Koreakrieg 1950: Rückblick nach 70 Jahren (2/2) - Allgemeine ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Sicherheitspolitik Koreakrieg 1950: Rückblick nach 70 Jahren (2/2) Sobald die nordkoreanischen «Gooks» (geringschätziger Begriff für Koreaner) merken, dass Amerikaner ihnen gegenüberstehen, werden sie vor Angst davonrennen. In der Startphase des Krieges war dies die weitverbreitete Überzeugung von US-Generälen und Soldaten. Die Kombination von Arroganz in die eigene vermeintliche Überlegenheit und der rassistisch eingefärbten Ignoranz über die gegnerischen Fähigkeiten hatte desaströse Konsequenzen. Urs Fischer-Han voller Erfolg und leitete eine Kriegswende tober überschritt die 5. ROKA-Divisi- ein. Am 15. September 1950 ging das neu on als erster Verband die alte künstliche Oberstleutnant Smith hatte nie eine formierte X. Korps mit 75 000 Soldaten Grenzlinie. US-Truppen folgten wenige Chance, seinen Verzögerungsauftrag zu an Land. Am Folgetag brach Walker aus Tage später. Es entbrannte ein unkoor- erfüllen. Am 5. Juni 1950 stiess Smiths dem Pusan-Perimeter aus und lancierte dinierter «Wettbewerb», wer zuerst Pjöng- Task Force südlich von Osan mit seinen Phase 2 der Gegenoffensive. Seoul wurde jang und den Yalu, die Grenze zu China, 530 Soldaten auf eine mechanisierte Eli- am 27. September befreit. Präsident Syng- erreiche. Optimismus war allgegenwärtig, tedivision der nordkoreanischen Volks- man Rhee kehrte in die Hauptstadt zu- der Sieg gewiss und was in den Worten armee (KPA). Das Resultat dieses un- rück, während sich MacArthur als genia- von MacArthur noch blieb, war «Mop- gleichen Kampfes war vorgegeben. Beim len Retter bestätigt sah. Am gleichen Tag ping up», Aufräumarbeiten. Pjöngjang Rückzug der Amerikaner blieben Verwun- erhielt er die Autorisierung, die KPA zu wurde am 19. Oktober 1950 von UNC- dete, Tote und alles schwere Material zu- vernichten und dabei auch den 38. Brei- Truppen eingenommen. Gleichentags be- rück, die Disziplin brach zusammen und tengrad zu überqueren. Bereits am 1. Ok- gannen in grosser Zahl chinesische Trup- der erste Einsatz von Bodentruppen ende- pen den Yalu zu überqueren. te im Chaos. Das gleiche Schicksal ereilte weitere Verbände der 24. US-Infanterie Vier-Phasen-Verlauf; rasch wechselnder Eine Bauernarmee als Gegner – Division, welche als erste der vier in Japan Frontverlauf und Pattsituation. Karten: Wikipedia Witz oder Herausforderung? stationierten US-Divisionen in Eile nach Korea verlegt wurde. Die vorrückenden Dem chinesischen Entscheid, im Herbst KPA-Formationen waren permanent US- 1950 als «Freiwillige» (Chinese People’s Luftangriffen ausgesetzt und erlitten hohe Volunteers, CPV) bezeichnete Truppen zu Verluste. Doch die KPA hielt den An- entsenden, gingen heftige und kontrover- griffsdruck aufrecht. Zeit und Rückzugs- se interne Diskussionen, ein reger Aus- raum wurden für die koreanischen und tausch zwischen Mao und Stalin sowie amerikanischen Truppen, welche unter wiederholte Hilferufe von Kim Il Sung der gemeinsamen Führung von General- voraus. Warnungen von Premierminister leutnant Walker standen, knapp. «Stay or Zhou Enlai, dass ein Überschreiten des die», lautete sein ultimativer Truppen- 38. Breitengrades eine direkte Reaktion befehl. Als letzte, hart umkämpfte Ver- auslösen würde, wurden als Bluff abgetan. teidigungslinie etablierte er anfangs Au- Gegenüber Truman bezeichnete MacAr- gust mit fünf südkoreanischen ROKA- June 25, 1950 Sept. 14, 1950 thur die Wahrscheinlichkeit einer chine- und drei US-Divisionen den Pusan-Peri- sischen Intervention als sehr gering. meter. Während Walker versuchte, in Ko- Am 25. Oktober 1950 erreichten die rea ein zweites Dünkirchen zu verhindern, ersten ROKA-Soldaten den Yalu und plante MacArthur gegen alle Widerstände wurden nördlich von Pjöngjang erstmals eine gewagte amphibische Gegenoffensi- auch in Kämpfe mit CPV-Kräften ver- ve tief im Rücken der Nordkoreaner: die wickelt. Doch dies löste keine Zweifel am Landung bei Incheon, westlich von Seoul. bevorstehenden Kriegsende aus. Tasäch- lich brachen die Chinesen am 6. Novem- Arroganz und ber alle Operationen und Feindkontakte ein genialer Pyrrhussieg? ab. So stand MacArthurs finaler «Home by Christmas»-Offensive nichts mehr im Dies sei, so MacArthur, ein 5000 zu 1 Wege. Doch er hatte die chinesischen Ab- Risiko, sprach doch alles gegen Incheon. Nov. 25, 1950 July 27, 1953 sichten sträflich ignoriert. 380 000 CPVs Doch das waghalsige Unterfangen war ein warteten darauf, zuschlagen zu können. Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 08/2020 5
Sicherheitspolitik Mit dem massiven Eingreifen chinesischer schaft, um die verschiedenen Angriffsak- Waffenstillstand – Truppen erfuhr der Krieg erneut eine radi- tionen der Bodentruppen zu unterstüt- schneller Abschluss mit kale Umkehr, und mit Peng Dehuai, dem zen und Offensiven der CPV/KPA abzu- Schweizer Beteiligung? Kommandanten der CPV, erhielt Mac wehren. Am 15. März 1951 wurde Seoul Arthur einen respektablen Opponenten. – zum vierten Mal – eingenommen und War das erste Kriegsjahr durch rasch In ihren nächtlichen Angriffen fügten die blieb in der Hand der UNC-Truppen. Im wechselnden Frontverlauf gekennzeich- CPV den UNC-Verbänden bittere Nieder- Frühsommer zeichnete sich ab, dass keine net, so kann die nächste Phase eher als lagen zu. Die völlig überraschten UNC- Seite mehr den politischen Willen und die statischer Stellungskrieg, ähnlich wie im Kräfte setzten zum Rückzug an, welcher militärischen Möglichkeiten hatte, um Ersten Weltkrieg, beschrieben werden. in Teilen die Form einer überstürzten, einen Entscheid auf dem Schlachtfeld Während ab Juli 1951 zuerst in der alten kampflosen Flucht annahm. Die eisigen zu erzwingen. Der Frontverlauf wich we- Hauptstadt Kaesong und später im Nie- Temperaturen verursachten enorme Aus- nig von der künstlichen Grenzziehung mandsland von Panmunjom eine neue, fälle an Personal und Material. Frostbeu- ebenso hart umkämpfte Verhandlungs- len, abgefrorene Glieder und Tod durch front eröffnet wurde, entstand im hügeli- Erfrieren wurden auf beiden Seiten alltäg- gen Gelände beidseitig ein umfangreiches liche Begleiter. Den taktisch geschickt und «In the opinion Netz von Gräben, Bunkern und Minen- diszipliniert agierenden CPV-Kräften ge- of the Joint Chiefs of Staff, feldern. Gross angelegte Operationen auf langen rasch grosse Geländegewinne. US- Korps- und Divisionsstufe wechselten zu Präsident Truman schrieb am 9. Dezem- MacArthur’s strategy nicht minder blutigen Angriffen in Ba- ber in sein Tagebuch: «It looks like World would involve us in taillons- und Kompaniestärke. Beide Sei- War III is here.» Am 4. Januar 1951 wech- ten waren von der Überzeugung getrie- selte Seoul zum dritten Mal die Hand, und the wrong war, at the wrong ben, dass nur militärischer Druck die Ge- Mao wollte jetzt den totalen Sieg über die place, at the wrong time genseite zu Kompromissen zwingen wür- Amerikaner. Die Kampfmoral der UNC- de. Ridgway, welcher MacArthur in Tokio Truppen erreichte einen Tiefpunkt. Bei and with the wrong enemy.» ablöste, und seine Kommandanten in Ko- MacArthur setzten Panik und der Ruf General Omar Bradley, rea nutzten die Artillerie als Feuerhammer nach atomarer Eskalation ein. Zuvor er- Chairman of the Joint Chiefs of Staff, gegen die CPV und die wieder erstarkte setzte in Korea am 26. Dezember 1950 MacArthur-Hearings, 1951 KPA. Zwischen Oktober 1951 und Juli Generalleutnant Matthew Ridgway den 1953 verschoss die UNC-Artillerie über bei einem Unfall verstorbenen Walker an 25 Millionen Granaten. Im Vergleich dazu der Spitze der UNC-Verbände. Dies er- bei Kriegsbeginn ab. Kurz, der Zeitpunkt wirken die 2 Millionen der CPV/KPA be- wies sich für die Südseite als Glücksfall. schien gegeben, den Krieg am Verhand- scheiden. Dank seinem vorbildlichen, truppenna- lungstisch mit einem Waffenstillstand zu Am Verhandlungstisch wurde heftig hen und konsequenten Verhalten gelang beenden. Doch zuvor explodierte noch und mit allen Mitteln um jeden Agenda- es dem «Soldaten-General», innert weni- eine politische Bombe: Am 11. April 1951 punkt gerungen. Im Frühjahr 1952 schien gen Wochen den Truppen neues Vertrau- setzte Präsident Truman den populären, ein Abkommen in Reichweite, als die en in die Führung und Angriffsgeist ein- aber selbstherrlichen General MacArthur UNC-Seite auf Geheiss von Truman eine zuflössen. Ridgway setzte unerbittlich auf ab. Mit seiner vom Präsidenten abwei- neue, nicht verhandelbare Bedingung ein- Angriff und nutzte in den folgenden Mo- chenden Kriegsstrategie und wiederholten brachte: freiwillige Rückkehr der über naten die gewaltige Feuerkraft der Ar- öffentlichen Provokationen hatte er den 150 000 Kriegsgefangenen (POWs). Diese tillerie und die totale Luft- und Seeherr- Bogen überspannt. Forderung, im Widerspruch zu den Gen- fer Konventionen von 1949, wurde von der Nordseite vehement zurückgewiesen. Doch nachdem dieser Ver- handlungspunkt den Abschluss eines Ab- kommens für weitere 15 Monate verzöger- te, wurde er akzeptiert. Zusammensetzung des United Nations Command (UNC): Neben Südkorea und USA entsandten 15 Länder Truppen und 5 Länder Sanitätsfor- mationen; Anteil am Karte: Wikipedia Gesamtbestand ca. 5%. 6 Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 08/2020
Sicherheitspolitik Verlierer auf beiden Seiten – Flucht aus Seoul (links) und Pjöngjang (rechts). Bilder: Wikipedia, U.S. Army Center of Military History Rund 50 000 POWs lehnten eine Rück- kehr nach Nordkorea oder China ab. Schätzungen gehen davon aus, dass wäh- rend dieser Verhandlungsphase die UNC- Seite 125 000 und die CPV/KPA-Seite rund 250 000 Tote und Verletzte verzeich- nete. Ende 1951 kam von der Nordseite die Forderung auf den Verhandlungstisch, dass neutrale Staaten in den Überwa- chungsmodus integriert werden sollten. Die sowjetische Bilanz ist durchzogen Neutral wurde dabei als «nicht mit kämp- und in der Endabrechnung negativ. Zwar fenden Truppen am Krieg beteiligt» de- konnte Stalin eine Annäherung zwischen finiert. Aufgrund einer Anfrage des US den USA und China für fast zwei weite- State Department befasste sich der Bun- re Dekaden, bis zum berühmten Treffen desrat im Dezember 1951 erstmals mit von Präsident Nixon mit Mao von 1972, dem Thema. Auch wenn er Mühe bekun- verhindern. Doch das massgeblich durch dete, als neutrale Nation einer der Kriegs- den Krieg ausgelöste Wettrüsten mit den parteien zu gelten, gewichtete der Bundes- USA war für die Sowjets ruinös. Für die rat die Vorteile eines Mitwirkens stärker. USA war der seit Ende 1950 unpopuläre Er sah eine Chance, das im Zweiten Welt- Krieg keine Erfolgsgeschichte. Erstmals krieg bei den Alliierten ramponierte An- hatten sie eine kriegerische Auseinander- Firepower gegen Manpower – UNC-Artillerie, sehen der Schweiz aussenpolitisch wieder setzung nicht gewonnen und für zurück- 25 Millionen verschossene Granaten in 22 aufzuwerten. Im ersten friedensfördern- kehrende Soldaten gab es keine Paraden Monaten. Bild: U.S. Army Center of Military History den Engagement der Armee reisten im wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Und Juni 1953 Schweizer Offiziere nach Korea. in (West-)Europa? In der Bundesrepu- Und heute, 67 Jahre später, ist die Schweiz Es gab aber auch offensichtliche Nutz- blik Deutschland brach ein Korea-Boom als Teil der «Neutral Nations Supervisory niesser. Der damalige japanische Minister- aus, welcher zu Beginn der 50er-Jahre ei- Commission» immer noch vor Ort. präsident Yoshida bezeichnete den Krieg nen Wirtschaftsaufschwung bewirkte. Im Es bedurfte zweier wichtiger personel- als «Geschenk der Götter», welches Japan Weiteren führte der Koreakrieg auch zur ler Rochaden, bevor die zähen Verhand- einen zeitlich vorgezogenen vorteilhaften Beschleunigung der Westintegration der lungen endlich einem Abschluss zugeführt Friedensvertrag mit den USA, einen wirt- BRD und 1955 zum NATO-Beitritt. werden konnten. Im Weissen Haus lös- schaftlichen Boom und Wiederaufstieg be- Der Koreakrieg war auf beiden Seiten te General Dwight D. Eisenhower im Ja- scherte. Auch Generalissimus Chiang Kai- geprägt von fatalen Fehleinschätzungen nuar 1953 Truman als US-Präsidenten ab shek gehörte zu den Nutzniessern. Die und krassen Wahrnehmungsverzerrun- und im Kreml starb am 5. März Joseph USA verhinderten mit der Blockade der gen und doch wurde eine Eskalation über Stalin. Nach 575 Sitzungen wurde am 27. Taiwan-Strasse die Einnahme durch die die koreanische Halbinsel hinaus verhin- Juli 1953 das Waffenstillstandsabkommen Volksrepublik. China sah sich, trotz ho- dert. Ohne die massive Intervention der unterzeichnet, ohne bis heute in einen hen Opfern, auch auf der Gewinnerseite, USA im Frühsommer und Chinas im Friedensvertag überführt zu werden. konnte es sich doch durch den Krieg als Spätherbst 1950 würden die beiden ko- weitere ernst zu nehmende dritte Macht reanischen Staaten nicht mehr existie- Unerwartete etablieren. ren. Fakt ist aber auch, dass die Hauptur- Sieger und Verlierer? Zu den persönlichen Gewinnern zähl- sache des Krieges, die Teilung von 1945, te auch Kim Il Sung. Sein Land war zwar auch 70 Jahre nach Kriegsbeginn un- Heute sehen sich fast alle Parteien als weitgehend zerstört, doch er konnte in der verändert besteht. Bleibt somit nur die Sieger, eine zweifelhafte Optik, bestimmt Folge seine Position konsolidieren und unbefristete Akzeptanz des Status quo von der zeitlichen Distanz. Einfacher zu bis zu seinem Tod weitere 41 Jahre dikta- und die Hoffnung, die angeblich zuletzt benennen sind die unmittelbaren Kriegs- torisch an der Macht bleiben. Auch sein stirbt? ■ verlierer: Die koreanische Bevölkerung im südlicher Opponent ging gestärkt aus dem Norden wie im Süden, welche Opfer zer- Krieg hervor. Syngman Rhee schaffte es, bombter Städte und Dörfer, von Gräuel- mit quasi erpresserischem Verhalten von Hauptmann aD taten und massloser Brutalität wurde, von den USA weitreichende militärische, wirt- Urs Fischer-Han Flucht, Hunger und Krankheit geplagt schaftliche und politische Konzessionen ab- Betriebsökonom FH war und bis heute unter der Teilung von zuringen und als Autokrat an der Macht zu Swiss NNSC 1987/ 89 Familien, zahllosen persönlichen Tragödi- bleiben, bis er im Frühjahr 1960 von Stras- 8055 Zürich en und ausbleibender Versöhnung leidet. senprotesten ins Exil getrieben wurde. Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 08/2020 7
Sie können auch lesen