Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis: 1. Revision der S-2k Leitlinien der Deutschen Sepsis-Gesellschaft e.V. (DSG) und der ...
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OPEN ACCESS This is the translated (German) version. The orginal (English) version starts at p. 1. Übersichtsartikel Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis: 1. Revision der S-2k Leitlinien der Deutschen Sepsis-Gesellschaft e.V. (DSG) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) Zusammenfassung Leitlinien sind systematisch entwickelte Darstellungen und Empfehlun- K. Reinhart1 gen mit dem Zweck, Ärzte und Patienten bei der Entscheidung über F. M. Brunkhorst1 angemessene Maßnahmen der Krankenversorgung unter spezifischen medizinischen Umständen und unter Berücksichtigung des spezifischen H.-G. Bone2 nationalen Gesundheitssystems zu unterstützen. Die erste Revision der J. Bardutzky3 S-2k-Leitlinie der Deutschen Sepsis-Gesellschaft in Kooperation mit 17 C.-E. Dempfle4 weiteren wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften und einer Selbsthilfegruppe gibt den Stand des Wissens (Ergebnisse von H. Forst5 kontrollierten klinischen Studien und Wissen von Experten) über effek- P. Gastmeier6 tive und angemessene Krankenversorgung zum Zeitpunkt der „Druck- H. Gerlach7 legung“ wieder. Die Leitlinienentwicklung erfolgte entsprechend des „Deutschen Instrumentes zur methodischen Leitlinien-Bewertung“ der M. Gründling8 Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesell- S. John9 schaften (AWMF). In Anbetracht der unausbleiblichen Fortschritte wis- W. Kern10 senschaftlicher Erkenntnisse und der Technik müssen periodische Überarbeitungen, Erneuerungen und Korrekturen unternommen werden. G. Kreymann11 Die Empfehlungen der Leitlinien können nicht unter allen Umständen W. Krüger12 angemessen genutzt werden. Die Entscheidung darüber, ob einer be- P. Kujath13 stimmten Empfehlung gefolgt werden soll, muß vom Arzt unter Berück- G. Marggraf14 sichtigung der beim individuellen Patienten vorliegenden Gegebenheiten und der verfügbaren Ressourcen getroffen werden. J. Martin15 K. Mayer16 Schlüsselwörter: Leitlinie, Deutsche Sepsis-Gesellschaft, Deutsche A. Meier-Hellmann17 Sepsis-Hilfe, schwere Sepsis, septischer Schock, Prävention, Diagnose, Therapie, Nachsorge M. Oppert18 C. Putensen19 M. Quintel20 M. Ragaller21 R. Rossaint22 H. Seifert23 C. Spies24 F. Stüber25 N. Weiler26 A. Weimann27 K. Werdan28 T. Welte29 1 Universitätsklinikum Jena, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Jena, Deutschland GMS German Medical Science 2010, Vol. 8, ISSN 1612-3174 44/86
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis... Inhaltsverzeichnis 2 Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, 1. Definition und Erläuterung des Begriffs "Leitlinie" (S. 46) Knappschaftskrankenhaus 2. Empfehlungen gemäß den Regeln der S2k-Leitlinien (S. 46) Recklinghausen, 3. Sepsisdefinition und -diagnose (S. 47) Deutschland 4. Diagnose der Infektion (S. 47) Blutkulturen 3 Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Ventilator-assoziierte Pneumonien Erlangen, Deutschland Katheter- und Fremdkörper-induzierte Sepsis Chirurgische Infektionen und intraabdomineller Fokus 4 I. Medizinische Klinik, Invasive Candida-Infektionen Universitätsklinikum Akute bakterielle Meningitis Mannheim, Deutschland 5. Prävention (S. 51) 5 Klinik für Anästhesiologie Programme zur Infektionsprävention (Ventilator-assoziierte Pneu- und operative monien, ZVK-assoziierte Bakteriämie, Harnwegkatheter-assoziierte Intensivmedizin, Klinikum Harnweginfektionen) Augsburg, Deutschland Umgang mit „devices“ 6 Institut für Hygiene und Körperposition Umweltmedizin, Charité – Ernährung Universitätsmedizin, Berlin, Immunonutrition Deutschland Insulintherapie 7 Klinik für Anästhesie und Selektive Darmdekontamination operative Intensivmedizin, Orale Antiseptika zur Mundpflege Vivantes Klinikum Neukölln, Präemptive antimykotische Behandlung Berlin, Deutschland Imprägnierte Gefäßkatheter 8 Klinik für Anästhesie und Personalausstattung Intensivmedizin, Ernst- Impfungen Moritz-Arndt-Universität 6. Kausale Therapie (S. 55) Greifswald, Deutschland Fokussanierung 9 Medizinische Klinik 4, Antimikrobielle Therapie Universität Erlangen- 7. Supportive Therapie (S. 57) Nürnberg, Deutschland Hämodynamische Stabilisierung 10 Institut für Infektiologie, Maßnahmen zur initialen hämodynamischen Stabilisierung Universitätsklinikum Fortführende Maßnahmen zur hämodynamischen Stabilisierung Freiburg, Deutschland Volumentherapie Therapie mit Inotropika und Vasopressoren 11 Klinik und Poliklinik für Intensivmedizin, Nierenersatzverfahren Universitätsklinikum Airway-Management und Beatmung Hamburg-Eppendorf, 8. Adjunktive Therapie (S. 62) Deutschland Rekombinantes aktiviertes Protein C (rhAPC) 12 Klinik für Anästhesiologie Antithrombin und operative Immunglobuline Intensivmedizin, Klinikum Selen Konstanz, Deutschland Andere Therapieansätze 9. Andere supportive Therapien (S. 65) 13 Klinik für Chirurgie, Universitätsklinikum Thromboseprophylaxe Schleswig-Holstein, Campus Ernährung und metabolische Kontrolle Lübeck, Deutschland Ernährung enteral vs. parenteral Parenterale Ernährung 14 Klinik für Thorax- und Immunonutrition kardiovaskuläre Chirurgie, Universitätsklinikum Essen, Glutamin Deutschland Ulkusprophylaxe Bikarbonat bei Laktatazidose 15 Klinik für Anästhesiologie, Blutprodukte Klinik am Eichert, Erythropoetin Göppingen, Deutschland Fresh Frozen Plasma (FFP) 16 Medizinische Klinik II, Sedation, Analgesie, Delir und neuromuskuläre Blockade Justus-Liebig-Universität 10. Nachsorge und Rehabilitation (S. 69) Gießen, Deutschland GMS German Medical Science 2010, Vol. 8, ISSN 1612-3174 45/86
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis... 1. Definition und Erläuterung des 17 Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Begriffs "Leitlinie" Schmerztherapie, HELIOS Klinikum Erfurt GmbH, (Orientiert an der Definition der Agency for Health Care Policy and Re- Deutschland search für die „Clinical Practice Guidelines“ der USA): 18 Klinik für Nephrologie und „Leitlinien sind systematisch entwickelte Darstellungen und Empfehlun- Internistische gen mit dem Zweck, Ärzte und Patienten bei der Entscheidung über Intensivmedizin, Charité – angemessene Maßnahmen der Krankenversorgung (Prävention, Dia- Universitätsmedizin Berlin, gnostik, Therapie und Nachsorge) unter spezifischen medizinischen Deutschland Umständen zu unterstützen.“ 19 Klinik und Poliklinik für Leitlinien geben den Stand des Wissens (Ergebnisse von kontrollierten Anästhesiologie und klinischen Studien und Wissen von Experten) über effektive und ange- operative Intensivmedizin, messene Krankenversorgung zum Zeitpunkt der „Drucklegung“ wieder. Rheinische Friedrich- In Anbetracht der unausbleiblichen Fortschritte wissenschaftlicher Er- Wilhelms-Universität Bonn, kenntnisse und der Technik müssen periodische Überarbeitungen, Er- Deutschland neuerungen und Korrekturen unternommen werden. 20 Zentrum Anästhesiologie, Die Empfehlungen der Leitlinien können nicht unter allen Umständen Rettungs- und angemessen genutzt werden. Die Entscheidung darüber, ob einer be- Intensivmedizin, stimmten Empfehlung gefolgt werden soll, muß vom Arzt unter Berück- Universitätsklinikum sichtigung der beim individuellen Patienten vorliegenden Gegebenheiten Göttingen, Deutschland und der verfügbaren Ressourcen getroffen werden. 21 Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, 2. Empfehlungen gemäß den Regeln Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der der S2k-Leitlinien Technischen Universität Dresden, Deutschland Bei der Erstellung dieser Empfehlungen wurden die zugrunde liegenden Studien von dem Expertenkommittee gesichtet und gemäß dem Oxford 22 Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum der Centre of Evidence Based Medicine in folgende Evidenzgrade eingeteilt: Rheinisch-Westfälische • Ia – Systematische Übersicht über randomisierte kontrollierte Stu- Technische Hochschule dien (RCT) Aachen, Deutschland • Ib – Ein RCT (mit engem Konfidenzintervall) 23 Institut für Medizinische • Ic – Alle-oder-Keiner-Prinzip Mikrobiologie, Immunologie • IIa – Systematische Übersicht gut geplanter Kohortenstudien und Hygiene, Klinikum der Universität zu Köln, • IIb – Eine gut geplante Kohortenstudie oder ein RCT minderer Qua- Deutschland lität • IIc – Outcome-Studien, Ökologische Studien 24 Klinik für Anästhesiologie • IIIa – Systematische Übersicht über Fall-Kontrollstudien und operative Intensivmedizin, Charité – • IIIb – Eine Fall-Kontroll-Studie Universitätsmedizin, Berlin, • IV –Fallserien oder Kohorten-/Fall-Kontroll-Studien minderer Qualität Deutschland • V –Expertenmeinung ohne explizite Bewertung der Evidenz oder basierend auf physiologischen Modellen/Laborforschung 25 Universitätsklinik für Anästhesiologie und Das „Alle-oder-Keiner“-Prinzip (Evidenzgrad Ic) erlaubt die Graduierung Schmerztherapie, Inselspital von medizinischen Maßnahmen, die fester Bestandteil der ärztlichen Bern, Schweiz Routineversorgung sind, ohne dass entsprechende Studien vorliegen 26 Klinik für Anästhesiologie müssen, da diese aus ethischen Gründen nicht möglich sind (z.B. Sau- und Operative erstoffinsufflation bei Hypoxie). Trotz der zunehmenden Akzeptanz von Intensivmedizin, systematischen Übersichtsarbeiten müssen diese auch kritisch bewertet Universitätsklinikum werden. So hatte eine kürzliche Metaanalyse einiger Studien mit kleinen Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Deutschland Fallzahlen einen protektiven Effekt einer Therapie ergeben [1], der dann durch eine große prospektive Studie widerlegt wurde [2]. Es muss auch 27 Klinik für Allgemein- und bedacht werden, dass bei Metaanalysen eine Selektion von Studien Viszeralchirurgie, Klinikum mit positiven Ergebnissen vorliegen kann (Publikationsbias). St. Georg gGmbH Leipzig, Gemäß der Evidenzgrade können für eine bestimmte Fragestellung Deutschland Empfehlungen mit folgendem Empfehlungsgrad ausgesprochen werden 28 Klinik und Poliklinik für [3]: Innere Medizin III, Klinikum der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther- GMS German Medical Science 2010, Vol. 8, ISSN 1612-3174 46/86
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis... • A – Mind. 2 Studien mit Evidenzgrad I Universität Halle- • B – Eine Studie mit Evidenzgrad I oder Evidenzgrad Ic Wittenberg, Deutschland • C – Nur Studien mit Evidenzgrad II 29 Abteilung Pneumologie, • D –Mind. Zwei Studien mit Evidenzgrad III Medizinische Hochschule • E –Level IV oder Evidenzgrad V Hannover, Deutschland Es wird der Evidenzgrad der Studie benannt, die zu dem entsprechenden Empfehlungsgrad geführt hat. Das Expertenkommittee kann per Abstim- mung entscheiden, den Empfehlungsgrad um eine Stufe auf- bzw. ab- zuwerten. Die Umwertung muss begründet werden (s. auch ausführli- chen Methodenreport). ein septischer Schock unwahrscheinlich, ab einem Schwellenwert von 2,0 ng/ml hochwahrscheinlich 3. Sepsisdefinition und -diagnose [13], [14], [15], [16]. Dabei ist zu beachten, dass operatives Trauma und andere Ursachen zu einer Vorbemerkung: Sepsis ist eine komplexe systemische transitorischen Procalcitonin (PCT)-Erhöhung führen inflammatorische Wirtsreaktion auf eine Infektion. Es gibt können [17]. derzeit keinen Parameter, der allein zur Diagnose der • Um die Dauer einer antimikrobiellen Behandlung zu Sepsis führen kann. Sepsis, schwere Sepsis und septi- verkürzen, können Procalcitonin (PCT)-Verlaufsmessun- scher Schock definieren ein Krankheitskontinuum, das gen erwogen werden. über eine Kombination aus Vitalparametern, Laborwerten, → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [18]) hämodynamischen Daten und Organfunktionen definiert Kommentar: In einer randomisierten Studie konnte wird. Eine Bakteriämie findet sich in Abhängigkeit von erstmalig nachgewiesen werden, dass die Dauer der einer antibiotischen Vorbehandlung nur bei durchschnitt- Antibiotikatherapie bei Patienten mit schwerer Sepsis lich 30% von Patienten mit schwerer Sepsis oder septi- durch Verwendung von Procalcitonin (PCT) im Vergleich schem Schock [4], [5], [6], [7], [8]. Insgesamt kann in ca. zu einer routinemässigen klinischen Entscheidungsfin- 30% kein mikrobiologisch gesicherter Infektionsnachweis dung um 3,5 Tage (median) gefahrlos reduziert werden geführt werden, obwohl eine Infektion nach klinischen kann. Die Fallzahl war mit lediglich 70 Patienten aller- Kriterien wahrscheinlich ist [9], [10]. Die Interpretation dings gering [18]. Studien mit größerer Fallzahl werden mikrobiologischer Befunde ist bei kritisch kranken Pati- gegenwärtig hierzu durchgeführt bzw. werden in 2010 enten häufig problematisch, da häufig Mikroorganismen publiziert. nachgewiesen werden, die lediglich einer Kolonisation entsprechen können. Kritisch kranke Patienten weisen häufig ein SIRS und multiple Organdysfunktionen auf, 4. Diagnose der Infektion der kausale Zusammenhang mit einer Infektion ist daher oft nicht sicher nachzuweisen. Blutkulturen • Es wird empfohlen, die Sepsiskriterien des deutschen Kompetenznetzwerkes Sepsis (SepNet) [11] für die • Es wird empfohlen, bei klinischem Verdacht auf eine klinische Diagnose der schweren Sepsis bzw. des Sepsis bzw. eines oder mehrerer der folgenden Krite- septischen Schocks zu verwenden. rien: Fieber, Schüttelfrost, Hypothermie, Leukozytose, → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei- Linksverschiebung im Differentialblutbild, Erhöhung nung) von Procalcitonin oder C-reaktivem Protein bzw. einer Kommentar: Unter Verwendung dieser diagnostischen Neutropenie Blutkulturen abzunehmen [5], [8], [19]. Kriterien (Tabelle 1) wurde auf deutschen Intensivsta- → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [5]) tionen eine Prävalenz der schweren Sepsis und des Kommentar: Procalcitonin hat eine höhere diagnosti- septischen Schocks von 11% und eine Krankenhaus- sche Präzision als C-reaktives Protein [14], [15], [16], sterblichkeit von 55% beobachtet [10]. Diese Kriterien [17] und ist nach dem infektiösen Stimulus früher weichen erheblich von den mikrobiologisch orientierten nachweisbar [20]. Kriterien der Centers of Disease Control (CDC) [12] • Es wird empfohlen, Blutkulturen (2–3 Pärchen) ab, werden jedoch seit 2005 in der deutschen Version schnellstmöglich vor Einleitung einer antimikrobiellen der International Classification of Diseases (ICD-10) Therapie abzunehmen [21], [22]. und ab 2011 auch weltweit verwendet (http:// → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ic) www.dimdi.de/, s. Appendix). • Es wird empfohlen, bei Patienten unter vorbestehender • Der frühzeitige Nachweis von Procalcitonin (PCT) im antimikrobieller Therapie Blutkulturen unmittelbar vor Serum zum Ausschluss einer schweren Sepsis bzw. der nächsten Gabe abzunehmen [23], [24]. zur Sicherung der Diagnose wird empfohlen. → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei- → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [13]) nung) Kommentar: Bei Procalcitoninkonzentrationen von Kommentar (Tabelle 2): Blutkulturen müssen nach
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis... Tabelle 1: Diagnosekriterien für Sepsis, schwere Sepsis und septischen Schock (mod. nach [411]) entsprechend den ACCP/SCCM Konsensus-Konferenz Kriterien [11]. Tabelle 2: Entnahme, Lagerung und Transport von Blutkulturen [33]. nenpunktion erfolgen [25], [26]. Aufgrund des zwei- genommen werden. Für die Befüllung der Kulturfla- fach höheren Kontaminationsrisikos [27] sollten sche (mindestens 10 ml [21], [28]) muss eine sterile Blutkulturen nur in Ausnahmefällen über einen zentra- Nadel benutzt werden [29]. Es sollten 2 bis 3 Blutkul- len Venenkatheter bzw. einen arteriellen Zugang ab- turen (jeweils eine aerobe und eine anaerobe Blutkul- GMS German Medical Science 2010, Vol. 8, ISSN 1612-3174 48/86
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis... Tabelle 3: Modifizierter „Klinischer Pulmonaler Infektions Score (CPIS)“ [43] turflasche, zusammen ein sogenanntes Blutkulturpaar Pulmonale Infektions Score (CPIS)“ (Score >6) für das oder Blutkultursets) von verschiedenen Entnahmeor- initiale Screening zu verwenden (Tabelle 3) [43], [44]. ten (z.B. rechte und linke Vena cubitalis) entnommen → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [44]) werden [30], [31], wobei auf ein definiertes zeitliches Kommentar: Eine Kombination von CPIS (cut-off ≥6) Intervall zwischen den Abnahmen verzichtet werden und Procalcitonin (cut-off ≥2,99 ng/ml) kann die dia- kann [32], [33]. gnostische Präzision noch weiter erhöhen [45]. Eine Erregeridentifizierung mittels Methoden der Poly- • Bei V. auf Pneumonie wird empfohlen, Sekrete aus merase-Kettenreaktion (PCR), wie Multiplex-PCR den tiefen Atemwegen vor Einleitung einer antimikro- (Identifizierung einer begrenzten Anzahl von Erregern) biellen Therapie zu gewinnen [46]. und Breitband-PCR (Identifizierung aller Erreger) ist → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei- ein vielversprechender neuer Ansatz und wird gegen- nung) wärtig in klinischen Studien untersucht. Die bisherigen Kommentar: Keinesfalls sollte hierdurch die Intitierung klinischen Studien legen nahe, dass hiermit deutlich einer kalkulierten antimikrobiellen Therapie bei Pati- häufiger und schneller ein Erregernachweis geling enten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock [34], [35], [36]. Wegen der weitgehend fehlenden verzögert werden (s. Abschnitt antimikrobielle Thera- Resistenztestung ist dies jedoch derzeit kein Ersatz pie). Bisher konnte für kein diagnostisches Verfahren für die Blutkultur. Ebenfalls fehlen Daten zur Kosten- (endotracheale Aspirate, blinde oder bronchoskopische effektivität. Klare Empfehlungen für die klinische Praxis PSB, BAL) ein signifikanter Vorteil bewiesen werden können aus den bisherigen Ergebnissen noch nicht [43], [47], [48]. Die Wahl der Technik sollte sich daher abgeleitet werden [37]. nach der Erfahrung der einzelnen Einrichtungen rich- ten. Ventilator-assoziierte Pneumonien • Es wird empfohlen, quantitative oder semiquantitative (≥100.000 cfu/ml) Techniken zu bevorzugen [49], Vorbemerkung: Eine ventilatorassoziierte Pneumonie [50]. (Diagnose einer Pneumonie nach mehr als 48 Stunden → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ic) Beatmungsdauer bei zuvor pneumoniefreien Patienten) Kommentar: Die Aufarbeitung sollte gemäß den ist von einer Pneumonie, welche eine Beatmung erforder- Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Hygiene lich macht, zu unterscheiden. Letztere kann ambulant und Mikrobiologie (DGHM) mit Auszählung der poly- erworben oder nosokomial sein, es gelten die diagnosti- morphkernigen Granulozyten (>25 pro Gesichtsfeld) schen Regeln für die jeweiligen Erkrankungsbilder [38], und Epithelzellen (max. 25 pro Gesichtsfeld) erfolgen [39]. Die früher empfohlene Stratifizierung in eine „early [38], [51], [52]. onset“ (zwischen Tag 1–4) und „late onset“ (nach Tag 4) • Routinemäßige serologische Tests werden zur Diagno- VAP und damit verbundene unterschiedliche empirische se einer VAP nicht empfohlen [53], [54]. antimikrobielle Therapieplanung [40] ist nach einer → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei- jüngsten Erhebung des Nationalen Referenzzentrums nung) für Surveillance von nosokomialen Infektionen nicht mehr sinnvoll, da sich das Erregerspektrum nicht unterscheidet Katheter- und Fremdkörper-induzierte [41]. Sepsis • Neu aufgetretene Infiltrate im Röntgen-Thorax, eine Leukozytose oder Leukopenie und purulentes Tracheal- • Das Vorliegen einer Katheter-induzierten Infektion sekret sind sensitive klinische Hinweise auf eine VAP kann ohne Entfernung des Katheters nicht sicher [42]. Es wird empfohlen, den modifizierten „Klinische festgestellt werden [53]. Wenn ein zentraler Venenka- theter (ZVK) eine mögliche Sepsisquelle darstellt, wird GMS German Medical Science 2010, Vol. 8, ISSN 1612-3174 49/86
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis... empfohlen, den ZVK zur Diagnosesicherung zu entfer- Invasive Candida-Infektionen nen und die Katheterspitze zur mikrobiologischen Diagnostik einzuschicken [55], [56]. • Bei neutropenischen, immunsupprimierten und bei → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei- Patienten nach abdominalchirurgischen Eingriffen und nung) solchen nach prolongierter antibiotischer Vorbehand- • Es wird empfohlen, Blutkulturen vor Entfernung des lung wird empfohlen, Blutkulturen zum Nachweis einer ZVK über den liegenden Katheter und zeitgleich über Candida-Infektion abzunehmen [68]. eine periphere Vene abzunehmen und die Kulturergeb- → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei- nisse miteinander zu vergleichen [57], [58], [59]. nung) → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [58], [59]) Kommentar: Die Inzidenz von invasiven Candida-Infek- • Bei Vorliegen einer eitrigen Sekretion aus dem Stich- tionen bei Intensivpatienten liegt bei ca. 1–2% [69], kanal wird empfohlen, Abstriche [60] und eine Kathe- [70]. Der Goldstandard der Diagnose einer invasiven terneuanlage durchzuführen, wobei die neue Punktion Candida-Infektion ist der histopathologische bzw. zyto- fern von der infizierten Punktionsstelle erfolgen sollte. pathologische Nachweis in betroffenen Geweben oder → Empfehlung Grad D (Evidenzgrad IIb für [60]) in normalerweise sterilen Körperflüssigkeiten, jedoch • Bei Verdacht auf eine Katheterinfektion wird ein Ka- nicht im Urin [71]. theterwechsel über einen Führungsdraht nicht emp- • Ein Routinescreening zum Nachweis von Candidakolo- fohlen [61], [62]. nisierungen wird nicht empfohlen. → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIa für [62]) → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei- • Es gibt keinen Hinweis, dass ein routinemäßiger nung) Wechsel intravasaler Katheter das Risiko einer Bakte- Kommentar: Candida-Kolonisierungen werden bei ca. riämie vermindert [62], [63]. Daher wird empfohlen, 16% von Intensivpatienten nachgewiesen [9], [72]. intravasale Katheter nur bei Anzeichen einer Infektion Diese haben jedoch einen geringen positiv prädiktiven zu wechseln. Wert zur Vorhersage einer Candida-Infektion [69]. → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIa für [62]) Akute bakterielle Meningitis Chirurgische Infektionen und intraabdomineller Fokus Vorbemerkung: Eine bakterielle Meningitis entsteht ent- weder primär infolge einer hämatogenen oder lymphoge- • Bei V. a. chirurgische Wundinfektionen oder intraabdo- nen Erregeraussaat oder sekundär durch direkten Eintritt minelle Infektionen wird empfohlen, Blutkulturen ab- von Mikroorganismen in das ZNS (meist fortgeleitete In- zunehmen (s. Abschnitt Blutkulturen). Zusätzlich wird fektion z.B. Otitis, Sinusitis oder iatrogen in Zusammen- empfohlen, Nativmaterial (Gewebe) oder Wundabstri- hang mit medizinischen Eingriffen) [73]. Bei 696 Patien- che und eine Gramfärbung sowie aerobe und anaerobe ten mit ambulant erworbener bakterieller Meningitis Kulturen zu veranlassen [53], [64], [65], [66]. hatten nahezu alle Patienten mindestens 2 der 4 charak- → Empfehlung Grad D (Evidenzgrad IIIb für [64], [66]) teristischen Symptome Kopfschmerzen, Nackensteife, Kommentar: Bei Sekreten aus Drainagen sollte die Fieber und Bewusstseinsstörung [74]. Die Diagnose einer Kontaminationsgefahr beachtet werden. Nativmaterial bakteriellen Meningitis stützt sich auf der zytologisch- (Gewebe) hat gegenüber Wundabstrichen eine höhere biochemischen Untersuchung des Liquors [75] und wird mikrobiologische Nachweisrate. durch den Erregernachweis im Liquor gesichert [73], • Es wird empfohlen, eine Sonografie als Mittel der [75]. Der Liqourbefund zeigt typischerweise eine granu- ersten Wahl zur Suche eines intraabdominellen Fokus lozytäre Pleozytose >1000 Zellen/μl; Protein >120 mg/dl; durchzuführen. Ist diese Methode erfolglos, wird Glukose
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis... • Bei Patienten ohne Hinweise auf eine intrakranielle 5. Prävention Drucksteigerung (s.o.) wird empfohlen, schnellstmög- lich vor Beginn der antimikrobiellen Therapie und vor CCT Blutkulturen (s. o.) und eine LP durchzuführen Programme zur Infektionsprävention [73], [75], [79]. (Ventilator-assoziierte Pneumonien, → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ic) ZVK-assoziierte Bakteriämie, • Danach wird empfohlen ohne Zeitverlust mit einer kalkulierten Antibiotikatherapie zu beginnen [80]. Harnwegkatheter-assoziierte → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ic) Harnweginfektionen) • Zur Sicherung der Diagnose wird eine sofortige Gram- färbung im Liquor empfohlen. • An das Intensivpersonal gerichtete Schulungsprogram- → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ic) me und Präventionsprotokolle werden empfohlen, da Kommentar: Der Erregernachweis gelingt mikrosko- diese nachweislich die Rate an Ventilator-assoziierten pisch mittels Gramfärbung in 60–90% (Spezifität Pneumonien [91], [92], [93], [94], [95], [96] ZVK-as- ≥97%) [75], [76], [81], [82], [83]. Bei vorbehandelten soziierte Bakteriämien [94], [97], [98], [99], [100] und Patienten, negativem Ergebnis in der Gramfärbung Katheter-assoziierter Harnweginfektionen reduzieren und Kultur kann der Einsatz von Latexagglutionations- [101]. tests und PCR die Chance des Erregernachweises → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad IIc für [94], [100]) möglicherweise erhöhen [75], [76], [84], [85]. • Es wird empfohlen, die Rate an Ventilator-assoziierten • Eine frühzeitige Behandlung mit Dexamethason vor Pneumonien und ZVK-assoziierten Bakteriämien regel- oder mit der ersten AB-Gabe wird empfohlen. mäßig zu erfassen und zu analysieren, um Trends zu → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ia für [16]) erfassen und die Situation der eigenen Intensivstation Kommentar: Über den Einsatz von Dexamethason bei im Vergleich zu anderen zu beurteilen. Deshalb sollten Patienten mit bakterieller Meningitis und gleichzeitiger einheitliche Definitionen zur Diagnose einer VAP und Sepsis kann keine definitive Aussage gemacht werden, ZVK-assoziierter Bakteriämie Verwendung finden [102], da kontrollierte Studien hierzu mit einer ausreichenden [103] und einheitliche Raten bestimmt werden (Anzahl Anzahl an Patienten fehlen. In einer großen plazebo- Ventilator-assoziierte Pneumonien pro 1000 Beat- kontrollierten europäischen Studie führte die adjunk- mungstage und Anzahl von Bakteriämien pro 1000 tive Therapie mit Dexamethason vor oder zeitgleich ZVK-Tage) [102], [103], [104]. Auch wird empfohlen, mit der ersten Antibiotikagabe zu einer signifikanten die verursachenden Erreger und deren Resistenzsitua- Reduktion der Letalität und der Häufigkeit ungünstiger tion regelmäßig zu erfassen und zu analysieren. klinischer Verläufe [86]. Die Subgruppenanalyse → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad IIc für [104]) zeigte, dass Dexamethason nur bei Pneumokokken- meninigitis wirksam war. Diese günstigen Effekte von Umgang mit „devices“ Dexamethason bei erwachsenen Patienten mit Pneu- mokokkenmeningitis konnten in 2 Metaanalysen • Eine hygienische Händedesinfektion vor und nach kontrollierter Studien bestätigt werden [87], [88]. Patientenkontakt wird empfohlen [105], [106]. Beide Metaanalysen zeigten aber auch bei Erwachse- → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ia für [105]) nen mit Meningokokkenmeningitis eine nichtsignifi- Kommentar: Die hygienische Händedesinfektion vor kante Reduktion der Letalität und Häufigkeit neurolo- Patientenkontakt ist die wichtigste Maßnahme zur gischer Residuen unter Dexamethasonbehandlung. Vermeidung der Erregerübertragung auf die Patienten. Dagegen scheint Dexamethason unter in einem Ent- Die regelmäßige hygienische Händedesinfektion nach wicklungsland herrschenden Bedingungen insbeson- Patientenkontakt dient vor allem dem Personalschutz dere bei Kindern keinen Vorteil gegenüber Placebo zu und der Vermeidung der Erregerausbreitung in der besitzen [88], [89], [90]. Aufgrund der europäischen unbelebten Patientenumwelt. In den letzten Jahren Therapiestudie [86] und den Daten der Metaanalysen wurde in verschiedenen Studien gezeigt, dass mit [87], [88] empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Steigerung der Compliance zur Händedesinfektion die Neurologie, grundsätzlich bei erwachsenen Patienten Inzidenz der nosokomialen MRSA-Infektionen signifi- mit Verdacht auf bakterielle Meningitis Dexamethason kant reduziert werden konnte [106], [107]. 10 mg iv unmittelbar vor Gabe des Antibiotikums zu • Eine aseptische Technik bei der Anlage von zentralen verabreichen, danach 10 mg alle 6 Stunden für insge- Venenkathetern und anderen vergleichbaren zentralen samt 4 Tage [76]. intravasalen Kathetern wird empfohlen [108]. → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ib für [108]) Kommentar: In einer randomisierten kontrollierten Studie wurde der Vorteil der gemeinsamen Anwendung von sterilen Handschuhen, sterilem Kittel, Mund-Na- senschutz, Kopfhaube und großem Abdecktuch versus sterile Handschuhe und kleinem Abdecktuch bei der Anlage von zentralen Venenkathetern gezeigt. Es gibt GMS German Medical Science 2010, Vol. 8, ISSN 1612-3174 51/86
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis... keine randomisierten kontrollierten Studien, die den erreicht wurde. Diese Oberkörperhochlagerung von Beitrag der verschiedenen Einzelkomponenten unter- 30° führte nicht zu einer Reduktion der Inzidenz der sucht haben. VAP verglichen mit einer flachen Rückenlagerung mit • Sofern diese nicht mehr indiziert sind, wird die unver- 10°-Oberkörperhochlagerung [120]. zügliche Entfernung von intravasalen- und Harnwegs- kathetern empfohlen [109]. Ernährung → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ic) • Ein routinemässiger Wechsel von intravasalen- und • Nach einer Metaanalyse führt eine frühe orale bzw. Harnwegskathetern wird nicht empfohlen [62]. enterale Ernährung bei chirurgischen Patienten mit → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ib für [62]) Operationen am Gastrointestinaltrakt zu einer Vermin- • Der Einsatz von Endotrachealtuben mit der Möglichkeit derung von Infektionen und der Aufenthaltdauer im zur subglottischen Absaugung kann erwogen werden, Krankenhaus [121]. Eine frühe orale bzw. enterale da diese mit geringeren Pneumonieraten assoziiert Ernährung wird bei solchen Patienten empfohlen. sind [110], [111]. → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ia für [121]) → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [111]) Kommentar: Unter früher enteraler bzw. oraler Ernäh- rung ist der Ernährungsaufbau binnen 24 Stunden Körperposition postoperativ zu verstehen. Die Menge der zugeführten Ernährung hat sich nach der Toleranz des Patienten • Es wird empfohlen, eine Oberkörperhochlagerung so zu richten. Auch geringe Mengen von Nahrungs- bzw. häufig wie möglich zur Vermeidung einer Ventilator- Flüssigkeitszufuhr sind bereits mit einer Verbesserung assoziierten Pneumonie (VAP) bei intubierten Patienten des Verlaufes verbunden. Eine Sondenernährung ist durchzuführen – sofern hierfür keine Kontraindikation lediglich dann erforderlich, wenn der Patient nicht im besteht. Stande ist selbständig zu schlucken [122]. → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad IIb für [112]) Kommentar: Die Aspiration von bakteriell kontaminier- Immunonutrition ten Sekreten des oberen Magen-Darm-Traktes und des Pharynx wird allgemein als Risikofaktor und Aus- • Der perioperative bzw. postoperative Einsatz von im- löser für die Entwicklung einer nosokomialen und munmodulierenden Sondennahrungen (Arginin, ω3- Ventilator-assoziierten Pneumonie (VAP) angesehen. Fettsäuren, Nukleotide) bei elektiven chirurgischen Daraus wird geschlossen, dass Maßnahmen, die zu Patienten mit gastrointestinalen Tumoren oder Poly- einer Abnahme des gastro-ösophagealen Refluxes traumapatienten, die enteral ernährt werden können und einer Reduktion der oro-pharyngealen Sekretmen- wird empfohlen, da derartige Sondennahrungen mit ge führen, mit einer geringeren Inzidenz nosokomialer einer Verminderung der Aufenthaltsdauer im Kranken- Pneumonien und VAP einhergehen [113], [114], [115], haus und einer Reduktion von nosokomialen Infektio- [116]. Die Effekte der Oberkörperhochlagerung zur nen assoziiert sind [123], [124]. Prävention einer Aspiration und Pneumonie wurde bei → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ia für [124]) orotracheal intubierten Patienten ohne bekannte Risi- kofaktoren für einen gastro-ösophagealen Reflux, mit Insulintherapie einer nasogastralen Sonde versorgt waren, eine Stressulkusprophylaxe erhielten und bei denen der • Die routinemässige Anwendung einer intensivierten endotracheale Cuffdruck kontrolliert und über 25 intravenösen Insulintherapie mit dem Ziel der Wieder- cmH2O gehalten wurde, untersucht. Ein Teil der einge- herstellung einer Normoglykämie (4,4–6,1 mmol/l schlossenen Patienten erhielt eine enterale Ernährung. (80–110 mg/dl) kann bei Intensivpatienten ausserhalb Bei diesen Patienten führte eine kontinuierliche 45°- klinischer Studien nicht empfohlen werden. Oberkörperhochlagerung zu einer Verzögerung des → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ia für [125]) gastro-ösophagealen Refluxes und/oder zu einer Ab- Kommentar: Eine kontinuierliche intravenöse Verab- nahme, aber nicht vollständigen Vermeidung der pul- reichung von Insulin mit dem Ziel der Wiederherstel- monalen Aspiration pharyngealer Sekrete [117], [118], lung einer Normoglykämie (4,4–6,1 mmol/l (80–110 und der Inzidenz der VAP [112] verglichen mit einer mg/dl)) bei Intensivpatienten war nach der bisher flachen Rückenlagerung (0°-Oberkörperhochlage- vorliegenden Datenlage eine Massnahme, welche rung). Die 30°-Oberkörperhochlagerung in Kombina- septische Komplikationen bei postoperativen und tion mit der Absaugung von subglotischen Sekreten mechanisch beatmeten, überwiegend kardiochirurgi- führte nicht zu einer Reduktion Kolonisation der unte- schen Patienten verhindert (Prävention einer schweren ren Atemwege verglichen mit einer flachen Rückenla- Sepsis) und damit zu einer Senkung der Letalität und gerung mit 0°-Oberkörperhochlagerung [119]. Obwohl Morbidität beitragen könnte [126], [127]. Dieses ist die 45°- Oberkörperhochlagerung in einer klinischen jedoch nur in einer monozentrischen randomisierten Untersuchung in der Interventionsgruppe angestrebt Studie gezeigt worden; eine konfirmative Studie stand wurde, zeigten Messungen, dass trotz Studienbedin- bisher aus. In einer weiteren Studie konnte bei inter- gungen nur eine Oberkörperhochlagerung von 30° nistischen Intensivpatienten weder eine Reduktion GMS German Medical Science 2010, Vol. 8, ISSN 1612-3174 52/86
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis... septischer Komplikationen noch ein Überlebensvorteil siko schwerer Hypoglykämien durch eine moderate nachgewiesen werden, bei einer gleichzeitigen Steige- intravenöse Insulintherapie geringer. Eine engmaschi- rung der Rate schwerer Hypoglykämien (20%) und geringen Sensitivität im hypoglykämischen 80–110 mg/dl) oder einer moderaten Kontrolle der Messbereich der gegenwärtig verfügbaren Messgeräte Hyperglykämie (Zielwerte 150 mg/dl (>8,3 mmol/l)) kann bei Intensivpatienten voraussichtlich längerer Beatmungsdauer (>48 h) zur erwogen werden. (Aufgrund der – nach Abschluss des Prophylaxe von Infektionen anzuwenden. Konsentierungsverfahrens der vorliegenden Leitlinie → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ia für [137] – publizierten Ergebnisse im Kontrollarm der NICE- Kommentar: In einer Publikation wurde bei insgesamt SUGAR Studie hat die Surviving Sepsis Campaign vor 934 Patienten eine verringerte ITS-(15 vs. 23%; kurzem einen Schwellenwert von >180 mg/dl (10,0 p
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis... Tabelle 4: SDD- und SOD-Regime nach Krüger WA, IntensivNews 2009, mod. nach: de Smet et al, New Engl J Med 2009; 360:20- 31 [137]. In modifizierter Form kann SDD oder SOD nach der Mundpflege und nach oralem Absaugen auch mit einer Spritze als orale Suspension gegeben werden: 4 x täglich 10 mL nach folgender Rezeptur: 1,0 g Polymyxin E = Colistin (oder alternativ 0,5 g Polymyxin B), 800 mg Tobramycin, 2,5 g Amphotericin B ad 100 mL Aqua dest.) sivstationäre Letalität signifikant reduziert (9,4% vs. (Nach Konsentierung sind weitere Daten zur Resistenz 27,8%, Risk Ratio 0,25, 95% Konfidenzintervall: unter o.g. 3-armiger Studie online publiziert worden 0,10–0,80) [139]. Zwei Langzeitstudien zeigten keine [142]. In respiratorischem Sekret wurden anfänglich relevanten Resistenzprobleme nach mehrjähriger Ceftazidim- Tobramycin- bzw. Ciprofloxacin-resistente Anwendung von SDD [140], [141]. Voraussetzung für Bakterien bei 10%, 10% bzw. 14% der Patienten ge- die Verwendung von SDD sollte das regelmäßige funden. Unter SDD oder SOD fiel der Nachweis signifi- Führen von Resistenzstatistiken sein, um ein gehäuftes kant auf 4%, 6% bzw. 5% und stieg danach wieder Auftreten von multiresistenten Erregern rechtzeitig zu signifikant auf das Ausgangsniveau an (10%, 12% erkennen. Der Vorteil von SDD bei hoher Prävalenz bzw. 12%). In Rektalabstrichen wurde gleichermaßen von Methicillin-resistenten Staphylokokken ist nicht eine signifikante Suppression von Tobramycin- und bewiesen [138]. Ciprofloxacin-resistenten Bakterien während SDD In einer 3-armigen, prospektiven, offenen Studie in nachgewiesen, im Vergleich zum Zeitraum vor und 13 Intensivstationen mit randomisiertem, halbjährli- nach Anwendung von SDD, während SOD keinen Ein- chen Wechsel zwischen SDD, SOD oder keiner dieser fluss hatte. Im Mittel blieb die Prävalenz Ceftazidim- Maßnahmen (cluster randomised design) an über resistenter Bakterien vor und während Anwendung 6000 Patienten zeigte sich zunächst kein Benefit von SDD gleich (Nachweis bei 6% bzw. 5% der Patien- durch SDD oder SOD bezüglich der 28-Tage Letalität ten), stieg aber nach Anwendung von SDD signifikant [137]. Allerdings waren die Studiengruppen bezüglich auf 15% an. Die Daten bestätigen frühere Publikatio- begleitender Risikofaktoren nicht ausgewogen verteilt, nen, in denen während Anwendung von SDD sogar zum Nachteil der beiden Behandlungsgruppen. Eine weniger resistente Bakterien nachgewiesen wurden, logistische Regressionsanalyse ergab einen signifikan- der postinterventionelle Anstieg der Ceftazidim-Resis- ten Überlebensvorteil für die Patienten der SDD- tenz in Rektalabstrichen unterstreicht aber nochmals Gruppe, wenn die Faktoren Alter >65 Jahre und APA- die Notwendigkeit zum Führen von Resistenzstatisti- CHE-Score >20 rechnerisch ausgeglichen wurden. ken.) Nach Einbeziehen weiterer Faktoren zeigte sich für SOD ebenfalls ein signifikanter Überlebensvorteil. Es Orale Antiseptika zur Mundpflege überrascht nicht, dass das Weglassen der gastralen Antibiotika-Gabe keinen wesentlichen Einfluss hat, da • Es wird empfohlen, orale Antiseptika zur Prophylaxe die Notwendigkeit dieser Maßnahme in der gesamten von Infektionen anzuwenden. SDD-Literatur am wenigsten belegt ist und die oral → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ia für [143]) applizierten Antibiotika ohnehin in den Magen gelan- Kommentar: Mehrere Arbeiten zeigen, dass die VAP- gen. Ob die intravenöse Antibiotikagabe tatsächlich Inzidenz reduziert werden kann, wenn orale Antiseptika entbehrlich ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten, (meist 0,12%–0,2% Chlorhexidin) zur Mundpflege- da in allen SDD-Studien die Mehrheit der Patienten – Lösung und zum Zähneputzen bei Intensivpatienten auch in den Kontrollgruppen – intravenöse Antibiotika hinzugefügt werden [143], [144], [145], [146]. In einer bekamen und in den SDD-Gruppen in den meisten Meta-Analyse an 1650 Patienten zeichnete sich da- Studienprotokollen auf die zusätzliche Gabe von Cefo- durch aber kein Überlebensvorteil ab [143]. taxim verzichtet wurde, wenn die Patienten Antibiotika aus klinischer Indikation bekamen. In der Arbeit von Präemptive antimykotische Behandlung de Smet et al. war trotz Routine-Gabe von Cefotaxim der Gesamtverbrauch an i.v.-Antibiotika in der SDD- • Effektivität und Sicherheit einer präemptiven antimy- Gruppe am niedrigsten und in der Standard-Gruppe kotischen Behandlung bei Intensivpatienten sind nicht am höchsten (Tabelle 4). GMS German Medical Science 2010, Vol. 8, ISSN 1612-3174 54/86
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis... ausreichend untersucht [147], [148]; eine derartige verfügbaren Pneumokokken-Konjugatvakzine sind Intervention wird daher nicht empfohlen. bislang nur im pädiatrischen Bereich zugelassen. → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei- • Bei Patienten mit anatomischer oder funktioneller nung) Asplenie, die bisher nicht geimpft sind, werden unab- hängig von der Grunderkankung vor (falls möglich) Imprägnierte Gefäßkatheter oder 2 Wochen nach Splenektomie die einmalige Impfung gegen Haemophilus Typ B sowie die Impfung • Wenn die Infektionsraten trotz intensiver Kontrollan- gegen Meningokokken Serogruppe C (Konjugatvakzine) strengungen hoch bleiben [149], [150], [151], [152] und nachfolgend (Abstand 6 Monate) die Impfung mit wird die Anwendung von mit Antiseptika-imprägnierten 4-valentem Meningokokken-Polysaccharid-Impfung Kathetern empfohlen. empfohlen. Die Impfungen gegen Pneumokokken und → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei- Meningokokken werden – analog zur Empfehlung bei nung) Asplenie – auch empfohlen bei Patienten mit medika- Kommentar: Antibiotika-imprägnierte Katheter redu- mentöser Immunsuppression bzw. mit andersartigen zieren die Infektionsraten [153], es ist aber ungeklärt, Immundefekten, bei denen von einer T- und/oder B- wie sich ihre routinemäßige Anwendung in Bezug auf zellulären Restfunktion ausgegangen werden kann. die Resistenzrate auswirkt. → Empfehlung: Grad E (Evidenzgrad V für [162], [165]) • Bei Patienten mit chronischen Krankheiten (Herz- Personalausstattung Kreislauf, Atmungsorgane, Diabetes mellitus, Niere, ZNS incl. Liquorfistel) sowie bei Patienten (unabhängig • Eine qualitativ und quantitativ ausreichende Personal- von einer Grunderkrankung), die 60 Jahre oder älter austattung von Intensivstationen wird empfohlen sind, wird ebenfalls eine Impfung gegen Pneumokok- [154], [155], [156], [157], [158], [159], [160], [161]. ken empfohlen. Bei älteren Kindern (ab 5 Jahre) und → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [161]) Erwachsenen wird die Polysaccharid-Vakzine empfoh- Kommentar: In der Vergangenheit konnte im Rahmen len. Die verfügbaren Pneumokokken-Konjugatvakzine von Ausbruchsepisoden wiederholt gezeigt werden, sind bislang nur im pädiatrischen Bereich zugelassen dass die Ausbruchsereignisse mit Personalmangelsi- Die Wiederimpfung mit Pneumokokken-Polysaccharid- tuationen assoziiert waren. Kürzlich wurde auch für Vakzine wird bei diesen Patienten inzwischen nicht endemische Situationen gezeigt, dass Personalmangel mehr empfohlen (siehe auch [166]) (Ausnahme: ne- mit einer hohen Sepsisinzidenz assoziiert war [161]. phrotisches Syndrom). → Empfehlung: Grad C (Evidenzgrad IIb für [167], Impfungen [168]). Kommentar: Man rechnet in Deutschland jährlich mit • Bei Patienten mit anatomischer oder funktioneller ~10.000 Todesfällen durch Pneumokokkeninfektio- Asplenie wird unabhängig von der Grunderkankung nen. Hauptbetroffene sind Menschen über 60 Jahre. vor (falls möglich) oder während des stationären Auf- Anhand der Kapselpolysaccharide werden 90 Pneu- enthaltes nach Splenektomie eine Impfung gegen mokokken-Serotypen unterschieden. Die verfügbaren Pneumokokken empfohlen. Bei älteren Kindern (ab 5 23-valenten Pneumokokken-Impfstoffe erfassen 90 Jahre) und Erwachsenen wird die Polysaccharidvakzine Prozent der Serotypen, die für Pneumokokken-Erkran- empfohlen; eine Wiederimpfung (mit Polysaccharid- kungen ursächlich sind. Sie reduzieren das Pneumok- vakzine) sollte alle 5 bis 6 Jahre erfolgen. ken-Bakteriämierisiko um 40 bis 50% und verhindern → Empfehlung: Grad B (Evidenzgrad IIa für [162]) Pneumonietodesfälle. Inwieweit Patienten in dieser Kommentar: Patienten mit Splenektomie aufgrund Altersgruppe, die kürzlich wegen einer Pneumonie einer hämatologischen Tumorerkrankung haben ein stationär behandelt werden, von einer Impfung profi- höheres Risiko einer unzureichenden Impfantwort und tieren, ist nicht klar [169]. ein höheres Risiko für ein Impfversagen [163], [164]. Aufklärung der Patienten, Angehörigen und primär betreuenden Ärzte, Aushändigen eines entsprechen- 6. Kausale Therapie den Ausweises und Dokumentation der Impfungen sind daher wesentlich. Eine dauerhafte Antibiotikapro- Fokussanierung phylaxe (mit Oralpenicillin oder niedrig dosiertem Ery- thromycin) wird von einigen Gesellschaften zusätzlich Vorbemerkung: Die vollständige Sanierung der septischen zur Impfung empfohlen [162], [165]. Die Bestimmung Infektionsquelle ist (Grund-) Voraussetzung für eine er- von Antikörpertitern nach Impfung zur Indikationsstel- folgreiche Behandlung der schweren Sepsis und des lung vorzeitige Wiederimpfung bzw. Antibiotikaprophy- septischen Schocks. Unzureichende Fokussanierung ist laxe ist umstritten [163]. Patienten mit Asplenie haben mit einer erhöhten Letalität vergesellschaftet [170], auch ein höheres Risiko für schwerverlaufende Infek- [171]. Entsprechend wurde für verschiedene Krankheits- tionen nach Bissverletzung, bei Malaria und Babesio- entitäten gezeigt, dass die Zeitdauer zwischen Auftreten se, möglicherweise auch bei anderen Erregern. Die der septischen Symptomatik und der Einleitung suffizien- GMS German Medical Science 2010, Vol. 8, ISSN 1612-3174 55/86
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis... ter Maßnahmen zur Beherrschung des septischen Fokus Ergebnisse aus prospektiven randomisierten, kontrollier- maßgeblich das Outcome des Patienten bestimmt [172], ten Therapiestudien vor. Grund hierfür ist, dass diese [173]. Eine operative Fokussanierung kann durch eine Patienten aufgrund der hohen Letalität in den Zulassungs- oder mehrere Maßnahmen erfolgen: studien neuer antimikrobieller Substanzen bisher ausge- schlossen wurden. Wichtige Fragen zur Sepsistherapie 1. Entfernung von Implantaten (Katheter [174], Gefäß- können dadurch leider nicht beantwortet werden. In den prothesen [175], Osteosynthesematerial [176], Ge- Statistiken internationaler Surveillancesysteme werden lenkersatz [177]) als potentielle nosokomiale Sepsisquellen vor allem Ka- 2. Inzision bzw. CT-gestützte Drainage von Abszessen theter – und Wundinfektionen, Urogenitalinfektionen und [178] Pneumonien aufgeführt [182], [183]. Mit einer substan- 3. Wunderöffnung und Nekrektomie, Amputation und tiellen Steigerung der Letalität sind allerdings im wesent- Fasziotomie [179] lichen die pneumonische, abdominelle und durch Haut- 4. Behandlung von Peritonitis, Anastomoseninsuffizienz Weichteilinfektionen verursachte Sepsis assoziiert [184], und Ileus durch Peritoneallavage, Drainage oder En- da diese Infektionen häufiger mit Organdysfunktionen terostomie [172], [180]. und damit schweren Verläufen der Sepsis einhergehen. 5. Hinsichtlich der Wertigkeit differenter Spülverfahren Die Bedeutung des Infektionsortes für die Prognose und bei der Behandlung der Peritonitis zeigt die derzeitige die Einschätzung der Erregerepidemiologie müssen bei Studienlage keine Vorteile für ein bestimmtes Verfah- der Planung einer kalkulierten antimikrobiellen Therapie ren. berücksichtigt werden. Die infektionsepidemiologische • Wir empfehlen frühzeitige Massnahmen zur Fokussa- Variabilität ist allerdings hoch. Nicht nur zwischen ver- nierung, da diese mit einer Reduktion der Letalität schiedenen Ländern und Regionen, sondern sogar zwi- verbunden sind [172], [180]. schen Krankenhäusern derselben Stadt oder verschiede- → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ic) nen Intensivstationen desselben Hauses kann es erheb- Kommentar: Randomisierte klinische Studien zur Fo- liche Unterschiede hinsichtlich der wichtigsten Erreger kussanierung liegen aufgrund der Schwierigkeit der und Resistenzen geben. Erreger- und Resistenzstatistiken Studiendurchführung zu diesen Fragestellungen nicht sollten daher für jede Station eines Krankenhauses ein- vor [181]. zeln erfasst und in regelmäßigen Abständen kommuni- ziert werden. Antimikrobielle Therapie • Es wird empfohlen, eine antimikrobielle Therapie nach Abnahme von Blutkulturen (siehe Kapitel Diagnose Vorbemerkung: Trotz einer Vielzahl verbesserter suppor- der Infektion), jedoch frühest möglich (innerhalb einer tiver und adjunktiver Therapiemaßnahmen hat sich an Stunde) nach Diagnosestellung der Sepsis zu verabrei- der hohen Letalität und Morbidität, welche der schweren chen [22]. Sepsis und des septischen Schocks geschuldet sind, in- → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ic) nerhalb der letzten 20 Jahre wenig geändert. Grund Kommentar: Eine frühzeitige intravenös verabreichte hierfür sind vor allem Defizite in der frühzeitigen Diagno- kalkulierte, am individuellen Risikoprofil des Patienten se, der – wenn immer möglichen – chirurgischen und am ITS-spezifischen mikrobiologischen Resistenz- Herdsanierung und/oder der antimikrobiellen Therapie muster ausgerichtete antimikrobielle Therapie redu- des Infektionsfokus. Einer weltweit steigenden Resis- ziert die Letalität bei Patienten mit gramnegativer und tenzentwicklung der wichtigsten Infektionserreger gegen- grampositiver Bakteriämie, Fungämie und Sepsis [30], über allen gängigen Antibiotika einerseits, steht anderer- [185], [186], [187], [188], [189], [190], [191], [192], seits keine vergleichbare Entwicklung neuer antiinfektiver [193], [194], [195], [196], [197], [198], [199], [200], Substanzen gegenüber. Vor allem im Bereich gram nega- [201], [202], [203], [204], [205]. tiver Probleminfektionen mit Non-Fermentern wie Pseu- • Es wird empfohlen, das gewählte antimikrobielle Re- domonas aeruginosa sind auf absehbare Zeit keine gime alle 48–72 Stunden anhand klinischer und mi- neuen Substanzen zu erwarten. Schwerpunkt der gegen- krobiologischer Kriterien neu zu evaluieren, um das wärtigen klinischen Versorgung und Forschung müssen antimikrobielle Spektrum zu verengen und damit das daher präventive Massnahmen und die Optimierung der Risiko von Resistenzen, die Toxizität und die Kosten antimikrobiellen diagnostischen und therapeutischen zu verringern. Strategien darstellen. Von besonderer Bedeutung ist → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei- hierbei eine breite, hochdosierte, frühzeitig applizierte nung) Initialtherapie, eine klinisch und an molekularen Markern • Falls eine Infektion nach klinischen und/oder mikro- orientierte Deeskalationsstrategie und eine – mit Ausnah- biologischen Kriterien nicht bestätigt werden kann, men – auf 7–10 Tagen begrenzte Therapiedauer. Einer wird empfohlen, die antmikrobielle Behandlung einzu- engen Zusammenarbeit zwischen Mikrobiologie, Hygiene stellen. und klinischer Infektiologie kommt in Anbetracht der → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei- dramatischen infektiologischen Probleme der Zukunft nung) eine entscheidende Bedeutung zu. Zur antimikrobiellen Therapie von Patienten mit schwerer Sepsis liegen keine GMS German Medical Science 2010, Vol. 8, ISSN 1612-3174 56/86
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis... • Es wird empfohlen, die Dauer der antimikrobiellen Linezolidbehandlung empfohlen, welche einer Vanco- Therapie nach der klinischen Reaktion auszurichten, mycin-Monotherapie überlegen ist [214], [215], [216]. im allgemeinen ist eine Therapiedauer länger als 7–10 → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [215], Tage nicht erforderlich. [216]) → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [18]) Kommentar: Glykopeptide penetrieren aufgrund ihrer • Es wird empfohlen, ein Pseudomonas-wirksames An- Molekülgröße schlecht in das Gewebe [212]. Ob bei tibiotikum anzuwenden (Ureidopenicilline (Piperacillin) anderen z.B. intraabdominellen Infektionen mit MRSA oder Dritt- bzw. Viertgenerations-Cephalosporine eine Glykopeptid-Monotherapie empfohlen werden [Ceftazidime oder Cefepime] oder Carbapeneme (Imi- kann, ist nicht untersucht. Die Kombinationstherapie penem oder Meropenem) unter Berücksichtigung loka- von Vancomycin mit Rifampicin zeigte in einer kleinen, ler Resistenzmuster einzusetzen. nicht randomisierten Studien bei Verbrennungspatien- → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei- ten [217] eine gegenüber Vancomycin überlegene nung) Wirkung. Zur Kombination von Vancomycin und Fosfo- Kommentar: Die Überlegenheit einer Kombinations- mycin gibt es nur in vitro Daten [218]. Für die Kombi- therapie mit einem Aminoglykosid konnte nicht belegt nation Teicoplanin und Rifampicin gibt es nur eine werden [206], wobei die Datenlage zur Pseudomonas- Fallserie, die Wirksamkeit und Sicherheit nahe legt sepsis nicht ausreicht und für die Kombination Beta- [219]. In einzelnen Fallserien wurde die Kombination Laktam-Antibiotika plus Fluorchinolone ausser einer aus Rifampicin und Fusidinsäure angewendet [220]. negativen Studie bei VAP-Patienten [207] ebenfalls Fusidinsäure ist jedoch inzwischen ebenfalls durch keine verlässlichen Daten vorliegen. Fluorchinolone Resistenzprobleme belastet. sollten aufgrund der steigenden Resistenzlage bei • Bei Sepsis infolge einer ambulant erworbenen Pneu- Enterobacteriaceae und Pseudomonas als Monothe- monie wird eine Kombination aus Betalaktam-Antibio- rapie nicht verwendet werden. Ceftazidime muss mit tika und Makrolid empfohlen [221]. einer Substanz im grampositiven Wirkungsbereich → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ib für [221]) kombiniert werden. • Eine antimykotische Therapie bei Candidämie wird • Bei dringendem Verdacht auf eine MRSA-Infektion wird empfohlen [222], [223]. empfohlen, eine MRSA-wirksame Therapie mit Linezo- → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [223]) liden bzw. Daptomycin (letzteres bei schweren Haut-, • Es wird nicht empfohlen, Antimykotika bei nicht-neu- Weichteilinfektionen bzw. MRSA-Bakteriämie unklarer tropenischen, nicht-immunsupprimierten Patienten Genese) einzuleiten. routinemäßig als kalkulierte Therapie bei Patienten → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei- mit schwerer Sepsis oder septischem Schock einzuset- nung) zen [224]. Kommentar: Für eine Kombinationstherapie mit Fos- → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei- fomycin oder Rifampicin fehlen leider klinische Studi- nung) en. Fusidinsäure steht Deutschland nicht zur Verfü- Kommentar: Die niedrige Inzidenz von invasiven gung. Auch zur Kombinationstherapien mit Linezolid Candidainfektionen auf Intensivstationen bei gleichzei- gibt es keine verlässlichen Daten. Für schwere Haut- tiger Gefahr der Resistenzentwicklung rechtfertigt den und Weichteilinfektionen und eine MRSA Bakteriämie kalkulierten Einsatz von Antimykotika nicht [69], [225]. unklarer Genese liegen Daten für Daptomycin vor Bei neutropenischen Patienten sollten Antimykotika [208]. Tigecyclin ist für intraabdominelle Infektion und bei unklarem Fieber dann eingesetzt werden, wenn schwere Haut- und Weichteilinfektion zugelassen Es eine kalkulierte Antibiotikatherapie nach 72–96 Std. existieren aber Fallberichte zu septischen Patienten erfolglos war und der klinische Zustand des Patienten [209]. sich verschlechtert [226]. Zur Behandlung neutrope- • Bei pulmonalen MRSA-Infektionen wird eine Glykopep- nischer Patienten siehe [227]. tid-Monotherapie nicht empfohlen, da Glykopeptide aufgrund ihrer Molekülgröße schlecht in das Gewebe penetrieren [210], [211], [212]. 7. Supportive Therapie → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad 2b für [212]) Kommentar: Aus klinischer Sicht stehen außer Glyko- Hämodynamische Stabilisierung peptiden und Linezolid keine in klinisch Studien geprüf- ten Substanzen für die MRSA Pneumonie zur Verfü- Vorbemerkung: Ziel der hämodynamischen Stabilisierung gung. Linezolid war in einer Studie [212] zwar etwas ist das Erreichen eines adäquaten zellulären O2-Angebo- vorteilhafter, in einer anderen [213] im primären tes unmittelbar nach Diagnosestellung der schweren Endpunkt Vancomycin jedoch nicht überlegen. Sepsis bzw. des septischen Schocks [228]. Grundsätzlich stehen daher zur Therapie der MRSA • Obgleich der Nutzen eines erweiterten hämodynami- Pneumonie nur Glykopeptide und Linezolid zur Verfü- schen Monitorings in Bezug auf die Überlebensrate gung [212], [213]. und die Morbidität nicht belegt ist, empfehlen wir bei • Bei gesicherten pulmonalen MRSA-Infektionen [212], [213] sowie Haut- und Weichteilinfektionen wird eine GMS German Medical Science 2010, Vol. 8, ISSN 1612-3174 57/86
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