Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren
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Zusammenfassung Mit neuer Gentechnik (z. B. CRISPR/Cas9) erzeugte mend um Obstbäume, Zierpflanzen und verschiedene Pflanzen sollen vielfältige Probleme der Landwirtschaft Gehölzarten. Die angestrebten Eigenschaften reichen lösen, unter schwierigen Anbaubedingungen (Stich- von der bisher in der Gentechnik am stärksten verfolg- wort Klimawandel) hohe Erträge bringen und zudem ten Herbizidresistenz über Ertragssteigerung, Resistenz bessere Lebensmittel und maßgeschneiderte Rohstoffe bzw. Toleranz gegen biotische (Pathogene) und abio- für die Wirtschaft liefern. Da der Ort der gentechni- tische (Hitze, Trockenheit etc.) Stressfaktoren bis zu schen Veränderung präziser zu adressieren ist als bei höherer Lebensmittelqualität und veränderter Blüten- der bisherigen alten Gentechnik, soll die Nutzung der farbe bei Blumen. Doch im Fokus stehen die auf großen neuen Superpflanzen mit weniger Risiken für Mensch Flächen angebauten, sogenannten cash crops und und Umwelt verbunden sein. Gentechnik-spezifische agronomisch und industriell nutzbare Eigenschaften. Regelungen, wie sie in der EU gelten, seien deshalb für Genom-editierte Pflanzen nicht erforderlich, so die Die mit neuen GVO und deren neuen Eigenschaften Lesart der Biotech-Industrie. Demgegenüber urteilte verbundenen ökologischen Risiken sind vielfältig – der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Juli 2018, dass mindestens vergleichbar denen der bisherigen GVO. auch die neue Gentechnik wie die bisherige dem EU- Neu ist, dass mehrere Eigenschaften gleichzeitig ver- Regelwerk unterworfen ist. ändert werden können (Multiplexing), was die Risiko- abschätzung erheblich erschwert. Negative Auswir- Die auch als Genom-Editierung bezeichneten neuen kungen des Anbaus herbizidresistenter Pflanzen sind Gentechnikverfahren beruhen im Wesentlichen auf der lange bekannt, zu möglichen Umwelteffekten stress- Nutzung spezifischer Nukleasen, die die DNA an toleranter Pflanzen oder solcher mit neuen Inhalts- bestimmten Stellen schneiden. Über die zelleigene stoffen fehlen hingegen häufig Daten. Steigern die Reparatur des Doppelstrangbruches werden Verände- neuen Eigenschaften die Fitness der Pflanzen, erhöht rungen erzeugt, die zum „knock-out“ (Funktionsver- sich die Wahrscheinlichkeit einer ungewollten Aus- lust) von Genen führen können oder unter bestimmten breitung. Gentransfer lässt sich im Freiland, das zeigt Bedingungen (z. B. Vorliegen homologer DNA-Sequen- die Erfahrung mit bisherigen GVO, nicht sicher verhin- zen) eine DNA-Sequenz „reparieren“ bzw. neue Gene dern. Je mehr Pflanzenarten der gentechnischen Ver- einfügen können. Doch ein präziseres Adressieren des änderung zugänglich werden, darunter auch solche, Genomortes bedeutet nicht notwendigerweise, dass die langlebig sind, zahlreiche Verwandte unter Wild- die daraus erwachsende genetische Veränderung ohne arten haben und sich über große Entfernungen aus- Risiko ist. Unerwartete Effekte am Zielort der Verän- kreuzen und verbreiten können, desto größer ist das derung (on-target) und an anderen Stellen des Genoms Risiko für unerwartete und unerwünschte Effekte auf (off-target) wurden vielfach beschrieben. Es kann so die Umwelt. Das Vorsorgeprinzip muss deshalb unein- zur Bildung veränderter Proteine und Produkte kom- geschränkt Gültigkeit behalten. Dies gilt in ganz men, die den Pflanzenstoffwechsel beeinflussen und besonderem Maße für Gene Drive Organismen, die zum neue, unbekannte, nicht selten unerwünschte Eigen- Aussterben von Populationen bzw. zum Ersatz natür- schaften mit sich bringen. licher Populationen durch gentechnisch veränderte führen sollen. Ihre Freisetzung darf folglich nicht Weltweit werden zahlreiche Projekte der neuen Gen- erlaubt werden, auch nicht zu Naturschutzzwecken. technik mit einer Vielzahl von Pflanzenarten verfolgt. Es geht dabei neben den in der Agrogentechnik wich- Vielfach wird behauptet, die neuen Methoden führten tigsten Pflanzen wie Soja, Baumwolle, Mais und Raps zu naturidentischen Ergebnissen, die auch mit erheb- um weitere Ackerpflanzen (z. B. Reis, Weizen, Kartof- lich höherem Aufwand mit konventioneller Züchtung feln), aber auch um Gemüse (v. a. Tomate) und zuneh- erreichbar seien. Doch neue Gentechnik ist Gentechnik 2 Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren
und entspricht nicht der bisherigen Züchtung: Wäh- rend die herkömmliche Züchtung die genetische Viel- falt der Sorten nutzt, um durch Kreuzung und anschließende Selektion der Nachkommen neue Pflan- zensorten mit gewünschten Eigenschaften zu entwi- ckeln, ist Ziel der neuen Gentechnik, mit einem tech- nischen Verfahren einzelne Gene zu verändern. Weitere Unterschiede sind, dass mit CRISPR/Cas & Co gleich- zeitig mehrere Kopien eines Gens verändert und Kopp- lungsgruppen eng benachbarter Gene unterbrochen werden können. Neue Gentechnik kann so zu Orga- nismen mit neuen Kombinationen von Eigenschaften führen, die bislang nicht möglich waren. Die Darstel- lung, die durch CRISPR-/Cas herbeigeführten genom- ischen Veränderungen oder allelen Kombinationen sei- en allgemein den natürlicherweise auftretenden Veränderungen gleichzusetzen, stellt deshalb eine grob irreführende Vereinfachung dar. Um Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit und Monitoring von mit Genom- Editierung erzeugten Pflanzen und Produkten zu sichern, sind geeignete Nachweisverfahren zu entwi- ckeln und den EU-Mitgliedstaaten und Marktbeteilig- ten zur Verfügung zu stellen. Das EuGH-Urteil vom Juli 2018 ist umzusetzen, die neuen Gentechnikverfahren und daraus entstehende Organismen und Produkte sind mindestens nach den- selben Regeln wie die bisherige Gentechnik zu bewer- ten und zu kennzeichnen. Ein Ausschluss würde dem Vorsorgeprinzip zuwiderlaufen, zu dessen Umsetzung die EU-Richtlinie dient. Dies gilt insbesondere auch aus ökologischer Sicht, denn da die neuen Verfahren die Erzeugung genetisch veränderter Sorten „in einem ungleich größeren Tempo und Ausmaß als bei der Anwendung herkömmlicher Methoden der Mutage- nese“1 ermöglichen, würden sie Ökosysteme weiteren nicht abschätzbaren Risiken aussetzen. 1 https://curia.europa.eu/jcms/ upload/docs/application/pdf/2018 -07/cp180111de.pdf Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren 3
Einleitung Bisherige Methoden der gentechnischen Veränderung Doch seit neue gentechnische Verfahren, gerne auch von Organismen beruhen auf dem Transfer von – aus als Genom Editierung oder „gezielte“ Mutagenese unterschiedlichen Organismen stammenden – DNA- bezeichnet, entwickelt werden, wecken viele Akteure Sequenzen. Der Einbau der übertragenen Sequenzen in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft die Hoffnung, im Empfängergenom führt zu gentechnisch veränder- dass die neue Gentechnik zu den lange versprochenen ten Organismen (GVO), die so neue Eigenschaften neuen, maßgeschneiderten Eigenschaften bei Pflanzen erhalten sollen. Die bekanntesten Beispiele für gen- (und Tieren) führen werde. Und das präziser und siche- technisch veränderte Pflanzen, die weltweit angebaut rer als mit der alten Gentechnik, weshalb es vieler exis- werden, sind herbizid- und insektenresistente Soja, tierender gesetzlicher Regelungen im Gentechnikbe- Mais- und Baumwollpflanzen. Ihnen wurden bakte- reich nicht bedürfe. Um dem Klimawandel zu rielle DNA-Sequenzen übertragen, die häufig mit begegnen, höhere Erträge zu erzielen, krankheitsresis- Markergenen verknüpft sind, die der Selektion der ver- tente Pflanzen und bessere Lebensmittel zu erzeugen, änderten (transformierten) Zellen dienen. Regulati- soll die neue Gentechnik massiv gefördert und gleich- onselemente, aus Pflanzenviren oder anderen Orga- zeitig die Akzeptanz für Agrogentechnik in der Öffent- nismen stammend, sollen für die korrekte Ablesung lichkeit erhöht werden. der Fremdgene und starke Ausprägung der neuen Eigenschaften sorgen. So entstandene Pflanzen wer- Gänzlich neu sind Überlegungen, Gentechnik im den auch als transgen bezeichnet, da ihnen Gene einer Naturschutz einzusetzen, um etwa durch die Verän- anderen Art transferiert wurden. derung ganzer Wildpopulationen bestimmte Natur- schutzziele wie die Bekämpfung invasiver Arten zu Die kommerzielle Nutzung der Gentechnik in der Land- erreichen. Neben weitreichenden Herausforderungen wirtschaft begann in den 1990er Jahren und spielt im Bereich der Umweltrisikoprüfung würden dadurch inzwischen insbesondere auf dem amerikanischen auch konzeptionelle Fragestellungen z. B. zum Verhält- Kontinent eine große Rolle. In der EU findet GVO- nis von Natur und Technik berührt (Schell et al. 2019). Anbau kaum statt, denn der einzige GVO mit Anbau- Ansätze dieser Art (auch Gene Drives genannt) und zulassung (insektenresistenter Mais MON810) kommt deren ökologische Risiken können im Rahmen dieses zwar in Spanien und Portugal auf die Felder, sein Textes nur eingeschränkt behandelt werden, umfang- Anbau ist aber in vielen anderen EU-Ländern incl. reiche Reviews hierzu wurden veröffentlicht (CSS – Deutschland verboten. Seit Mitte der neunziger Jahre, ENSSER – VDW 2019). als erstmals herbizidresistente Soja und insektenre- sistente Baumwolle in den USA auf den Markt kamen, Laut Urteil des EuGH vom 25. 07. 2018 sind auch Orga- hat sich die Palette der gentechnisch erzeugten Eigen- nismen, die mit neuen Mutagenese-Verfahren verän- schaften nicht wesentlich verändert: Nahezu 100 % dert wurden, gentechnisch veränderte Organismen der laut ISAAA (International Service for the Acquisi- (GVO) und damit dem EU-Gentechnikrecht (Freiset- tion of Agribiotech Applications, einer Industrie- zungsrichtlinie 2001/18/EG und Verordnung (EG) gesponserten Organisation) global auf ca. 190 Millio- 2003/1829 über genetisch veränderte Lebensmittel nen Hektar angebauten gentechnisch veränderten und Futtermittel sowie Verordnung (EG) 2003/1830 Pflanzen (im Wesentlichen Soja, Mais, Baumwolle und zur Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von GVO Raps) sind weiterhin resistent gegen Herbizide und daraus hergestellten Lebens- und Futtermitteln) 2 https://www.isaaa.org/resources/ und/oder gegen Insekten.2 Die vielfach prognostizier- unterworfen.3 Diese Entscheidung wurde von Umwelt- publications/briefs/55/default.asp 3 https://curia.europa.eu/jcms/ ten Superpflanzen mit höherem Ertrag, Stresstoleranz und Verbraucherverbänden und Zivilgesellschaft upload/docs/application/pdf/2018 und besserer Lebensmittelqualität sind nicht dabei. begrüßt, jedoch von Befürworter*innen der neuen Gen- -07/cp180111de.pdf 4 Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren
technik in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien teilweise heftig kritisiert. Am 29. April 2021 veröffentlichte die EU-Kommission ihren von den Mitgliedstaaten in Auftrag gegebenen Bericht zum Status neuer genomischer Techniken unter EU-Recht.4 Die Kommission kommt zum Schluss, neue Gentechnik könne zu nachhaltigeren Lebensmit- telsystemen beitragen und für viele gesellschaftliche Bereiche von Nutzen sein, Bedenken gegenüber Erzeugnissen der neuen Gentechnik seien untersucht worden. Es gebe deutliche Hinweise, dass die gelten- den GVO-Rechtsvorschriften für einige der neuen Gen- technikverfahren nicht zweckmäßig seien und an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt ange- passt werden müssten. Beispielsweise fehlten Mecha- nismen, um die Entwicklung von Produkten zu fördern, die den Nachhaltigkeitszielen des Europäischen Green Deal und der Farm-to-Fork und Biodiversitäts-Strate- gie der EU dienen. Im Herbst 2021 fand eine erste Pha- se der öffentlichen Konsultation statt, an der sich über 70.000 Bürger*innen und Organisationen beteiligten, eine zweite Konsultation folgte im Sommer 2022.5 Die Kommission hat angekündigt, im zweiten Quartal 2023 einen Vorschlag zur Regulierung vorzulegen. Die Debatte um die künftige Regelung der neuen Gentech- nik in der EU ist damit eröffnet. 4 https://ec.europa.eu/food/plants/ genetically-modified- organisms/new-techniques- biotechnology/ec-study-new- genomic-techniques_en 5 https://ec.europa.eu/info/law/ better-regulation/have-your- say/initiatives/13119-Legislation- for-plants-produced-by-certain- new-genomic-techniques_en Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren 5
Was ist neue Gentechnik? Die neue Gentechnik verspricht, die genetische bestimmter DNA-Sequenzen als auch solche mit Sequenz lasse sich wie ein Text präzise umschreiben Nuklease-Funktion besitzen (Townsend et al. 2009). – „editieren“ –, sie wird deshalb häufig auch als Die Proteine funktionieren als Dimer, d. h. es müssen Genom-Editierung (genome editing) bezeichnet. Nut- jeweils zwei TALEN bzw. ZFN Proteine vorhanden sein, zer*innen und Anwender*innen argumentieren, da der die an die DNA binden und einen Doppelstrangbruch Ort der Änderung bekannt sei, gehe Genom-Editierung herbeiführen. Beim MN-Verfahren (Meganuclease) mit einer größeren Genauigkeit und deshalb weniger werden Nukleasen mit längeren Erkennungssequenzen Risiken einher als der bisherige zufällige Einbau von eingesetzt, die statistisch im Genom nur einmal vor- Fremd-DNA. handen sein sollen – die erforderliche Sequenzlänge hängt damit von der Genomgröße ab, zudem scheint Bei den neuen gentechnischen Verfahren geht es vor- das „nur einmal vorhanden sein“ nur theoretisch zugsweise um den Einsatz von Endonukleasen (DNA- erreichbar. Da Design bzw. Konstruktion von Proteinen spaltenden Enzymen), die DNA an bestimmten Erken- mit jeweils spezifischen Erkennungssequenzen beson- nungssequenzen schneiden (englisch: site-directed dere Erfahrung benötigt und entsprechend langwierig nucleases) (Hilscher et al. 2016). Voraussetzung für all ist, erfuhren diese Verfahren, obwohl schon länger diese Verfahren ist, dass die entsprechenden DNA- bekannt, keine sehr breite Anwendung. Eine weitere Sequenzen bekannt sind. Die so entstehenden Doppel- Technik ist ODM (Oligonucleotide-Directed Mutage- strangbrüche der DNA werden durch zelleigene nesis) – hier werden kurze, synthetisch hergestellte ein- Reparatursysteme „geheilt“, wobei häufig Fehler zelsträngige DNA-Abschnitte (Oligonucleotide), die bis (Mutationen) entstehen. Der vorwiegend auftretende auf kleine Abweichungen komplementär zu bestimm- Reparaturprozess wird als Non-Homologous End Joi- ten DNA-Sequenzen sind, in die Zellen eingebracht. ning (NHEJ, nicht-homologe Endverknüpfung) Mutationen sollen so gezielt erzeugt werden, wobei bezeichnet. Bei dieser vom Experimentator nicht zu die zellulären Vorgänge, die dies bewerkstelligen, nicht steuernden Reparatur können Veränderungen (Muta- im Einzelnen verstanden sind. Der herbizidresistente tionen) der DNA-Sequenz entstehen, indem z. B. fal- Raps der Firma Cibus soll so entstanden sein. sche Basen eingefügt werden, kleinere Sequenzen ein- gebaut werden oder auch verloren gehen (indels: Seit einigen Jahren haben jedoch neue Verfahren Ein- insertions, deletions). Dadurch können – in jedem Ein- zug in Forschung und Entwicklung gehalten: zelfall unterschiedlich – die Leseraster der betroffenen CRISPR/Cas (Clustered Regularly Interspaced Short Gene verändert werden, was zum Ausschalten der Palindromic Repeats)/Cas (CRISPR-associated)). Die Genfunktion führen kann (knock-out), aber auch zur Systeme stammen aus Bakterien und dienen dort der Veränderung des Genprodukts. Selten scheint ein wei- Immunabwehr gegen eindringende Viren. Dabei wer- teres Reparatursystem aktiv zu sein, das in der Zelle den Fragmente aus dem Erbgut der Viren (in Form vorliegende DNA-Sequenzen als Vorlage nimmt und eines regelmäßigen Musters sich wiederholender und als HDR (Homology-Directed Repair) bezeichnet wird. umgekehrt angeordneter Sequenzen) ins bakterielle Da HDR nur in einer bestimmten Phase des Zellzyklus Erbgut integriert, um dann in RNA-Schnipsel umge- erfolgt, werden die meisten DNA-Schäden durch die setzt zu werden. Bei einer wiederkehrenden Infektion zu zufälligen Veränderungen führende nicht-homologe können Bakterien mit Hilfe des CRISPR/Cas-Systems Endverknüpfung (NHEJ) repariert. das virale Genom erkennen und zerschneiden. Ver- gleichbare Abwehrsysteme mit jeweils eigenen struk- Die älteren Verfahren TALEN (Transcription Activator- turellen und enzymatischen Eigenschaften kommen Like Effector Nuclease) und ZNF (Zinc-Finger Nuclease) in vielen Bakteriengattungen vor (Nishimasu und nutzen Proteine, die sowohl Bereiche zur Erkennung Nureki 2017). Das am häufigsten genutzte 6 Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren
CRISPR/Cas-System ist CRISPR/Cas9 aus dem Bakte- rium Streptococcus pyogenes. Von den „Erfinderinnen“ Doudna und Charpentier (2014) wurde erkannt, dass es auch als molekularbiologische Methode genutzt und in verschiedenen Organismen angewandt werden kann. Die beiden Wissenschaftlerinnen erhielten hier- für 2020 den Nobelpreis für Chemie. In zahlreichen Publikationen der letzten Jahre wurde gezeigt, dass sich das System vergleichsweise leicht an neue Ziele und Organismen anpassen lässt. Diese Flexibilität hat zu einer beispiellosen Ausweitung der Anwendung geführt. Ein im Auftrag der EU-Kommission erstellter „State-of-the-Art“ Bericht nennt Methoden und Ziele der Veränderung von Pflanzen, Tieren und Mikroorga- nismen (Broothaerts et al. 2021). Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren 7
Funktionsweise von CRISPR/Cas9 zelleigenen Reparatursystemen als Vorlage erkannt, kann die DNA-Reparatur nach dem Doppelstrangbruch CRISPR/Cas9-Systeme bestehen aus RNA-Protein- gezielter erfolgen. Dieser Fall wird als Site-Directed Komplexen, die mittels einer synthetischen RNA (guide Nuclease 2 (SDN 2) bezeichnet. Der ebenfalls auf HDR RNA) eine Komponente zur Erkennung spezifischer beruhende Fall SDN 3 (Site-Directed Nuclease 3) DNA-Sequenzen und – mit dem Cas9 Enzym – eine beschreibt Verfahren, bei denen eine wesentlich grö- Nuklease aufweisen. Über die guide RNA wird das Cas- ßere DNA-Vorlage mit CRISPR/Cas in die Zelle einge- Protein an die sequenzmäßig passende gewünschte bracht wird. Es sollen sich so ganze (auch fremde) Gen- Stelle der DNA geleitet und in Position gebracht. Dort abschnitte einführen lassen. Die jeweilige Veränderung schneidet die Nuklease den DNA-Doppelstrang, sofern kann bei diploiden Organismen an einem der Chromo- direkt angrenzend eine spezifische kurze PAM-Sequenz somen (heterozygot) oder auch an beiden Chromo- (Protospacer Adjacent Motif) im Genom vorhanden somen (homozygot) erfolgen (Zhu et al. 2017). ist. Diese PAM-Sequenz ist charakteristisch für jedes Cas-Enzym und für die Öffnung des Doppelstrangs Durch die Nutzung verschiedener guide RNAs lassen erforderlich. Passt die davor liegende DNA-Sequenz sich mehrere unterschiedliche DNA-Zielsequenzen zur guide RNA, wird Cas9 aktiv und schneidet den ansteuern und damit mehrere Gene gleichzeitig ver- Doppelstrang. Die jeweils aktiven zelleigenen Repara- ändern bzw. ausschalten – sogenanntes Multiplexing tursysteme verknüpfen anschließend die DNA wieder. (Cong et al. 2013, Li et al. 2017). Mittels zweier guide Dieser nach dem Zufallsprinzip stattfindende Prozess RNAs sollen sich zwischen Target-Sequenzen auch (als Site-Directed Nuclease 1, SDN 1 bezeichnet) ist Deletionen definierter Größe erzeugen lassen (Wada fehlerbehaftet. et al. 2020). Andere Cas-Systeme können zur Erzeu- gung von Insertionen eingesetzt werden (Pickar-Oliver Da es wesentlich einfacher ist, eine zur anvisierten und Gersbach 2019). Bei Pflanzen mit mehr als zwei DNA-Sequenz passende RNA zu synthetisieren, als ein Chromosomensätzen wie Weizen oder Kartoffeln las- Protein an eine bestimmte DNA-Sequenz anzupassen, sen sich mehrfach vorhandene Gene (etwa Gliadin- wurde die Methode der gentechnischen Veränderung Gene) gleichzeitig verändern. Sanchez-Leon et al. durch CRISPR/Cas rasch in vielen Labors übernommen (2018) berichten, so eine starke Reduktion des Glu- und auf zahlreiche Organismen ausgeweitet, z. B. ten-Gehalts bei Weizen erreicht zu haben. Mit Hilfe Mikroorganismen, tierische und menschliche Zellen von CRISPR/Cas9 sollen sogar ganze Chromosomen- und vermehrt auch Pflanzen. Dies zeigt sich in der stark bereiche wechselseitig auszutauschen sein: Millionen anwachsenden Zahl wissenschaftlicher Publikationen, Basenpaare umfassende vererbbare Translokationen die den Einsatz von CRISPR/Cas allein bei Pflanzen zwischen den Chromosomen 1 und 2 bzw. 1 und 5 beschreiben und die die Zahl der Berichte über die wurden für Arabidopsis thaliana beschrieben (Beying älteren Verfahren ZFN und TALEN rasch um ein Viel- et al. 2020). Die Kopplung von Genen (genetic linkage) faches überschritten (Modrzejewski et al. 2019). in benachbarten Genombereichen ließe sich so bre- chen und „chromosome engineering“ ermöglichen Vergleichsweise selten können bei der DNA-Reparatur (Rönspies et al. 2021). Auch Inversionen (in umgekehr- auch DNA-Sequenzen zum Vorbild genommen werden, ter Reihenfolge integrierte DNA-Sequenzen), die die die mit dem Zielbereich der DNA bis auf die gewünsch- Paarung und den genetischen Austausch zwischen te Veränderung homolog sind (HDR Homology- homologen Chromosomen verhindern, könnten rück- Directed Repair, von Sequenzhomologie abhängige gängig gemacht werden, wie am Beispiel von Arabi- Reparatur). Werden solche Sequenzen zusammen mit dopsis thaliana gezeigt wurde (Schmidt et al. 2020). CRISPR/Cas in die Zelle eingeschleust und von den 8 Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren
Abbildung 1: Schematische Darstellung der Arbeitsweise von CRISPR/Cas: CRISPR/Cas wird durch eine spezifische guide RNA an die Zielsequenz im Erbgut des Zielorganismus geleitet und führt dort einen Doppelstrangbruch ein. In Lila ist die PAM (engl.: protospacer adjacent motif)-Sequenz dargestellt. Sie fungiert als anfängliche Erkennungssequenz für die Genschere. Passt die davor liegende Sequenz zur guide RNA, wird Cas9 aktiv und schneidet dort. (https://fachstelle-gentechnik-umwelt.de/wp-content/uploads/Hinter- grundpapier_CRISPRCas_Erklaerung_der_Technik.pdf ) Die Änderung einzelner Basen wird ebenfalls ange- kleineren guide RNAs verbunden werden, zudem strebt, sogenanntes Base-Editing (BE). Hier geht es macht es keine glatten Schnitte in der DNA, sondern darum, über einen Austausch von DNA-Basen eine um 4 – 5 Nukleotide versetzte, was eine HDR-Repara- echte Punktmutation zu erreichen und beispielsweise tur begünstigen soll (Zetsche et al. 2015). Dass Cas12a aus einem G-C Paar (Guanin-Cytosin) über Zwischen- seltener zu Schnitten an unerwünschter Stelle führt, schritte ein A-T Paar (Adenin-Thymin) bzw. aus einem wurde von Murugan et al. (2020) jedoch nicht bestä- A-T Paar ein G-C Paar zu erzeugen (Mishra et al. 2019). tigt. Optimierte CRISPR/Cas9 Systeme sollen die Bil- Rees und Liu (2018) beschreiben darüber hinaus auch dung von mehr Cas9-Enzym und die Einführung vieler Base-Editing der RNA. verschiedener guide RNAs ermöglichen (Murovec et al. 2017, Wada et al. 2020). Ziel ist zudem, mehr Gene Zahlreiche Weiterentwicklungen des CRISPR/Cas gleichzeitig auszuschalten, z. B. bis zu 12 Gene bei der Systems und in anderen Mikroorganismen gefundene Ackerschmalwand (Stuttmann et al. 2021). Systeme sollen die Anwendung der neuen Gentechnik bei Pflanzen vereinfachen und erleichtern oder seltener zu Schnitten an unerwünschter Stelle führen. Durch Änderung des Cas-Proteins bzw. Ankopplung weiterer Komponenten könnten sich DNA-Einzelstrangbrüche erzeugen lassen oder auch die Veränderung von RNA (RNA editing). Ein aus den Bakterien Prevotella und Francisella stammendes Cas Protein (Cpf bzw. Cas12a genannt) hat eine andere PAM-Sequenz und kann mit Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren 9
Gene Drives (incl. der Effektorgen-Sequenzen) als Vorlage verwen- det. Das soll sich in jeder Generation wiederholen. Laut Sogenannte Gene Drives stellen eine spezielle Anwen- Gantz et al. (2015) wiesen nahe 100 % der Nachkom- dung von CRISPR/Cas dar: Mit ihrer Hilfe sollen sich men von Kreuzungen zwischen Gene Drive Anopheles neu eingefügte Transgene in Wildpopulationen ent- stephensi Mücken und Wildtypen die gentechnischen gegen den Mendelschen Gesetzen verbreiten. Die in Veränderungen ebenfalls auf. Die in diesem Fall mit ein Chromosom eingebauten DNA-Sequenzen für transferierten Effektorgene sollen die Übertragung der CRISPR/Cas (plus weitere Gene, sogenannte Effektor- Malaria-Erreger behindern. Gemäß den Mendelschen gene) sollen in jeder Generation dafür sorgen, dass die Vererbungsregeln würden nur ca. 50 % der Kreuzungs- neuen Sequenzen auch im homologen Chromosom nachkommen eine solche Veränderung tragen. auftreten. Weisen beide Chromosomen eines Paares die genetische Veränderung auf, kann sie auf alle Kreu- zungsnachkommen vererbt werden. Abhängig von der Art der Effektorgene könnte im Extremfall die Gene Drive Technologie zum Aussterben von Populationen bzw. zum Ersatz natürlicher Populationen durch gen- technisch veränderte führen (CSS – ENSSER – VDW 2019). Propagiert werden Gene Drives zur Bekämpfung der Malaria (Gantz et al. 2015) oder zur Ausrottung invasiver Arten, z. B. Mäuse und Ratten auf Inseln oder graue Eichhörnchen in Großbritannien, aber auch zur Kontrolle von Pflanzenschädlingen wie der Kirsch- essigfliege6 und unliebsamen Beikräutern, indem bei- spielsweise herbizidresistente Wildpopulationen wie- der empfindlich werden (Neve 2018). Gene Drive Organismen sind zweifellos GVO – und unterliegen als solche dem EU-Gentechnikrecht. Die einzubauenden Sequenzen für die Cas-Nuklease und guide RNA sowie für Regulations- und Effektor- Abbildung 2: Gene Drives – Vergleich mit Mendelscher Vererbung (Nach CSS – ENSSER – VDW 2019, S. 23): Eine Mutation, die kei- gene werden dabei flankiert von Bereichen, die homo- nen Fitnessvorteil mit sich bringt, wird nach den Mendelschen log zur adressierten Integrationsstelle (Erkennungs- Regeln (Vererbungsrate von 50 %) rasch aus einer Population ver- schwinden. Ein synthetisches Gene Drive System mit einer Ver- sequenz) im jeweiligen pflanzlichen oder tierischen erbungsrate von nahe 100 % sorgt hingegen für die Ausbreitung Genom sind. So wird die Wahrscheinlichkeit für die der Eigenschaft, selbst wenn damit keine klaren Fitnessnachteile verbunden sind. Aktuell beziehen sich die Gene Drive Ansätze vor- ansonsten selten stattfindende DNA-Reparatur durch wiegend auf Tiere, insbesondere Insekten. HDR (homology directed repair) erhöht (entspricht dem Fall SDN 3). Abhängig vom jeweiligen Regulationssys- tem werden die integrierten CRISPR/Cas Sequenzen aktiviert und Cas-Protein und guide RNA gebildet (Hammond et al. 2021). Die Erkennungssequenz auf dem homologen Chromosom wird angesteuert und 6 https://www.technologyreview.com/ geschnitten. Bei der Reparatur des Doppelstrangbruchs 2017/12/12/147135/farmers-seek- durch HDR werden dann die CRISPR/Cas Sequenzen to-deploy-powerful-gene-drive/ 10 Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren
Mit neuer Gentechnik veränderte Pflanzenarten Seit den ersten Berichten über eine gentechnische Ver- Besonderes Potential wird der neuen Gentechnik bei änderung von Pflanzen mit Hilfe des CRISPR/Cas9 Sys- Pflanzen für den Gartenbau (Li et al. 2020) und Arten tems (Shan et al. 2013, Li et al. 2013, Nekrasov et al. mit vegetativer Vermehrung wie Kartoffel, Wein, Apfel, 2013) wurden allein bis 2018 weit über tausend wis- Banane, Zuckerrohr oder Erdbeere zugeschrieben, da senschaftliche Studien zur Genom Editierung bei sich langwierige Kreuzungsvorgänge umgehen ließen Pflanzen veröffentlicht (Liu et al. 2017, Modrzejewski (Nadakuduti et al. 2018). Bei ein- und mehrjährigen et al. 2019). Stand anfänglich die Modell-Pflanze Nutzpflanzen soll auch DNA-freie Genom Editierung Arabidopsis thaliana im Zentrum, sind inzwischen möglich sein (Metje-Sprink et al. 2019). Der Einsatz nahezu alle wichtigen Kulturpflanzen Objekte der von CRISPR/Cas erstreckte sich bereits auf 45 Pflanzen- Genom-Editierung. gattungen (Mitglieder von 24 Familien) – und künftig wohl noch auf erheblich mehr, z. B. polyploide Arten Die meisten Studien erschienen zu Reis, gefolgt von mit mehr als zwei Chromosomensätzen (Shan et al. Arabidopsis thaliana und mit Abstand Tabak, Tomate, 2020) oder Bäume (Pak & Li 2022). Mit dem Ziel Kom- Mais, Weizen und Soja. Bearbeitet wurden auch Kar- merzialisierung werden überwiegend die „cash crops“ toffel, Raps, Gerste, Klee, Baumwolle und Obstarten Raps, Soja und Mais, Kartoffeln und Weizen bearbeitet (Apfel, Zitrusfrüchte, Wein, Banane, Kiwi, Erdbeere (Gelinsky 2020). Die wichtigsten Akteure dabei sind die oder Melone). Vereinzelte Arbeiten bezogen sich auf US-Unternehmen Cibus, Calyxt, Corteva und Simplot. Leindotter, Luzerne, Gurke, Erdnuss, Pilze, Kohl, Salbei, Mohn, Salat, Flachs, Maniok, Zuckerrohr, Kakao, Senf Im Gegensatz zu mit neuer Gentechnik veränderten und Karotte; auch Wildpflanzen wurden genannt, etwa Tieren (Solomon 2020) werden in den USA „Genom- Pappel, Algen, Moos und Bambus. Die Übersicht von editierte“ Pflanzen mit kleinen Veränderungen, wie sie Erpen-Dalla Corte et al. (2019) zum Einsatz von in der Natur auftreten könnten, nicht reguliert. Sie CRISPR/Cas9 bei Obst-, Gemüse- und Zierpflanzen gelten als „non-regulated article“, die keiner einge- nennt im Wesentlichen die gleichen Pflanzenarten, henderen Prüfung bedürfen (Then 2019, Kawall et al. ergänzt durch Blumen wie Chrysantheme, Prunkwinde, 2020). „Non-regulated“ sind Linien von „cash crops“ Lilie, Petunie, Orchidee und Clownsgesicht. Frei- oder von Zitruspflanzen, aber auch der „non-browning“ setzungen mit genom-editierten Pflanzen fanden Champignon. Im Mai 2020 wurden die US-Regeln wei- jedoch eher selten statt, zumeist betraf es Reis in China ter vereinfacht: Entwickler können nun selbst über (Metje-Sprink et al. 2020). „regulated“ bzw. „non-regulated article“ entscheiden und darüber, ob sie die zuständige Behörde USDA über- Geht es nicht nur um „proof of concept“, sondern um haupt informieren. Marktorientierung, werden vornehmlich Reis, Tomate, Mais, Kartoffel, Weizen, Soja und Raps bearbeitet. Die Tomate spielt eine wichtige Rolle, u. a. aufgrund ihrer ökonomischen Bedeutung und weil sie einfach gen- technisch zu verändern ist. In Japan wurden ab 2021 Tomaten mit höherem Gehalt an GABA (-Aminobut- tersäure, die blutdrucksenkend wirken soll) kostenlos verteilt und dann auch verkauft, die zuständige Behör- de hatte Ende 2020 grünes Licht gegeben (Waltz 2021). Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren 11
Eigenschaften neuer gentechnisch nur noch 10 % mehrfach ungesättigter Fettsäuren sol- veränderter Pflanzen (Forschung, len eine Härtung des Öls erübrigen (Demorest et al. Pipeline, Marktzulassung) 2016). Aufgrund des geringeren Ertrags scheinen Far- mer allerdings nur mäßiges Interesse zu zeigen.10 Für Die Liste der mittels neuer Gentechnik angestrebten Leindotter, Raps, Erdnuss und Reis wird ebenfalls eine Eigenschaften ist groß und wächst ständig (Gelinsky veränderte Fettsäure-Zusammensetzung angestrebt 2020), hohe Erwartungen werden geweckt (Hüdig et (Modrzejewski et al. 2019). al. 2022). Laut Modrzejewski et al. (2019) bezogen sich die meisten Projekte auf agronomische Eigenschaften Sojaöl hat normalerweise einen Anteil an einfach und veränderte Lebensmittel- und Futtermittelqualität. ungesättigter Ölsäure von 20 % und einen mehr Angestrebt wurden auch Toleranz gegen Schadorga- als dreifach so hohen Gehalt an mehrfach unge- nismen und Stressfaktoren, Herbizidresistenz und sättigten Fettsäuren (Linolsäure 55 % und Lino- industriell nutzbare Eigenschaften. Aktuelle Angaben lensäure 8 %). Da der hohe Gehalt an mehrfach finden sich auf Seiten des Joint Research Center (JRC) ungesättigten Fettsäuren eine geringere Stabilität bzw. von EU-SAGE.7 und Haltbarkeit (v. a. bei Frittieren) mit sich bringt, wird Sojaöl üblicherweise partiell gehärtet, wobei Zu agronomisch relevanten Eigenschaften zählen die sogenannten Transfette entstehen. Diese gelten höherer Ertrag, rascheres Wachstum, frühere Blüte und ihrerseits als gesundheitsgefährdend, da sie zu Reife, veränderte Fruchtfarbe und Wuchsform oder erhöhten Cholesterol-Werten (v. a. des „schlech- 7 https://datam.jrc.ec.europa.eu/ verbesserte Lagerfähigkeit. Obstbäume, die eine mehr- ten“ LDL low-density lipoprotein) im Blut beitragen datam/mashup/NEW_GENOMIC_ jährige Jugendphase haben, sollen früher blühen können. In den USA müssen seit 2003 Transfette TECHNIQUES/index.html, https://www.eu-sage.eu/genome- (Erpen-Dalla Corte et al. 2019); mehr Ertrag soll durch gekennzeichnet werden und in der EU dürfen laut search größeres Samen- bzw. Fruchtgewicht, mehr Samen VO 2019/649 Transfette11 in Lebensmitteln seit 01. 8 https://www.the-scientist.com/ news-opinion/gene-edited- und verbesserte Photosynthese und Stickstoffbindung 04. 2021 nur noch maximal 2 Gramm pro 100 soybean-oil-makes-restaurant- erreicht werden. Die Tomatenernte soll vereinfacht Gramm Fett ausmachen.12 debut-65590 9 https://www.aphis.usda.gov/ werden, indem sich die Früchte leichter vom Stiel ablö- biotechnology/downloads/reg_loi sen (Gomez Roldan et al. 2017). Bei Blumen geht es Champignons (CRISPR/Cas9)13 und Kartoffeln /20-066-01-air-response- signed.pdf vor allem darum, mittels CRISPR/Cas9 die Farbe, Halt- (TALEN)14, die nicht oder nicht so schnell braun wer- 10 https://www.gmwatch.org/en/ barkeit und Entwicklung von Blüten zu verändern bzw. den sollen, gelten ebenfalls als „non-regulated arti- news/latest-news/19784 11 https://www.fda.gov/regulatory- zu erhöhen (Erpen-Dalla Corte et al. 2019). cle“ (Then 2019). Entwickelt werden samenlose (Klap information/search-fda- et al. 2017) und lange haltbare Tomaten (Yu et al. guidance-documents/small- entity-compliance-guide-trans- Projekte zur verbesserten Lebensmittel- und Futter- 2017) oder solche mit vorgeblich gesundheitlichem fatty-acids-nutrition-labeling- mittelqualität zielen häufig auf die Veränderung des Nutzen wie höheren Gehalten des Antioxidans Lyco- nutrient-content-claims-and 12 https://ec.europa.eu/food/sites/ Fettsäurestoffwechsels. So soll zwecks Haltbarkeit und pen (Li et al. 2018). Die GABA-Tomate (Nonaka et al. food/files/safety/docs/fs_labellin Stabilität von Sojaöl der Gehalt an einfach-ungesät- 2017) wurde in Japan bereits verteilt bzw. auf den g-nutrition_transfats_factsheet- 2019.pdf tigter Ölsäure erhöht und der an mehrfach-ungesät- Markt gebracht.15 Aus Tomaten-Wildarten sollen bin- 13 https://www.aphis.usda.gov/ tigten Fettsäuren (Linol- und Linolensäure) reduziert nen kurzem Lycopen-reiche Zuchtformen mit mehr biotechnology/downloads/reg_l oi/15-321-01_air_inquiry.pdf werden, indem die Aktivität wichtiger Enzyme verrin- und größeren Früchten entstehen (Zsögön et al. 14 https://www.aphis.usda.gov/ gert bzw. ausgeschaltet wird (Demorest et al. 2016). 2018). Modrzejewski et al. (2019) bzw. Erpen-Dalla biotechnology/downloads/reg_loi/ 16-090-01_air_inquiry_cbidel.pdf In den USA wurde die von Calyxt entwickelte „high Corte et al. (2019) nennen Projekte wie geringere 15 http://www5d.biglobe.ne.jp/ oleic low linolenic (HOLL) Soja als non-GMO auf den Schwermetallgehalte beim Reis, weniger toxische ~cbic/english/2021/journal2101. html, US-Markt gebracht,8 sie gilt als „non-regulated arti- Alkaloide in Kartoffeln oder weniger Phytat im Mais https://sanatech- cle“9. Anteile von etwa 80 % Ölsäure (oleic acid) und (der Phosphorhaltige Inhaltsstoff Phytat bindet wich- seed.com/en/210427-2/ 12 Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren
tige Mineralstoffe) und veränderten Weinsäuregehalt tatsächlich zum Erfolg führt (ENSSER 2021). bei Weintrauben. Industriell nutzbare Eigenschaften sollen verstärkt Der Gluten-Gehalt im Weizen soll reduziert werden, entwickelt werden. Projekte umfassen beispielsweise um Menschen mit Zöliakie (einer entzündlichen Darm- veränderte Öle für die industrielle Nutzung, reduzierte erkrankung, die mit einer Überreaktion des Immun- Ligningehalte bei Luzerne, Pappel oder anderen Nutz- systems auf Gluten in Verbindung steht und ca. 1 % pflanzen (Modrzejewski et al. 2019) oder veränderte der Bevölkerung betrifft) zu helfen. Ziel ist, die mehr- Stärke bei Mais, Reis und Kartoffeln, z. B. Wachsmais fach im Weizengenom vorhandenen Gene für Gliadin von Pioneer, der als Rohstoff für die Lebensmittel- und (Bestandteil des Klebereiweißes Gluten) per Multiple- Papierindustrie nur Amylopektin enthält.17 Im Rahmen xing gleichzeitig zu verändern. Über eine starke Reduk- der Bioökonomie-Strategie investiert die Bundesregie- tion des Gluten-Gehalts durch knock-out wurde rung von 2020 bis 2024 bis zu 3,5 Milliarden Euro in berichtet (Sanchez-Leon et al. 2018), doch da selbst Zukunftstechnologien,18 wie weit auch die neue Gen- geringe Mengen von Gluten Krankheitssymptome aus- technik damit gemeint ist, ist aktuell nicht ersichtlich. lösen können, wären solche Weizenlinien nicht sicher für Betroffene. Herbizidresistenz ist – neben der Insektenresistenz – seit Jahren die vorherrschende gentechnisch erzeugte Resistenz / Toleranz gegen biotische und abiotische Eigenschaft (88 % der global angebauten GVO, teils Stressfaktoren werden besonders häufig als Ziel der kombiniert mit Insektenresistenz, 12 % der GVO besit- neuen Gentechnik genannt. Zahlreiche Projekte bezie- zen „nur“ eine Insektenresistenz).19 Die Kehrseite die- hen sich auf Resistenzen gegen pilzliche (z. B. echten ses „Erfolgs“ ist eine massive Zunahme der eingesetz- Mehltau) und bakterielle (z. B. Bakterienbrand) Krank- ten Menge an Herbiziden, eine Reduktion der heitserreger bei Weizen, Reis, Mais, Kartoffeln, Toma- Artenvielfalt auf und neben den Äckern sowie zahl- ten, Zitrusfrüchte, Wein, Apfel und Kakao (Wang et al. reiche herbizidresistente Beikrautarten (Schütte et al. 2014a, Borrelli et al. 2018, Modrzejewski et al. 2019, 2017). Pflanzen werden deshalb zunehmend mit meh- Hüdig et al. 2022). Resistenzen gegen Viren werden reren HR-Genen ausgestattet, und das auch mit neuer etwa bei Reis, Gurken, Tabak, Kartoffel, Cassava und Gentechnik. Die Arten Soja, Mais, Baumwolle und Raps Gerste angestrebt (Zhao et al. 2020). stehen dabei im Vordergrund, aber auch Flachs, Kar- toffel und Cassava – und erneut die Resistenz gegen Die gentechnische Anpassung von Pflanzen an den Kli- Glyphosat sowie die Resistenz gegen ALS-Inibitoren mawandel und an damit einhergehende abiotische (Modrzejewski et al. 2019). Stressfaktoren wie Hitze, Trockenheit, Nässe oder höherer Salzgehalt im Boden16 wird seit langem ver- folgt, bislang jedoch mit mäßigem Erfolg. CRISPR/Cas9 soll das ändern. Ziel ist insbesondere Toleranz gegen 16 https://www.aphis.usda.gov/ biotechnology/downloads/reg_l Trockenheit und/oder gegen hohen Salzgehalt im oi/17-219-01_air_inquiry.pdf Boden bei den cash crops Mais, Reis, Soja und Weizen 17 https://www.aphis.usda.gov/ biotechnology/downloads/reg_loi/ (Shi et al. 2017, Modrzejewski et al. 2019, Hüdig et al. 15-352-01_air_inquiry_cbidel.pdf 2022). Da die Stresstoleranz jedoch auf einem kom- 18 https://biooekonomie.de/ nachrichten/bundesregierung- plexen Wechselspiel vieler Gene in Reaktion auf setzt-auf-biooekonomie Umweltbedingungen beruht und auf verschiedenen 19 https://www.isaaa.org/resources/ publications/briefs/55/executives Ebenen reguliert wird (Haak et al. 2017), ist nicht ummary/default.asp damit zu rechnen, dass die Änderung einzelner Gene Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren 13
Risiken der neuen Gentechnik Technikbedingte Risiken und beruhen auf der (meist nur unvollständig verstan- denen) Wechselwirkung mehrerer bis vieler Gene und Die neue Gentechnik nimmt für sich in Anspruch, mit- ihrer Produkte. tels „site-directed nucleases“ Veränderungen gezielt herbeizuführen, d. h. präziser zu wirken und damit dem Parallelen zur bisherigen Gentechnik zeigen sich, bei Zufallsprozess der bisherigen Gentechnik zu entkom- der sich die meist durch Agrobacterium tumefaciens men. Doch die Stelle des Eingriffs genauer adressieren oder Partikelbeschuss eingeführten DNA-Sequenzen zu können, bedeutet keineswegs, dass diese Art der nach dem Zufallsprinzip ins Genom integrieren. Dabei gentechnischen Veränderung ohne Risiko ist (Ecker- lässt sich nicht steuern, wie viele Kopien der Transgen- storfer et al. 2019, Agapito-Tenfen et al. 2018). Der kassette ganz oder partiell und an welcher Stelle inte- zelleigene Reparaturmechanismus, der nach einem griert werden und wie sich die Integrationsorte ver- DNA-Doppelstrangbruch aktiviert wird, lässt sich nicht ändern. Aus einer Vielzahl von Transformanten werden steuern – und ist auch nicht wirklich verstanden.20 diejenigen für die weitere Entwicklung ausgewählt, die Die Reparatur ist fehleranfällig, kann unterschiedlich dem Ziel der Transformation am nächsten kommen. lange dauern und unterscheidet sich von der Reparatur Jeder GVO ist deshalb einzigartig (ein sogenannter nach einem natürlich entstandenen DNA-Doppel- Event) mit seinen jeweiligen Besonderheiten und unbe- strangbruch (Brinkman et al. 2018). Jede Reparatur ist absichtigten Eigenschaften (von Wilson 2020 uninten- deshalb ein Einzelereignis – und in ihrer Wirkung nicht ded traits genannt). Dies drückt sich in der jeweiligen vorherzusehen. Das bedeutet, es kann durch den Ver- Bezeichnung der gentechnisch veränderten Pflanzen- lust (Deletion) oder durch Einfügen von Nukleotiden linien aus, Beispiele sind der insektenresistente (Insertion, zusammen gerne Indels genannt) zur Ver- MON810 Mais, der Glyphosat-resistente Mais NK603 änderung des Leserasters kommen. Ein verändertes und die Glyphosat-resistente Soja MON40-3-2. Leseraster in einem Strukturgen führt häufig zum Aus- schalten von Genen (knock-out), da die mRNA-Syn- these vorzeitig abgebrochen oder die Bildung eines funktionsfähigen Proteins nicht unterstützt wird. Nicht On-target Effekte alle vermeintlichen knock-outs verhindern jedoch die Proteinexpression, es können auch verkürzte Proteine On-target Effekten wurde zunächst wenig Aufmerk- entstehen (Smits et al. 2019). samkeit geschenkt, da es zumeist darum ging, ein Gen auszuschalten (knock-out). Wurde das entsprechende Die unerwartete Veränderung regulatorischer DNA- Protein nicht mehr gebildet bzw. nachgewiesen, galt Sequenzen ist ebenfalls möglich. Dies kann zur Bildung dies als hinreichender Beleg für die erfolgreiche der entsprechenden Proteine / Enzyme am falschen Genom-Editierung. Wesentliche Erkenntnisse über die Ort (Gewebe) und/oder zum falschen Zeitpunkt / Ent- Unwägbarkeit des Reparaturprozesses wurden v. a. an wicklungsstadium in falschem Ausmaß führen, was tierischen und menschlichen Zellkulturen gewonnen wiederum erhebliche Auswirkungen auf pflanzliche – wird hier doch intensiver geprüft, da beim eventu- Stoffwechsel- und Entwicklungsprozesse sowie die ellen Einsatz neuer Gentechnikverfahren in der Medi- 20 Zitat: „While on the surface CRISPR-Cas9 is a simple genome daraus entstehenden Produkte haben kann. Epigene- zin eine besonders große Sorgfalt erforderlich ist. editing tool, it relies on DNA tische Steuerungsmechanismen (Regulierung der Gen- repair to work, a process that is horribly complex.“ aktivität ohne Änderung der DNA-Sequenz, z. B. durch Die ungenaue Reparatur des DNA-Doppelstrangbruchs https://www.the- Bindung / Entfernung von Methylgruppen) bringen durch das bei SDN 1 (site-directed nuclease 1) vor- scientist.com/news- opinion/crispr-can-create- zusätzliche Unsicherheiten mit sich. Zudem sind viele herrschende non-homologous end-joining (NHEJ) ist unwanted-duplications-during- Eigenschaften von Pflanzen genetisch sehr komplex regelmäßig mit (kleinen) Deletionen oder Insertionen knock-ins-67126 14 Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren
(Indels) verbunden. Dadurch u. U. entstehende Ver- Wird mit dem CRISPR/Cas-System eine DNA-Sequenz schiebungen des Leserasters des Dreiercodes der DNA (Donor-DNA) übertragen, die zum Zielbereich der DNA (frame-shift) können zum Abbruch der mRNA-Syn- bis auf die gewünschte Veränderung homolog ist, kann these führen und so die Bildung eines funktionsfähigen es nach dem Doppelstrangbruch zur sogenannten Proteins verhindern (knock-out). Statt eines knock- Homologie-abhängigen Reparatur (HDR homology- out kann ein frame-shift jedoch auch bewirken, dass directed repair) kommen. Dieser als SDN 2 (site- die Reifung (Prozessierung)21 der an der Vorlage der directed nuclease 2) bezeichnete Fall gilt als präziser „editierten“ DNA gebildeten mRNA anders verläuft – in den Ergebnissen als SDN 1 – und bevorzugt anzu- z. B. für die Proteinbildung erforderliche Sequenzen streben etwa bei Projekten zur Gentherapie. Doch (Exons) verloren gehen – und so neue mRNA-Versionen unerwartete und unerwünschte Effekte können auch entstehen, die ihrerseits zur Bildung neuartiger, evtl. hier auftreten, wie die umfangreiche Analyse von verkürzter und in ihrer Funktion unbekannter Proteine knock-out Mäusen ergab, bei denen häufig die Inte- führen (Kapahnke et al. 2016, Lalonde et al. 2017, Mou gration von Mehrfachkopien der Donor-DNA nach- et al. 2017, Smits et al. 2019). gewiesen wurde – ein Ergebnis, das nach Ansicht der Autoren für alle Organismen von Bedeutung ist, da Der Verlust von Exons (Exon Skipping) ist laut Sharpe Duplikationen zu gefährlichen frame-shift Mutationen und Cooper (2017) eine häufige Konsequenz der und zu deformierten Proteinen führen können (Skrya- Genom-Editierung durch CRISPR/Cas9. In ca. 50 % der bin et al. 2020). Mit gewöhnlichen PCR-Verfahren von Tuladhar et al. (2019) untersuchten kommerziell wären sie kaum entdeckt worden. Auch im Falle erworbenen menschlichen Zelllinien mit knock-outs menschlicher Stammzellklone erbrachten genauere für bestimmte Gene wurden unerwartete Veränderun- Analysen den Nachweis großer Deletionen und Inser- gen der mRNA Prozessierung und der Proteinsynthese tionen (im Kilobasen-Bereich) – und zwar unabhängig – mit der Folge aberranter Proteine – nachgewiesen, davon, wie CRISPR/Cas und die für HDR eingesetzte nach Ansicht der Autoren durch on-target Effekte zusätzliche DNA-Sequenz eingeführt wurden (Weisheit bedingt. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass im Zuge et al. 2020). der DNA-Reparatur – unter Einhaltung des Leserasters – größere Bereiche eines Gens verloren gehen, sodass Da die zellulären Prozesse der DNA-Reparatur nach zwar ein Protein gebildet werden kann, doch mögli- einem Doppelstrangbruch in Eukaryoten in ähnlicher cherweise mit veränderter Funktion. Nach Behandlung Weise ablaufen, ist davon auszugehen, dass sich die menschlicher Zellen mit CRISPR/Cas9 fanden Park et hier beschriebenen on-target Effekte nicht auf tieri- al. (2022) sehr große unbeabsichtigte Deletionen sche und menschliche Zellen beschränken, sondern (mehrere Kilobasen). Da solch große Deletionen nicht dass es auch bei Pflanzen zu vielfältigen Effekten in 21 In höheren Zellen wird die von einfach nachzuweisen sind, wurden sie möglicherweise der Zielregion der Genom-Editierung durch CRISPR/Cas der DNA transkribierte mRNA vor der Umsetzung der Information lange nicht erkannt. Kosicki et al. (2018) beobachteten oder andere Nuklease-Systeme kommt. So fanden Bis- in Proteine geschnitten und neu nach Behandlung von embryonalen Stammzellen der was et al. (2020a) bei mehreren Genom-editierten zusammengefügt. Dabei werden nicht-kodierende Sequenzen Maus und menschlichen Zelllinien mit CRISPR/Cas9 Reislinien unerwünschte on-target und off-target Ver- (Introns) entfernt, die für die große Deletionen (bis zu 9,5 Kilobasen) und komplexe änderungen und große Deletionen (bis zu mehr als 500 Proteinbildung notwendigen Sequenzen (Exons) werden Umordnungen der Zielregionen. Sie betonen, dass die Basenpaaren). Zudem können – analog zu bisherigen zusammengefügt. Bei diesem umfangreichen on-target Effekte in ihren genetischen Verfahren der Gentechnik – Sequenzen der Vektor- auch als Splicing bezeichneten Prozess können Exons unter- Konsequenzen nicht zwingend auf die Target-Region Konstrukte an verschiedenen Genomorten eingebaut schiedlich zusammengefügt beschränkt sind, da im Falle des Verlustes von Allelen werden, wie an CRISPR/Cas-verändertem Raps beob- werden, sodass die Bildung unterschiedlicher Proteine u. U. wichtige Gene nur noch einfach im Genom vor- achtet wurde (Braatz et al. 2017). Das bedeutet, dass möglich ist. handen sein könnten. obwohl der Ort des Eingriffs vermeintlich präzise ange- Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren 15
sprochen wird, häufig mit unerwarteten und unbeab- Desaminasen verknüpft wird, sind off-target Effekte sichtigten Veränderungen der jeweiligen Region(en) möglich (Tang et al. 2019, Rees und Liu 2018). Base- zu rechnen ist. Dies kann zu unerwünschten Effekten Editing für Cytosin führte beim Reis, im Gegensatz zu auf die Aktivität der adressierten Gene und auch Base-Editing für Adenin, zu einer Vielzahl nicht-vor- benachbarter Gene führen, wobei auch der genetische hersehbarer Punktmutationen (C->T), die bevorzugt Hintergrund der Sorten eine Rolle spielen kann (Biswas in aktiv transkribierten (abgeschriebenen) Genregionen et al. 2020a). auftraten (Jin et al. 2019); nur umfangreiche Nach- weisverfahren wie die Sequenzierung des Gesamtge- noms (WGS whole genome sequencing) würden Aus- sagen über das Auftreten solcher off-target Effekte Off-target Effekte erlauben. Base-Editing kann in der transkribierten RNA zu umfangreichem Austausch von Cytosin durch Uracil Off-target Effekte der Genom-Editierung werden seit führen, was bei menschlichen Zellen sowohl Protein- längerem diskutiert, wurde doch gezeigt, dass das kodierende als auch nicht-kodierende Genbereiche CRISPR/Cas9 System nicht so spezifisch wie angenom- betraf und unabhängig von den angestrebten DNA- men nur die adressierte DNA-Sequenz schneidet, son- Veränderungen zu beobachten war (Grünewald et al. dern eine gewisse Fehlertoleranz aufweist22 (Hahn 2019). Eine veränderte Proteinbildung ist zu erwarten. und Nekrasov 2019, Li et al. 2019). Zudem besitzen insbesondere Pflanzen häufig Genfamilien mit ähnli- Sowohl on-target als auch off-target Effekte können chen DNA-Sequenzen. Da Doppelstrangbrüche an Aktivität und Funktion verschiedener Gene und damit anderen Stellen als der adressierten DNA-Sequenz mit den Pflanzenstoffwechsel beeinflussen und zur Bildung den aktuellen Screeningverfahren nicht sicher erfasst neuer Toxine oder Allergene bzw. zu veränderten werden, dürften sie häufiger auftreten als in der Lite- Wechselwirkungen der GVO mit ihrer Umwelt führen ratur beschrieben. Tang et al. (2019) sprechen von (Eckerstorfer et al. 2019). Darüber hinaus werden durch einer „höheren Toleranz“ für off-target Effekte bei Genom-Editierung unter Umständen verborgene Pflanzen (im Vergleich zu Tieren), da dadurch bedingte Mutationen offenbar, die unerwartete Effekte auf negative Eigenschaften im Verlauf der phänotypischen Eigenschaften haben und nur in Kombination mit Selektion während des Züchtungsprozesses eliminiert anderen Mutationen wirksam werden, sodass die würden. Ergebnisse keineswegs den Erwartungen entsprechen müssen (Soyk et al. 2019).23 Die Erwartung, ein anderes Cas-Enzym (Cas12a, auch als Cpf1 bezeichnet) führe seltener zu off-target Schnitten, wurde von Murugan et al. (2020) nicht 22 Für Bakterien, aus denen das zur geteilt, sie stellten außerdem fest, dass Cpf1 dazu Transfer von CRISPR/Cas-Sequenzen Abwehr von sich genetisch rasch verändernden Phagen dienende neigt, Einzelstrangschnitte oder sog. „nicks“ (Kerben) System stammt, könnte die Fehlertoleranz der Cas9- bei off-target-Schnitten durchzuführen. Solche „nicks“ Zur Einführung von CRISPR/Cas in Pflanzen wird Nuklease von Vorteil sein, da wurden an Stellen der DNA erzeugt, die im Vergleich zumeist das auch in der bisherigen Gentechnik breit eine „fehlertolerante“ Cas9- Nuklease auch Phagen- zur Zielsequenz bis zu vier andere Basenpaare enthiel- eingesetzte Bakterium Agrobacterium tumefaciens Sequenzen schneidet, die neu ten. Zudem wurden bei Cpf1 relativ große Deletionen genutzt – laut Liu et al. (2017) in 88 % der analysierten auftreten und eine gewisse Homologie zu bereits bekannten beobachtet (Mansor 2017). Fälle bzw. in 23 von 24 CRISPR/Cas9 Projekten bei Sequenzen aufweisen (Li et al. Obstpflanzen und in 29 von 34 bei Gemüsepflanzen 2019). 23 https://www.sciencedaily.com/ Auch beim Einsatz von Base-Editing, das darauf (Erpen-Dalla Corte et al. 2019). Das zuvor gentechnisch releases/2019/05/19050612405 beruht, dass eine „amputierte“ Cas9 Nuklease mit veränderte Bakterium überträgt mit Hilfe seines T- 9.htm 16 Ökologische Risiken der neuen Gentechnikverfahren
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