Design Thinking - Kreativität als Methode

Die Seite wird erstellt Veronika Maurer
 
WEITER LESEN
Design Thinking - Kreativität als Methode
Kollaboration

    Design Thinking –
    Kreativität als Methode
Gute Ideen sind kein Zufall. Als neue kreative Methode zur Innovationsentwicklung gilt Design Thinking. Dieser
­Ansatz wird erfolgreich von Agenturen wie IDEO und Frog Design betrieben und findet zunehmend an Universi-
 tätsinstituten wie den D-Schools in Stanford und Potsdam Verbreitung. Design Thinking setzt auf interdisziplinäre
 Teams, Visualisierung und klar umrissene Schritte zur Ideenfindung – und bleibt dabei ganz flexibel.

Alexander Grots | Margarete Pratschke

E    ine aus Designaktivität heraus entwickelte
     und zugleich betriebswirtschaftlich rele-
vante, zielgerichtete Methode für Innovations-
                                                  toren wie unterschiedliche Stakeholder oder
                                                  Umsetzungsfähigkeit in den Problemlösungs-
                                                  prozess einbezogen werden. Damit stellt die
                                                                                                      („Feasibility“), damit „Technical Factors“, und
                                                                                                      der Wirtschaftlichkeit („Viability“), also „Busi-
                                                                                                      ness Factors“, ansiedelt (Weiss 2002) (siehe Ab-
prozesse mag für viele wie ein Widerspruch        Methode des sogenannten „Design Thinking“           bildung 1).
klingen. Werden mit „Design“ doch allzu oft al-   (Kelley 2001; Brown 2008; Wylant 2008), die
lein Stichworte wie Intuition, Inspiration oder   sich aus Designprozessen gewonnene Erkennt-
Kreativität verbunden und werden landläufig       nis für die Zwecke der Innovationsentwicklung       Voraussetzungen für Design Thinking
unter Design lediglich ästhetische Gesichts-      zu nutze macht, einen exzellenten Ansatz dar,
punkte verstanden. Aber Design bzw. Prozesse      sowohl Produkte als auch Services zu entwi-         Die Herausforderungen der heutigen Märkte
der Formfindung waren schon immer mehr als        ckeln, die am Menschen und dessen Bedürfnis-        sind zu komplex, um von dem einen ein-
nur das „Verschönern“ eines Produktes am En-      sen orientiert, eben human-centered, sind.          samen Erfinder, der einen Abteilung oder gar
de einer Produktentwicklung um seiner Ver-        Design Thinking bezieht seine Stärke und Effi-      nur dem einen Unternehmen gemeistert zu
marktung willen. Vielmehr werden in Design-       zienz aber auch daraus, dass es Innovation in der   werden. Das ist der Grund, warum kollabo-
prozessen Probleme gelöst und durch kreative      Schnittmenge aus den gleichberechtigten Ele-        rative Ansätze wie Open Innovation, Open
Techniken zielgerichtet Innovationen entwi-       menten der Anziehungskraft („Desirability“),        Source und auch Werkzeuge wie das Web 2.0
ckelt, bei denen betriebswirtschaftliche Fak-     damit „Human Factors“, der Umsetzbarkeit            so erfolgreich sind.

   18                                                                                                         Marketing Review St. Gallen       2-2009
Design Thinking - Kreativität als Methode
Design Thinking – Kreativität als Methode

  Abb. 1 Faktorenschnittmenge für Innovationslösungen im Design Thinking                                                     nen und eine gemeinsame Sprache zu finden,
                                                                                                                             die sich jenseits der eigenen Fachsprache
                                                              hungskra                                                       bewegt.
                                                        zie           ft
                                                     An                                                                         Um diese Offenheit im konkreten Arbei-
                                                                                                                             ten, um Kommunikation und Kreativität des
                                                                                                                             Teams zu fördern, ist die Gestalt der räum-
                                                                                                                             lichen Umgebung für den Design Thinking-
                                                                                                                             Prozess maßgeblich. Sowohl in der Ausbil-
                                                                                                                             dung, wie etwa an den Universitäten in Stan-
                                                                                                                             ford und Potsdam (www.stanford.edu/
                                                                                                                             group/dschool, www.hpi.uni-potsdam.de/d-
                                                                                                                             school/) (siehe Abbildung 2), als auch in Un-
                       chkeit

                                                                                                                             ternehmen, wie z. B. in Procter & Gambles

                                                                                           Um
                                                                                                                             „Gym“ in West Chester, Ohio, zeichnet sich

                                                                                             s
                   ftli

                                                                                               etzb
                                                                                                                             die räumliche Umgebung durch eine ganz be-
                           a
                        ch

                                                                                                   ar
                                                                                       ke
                                                                                                                             stimmte Einrichtung aus: flexible Möbel, viel
                                s      rt                                                 it
                                    Wi
                                                                                                                             Platz an den Wänden, das nötige Werkzeug
                                                                                                           Quelle: gravity
                                                                                                                             und Material, um Rechercheeindrücke und
                                                                                                                             neue Ideen zu visualisieren, sowie geeignete
                                                                                                                             Rückzugsorte, in denen Ideen ihre erste Form
   Auch beim Design Thinking geht es um                              Die Menschen, die dieses Team bilden,                   gegeben werden kann.
Kollaboration. Die unabdingbare Basis eines                       müssen dabei bestimmte Eigenschaften besit-
jeden Design-Thinking-Prozesses bildet ein                        zen: das sogenannte T-Profil (Leonard-Bar-
Team, das sich aus verschiedenen Diszipli-                        ton 1995). Dabei steht der vertikale Balken                Der Prozess des Design Thinking
nen, Abteilungen und Hierarchieebenen zu-                         für die Tiefe des fachspezifischen und ana­
sammensetzt und neben internen auch exter-                        lytischen Wissens, das der Einzelne aus seiner             Bei aller kreativen Offenheit, die sich im De-
ne Mitglieder umfassen kann. Durch die                            Disziplin mit in das Projekt bringt. Der hori-             sign Thinking einstellen soll, stehen im Zen-
Durchmischung der Disziplinen liegt die                           zontale Balken bezeichnet die weitere, ent-                trum der Methode klar umrissene Schritte,
Stärke solcher Teams nicht nur in der Verviel-                    scheidende Eigenschaft: die eigene Neugier,                die idealtypisch aufeinander folgen (siehe Ab-
fältigung der jeweiligen inhaltlichen und me-                     die Offenheit gegenüber anderen Diszip­linen,              bildung 3).
thodischen Besonderheiten, sondern auch in                        anderen Menschen, gegenüber der Welt und
den verschiedenen Blickwinkeln und Erfah-                         die Fähigkeit, das eigene Wissen mit dem der
rungen, die jedes Mitglied einbringt.                             anderen zu vernetzen, es übertragen zu kön-                1. Verstehen

                                                                                                                             Am Beginn des gesamten Innovationspro-
  Abb. 2 Design-Thinking-Umgebung                                                                                            zesses steht das Verstehen der Problemstel-
                                                                                                                             lung und des damit verbundenen Problem-
                                                                                                                             felds, das alle Bedingungen und Einflussfak-
                                                                                                                             toren umfasst. Um dieses Feld durch
                                                                                                                             Recherche in seiner Gänze zu erfassen, bildet
                                                                                                                             die eingehende Planung der Rechercheaktivi-
                                                                                                                             täten eine zentrale und zeitaufwändige Maß-
                                                                                                                             nahme im gesamten Design-Thinking-Pro-
                                                                                                                             zess. Denn das Ziel der Recherche-Phase, die
                                                                                                                             sowohl den Schritt des „Verstehens“ wie den
                                                                                                                             des darauf folgenden „Beobachtens“ umfasst,
                                                                                                                             ist, das Team auf einen gemeinsamen „Exper-
                                                                                                                             ten-Stand“ zu bringen.
                                                                                                                                Vielfach besteht das Ergebnis der Recher-
                                                                                                                             chephase darin, dass die Problemstellung
                                                                                                                             selbst hinterfragt und verschoben oder fokus-
                                                                                                                             siert werden muss und etwa eine tiefer liegen-
                                                                                                                             de Frage zu adressieren ist. Umso wichtiger
                                                        Quelle: School of Design Thinking, Hasso-Plattner-Institut Potsdam   ist daher die Unvoreingenommenheit und

Marketing Review St. Gallen                 2-2009                                                                                                                   19
Design Thinking - Kreativität als Methode
Kollaboration

  Abb. 3 Prozess des Design Thinking mit Iterationsschleifen                                          verbalen Verdichtung durch die individuellen
                                                                                                      Erzählungen des Erlebten auch eine visuelle
                                                                                                      Synthese bzw. implizite Deutung durch die
                                                                                                      Art der Anordnung der Informationen (­Fotos
                                                                                                      und Notizen) an den Wänden.
                                                                                                         Dies wird im zweiten Schritt der Synthe-
                                                                                                      se ausgebaut, in dem es explizit darum geht,
                                                                                                      zusammenzufassen und Muster in den ge-
                                                                                                      sammelten Informationen zu entdecken und
                                                                                                      herauszuarbeiten, um Gemeinsamkeiten,
                                                                                                      Oberthemen oder Schlagwörter zu finden,
                                                                                    Quelle: gravity
                                                                                                      die die Aussagen gruppieren und Abstrakti-
                                                                                                      onen zulassen.
Offenheit gegenüber dem „Problem“ und die           rekt neben dem Problemfokus, in dessen Hin-          Das Werkzeug, um diese Filterung der In-
eingehende Vorbereitung und Durchführung            tergrund oder Umfeld zu finden. Gerade die-       formationen zu ermöglichen, ist ein sogenann-
der Recherche.                                      ser weit ausgreifende, breite Blick hilft         tes Framework. Es synthetisiert die erarbeitet-
                                                    letztendlich, das wichtige Detail zu entdecken,   en Informationen und gewonnenen Einsichten
                                                    welches zur Lösung eines Problems beiträgt,       und bringt sie in ein Relations­verhältnis, in-
2. Beobachten                                       und somit die eigene Sicht zu schärfen.           dem es sie übersichtlich und verständlich dar-
                                                       Unerlässlich ist es,
Entsprechend dem Human- bzw. User-Cen-              die Erkenntnisse des
tered-Design-Ansatz (Norman 1988) wird              Verstehens und Beob-              „Informationen und Inspirationen sind oft
der wesentliche Teil der Recherche durch            achtens zu „visualisie-           direkt neben dem Problemfokus, in dessen
qualitative Untersuchungen bei Menschen             ren“. Die gesamte Re-                Hintergrund oder Umfeld zu finden.“
durchgeführt. Bei ihnen muss es sich nicht          cherchephase ist davon
immer um aktuelle Kunden oder Konsu-                geprägt, Material zu
menten des Produktes oder Services han-             sammeln, um die Informationen so gut wie        stellt. Meist geschieht diese Zusammenschau
deln, um die sich die Problemstellung dreht.        möglich zu dokumentieren und allen Team-        durch diagrammatische Übersichten wie bei-
Vielmehr sind gerade Personen, die nicht im         mitgliedern zugänglich zu machen: So entsteht   spielsweise Mengen- oder Zwiebel-Diagram­
Fokus klassischer Marktforschung stehen,            eine Masse sowohl an Bildmaterial, vor allem    me, die Abhängigkeiten der einzelnen Elemen­
wertvolle Informationsgeber: Oftmals kön-           Fotos, die bei den Beobachtungen der Men-       te voneinander aufzeigen, oder sogenannte
nen Menschen, die ein Produkt in einer ge-          schen und ihres Umfeldes gemacht wurden,        Journeys, die einzelne Schritte in einer Abfol-
wissen Form extrem nutzen, indem sie es             sowie Notizen und Skizzen, die den Inhalt der   ge darstellen. Aber auch neue, der Aufgabe ent-
entweder bewusst ablehnen oder es über den          Gespräche festhalten.                           sprechendere visuelle Abstraktionsformen
ursprünglich angedachten Zweck hinaus                                                               eines Frameworks können entstehen.
nutzen, die größte Informations- und Inspi-                                                            Neben den synthetisierten Informationen,
rationsquelle sein.                                 3. Synthese                                     die im Framework auf übersichtliche Weise
   Das Beobachten besteht nicht ausschließlich                                                      aufgezeigt werden, drückt das Framework zu-
darin, Menschen bei dem, was sie tun, zuzu-         Bereits gegen Ende des Beobachtens beginnt      gleich auch Spannungsverhältnisse innerhalb
schauen. Vielmehr handelt es sich um eine           die Synthese der gesammelten Informati-         der erhobenen Daten und Erkenntnisse aus
Kombination aus aufmerksamer Beobachtung            onen. Hierfür werden die Daten und Eindrü-      und zeigt somit mögliche Innovationsfelder
und darauf aufbauenden Dialogen und Inter-          cke, die Vielzahl an Einsichten und überra-     auf. Dadurch übernimmt das Framework ne-
aktionen (IDEO 2003). Dabei ist es bei allen        schenden Ergebnissen mit dem Team geteilt.      ben der Aufgabe des Werkzeugs auch die eines
Beobachtungen entscheidend, die Aktivitäten         In einem ersten Schritt werden alle Informa-    Ergebnisses: Am Abschluss der Recherche bil-
im Kontext, also vor Ort, durchzuführen und         tionen visuell an die Wände des Projektraums    det es in visuell verknappter Form das Ergeb-
Menschen in ihrem jeweiligen Umfeld zu be-          gebracht und den anderen Team-Mitgliedern       nis ab, das alle bisher generierten Daten für die
fragen. Denn die geforderte Empathie dafür,         in narrativer Form („Storytelling“) vorgestellt folgenden Schritte aufbereitet und kommuni-
was bestimmte Produkte oder Services für            (siehe Abbildung 4). Dabei geht es weniger      zierbar macht.
Menschen bedeuten, kann nur aufgebracht             um reine Berichte des Erlebten, sondern um
werden, wenn man Menschen in ihrem Alltag           die Verknüpfung mit dem gemeinsamen Ge-
begleitet, quasi „mit ihnen mitläuft“. Dabei gilt   samtbild des Teams, das sich im Dialog, durch   4. Ideengenerierung
es, den Blick zu weiten und nicht allein auf das    Fragen und erste Interpretationen, ergibt. Da-
eigentliche Kernproblem zur richten. Informa-       mit entstehen nicht nur ein gemeinsamer         In der nun anschließenden Phase werden
tionen und Inspirationen sind vielmehr oft di-      Wissensstand des Teams, sondern neben der       Ideen für die aus dem Framework hergeleite-

   20                                                                                                         Marketing Review St. Gallen     2-2009
Design Thinking - Kreativität als Methode
Design Thinking – Kreativität als Methode

ten möglichen Felder für Innovationen gene-      können „Prototypen“ viele verschiedene          sie zu kommunizieren und damit mehr über
riert. Die klassische Variante, um im Design-    Formen annehmen: Vom sehr rudimen-              die Idee selbst zu lernen?
Thinking-Prozess Ideen zu erzeugen, ist das      tären, aber deshalb ganz und gar nicht trivi-      Entscheidend dabei ist, den jeweiligen Pro-
Brainstorming. Dabei werden vor der Brain-       alen „Storytelling“, über Papier- und Papp-     totypen nicht nur als Mittel zur Validierung
storming-Session konkrete Fragestellungen        modelle, Rollenspiele bis hin zu voll funkti-   von Ideen zu verstehen, sondern zuallererst
aus den potenziellen Innovationsfeldern ab-      onsfähigen Ausarbeitungen, die allerdings       als weiteren Ideengeber. Eine rein wörtlich
geleitet und formuliert. Diese Fragen schaffen   erst nach mehrfachen Testphasen entstehen       gefasste oder aufgeschriebene Idee vermag
die Brücke zwischen den weit gefassten Feld-     können. Die Prototypen dienen dazu, be-         dies nicht im selben Maße zu leisten. Da-
ern aus dem Framework und den möglichst          stimmte Fragen zu beantworten, mithilfe de-     durch, dass der Idee eine Form gegeben wird,
konkreten Ideen, die im Brainstorming ent-       rer das Team die Idee weiterentwickeln          entstehen im entwerfenden Umgang mit die-
stehen sollen. Dabei gilt als Faustregel, dass   kann: Worauf muss sich die Idee konzentrie-     ser konkreten Form neue, weitere Ideen und
die Ideen, die entstehen, immer nur so gut       ren, um diese am klarsten darzustellen? Sind    Modifikationen der eigentlichen Idee. Mit je-
sein können, wie die Fragen, die adressiert      mehrere Ideen in einem Ideenkonzept ver-        der weiteren Iteration eines Prototyps vergrö-
werden.                                          bunden und muss jede einzeln als Prototyp       ßert sich somit dessen Aussagekraft. Eine
   Die besondere Stärke der Variante des         dargestellt werden? Wie kann die Idee in ei-    schnelle Abfolge dieser Prototypen hilft zu-
Brainstormings im Design Thinking liegt          ne angemessene Form gebracht werden, um         dem dabei, früh zu erkennen, welche Pfade
darin, dass auch hier insbesondere Wert auf
Visualisierungen und bildliche Formgebung
gelegt wird. Denn durch kleine Skizzen             Abb. 4 Visualisierung in einem Design-Thinking-Projektraum
drückt sich jede Idee nicht nur klarer aus,
sondern kann sich in jeder Zeichnung oder
Skizze ein gesamtes Ideenkonzept ausdrü-
cken und kann auf einen Blick zusammenge-
fasst werden. Darüber hinaus machen die
Skizzen in der sehr schnellen Arbeitsweise
des Brainstormings die Ergebnisse kommu-
nizier- und abrufbar. Und erste Entschei-
dungen darüber, welche Ideen in einem
nächsten Schritt weiter bearbeitet werden,
sind auf der Basis von knappen Visualisie-
rungen besser und schneller zu treffen.
   Nach der Brainstorming-Session, die eine
Masse an Ideen hervorgebracht haben sollte,
werden die Ergebnisse strukturiert. Dafür
werden die idealerweise auf Post-It-Notes
festgehaltenen Ideen sortiert und gruppiert,
um ähnliche Ideen oder Ideen, die aufeinan-
der aufbauen, zusammenzufassen.
   Schließlich werden aus dieser gefilterten
Übersicht die vielversprechendsten Ideen
unter den Gesichtspunkten von Anzie-
hungskraft, Umsetzbarkeit und Wirtschaft-
lichkeit ausgewählt. Auch hier gilt jedoch
vorrangig die Maxime der Human-Cen-
teredness, womit bei der Design-Thinking-
Methode der „Anziehungskraft“ ein hö-
heres Gewicht als den übrigen Innovations-
faktoren zukommt.

5. Prototyping

Beim Design Thinking geht es um das
schnelle und iterative Prototyping. Dabei                                                                                        Quelle: gravity

Marketing Review St. Gallen    2-2009                                                                                                      21
Kollaboration

nicht weiter zu verfolgen bzw. welche die er-     soluten Ergebnisoffenheit und somit auch           des „Design“ allein zu kurz greift und einige
folgversprechenden sind. Die Idee selbst wird     von einer Kultur der Fehler: Denn jeder Fehl-      Möglichkeiten beschneidet, die für die Me-
durch diese Iterationsschritte, die sich in der   schlag ist, wenn er früh erkannt wird, ein Ge-     thode von Nutzen sein könnten. Denn es sind
gemeinsamen Formfindung des Teams aus-            winn für das Fortschreiten des Innovations-        weniger Prinzipien des „Design“-Thinking als
drücken, immer weiter verfeinert und verbes-      prozesses. Schließlich können hohe Entwick-        grundsätzlich die des „Visual Thinking“, des
sert.                                             lungskosten gespart werden, wenn ein               anschaulichen Denkens (Arnheim 1969), die
                                                  falscher Weg früh erkannt wird. Die sehr le-       sich durch den gesamten Prozess ziehen.
                                                  bendige, da schnell durchgeführte, iterative       Hierin drückt sich aus, dass sich im Sehvor-
6. Tests                                          Art des Design-Thinking-Prozesses bringt al-       gang selbst kognitive Prozesse abspielen und
                                                  so auch konkreten finanziellen Nutzen mit          charakteristisch in die visuelle Form, in jedes
Mit dem Prototyping einhergehend erfolgen         sich.
Tests und Feedbackschleifen. Hierfür ist eine        Ingesamt ist der Pro-
konkrete Form, mag sie in ihrem Ausarbei-         zess also davon gekenn-           „Jeder Fehlschlag ist, wenn er früh erkannt
tungsgrad noch so rudimentär sein, unerläss-      zeichnet, dass die einzel-        wird, ein Gewinn für das Fortschreiten des
lich. In den Gesprächen mit Menschen über         nen Prozess-Schritte we-                         Innovationsprozesses.“
etwas Konkretes fällt es den Befragten leich-     niger idealtypisch strikt
ter, dieses Konkrete weiter zu präzisieren        aufeinanderfolgen, son-
oder aber Alternativen und Varianten vorzu-       dern auch ineinandergreifen können. Dabei          Bild, einschreiben. Die Wahrnehmung ver-
schlagen. Darüber hinaus macht die Reakti-        entsteht immer wieder ein Wechselspiel aus         fährt nicht passiv, sondern Sehen ist Denken –
on der Befragten sehr deutlich, ob etwas nicht    neutralem Beobachten und Interpretation            und in jeder visuellen Form stecken nicht nur
verfolgt werden sollte und warum. Schließ-        des Gesehenen, Hypothesen und Experi-              Wissen, sondern auch Problemlösungen. Und
lich geht es im Sinne des Human-Centered-         menten im Prototyping.                             dies macht Visualisierungsformen im Innova­ti­
Design auch bei diesen Tests oder Feedback-          Obwohl dabei sicherlich schon vor dem ei-       onsprozess des „Design Thinking“ so wertvoll.
runden darum, das Wissen, die Erfahrung           gentlichen Schritt der Ideengenerierung, et-          Vom Erstellen von Fotografien in den Ob-
und Intuition der Menschen mit aufzuneh-          wa bei den Observationen, neue Ideen entste-       servationen, dem spezifischen Anordnen des
men, um neue Ideen entstehen zu lassen.           hen können, ist es wichtig, sie vorerst unbe-      gesamten visuellen Materials auf Tafeln oder
                                                  wertet und neutral zu sammeln und                  Wänden zu Übersichtszwecken, dem dia-
                                                  festzuhalten. Eine zu frühe Fixierung auf ei-      grammatischen bildlichen Zusammenfassen
Iteration und die Offenheit                       ne Idee setzt die Offenheit aufs Spiel, die die    der Erkenntnisse in der Synthese bis zum vi-
der Prozesslogik                                  Teammitglieder benötigen, um den Prozess           suellen Argumentieren durch Skizzen im
                                                  voranzutreiben und möglichst viele Eindrü-         Brainstorming oder der taktilen Forment-
Das eigentlich Wertvolle am Design-Thin-          cke zu sammeln, ehe die Synthese beginnt. All      wicklung als Ideengeber beim Prototyping
king-Prozess, das zugleich die besondere          dies zu beherzigen, ist ein Weg, der Erfahrung     (Tufte 1997; Pratschke 2008) – dies alles sind
Herausforderung darstellt, ist, hin und wie-      mit dem Prozess voraussetzt. Daher ist es un-      nicht bloße „Illustrationen“, sondern Bild-
der die Logik des sukzessiven Verlaufs von        erlässlich, diesen Prozess zu trainieren, ehe      formen, über die das Team erst in der Lage
Projekten und seiner an Meilensteinen orien-      sich ein intuitiver Umgang mit dem Design-         ist, die einzelnen Vorstellungen in den Köp-
tierten Prozess-Schritte fallen zu lassen. Denn   Thinking-Prozess selbst einstellt.                 fen der Teammitglieder als gemeinsame
Design Thinking gewinnt seine Wirkung wie                                                            Ideen zu artikulieren und fassbar zu machen.
auch Effizienz durch den Prozess der Iterati-                                                        Es sind diese „Bilder“ bzw. visuellen Formen,
on. Die Abfolge der Prozess-Schritte wird da-     Anschauliches Denken                               die den Denkprozess des Teams und seine
bei immer wieder durch Schleifen zu vorher-       und Wissen in Bildern                              Innovationsfindungen vor allem zulassen.
gehenden Phasen wiederholt.                                                                          Damit zeigt sich hier nicht ein allein design-
   Spätestens beim Test der Prototypen wird       Vielfach wird betont, dass Design Thinking         spezifischer Wissensbildungsprozess (Cross
klar, dass durch das Feedback potenzieller        neben dem Rückgriff auf das Vorbild des De-        2006), sondern eine Kulturtechnik des Visu-
Nutzer Überarbeitungen des Prototypen, so-        signers auch vor allem auf „Common Sense“,         ellen bzw. des Bildes, wie sie in Naturwissen-
mit der Idee, geleistet werden müssen, viel-      auf den Regeln des gesunden Menschenver-           schaften und Technologie zum Tragen
leicht sogar Grund für ein weiteres Brainstor-    stands aufbaut (Kelley 2001; Brown 2008).          kommt, um Wissen bildhaft entstehen zu las-
ming gegeben wird oder erneute Recherche          Dies hervorzuheben ist sicherlich richtig –        sen bzw. überhaupt erst zu ermöglichen, wo
notwendig ist – und somit Prozess-Schritte zu     besonders im Bezug auf die sozialen Kompo-         etwa die Masse der Daten, Zahlen oder
wiederholen sind. Zum Prozess des Design          nenten des kollaborativen Arbeitens und das        Worte dies nicht mehr zulässt (Bredekamp/
Thinking gehört also eine Offenheit gegenü-       am Menschen zentrierte Vorgehen.                   Werner/Bruhn 2002ff.; Boehm 2007). Bild-
ber der Abfolge der Schritte und gegenüber           Jedoch tritt eine weitere viel breitere Rele-   liche Erkenntnis und anschauliches Denken
der Möglichkeit, mit Prototypen scheitern zu      vanz des zugrunde liegenden Prinzips des ge-       bergen dabei immer eine Eigendynamik des
können. Design Thinking lebt von einer ab-        samten Prozesses hervor, der mit dem Begriff       Bildhaften, die es gilt, für Innovationspro-

   22                                                                                                        Marketing Review St. Gallen     2-2009
Design Thinking – Kreativität als Methode

zesse möglicherweise erst ernsthaft in den             Bredekamp, H./ Werner, G./ Bruhn, M. (Hrsg.)             and Quantities, Evidence and Narrative,
Fokus zu nehmen. Die bildwissenschaftliche                (2002): Bildwelten des Wissens. Kunsthisto-           Cheshire.
                                                          risches Jahrbuch für Bildkritik, Berlin.           Weiss, L. (2002): Developing Tangible Interfaces,
Untersuchung der visuellen Strategien in Na-           Boehm, G. (2007): Wie Bilder Sinn erzeugen, Berlin.      in: Design Management Journal, 13, 1, S. 33-38.
turwissenschaft und Technologie (Bruhn/                Brown, T. (2008): Design Thinking, in: Harvard        Wylant, B. (2008): Design Thinking and the Expe-
Dünkel 2008; Bredekamp/Dünkel/Schneider                   Business Review, Juni, S. 84-92.                      rience of Innovation, in: Design Issues, 24, 2,
                                                       Bruhn, M./ Dünkel, V. (2008): The Image as Cul-          S. 3-14.
2008) geht dabei weit über die bisherigen
                                                          tural Technology, in: Elkins, J. (Hrsg.): Visual
Erkenntnisse aus dem Bereich des „Design                  Literacy, New York, S. 165-178.
Research“ (Bayazit 2004; Michel 2007) hin-             Cross, N. (2006): Designerly Ways of Knowing,
aus und bildet ein reiches Reservoir an For-              London.                                              Autoren
                                                       IDEO (2003): IDEO Method Cards: 51 Ways to
schungsergebnissen, die die Methode des                   Inspire Design, Palo Alto.
Design Thinking zur Methode anschaulichen              Kelley, T. (2001): The Art of Innovation. Lessons       Alexander Grots
Denkens schlechthin werden lassen könnte –                in Creativity from IDEO, America’s Leading           Gründer und Geschäftsführer der Innova-
und Innovationsfindung über diesen Weg                    Design Firm, New York.                               tionsagentur gravity, ehemaliger Geschäfts-
                                                       Leonard-Barton, D. (1995): Wellsprings of Know-         führer IDEO Deutschland
noch effektiver gestalten könnte.                         ledge: Building and Sustaining the Sources of        E-Mail: alex.grots@gravity-europe.com
                                                          Innovation, Boston.
                                                       Michel, R. (Hrsg.) (2007): Design Research Now.
                                                          Essays and Selected Projects, London.                Margarete Pratschke, M.A.
Literatur                                              Norman, D. (1988): The Design of Everyday               Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Helm-
Arnheim, R. (1969): Visual Thinking, Berkeley et al.      Things, New York.                                    holtz-Zentrum für Kulturtechnik der Hum-
Bayazit, N. (2004): Investigating Design: A Re-        Pratschke, M. (2008): Bild-Anordnung, in: Brede-        boldt-Universität zu Berlin sowie Mitglied
   view of Forty Years of Design Research, in:            kamp, H./ Dünkel, V./ Schneider, B. (Hrsg.):         des Teaching-Teams der School of Design
   Design Issues, Bd. 20, Nr. 1, S. 16-29.                Das Technische Bild. Kompendium zu einer             Thinking des Hasso-Plattner-Instituts an
Bredekamp, H./ Dünkel, V./ Schneider, B. (Hrsg.)          Stilgeschichte technischer Bilder, Berlin,           der Universität Potsdam
   (2008): Das Technische Bild. Kompendium zu             S. 116-119.                                          E-Mail: margarete.pratschke@hu-berlin.de
   einer Stilgeschichte technischer Bilder, Berlin.    Tufte, E. R. (1997): Visual Explanations: Images

                                                                                                                † †

              RFOLGSVORAUSSETZUNGENDESNEUEN
                                                                                                                                                                                                                          
              NLINEˆ ANDELSˆMITESTRACTICES
                                            >]jjalÜ?]af]eYff
                                            ;]jÜf]m]ÜFfdaf]¥?Yf\]d
Sie können auch lesen