Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext
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Was ist der Maßregelvollzug (MRV)? 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
MRV-Auftrag 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Schuldfähigkeit (§§ 20/21 StGB) Aufhebung (§ 20 StGB) oder Verminderung (§ 21 StGB) der Schuldfähigkeit Eingangsmerkmale – krankhafte seelische Störung – tiefgreifende Bewusstseinsstörung – Schwachsinn – schwere andere seelische Abartigkeit Funktionsbeeinträchtigungen – Einsichtsfähigkeit – Steuerungsfähigkeit 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Krankheitsmodelle (Nach Endres & Schwanenegel, 2015) Juristisch: „Das juristische Modell hingegen unterstellt, dass ein Mensch eine Norm bricht, obwohl er auch imstande wäre, sie einzuhalten; er verstößt also absichtlich oder fahrlässig, jedenfalls schuldhaft gegen seine Pflichten und wird dafür „zur Verantwortung gezogen“. Es wird angenommen, dass das Androhen und Verhängen von Strafen dazu führt, dass Normen besser eingehalten werden.“ 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Krankheitsmodelle (Nach Endres & Schwanenegel, 2015) Psychopathologisch: „Das psychopathologische Modell sieht die Verletzung sozialer Normen nach dem Vorbild einer Krankheit: Ein Mensch ist nicht imstande, seine sozialen Verpflichtungen zu erfüllen, weil sein Organismus nicht richtig funktioniert. Es gilt deshalb, die in seiner Person (oder auch in seinen Lebensumständen und seiner Umgebung) liegenden Ursachen dafür zu identifizieren und sie entweder zu beseitigen oder durch geeignete Maßnahmen zu kompensieren.“ 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Schuldfähigkeit (§§ 20/21 StGB) • Störung liegt bei Begehung der Tat vor • Zusammenhang zwischen Störung und Tat • Täter ist infolge seiner Störung – nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder – nach dieser Einsicht zu handeln 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 63 StGB • überdauernde psychische Erkrankung bzw. Störung • sicher festgestellte verminderte oder aufgehobene Schuldfähigkeit • erhebliche Straftat (mind. mittelschwere Kriminalität) in Zukunft zu erwarten • fortbestehende erhebliche Allgemeingefährlichkeit 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Durchführung der Unterbringung nach § 63 StGB • Zeitlich unbefristet • Jährliche Anhörungen durch die Strafvollstreckungskammer • Aussetzung zur Bewährung, wenn zu erwarten ist, dass keine rechtswidrigen Taten mehr begangen werden 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Forensik Herne Überblick 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Untergebrachte nach Rechtsgrundlage Herne: Patienten zum 31.12.2020 nach Rechtsgrundlage §64 StGB; 2; 2% §126a StPO; 5; 4% §63 StGB; 110; 94% 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Untergebrachte nach Alter Herne: Patienten (ohne 126a StPO) zum 31.12.2020 nach Altersgruppe 40 35 34 30 27 25 23 20 15 10 9 9 7 5 3 0 21-24 J. 25-29 J. 30-39 J. 40-49 J. 50-59 J. 60-69 J. - 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Untergebrachte nach Diagnose Herne: Patienten zum 31.12.2020 nach Hauptdiagnose andere Diagnosen Psychische und (F00-F09, F40-F59, Verhaltensstörung F80-F99); 3; 3% durch psychotrope Störungen der Substanzen (F10- sexuellen Orientierung F19); 4; 3% (F65-F66); 11; 9% Persönlichkeitsstörung en (nur F60-F63); 22; 19% Schizophrenien (F20- F29); 77; 66% 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Untergebrachte nach Delikt Herne: Patienten zum 31.12.2020 nach Hauptdelikt sonstige Delikte; 1; 1% Fehler Deliktzuordnung; Brandstiftungsdelikt 1; 1% e; 4; 3% Eigentumsdelikte; 2; 2% keine Angabe; 1; 1% Straftaten gegen die Freiheit; 2; 2% Straftaten gegen das Leben; 20; 17% Sexualdelikte an Erwachsenen; 12; 10% Sexualdelikte an Kindern; 15; 13% Körperverletzung; 59; 50% 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Untergebrachte nach Migrationshintergrund Herne: Patienten zum 31.12.2020 nach Migrationshintergrund Asien; 1; 1% Staatenlos / unklar; 3; 3% Sonstiges Afrika; 1; 1% keine Angabe; 8; 7% Nordafrika; 3; 3% Naher Osten; 4; 3% Sonstiges Europa; 8; 7% EU-Staaten; 3; 2% Deutschland; 86; 73% 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Äußere Sicherheit bauliche, technische und elektronische Sicherheitsmaßnahmen: Unmittelbarer Schutz während der Unterbringungszeit 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Innere Sicherheit Fachgerechte Therapie und organisatorische Sicherheitsmaßnahmen: Nachhaltiger Schutz während der Unterbringungszeit und darüber hinaus 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Lockerungen Schrittweise Festigung von Therapieerfolgen – stufenweise Lockerungen des Freiheitsentzuges 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Patientenbeispiele Beispiel 1: Diagnose aus dem schizophrenieformen Kreis Das Landgericht XXX ordnete am XX wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung im Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20, 63 StGB die Unterbringung des Herrn X in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Dem Urteil lag zugrunde, dass sich Herr X am XX gewaltsam Zugang zu einem Kiosk verschafft hatte, die anwesende Kioskbesitzerin geschlagen und geschubst hatte, so dass sie an den Beinen und am Kopf verletzt wurde und ein ambulanter Krankenhausaufenthalt erforderlich war. Der Überfall war für die Frau ein traumatisches Erlebnis und führte dazu, dass sie den Kiosk aufgab. Der BZR-Auszug vom XX enthält 2 Eintragungen wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Fahren ohne Führerschein und einer exhibitionistischen Handlung und Bedrohung. Aktuelle Diagnose: 1. Paranoid-halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (ICD-10: F20.0) 2. Störungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen (schädlicher Gebrauch) (ICD-10: F19.1). 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Patientenbeispiele Beispiel 2: Diagnose deviante Sexualität Herr Y wurde durch das Landgericht Y am YY wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Gleichzeitig wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Den Hintergrund der Verurteilung Herrn Y bilden Angriffe auf ihm unbekannte Frauen, die er zunächst mit dem PKW verfolgte, um ihnen schließlich bis zur ihrer Haustür nachzugehen, wo er sich dann mit einem Messer oder einem Radschlüssel von hinten in Form eines Überraschungsangriffs attackierte. Aktuelle Diagnose: Störung der sexuellen Präferenz, ICD-10: F65.5 – Sadomasochismus: sexueller Sadismus 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Straftäterbehandlung • Kernidee ist, dass der Täter selbst der Experte für sein eigenes Tatverhalten ist • Im Zentrum der Behandlung steht jedoch nicht die Tat an sich, sondern die kriminogenen Faktoren, die konstellativ zur Tat führen • Die Behandlung und ihre Intensität orientieren sich nicht per se an der Erkrankung, sondern an der individuellen Rückfallwahrscheinlichkeit des jeweiligen Patienten 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
• Zur Therapie gehören zwingend die Sozio- und Milieutherapie, die Einheitlichkeit des Teams, absolute Transparenz sowie eine Fallkonzeption • Für alle Patienten gilt ein einheitliches Regelwerk, das vom gesamten Behandlungsteam getragen wird 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
• Behandelt wird nur, was auch kriminogen ist • Umfang und Ausmaß der Behandlung orientiert sich an der Prognose: prognostische Risiken werden gesenkt, Ressourcen werden gestärkt • Studien zu Rückfallraten legen ein wohlwollendes und optimistisches Behandlungsleitbild zugrunde, denn restriktive und disziplinarische Konzepte 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
• Neben der medikamentösen Therapie, Psychoedukation (vor allem bei Sucht und Psychose) sowie spezifischen Behandlungskonzepten (z. B., MKT, DBT, SKT etc.) steht – wie bei allen anderen psychotherapeutischen Ansätzen auch – die Beziehungsgestaltung im Fokus 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
• Kongruenz, Empathie, Akzeptanz • Nachbeelterung (Young, Sachse) – motivorientiert, komplementär • Validierung • direkte Zurückmeldungen des dysfunktionalen, tatrelevanten Verhaltens • Vermeidung von Willkür, Intransparenz und Unzuverlässigkeit • Stärkung jeglicher funktionaler Autonomie 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle • Nach Urbaniok (2003): „Zusammenhang zwischen risikorelevanten Persönlichkeitsmerkmalen und daraus entstehenden deliktrelevanten Handlungsmotivationen“ • Nach Nedopil (2012) „Wer wird wann, unter welchen Umständen, mit welchem Delikt rückfällig?“ 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle • Statisch: historisch verankerte Kennzahlen/Daten „wer“ ist Risikogruppe • Dynamisch: situative, verhaltensbezogene, klinische Daten „wann“ ist jemand im Risiko • Veränderbar: variable, veränderungsfähige Daten wer ist einer Risikoänderung zugänglich 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle • Delinquenzmodelle beinhalten entsprechend ein „risk assessment“. Daraus lassen sich Behandlungspläne, Risikoeigenschaften und Prognosen ableiten • Risikoeigenschaften können trotz klinisch notwendiger Diagnosen nicht immer mit gängigen Klassifikationssystemen erfasst werden 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle Lösungen hierfür liefern empirische Prognoseinstrumente: • Aktuarisch: Das Individuum wird einer Gruppe zugeordnet, deren Rückfallrisiko bereits bekannt und empirisch belegt ist. • Structured Professional Judgement (SPJ): Einbettung gewichteter Risikofaktoren in die Entwicklung, das Verhalten und die Umgebung des Individuums 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle Prognosen am Beispiel FOTRES (Forensisches Operationalisiertes Therapie-Risiko-Evaluations- System) Im Zentrum der operationalisierten Diagnostik nach Urbaniok (2016) steht die individuelle Analyse des zu beurteilenden Täters und seines Deliktmechanismus. Als Grundlage für die Beschreibung der forensisch relevanten Eigenschaften steht die empirische Auswertung einer großen Stichprobe und setzt sich aus zwei Skalen-Gruppen zusammen: Risk-Needs-Assessment (RNA) und Risk-Management (RM). Das RNA betrachtet die Umstände und Eigenschaften, die zur Tat geführt haben: Basis-Risiko und Basis- Beeinflussbarkeit. Das RM bildet die aktuelle Perspektive ab: das aktuelle Risiko und die aktuelle Beeinflussbarkeit. Eine gemeinsame Betrachtung der Skalen erlaubt eine prognostische Einschätzung künftiger Taten. Umweltfaktoren, Ressourcen, Relevanz- und Tatmuster-Faktoren werden mit ins prognostische Profil bezogen. Das Instrument löst sich von gängigen psychiatrischen Nosologien und stellt forensische Kernmerkmale in den Fokus. 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle Prognosen am Beispiel FOTRES FOTRES-Risiko-Eigenschaften • Dissozialität, Gewalt, Dominanz • Fantasien, Erregung, Sexualität • Impulsive Reaktionsbereitschaft/Reaktivität • Expansive Dispositionen • Defizit Dispositionen • Schizophrenie u. a. psychiatrische Erkrankungen • Sucht, Depression, Trauma • Diverse Dispositionen • Wahrnehmungen, Glaubensmuster • Motivatoren (für Tat), Disinhibitoren, Destabilisatoren 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle Psychose Herr D. sei am XX.XX.1986 in X geboren worden. Dort sei mit drei jüngeren Geschwistern, zwei Brüdern und einer Schwester, in seinem Elternhaus aufgewachsen. Die Beziehung der Eltern beschreibt er als aggressiv, Mutter und Vater hätten viel geschrien und er sei geschlagen worden. Sein Vater sei verschiedenen Tätigkeiten nachgegangen, er habe unter anderem als Schweißer und zweitweise auch als Arbeiter in einer Dönerfabrik gearbeitet. Seine Mutter habe gelegentlich als Reinigungskraft gearbeitet. Im Alter von 16 sei die Familie von Gelsenkirchen nach Bottrop gezogen, dort habe er wie bereits in seiner Jugend in einem Fußballverein gespielt. Herr D. habe einen Hauptschulabschluss erworben. Weiterhin habe Herr D. versucht einen Berufsschulabschluss zu erwerben, sein aber an den schulischen Anforderungen gescheitert. Eine Berufsausbildung habe er bisher nicht. Mit ca. 22 Jahren habe Herr D. Frau R. kennengelernt und mit ihr eine Beziehung geführt. In dieser Beziehung seinen drei Kinder entstanden. Weder zu der Kindesmutter noch den drei Kindern bestehe Kontakt. Alle Kinder befänden sich in Pflegefamilien. Herr D. habe keine engen familiären Bindungen. Zum Vater bestehe überhaupt kein Kontakt, zu seiner Mutter sporadisch. Der Patient sei bereits seit langer Zeit arbeitssuchend und erhalte Sozialleistungen, diese würden durch einen Betreuer verwaltet. Einen festen Wohnsitz habe Herr D. vor der Aufnahme in die Klink nicht gehabt. Die Nächte habe er bei Bekannten, auf der Straße oder in Hotels verbracht. Herr D. besuche regelmäßig, jedoch nicht täglich, Spielhallen, dies sei abhängig von seiner finanziellen Situation gewesen. Dort habe er für ein bis zwei Euro an einem Spielautomaten gespielt. Der Patient konsumiere gelegentlich Alkohol, Marihuana und Amphetamine. Alkohol konsumiere er zwei bis drei Mal pro Woche jeweils zwei bis drei Falschen Bier. Er rauche regelmäßig Cannabis und konsumiere geringe Mengen Amphetamine. 2006 habe sich Herr D. erstmals vom XX.XX.XXXX bis zum XX.XX.XXXX in stationärer psychiatrischer Behandlung aufgrund einer paranoid-halluzinatorischen Psychose befunden. In der Folgezeit sei es zu weiteren stationäre Behandlungen gekommen. In derzeit vom XX.XX.XXXX bis zum XX.XX.XXXX sowie vom XX.XX.XXXX bis zum XX.XX.XXXX wegen einer paranoid-halluzinatorischen Psychose. Im Jahr 2009 habe man ihn begutachtet aus, Anlass der Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung gekommen. Auch sei eine paranoid-halluzinatorischen Psychose diagnostiziert worden. 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle Psychose Das LG X hat Herrn D. mit RK vom XX.XX.XXXX zu einer Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB verurteilt und den § 20 StGB zuerkannt. Dem Urteil ist zu entnehmen, dass Herr XXX zum Tatzeitpunkt an einer schizophrenen Psychose litt, mittel- und obdachlos gewesen ist. Er übernachtete bei einem Bekannten, wobei er sich von 150 maskierten Personen mit Messern bedroht gefühlt haben soll und sich daher nicht mehr in der Lage sah, bei diesem zu bleiben. Er begab sich anschließend am XX.XX.XXXX zu einer Spielhalle. Vor dieser standen zwei Zeugen, darunter eine Spielhallenmitarbeiterin. Mit einem vorgehaltenen Messer forderte Herr D. die Zeugin auf, ihm in die Spielhalle zu folgen, zum Zeugen sagte er, dass er ihn „abstechen“ wird, wenn er nachkommt. Die Mitarbeiterin übergab Herrn D. insgesamt 860 €, die er an sich nahm und ihr gegenüber angab, dass er sie „umbringen“ wird, wenn sie die Polizei rufen sollte. Bei Herrn D. besteht seit der Adoleszenz eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis sowie wiederholter Drogenkonsum der die psychotischen Symptome mit verursacht bzw. verstärkt habe dürfte. Das Anlassdelikt wirkt im Tatablauf zunächst strukturiert und zielgerichtet, ist aber als das Resultat einer wahnhaften Realitätsverkennung zu bewerten. Herr D. war der festen Überzeugung, er habe in mehreren Casinos Geld gewonnen. Da er zu dieser Zeit obdach- und mittellos war, schien für ihn diese Art der Geldbeschaffung rechtmäßig. 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle Psychose Risikofaktoren: • Paranoide Schizophrenie (ICD-10: F20.0) • Drogenkonsum, insb. von Cannabis (ICD-10: F12.2) • Neigung zur Spielsucht (ICD-10: F63.0) • Fehlende soziale Bindungen • Strukturlosigkeit • Erfolglose Vorbehandlungen/mangelnde Medikamentencompliance 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle Persönlichkeitsstörungen Herr L. ist am XX.XX.1987 in XXX geboren und aufgewachsen. Die Eltern seien geschieden, zum alkoholabhängigen Vater bestünde kein Kontakt (seit ca. 2005). Mit ca. 13 Jahren – nach Weggang des Vaters – sei Herr L. in ein Heim gekommen, habe alle vier Wochen ein Wochenende zu Hause verbringen dürfen, danach sei er auf eine Sonderschule gekommen. Die Schule verließ er aufgrund der Inhaftierung ohne vollwertigen Abschluss. Es muss davon ausgegangen werden, dass es bei Herrn L. innerfamiliär zu frühen Missbrauchs- und Vernachlässigungserlebnissen gekommen ist. Er befand sich in beständig wechselnden Systemen, zeitweise auch in Heimunterbringung, und erlebte dort Mobbing. Es habe anamnestisch sexueller Missbrauch durch eine Nachbarin bestanden, die etwa zehn Jahre älter gewesen sei und als Babysitterin im Haushalt präsent gewesen sei. Herr L. wurde vom XX.XX.XXXX bis zum XX.XX.XXXX. in der Klinik X behandelt. Hier sei ein unterdurchschnittliches Begabungspotential festgestellt worden, bei impulsivem, wenig reflexionsbereitem Arbeitsstil. Ebenso wurden eine geringe Belastbarkeit, eine unkonkrete existenzielle Angst sowie mangelnde Selbstsicherheit beschrieben. Es besteht telefonischer Kontakt zum jüngeren Bruder (gleichzeitig auch Opfer von Herrn L.s sexuellen Übergriffen) und zur Großmutter. In größeren Abständen wird Herrn L. von seiner Mutter in der Klinik besucht, das Verhältnis stellt sich aber weiterhin als deutlich ambivalent seitens des Patienten dar. Herr L. bezeichnet sich als bisexuell, räumt pädophile Anteile ein und berichtet sporadisch von Vergeltungs- sowie sadistischen Phantasien. 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle Persönlichkeitsstörungen Herr L. wurde vom Amtsgericht X. am XX.XX.XXXX wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Nötigung, in einem weiteren Fall in Tateinheit mit sexuellen Missbrauch von Widerstandsunfähigen sowie wegen sexuellen Missbrauch von Widerstandsunfähigen zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde gem. § 63 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Delikte zu Nachteilen des leiblichen Bruders, der Cousine des Patienten sowie einer Mitpatientin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle Persönlichkeitsstörungen Herr L. weist aufgrund diverser Faktoren eine ungünstige Sozialisation auf. Zunächst ist die Alkoholabhängigkeit sowie aggressives Verhalten des Vaters zu nennen. Sowohl durch Vater als auch Mutter bestand eine nicht altersgerechte und zum Teil sexuell aufgeladene Erziehung. Herr L. berichtet von sexuellen Handlungen der Eltern in seiner Anwesenheit und sexuellen Anspielungen ihm gegenüber. Der noch damals sehr junge Herr L. zeigte hierbei starkes Überforderungserleben und scheint die Aktivitäten, Übergriffigkeiten (psychisch und körperlich) nicht in angemessener Weise verarbeitet zu haben. Sexuelle Bedürfnisse sind bis heute zum einen mit Emotionsregulation und etwas Angenehmen, aber auch mit Unerreichbarkeit und Selbstwertbedrohung verknüpft. Im Angehörigenumfeld ergaben sich keinerlei sozial übliche Vorbilder und Rollenbesetzungen. Aufgrund der erfahrenen und auch subjektiv erlebten Unzulänglichkeit entwickelte Herr L. durchaus auch aggressive und abwertende Vorstellungen über Frauen im Allgemeinen: Bei vorhandenen Nähe-, Sexualitäts- und Beziehungswünschen erlebt er diese als ablehnend, übermächtig und ihre Eigenschaften als nicht wünschenswert. Dies löst starke Ohnmachtsideen aus, die durch Gewalt- und Aggressionsgedanken kompensiert werden. Neben den sexuellen Aspekten bestehen häufig „Überhöhungsideen“, die mit Macht, Dominanz und Kontrolle einhergehen – Themen, die auch Herr L. seit Jahren selbst benennt. Bei massiven Selbstwertproblemen besteht das Bedürfnis nach Unantastbarkeit und Aufwertung. Diese kommen auch zum Tragen, wenn es um sexuelle Übergriffe gegenüber schwächeren und/oder wehrlosen Opfern geht. Die sexuelle Präferenz ist weiterhin trotz jahrelanger Unterbringung nicht eindeutig geklärt. Herr L. räumt pädophile Anteile ein, auch pädosexuelle Phantasien, insb. In Belastungsphasen. Es besteht sexuelles Interesse an erwachsenen Frauen, denen auch Beziehungswünsche gegenüber herangetragen werden, gleichermaßen gibt es auch sexuelles Interesse an erwachsenen Männern. Hier gibt Herr L. jedoch an, sich keine dauerhafte romantische Beziehung mit Männern vorstellen zu können. Weiterhin ungeklärt bleibt das Vorhandensein bzw. Ausprägung und Beschaffenheit einer möglichen sexuell-sadistischen Präferenz. Neben der sexuellen Komponente besteht die Borderlineproblematik (wenn auch mit deutlich verbesserter Impulskontrolle und Emotionsregulation) weiterhin fort. Herr L. hat keinen festen Identitätskern und füllt diesen mit insb. zu allem „Weiblichen“ abgegrenzten Inhalten. Zu diesem Männlichkeitsideal gehört es, stark, mächtig, teils auch gefürchtet zu sein bei geringer Emotionsausprägung und hohem Status. Neben dem liegt eine geringe Neigung zu authentischem Bindungsverhalten vor sowie Selbstverletzungstendenzen. In Summe ist anzunehmen, dass Herr L. aufgrund seiner Sozialisation und Prägung und damit auch Persönlichkeitsproblematik sexuell übergriffiges Verhalten gegenüber Schwächeren einsetzt, wenn er Gefühle von Macht und Kontrolle erleben will oder Gefühl von Ohnmacht zu mildern versucht. Darüber hinaus auch heraus aus einer dissozialen Komponente, der das Opfer gleichgültig und die persönliche Befriedigung wichtiger sind. Weiter zu diskutieren bleibt dann letztlich die potentiell motivierende Komponente des Sadismus. 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle Persönlichkeitsstörungen Risikofaktoren: • Borderline Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.31) • Heterosexuelle Pädophilie, nicht ausschließlicher Typus (ICD-10: F65.4) • V. a. sexuellen Sadismus (ICD-10: F65.5) • Narzisstische sowie dissoziale Persönlichkeitsanteile • Bindungsunfähigkeit • Amorphe Sexualität • Selbstwertproblematik mit dysfunktionalem Coping • Intransparenter Umgang mit innerem Erleben 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Ziele „Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt sollen die betroffenen Patientinnen und Patienten durch Behandlung und Betreuung (Therapie) befähigen, ein in die Gemeinschaft eingegliedertes Leben zu führen. Die Sicherheit und der Schutz der Allgemeinheit und des Personals der Einrichtungen vor weiteren erheblichen rechtswidrigen taten sollen gewährleistet werden. Therapie und Unterbringung haben auch pädagogischen Erfordernissen Rechnung zu tragen und sollen unter größtmöglicher Annäherung an allgemeine Lebens- und Arbeitsverhältnisse Mitarbeit und Verantwortungsbewusstsein der Patientinnen und Patienten wecken und fördern.“ (§ 1 MRVG NRW) 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
• Die Orientierung auf das Delikt und die Gefährlichkeit als Unterschied zum Leidensdruck in anderen klinischen Tätigkeiten. • Der Leidensdruck forensischer Patienten erwächst eher aus der Unterbringung, denn aus subjektiv erlebten Symptomen oder Kosten aus und in der persönlichen Umwelt. • Sonstige psychotherapeutische Interventionen und Bemühungen setzen auf Freiwilligkeit und intrinsische Motivation als zentrales Moment 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Motivation • Für viele Patienten ist der Freiheitsentzug überhaupt ein externer Impact, der korrigierende Einstellungen zur Folge hat (z. B. korreliert Legalbewährung mit Gerichtsweisungen) • Motivation ist nicht Voraussetzung, sondern ein Bestandteil der Therapie (vgl. Buchholz, 2001) 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Behandlungsbeispiel Psychose • Erstellung eines individuellen Delinquenzmodells • Ggf. somatische Behandlung • Einleitung einer medikamentösen Therapie • Tagesstrukturierende Maßnahmen • Ressourcenaufbau • Psychoedukation Psychose • Psychoedukation Sucht • Ggf. SKT • Sozialarbeiterische Maßnahmen (gesetzl. Betreuung, Privatinsolvenz, Aufenthaltstitel etc.) • Lockerungen/Erprobungen Langzeitbeurlaubung 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Raus aus dem Maßregelvollzug • Klinik initiiert und führt Langzeitbeurlaubung sowie Entlassung durch • Gericht beendet die Maßregel – Aufgrund der Verhältnismäßigkeit – Nichterfüllung der Unterbringungsvoraussetzungen – Aufgrund gutachterlicher Empfehlung – Aufgrund fehlender Erfolgsaussichten 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Generelle Rückfälligkeit (vgl. Sauter & Rettenberger, 2018) • Datenlage heterogen (hinsichtlich der Überprüfungszeiträume) • erneute Taten insgesamt – nach einer Entlassung aus dem Maßregelvollzug: 8 - 47 % – nach einer Entlassung aus dem Strafvollzug: 46 - 70 % • erneute Taten mit Gewalt- und/oder Sexualdelikt – nach einer Entlassung aus dem Maßregelvollzug: 3,1 – 11,2 % – nach einer Entlassung aus dem Strafvollzug: 11 - 20 % 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Der Psychotherapeut • Doppelmandat, das nur mit Integrität zu lösen ist • Transparenz in allen Belangen – und das vorausschauend • Wertfreie, zugewandte und nachvollziehbare Kommunikation • Nähe- und Distanzregulation • Machtasymmetrien sind da: umso mehr Achtsamkeit hinsichtlich Restriktion, Willkür und Ohnmacht • Bereitschaft, mit Inhalten außerhalb eigener Normen, Werte oder Moral zu arbeiten • Selbstreflektion • Umgang mit Dissozialität 24.02.2021 I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova natalia.morgunova@lwl.org 13.12.2016 I Psychologischer Dienst im MRV; Dipl.-Psych. N. Morgunova
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