Animals matter Warum wir mehr Tierschutz in der Nanotechnologie brauchen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Konferenz: Nano meets Future Forschung ohne Nebenwirkungen? Universität des Saarlandes, Saarbrücken, 22.04.2015 Animals matter Warum wir mehr Tierschutz in der Nanotechnologie brauchen Roman Kolar Stellvertretender Leiter Akademie für Tierschutz Deutscher Tierschutzbund
Was hat Nanotechnologie mit Tierschutz zu tun? • Nanotechnologie von Politik, Forschung und Industrie als zukunftsweisende Technologie eingestuft • Öffentliche Skepsis gegenüber Nanotechnologie, insbesondere Einsatz von Nanomaterialien in verbrauchernahen Produkten Ängste vor Risiken Forderung nach umfassender Risikobewertung Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Toxikologische Risikobewertung nach heutigen Standards • Einsatz von Tieren in Tierversuchen stellvertretend für den Menschen • Verabreichung von Stoffen/NM auf verschiedensten Wegen (intravenös, Auftragen auf die Haut, Sondenfütterung, Beimischung in Futter und Trinkwasser, erzwungenes Einatmen von NM, etc.) • Auswertung der beobachteten Effekte auf Tiere im Versuch und ggf. Nachkommen • Rückschlüsse, dass ähnliche Effekte auch beim Menschen auftreten könnten • Einstufung der Stoffe/NM als für den Menschen sicher oder unsicher, Kategorisierung nach Art der vermuteten Auswirkung (z. B. krebserregend, schädlich für Nachkommen, etc.) Forderung nach Erforschung von Risiken zieht derzeit daher immer auch Tierversuche nach sich (trotz einer Vielzahl anerkannter und modernerer Alternativmethoden) Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Was hat Nanotechnologie mit Tierschutz zu tun? Tierversuche mit Nanomaterialien Risikobewertung / Forschung und Sicherheitsprüfung von Entwicklung (z. B. Produkten und Inhaltsstoffen Nanomedizin) Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Forschung und Entwicklung • Versuche mit neuem Material/neuen Wirkstoffkandidaten an Tieren • Untersuchung der Wirkweise und Effekte auf die Tiere • Rückschlüsse, ob Wirkweise/Effekte beim Menschen vergleichbar • Weitere Tierversuche oder klinische Erprobung Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Tierversuche – aus Sicht des Tierschutzes • Schmerzen, Leiden, Schäden ohne Grenzen • Erhebliche Einschränkung artgemäßen Verhaltens • Psychische Belastung: Angst, Verhaltens- störungen etc. • In den meisten Fällen Tod am Versuchsende Deutscher Tierschutzbund e. V. – Akademie für Tierschutz
Tierversuche – aus Sicht des Tierschutzes Leiden der Tiere beginnt bereits vor dem Versuch • Herkunft (evtl. Fang) • Transport • Zucht und Haltung • Handling Deutscher Tierschutzbund e. V. – Akademie für Tierschutz
Toxikologische Tierversuche – aus Sicht des Tierschutzes • Vergiftung (und Folgen) zumeist bei vollem Bewusstsein • Folgen: z.B. Krämpfe, innere Blutungen, Organversagen, Atemlähmungen, Tod • Auch trächtige Tiere und Jungtiere einbezogen • Beinhaltet (unrealistisch) hohe Dosen der Testsubstanzen • In sog. „repeated dose studies“ kumuliert das Leid der Tiere (Stress durch Handling, wiederholte Gabe von hohen Dosen, Substanzeffekte) Extremes Tierleid Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Tierversuche – Position der Tierschutzorganisationen Ethische und wissenschaftliche Argumente sprechen gegen Tierversuche • Verantwortung für das • Mangelnde Tier statt „Recht des Übertragbarkeit Stärkeren“ • Fraglicher Nutzen • Hohe Leidensfähigkeit, • Alternative moderne Schmerzempfinden Methoden Deutscher Tierschutzbund e. V. – Akademie für Tierschutz
Tierversuche: Aktuelle Rechtslage Rechtliche Verankerung von Tierschutz und Schutz von zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tieren im EU-Recht Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), Artikel 13 (geändert 2009): "Bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union in den Bereichen Landwirtschaft, Fischerei, Verkehr, Binnenmarkt, Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt tragen die Union und die Mitgliedstaaten den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung; sie berücksichtigen hierbei die Rechts- und Verwaltungsvorschriften und die Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten insbesondere in Bezug auf religiöse Riten, kulturelle Traditionen und das regionale Erbe." Deutscher Tierschutzbund e. V. – Akademie für Tierschutz
Tierversuche: Aktuelle Rechtslage • Richtlinie 2010/63/EU • Übereinkommen ETS 123 des Europarats von 1986 • Deutsches Tierschutzgesetz (Fünfter Abschnitt „Tierversuche“ §§ 7-9, 10, 11, 15, 16) vom 4. Juli 2013 und neue Tierversuchsverordnung vom 01.08.2013 • Neufassung Versuchstiermeldeverordnung und AVV (noch in Arbeit) Gemeinsame Grundprinzipien: • Die Versuche müssen für einen bestimmten Zweck unerlässlich sein • Anzahl Tiere sowie Schmerzen, Leiden und Schäden müssen auf mögliches Mindestmaß reduziert werden (3R-Prinzip) • Schmerzen, Leiden und Schäden der Tiere müssen ethisch vertretbar sein Deutscher Tierschutzbund e. V. – Akademie für Tierschutz
Tierversuche: Aktuelle Rechtslage Behördliches Genehmigungs- (Tierversuche für Forschungszwecke) bzw. Anzeigeverfahren (regulatorische Tierversuche) (Forschung: Behörde wird von beratender Kommission unterstützt) Behörde prüft: • formale Kriterien • Unerlässlichkeit • Tierzahl • Leidensverminderung • ethische Vertretbarkeit gilt grundsätzlich für alle Tierversuchsvorhaben Deutscher Tierschutzbund e. V. – Akademie für Tierschutz
Tierversuche: Aktuelle Rechtslage Ethische Vertretbarkeit Abwägung Belastungen Nutzen für den für dieTiere Menschen Was heißt das für die Risikobewertung von Stoffen/NM? Deutscher Tierschutzbund e. V. – Akademie für Tierschutz
Warum wir mehr Tierschutz in der Nanotechnologie brauchen • In öffentlicher Diskussion und im Fachdiskurs über Nanotechnologie auch Thematisierung gesellschaftlicher und ethischer Gesichtspunkte • Verantwortung für Tiere/Tierethik/Tierschutz weitgehend ignoriert – währenddessen unreflektierter Verweis auf und Forderung nach Tierversuche(n) Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Deutscher Tierschutzbund e. V. – Akademie für Tierschutz
Deutscher Tierschutzbund e. V. – Akademie für Tierschutz
Deutscher Tierschutzbund e. V. – Akademie für Tierschutz
Deutscher Tierschutzbund e. V. – Akademie für Tierschutz
Risikobewertung: Verbrauchersicherheit und Umweltschutz vs. Tierschutz? Gemeinsames Ziel: • ? Mensch, Tier und Umwelt sollen vor Gefahren geschützt werden, d.h. Neue Stoffe und Produkte sollen sicher sein • Informationslücken bei bereits verwendeten Stoffen und Produkten sollen geschlossen werden • Gefährliche Stoffe sollen durch unbedenkliche Stoffe ersetzt werden Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Problem: Risikobewertung anhand von Tierversuchen Prämisse: Tierversuche unerlässlich für Verbraucher- und Umweltschutz Aber • Viele Tierversuchsmethoden in der regulatorischen Toxikologie veraltet, stammen aus den 1940er Jahren Nie umfassend auf Aussagekraft für den Menschen überprüft • Zunehmend Studien: Tierversuche nicht verlässlich, schlecht reproduzierbar & mangelnde Humanrelevanz • Demgegenüber Überlegenheit intelligenter tierversuchsfreier Teststrategien: Relevanz, Reproduzierbarkeit (+ andere Faktoren) Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Ziel: Risikobewertung ohne Tierleid • Neue Technologien = Chance/Notwendigkeit Risikobewertung neu zu gestalten • Entwicklungspotenzial für neue Prüfmethoden und tierversuchsfreie Prüfstrategien (integrated testing strategies, ITS) Kein Ideenmangel, sondern Mangel an Fördergeldern und Koordination • Konsequente Anwendung des Vorsorgeprinzip bei Hinweisen auf gefährliche Eigenschaften von Chemikalien etc. • Bedarfsprüfung/Bewertung des Nutzens bei der Entscheidung über Tierversuche Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Beispiele für tierversuchsfreie Testmethoden für NM, die in der Risikobewertung eingesetzt werden (können) • In silico Modellierung und Vorhersage der Toxizität von NMs • In vitro Permeabilität / Modelle biologischer Barrieren (Kulturen und 3D-Organ und Gewebemodelle aus humanen und tierischen Zellen: z. B. Mundschleimhaut, Haut, Blutgefäße, Darm) für Aussagen darüber, ob NMs z. B. in die Haut eindringen • In vitro Lungen-Toxizität (z. B. Tests an Humanzellen aus dem Lungenepithel; Nano-Aerosol- oder Flow-Chambers;) zur Prüfung von toxischen Effekten beim Einatmen von NMs • In vitro Hautreizung- und Verätzung (gängige Hautmodelle; z. B. für Testung Sonnencreme mit NM) • Multi-Organ-Chips (Nachbildung Weg NM durch menschlichen Körper) Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Mit ungleichem Maß gemessen – in vitro Testmethoden vs. Tierversuche • Ansprüche an in vitro Methoden sind unrealistisch hoch • In vitro Methoden seien bspw. anfällig für Entstehung von Artefakten (Agglomerationen etc. durch Reaktionen Nanomaterial mit z. B. Zellkulturmedium; Probleme, Nanomaterialien in Lösung zu bringen, etc.) Wegen Zweifeln an in vitro Methoden wird Anpassung nur zaghaft weiterverfolgt oder sogar eingestellt • ABER: zahlreiche Probleme in vitro können mit geeigneter Anpassung der Methodenprotokolle/Reagenzien vermieden werden • Chancen für neue auf Nanomaterialien zugeschnittene Konzepte der Risikobewertung nicht genutzt Tierversuche bleiben Standardtestmethode Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Mit ungleichem Maß gemessen – in vitro Testmethoden vs. Tierversuche Blindes Vertrauen in Tierversuchsergebnisse: • Tierversuche werden kaum systematisch hinsichtlich Aussagekraft oder Tauglichkeit hinterfragt/überprüft • Auch hier Probleme, die die Ergebnisse verfälschen (Probleme bei Dosimetrie; Schwierigkeit, die NM im Körper zu verfolgen, etc.), diese werden jedoch kaum thematisiert Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
„Versuchstiere sterben sinnlos – drastische Überdosen und andere Fehler Auch fand Krug heraus, dass manche Experimentatoren ihre Versuchstiere mit absurd hohen Mengen an Nanopartikeln traktieren. So fütterten chinesische Wissenschaftler Mäuse mit fünf Gramm Titanoxid pro Kilogramm Körpergewicht, ohne Effekte festzustellen. Zum Vergleich: Die halbe Menge Kochsalz hätte die Tiere bereits getötet. Auch bei der Untersuchung der Lungengängigkeit von Nanopartikeln wird geschlampt und geschludert: Inhalationsversuche sind teuer und aufwändig, weil dafür eine definierte Menge Partikel in der Luft verwirbelt werden muss. Einfacher ist es, die Partikel direkt in die Luftröhre des Tiers zu platzieren («Instillation»). Dabei übertreiben manche Forscherinnen und Forscher derart, dass die Tiere an der schieren Masse der Nanopartikel ersticken. “ Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Gesetzliche Regulierung von Nanomaterialien • Bislang keine separate, Nanomaterialien-spezifische Regulierung in D, EU und international • Auf EU-Ebene: Regelungen zur Kennzeichnung von Nanomaterialien als Inhaltsstoff in Produkten (Kosmetik, Lebensmittel), einheitliche Definition von Nanomaterialien, Arbeitsgruppe zu Nanomaterialien Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Gesetzliche Regulierung von Nanomaterialien • Risikobewertung: nano-spezifische Sicherheitsbewertung bislang nur in EU-Biozid Verordnung und Novel Foods Verordnung vorgesehen • EU –Chemikalienverordnung REACH: keine eigenen Regelungen zu Nanomaterialien, keine gesonderten Prüfmethoden vorgesehen; NM werden wie „bulk material“ behandelt • International: Anpassung bereits existierender OECD Testvorschriften & Entwicklung an neuer, nano-spezifischer Testmethoden Working Party on Manufactured Nanomaterials (WPMN) Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Unkoordinierte Prüf- und Forschungsprogramme Zahlreiche Prüf- und Forschungsprogramme auf internationaler, EU- Ebene und nationaler Ebene (Auswahl): • International: OECD WPMN Sponsorship Programme for the Testing of Manufactured Nanomaterials: Testung von 13 NMs; 9 Endpunkte “mammalian toxicity”, in vivo Tests mit existierenden OECD TGs, kein Abwarten der Ergebnisse aus WGs zur Prüfung Anpassung OECD TGs für Testung MNs • EU: European NanoSafety Cluster: 49 Einzelprojekte, (u. a. NANoREG, Safe Implementation of Innovative Nanoscience and Nanotechnology (SIINN)), QualityNano, EuroNanoMed Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Unkoordinierte Prüf- und Forschungsprogramme D: NanoBioDetect, nanoCOLT - Long-term effect of modified carbon black nanoparticles on healthy and damaged lungs, INHALT-90: 90 days inhalation testing with CeO2 in the rat and subsequent analysis of gene expression profiles for the early detection of toxic / carcinogenic effects, NanoUmwelt Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Unkoordinierte Prüf- und Forschungsprogramme Probleme: Zu wenig Abstimmung bzw. Austausch zwischen einzelnen Programmen: Doppelung von Testreihen, Verschwendung von Geldern; Verschwendung von Tierleben; Probleme, wenn Ergebnisse voneinander abweichen Keine erkennbare Prüfstrategie: in vitro Versuche laufen parallel zu Tierversuchen, anstatt zunächst Materialeigenschaften zu untersuchen, dann in vitro zu testen und nur als letztes Mittel Tierversuche einzusetzen Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Unkoordinierte Prüf- und Forschungsprogramme: Lösungsansätze • Bessere Kommunikation zwischen Koordinatoren einzelner Forschungs- und Prüfprogramme • Entwicklung einer einheitlichen Prüfstrategie: zunächst Erfassung aller verfügbaren Daten zu einem NM Überprüfung der Materialeigenschaften (physico-chemico) in vitro Testung Tierversuche nur als letztes Mittel • Umfassende Forschungsprogramme, die sich ausschließlich mit der Entwicklung tierversuchsfreier Prüfmethoden für NMs befassen • Drastische Aufstockung der Förderung der Entwicklung tierversuchsfreier Forschungsmethoden Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Zusammenfassung • Tierversuche auch bei Testung von Nanomaterialien als „Goldstandard“; Aussagekraft kaum hinterfragt, ethische Gesichtspunkte ausgeblendet • Qualitative Mängel von Tierversuchsstudien; Ergebnisse aus wiss. Sicht oft nicht aussagekräftig • Unrealistisch hohe Ansprüche an in vitro Methoden; in der Folge wg. zu großer Skepsis oft nicht angewendet, Weiterentwicklung wird eingestellt • Forschungs- und Prüfprogramme schlecht bzw. unzureichend koordiniert Redundanz bei Tierversuchen in den diversen Projekten und Studien • Zu wenig Projekte, die sich spezifisch mit der Entwicklung von tierversuchsfreien Testmethoden für Nanomaterialien befassen Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Fazit Wir brauchen mehr Tierschutz in der Nanotechnologie! • Tierethik in ethischen Diskurs zu Nanotechnologie einbeziehen • Ethischen Beweggründen und rechtlicher Verpflichtung zu Tierschutz Rechnung tragen: auf Verwendung lebender Tiere verzichten oder deren Einsatz wo immer möglich reduzieren • Statt Forderung nach unsicheren Tierversuchen aussagekräftige und moderne tierversuchsfreie Methoden für die Risikobewertung anwenden bzw. entwickeln • Potentiale der Nanotechnologie nutzen, auch um Entwicklung tierversuchsfreier Forschungs- und Testmethoden voranzutreiben Deutscher Tierschutzbund e.V. – Akademie für Tierschutz
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! www.tierschutzbund.de
Sie können auch lesen