Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext

 
WEITER LESEN
Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext
Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext
Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext
Was ist der Maßregelvollzug (MRV)?

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext
MRV-Auftrag

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext
Schuldfähigkeit (§§ 20/21 StGB)
Aufhebung (§ 20 StGB) oder Verminderung (§ 21 StGB) der
Schuldfähigkeit

Eingangsmerkmale
       –      krankhafte seelische Störung
       –      tiefgreifende Bewusstseinsstörung
       –      Schwachsinn
       –      schwere andere seelische Abartigkeit

Funktionsbeeinträchtigungen
       – Einsichtsfähigkeit
       – Steuerungsfähigkeit

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext
Krankheitsmodelle (Nach Endres & Schwanenegel, 2015)
Juristisch:
     „Das juristische Modell hingegen unterstellt, dass ein Mensch eine Norm
     bricht, obwohl er auch imstande wäre, sie einzuhalten; er verstößt also
     absichtlich oder fahrlässig, jedenfalls schuldhaft gegen seine Pflichten und wird
     dafür „zur Verantwortung gezogen“. Es wird angenommen, dass das Androhen
     und Verhängen von Strafen dazu führt, dass Normen besser eingehalten
     werden.“

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext
Krankheitsmodelle (Nach Endres & Schwanenegel, 2015)
Psychopathologisch:
    „Das psychopathologische Modell sieht die Verletzung sozialer Normen nach
    dem Vorbild einer Krankheit: Ein Mensch ist nicht imstande, seine sozialen
    Verpflichtungen zu erfüllen, weil sein Organismus nicht richtig funktioniert. Es
    gilt deshalb, die in seiner Person (oder auch in seinen Lebensumständen und
    seiner Umgebung) liegenden Ursachen dafür zu identifizieren und sie
    entweder zu beseitigen oder durch geeignete Maßnahmen zu kompensieren.“

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext
Schuldfähigkeit (§§ 20/21 StGB)
• Störung liegt bei Begehung der Tat vor

• Zusammenhang zwischen Störung und Tat

• Täter ist infolge seiner Störung
       – nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen
       oder
       – nach dieser Einsicht zu handeln

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext
Voraussetzungen für eine Unterbringung nach
§ 63 StGB
       • überdauernde psychische Erkrankung bzw. Störung

       • sicher festgestellte verminderte oder aufgehobene
         Schuldfähigkeit

       • erhebliche Straftat (mind. mittelschwere Kriminalität) in
         Zukunft zu erwarten

       • fortbestehende erhebliche Allgemeingefährlichkeit

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext
Durchführung der Unterbringung nach § 63
StGB
       • Zeitlich unbefristet

       • Jährliche Anhörungen durch die
         Strafvollstreckungskammer

       • Aussetzung zur Bewährung, wenn zu erwarten
         ist, dass keine rechtswidrigen Taten mehr
         begangen werden

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext
Forensik Herne Überblick

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Untergebrachte nach Rechtsgrundlage

                                          Herne: Patienten zum 31.12.2020 nach Rechtsgrundlage

                                           §64 StGB; 2; 2%             §126a StPO; 5; 4%

                                                                                                        §63 StGB; 110; 94%

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Untergebrachte nach Alter

                        Herne: Patienten (ohne 126a StPO) zum 31.12.2020 nach
                                              Altersgruppe
40

35                                                         34

30
                                                                                                                          27

25                                                                               23

20

15

10              9                     9
                                                                                                        7

 5                                                                                                                3

 0
             21-24 J.              25-29 J.              30-39 J.             40-49 J.              50-59 J.   60-69 J.   -

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Untergebrachte nach Diagnose

                                         Herne: Patienten zum 31.12.2020 nach Hauptdiagnose
                                                                   andere Diagnosen   Psychische und
                                                                  (F00-F09, F40-F59, Verhaltensstörung
                                                                    F80-F99); 3; 3% durch psychotrope
                                   Störungen der                                     Substanzen (F10-
                               sexuellen Orientierung                                   F19); 4; 3%
                                 (F65-F66); 11; 9%

                        Persönlichkeitsstörung
                        en (nur F60-F63); 22;
                                 19%

                                                                                                         Schizophrenien (F20-
                                                                                                            F29); 77; 66%

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Untergebrachte nach Delikt

                                     Herne: Patienten zum 31.12.2020 nach Hauptdelikt
                                            sonstige Delikte; 1; 1%     Fehler Deliktzuordnung;
                                              Brandstiftungsdelikt              1; 1%
                                                   e; 4; 3%
                          Eigentumsdelikte; 2; 2%                              keine Angabe; 1; 1%
                                 Straftaten gegen
                                die Freiheit; 2; 2%                                                     Straftaten gegen das
                                                                                                           Leben; 20; 17%

                Sexualdelikte an
             Erwachsenen; 12; 10%

                  Sexualdelikte an
                  Kindern; 15; 13%

                                                                                                                       Körperverletzung; 59;
                                                                                                                               50%

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Untergebrachte nach Migrationshintergrund

                               Herne: Patienten zum 31.12.2020 nach Migrationshintergrund

                                 Asien; 1; 1%     Staatenlos / unklar; 3; 3%

                        Sonstiges Afrika; 1; 1%              keine Angabe; 8; 7%

                           Nordafrika; 3; 3%

                     Naher Osten; 4; 3%

             Sonstiges Europa; 8; 7%

                   EU-Staaten; 3; 2%

                                                                                              Deutschland; 86; 73%

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Äußere Sicherheit
bauliche, technische und elektronische
Sicherheitsmaßnahmen:

Unmittelbarer Schutz während der Unterbringungszeit

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Innere Sicherheit
Fachgerechte Therapie und organisatorische
Sicherheitsmaßnahmen:

Nachhaltiger Schutz während der Unterbringungszeit und
darüber hinaus

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Lockerungen
Schrittweise Festigung von Therapieerfolgen – stufenweise
Lockerungen des Freiheitsentzuges

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Patientenbeispiele
Beispiel 1: Diagnose aus dem schizophrenieformen Kreis
Das Landgericht XXX ordnete am XX wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher
Körperverletzung im Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20, 63 StGB die Unterbringung des Herrn X in
einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Dem Urteil lag zugrunde, dass sich Herr X am XX gewaltsam Zugang zu einem Kiosk verschafft hatte, die
anwesende Kioskbesitzerin geschlagen und geschubst hatte, so dass sie an den Beinen und am Kopf
verletzt wurde und ein ambulanter Krankenhausaufenthalt erforderlich war. Der Überfall war für die Frau
ein traumatisches Erlebnis und führte dazu, dass sie den Kiosk aufgab. Der BZR-Auszug vom XX enthält 2
Eintragungen wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Fahren ohne
Führerschein und einer exhibitionistischen Handlung und Bedrohung.

Aktuelle Diagnose:
1. Paranoid-halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (ICD-10: F20.0)
2. Störungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen
   (schädlicher Gebrauch) (ICD-10: F19.1).

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Patientenbeispiele
Beispiel 2: Diagnose deviante Sexualität
Herr Y wurde durch das Landgericht Y am YY wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von 12 Jahren verurteilt. Gleichzeitig wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
nach § 63 StGB angeordnet.
Den Hintergrund der Verurteilung Herrn Y bilden Angriffe auf ihm unbekannte Frauen, die er zunächst mit
dem PKW verfolgte, um ihnen schließlich bis zur ihrer Haustür nachzugehen, wo er sich dann mit einem
Messer oder einem Radschlüssel von hinten in Form eines Überraschungsangriffs attackierte.

Aktuelle Diagnose:
Störung der sexuellen Präferenz, ICD-10: F65.5 – Sadomasochismus: sexueller Sadismus

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Straftäterbehandlung

• Kernidee ist, dass der Täter selbst der Experte für sein eigenes
Tatverhalten ist
• Im Zentrum der Behandlung steht jedoch nicht die Tat an sich, sondern
die kriminogenen Faktoren, die konstellativ zur Tat führen
• Die Behandlung und ihre Intensität orientieren sich nicht per se an der
Erkrankung, sondern an der individuellen Rückfallwahrscheinlichkeit des
jeweiligen Patienten

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
• Zur Therapie gehören zwingend die Sozio- und
Milieutherapie, die Einheitlichkeit des Teams, absolute
Transparenz sowie eine Fallkonzeption
• Für alle Patienten gilt ein einheitliches Regelwerk, das vom
gesamten Behandlungsteam getragen wird

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
• Behandelt wird nur, was auch kriminogen ist
• Umfang und Ausmaß der Behandlung orientiert sich an der
Prognose: prognostische Risiken werden gesenkt, Ressourcen
werden gestärkt
• Studien zu Rückfallraten legen ein wohlwollendes und
optimistisches Behandlungsleitbild zugrunde, denn restriktive
und disziplinarische Konzepte

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
• Neben der medikamentösen Therapie, Psychoedukation (vor
allem bei Sucht und Psychose) sowie spezifischen
Behandlungskonzepten (z. B., MKT, DBT, SKT etc.) steht – wie
bei allen anderen psychotherapeutischen Ansätzen auch – die
Beziehungsgestaltung im Fokus

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
• Kongruenz, Empathie, Akzeptanz
• Nachbeelterung (Young, Sachse) – motivorientiert,
komplementär
• Validierung
• direkte Zurückmeldungen des dysfunktionalen, tatrelevanten
Verhaltens
• Vermeidung von Willkür, Intransparenz und Unzuverlässigkeit
• Stärkung jeglicher funktionaler Autonomie

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle

• Nach Urbaniok (2003):
„Zusammenhang zwischen risikorelevanten
Persönlichkeitsmerkmalen und daraus entstehenden
deliktrelevanten Handlungsmotivationen“
• Nach Nedopil (2012)
„Wer wird wann, unter welchen Umständen, mit welchem
Delikt rückfällig?“

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle

• Statisch: historisch verankerte Kennzahlen/Daten
       „wer“ ist Risikogruppe
• Dynamisch: situative, verhaltensbezogene, klinische Daten
       „wann“ ist jemand im Risiko
• Veränderbar: variable, veränderungsfähige Daten
       wer ist einer Risikoänderung zugänglich

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle

• Delinquenzmodelle beinhalten entsprechend ein „risk
     assessment“. Daraus lassen sich Behandlungspläne,
     Risikoeigenschaften und Prognosen ableiten
• Risikoeigenschaften können trotz klinisch notwendiger
     Diagnosen nicht immer mit gängigen
     Klassifikationssystemen erfasst werden

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle

Lösungen hierfür liefern empirische Prognoseinstrumente:
• Aktuarisch:
       Das Individuum wird einer Gruppe zugeordnet, deren
       Rückfallrisiko bereits bekannt und empirisch belegt ist.
• Structured Professional Judgement (SPJ):
       Einbettung gewichteter Risikofaktoren in die Entwicklung,
       das Verhalten und die Umgebung des Individuums

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle
Prognosen am Beispiel FOTRES                                      (Forensisches Operationalisiertes Therapie-Risiko-Evaluations-
System)

Im Zentrum der operationalisierten Diagnostik nach Urbaniok (2016) steht die individuelle Analyse des zu
beurteilenden Täters und seines Deliktmechanismus. Als Grundlage für die Beschreibung der forensisch
relevanten Eigenschaften steht die empirische Auswertung einer großen Stichprobe und setzt sich aus zwei
Skalen-Gruppen zusammen: Risk-Needs-Assessment (RNA) und Risk-Management (RM). Das RNA
betrachtet die Umstände und Eigenschaften, die zur Tat geführt haben: Basis-Risiko und Basis-
Beeinflussbarkeit. Das RM bildet die aktuelle Perspektive ab: das aktuelle Risiko und die aktuelle
Beeinflussbarkeit. Eine gemeinsame Betrachtung der Skalen erlaubt eine prognostische Einschätzung
künftiger Taten. Umweltfaktoren, Ressourcen, Relevanz- und Tatmuster-Faktoren werden mit ins
prognostische Profil bezogen. Das Instrument löst sich von gängigen psychiatrischen Nosologien und stellt
forensische Kernmerkmale in den Fokus.

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle
Prognosen am Beispiel FOTRES

FOTRES-Risiko-Eigenschaften
•       Dissozialität, Gewalt, Dominanz
•       Fantasien, Erregung, Sexualität
•       Impulsive Reaktionsbereitschaft/Reaktivität
•       Expansive Dispositionen
•       Defizit Dispositionen
•       Schizophrenie u. a. psychiatrische Erkrankungen
•       Sucht, Depression, Trauma
•       Diverse Dispositionen
•       Wahrnehmungen, Glaubensmuster

•       Motivatoren (für Tat), Disinhibitoren, Destabilisatoren

    24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle
Psychose
Herr D. sei am XX.XX.1986 in X geboren worden. Dort sei mit drei jüngeren Geschwistern, zwei Brüdern und einer Schwester, in seinem Elternhaus aufgewachsen. Die
Beziehung der Eltern beschreibt er als aggressiv, Mutter und Vater hätten viel geschrien und er sei geschlagen worden. Sein Vater sei verschiedenen Tätigkeiten
nachgegangen, er habe unter anderem als Schweißer und zweitweise auch als Arbeiter in einer Dönerfabrik gearbeitet. Seine Mutter habe gelegentlich als
Reinigungskraft gearbeitet.
Im Alter von 16 sei die Familie von Gelsenkirchen nach Bottrop gezogen, dort habe er wie bereits in seiner Jugend in einem Fußballverein gespielt.
Herr D. habe einen Hauptschulabschluss erworben. Weiterhin habe Herr D. versucht einen Berufsschulabschluss zu erwerben, sein aber an den schulischen
Anforderungen gescheitert. Eine Berufsausbildung habe er bisher nicht.
Mit ca. 22 Jahren habe Herr D. Frau R. kennengelernt und mit ihr eine Beziehung geführt. In dieser Beziehung seinen drei Kinder entstanden. Weder zu der
Kindesmutter noch den drei Kindern bestehe Kontakt. Alle Kinder befänden sich in Pflegefamilien. Herr D. habe keine engen familiären Bindungen. Zum Vater bestehe
überhaupt kein Kontakt, zu seiner Mutter sporadisch.
Der Patient sei bereits seit langer Zeit arbeitssuchend und erhalte Sozialleistungen, diese würden durch einen Betreuer verwaltet. Einen festen Wohnsitz habe Herr D.
vor der Aufnahme in die Klink nicht gehabt. Die Nächte habe er bei Bekannten, auf der Straße oder in Hotels verbracht.
Herr D. besuche regelmäßig, jedoch nicht täglich, Spielhallen, dies sei abhängig von seiner finanziellen Situation gewesen. Dort habe er für ein bis zwei Euro an einem
Spielautomaten gespielt. Der Patient konsumiere gelegentlich Alkohol, Marihuana und Amphetamine. Alkohol konsumiere er zwei bis drei Mal pro Woche jeweils zwei
bis drei Falschen Bier. Er rauche regelmäßig Cannabis und konsumiere geringe Mengen Amphetamine.
2006 habe sich Herr D. erstmals vom XX.XX.XXXX bis zum XX.XX.XXXX in stationärer psychiatrischer Behandlung aufgrund einer paranoid-halluzinatorischen Psychose
befunden. In der Folgezeit sei es zu weiteren stationäre Behandlungen gekommen. In derzeit vom XX.XX.XXXX bis zum XX.XX.XXXX sowie vom XX.XX.XXXX bis zum
XX.XX.XXXX wegen einer paranoid-halluzinatorischen Psychose. Im Jahr 2009 habe man ihn begutachtet aus, Anlass der Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung
gekommen. Auch sei eine paranoid-halluzinatorischen Psychose diagnostiziert worden.

 24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle
Psychose
Das LG X hat Herrn D. mit RK vom XX.XX.XXXX zu einer Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB verurteilt und den § 20 StGB zuerkannt.

Dem Urteil ist zu entnehmen, dass Herr XXX zum Tatzeitpunkt an einer schizophrenen Psychose litt, mittel- und obdachlos gewesen ist. Er übernachtete bei einem

Bekannten, wobei er sich von 150 maskierten Personen mit Messern bedroht gefühlt haben soll und sich daher nicht mehr in der Lage sah, bei diesem zu bleiben. Er

begab sich anschließend am XX.XX.XXXX zu einer Spielhalle. Vor dieser standen zwei Zeugen, darunter eine Spielhallenmitarbeiterin. Mit einem vorgehaltenen Messer

forderte Herr D. die Zeugin auf, ihm in die Spielhalle zu folgen, zum Zeugen sagte er, dass er ihn „abstechen“ wird, wenn er nachkommt. Die Mitarbeiterin übergab

Herrn D. insgesamt 860 €, die er an sich nahm und ihr gegenüber angab, dass er sie „umbringen“ wird, wenn sie die Polizei rufen sollte.

Bei Herrn D. besteht seit der Adoleszenz eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis sowie wiederholter Drogenkonsum der die psychotischen Symptome mit

verursacht bzw. verstärkt habe dürfte. Das Anlassdelikt wirkt im Tatablauf zunächst strukturiert und zielgerichtet, ist aber als das Resultat einer wahnhaften

Realitätsverkennung zu bewerten. Herr D. war der festen Überzeugung, er habe in mehreren Casinos Geld gewonnen. Da er zu dieser Zeit obdach- und mittellos war,

schien für ihn diese Art der Geldbeschaffung rechtmäßig.

 24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle
Psychose
Risikofaktoren:
• Paranoide Schizophrenie (ICD-10: F20.0)
• Drogenkonsum, insb. von Cannabis (ICD-10: F12.2)
• Neigung zur Spielsucht (ICD-10: F63.0)
• Fehlende soziale Bindungen
• Strukturlosigkeit
• Erfolglose Vorbehandlungen/mangelnde
     Medikamentencompliance
24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle
Persönlichkeitsstörungen
Herr L. ist am XX.XX.1987 in XXX geboren und aufgewachsen. Die Eltern seien geschieden, zum alkoholabhängigen Vater bestünde kein Kontakt (seit ca. 2005). Mit ca.

13 Jahren – nach Weggang des Vaters – sei Herr L. in ein Heim gekommen, habe alle vier Wochen ein Wochenende zu Hause verbringen dürfen, danach sei er auf

eine Sonderschule gekommen. Die Schule verließ er aufgrund der Inhaftierung ohne vollwertigen Abschluss.

Es muss davon ausgegangen werden, dass es bei Herrn L. innerfamiliär zu frühen Missbrauchs- und Vernachlässigungserlebnissen gekommen ist. Er befand sich in

beständig wechselnden Systemen, zeitweise auch in Heimunterbringung, und erlebte dort Mobbing. Es habe anamnestisch sexueller Missbrauch durch eine Nachbarin

bestanden, die etwa zehn Jahre älter gewesen sei und als Babysitterin im Haushalt präsent gewesen sei.

Herr L. wurde vom XX.XX.XXXX bis zum XX.XX.XXXX. in der Klinik X behandelt. Hier sei ein unterdurchschnittliches Begabungspotential festgestellt worden, bei

impulsivem, wenig reflexionsbereitem Arbeitsstil. Ebenso wurden eine geringe Belastbarkeit, eine unkonkrete existenzielle Angst sowie mangelnde Selbstsicherheit

beschrieben.

Es besteht telefonischer Kontakt zum jüngeren Bruder (gleichzeitig auch Opfer von Herrn L.s sexuellen Übergriffen) und zur Großmutter. In größeren Abständen wird

Herrn L. von seiner Mutter in der Klinik besucht, das Verhältnis stellt sich aber weiterhin als deutlich ambivalent seitens des Patienten dar.

Herr L. bezeichnet sich als bisexuell, räumt pädophile Anteile ein und berichtet sporadisch von Vergeltungs- sowie sadistischen Phantasien.

 24.02.2021    I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle
Persönlichkeitsstörungen
Herr L. wurde vom Amtsgericht X. am XX.XX.XXXX wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in einem

Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Nötigung, in einem weiteren Fall in Tateinheit mit sexuellen

Missbrauch von Widerstandsunfähigen sowie wegen sexuellen Missbrauch von Widerstandsunfähigen zu einer

Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde gem. § 63 StGB die Unterbringung in

einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Delikte zu Nachteilen des leiblichen Bruders, der Cousine des Patienten sowie einer Mitpatientin in der Kinder- und

Jugendpsychiatrie.

 24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle
Persönlichkeitsstörungen
Herr L. weist aufgrund diverser Faktoren eine ungünstige Sozialisation auf. Zunächst ist die Alkoholabhängigkeit sowie aggressives Verhalten des Vaters zu nennen.
Sowohl durch Vater als auch Mutter bestand eine nicht altersgerechte und zum Teil sexuell aufgeladene Erziehung. Herr L. berichtet von sexuellen Handlungen der
Eltern in seiner Anwesenheit und sexuellen Anspielungen ihm gegenüber. Der noch damals sehr junge Herr L. zeigte hierbei starkes Überforderungserleben und
scheint die Aktivitäten, Übergriffigkeiten (psychisch und körperlich) nicht in angemessener Weise verarbeitet zu haben. Sexuelle Bedürfnisse sind bis heute zum einen
mit Emotionsregulation und etwas Angenehmen, aber auch mit Unerreichbarkeit und Selbstwertbedrohung verknüpft. Im Angehörigenumfeld ergaben sich keinerlei
sozial übliche Vorbilder und Rollenbesetzungen. Aufgrund der erfahrenen und auch subjektiv erlebten Unzulänglichkeit entwickelte Herr L. durchaus auch aggressive
und abwertende Vorstellungen über Frauen im Allgemeinen: Bei vorhandenen Nähe-, Sexualitäts- und Beziehungswünschen erlebt er diese als ablehnend,
übermächtig und ihre Eigenschaften als nicht wünschenswert. Dies löst starke Ohnmachtsideen aus, die durch Gewalt- und Aggressionsgedanken kompensiert
werden. Neben den sexuellen Aspekten bestehen häufig „Überhöhungsideen“, die mit Macht, Dominanz und Kontrolle einhergehen – Themen, die auch Herr L. seit
Jahren selbst benennt. Bei massiven Selbstwertproblemen besteht das Bedürfnis nach Unantastbarkeit und Aufwertung. Diese kommen auch zum Tragen, wenn es um
sexuelle Übergriffe gegenüber schwächeren und/oder wehrlosen Opfern geht. Die sexuelle Präferenz ist weiterhin trotz jahrelanger Unterbringung nicht eindeutig
geklärt. Herr L. räumt pädophile Anteile ein, auch pädosexuelle Phantasien, insb. In Belastungsphasen. Es besteht sexuelles Interesse an erwachsenen Frauen, denen
auch Beziehungswünsche gegenüber herangetragen werden, gleichermaßen gibt es auch sexuelles Interesse an erwachsenen Männern. Hier gibt Herr L. jedoch an,
sich keine dauerhafte romantische Beziehung mit Männern vorstellen zu können. Weiterhin ungeklärt bleibt das Vorhandensein bzw. Ausprägung und Beschaffenheit
einer möglichen sexuell-sadistischen Präferenz.
Neben der sexuellen Komponente besteht die Borderlineproblematik (wenn auch mit deutlich verbesserter Impulskontrolle und Emotionsregulation) weiterhin fort.
Herr L. hat keinen festen Identitätskern und füllt diesen mit insb. zu allem „Weiblichen“ abgegrenzten Inhalten. Zu diesem Männlichkeitsideal gehört es, stark, mächtig,
teils auch gefürchtet zu sein bei geringer Emotionsausprägung und hohem Status. Neben dem liegt eine geringe Neigung zu authentischem Bindungsverhalten vor
sowie Selbstverletzungstendenzen.
In Summe ist anzunehmen, dass Herr L. aufgrund seiner Sozialisation und Prägung und damit auch Persönlichkeitsproblematik sexuell übergriffiges Verhalten
gegenüber Schwächeren einsetzt, wenn er Gefühle von Macht und Kontrolle erleben will oder Gefühl von Ohnmacht zu mildern versucht. Darüber hinaus auch heraus
aus einer dissozialen Komponente, der das Opfer gleichgültig und die persönliche Befriedigung wichtiger sind. Weiter zu diskutieren bleibt dann letztlich die potentiell
motivierende Komponente des Sadismus.

 24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Delinquenzmodelle
Persönlichkeitsstörungen
Risikofaktoren:
• Borderline Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.31)
• Heterosexuelle Pädophilie, nicht ausschließlicher Typus (ICD-10: F65.4)
• V. a. sexuellen Sadismus (ICD-10: F65.5)
• Narzisstische sowie dissoziale Persönlichkeitsanteile
• Bindungsunfähigkeit
• Amorphe Sexualität
• Selbstwertproblematik mit dysfunktionalem Coping
• Intransparenter Umgang mit innerem Erleben

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Ziele
„Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus
oder einer Entziehungsanstalt sollen die betroffenen Patientinnen und Patienten
durch Behandlung und Betreuung (Therapie) befähigen, ein in die Gemeinschaft
eingegliedertes Leben zu führen. Die Sicherheit und der Schutz der Allgemeinheit
und des Personals der Einrichtungen vor weiteren erheblichen rechtswidrigen taten
sollen gewährleistet werden. Therapie und Unterbringung haben auch
pädagogischen Erfordernissen Rechnung zu tragen und sollen unter
größtmöglicher Annäherung an allgemeine Lebens- und Arbeitsverhältnisse
Mitarbeit und Verantwortungsbewusstsein der Patientinnen und Patienten wecken
und fördern.“ (§ 1 MRVG NRW)

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
• Die Orientierung auf das Delikt und die Gefährlichkeit als Unterschied zum
  Leidensdruck in anderen klinischen Tätigkeiten.
• Der Leidensdruck forensischer Patienten erwächst eher aus der Unterbringung,
  denn aus subjektiv erlebten Symptomen oder Kosten aus und in der
  persönlichen Umwelt.

      • Sonstige psychotherapeutische Interventionen und Bemühungen setzen
             auf Freiwilligkeit und intrinsische Motivation als zentrales Moment

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Motivation
• Für viele Patienten ist der Freiheitsentzug überhaupt ein externer Impact, der
  korrigierende Einstellungen zur Folge hat (z. B. korreliert Legalbewährung mit
  Gerichtsweisungen)

• Motivation ist nicht Voraussetzung, sondern ein Bestandteil der Therapie (vgl.
  Buchholz, 2001)

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Behandlungsbeispiel Psychose
• Erstellung eines individuellen Delinquenzmodells
• Ggf. somatische Behandlung
• Einleitung einer medikamentösen Therapie
• Tagesstrukturierende Maßnahmen
• Ressourcenaufbau
• Psychoedukation Psychose
• Psychoedukation Sucht
• Ggf. SKT
• Sozialarbeiterische Maßnahmen (gesetzl. Betreuung, Privatinsolvenz,
    Aufenthaltstitel etc.)
• Lockerungen/Erprobungen

                 Langzeitbeurlaubung

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Raus aus dem Maßregelvollzug
• Klinik initiiert und führt Langzeitbeurlaubung sowie Entlassung durch

• Gericht beendet die Maßregel
                – Aufgrund der Verhältnismäßigkeit
                – Nichterfüllung der Unterbringungsvoraussetzungen
                – Aufgrund gutachterlicher Empfehlung
                – Aufgrund fehlender Erfolgsaussichten

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Generelle Rückfälligkeit (vgl. Sauter & Rettenberger, 2018)
• Datenlage heterogen (hinsichtlich der Überprüfungszeiträume)

• erneute Taten insgesamt
                – nach einer Entlassung aus dem Maßregelvollzug: 8 - 47 %
                – nach einer Entlassung aus dem Strafvollzug: 46 - 70 %

• erneute Taten mit Gewalt- und/oder Sexualdelikt
                – nach einer Entlassung aus dem Maßregelvollzug: 3,1 – 11,2 %
                – nach einer Entlassung aus dem Strafvollzug: 11 - 20 %

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Der Psychotherapeut
• Doppelmandat, das nur mit Integrität zu lösen ist
• Transparenz in allen Belangen – und das vorausschauend
• Wertfreie, zugewandte und nachvollziehbare Kommunikation
• Nähe- und Distanzregulation
• Machtasymmetrien sind da: umso mehr Achtsamkeit hinsichtlich Restriktion,
  Willkür und Ohnmacht
• Bereitschaft, mit Inhalten außerhalb eigener Normen, Werte oder Moral zu
  arbeiten
• Selbstreflektion
• Umgang mit Dissozialität

24.02.2021   I Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext; Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

                                                            Dipl.-Psych., PP, N. Morgunova

                                                              natalia.morgunova@lwl.org

13.12.2016   I Psychologischer Dienst im MRV; Dipl.-Psych. N. Morgunova
Sie können auch lesen