Mandibula (%) 1504 127 0 (0) 60 (70,6) 60 (70,6) 0 (0) Ergebnisse wobei diese sich in allen Fällen nur im Unterkiefer präsentierten (Abb. 1a bis d). Bei 12,2 % der inse- Innerhalb eines Beobachtungszeitraums von rierten Gitter traten lokale Komplikationen im mitt- 1,5 Jahren (Februar 2017 bis Oktober 2018) wur- leren Zeitraum (Abb. 1e bis h) zwischen der 3. bis den 41 Gitter bei 38 Patienten (14 männlich, 24 zur 10. Woche auf (Oberkiefer n = 0; Unterkiefer weiblich) implantiert (Tab. 1). Das Durchschnittsal- n = 5) und bei fast jedem 10. inserierten Gitter ter betrug bei den männlichen Patienten 56,2 ± 9,3 (n = 4) wurde eine späte Dehiszenz beobachtet Jahre und 52,6 ± 13,9 Jahre bei den weiblichen (Abb. 1i bis l). Die Spätdehiszenzen verteilten sich Patienten. 10 Patienten wiesen anamnestisch all- hälftig in 2 im Ober- und 2 im Unterkiefer. gemeine Risikofaktoren auf (Nikotinabusus n = 3, Lokale Schleimhautinfektionen dieser Dehis- Diabetes mellitus n = 2, Z.n. Chemotherapie n = 1, zenzen traten insgesamt gleichermaßen im Ober- medikamentöse Antikoagulation n = 4). (bei 2 von 11 Gittern; 18,8 %) und Unterkiefer (bei Bei der Mehrzahl der Patienten wurden die G itter 6 von 30 Gittern; 20 %) im frühen und mittleren im Unterkiefer (n = 30) augmentiert, in 11 Fällen Stadium auf. erfolgte die Therapie im Oberkiefer. In der Man- Trotz der Dehiszenzen wiesen die augmentier- dibula verblieben die Gitter für durchschnittlich ten Bereiche nach Gitterexplantation eine solide 18 Wochen in situ, wobei ein durchschnittliches ossäre Konsolidierung mit einer Augmentatverlust- Augmentationsvolumen von 1504 mm3 einge- rate von 0 % auf, sodass alle geplanten Implantate bracht und später im Mittel 2 Implantate inseriert inseriert werden konnten. Mit dem Verlust zweier werden konnten. Im Oberkiefer betrug die durch- inserierter Implantate (n = 2; 2,4 %) betrug die schnittliche Tragedauer ca. 15,5 Wochen. Durch- Rate der osseointegrierten Implantate 3 Monate schnittlich erhielten diese Patienten Knochen nach prothetischer Belastung 97,6 %. ersatzmaterial mit einem Volumen von 1108 mm3. Es konnten im Mittel 2,3 Implantate inseriert werden. Diskussion Insgesamt kam es bei 15 der 41 inserierten Gitter (36,6 %) zu Dehiszenzen. Diese traten zu Die Auswertung zeigt, dass sich die Dehiszenzen unterschiedlichen Zeitpunkten auf. Dehiszenzen im hinsichtlich ihrer Kausalität und ihrer Auswirkung Unterkiefer (n = 13 von 30) wurden deutlich häu- auf den Erfolg der Augmentation elementar unter- figer als im Oberkiefer (n = 2 von 11) beobachtet. scheiden. Der Gesamtanteil an Frühdehiszenzen bei den Einen Überblick über die beobachteten Dehis- augmentierten Patienten betrug 14,6 % (n = 6), zenzklassen gibt die Abbildung 2. Implantologie 2020;28(1):79–86 81
Volkmann et al. Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Titangitteraugmentationen a e i b f j c g k d h l Abb. 1a bis l Darstellung der postoperativen röntgenologischen und klinischen Situationen bei Frühdehiszenzen (a–d), mittelfristigen Dehiszenzen (e–h) und Spätdehiszenzen (i–l). Frühe Dehiszenzen etablierten sich direkt post- späte Irritationen und Dehiszenzbildungen ab der operativ im Rahmen der primären Wundheilung 10. Woche. bis hin zur 2. Woche, mittlere wurden im Zeitraum Die frühe Form der Wundheilungsstörung kann zwischen der 3. und 9. Woche beobachtet sowie sowohl iatrogen durch einen insuffizienten Wund- 82 Implantologie 2020;28(1):79–86
Volkmann et al. Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Titangitteraugmentationen Abb. 2 Schema- Dehiszenzzeitpunkt: postoperative Heilungsphase in Wochen tische Darstellung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 der Weichgewebe- dehiszenzen nach Zeitpunkt, mögli- cher Genese und früh Infektionsgrad mit mittel spät entsprechender The- rapieempfehlung. iatrogen mechanisch mechanisch biologisch (Wundverschluss) (Prothesendruckstelle, (Zungendruck, Bolusdruck) (Schwellung) beginnende Weichgewebsschrumpfung) mit Infektion ohne Infektion mit Infektion ohne Infektion mit Infektion ohne Infektion nicht heilend heilend nicht heilend heilend heilt niemals Antibiotikatherapie zwingend notwendig Antibiotikatherapie optional keine Antibiotikatherapie verschluss oder biologisch, beispielsweise auf- Die späten Dehiszenzen entstanden vermut- grund einer ausgeprägten Schwellung, induziert lich durch Weichgewebeschrumpfung oder durch sein. Infiziert sich eine solche frühe Schleimhaut- mechanische Irritation, wie z. B. durch den Zun- dehiszenz, stellt sie ein verhältnismäßig großes gendruck oder die Lagerbelastung durch den Nah- Risiko für den Gesamterfolg dar4, wobei mit einem rungsbolus bei schmerzfreiem Lager. Diese Form Teilverlust des Augmentats an der oralen Seite zu der Wundheilungsstörung hatte bei den betref- rechnen ist. Dieser muss dann in einem Zweitein- fenden Patienten keine entzündliche Charakte- griff, z. B. zur Implantatsetzung, in der Regel durch ristik, heilte jedoch bis zur Gitterentfernung nicht GBR-Technik kompensiert werden. ab. Auch hier war hinsichtlich der ossären Konso- Als etwas unkritischer können Dehiszenzen ab lidierung kein klinisch relevanter negativer Effekt der 3. Woche der Gitterinsertion bewertet wer- festzustellen. den. Diese entstanden bei den hier untersuchten In das nach Gitterexplantation bestehende Fällen aufgrund mechanischer Reizungen durch Knochenangebot konnten alle geplanten Implan- Prothesendruckstellen und/oder aufgrund begin- tate inseriert werden. Die beobachtete Rate der nender Weichgewebeschrumpfung. Sie können osseointegrierten Implantate 3 Monate nach pro- sowohl nicht-infektiös als auch entzündlich sein. thetischer Belastung von 97,6 % spricht für eine Dabei können sich Schleimhaut und Granulati- ähnliche Erfolgsquote wie bei Implantationen ohne onsgewebe partiell erneut unter der Gitterstruktur vorangegangene Augmentationen22−24. ausbilden und einen speicheldichten biologischen Der Erfolg der Implantatosseointegration war Wundverschluss realisieren. Wir bezeichnen dieses durch eine an die Dehiszenzklasse adaptierte The- Phänomen als „submeshtales Creeping“. In die- rapiestrategie möglich. Die gewählten Therapie- sem Zustand geht die Heilung bei entzündungs- optionen lassen sich hinsichtlich der Kausalität freien Verhältnissen ohne signifikanten Verlust des und der Erscheinung der Dehiszenzen unterteilen. Augmentationsvolumens vonstatten. Eine solche Infektiöse Wundheilungsstörungen wurden mit Heilungsform konnte auch in der späten Phase systemischer antibiotischer Therapie über einen der Wundheilung (ab der 10. Woche) verzeichnet Zeitraum von 10 Tagen sowie lokaler Wundtoilette werden. mit CHX-Gel behandelt. Im schlechtesten Fall stellt Implantologie 2020;28(1):79–86 83
Volkmann et al. Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Titangitteraugmentationen eine Revision mit vorzeitiger Gitterentfernung die tuelle Einheilungsstörungen am Implantat, z. B. notwendige therapeutische Konsequenz dar. bedingt durch eine weichgewebevermittelte Dies musste jedoch bei keinem unserer Patienten Restschrumpfung des Knochenlagers. Bei Gitter- durchgeführt werden. Nicht-entzündliche Dehis- explantation kann aufgrund der zumeist starken zenzen wurden insbesondere durch eine Schutz- Adhäsion zwischen Periost und Gitteroberfläche schiene und die Applikation von Solcoseryl akut sowie der verhältnismäßig extendierten Gitter- Paste (Meda Pharma GmbH & Co. KG, Bad Hom- größe ein stärkeres Weichgewebetrauma resul- burg, Deutschland) vor weiterer mechanischer tieren als bei alleiniger Bildung eines Mukoperi- Irritation geschützt. Zudem wurde den Patienten ostlappens, z. B. im Rahmen einer Implantation. ein Diätprogramm mit weicher Kost empfohlen. Da Periostverletzungen, bzw. die temporäre Aus unserer Sicht ist eine Sekundärnaht in keinem knöcherne Denudierung, ossäre Resorptionspro- Stadium der Wundheilungsstörung indiziert oder zesse begünstigen und den signifikanten Abbau zu empfehlen. bedingen25, sollten zunächst das Reattachment Lediglich 4 Patienten wurden aufgrund idealer der Weichgewebe am Knochen und die damit Hart- und Weichgewebesituationen simultan zur einhergehende Restschrumpfung des Augmen- Materialentfernung sicher bone-level-implantiert tats abgewartet werden. Eine solche konserva- (alle in der Mandibula). tive Vorgehensweise sichert das Vorliegen eines Obwohl das bestehende Knochenangebot volumenstabilen sowie vollständig periostgedeck- es zugelassen hätte, wurde bei 37 Patienten die ten und regelrecht ernährten Knochenlagers zum Implantation bewusst in einem separaten Eingriff Zeitpunkt der Implantation. nach der Gitterentfernung durchgeführt. Die Ent- Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass scheidung für die zeitliche Trennung von Material es sich bei der beschriebenen Methode trotz der entfernung und Implantation entstand aus folgen- beobachteten Dehiszenzen um eine sehr effektive den Beobachtungen und Überlegungen: und sichere Technik zur Augmentation vertikaler Kommt es zu einer suffizienten Einheilung und horizontaler Knochendefekte mit vorhersag- des Gitters, bildet sich in den Poren bzw. Öff- barem und sicherem Endergebnis handelt. nungen sowie über den Streben des Gitters eine Art Pseudoperiost aus. Bis zur Entfernung des Gitters ist jedoch nahezu die Hälfte der Ober- Schlussfolgerung flächen durch Titangitterstreben „versiegelt“. Aufgrund der „körperlichen Materialsperre“ des Patientenindividuell hergestellte Titangitter stel- Gitters ist eine angiogenetische Ankopplung von len eine effektive Augmentationsmethode zur Periost in diesen Bereichen während dieser Phase knöchernen Rekonstruktion komplexer ossärer biologisch nicht in vollem Umfang möglich. Bei Defekte mit vorhersagbarem Behandlungserfolg der Materialentfernung wird das Pseudoperiost dar. Durch das individuelle Design ohne umfang- unweigerlich mechanisch verletzt und partiell zer- reiche intraoperative Adaptation der Gitter an rissen. Ein Wiederauflegen des mukogingivalen die Knochenanatomie können die Operationszeit Weichteillappens und des verletzten Periosts auf verkürzt und die postoperative Morbidität redu- das frisch angewachsene Augmentat gestattet ein ziert werden. Im postoperativen Heilungsverlauf vollständiges Anwachsen des Periosts am Trans- treten gehäuft weichgewebliche Dehiszenzen auf. plantatlager. Mögliche Restschrumpfungen des Je nach zeitlichem Erscheinen liegen unterschied- Augmentats können bedenkenlos erfolgen und liche Ursachen zugrunde. Frühe Dehiszenzen tre- abgewartet werden. Es resultiert eine zur späteren ten innerhalb der ersten 2 Wochen als Resultat Implantation verlässliche finale und formstabile von zu starkem Zug auf die Wundränder durch Höhe und Breite des Augmentats. Kombiniert man einen komprimierenden Wundverschluss oder in der Phase der Gitterentfernung die Implanta- eine schwellungsbedingte Volumenzunahme des tion, erhöht sich das potentielle Risiko für even- Wundgebiets auf. Mittlere Dehiszenzen erschei- 84 Implantologie 2020;28(1):79–86
Volkmann et al. Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Titangitteraugmentationen nen zwischen der 3. und 10. postoperativen to augment the maxillary alveolar ridge. Int J Oral Maxil- lofac Surg. 1986;15(3):263−268. Woche. Sie sind durch mechanische Wundirrita- 12. von Arx T, Kurt B. Implant placement and simultaneous tionen aufgrund von Prothesendruckstellen oder peri-implant bone grafting using a micro titanium mesh for graft stabilization. Int J Periodontics Restorative Dent. durch weichgewebliche Schrumpfung bedingt. Die 1998;18(2):117−127. knöcherne Regeneration bei mittleren und späten 13. von Arx T, Kurt B. Implant placement and simultaneous ridge augmentation using autogenous bone and a mic- Dehiszenzen zeigt häufig keine signifikanten quali- ro titanium mesh: a prospective clinical study with 20 tativen Einbußen gegenüber einer Einheilung ohne implants. Clin Oral Implants Res. 1999;10(1):24−33. Dehiszenzen. Die Implantation in die Augmenta- 14. Rasia-dal Polo M, Poli PP, Rancitelli D, Beretta M, Maiora- na C. Alveolar ridge reconstruction with titanium meshes: tionsregion kann synchron zur Gitterexplantation a systematic review of the literature. Med Oral Patol Oral oder zeitversetzt nach einer weiteren knöchernen Cir Bucal. 2014;19(6):e639−646. 15. von Arx T, Hardt N, Wallkamm B. The TIME technique: und periostalen Konsolidierung einige Wochen a new method for localized alveolar ridge augmentation später erfolgen. prior to placement of dental implants. Int J Oral Maxillofac Implants. 1996;11(3):387−394. 16. Bormann KH, Suarez-Cunqueiro MM, von See C, Tavas- sol F, Dissmann JP, Ruecker M, Kokemueller H, Gell- rich NC. Forty sandwich osteotomies in atrophic man- Literatur dibles: a retrospective study. J Oral Maxillofac Surg. 2011;69(6):1562−1570. 1. Moraschini V, Poubel LA, Ferreira VF, Barboza Edos S. 17. Hartmann A, Hildebrandt H, Schmohl JU, Kämmerer PW. Evaluation of survival and success rates of dental implants Evaluation of Risk Parameters in Bone Regeneration Using reported in longitudinal studies with a follow-up period of a Customized Titanium Mesh: Results of a Clinical Study. at least 10 years: a systematic review. Int J Oral Maxillofac Implant Dent. 2019;28(6):543−550. Surg. 2015;44(3):377−88. 18. Seiler M, Kämmerer PW, Peetz M, Hartmann A. Cus- 2. Al-Nawas B, Kämmerer PW, Morbach T, Ladwein C, tomized lattice structure in reconstruction of three- Wegener J, Wagner W. Ten-year retrospective follow-up dimensional alveolar defects. Int J Comput Dent. study of the TiOblast dental implant. Clin Implant Dent 2018;21(3):261−267. Relat Res. 2012;14(1):127−34. 19. Ciocca L, Ragazzini S, Fantini M, Corinaldesi G, Scotti R. 3. Schiegnitz E, Al-Nawas B, Tegner A, Sagheb K, Berres M, Work flow for the prosthetic rehabilitation of atro- Kämmerer PW, Wagner W. Clinical and Radiological phic patients with a minimal-intervention CAD/CAM Long-Term Outcome of a Tapered Implant System with approach. J Prosthet Dent. 2015;114(1):22−26. Special Emphasis on the Influence of Augmentation Pro- 20. Sumida T, Otawa N, Kamata YU, Kamakura S, Mtsus- cedures. Clin Implant Dent Relat Res. 2016;18(4):810−20. hita T, Kitagaki H, Mori S, Sasaki K, Fujibayashi S, Take- 4. Al-Nawas B, Schiegnitz E. Augmentation procedures moto M, Yamaguchi A, Sohmura T, Nakamura T, Mori Y. using bone substitute materials or autogenous bone - a Custom-made titanium devices as membranes for bone systematic review and meta-analysis. Eur J Oral Implantol. augmentation in implant treatment: Clinical application 2014;7(Suppl 2):S219−S234. and the comparison with conventional titanium mesh. 5. Aghaloo TL, Moy PK. Which hard tissue augmentation J Craniomaxillofac Surg. 2015;43(10):2183−2188. techniques are the most successful in furnishing bony 21. Seiler M, Kämmerer PW, Peetz M, Hartmann AG. Cus- support for implant placement? Int J Oral Maxillofac tomized Titanium Lattice Structure in Three-Dimensional Implants. 2007;22(Suppl):49−70. Alveolar Defect: An Initial Case Letter. J Oral Implantol. 6. Sagheb K, Schiegnitz E, Moergel M, Walter C, Al- 2018;44(3):219−224. Nawas B, Wagner W. Clinical outcome of alveolar ridge 22. Bornstein MM, Halbritter S, Harnisch H, Weber HP, augmentation with individualized CAD-CAM-produced Buser D. A retrospective analysis of patients referred for titanium mesh. Int J Implant Dent. 2017;3(1):36. [Epub implant placement to a specialty clinic: indications, sur- ahead of print]. gical procedures, and early failures. Int J Oral Maxillofac 7. Kämmerer PW, Palarie V, Schiegnitz E, Nacu V, Implants. 2008;23(6):1109−1116. Draenert FG, Al-Nawas B. Influence of a collagen mem- 23. Friberg B, Jemt T, Lekholm U. Early failures in 4,641 con- brane and recombinant platelet-derived growth factor on secutively placed Branemark dental implants: a study from vertical bone augmentation in implant-fixed deproteinized stage 1 surgery to the connection of completed prosthe- bovine bone-animal pilot study. Clin Oral Implants Res. ses. Int J Oral Maxillofac Implants. 1991;6(2):142−146. 2013;24(11):1222−1230. 24. Olate S, Lyrio MC, de Moraes M, Mazzonetto R, Morei- 8. Troeltzsch M, Troeltzsch M, Kauffmann P, Gruber R, ra RW. Influence of diameter and length of implant Brockmeyer P, Moser N, Rau A, Schliephake H. Clinical on early dental implant failure. J Oral Maxillofac Surg. efficacy of grafting materials in alveolar ridge augmen- 2010;68(2):414−419. tation: A systematic review. J Craniomaxillofac Surg. 25. Fickl S, Zuhr O, Wachtel H, Bolz W, Huerzeler M. Tissue 2016;44(10):1618−1629. alterations after tooth extraction with and without surgical 9. Boyne PJ. Restoration of osseous defects in maxillofacial trauma: a volumetric study in the beagle dog. J Clin Perio- casualities. J Am Dent Assoc. 1969;78(4):767−776. dontol. 2008;35(4):356−363. 10. Boyne PJ, Cole MD, Stringer D, Shafqat JP. A technique for osseous restoration of deficient edentulous maxillary ridges. J Oral Maxillofac Surg. 1985;43(2):87−91. 11. Gongloff RK, Cole M, Whitlow W, Boyne PJ. Titanium mesh and particulate cancellous bone and marrow grafts Implantologie 2020;28(1):79–86 85
Volkmann et al. Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Titangitteraugmentationen Classification in dehiscence defects in customized titanium mesh supported bone augmentation KEYWORDS CAD/CAM, augmentation, titanium mesh, complication, dehiscence, exposure, implant ABSTRACT Instead of conventional titanium meshes, individual CAD/CAM titanium meshes can be used to reconstruct complex bone defects. This approach offers several advantages, in particular easier clinical handling and shorter surgery duration. One of the most common complications of using titanium meshes are soft tissue dehiscences. In this study, the etiology and consequently the time of dehiscence formation plays a crucial role in the further prognosis of bone composition. This work introduces a classification of dehiscences concerning this augmentation procedure. Recom- mendations for the therapy and a respective prognosis estimate should be derived. Alexander Volkmann Amely Hartmann Dr. med. dent. Dr. med. dent. Facelook Concept Praxis Dr. Seiler und Kollegen Leutragraben 2 Echterdinger Str.7a 07743 Jena 70794 Filderstadt Helmut Hildebrandt Keyvan Sagheb Dr. med. Dr. med. dent. PD Dr. med. Dr. med. dent. Praxis am Mühlenviertel Universitätsmedizin Mainz Leher Heerstraße 77 Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und 28359 Bremen Gesichtschirurgie – plastische Operationen Augustusplatz 2 Stephan Große 55131 Mainz Alexander Volkmann Zahnarzt Facelook Concept Bilal Al-Nawas Leutragraben 2 Prof. Dr. med. Dr. med. dent. 07743 Jena Universitätsmedizin Mainz Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – plastische Operationen Augustusplatz 2 55131 Mainz Korrespondenzadresse: Dr. Alexander Volkmann; E-Mail: volkmann@facelookconcept.de 86 Implantologie 2020;28(1):79–86
Sie können auch lesen