Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Augmentation mit individuellen Titangittern Eine Fallserie mit Behandlungsoptionen

 
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Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Augmentation mit individuellen Titangittern Eine Fallserie mit Behandlungsoptionen
Volkmann et al.      Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Titangitteraugmentationen

Alexander Volkmann, Helmut Hildebrandt, Stephan Große, Amely Hartmann, Keyvan Sagheb,
Bilal Al-Nawas

Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei
Augmentation mit individuellen Titangittern
Eine Fallserie mit Behandlungsoptionen

  INDIZES
  CAD/CAM, Augmentation, Titangitter, Komplikationen, Dehiszenzen, Exposition, Implantat

  ZUSAMMENFASSUNG
  Anstelle herkömmlicher Titangitter können für die Rekonstruktion von komplexen Knochende-
  fekten individuelle CAD/CAM-gefertigte Titangitter verwendet werden. Dieser Ansatz bietet
  verschiedene Vorteile, wie insbesondere eine einfachere klinische Handhabung und kürzere Ope-
  rationszeiten. Eine der häufigsten Komplikationen bei der Anwendung von Titangittern ist die
  weichgewebliche Dehiszenz. Für die weitere Prognose des Knochenaufbaus spielen die Ätiologie
  und damit einhergehend der Zeitpunkt der Dehiszenzbildung eine entscheidende Rolle. Die vor-
  liegende Arbeit nimmt eine Klassifikation der Dehiszenzen bei Augmentation mit individuellem
  Titangitter vor. Dehiszenzen können nach dem Zeitpunkt ihres postoperativen Erscheinens in
  Frühdehiszenzen (innerhalb der ersten beiden Wochen), mittelfristige Dehiszenzen (zwischen der
  3. und 10. postoperativen Woche) und Spätdehiszenzen (ab. der 10. Woche) eingeteilt werden.
  Entsprechend des Zeitpunkts sowie impliziert entsprechend der Kausalität der Dehiszenzen sollen
  in dieser Arbeit Empfehlungen für die Therapie und jeweilige Prognoseabschätzungen abgeleitet
  werden.

  Manuskripteingang: 17.10.2019; Annahme: 30.10.2019

Einleitung                                             Knochenlagers, vor allem bei großen vertikalen
                                                       und kombinierten Defekten, eine komplexe Her-
Zahnimplantate stellen einen adäquaten Ersatz          ausforderung dar6.
beim Zahnverlust dar. Sie zeichnen sich durch              Zur Beurteilung der klinischen Erfolgswahr-
hohe Langzeitüberlebensraten aus1−3. Langzeiter-       scheinlichkeit wurden in diesem Zusammenhang
folg und Stabilität der Implantate korrelieren dabei   die Ergebnisse diverser Augmentationsverfahren
direkt mit der Weichgewebesituation, der Kno-          histologisch und radiologisch in präklinischen
chenqualität sowie der Breite und der Höhe des         In-vivo-Untersuchungen sowie in umfangrei-
Restknochens an der Implantat-Insertionsstelle4,5.     chen klinischen Studien abhängig vom Ort und
Sie erfordern in vielen Fällen eine vorherige knö-     der Größe des Defekts untersucht7. Vergleichende
cherne Augmentation des Implantationslagers.           Studien zu unterschiedlichen Augmentations-
Trotz der fortschreitenden Entwicklung verschie-       techniken existieren kaum. Daher können die
dener Augmentationstechniken und -materialien          für die unterschiedlichen Augmentationsmetho-
stellt die Wiederherstellung eines ausreichenden       den typischen Vor- und Nachteile in den jewei-

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                  ligen Indikationen lediglich einzeln aufgezeigt       angepassten Gitter möglicherweise die Gingiva
                  werden. Die am besten untersuchten Verfahren          beschädigen und somit eine nachfolgende Expo-
                  zum Aufbau des Kieferknochens sind dabei die          sition des Gitters provozieren.
                  Auflagerungsplastiken. Diese erfolgen entweder            Die CAD/CAM-Technologie bietet Lösungen
                  durch einen Knochenblock oder durch partikuläres      an, um einige zentrale Nachteile der herkömmli-
                  Augmentations­material in Kombination mit einem       chen Titangitter zu überwinden6. Hierbei werden
                  stabilen Platzhalter6,8.                              zunächst die Daten des patientenspezifischen
                      Ein seit Langem bewährter und gut untersuch-      Knochendefekts mittels Computertomographie
                  ter Platzhalter für den Knochenaufbau mit parti-      (CT) oder digitaler Volumentomographie (DVT)
                  kulärem Augmentationsmaterial ist das Titangitter.    virtuell visualisiert. In einem anschließenden digi-
                  Initial wurden konfektionierte Titangitter für die    talen Workflow kann ein individualisiertes Titan-
                  Rekonstruktion von ossären maxillofazialen Defek-     gitter mit einer präzisen Passform für ein vorher
                  ten verwendet. Danach wurde das Einsatzgebiet         berechnetes Augmentationsvolumen angefertigt
                  erweitert und die Gitter wurden auch für die Wie-     werden18,21.
                  derherstellung von Knochendefekten im Bereich             Beim Yxoss CBR (ReOss, Filderstadt, Deutsch-
                  der zahnlosen Kieferkämme eingesetzt9−11. Darü-       land) handelt es sich um ein solches 3-D-gedruck-
                  ber hinaus erfolgt der Einsatz von herkömmlichen      tes patientenspezifisches Titangerüst. Es wurde als
                  Titangittern zur Augmentation von lokalisierten       maßgeschneiderte Lösung zur Behandlung von
                  Alveolarkammdefekten bei gleichzeitiger bzw.          Patienten von einfachen bis komplexen Alveo-
                  anschließender Implantatinsertion12−15.               larkammdefekten entwickelt und kombiniert die
                      Klinische Studien zeigen hierbei übereinstim-     Vorteile von 3-D-Bildgebung, moderner Planungs-
                  mend sehr gute Ergebnisse sowohl für die hori-        software und 3-D-Druck.
                  zontale als auch für die vertikale Knochenrekon-          Ziel dieser Untersuchung war es, Komplikatio-
                  struktion mit dieser Titangittertechnik14. Auch ein   nen dieses Augmentationsverfahrens sowie deren
                  kürzlich durchgeführtes systematisches Review         Ursachen zu evaluieren, um adäquate Therapie-
                  legt nahe, dass der Einsatz von Titangittern vielen   empfehlungen zur Prävention und zum Manage-
                  anderen Techniken überlegen ist, wenn eine verti-     ment solcher Komplikationen geben zu können.
                  kale Augmentation beim Alveolarkamm von mehr
                  als 3,7 mm benötigt wird8.
                      Bei der Verwendung eines formstabilen Git-        Material und Methoden
                  ters zur Vergrößerung des Knochenvolumens
                  besteht die Möglichkeit, das osteogene Potential      Es erfolgte eine retrospektive monozentrische
                  des Transplantats zu erhöhen, indem autologe          Analyse der oben beschriebenen Augmenta­
                  Knochenspäne mit partikulärem Knochenersatz-          tionsmethode mit CAD/CAM-hergestellten
                  material gemischt werden. Somit entfällt die Not-     pa­tientenspezifischen Titangittern. Der Fokus lag
                  wendigkeit für eine Knochenblockentnahme und −        auf der Dehiszenzrate, dem zeitlichen Erscheinen
                  damit einhergehend − die zum Teil zeitaufwendige      von Dehiszenzen und den möglichen Ursachen.
                  Anpassung der Blöcke an die Defektmorphologie.        Dabei wurden die Dehiszenzen − entsprechend
                  Jedoch sind konventionelle Titangitter mit einem      ihres chronologischen Erscheinens in der Wund-
                  erhöhten Komplikationsrisiko hinsichtlich Weich-      heilungsphase nach Gitterinsertion − in 3 Katego-
                  gewebedehiszenz im Bereich der Augmentations-         rien eingeteilt. Dehiszenzen innerhalb der ersten
                  region verbunden8,16−18. Diese Gitter werden in       2 postoperativen Wochen wurden als Frühdehis-
                  Form von planaren Platten geliefert und erfordern     zenzen gewertet. Dehiszenzen ab der 3. postope-
                  eine intraoperative, manuell anspruchsvolle und       rativen Woche galten als mittelfristige Dehiszen-
                  zeitaufwendige Anpassung entsprechend dem             zen und Dehiszenzen ab der 10. postoperativen
                  patientenspezifischen Defekt19,20. Darüber hin-       Woche als Spätdehiszenzen. Im Folgenden werden
                  aus können die Ecken und Kanten dieser manuell        die Beobachtungen deskriptiv aufgeführt.

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Volkmann et al.        Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Titangitteraugmentationen

Tab. 1   Übersicht über inserierte Gitter, beobachtete Dehiszenzen, Augmentationsvolumen und Augmentatverluste sowie die Anzahl der geplanten,
tatsächlichen und verlustigen Implantate.

                      Patienten           Gitter          Dehiszenz           Frühzeitige     Mittelfristige   Spätdehiszenz   Dehiszenz mit
                                                                              Dehiszenz        Dehiszenz                         Infektion
 Anzahl gesamt            38                41             15 (36,6)            6 (14,6)         5 (12,2)         4 (9,8)          8 (19,5)
 (%)
 Maxilla (%)          11 (28,9)          11 (26,8)          2 (4,9)               0 (0)           0 (0)           2 (4,9)          2 (4,9)
 Mandibula (%)        27 (71,1)          30 (73,2)         13 (31,7)            6 (14,6)         5 (12,2)         2 (4,9)          6 (14,6)
                      Ø Augmentationsvolumen         Ø Verweildauer des       Augmentat-        Geplante         Inserierte      Implantat-
                             [mm3]                    Gitters in situ [d]      verluste        Implantate       Implantate        verluste
 Insgesamt (%)                    1402                        121                 0 (0)            85               85             2 (2,4)
 Maxilla (%)                      1262                        109                 0 (0)         25 (29,4)        25 (29,4)         2 (2,4)
 Mandibula (%)                    1504                        127                 0 (0)         60 (70,6)        60 (70,6)          0 (0)

Ergebnisse                                                   wobei diese sich in allen Fällen nur im Unterkiefer
                                                             präsentierten (Abb. 1a bis d). Bei 12,2 % der inse-
 Innerhalb eines Beobachtungszeitraums von                   rierten Gitter traten lokale Komplikationen im mitt-
 1,5 Jah­ren (Februar 2017 bis Oktober 2018) wur-            leren Zeitraum (Abb. 1e bis h) zwischen der 3. bis
 den 41 Gitter bei 38 Patienten (14 männlich, 24             zur 10. Woche auf (Oberkiefer n = 0; Unterkiefer
 weiblich) implantiert (Tab. 1). Das Durchschnittsal-        n = 5) und bei fast jedem 10. inserierten Gitter
 ter betrug bei den männlichen Patienten 56,2 ± 9,3          (n = 4) wurde eine späte Dehiszenz beobachtet
 Jahre und 52,6 ± 13,9 Jahre bei den weiblichen              (Abb. 1i bis l). Die Spätdehiszenzen verteilten sich
 Patienten. 10 Patienten wiesen anamnestisch all-            hälftig in 2 im Ober- und 2 im Unterkiefer.
 gemeine Risikofaktoren auf (Nikotin­abusus n = 3,               Lokale Schleimhautinfektionen dieser Dehis-
 Diabetes mellitus n = 2, Z.n. Chemotherapie n = 1,          zenzen traten insgesamt gleichermaßen im Ober-
medikamentöse Antikoagulation n = 4).                        (bei 2 von 11 Gittern; 18,8 %) und Unterkiefer (bei
     Bei der Mehrzahl der Patienten wurden die G
                                               ­ itter       6 von 30 Gittern; 20 %) im frühen und mittleren
im Unterkiefer (n = 30) augmentiert, in 11 Fällen            Stadium auf.
erfolgte die Therapie im Oberkiefer. In der Man-                 Trotz der Dehiszenzen wiesen die augmentier-
dibula verblieben die Gitter für durchschnittlich            ten Bereiche nach Gitterexplantation eine solide
18 Wochen in situ, wobei ein durchschnittliches              ossäre Konsolidierung mit einer Augmentatverlust-
Augmentationsvolumen von 1504 mm3 einge-                     rate von 0 % auf, sodass alle geplanten Implantate
bracht und später im Mittel 2 Implantate inseriert           inseriert werden konnten. Mit dem Verlust zweier
werden konnten. Im Oberkiefer betrug die durch-              inserierter Implantate (n = 2; 2,4 %) betrug die
schnittliche Tragedauer ca. 15,5 Wochen. Durch-              Rate der osseointegrierten Implantate 3 Monate
schnittlich erhielten diese Patienten Knochen­               nach prothetischer Belastung 97,6 %.
ersatzmaterial mit einem Volumen von 1108 mm3.
Es konnten im Mittel 2,3 Implantate inseriert
­werden.                                                     Diskussion
     Insgesamt kam es bei 15 der 41 inserierten
 Gitter (36,6 %) zu Dehiszenzen. Diese traten zu             Die Auswertung zeigt, dass sich die Dehiszenzen
 unterschiedlichen Zeitpunkten auf. Dehiszenzen im           hinsichtlich ihrer Kausalität und ihrer Auswirkung
 Unterkiefer (n = 13 von 30) wurden deutlich häu-            auf den Erfolg der Augmentation elementar unter-
 figer als im Oberkiefer (n = 2 von 11) beobachtet.          scheiden.
     Der Gesamtanteil an Frühdehiszenzen bei den                Einen Überblick über die beobachteten Dehis-
 augmentierten Patienten betrug 14,6 % (n = 6),              zenzklassen gibt die Abbildung 2.

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 a                                                 e                                                  i

b                                                   f                                                 j

 c                                                 g                                                  k

d                                                  h                                                  l

Abb. 1a bis l   Darstellung der postoperativen röntgenologischen und klinischen Situationen bei Frühdehiszenzen (a–d), mittelfristigen Dehiszenzen
(e–h) und Spätdehiszenzen (i–l).

                           Frühe Dehiszenzen etablierten sich direkt post-              späte Irritationen und Dehiszenzbildungen ab der
                       operativ im Rahmen der primären Wundheilung                      10. Woche.
                       bis hin zur 2. Woche, mittlere wurden im Zeitraum                   Die frühe Form der Wundheilungsstörung kann
                       zwischen der 3. und 9. Woche beobachtet sowie                    sowohl iatrogen durch einen insuffizienten Wund-

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   Dehiszenzzeitpunkt: postoperative Heilungsphase in Wochen                                                                              tische Darstellung
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                                                                                                                                          dehiszenzen nach
                                                                                                                                          Zeitpunkt, mögli-
                                                                                                                                          cher Genese und
                       früh                                                                                                               Infektionsgrad mit
                                                                mittel                                             spät
                                                                                                                                          entsprechender The-
                                                                                                                                          rapieempfehlung.

          iatrogen                                          mechanisch                                     mechanisch
                                 biologisch
      (­Wundverschluss)                                (Prothesendruckstelle,                        (Zungendruck, Bolusdruck)
                               (Schwellung)
                                               beginnende Weichgewebsschrumpfung)

      mit Infektion           ohne Infektion      mit Infektion          ohne Infektion           mit Infektion      ohne Infektion

       nicht heilend             heilend           nicht heilend             heilend                         heilt niemals

              Antibiotikatherapie zwingend notwendig               Antibiotikatherapie optional               keine Antibiotikatherapie

verschluss oder biologisch, beispielsweise auf-                               Die späten Dehiszenzen entstanden vermut-
grund einer ausgeprägten Schwellung, induziert                           lich durch Weichgewebeschrumpfung oder durch
sein. Infiziert sich eine solche frühe Schleimhaut-                      mechanische Irritation, wie z. B. durch den Zun-
dehiszenz, stellt sie ein verhältnismäßig großes                         gendruck oder die Lagerbelastung durch den Nah-
Risiko für den Gesamterfolg dar4, wobei mit einem                        rungsbolus bei schmerzfreiem Lager. Diese Form
Teilverlust des Augmentats an der oralen Seite zu                        der Wundheilungsstörung hatte bei den betref-
rechnen ist. Dieser muss dann in einem Zweitein-                         fenden Patienten keine entzündliche Charakte-
griff, z. B. zur Implantatsetzung, in der Regel durch                    ristik, heilte jedoch bis zur Gitterentfernung nicht
GBR-Technik kompensiert werden.                                          ab. Auch hier war hinsichtlich der ossären Konso-
    Als etwas unkritischer können Dehiszenzen ab                         lidierung kein klinisch relevanter negativer Effekt
der 3. Woche der Gitterinsertion bewertet wer-                           festzustellen.
den. Diese entstanden bei den hier untersuchten                               In das nach Gitterexplantation bestehende
Fällen aufgrund mechanischer Reizungen durch                             Knochenangebot konnten alle geplanten Implan-
Prothesendruckstellen und/oder aufgrund begin-                           tate inseriert werden. Die beobachtete Rate der
nender Weichgewebeschrumpfung. Sie können                                osseointegrierten Implantate 3 Monate nach pro-
sowohl nicht-infektiös als auch entzündlich sein.                        thetischer Belastung von 97,6 % spricht für eine
Dabei können sich Schleimhaut und Granulati-                             ähnliche Erfolgsquote wie bei Implantationen ohne
onsgewebe partiell erneut unter der Gitterstruktur                       vorangegangene Augmentationen22−24.
ausbilden und einen speicheldichten biologischen                              Der Erfolg der Implantatosseointegration war
Wundverschluss realisieren. Wir bezeichnen dieses                        durch eine an die Dehiszenzklasse adaptierte The-
Phänomen als „submeshtales Creeping“. In die-                            rapiestrategie möglich. Die gewählten Therapie-
sem Zustand geht die Heilung bei entzündungs-                            optionen lassen sich hinsichtlich der Kausalität
freien Verhältnissen ohne signifikanten Verlust des                      und der Erscheinung der Dehiszenzen unterteilen.
Augmentationsvolumens vonstatten. Eine solche                            Infektiöse Wundheilungsstörungen wurden mit
Heilungsform konnte auch in der späten Phase                             systemischer antibiotischer Therapie über einen
der Wundheilung (ab der 10. Woche) verzeichnet                           Zeitraum von 10 Tagen sowie lokaler Wundtoilette
werden.                                                                  mit CHX-Gel behandelt. Im schlechtesten Fall stellt

Implantologie 2020;28(1):79–86                                                                                                                           83
Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Augmentation mit individuellen Titangittern Eine Fallserie mit Behandlungsoptionen
Volkmann et al.   Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Titangitteraugmentationen

                  eine Revision mit vorzeitiger Gitterentfernung die   tuelle Einheilungsstörungen am Implantat, z. B.
                  notwendige therapeutische Konsequenz dar.            bedingt durch eine weichgewebevermittelte
                  Dies musste jedoch bei keinem unserer Patienten      Restschrumpfung des Knochenlagers. Bei Gitter-
                  durchgeführt werden. Nicht-entzündliche Dehis-       explantation kann aufgrund der zumeist starken
                  zenzen wurden insbesondere durch eine Schutz-        Adhäsion zwischen Periost und Gitteroberfläche
                  schiene und die Applikation von Solcoseryl akut      sowie der verhältnismäßig extendierten Gitter-
                  Paste (Meda Pharma GmbH & Co. KG, Bad Hom-           größe ein stärkeres Weichgewebetrauma resul-
                  burg, Deutschland) vor weiterer mechanischer         tieren als bei alleiniger Bildung eines Mukoperi-
                  Irritation geschützt. Zudem wurde den Patienten      ostlappens, z. B. im Rahmen einer Implantation.
                  ein Diätprogramm mit weicher Kost empfohlen.         Da Periostverletzungen, bzw. die temporäre
                  Aus unserer Sicht ist eine Sekundärnaht in keinem    knöcherne Denudierung, ossäre Resorptionspro-
                  Stadium der Wundheilungsstörung indiziert oder       zesse begünstigen und den signifikanten Abbau
                  zu empfehlen.                                        bedingen25, sollten zunächst das Reattachment
                       Lediglich 4 Patienten wurden aufgrund idealer   der Weichgewebe am Knochen und die damit
                  Hart- und Weichgewebesituationen simultan zur        einhergehende Restschrumpfung des Augmen-
                  Materialentfernung sicher bone-level-implantiert     tats abgewartet werden. Eine solche konserva-
                  (alle in der Mandibula).                             tive Vorgehensweise sichert das Vorliegen eines
                       Obwohl das bestehende Knochenangebot            volumenstabilen sowie vollständig periostgedeck-
                  es zugelassen hätte, wurde bei 37 Patienten die      ten und regelrecht ernährten Knochenlagers zum
                  Implantation bewusst in einem separaten Eingriff     Zeitpunkt der Implantation.
                  nach der Gitterentfernung durchgeführt. Die Ent-         Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass
                  scheidung für die zeitliche Trennung von Material­   es sich bei der beschriebenen Methode trotz der
                  entfernung und Implantation entstand aus folgen-     beobachteten Dehiszenzen um eine sehr effektive
                  den Beobachtungen und Überlegungen:                  und sichere Technik zur Augmentation vertikaler
                       Kommt es zu einer suffizienten Einheilung       und horizontaler Knochendefekte mit vorhersag-
                  des Gitters, bildet sich in den Poren bzw. Öff-      barem und sicherem Endergebnis handelt.
                  nungen sowie über den Streben des Gitters eine
                  Art Pseudoperiost aus. Bis zur Entfernung des
                  Gitters ist jedoch nahezu die Hälfte der Ober-       Schlussfolgerung
                  flächen durch Titangitterstreben „versiegelt“.
                  Aufgrund der „körperlichen Materialsperre“ des       Patientenindividuell hergestellte Titangitter stel-
                  Gitters ist eine angiogenetische Ankopplung von      len eine effektive Augmentationsmethode zur
                  Periost in diesen Bereichen während dieser Phase     knöchernen Rekonstruktion komplexer ossärer
                  biologisch nicht in vollem Umfang möglich. Bei       Defekte mit vorhersagbarem Behandlungserfolg
                  der Materialentfernung wird das Pseudoperiost        dar. Durch das individuelle Design ohne umfang-
                  unweigerlich mechanisch verletzt und partiell zer-   reiche intraoperative Adaptation der Gitter an
                  rissen. Ein Wiederauflegen des mukogingivalen        die Knochenanatomie können die Operationszeit
                  Weichteillappens und des verletzten Periosts auf     verkürzt und die postoperative Morbidität redu-
                  das frisch angewachsene Augmentat gestattet ein      ziert werden. Im postoperativen Heilungsverlauf
                  vollständiges Anwachsen des Periosts am Trans-       treten gehäuft weichgewebliche Dehiszenzen auf.
                  plantatlager. Mögliche Restschrumpfungen des         Je nach zeitlichem Erscheinen liegen unterschied-
                  Augmentats können bedenkenlos erfolgen und           liche Ursachen zugrunde. Frühe Dehiszenzen tre-
                  abgewartet werden. Es resultiert eine zur späteren   ten innerhalb der ersten 2 Wochen als Resultat
                  Implantation verlässliche finale und formstabile     von zu starkem Zug auf die Wundränder durch
                  Höhe und Breite des Augmentats. Kombiniert man       einen komprimierenden Wundverschluss oder
                  in der Phase der Gitterentfernung die Implanta-      eine schwellungsbedingte Volumenzunahme des
                  tion, erhöht sich das potentielle Risiko für even-   Wundgebiets auf. Mittlere Dehiszenzen erschei-

84                                                                                        Implantologie 2020;28(1):79–86
Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Augmentation mit individuellen Titangittern Eine Fallserie mit Behandlungsoptionen
Volkmann et al.           Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Titangitteraugmentationen

nen zwischen der 3. und 10. postoperativen                                to augment the maxillary alveolar ridge. Int J Oral Maxil-
                                                                          lofac Surg. 1986;15(3):263−268.
Woche. Sie sind durch mechanische Wundirrita-                       12.   von Arx T, Kurt B. Implant placement and simultaneous
tionen aufgrund von Prothesendruckstellen oder                            peri-implant bone grafting using a micro titanium mesh
                                                                          for graft stabilization. Int J Periodontics Restorative Dent.
durch weichgewebliche Schrumpfung bedingt. Die                            1998;18(2):117−127.
knöcherne Regeneration bei mittleren und späten                     13.   von Arx T, Kurt B. Implant placement and simultaneous
                                                                          ridge augmentation using autogenous bone and a mic-
Dehiszenzen zeigt häufig keine signifikanten quali-                       ro titanium mesh: a prospective clinical study with 20
tativen Einbußen gegenüber einer Einheilung ohne                          implants. Clin Oral Implants Res. 1999;10(1):24−33.
Dehiszenzen. Die Implantation in die Augmenta-                      14.   Rasia-dal Polo M, Poli PP, Rancitelli D, Beretta M, Maiora-
                                                                          na C. Alveolar ridge reconstruction with titanium meshes:
tionsregion kann synchron zur Gitterexplantation                          a systematic review of the literature. Med Oral Patol Oral
oder zeitversetzt nach einer weiteren knöchernen                          Cir Bucal. 2014;19(6):e639−646.
                                                                    15.   von Arx T, Hardt N, Wallkamm B. The TIME technique:
und periostalen Konsolidierung einige Wochen                              a new method for localized alveolar ridge augmentation
später erfolgen.                                                          prior to placement of dental implants. Int J Oral Maxillofac
                                                                          Implants. 1996;11(3):387−394.
                                                                    16.   Bormann KH, Suarez-Cunqueiro MM, von See C, Tavas-
                                                                          sol F, Dissmann JP, Ruecker M, Kokemueller H, Gell-
                                                                          rich NC. Forty sandwich osteotomies in atrophic man-
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Implantologie 2020;28(1):79–86                                                                                                            85
Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Augmentation mit individuellen Titangittern Eine Fallserie mit Behandlungsoptionen
Volkmann et al.   Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Titangitteraugmentationen

                   Classification in dehiscence defects in customized titanium mesh
                   supported bone augmentation

                   KEYWORDS
                   CAD/CAM, augmentation, titanium mesh, complication, dehiscence, exposure, implant

                   ABSTRACT
                   Instead of conventional titanium meshes, individual CAD/CAM titanium meshes can be used to
                   reconstruct complex bone defects. This approach offers several advantages, in particular easier
                   clinical handling and shorter surgery duration. One of the most common complications of using
                   titanium meshes are soft tissue dehiscences. In this study, the etiology and consequently the time
                   of dehiscence formation plays a crucial role in the further prognosis of bone composition. This
                   work introduces a classification of dehiscences concerning this augmentation procedure. Recom-
                   mendations for the therapy and a respective prognosis estimate should be derived.

                                                Alexander Volkmann               Amely Hartmann
                                                Dr. med. dent.                   Dr. med. dent.
                                                Facelook Concept                 Praxis Dr. Seiler und Kollegen
                                                Leutragraben 2                   Echterdinger Str.7a
                                                07743 Jena                       70794 Filderstadt

                                                Helmut Hildebrandt               Keyvan Sagheb
                                                Dr. med. Dr. med. dent.          PD Dr. med. Dr. med. dent.
                                                Praxis am Mühlenviertel          Universitätsmedizin Mainz
                                                Leher Heerstraße 77              Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und
                                                28359 Bremen                     Gesichtschirurgie – plastische Operationen
                                                                                 Augustusplatz 2
                                                Stephan Große                    55131 Mainz
                   Alexander Volkmann           Zahnarzt
                                                Facelook Concept                 Bilal Al-Nawas
                                                Leutragraben 2                   Prof. Dr. med. Dr. med. dent.
                                                07743 Jena                       Universitätsmedizin Mainz
                                                                                 Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und
                                                                                 Gesichtschirurgie – plastische Operationen
                                                                                 Augustusplatz 2
                                                                                 55131 Mainz

                   Korrespondenzadresse:
                   Dr. Alexander Volkmann; E-Mail: volkmann@facelookconcept.de

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Klassifikation von Dehiszenzdefekten bei Augmentation mit individuellen Titangittern Eine Fallserie mit Behandlungsoptionen
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