Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis: 1. Revision der S-2k Leitlinien der Deutschen Sepsis-Gesellschaft e.V. (DSG) und der ...

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Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis:
1. Revision der S-2k Leitlinien der Deutschen
Sepsis-Gesellschaft e.V. (DSG) und der Deutschen
Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und
Notfallmedizin (DIVI)

Zusammenfassung
Leitlinien sind systematisch entwickelte Darstellungen und Empfehlun-                               K. Reinhart1
gen mit dem Zweck, Ärzte und Patienten bei der Entscheidung über                                    F. M. Brunkhorst1
angemessene Maßnahmen der Krankenversorgung unter spezifischen
medizinischen Umständen und unter Berücksichtigung des spezifischen                                 H.-G. Bone2
nationalen Gesundheitssystems zu unterstützen. Die erste Revision der                               J. Bardutzky3
S-2k-Leitlinie der Deutschen Sepsis-Gesellschaft in Kooperation mit 17                              C.-E. Dempfle4
weiteren wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften und
einer Selbsthilfegruppe gibt den Stand des Wissens (Ergebnisse von                                  H. Forst5
kontrollierten klinischen Studien und Wissen von Experten) über effek-                              P. Gastmeier6
tive und angemessene Krankenversorgung zum Zeitpunkt der „Druck-                                    H. Gerlach7
legung“ wieder. Die Leitlinienentwicklung erfolgte entsprechend des
„Deutschen Instrumentes zur methodischen Leitlinien-Bewertung“ der                                  M. Gründling8
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesell-                                S. John9
schaften (AWMF). In Anbetracht der unausbleiblichen Fortschritte wis-                               W. Kern10
senschaftlicher Erkenntnisse und der Technik müssen periodische
Überarbeitungen, Erneuerungen und Korrekturen unternommen werden.
                                                                                                    G. Kreymann11
Die Empfehlungen der Leitlinien können nicht unter allen Umständen                                  W. Krüger12
angemessen genutzt werden. Die Entscheidung darüber, ob einer be-                                   P. Kujath13
stimmten Empfehlung gefolgt werden soll, muß vom Arzt unter Berück-
                                                                                                    G. Marggraf14
sichtigung der beim individuellen Patienten vorliegenden Gegebenheiten
und der verfügbaren Ressourcen getroffen werden.                                                    J. Martin15
                                                                                                    K. Mayer16
Schlüsselwörter: Leitlinie, Deutsche Sepsis-Gesellschaft, Deutsche                                  A. Meier-Hellmann17
Sepsis-Hilfe, schwere Sepsis, septischer Schock, Prävention, Diagnose,
Therapie, Nachsorge                                                                                 M. Oppert18
                                                                                                    C. Putensen19
                                                                                                    M. Quintel20
                                                                                                    M. Ragaller21
                                                                                                    R. Rossaint22
                                                                                                    H. Seifert23
                                                                                                    C. Spies24
                                                                                                    F. Stüber25
                                                                                                    N. Weiler26
                                                                                                    A. Weimann27
                                                                                                    K. Werdan28
                                                                                                    T. Welte29

                                                                                                    1 Universitätsklinikum Jena,
                                                                                                      Klinik für Anästhesiologie
                                                                                                      und Intensivtherapie, Jena,
                                                                                                      Deutschland

                                GMS German Medical Science 2010, Vol. 8, ISSN 1612-3174                                     44/86
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis...

Inhaltsverzeichnis                                                                                      2 Klinik für Anästhesiologie
                                                                                                          und operative
                                                                                                          Intensivmedizin,
1.  Definition und Erläuterung des Begriffs "Leitlinie" (S. 46)
                                                                                                          Knappschaftskrankenhaus
2.  Empfehlungen gemäß den Regeln der S2k-Leitlinien (S. 46)                                              Recklinghausen,
3.  Sepsisdefinition und -diagnose (S. 47)                                                                Deutschland
4.  Diagnose der Infektion (S. 47)
    Blutkulturen                                                                                        3 Neurologische Klinik,
                                                                                                          Universitätsklinikum
    Ventilator-assoziierte Pneumonien
                                                                                                          Erlangen, Deutschland
    Katheter- und Fremdkörper-induzierte Sepsis
    Chirurgische Infektionen und intraabdomineller Fokus                                                4 I. Medizinische Klinik,
    Invasive Candida-Infektionen                                                                          Universitätsklinikum
    Akute bakterielle Meningitis                                                                          Mannheim, Deutschland
5. Prävention (S. 51)                                                                                   5 Klinik für Anästhesiologie
    Programme zur Infektionsprävention (Ventilator-assoziierte Pneu-                                      und operative
    monien, ZVK-assoziierte Bakteriämie, Harnwegkatheter-assoziierte                                      Intensivmedizin, Klinikum
    Harnweginfektionen)                                                                                   Augsburg, Deutschland
    Umgang mit „devices“                                                                                6 Institut für Hygiene und
    Körperposition                                                                                        Umweltmedizin, Charité –
    Ernährung                                                                                             Universitätsmedizin, Berlin,
    Immunonutrition                                                                                       Deutschland
    Insulintherapie                                                                                     7 Klinik für Anästhesie und
    Selektive Darmdekontamination                                                                         operative Intensivmedizin,
    Orale Antiseptika zur Mundpflege                                                                      Vivantes Klinikum Neukölln,
    Präemptive antimykotische Behandlung                                                                  Berlin, Deutschland
    Imprägnierte Gefäßkatheter                                                                          8 Klinik für Anästhesie und
    Personalausstattung                                                                                   Intensivmedizin, Ernst-
    Impfungen                                                                                             Moritz-Arndt-Universität
6. Kausale Therapie (S. 55)                                                                               Greifswald, Deutschland
    Fokussanierung                                                                                      9 Medizinische Klinik 4,
    Antimikrobielle Therapie                                                                              Universität Erlangen-
7. Supportive Therapie (S. 57)                                                                            Nürnberg, Deutschland
    Hämodynamische Stabilisierung
                                                                                                        10 Institut für Infektiologie,
    Maßnahmen zur initialen hämodynamischen Stabilisierung                                                 Universitätsklinikum
    Fortführende Maßnahmen zur hämodynamischen Stabilisierung                                              Freiburg, Deutschland
    Volumentherapie
    Therapie mit Inotropika und Vasopressoren                                                           11 Klinik und Poliklinik für
                                                                                                           Intensivmedizin,
    Nierenersatzverfahren
                                                                                                           Universitätsklinikum
    Airway-Management und Beatmung                                                                         Hamburg-Eppendorf,
8. Adjunktive Therapie (S. 62)                                                                             Deutschland
    Rekombinantes aktiviertes Protein C (rhAPC)
                                                                                                        12 Klinik für Anästhesiologie
    Antithrombin
                                                                                                           und operative
    Immunglobuline                                                                                         Intensivmedizin, Klinikum
    Selen                                                                                                  Konstanz, Deutschland
    Andere Therapieansätze
9. Andere supportive Therapien (S. 65)                                                                  13 Klinik für Chirurgie,
                                                                                                           Universitätsklinikum
    Thromboseprophylaxe
                                                                                                           Schleswig-Holstein, Campus
    Ernährung und metabolische Kontrolle                                                                   Lübeck, Deutschland
    Ernährung enteral vs. parenteral
    Parenterale Ernährung                                                                               14 Klinik für Thorax- und
    Immunonutrition                                                                                        kardiovaskuläre Chirurgie,
                                                                                                           Universitätsklinikum Essen,
    Glutamin
                                                                                                           Deutschland
    Ulkusprophylaxe
    Bikarbonat bei Laktatazidose                                                                        15 Klinik für Anästhesiologie,
    Blutprodukte                                                                                           Klinik am Eichert,
    Erythropoetin                                                                                          Göppingen, Deutschland
    Fresh Frozen Plasma (FFP)                                                                           16 Medizinische Klinik II,
    Sedation, Analgesie, Delir und neuromuskuläre Blockade                                                 Justus-Liebig-Universität
10. Nachsorge und Rehabilitation (S. 69)                                                                   Gießen, Deutschland

                                GMS German Medical Science 2010, Vol. 8, ISSN 1612-3174                                           45/86
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis...

1. Definition und Erläuterung des                                                                        17 Klinik für Anästhesie,
                                                                                                            Intensivmedizin und
Begriffs "Leitlinie"                                                                                        Schmerztherapie, HELIOS
                                                                                                            Klinikum Erfurt GmbH,
(Orientiert an der Definition der Agency for Health Care Policy and Re-                                     Deutschland
search für die „Clinical Practice Guidelines“ der USA):
                                                                                                         18 Klinik für Nephrologie und
„Leitlinien sind systematisch entwickelte Darstellungen und Empfehlun-                                      Internistische
gen mit dem Zweck, Ärzte und Patienten bei der Entscheidung über                                            Intensivmedizin, Charité –
angemessene Maßnahmen der Krankenversorgung (Prävention, Dia-                                               Universitätsmedizin Berlin,
gnostik, Therapie und Nachsorge) unter spezifischen medizinischen                                           Deutschland
Umständen zu unterstützen.“                                                                              19 Klinik und Poliklinik für
Leitlinien geben den Stand des Wissens (Ergebnisse von kontrollierten                                       Anästhesiologie und
klinischen Studien und Wissen von Experten) über effektive und ange-                                        operative Intensivmedizin,
messene Krankenversorgung zum Zeitpunkt der „Drucklegung“ wieder.                                           Rheinische Friedrich-
In Anbetracht der unausbleiblichen Fortschritte wissenschaftlicher Er-                                      Wilhelms-Universität Bonn,
kenntnisse und der Technik müssen periodische Überarbeitungen, Er-                                          Deutschland
neuerungen und Korrekturen unternommen werden.                                                           20 Zentrum Anästhesiologie,
Die Empfehlungen der Leitlinien können nicht unter allen Umständen                                          Rettungs- und
angemessen genutzt werden. Die Entscheidung darüber, ob einer be-                                           Intensivmedizin,
stimmten Empfehlung gefolgt werden soll, muß vom Arzt unter Berück-                                         Universitätsklinikum
sichtigung der beim individuellen Patienten vorliegenden Gegebenheiten                                      Göttingen, Deutschland
und der verfügbaren Ressourcen getroffen werden.                                                         21 Klinik für Anästhesiologie
                                                                                                            und Intensivtherapie,
2. Empfehlungen gemäß den Regeln                                                                            Universitätsklinikum Carl
                                                                                                            Gustav Carus der
der S2k-Leitlinien                                                                                          Technischen Universität
                                                                                                            Dresden, Deutschland
Bei der Erstellung dieser Empfehlungen wurden die zugrunde liegenden
Studien von dem Expertenkommittee gesichtet und gemäß dem Oxford                                         22 Klinik für Anästhesiologie,
                                                                                                            Universitätsklinikum der
Centre of Evidence Based Medicine in folgende Evidenzgrade eingeteilt:
                                                                                                            Rheinisch-Westfälische
• Ia – Systematische Übersicht über randomisierte kontrollierte Stu-                                        Technische Hochschule
  dien (RCT)                                                                                                Aachen, Deutschland
• Ib – Ein RCT (mit engem Konfidenzintervall)                                                            23 Institut für Medizinische
• Ic – Alle-oder-Keiner-Prinzip                                                                             Mikrobiologie, Immunologie
• IIa – Systematische Übersicht gut geplanter Kohortenstudien                                               und Hygiene, Klinikum der
                                                                                                            Universität zu Köln,
• IIb – Eine gut geplante Kohortenstudie oder ein RCT minderer Qua-
                                                                                                            Deutschland
  lität
• IIc – Outcome-Studien, Ökologische Studien                                                             24 Klinik für Anästhesiologie
• IIIa – Systematische Übersicht über Fall-Kontrollstudien                                                  und operative
                                                                                                            Intensivmedizin, Charité –
• IIIb – Eine Fall-Kontroll-Studie                                                                          Universitätsmedizin, Berlin,
• IV –Fallserien oder Kohorten-/Fall-Kontroll-Studien minderer Qualität                                     Deutschland
• V –Expertenmeinung ohne explizite Bewertung der Evidenz oder
  basierend auf physiologischen Modellen/Laborforschung                                                  25 Universitätsklinik für
                                                                                                            Anästhesiologie und
Das „Alle-oder-Keiner“-Prinzip (Evidenzgrad Ic) erlaubt die Graduierung                                     Schmerztherapie, Inselspital
von medizinischen Maßnahmen, die fester Bestandteil der ärztlichen                                          Bern, Schweiz
Routineversorgung sind, ohne dass entsprechende Studien vorliegen                                        26 Klinik für Anästhesiologie
müssen, da diese aus ethischen Gründen nicht möglich sind (z.B. Sau-                                        und Operative
erstoffinsufflation bei Hypoxie). Trotz der zunehmenden Akzeptanz von                                       Intensivmedizin,
systematischen Übersichtsarbeiten müssen diese auch kritisch bewertet                                       Universitätsklinikum
werden. So hatte eine kürzliche Metaanalyse einiger Studien mit kleinen                                     Schleswig-Holstein, Campus
                                                                                                            Kiel, Deutschland
Fallzahlen einen protektiven Effekt einer Therapie ergeben [1], der dann
durch eine große prospektive Studie widerlegt wurde [2]. Es muss auch                                    27 Klinik für Allgemein- und
bedacht werden, dass bei Metaanalysen eine Selektion von Studien                                            Viszeralchirurgie, Klinikum
mit positiven Ergebnissen vorliegen kann (Publikationsbias).                                                St. Georg gGmbH Leipzig,
Gemäß der Evidenzgrade können für eine bestimmte Fragestellung                                              Deutschland
Empfehlungen mit folgendem Empfehlungsgrad ausgesprochen werden                                          28 Klinik und Poliklinik für
[3]:                                                                                                        Innere Medizin III, Klinikum
                                                                                                            der Medizinischen Fakultät
                                                                                                            der Martin-Luther-

                                 GMS German Medical Science 2010, Vol. 8, ISSN 1612-3174                                         46/86
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis...

•   A – Mind. 2 Studien mit Evidenzgrad I                                                                    Universität Halle-
•   B – Eine Studie mit Evidenzgrad I oder Evidenzgrad Ic                                                    Wittenberg, Deutschland
•   C – Nur Studien mit Evidenzgrad II                                                                    29 Abteilung Pneumologie,
•   D –Mind. Zwei Studien mit Evidenzgrad III                                                                Medizinische Hochschule
•   E –Level IV oder Evidenzgrad V                                                                           Hannover, Deutschland
Es wird der Evidenzgrad der Studie benannt, die zu dem entsprechenden
Empfehlungsgrad geführt hat. Das Expertenkommittee kann per Abstim-
mung entscheiden, den Empfehlungsgrad um eine Stufe auf- bzw. ab-
zuwerten. Die Umwertung muss begründet werden (s. auch ausführli-
chen Methodenreport).
                                                                     ein septischer Schock unwahrscheinlich, ab einem
                                                                     Schwellenwert von 2,0 ng/ml hochwahrscheinlich
3. Sepsisdefinition und -diagnose                                    [13], [14], [15], [16]. Dabei ist zu beachten, dass
                                                                     operatives Trauma und andere Ursachen zu einer
Vorbemerkung: Sepsis ist eine komplexe systemische                   transitorischen Procalcitonin (PCT)-Erhöhung führen
inflammatorische Wirtsreaktion auf eine Infektion. Es gibt           können [17].
derzeit keinen Parameter, der allein zur Diagnose der              • Um die Dauer einer antimikrobiellen Behandlung zu
Sepsis führen kann. Sepsis, schwere Sepsis und septi-                verkürzen, können Procalcitonin (PCT)-Verlaufsmessun-
scher Schock definieren ein Krankheitskontinuum, das                 gen erwogen werden.
über eine Kombination aus Vitalparametern, Laborwerten,              → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [18])
hämodynamischen Daten und Organfunktionen definiert                  Kommentar: In einer randomisierten Studie konnte
wird. Eine Bakteriämie findet sich in Abhängigkeit von               erstmalig nachgewiesen werden, dass die Dauer der
einer antibiotischen Vorbehandlung nur bei durchschnitt-             Antibiotikatherapie bei Patienten mit schwerer Sepsis
lich 30% von Patienten mit schwerer Sepsis oder septi-               durch Verwendung von Procalcitonin (PCT) im Vergleich
schem Schock [4], [5], [6], [7], [8]. Insgesamt kann in ca.          zu einer routinemässigen klinischen Entscheidungsfin-
30% kein mikrobiologisch gesicherter Infektionsnachweis              dung um 3,5 Tage (median) gefahrlos reduziert werden
geführt werden, obwohl eine Infektion nach klinischen                kann. Die Fallzahl war mit lediglich 70 Patienten aller-
Kriterien wahrscheinlich ist [9], [10]. Die Interpretation           dings gering [18]. Studien mit größerer Fallzahl werden
mikrobiologischer Befunde ist bei kritisch kranken Pati-             gegenwärtig hierzu durchgeführt bzw. werden in 2010
enten häufig problematisch, da häufig Mikroorganismen                publiziert.
nachgewiesen werden, die lediglich einer Kolonisation
entsprechen können. Kritisch kranke Patienten weisen
häufig ein SIRS und multiple Organdysfunktionen auf,               4. Diagnose der Infektion
der kausale Zusammenhang mit einer Infektion ist daher
oft nicht sicher nachzuweisen.                                     Blutkulturen
• Es wird empfohlen, die Sepsiskriterien des deutschen
  Kompetenznetzwerkes Sepsis (SepNet) [11] für die                 • Es wird empfohlen, bei klinischem Verdacht auf eine
  klinische Diagnose der schweren Sepsis bzw. des                    Sepsis bzw. eines oder mehrerer der folgenden Krite-
  septischen Schocks zu verwenden.                                   rien: Fieber, Schüttelfrost, Hypothermie, Leukozytose,
  → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei-                   Linksverschiebung im Differentialblutbild, Erhöhung
  nung)                                                              von Procalcitonin oder C-reaktivem Protein bzw. einer
  Kommentar: Unter Verwendung dieser diagnostischen                  Neutropenie Blutkulturen abzunehmen [5], [8], [19].
  Kriterien (Tabelle 1) wurde auf deutschen Intensivsta-             → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [5])
  tionen eine Prävalenz der schweren Sepsis und des                  Kommentar: Procalcitonin hat eine höhere diagnosti-
  septischen Schocks von 11% und eine Krankenhaus-                   sche Präzision als C-reaktives Protein [14], [15], [16],
  sterblichkeit von 55% beobachtet [10]. Diese Kriterien             [17] und ist nach dem infektiösen Stimulus früher
  weichen erheblich von den mikrobiologisch orientierten             nachweisbar [20].
  Kriterien der Centers of Disease Control (CDC) [12]              • Es wird empfohlen, Blutkulturen (2–3 Pärchen)
  ab, werden jedoch seit 2005 in der deutschen Version               schnellstmöglich vor Einleitung einer antimikrobiellen
  der International Classification of Diseases (ICD-10)              Therapie abzunehmen [21], [22].
  und ab 2011 auch weltweit verwendet (http://                       → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ic)
  www.dimdi.de/, s. Appendix).                                     • Es wird empfohlen, bei Patienten unter vorbestehender
• Der frühzeitige Nachweis von Procalcitonin (PCT) im                antimikrobieller Therapie Blutkulturen unmittelbar vor
  Serum zum Ausschluss einer schweren Sepsis bzw.                    der nächsten Gabe abzunehmen [23], [24].
  zur Sicherung der Diagnose wird empfohlen.                         → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei-
  → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [13])                     nung)
  Kommentar: Bei Procalcitoninkonzentrationen von                    Kommentar (Tabelle 2): Blutkulturen müssen nach
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis...

Tabelle 1: Diagnosekriterien für Sepsis, schwere Sepsis und septischen Schock (mod. nach [411]) entsprechend den ACCP/SCCM
                                              Konsensus-Konferenz Kriterien [11].

                           Tabelle 2: Entnahme, Lagerung und Transport von Blutkulturen [33].

  nenpunktion erfolgen [25], [26]. Aufgrund des zwei-                 genommen werden. Für die Befüllung der Kulturfla-
  fach höheren Kontaminationsrisikos [27] sollten                     sche (mindestens 10 ml [21], [28]) muss eine sterile
  Blutkulturen nur in Ausnahmefällen über einen zentra-               Nadel benutzt werden [29]. Es sollten 2 bis 3 Blutkul-
  len Venenkatheter bzw. einen arteriellen Zugang ab-                 turen (jeweils eine aerobe und eine anaerobe Blutkul-

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                       Tabelle 3: Modifizierter „Klinischer Pulmonaler Infektions Score (CPIS)“ [43]

  turflasche, zusammen ein sogenanntes Blutkulturpaar                Pulmonale Infektions Score (CPIS)“ (Score >6) für das
  oder Blutkultursets) von verschiedenen Entnahmeor-                 initiale Screening zu verwenden (Tabelle 3) [43], [44].
  ten (z.B. rechte und linke Vena cubitalis) entnommen               → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [44])
  werden [30], [31], wobei auf ein definiertes zeitliches            Kommentar: Eine Kombination von CPIS (cut-off ≥6)
  Intervall zwischen den Abnahmen verzichtet werden                  und Procalcitonin (cut-off ≥2,99 ng/ml) kann die dia-
  kann [32], [33].                                                   gnostische Präzision noch weiter erhöhen [45].
  Eine Erregeridentifizierung mittels Methoden der Poly-           • Bei V. auf Pneumonie wird empfohlen, Sekrete aus
  merase-Kettenreaktion (PCR), wie Multiplex-PCR                     den tiefen Atemwegen vor Einleitung einer antimikro-
  (Identifizierung einer begrenzten Anzahl von Erregern)             biellen Therapie zu gewinnen [46].
  und Breitband-PCR (Identifizierung aller Erreger) ist              → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei-
  ein vielversprechender neuer Ansatz und wird gegen-                nung)
  wärtig in klinischen Studien untersucht. Die bisherigen            Kommentar: Keinesfalls sollte hierdurch die Intitierung
  klinischen Studien legen nahe, dass hiermit deutlich               einer kalkulierten antimikrobiellen Therapie bei Pati-
  häufiger und schneller ein Erregernachweis geling                  enten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock
  [34], [35], [36]. Wegen der weitgehend fehlenden                   verzögert werden (s. Abschnitt antimikrobielle Thera-
  Resistenztestung ist dies jedoch derzeit kein Ersatz               pie). Bisher konnte für kein diagnostisches Verfahren
  für die Blutkultur. Ebenfalls fehlen Daten zur Kosten-             (endotracheale Aspirate, blinde oder bronchoskopische
  effektivität. Klare Empfehlungen für die klinische Praxis          PSB, BAL) ein signifikanter Vorteil bewiesen werden
  können aus den bisherigen Ergebnissen noch nicht                   [43], [47], [48]. Die Wahl der Technik sollte sich daher
  abgeleitet werden [37].                                            nach der Erfahrung der einzelnen Einrichtungen rich-
                                                                     ten.
Ventilator-assoziierte Pneumonien                                  • Es wird empfohlen, quantitative oder semiquantitative
                                                                     (≥100.000 cfu/ml) Techniken zu bevorzugen [49],
Vorbemerkung: Eine ventilatorassoziierte Pneumonie                   [50].
(Diagnose einer Pneumonie nach mehr als 48 Stunden                   → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ic)
Beatmungsdauer bei zuvor pneumoniefreien Patienten)                  Kommentar: Die Aufarbeitung sollte gemäß den
ist von einer Pneumonie, welche eine Beatmung erforder-              Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Hygiene
lich macht, zu unterscheiden. Letztere kann ambulant                 und Mikrobiologie (DGHM) mit Auszählung der poly-
erworben oder nosokomial sein, es gelten die diagnosti-              morphkernigen Granulozyten (>25 pro Gesichtsfeld)
schen Regeln für die jeweiligen Erkrankungsbilder [38],              und Epithelzellen (max. 25 pro Gesichtsfeld) erfolgen
[39]. Die früher empfohlene Stratifizierung in eine „early           [38], [51], [52].
onset“ (zwischen Tag 1–4) und „late onset“ (nach Tag 4)            • Routinemäßige serologische Tests werden zur Diagno-
VAP und damit verbundene unterschiedliche empirische                 se einer VAP nicht empfohlen [53], [54].
antimikrobielle Therapieplanung [40] ist nach einer                  → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei-
jüngsten Erhebung des Nationalen Referenzzentrums                    nung)
für Surveillance von nosokomialen Infektionen nicht mehr
sinnvoll, da sich das Erregerspektrum nicht unterscheidet          Katheter- und Fremdkörper-induzierte
[41].
                                                                   Sepsis
• Neu aufgetretene Infiltrate im Röntgen-Thorax, eine
  Leukozytose oder Leukopenie und purulentes Tracheal-             • Das Vorliegen einer Katheter-induzierten Infektion
  sekret sind sensitive klinische Hinweise auf eine VAP              kann ohne Entfernung des Katheters nicht sicher
  [42]. Es wird empfohlen, den modifizierten „Klinische              festgestellt werden [53]. Wenn ein zentraler Venenka-
                                                                     theter (ZVK) eine mögliche Sepsisquelle darstellt, wird

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    empfohlen, den ZVK zur Diagnosesicherung zu entfer-              Invasive Candida-Infektionen
    nen und die Katheterspitze zur mikrobiologischen
    Diagnostik einzuschicken [55], [56].                             • Bei neutropenischen, immunsupprimierten und bei
    → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei-                   Patienten nach abdominalchirurgischen Eingriffen und
    nung)                                                              solchen nach prolongierter antibiotischer Vorbehand-
•   Es wird empfohlen, Blutkulturen vor Entfernung des                 lung wird empfohlen, Blutkulturen zum Nachweis einer
    ZVK über den liegenden Katheter und zeitgleich über                Candida-Infektion abzunehmen [68].
    eine periphere Vene abzunehmen und die Kulturergeb-                → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei-
    nisse miteinander zu vergleichen [57], [58], [59].                 nung)
    → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [58], [59])               Kommentar: Die Inzidenz von invasiven Candida-Infek-
•   Bei Vorliegen einer eitrigen Sekretion aus dem Stich-              tionen bei Intensivpatienten liegt bei ca. 1–2% [69],
    kanal wird empfohlen, Abstriche [60] und eine Kathe-               [70]. Der Goldstandard der Diagnose einer invasiven
    terneuanlage durchzuführen, wobei die neue Punktion                Candida-Infektion ist der histopathologische bzw. zyto-
    fern von der infizierten Punktionsstelle erfolgen sollte.          pathologische Nachweis in betroffenen Geweben oder
    → Empfehlung Grad D (Evidenzgrad IIb für [60])                     in normalerweise sterilen Körperflüssigkeiten, jedoch
•   Bei Verdacht auf eine Katheterinfektion wird ein Ka-               nicht im Urin [71].
    theterwechsel über einen Führungsdraht nicht emp-                • Ein Routinescreening zum Nachweis von Candidakolo-
    fohlen [61], [62].                                                 nisierungen wird nicht empfohlen.
    → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIa für [62])                     → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei-
•   Es gibt keinen Hinweis, dass ein routinemäßiger                    nung)
    Wechsel intravasaler Katheter das Risiko einer Bakte-              Kommentar: Candida-Kolonisierungen werden bei ca.
    riämie vermindert [62], [63]. Daher wird empfohlen,                16% von Intensivpatienten nachgewiesen [9], [72].
    intravasale Katheter nur bei Anzeichen einer Infektion             Diese haben jedoch einen geringen positiv prädiktiven
    zu wechseln.                                                       Wert zur Vorhersage einer Candida-Infektion [69].
    → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIa für [62])
                                                                     Akute bakterielle Meningitis
Chirurgische Infektionen und
intraabdomineller Fokus                                              Vorbemerkung: Eine bakterielle Meningitis entsteht ent-
                                                                     weder primär infolge einer hämatogenen oder lymphoge-
• Bei V. a. chirurgische Wundinfektionen oder intraabdo-             nen Erregeraussaat oder sekundär durch direkten Eintritt
  minelle Infektionen wird empfohlen, Blutkulturen ab-               von Mikroorganismen in das ZNS (meist fortgeleitete In-
  zunehmen (s. Abschnitt Blutkulturen). Zusätzlich wird              fektion z.B. Otitis, Sinusitis oder iatrogen in Zusammen-
  empfohlen, Nativmaterial (Gewebe) oder Wundabstri-                 hang mit medizinischen Eingriffen) [73]. Bei 696 Patien-
  che und eine Gramfärbung sowie aerobe und anaerobe                 ten mit ambulant erworbener bakterieller Meningitis
  Kulturen zu veranlassen [53], [64], [65], [66].                    hatten nahezu alle Patienten mindestens 2 der 4 charak-
  → Empfehlung Grad D (Evidenzgrad IIIb für [64], [66])              teristischen Symptome Kopfschmerzen, Nackensteife,
  Kommentar: Bei Sekreten aus Drainagen sollte die                   Fieber und Bewusstseinsstörung [74]. Die Diagnose einer
  Kontaminationsgefahr beachtet werden. Nativmaterial                bakteriellen Meningitis stützt sich auf der zytologisch-
  (Gewebe) hat gegenüber Wundabstrichen eine höhere                  biochemischen Untersuchung des Liquors [75] und wird
  mikrobiologische Nachweisrate.                                     durch den Erregernachweis im Liquor gesichert [73],
• Es wird empfohlen, eine Sonografie als Mittel der                  [75]. Der Liqourbefund zeigt typischerweise eine granu-
  ersten Wahl zur Suche eines intraabdominellen Fokus                lozytäre Pleozytose >1000 Zellen/μl; Protein >120 mg/dl;
  durchzuführen. Ist diese Methode erfolglos, wird                   Glukose
Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis...

• Bei Patienten ohne Hinweise auf eine intrakranielle              5. Prävention
  Drucksteigerung (s.o.) wird empfohlen, schnellstmög-
  lich vor Beginn der antimikrobiellen Therapie und vor
  CCT Blutkulturen (s. o.) und eine LP durchzuführen
                                                                   Programme zur Infektionsprävention
  [73], [75], [79].                                                (Ventilator-assoziierte Pneumonien,
  → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ic)                             ZVK-assoziierte Bakteriämie,
• Danach wird empfohlen ohne Zeitverlust mit einer
  kalkulierten Antibiotikatherapie zu beginnen [80].
                                                                   Harnwegkatheter-assoziierte
  → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ic)                             Harnweginfektionen)
• Zur Sicherung der Diagnose wird eine sofortige Gram-
  färbung im Liquor empfohlen.                                     • An das Intensivpersonal gerichtete Schulungsprogram-
  → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ic)                               me und Präventionsprotokolle werden empfohlen, da
  Kommentar: Der Erregernachweis gelingt mikrosko-                   diese nachweislich die Rate an Ventilator-assoziierten
  pisch mittels Gramfärbung in 60–90% (Spezifität                    Pneumonien [91], [92], [93], [94], [95], [96] ZVK-as-
  ≥97%) [75], [76], [81], [82], [83]. Bei vorbehandelten             soziierte Bakteriämien [94], [97], [98], [99], [100] und
  Patienten, negativem Ergebnis in der Gramfärbung                   Katheter-assoziierter Harnweginfektionen reduzieren
  und Kultur kann der Einsatz von Latexagglutionations-              [101].
  tests und PCR die Chance des Erregernachweises                     → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad IIc für [94], [100])
  möglicherweise erhöhen [75], [76], [84], [85].                   • Es wird empfohlen, die Rate an Ventilator-assoziierten
• Eine frühzeitige Behandlung mit Dexamethason vor                   Pneumonien und ZVK-assoziierten Bakteriämien regel-
  oder mit der ersten AB-Gabe wird empfohlen.                        mäßig zu erfassen und zu analysieren, um Trends zu
  → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ia für [16])                      erfassen und die Situation der eigenen Intensivstation
  Kommentar: Über den Einsatz von Dexamethason bei                   im Vergleich zu anderen zu beurteilen. Deshalb sollten
  Patienten mit bakterieller Meningitis und gleichzeitiger           einheitliche Definitionen zur Diagnose einer VAP und
  Sepsis kann keine definitive Aussage gemacht werden,               ZVK-assoziierter Bakteriämie Verwendung finden [102],
  da kontrollierte Studien hierzu mit einer ausreichenden            [103] und einheitliche Raten bestimmt werden (Anzahl
  Anzahl an Patienten fehlen. In einer großen plazebo-               Ventilator-assoziierte Pneumonien pro 1000 Beat-
  kontrollierten europäischen Studie führte die adjunk-              mungstage und Anzahl von Bakteriämien pro 1000
  tive Therapie mit Dexamethason vor oder zeitgleich                 ZVK-Tage) [102], [103], [104]. Auch wird empfohlen,
  mit der ersten Antibiotikagabe zu einer signifikanten              die verursachenden Erreger und deren Resistenzsitua-
  Reduktion der Letalität und der Häufigkeit ungünstiger             tion regelmäßig zu erfassen und zu analysieren.
  klinischer Verläufe [86]. Die Subgruppenanalyse                    → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad IIc für [104])
  zeigte, dass Dexamethason nur bei Pneumokokken-
  meninigitis wirksam war. Diese günstigen Effekte von             Umgang mit „devices“
  Dexamethason bei erwachsenen Patienten mit Pneu-
  mokokkenmeningitis konnten in 2 Metaanalysen                     • Eine hygienische Händedesinfektion vor und nach
  kontrollierter Studien bestätigt werden [87], [88].                Patientenkontakt wird empfohlen [105], [106].
  Beide Metaanalysen zeigten aber auch bei Erwachse-                 → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ia für [105])
  nen mit Meningokokkenmeningitis eine nichtsignifi-                 Kommentar: Die hygienische Händedesinfektion vor
  kante Reduktion der Letalität und Häufigkeit neurolo-              Patientenkontakt ist die wichtigste Maßnahme zur
  gischer Residuen unter Dexamethasonbehandlung.                     Vermeidung der Erregerübertragung auf die Patienten.
  Dagegen scheint Dexamethason unter in einem Ent-                   Die regelmäßige hygienische Händedesinfektion nach
  wicklungsland herrschenden Bedingungen insbeson-                   Patientenkontakt dient vor allem dem Personalschutz
  dere bei Kindern keinen Vorteil gegenüber Placebo zu               und der Vermeidung der Erregerausbreitung in der
  besitzen [88], [89], [90]. Aufgrund der europäischen               unbelebten Patientenumwelt. In den letzten Jahren
  Therapiestudie [86] und den Daten der Metaanalysen                 wurde in verschiedenen Studien gezeigt, dass mit
  [87], [88] empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für                 Steigerung der Compliance zur Händedesinfektion die
  Neurologie, grundsätzlich bei erwachsenen Patienten                Inzidenz der nosokomialen MRSA-Infektionen signifi-
  mit Verdacht auf bakterielle Meningitis Dexamethason               kant reduziert werden konnte [106], [107].
  10 mg iv unmittelbar vor Gabe des Antibiotikums zu               • Eine aseptische Technik bei der Anlage von zentralen
  verabreichen, danach 10 mg alle 6 Stunden für insge-               Venenkathetern und anderen vergleichbaren zentralen
  samt 4 Tage [76].                                                  intravasalen Kathetern wird empfohlen [108].
                                                                     → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ib für [108])
                                                                     Kommentar: In einer randomisierten kontrollierten
                                                                     Studie wurde der Vorteil der gemeinsamen Anwendung
                                                                     von sterilen Handschuhen, sterilem Kittel, Mund-Na-
                                                                     senschutz, Kopfhaube und großem Abdecktuch versus
                                                                     sterile Handschuhe und kleinem Abdecktuch bei der
                                                                     Anlage von zentralen Venenkathetern gezeigt. Es gibt

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  keine randomisierten kontrollierten Studien, die den               erreicht wurde. Diese Oberkörperhochlagerung von
  Beitrag der verschiedenen Einzelkomponenten unter-                 30° führte nicht zu einer Reduktion der Inzidenz der
  sucht haben.                                                       VAP verglichen mit einer flachen Rückenlagerung mit
• Sofern diese nicht mehr indiziert sind, wird die unver-            10°-Oberkörperhochlagerung [120].
  zügliche Entfernung von intravasalen- und Harnwegs-
  kathetern empfohlen [109].                                      Ernährung
  → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ic)
• Ein routinemässiger Wechsel von intravasalen- und               • Nach einer Metaanalyse führt eine frühe orale bzw.
  Harnwegskathetern wird nicht empfohlen [62].                      enterale Ernährung bei chirurgischen Patienten mit
  → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ib für [62])                     Operationen am Gastrointestinaltrakt zu einer Vermin-
• Der Einsatz von Endotrachealtuben mit der Möglichkeit             derung von Infektionen und der Aufenthaltdauer im
  zur subglottischen Absaugung kann erwogen werden,                 Krankenhaus [121]. Eine frühe orale bzw. enterale
  da diese mit geringeren Pneumonieraten assoziiert                 Ernährung wird bei solchen Patienten empfohlen.
  sind [110], [111].                                                → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ia für [121])
  → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [111])                   Kommentar: Unter früher enteraler bzw. oraler Ernäh-
                                                                    rung ist der Ernährungsaufbau binnen 24 Stunden
Körperposition                                                      postoperativ zu verstehen. Die Menge der zugeführten
                                                                    Ernährung hat sich nach der Toleranz des Patienten
• Es wird empfohlen, eine Oberkörperhochlagerung so                 zu richten. Auch geringe Mengen von Nahrungs- bzw.
  häufig wie möglich zur Vermeidung einer Ventilator-               Flüssigkeitszufuhr sind bereits mit einer Verbesserung
  assoziierten Pneumonie (VAP) bei intubierten Patienten            des Verlaufes verbunden. Eine Sondenernährung ist
  durchzuführen – sofern hierfür keine Kontraindikation             lediglich dann erforderlich, wenn der Patient nicht im
  besteht.                                                          Stande ist selbständig zu schlucken [122].
  → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad IIb für [112])
  Kommentar: Die Aspiration von bakteriell kontaminier-           Immunonutrition
  ten Sekreten des oberen Magen-Darm-Traktes und
  des Pharynx wird allgemein als Risikofaktor und Aus-            • Der perioperative bzw. postoperative Einsatz von im-
  löser für die Entwicklung einer nosokomialen und                  munmodulierenden Sondennahrungen (Arginin, ω3-
  Ventilator-assoziierten Pneumonie (VAP) angesehen.                Fettsäuren, Nukleotide) bei elektiven chirurgischen
  Daraus wird geschlossen, dass Maßnahmen, die zu                   Patienten mit gastrointestinalen Tumoren oder Poly-
  einer Abnahme des gastro-ösophagealen Refluxes                    traumapatienten, die enteral ernährt werden können
  und einer Reduktion der oro-pharyngealen Sekretmen-               wird empfohlen, da derartige Sondennahrungen mit
  ge führen, mit einer geringeren Inzidenz nosokomialer             einer Verminderung der Aufenthaltsdauer im Kranken-
  Pneumonien und VAP einhergehen [113], [114], [115],               haus und einer Reduktion von nosokomialen Infektio-
  [116]. Die Effekte der Oberkörperhochlagerung zur                 nen assoziiert sind [123], [124].
  Prävention einer Aspiration und Pneumonie wurde bei               → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ia für [124])
  orotracheal intubierten Patienten ohne bekannte Risi-
  kofaktoren für einen gastro-ösophagealen Reflux, mit            Insulintherapie
  einer nasogastralen Sonde versorgt waren, eine
  Stressulkusprophylaxe erhielten und bei denen der               • Die routinemässige Anwendung einer intensivierten
  endotracheale Cuffdruck kontrolliert und über 25                  intravenösen Insulintherapie mit dem Ziel der Wieder-
  cmH2O gehalten wurde, untersucht. Ein Teil der einge-             herstellung einer Normoglykämie (4,4–6,1 mmol/l
  schlossenen Patienten erhielt eine enterale Ernährung.            (80–110 mg/dl) kann bei Intensivpatienten ausserhalb
  Bei diesen Patienten führte eine kontinuierliche 45°-             klinischer Studien nicht empfohlen werden.
  Oberkörperhochlagerung zu einer Verzögerung des                   → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ia für [125])
  gastro-ösophagealen Refluxes und/oder zu einer Ab-                Kommentar: Eine kontinuierliche intravenöse Verab-
  nahme, aber nicht vollständigen Vermeidung der pul-               reichung von Insulin mit dem Ziel der Wiederherstel-
  monalen Aspiration pharyngealer Sekrete [117], [118],             lung einer Normoglykämie (4,4–6,1 mmol/l (80–110
  und der Inzidenz der VAP [112] verglichen mit einer               mg/dl)) bei Intensivpatienten war nach der bisher
  flachen Rückenlagerung (0°-Oberkörperhochlage-                    vorliegenden Datenlage eine Massnahme, welche
  rung). Die 30°-Oberkörperhochlagerung in Kombina-                 septische Komplikationen bei postoperativen und
  tion mit der Absaugung von subglotischen Sekreten                 mechanisch beatmeten, überwiegend kardiochirurgi-
  führte nicht zu einer Reduktion Kolonisation der unte-            schen Patienten verhindert (Prävention einer schweren
  ren Atemwege verglichen mit einer flachen Rückenla-               Sepsis) und damit zu einer Senkung der Letalität und
  gerung mit 0°-Oberkörperhochlagerung [119]. Obwohl                Morbidität beitragen könnte [126], [127]. Dieses ist
  die 45°- Oberkörperhochlagerung in einer klinischen               jedoch nur in einer monozentrischen randomisierten
  Untersuchung in der Interventionsgruppe angestrebt                Studie gezeigt worden; eine konfirmative Studie stand
  wurde, zeigten Messungen, dass trotz Studienbedin-                bisher aus. In einer weiteren Studie konnte bei inter-
  gungen nur eine Oberkörperhochlagerung von 30°                    nistischen Intensivpatienten weder eine Reduktion

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  septischer Komplikationen noch ein Überlebensvorteil                siko schwerer Hypoglykämien durch eine moderate
  nachgewiesen werden, bei einer gleichzeitigen Steige-               intravenöse Insulintherapie geringer. Eine engmaschi-
  rung der Rate schwerer Hypoglykämien (20%) und geringen Sensitivität im hypoglykämischen
  80–110 mg/dl) oder einer moderaten Kontrolle der                    Messbereich der gegenwärtig verfügbaren Messgeräte
  Hyperglykämie (Zielwerte 150 mg/dl (>8,3 mmol/l)) kann bei Intensivpatienten               voraussichtlich längerer Beatmungsdauer (>48 h) zur
  erwogen werden. (Aufgrund der – nach Abschluss des                 Prophylaxe von Infektionen anzuwenden.
  Konsentierungsverfahrens der vorliegenden Leitlinie                → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ia für [137]
  – publizierten Ergebnisse im Kontrollarm der NICE-                 Kommentar: In einer Publikation wurde bei insgesamt
  SUGAR Studie hat die Surviving Sepsis Campaign vor                 934 Patienten eine verringerte ITS-(15 vs. 23%;
  kurzem einen Schwellenwert von >180 mg/dl (10,0                    p
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Tabelle 4: SDD- und SOD-Regime nach Krüger WA, IntensivNews 2009, mod. nach: de Smet et al, New Engl J Med 2009; 360:20-
 31 [137]. In modifizierter Form kann SDD oder SOD nach der Mundpflege und nach oralem Absaugen auch mit einer Spritze
als orale Suspension gegeben werden: 4 x täglich 10 mL nach folgender Rezeptur: 1,0 g Polymyxin E = Colistin (oder alternativ
                     0,5 g Polymyxin B), 800 mg Tobramycin, 2,5 g Amphotericin B ad 100 mL Aqua dest.)

   sivstationäre Letalität signifikant reduziert (9,4% vs.             (Nach Konsentierung sind weitere Daten zur Resistenz
   27,8%, Risk Ratio 0,25, 95% Konfidenzintervall:                     unter o.g. 3-armiger Studie online publiziert worden
   0,10–0,80) [139]. Zwei Langzeitstudien zeigten keine                [142]. In respiratorischem Sekret wurden anfänglich
   relevanten Resistenzprobleme nach mehrjähriger                      Ceftazidim- Tobramycin- bzw. Ciprofloxacin-resistente
   Anwendung von SDD [140], [141]. Voraussetzung für                   Bakterien bei 10%, 10% bzw. 14% der Patienten ge-
   die Verwendung von SDD sollte das regelmäßige                       funden. Unter SDD oder SOD fiel der Nachweis signifi-
   Führen von Resistenzstatistiken sein, um ein gehäuftes              kant auf 4%, 6% bzw. 5% und stieg danach wieder
   Auftreten von multiresistenten Erregern rechtzeitig zu              signifikant auf das Ausgangsniveau an (10%, 12%
   erkennen. Der Vorteil von SDD bei hoher Prävalenz                   bzw. 12%). In Rektalabstrichen wurde gleichermaßen
   von Methicillin-resistenten Staphylokokken ist nicht                eine signifikante Suppression von Tobramycin- und
   bewiesen [138].                                                     Ciprofloxacin-resistenten Bakterien während SDD
   In einer 3-armigen, prospektiven, offenen Studie in                 nachgewiesen, im Vergleich zum Zeitraum vor und
   13 Intensivstationen mit randomisiertem, halbjährli-                nach Anwendung von SDD, während SOD keinen Ein-
   chen Wechsel zwischen SDD, SOD oder keiner dieser                   fluss hatte. Im Mittel blieb die Prävalenz Ceftazidim-
   Maßnahmen (cluster randomised design) an über                       resistenter Bakterien vor und während Anwendung
   6000 Patienten zeigte sich zunächst kein Benefit                    von SDD gleich (Nachweis bei 6% bzw. 5% der Patien-
   durch SDD oder SOD bezüglich der 28-Tage Letalität                  ten), stieg aber nach Anwendung von SDD signifikant
   [137]. Allerdings waren die Studiengruppen bezüglich                auf 15% an. Die Daten bestätigen frühere Publikatio-
   begleitender Risikofaktoren nicht ausgewogen verteilt,              nen, in denen während Anwendung von SDD sogar
   zum Nachteil der beiden Behandlungsgruppen. Eine                    weniger resistente Bakterien nachgewiesen wurden,
   logistische Regressionsanalyse ergab einen signifikan-              der postinterventionelle Anstieg der Ceftazidim-Resis-
   ten Überlebensvorteil für die Patienten der SDD-                    tenz in Rektalabstrichen unterstreicht aber nochmals
   Gruppe, wenn die Faktoren Alter >65 Jahre und APA-                  die Notwendigkeit zum Führen von Resistenzstatisti-
   CHE-Score >20 rechnerisch ausgeglichen wurden.                      ken.)
   Nach Einbeziehen weiterer Faktoren zeigte sich für
   SOD ebenfalls ein signifikanter Überlebensvorteil. Es            Orale Antiseptika zur Mundpflege
   überrascht nicht, dass das Weglassen der gastralen
   Antibiotika-Gabe keinen wesentlichen Einfluss hat, da            • Es wird empfohlen, orale Antiseptika zur Prophylaxe
   die Notwendigkeit dieser Maßnahme in der gesamten                  von Infektionen anzuwenden.
   SDD-Literatur am wenigsten belegt ist und die oral                 → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ia für [143])
   applizierten Antibiotika ohnehin in den Magen gelan-               Kommentar: Mehrere Arbeiten zeigen, dass die VAP-
   gen. Ob die intravenöse Antibiotikagabe tatsächlich                Inzidenz reduziert werden kann, wenn orale Antiseptika
   entbehrlich ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten,           (meist 0,12%–0,2% Chlorhexidin) zur Mundpflege-
   da in allen SDD-Studien die Mehrheit der Patienten –               Lösung und zum Zähneputzen bei Intensivpatienten
   auch in den Kontrollgruppen – intravenöse Antibiotika              hinzugefügt werden [143], [144], [145], [146]. In einer
   bekamen und in den SDD-Gruppen in den meisten                      Meta-Analyse an 1650 Patienten zeichnete sich da-
   Studienprotokollen auf die zusätzliche Gabe von Cefo-              durch aber kein Überlebensvorteil ab [143].
   taxim verzichtet wurde, wenn die Patienten Antibiotika
   aus klinischer Indikation bekamen. In der Arbeit von             Präemptive antimykotische Behandlung
   de Smet et al. war trotz Routine-Gabe von Cefotaxim
   der Gesamtverbrauch an i.v.-Antibiotika in der SDD-              • Effektivität und Sicherheit einer präemptiven antimy-
   Gruppe am niedrigsten und in der Standard-Gruppe                   kotischen Behandlung bei Intensivpatienten sind nicht
   am höchsten (Tabelle 4).

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  ausreichend untersucht [147], [148]; eine derartige                verfügbaren Pneumokokken-Konjugatvakzine sind
  Intervention wird daher nicht empfohlen.                           bislang nur im pädiatrischen Bereich zugelassen.
  → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei-                 • Bei Patienten mit anatomischer oder funktioneller
  nung)                                                              Asplenie, die bisher nicht geimpft sind, werden unab-
                                                                     hängig von der Grunderkankung vor (falls möglich)
Imprägnierte Gefäßkatheter                                           oder 2 Wochen nach Splenektomie die einmalige
                                                                     Impfung gegen Haemophilus Typ B sowie die Impfung
• Wenn die Infektionsraten trotz intensiver Kontrollan-              gegen Meningokokken Serogruppe C (Konjugatvakzine)
  strengungen hoch bleiben [149], [150], [151], [152]                und nachfolgend (Abstand 6 Monate) die Impfung mit
  wird die Anwendung von mit Antiseptika-imprägnierten               4-valentem Meningokokken-Polysaccharid-Impfung
  Kathetern empfohlen.                                               empfohlen. Die Impfungen gegen Pneumokokken und
  → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei-                   Meningokokken werden – analog zur Empfehlung bei
  nung)                                                              Asplenie – auch empfohlen bei Patienten mit medika-
  Kommentar: Antibiotika-imprägnierte Katheter redu-                 mentöser Immunsuppression bzw. mit andersartigen
  zieren die Infektionsraten [153], es ist aber ungeklärt,           Immundefekten, bei denen von einer T- und/oder B-
  wie sich ihre routinemäßige Anwendung in Bezug auf                 zellulären Restfunktion ausgegangen werden kann.
  die Resistenzrate auswirkt.                                        → Empfehlung: Grad E (Evidenzgrad V für [162], [165])
                                                                   • Bei Patienten mit chronischen Krankheiten (Herz-
Personalausstattung                                                  Kreislauf, Atmungsorgane, Diabetes mellitus, Niere,
                                                                     ZNS incl. Liquorfistel) sowie bei Patienten (unabhängig
• Eine qualitativ und quantitativ ausreichende Personal-             von einer Grunderkrankung), die 60 Jahre oder älter
  austattung von Intensivstationen wird empfohlen                    sind, wird ebenfalls eine Impfung gegen Pneumokok-
  [154], [155], [156], [157], [158], [159], [160], [161].            ken empfohlen. Bei älteren Kindern (ab 5 Jahre) und
  → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [161])                    Erwachsenen wird die Polysaccharid-Vakzine empfoh-
  Kommentar: In der Vergangenheit konnte im Rahmen                   len. Die verfügbaren Pneumokokken-Konjugatvakzine
  von Ausbruchsepisoden wiederholt gezeigt werden,                   sind bislang nur im pädiatrischen Bereich zugelassen
  dass die Ausbruchsereignisse mit Personalmangelsi-                 Die Wiederimpfung mit Pneumokokken-Polysaccharid-
  tuationen assoziiert waren. Kürzlich wurde auch für                Vakzine wird bei diesen Patienten inzwischen nicht
  endemische Situationen gezeigt, dass Personalmangel                mehr empfohlen (siehe auch [166]) (Ausnahme: ne-
  mit einer hohen Sepsisinzidenz assoziiert war [161].               phrotisches Syndrom).
                                                                     → Empfehlung: Grad C (Evidenzgrad IIb für [167],
Impfungen                                                            [168]).
                                                                     Kommentar: Man rechnet in Deutschland jährlich mit
• Bei Patienten mit anatomischer oder funktioneller                  ~10.000 Todesfällen durch Pneumokokkeninfektio-
  Asplenie wird unabhängig von der Grunderkankung                    nen. Hauptbetroffene sind Menschen über 60 Jahre.
  vor (falls möglich) oder während des stationären Auf-              Anhand der Kapselpolysaccharide werden 90 Pneu-
  enthaltes nach Splenektomie eine Impfung gegen                     mokokken-Serotypen unterschieden. Die verfügbaren
  Pneumokokken empfohlen. Bei älteren Kindern (ab 5                  23-valenten Pneumokokken-Impfstoffe erfassen 90
  Jahre) und Erwachsenen wird die Polysaccharidvakzine               Prozent der Serotypen, die für Pneumokokken-Erkran-
  empfohlen; eine Wiederimpfung (mit Polysaccharid-                  kungen ursächlich sind. Sie reduzieren das Pneumok-
  vakzine) sollte alle 5 bis 6 Jahre erfolgen.                       ken-Bakteriämierisiko um 40 bis 50% und verhindern
  → Empfehlung: Grad B (Evidenzgrad IIa für [162])                   Pneumonietodesfälle. Inwieweit Patienten in dieser
  Kommentar: Patienten mit Splenektomie aufgrund                     Altersgruppe, die kürzlich wegen einer Pneumonie
  einer hämatologischen Tumorerkrankung haben ein                    stationär behandelt werden, von einer Impfung profi-
  höheres Risiko einer unzureichenden Impfantwort und                tieren, ist nicht klar [169].
  ein höheres Risiko für ein Impfversagen [163], [164].
  Aufklärung der Patienten, Angehörigen und primär
  betreuenden Ärzte, Aushändigen eines entsprechen-                6. Kausale Therapie
  den Ausweises und Dokumentation der Impfungen
  sind daher wesentlich. Eine dauerhafte Antibiotikapro-           Fokussanierung
  phylaxe (mit Oralpenicillin oder niedrig dosiertem Ery-
  thromycin) wird von einigen Gesellschaften zusätzlich            Vorbemerkung: Die vollständige Sanierung der septischen
  zur Impfung empfohlen [162], [165]. Die Bestimmung               Infektionsquelle ist (Grund-) Voraussetzung für eine er-
  von Antikörpertitern nach Impfung zur Indikationsstel-           folgreiche Behandlung der schweren Sepsis und des
  lung vorzeitige Wiederimpfung bzw. Antibiotikaprophy-            septischen Schocks. Unzureichende Fokussanierung ist
  laxe ist umstritten [163]. Patienten mit Asplenie haben          mit einer erhöhten Letalität vergesellschaftet [170],
  auch ein höheres Risiko für schwerverlaufende Infek-             [171]. Entsprechend wurde für verschiedene Krankheits-
  tionen nach Bissverletzung, bei Malaria und Babesio-             entitäten gezeigt, dass die Zeitdauer zwischen Auftreten
  se, möglicherweise auch bei anderen Erregern. Die                der septischen Symptomatik und der Einleitung suffizien-

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Reinhart et al.: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis...

ter Maßnahmen zur Beherrschung des septischen Fokus                Ergebnisse aus prospektiven randomisierten, kontrollier-
maßgeblich das Outcome des Patienten bestimmt [172],               ten Therapiestudien vor. Grund hierfür ist, dass diese
[173]. Eine operative Fokussanierung kann durch eine               Patienten aufgrund der hohen Letalität in den Zulassungs-
oder mehrere Maßnahmen erfolgen:                                   studien neuer antimikrobieller Substanzen bisher ausge-
                                                                   schlossen wurden. Wichtige Fragen zur Sepsistherapie
1. Entfernung von Implantaten (Katheter [174], Gefäß-
                                                                   können dadurch leider nicht beantwortet werden. In den
   prothesen [175], Osteosynthesematerial [176], Ge-
                                                                   Statistiken internationaler Surveillancesysteme werden
   lenkersatz [177])
                                                                   als potentielle nosokomiale Sepsisquellen vor allem Ka-
2. Inzision bzw. CT-gestützte Drainage von Abszessen
                                                                   theter – und Wundinfektionen, Urogenitalinfektionen und
   [178]
                                                                   Pneumonien aufgeführt [182], [183]. Mit einer substan-
3. Wunderöffnung und Nekrektomie, Amputation und
                                                                   tiellen Steigerung der Letalität sind allerdings im wesent-
   Fasziotomie [179]
                                                                   lichen die pneumonische, abdominelle und durch Haut-
4. Behandlung von Peritonitis, Anastomoseninsuffizienz
                                                                   Weichteilinfektionen verursachte Sepsis assoziiert [184],
   und Ileus durch Peritoneallavage, Drainage oder En-
                                                                   da diese Infektionen häufiger mit Organdysfunktionen
   terostomie [172], [180].
                                                                   und damit schweren Verläufen der Sepsis einhergehen.
5. Hinsichtlich der Wertigkeit differenter Spülverfahren
                                                                   Die Bedeutung des Infektionsortes für die Prognose und
   bei der Behandlung der Peritonitis zeigt die derzeitige
                                                                   die Einschätzung der Erregerepidemiologie müssen bei
   Studienlage keine Vorteile für ein bestimmtes Verfah-
                                                                   der Planung einer kalkulierten antimikrobiellen Therapie
   ren.
                                                                   berücksichtigt werden. Die infektionsepidemiologische
• Wir empfehlen frühzeitige Massnahmen zur Fokussa-                Variabilität ist allerdings hoch. Nicht nur zwischen ver-
  nierung, da diese mit einer Reduktion der Letalität              schiedenen Ländern und Regionen, sondern sogar zwi-
  verbunden sind [172], [180].                                     schen Krankenhäusern derselben Stadt oder verschiede-
  → Empfehlung Grad A (Evidenzgrad Ic)                             nen Intensivstationen desselben Hauses kann es erheb-
  Kommentar: Randomisierte klinische Studien zur Fo-               liche Unterschiede hinsichtlich der wichtigsten Erreger
  kussanierung liegen aufgrund der Schwierigkeit der               und Resistenzen geben. Erreger- und Resistenzstatistiken
  Studiendurchführung zu diesen Fragestellungen nicht              sollten daher für jede Station eines Krankenhauses ein-
  vor [181].                                                       zeln erfasst und in regelmäßigen Abständen kommuni-
                                                                   ziert werden.
Antimikrobielle Therapie                                           • Es wird empfohlen, eine antimikrobielle Therapie nach
                                                                     Abnahme von Blutkulturen (siehe Kapitel Diagnose
Vorbemerkung: Trotz einer Vielzahl verbesserter suppor-
                                                                     der Infektion), jedoch frühest möglich (innerhalb einer
tiver und adjunktiver Therapiemaßnahmen hat sich an
                                                                     Stunde) nach Diagnosestellung der Sepsis zu verabrei-
der hohen Letalität und Morbidität, welche der schweren
                                                                     chen [22].
Sepsis und des septischen Schocks geschuldet sind, in-
                                                                     → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ic)
nerhalb der letzten 20 Jahre wenig geändert. Grund
                                                                     Kommentar: Eine frühzeitige intravenös verabreichte
hierfür sind vor allem Defizite in der frühzeitigen Diagno-
                                                                     kalkulierte, am individuellen Risikoprofil des Patienten
se, der – wenn immer möglichen – chirurgischen
                                                                     und am ITS-spezifischen mikrobiologischen Resistenz-
Herdsanierung und/oder der antimikrobiellen Therapie
                                                                     muster ausgerichtete antimikrobielle Therapie redu-
des Infektionsfokus. Einer weltweit steigenden Resis-
                                                                     ziert die Letalität bei Patienten mit gramnegativer und
tenzentwicklung der wichtigsten Infektionserreger gegen-
                                                                     grampositiver Bakteriämie, Fungämie und Sepsis [30],
über allen gängigen Antibiotika einerseits, steht anderer-
                                                                     [185], [186], [187], [188], [189], [190], [191], [192],
seits keine vergleichbare Entwicklung neuer antiinfektiver
                                                                     [193], [194], [195], [196], [197], [198], [199], [200],
Substanzen gegenüber. Vor allem im Bereich gram nega-
                                                                     [201], [202], [203], [204], [205].
tiver Probleminfektionen mit Non-Fermentern wie Pseu-
                                                                   • Es wird empfohlen, das gewählte antimikrobielle Re-
domonas aeruginosa sind auf absehbare Zeit keine
                                                                     gime alle 48–72 Stunden anhand klinischer und mi-
neuen Substanzen zu erwarten. Schwerpunkt der gegen-
                                                                     krobiologischer Kriterien neu zu evaluieren, um das
wärtigen klinischen Versorgung und Forschung müssen
                                                                     antimikrobielle Spektrum zu verengen und damit das
daher präventive Massnahmen und die Optimierung der
                                                                     Risiko von Resistenzen, die Toxizität und die Kosten
antimikrobiellen diagnostischen und therapeutischen
                                                                     zu verringern.
Strategien darstellen. Von besonderer Bedeutung ist
                                                                     → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei-
hierbei eine breite, hochdosierte, frühzeitig applizierte
                                                                     nung)
Initialtherapie, eine klinisch und an molekularen Markern
                                                                   • Falls eine Infektion nach klinischen und/oder mikro-
orientierte Deeskalationsstrategie und eine – mit Ausnah-
                                                                     biologischen Kriterien nicht bestätigt werden kann,
men – auf 7–10 Tagen begrenzte Therapiedauer. Einer
                                                                     wird empfohlen, die antmikrobielle Behandlung einzu-
engen Zusammenarbeit zwischen Mikrobiologie, Hygiene
                                                                     stellen.
und klinischer Infektiologie kommt in Anbetracht der
                                                                     → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei-
dramatischen infektiologischen Probleme der Zukunft
                                                                     nung)
eine entscheidende Bedeutung zu. Zur antimikrobiellen
Therapie von Patienten mit schwerer Sepsis liegen keine

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• Es wird empfohlen, die Dauer der antimikrobiellen                  Linezolidbehandlung empfohlen, welche einer Vanco-
  Therapie nach der klinischen Reaktion auszurichten,                mycin-Monotherapie überlegen ist [214], [215], [216].
  im allgemeinen ist eine Therapiedauer länger als 7–10              → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [215],
  Tage nicht erforderlich.                                           [216])
  → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [18])                     Kommentar: Glykopeptide penetrieren aufgrund ihrer
• Es wird empfohlen, ein Pseudomonas-wirksames An-                   Molekülgröße schlecht in das Gewebe [212]. Ob bei
  tibiotikum anzuwenden (Ureidopenicilline (Piperacillin)            anderen z.B. intraabdominellen Infektionen mit MRSA
  oder Dritt- bzw. Viertgenerations-Cephalosporine                   eine Glykopeptid-Monotherapie empfohlen werden
  [Ceftazidime oder Cefepime] oder Carbapeneme (Imi-                 kann, ist nicht untersucht. Die Kombinationstherapie
  penem oder Meropenem) unter Berücksichtigung loka-                 von Vancomycin mit Rifampicin zeigte in einer kleinen,
  ler Resistenzmuster einzusetzen.                                   nicht randomisierten Studien bei Verbrennungspatien-
  → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei-                   ten [217] eine gegenüber Vancomycin überlegene
  nung)                                                              Wirkung. Zur Kombination von Vancomycin und Fosfo-
  Kommentar: Die Überlegenheit einer Kombinations-                   mycin gibt es nur in vitro Daten [218]. Für die Kombi-
  therapie mit einem Aminoglykosid konnte nicht belegt               nation Teicoplanin und Rifampicin gibt es nur eine
  werden [206], wobei die Datenlage zur Pseudomonas-                 Fallserie, die Wirksamkeit und Sicherheit nahe legt
  sepsis nicht ausreicht und für die Kombination Beta-               [219]. In einzelnen Fallserien wurde die Kombination
  Laktam-Antibiotika plus Fluorchinolone ausser einer                aus Rifampicin und Fusidinsäure angewendet [220].
  negativen Studie bei VAP-Patienten [207] ebenfalls                 Fusidinsäure ist jedoch inzwischen ebenfalls durch
  keine verlässlichen Daten vorliegen. Fluorchinolone                Resistenzprobleme belastet.
  sollten aufgrund der steigenden Resistenzlage bei                • Bei Sepsis infolge einer ambulant erworbenen Pneu-
  Enterobacteriaceae und Pseudomonas als Monothe-                    monie wird eine Kombination aus Betalaktam-Antibio-
  rapie nicht verwendet werden. Ceftazidime muss mit                 tika und Makrolid empfohlen [221].
  einer Substanz im grampositiven Wirkungsbereich                    → Empfehlung Grad B (Evidenzgrad Ib für [221])
  kombiniert werden.                                               • Eine antimykotische Therapie bei Candidämie wird
• Bei dringendem Verdacht auf eine MRSA-Infektion wird               empfohlen [222], [223].
  empfohlen, eine MRSA-wirksame Therapie mit Linezo-                 → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad IIb für [223])
  liden bzw. Daptomycin (letzteres bei schweren Haut-,             • Es wird nicht empfohlen, Antimykotika bei nicht-neu-
  Weichteilinfektionen bzw. MRSA-Bakteriämie unklarer                tropenischen, nicht-immunsupprimierten Patienten
  Genese) einzuleiten.                                               routinemäßig als kalkulierte Therapie bei Patienten
  → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei-                   mit schwerer Sepsis oder septischem Schock einzuset-
  nung)                                                              zen [224].
  Kommentar: Für eine Kombinationstherapie mit Fos-                  → Empfehlung Grad E (Evidenzgrad V: Expertenmei-
  fomycin oder Rifampicin fehlen leider klinische Studi-             nung)
  en. Fusidinsäure steht Deutschland nicht zur Verfü-                Kommentar: Die niedrige Inzidenz von invasiven
  gung. Auch zur Kombinationstherapien mit Linezolid                 Candidainfektionen auf Intensivstationen bei gleichzei-
  gibt es keine verlässlichen Daten. Für schwere Haut-               tiger Gefahr der Resistenzentwicklung rechtfertigt den
  und Weichteilinfektionen und eine MRSA Bakteriämie                 kalkulierten Einsatz von Antimykotika nicht [69], [225].
  unklarer Genese liegen Daten für Daptomycin vor                    Bei neutropenischen Patienten sollten Antimykotika
  [208]. Tigecyclin ist für intraabdominelle Infektion und           bei unklarem Fieber dann eingesetzt werden, wenn
  schwere Haut- und Weichteilinfektion zugelassen Es                 eine kalkulierte Antibiotikatherapie nach 72–96 Std.
  existieren aber Fallberichte zu septischen Patienten               erfolglos war und der klinische Zustand des Patienten
  [209].                                                             sich verschlechtert [226]. Zur Behandlung neutrope-
• Bei pulmonalen MRSA-Infektionen wird eine Glykopep-                nischer Patienten siehe [227].
  tid-Monotherapie nicht empfohlen, da Glykopeptide
  aufgrund ihrer Molekülgröße schlecht in das Gewebe
  penetrieren [210], [211], [212].                                 7. Supportive Therapie
  → Empfehlung Grad C (Evidenzgrad 2b für [212])
  Kommentar: Aus klinischer Sicht stehen außer Glyko-              Hämodynamische Stabilisierung
  peptiden und Linezolid keine in klinisch Studien geprüf-
  ten Substanzen für die MRSA Pneumonie zur Verfü-                 Vorbemerkung: Ziel der hämodynamischen Stabilisierung
  gung. Linezolid war in einer Studie [212] zwar etwas             ist das Erreichen eines adäquaten zellulären O2-Angebo-
  vorteilhafter, in einer anderen [213] im primären                tes unmittelbar nach Diagnosestellung der schweren
  Endpunkt Vancomycin jedoch nicht überlegen.                      Sepsis bzw. des septischen Schocks [228].
  Grundsätzlich stehen daher zur Therapie der MRSA                 • Obgleich der Nutzen eines erweiterten hämodynami-
  Pneumonie nur Glykopeptide und Linezolid zur Verfü-
                                                                     schen Monitorings in Bezug auf die Überlebensrate
  gung [212], [213].
                                                                     und die Morbidität nicht belegt ist, empfehlen wir bei
• Bei gesicherten pulmonalen MRSA-Infektionen [212],
  [213] sowie Haut- und Weichteilinfektionen wird eine

                                  GMS German Medical Science 2010, Vol. 8, ISSN 1612-3174                              57/86
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