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VERKEHRSPLANUNG & ORGANISATION

              Können private Autos
              den ÖPNV
              auf dem Land retten?
              Die Digitalisierung öffnet private Pkw für öffentliche Mitfahrangebote
              Dipl-Pol. Anke Borcherding, Berlin; Dipl.-Inform. Bernd Owald, Braunschweig

       L
                      ändliche Räume in Deutschland ha-     ten der privaten und gewerblichen Fahrten      schwachen (oft peripher gelegenen) Regi-
                      ben eine Vollversorgung mit priva-    im ländlichen Raum für die Öffentlichkeit      onen noch verstärken [3].
                      ten Automobilen. Mittlerweile sind    erschließen würde, wenn man also regulär
                      es mehr als 700 Fahrzeuge pro 1000    mitnehmen und mitfahren könnte, so würde       Bei der Frage der Bereitstellung von ÖV-An-
              Einwohner [1]. Das Paradoxe an der Situati-   im Zusammenspiel mit dem vorhandenen           geboten wirkt sich die öffentliche Finanzie-
              on im ländlichen Raum ist, dass theoretisch   Angeboten des Öffentlichen Verkehrs (ÖV)       rungslage ebenfalls sehr kritisch aus. Dies
              kein Mangel an Fahrtmöglichkeiten besteht,    eine gute Basismobilität auch für Menschen     trifft den ländlichen Raum und kleinere
              da dort Millionen von Pkw jeden Tag un-       ohne Auto und Führerschein entstehen.          Städte in besonderem Maße, da aufgrund
              terwegs sind und der Besetzungsgrad seit      Doch bisher kann dieses Potenzial nicht ge-    der geringen Nachfragepotenziale nur mit
              Jahren im Schnitt bei etwa 1,2 Personen pro   nutzt werden. Das Personenbeförderungs-        großem Aufwand wirksame Angebotsver-
              Pkw und Weg liegt, sodass bei jeder Fahrt     gesetz (PBefG) erlaubt die gewerbliche Mit-    besserungen im Busverkehr umgesetzt
              etwa zwei bis drei leere Sitzplätze herum-    nahme durch Private nur restriktiv und die     werden können. Die Wettbewerbsfähigkeit
              gefahren werden. Wenn man die Kapazitä-       Anforderungen an Anbieter, die eine Geneh-     ist damit eng an die Bereitschaft und den
                                                            migung zur Personenbeförderung erhalten        Handlungsspielraum der jeweiligen Auf-
                                                            wollen, sind hoch.                             gabenträger gekoppelt. Es wird darauf an-
                                                                                                           kommen, durch innovative Ansätze, zum
                                                            Während in den Großstädten schon Tenden-       Beispiel mittels intermodaler Konzepte
                                                            zen hin zu einer weniger automobilzentrier-    oder Mitfahrplattformen, neue Fahrgastpo-
                                                            ten Mobilitätskultur in Ansätzen erkennbar     tenziale zu konkurrenzfähigen Tarifkonditi-
                                                            werden und entsprechende Angebote ver-         onen zu erschließen.
                                                            fügbar sind, wird gerade in ländlichen Räu-
                                                            men, aber auch in Klein- und Mittelstädten     In großen Städten wird zunehmend ein
                                                            der motorisierte Individualverkehr (MIV)       anderes Verkehrsverhalten sichtbar, das
                                                            auch in Zukunft eine große Rolle spielen.      sich weniger stark am privaten Pkw-Be-
                                                            Der Modal Split hängt deutlich vom Raum-       sitz orientiert: Ein Indikator dafür sind die
                                                            typus ab und unterscheidet sich von Stadt      wachsenden Nutzerzahlen von diversen
                                                            zu Land. In ländlichen Regionen werden 70      Sharing-Angeboten. So registrierten allein
                                                            Prozent der Wege mit dem Auto zurückge-        die Carsharing-Anbieter Anfang des Jah-
                                                            legt, in Metropolen hat der MIV einen Anteil   res 2018 schon mehr als 2 Mio Kunden [4]
                                                            von 38 Prozent, dort überwiegen die Ver-       in Deutschland. Die räumlichen und an-
                                                            kehrsmittel des Umweltverbundes [2].           gebotsseitigen Voraussetzungen für eine
                                                                                                           multioptionale Mobilität sind zwar in den
                                                            Die schwache Nachfrage macht es schwie-        ländlichen Räumen weniger gut als in den
                                                            rig, attraktive öffentliche Verkehrsangebote   Städten. Trotzdem kann vermutet werden,
                                                            bereit zu stellen. Der demografische Wan-      dass der Trend zu einer pragmatischen Ver-
                                                            del wirkt sich noch verstärkend im Wunsch      kehrsmittelwahl auch in ländlichen Räu-
                                                            nach individueller Fortbewegung aus. Wäh-      men prinzipiell vorhanden ist. Dies kann
                                                            rend in Großstädten die Einwohnerzahlen        besonders für Mitfahrangebote wichtig
Quelle: WZB

                                                            bis 2030 noch zunehmen werden, werden          sein. Plattformen zur Vermittlung von Pri-
                                                            sie in der überwiegenden Zahl der Regio-       vat-Pkw für Mitfahrmöglichkeiten können
                                                            nen weiter abnehmen. Dabei werden sich         für verschiedene Wege und Wegezwecke,
              Abb. 1: Fahrangebot mit maximal zehn Minu-    die Unterschiede zwischen prosperieren-        insbesondere Gelegenheitsfahrten und
              ten Umweg.                                    den (oft metropolnahen) und struktur-          verschiedene Personengruppen ohne ei-

              28   DER NAHVERKEHR  1+2/2020
                    Homepageveröffentlichung unbefristet genehmigt für http://www.pps-edv.de/ .
                    Rechte für einzelne Downloads und Ausdrucke für Besucher der Seiten genehmigt von DVV Media Group.
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genes Auto im ländlichen Raum eine inte-
ressante Alternative bieten und Fahrzeuge,                                        Zur Autorin
die sowieso „da“ sind, erreichen eine höhe-                            Dipl.-Pol. Anke Borcherding ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wissen-
re Auslastung.                                                         schaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in der Forschungsgruppe
                                                                       Digitale Mobilität. Ihre Forschungsthemen sind ländliche und urbane Mobili-
                                                                       tät, Elektromobilität, Sharing-Angebote und Digitalisierung.
Ebenso bedeutsam wie beispielsweise
neue Antriebe für diese Verkehrsmittel
ist die Digitalisierung für die Zukunft der
Mobilität. Weltweit arbeiten alte und viele
neue Player an digitalen Plattformtechno-
logien, die auch der Mobilität neue Mög-
lichkeiten bieten, Angebote und Nachfrage                                         Zum Autor
zielgerichtet und in Echtzeit zusammen-                                Dipl.-Inform. Bernd Owald ist geschäftsführender Gesellschafter der 1987
zubringen. Die digitalen Kommunikati-                                  gegründeten Firma PPS/EDV GmbH. Initiiert durch die Volkswagen For-
                                                                       schung, Abteilung Umwelt und Verkehr, betreibt er seit 1992 maßgeblich die
onsmedien erfassen schon heute Fahrtin-                                Entwicklung von IT-Dispositionssystemen im Bereich Transport-on-Demand.
formationen, Buchung, Abrechnung von
Fahrten aller Art, Bewertungen ebenso wie
die flexible Disposition von Fahrzeugen
bis hin zum Einsatz von teilautomatischen
Flotten [5, 6].

Die ländliche Siedlungsstruktur verhin-
dert, dass der klassische liniengebundene
und taktgeführte ÖPNV die Bedienqualität      teilweise damit vom gesellschaftlichen Le-         men Wartburgmobil, gefördert vom Thü-
des privaten Fahrzeuges erreicht. Der klas-   ben nahezu ausgeschlossen. Obwohl die              ringer Umweltministerium, als „Wartburg­
sische ÖPNV kann auf den Hauptachsen          Pkw-Dichte hoch ist, haben dennoch viele           mobil Carla“ mit einer Genehmigung nach
zwar leistungsstarke Verbindungen zwi-        Bewohner weder Zugang zum Pkw noch                 § 2 Abs. 7 PBefG (Experimentierklausel) mit
schen Verkehrsknoten (Hubs) darstellen,       zum ÖPNV [7].                                      Elektroautos bereits getestet. Zum Einsatz
es fehlen aber bisher die Möglichkeiten,                                                         kommt die App der PPS/EDV [8].
auch die einzelnen Start- und Zielpunkte      Die Idee ist es, die Vielzahl von privaten
(Spokes) anzufahren. Durch neue digita-       Pkw mit dem sehr umfassenden Platzan-              Kernidee des App-basierten Mobilitätsan-
le Angebote lassen sich die klassischen       gebot für öffentliche Verkehrsaufgaben zu          gebots ist es, diese enormen Kapazitäten
Großgefäße durch flexible Einheiten er-       nutzen. Ziel ist es, unter der Regie des Auf-      an Fahrzeugen und Sitzplätzen für öffentli-
gänzen. Die Taktung der Busse entspricht      gabenträgers und enger Kooperation mit             chen Verkehr verfügbar zu machen: Aus ei-
vielfach nicht den individuell unterschied-   dem ÖPNV-Unternehmen die Menschen                  nem privaten Fahrzeug wird mit Hilfe einer
lichen Bedürfnissen und zeitlichen Ver-       dazu zu motivieren, andere Menschen mit-           App ein teil-öffentliches.
pflichtungen und resultiert somit in einer    zunehmen, einfacher und bequemer als
geringen Auslastung des ÖPNV. Praktisch       bisher und als organisiertes Angebot mit           Hinter der App steht ein digitalbasiertes Mit-
sind ganze Ortschaften und besonders          Möglichkeiten des Zuerwerbs.                       fahrangebot von privaten Fahrtanbietern für
bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie Se-                                                           private Mitfahrer in Ergänzung zum ÖPNV,
nioren und Menschen ohne Führerschein         Im Thüringer Wartburgkreis wird diese Idee         vermittelt über die Plattform des ÖPNV-Un-
oder Auto von der täglichen Mobilität und     in Kooperation mit dem Verkehrsunterneh-           ternehmens Wartburgmobil. Menschen, die

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                                                                 űsowohl haustür- als auch haltestellenbasiert
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                                                                 űvon Linienfahrplänen
  ¾ www.pps-edv.de

                                                                                                              DER NAHVERKEHR  1+2/2020               29
     Homepageveröffentlichung unbefristet genehmigt für http://www.pps-edv.de/ .
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                                                                                                                                                                                                                               Foto: Wartburgmobil
                                                                Abb. 3: Ein Auto mit „carla“-Logo.
Quelle: WZB

                                                                Fahrtwunsch eintragen. Die App koordi-                                         wendig. Werden pro km 35 ct genommen,
                                                                niert Angebot und Nachfrage, berechnet                                         benötigen Fahrer keinen Personenbeförde-
              Abb. 2: Registrierung/Anmeldung als Fahrer        die Strecke und den Fahrpreis. Fahrer und                                      rungsschein (wenn die Zahl der insgesamt
              beziehungsweise als Mitfahrer.                    Kunde bestätigen die Fahrt auf der App.                                        beförderten Menschen pro Fahrzeug nicht
                                                                Ein Pooling von Fahrtwünschen wird zu-                                         sieben Personen übersteigt), das einge-
                                                                dem ermöglicht, wenn mehrere Personen                                          setzte Fahrzeug muss nicht in einer eige-
                                                                die gleiche Strecke zur gleichen Zeit fahren                                   nen Versicherungsklasse geführt werden,
              sich zuvor auf der digitalen Vermittlungs-        möchten.                                                                       die bestehende Haftpflichtversicherung
              und Bezahlplattform in der App registriert                                                                                       reicht für den Versicherungsschutz aus, die
              haben, ist es erlaubt, andere Personen gegen      Das Angebot hat eine Genehmigung nach                                          Genehmigung nach PBefG ist nicht erfor-
              ein Entgelt pro Kilometer mitzunehmen.            dem PBefG, weil mit der Mitnahme mehr                                          derlich. Deshalb sind weitere Tests dieses
                                                                als 35 ct pro km berechnet werden. Da-                                         öffentlich-privaten Mitfahrangebots in der
              Die digitale Plattform „matcht“ Fahrtan-          durch ist das Angebot bürokratisch auf-                                        einfachen Form in Planung.
              gebote und Fahrtwünsche. Die Plattform
              dient auch als Registrierungsplattform, die
              Vertrauen erzeugt: Fahrtanbieter sind dem
                                                                  Literatur / Anmerkungen
              Plattformbetreiber bekannt, auch die Mit-
              fahrer registrieren sich und erzeugen damit       [1]   www.spiegel.de/auto/aktuell/verkehr-das-eigene-auto-ist-in-              [6]   Weert Canzler, Andreas Knie, Lisa Ruhrort (2019): Autonome Flotten,
                                                                      deutschland-beliebt-wie-nie-a-1286401.html, Integriertes Kom-                  München: oekom
              gegenseitiges Vertrauen. Zugleich werden                munales Entwicklungskonzept (IKEK) der Stadt Lennestadt 2017/2018
              auch die Buchungs- und Bezahlvorgänge                                                                                            [7]   Umweltfreundlich mobil in ländlichen Räumen. Stellschrauben für eine
                                                                [2]   Infas, DLR IVT und Infas 360 (2018): Mobilität in Deutschland                  flächendeckende Verkehrswende, böll.brief 09/2019
              sowie die fiskalische Dokumentation der
              Fahrten über die Plattform abgewickelt.           [3]   Christian Pegel (2018): Öffentliche Mobilität in ländlichen Räumen in:   [8]   Anke Borcherding, Andreas Knie, Lisa Ruhrort: Über-Land. Mit Autos
                                                                      Herausforderung Mobilitätswende. Ansätze in Politik, Wirtschaft und            den öffentlichen Verkehr im ländlichen Raum retten, in: Internationales
                                                                      Wissenschaft. Berlin, bwv-Verlag                                               Verkehrswesen (71) 2/2019, S. 10
              In der App geben die Fahrer ihr Mitfahran-        [4]   Bundesverband Carsharing (BCS) (2018: Carsharing in Zahlen. https://     [9]   Weert Canzler, Andraes Knie, Lisa Ruhrort, Christian Scherf (2018): Er­
              gebot (von A nach B mit Uhrzeit) an. Wer                carsharing.de/alles-ueber-carsharing/carsharing-zahlen                         loschene Liebe zum Automobil? Bielefeld: transcript
              mitfahren möchte, kann nach vorheriger            [5]   Weert Canzler, Andreas Knie (2016): Die digitale Mobilitätsrevolution,
              Registrierung ebenfalls auf der App einen               München: oekom

               Zusammenfassung / Summary
               Können private Autos den ÖPNV auf dem Land retten?                                       Can private cars save rural public transport?
               Im ländlichen Raum besteht theoretisch kein Mangel an Fahrtmöglich-                      Theoretically speaking, rural areas do not lack modes of transporta-
               keiten. Millionen von Pkw sind jeden Tag unterwegs, aber bei jeder                       tion. Every day millions of private cars fill rural roads, and in each of
               Fahrt bleiben zwei bis drei Sitzplätze leer. Mit einem digitalbasierten                  these cars two or three passenger seats remain unused. A digitally
               Mobilitätsangebot für alle, die sich ohne eigenes Auto im ländlichen                     operated mobility service could change this. It could integrate private
               Raum fortbewegen wollen oder dies aus unterschiedlichen Gründen                          cars into the public transportation system, making it more attractive
               nicht können, wird der ÖPNV in ländlichen Räumen ergänzt, attraktiver                    and more sustainable. Private cars could become public.
               und zukunftsfähiger. Das private Auto wird öffentlich.

              30   DER NAHVERKEHR  1+2/2020
                    Homepageveröffentlichung unbefristet genehmigt für http://www.pps-edv.de/ .
                    Rechte für einzelne Downloads und Ausdrucke für Besucher der Seiten genehmigt von DVV Media Group.
Können private Autos den ÖPNV auf dem Land retten? - PPS ... Können private Autos den ÖPNV auf dem Land retten? - PPS ... Können private Autos den ÖPNV auf dem Land retten? - PPS ...
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