Nicht gegen China, sondern für Demokratie - ein transatlantischer Ansatz - Transatlantische ...
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Juni 2021 Nicht gegen China, sondern für Demokratie – ein transatlantischer Ansatz Dr. Nils Schmid Im Juli feiert die mitgliederstärkste Partei der Welt ihren 100. Geburtstag. Während die Pan- demie auch dann noch viele Weltregionen fest im Griff haben wird, muss niemand befürch- ten, dass die Jahrhundertfete der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) mit ihren fast 92 Millionen Mitgliedern ein Superspreader-Event wird – denn China hat Corona weitestgehend unter Kontrolle. Und um sicherzustellen, dass an der Erfolgserzählung von der Eindämmung der Pandemie auch keinerlei Zweifel aufkommen, wird die gut geölte chinesische Propagan- damaschine in den nächsten Wochen auf Hochtouren laufen. Aufgrund der vermeintlich er- folgreichen Corona-Bekämpfung genießt die KPCh großen Rückhalt in der Bevölkerung. Im Zentrum der Partei und auf dem Zenit seiner Macht steht Xi Jingping, der Staatspräsident des bevölkerungsreichsten Landes der Welt, welches das westliche Regierungs-, Wirt- schafts- und Gesellschaftssystem fundamental herausfordert. Ende der Illusionen aggressiver seine Interessen nach außen ver- tritt. Die Entwicklung Chinas verschärft den Im Juli sollte auch daran erinnert werden, dass Großmächtekonflikt mit den USA und treibt die US-Präsident Richard Nixon vor einem halben Bipolarisierung des internationalen Systems vo- Jahrhundert die Weltöffentlichkeit mit der An- ran. Zur Verteidigung westlicher Werte und In- kündigung seiner Chinareise überraschte, mit teressen und zur Vermeidung einseitiger Ab- der er die Grundlage für die nachfolgende Öff- hängigkeiten unter diesen geopolitischen Reali- nungspolitik legte. Sie verfolgte auch den täten braucht es ein souveränes Europa, das Zweck, die beiden kommunistischen Widersa- auf der internationalen Bühne mit einer Stimme cher, China und die Sowjetunion, gegeneinan- spricht. Leider wird dies oftmals durch die Blo- der auszuspielen. Insbesondere nach dem ckadehaltung einzelner EU-Mitgliedsländer ver- Ende des Kalten Krieges war die Chinapolitik hindert, etwa als Ungarn sich gegen eine ge- des Westens mit der Hoffnung verbunden, dass meinsame Erklärung zur Wahlrechtsreform in auf eine verstärkte Einbindung Chinas in die Hongkong stellte. Die EU muss deshalb auch in Weltwirtschaft und eine ökonomische Liberali- der Außenpolitik handlungsfähiger werden und sierung des Landes auch mehr politische und dafür qualifizierte Mehrheitsentscheidungen gesellschaftliche Freiheiten folgen würden. einführen. Heute ist die Konvergenzthese ‚Wandel durch Klar ist auch, Deutschlands feste Verankerung Handel‘ vorläufig widerlegt, denn der illusions- in der transatlantischen Sicherheits- und Werte- lose Blick auf China zeigt einen zunehmend gemeinschaft ist die Grundlage für einen politi- perfektionierten Überwachungsstaat, der immer schen Dialog mit Peking auf Augenhöhe. Mit der Transatlantische Impulse Nr. 5 / Juni 2021 1
Biden-Administration eröffnet sich nun die die Debatte darüber an, welche Vor- und Nach- Chance, gemeinsam dem Einfluss von autoritä- teile das Modell eines demokratischen Rechts- ren Staaten wie China etwas entgegenzusetzen staats mit freier Marktwirtschaft gegenüber der und der liberalen Demokratie in der Post- chinesischen Ein-Parteien-Diktatur mit gelenk- Corona-Welt wieder zu globaler Strahlkraft zu ter Staatswirtschaft hat. Im Rahmen ihres 100. verhelfen. Geburtstags wird die KPCh die Erfolge des chi- nesischen Entwicklungsmodells mit aller Kraft in Zurecht bezeichnete US-Außenminister Blinken die Welt hinaustragen. Im Zentrum dieser Er- China in einer Grundsatzrede als „größte geo- zählung stehen die ca. 700 bis 800 Millionen politische Prüfung des 21. Jahrhunderts“. Für Menschen, die China im Lauf der Jahrzehnte den Umgang mit China folgerte er daraus fol- aus der extremen Armut befreite; der Aufstieg gende Formel: „Das Verhältnis der Vereinigten zur bald stärksten Wirtschaftsmacht; die Ein- Staaten mit China wird konkurrierend sein wenn dämmung der Pandemie und die vermeintlich nötig, kooperativ wenn möglich – und gegne- selbstlose Impfdiplomatie. Diesem Narrativ risch, wenn es sein muss. Der gemeinsame muss mit Aufklärung begegnet werden, und die Nenner dabei ist die Notwendigkeit, China aus schwerwiegenden Defizite des chinesischen einer Position der Stärke heraus zu begegnen.“ Systems gehören aufgezeigt. Vor allem muss Damit nähern sich die Ansätze der aktuellen Deutschland gemeinsam mit den USA und an- US-Regierung und der EU an, nach denen deren Demokratien die besseren politischen China nicht nur ein Partner und wirtschaftlicher Antworten liefern. Der Systemwettbewerb ent- Wettbewerber ist, sondern auch ein systemi- scheidet sich an der Qualität unserer Demokra- scher Rivale. Leider bekam man in den vergan- tie zuhause und der Innovationskraft sowie dem genen Jahren den Eindruck, dass der Blick sozialen Zusammenhalt unserer offenen Ge- nach Fernost im Kanzleramt im Wesentlichen sellschaft. von wirtschaftlichen Interessen geprägt war und Statt Impfnationalismus muss auf Impfmultilate- deshalb die Dimension der chinesischen Her- ralismus gesetzt werden, denn nur so kann ausforderung nicht in ihrer ganzen Breite er- weltweit eine schnelle und gerechte Verteilung kannt wurde. der Impfstoffe gewährleistet werden. Und nur Corona – Katalysator im Systemwettbewerb dann ist eine glaubwürdige Kritik der chinesi- schen Impfdiplomatie möglich, die sich von na- Die Pandemie ist eine Menschheitsaufgabe, die tionalen Interessen statt von humanitären Prin- nur mit und nicht gegen China bewältigt werden zipien treiben lässt. Die bisherige Unterstützung kann. Von Wuhan in die Welt – die rasend für das globale Impfprogramm COVAX sollte schnelle Ausbreitung von Covid-19 hat gezeigt, deshalb weiter ausgebaut werden. wie eng unsere Schicksale miteinander ver- flochten sind. Aufgrund dieser wechselseitigen Zu Beginn der Pandemie zeigte sich auch, wie Abhängigkeit sollten alle Staaten ein Interesse verwundbar Deutschland und Europa durch ein- an mehr Kooperation bei der Pandemiebe- seitige Abhängigkeiten bei lebensnotwendigen kämpfung haben. Denn die gefährlichen Mutati- Medizingütern sind. Immer lauter wurden in den onen, die sich von Hochinzidenzgebieten aus letzten Monaten Forderungen nach einer Ent- über den Globus verteilen, zeigen, dass nie- kopplung von China – auch aus Washington. mand sicher ist, solange der Virus in anderen Ein vollständiges Decoupling der Wirtschafts- Weltregionen weiterwütet. und Technologiesphären der zwei größten Volkswirtschaften wäre fatal, nicht nur für un- Die Bilder, die letztes Jahr von der Pandemie- sere deutsche Exportwirtschaft. Das Ziel sollte Politik des Westens um die Welt gingen, heizten vielmehr sein, dort Interdependenzen zu för- dern, wo durch wechselseitige Abhängigkeiten Transatlantische Impulse Nr. 5 / Juni 2021 2
gemeinsame Interessen entstehen. Zudem mundtot zu machen. Aufgrund dieser Reaktion müssen asymmetrische Abhängigkeiten in kriti- wird es nun erstmal seitens der EU keine Ratifi- schen Bereichen beendet werden, etwa durch zierung des umfassenden Investitionsabkom- eine Diversifizierung unserer Beziehungen, wie mens geben. in den Indo-Pazifik-Leitlinien vorgesehen. Die universelle Gültigkeit der Menschrechte ver- Mehr internationale Zusammenarbeit und pflichtet dazu, Menschenrechtsverletzungen Solidarität unter Demokratien weltweit anzuprangern und dagegen vorzuge- hen. Deshalb war es richtig, dass bei der Akti- Die enge Kooperation mit Demokratien wird in vierung des EU-Menschenrechtsregimes Straf- Zeiten der Systemrivalität noch wichtiger, auch maßnahmen nicht nur gegen Funktionäre aus mit Staaten außerhalb der transatlantischen Fa- China verhängt wurden, sondern auch gegen milie. Deshalb ist es begrüßenswert, dass beim Personen aus zum Beispiel Nordkorea und G7-Treffen in Cornwall auch Gäste aus Südko- Russland. Und es sind auch die Vereinten Nati- rea, Südafrika und Australien dabei waren so- onen, unter deren Dach eine Untersuchungs- wie virtuell aus Indien. Der Biden-Besuch in Eu- kommission zur Situation in Xinjiang eingerich- ropa sendete insgesamt ein starkes Signal der tet werden muss. Einigkeit des Westens in die Welt und trieb wichtige Zukunftsprojekte voran, wie eine glo- Auch beim 5G-Ausbau war Deutschlands An- bale Infrastruktur-Initiative als demokratischen satz richtig, kein Huawei-Verbot zu erlassen, Gegenentwurf zu Pekings „Neuer Seiden- sondern eine politische Vertrauenswürdigkeits- straße“. prüfung einzuführen, durch die auch Anbieter aus anderen Staaten ausgeschlossen werden Die transatlantische Gemeinschaft und ihre de- können. Zusammen mit den USA und anderen mokratischen Partner stehen gut da im System- Partnern gilt es jetzt, Unternehmen aus demo- wettbewerb, da sie über enorme wirtschaftliche, kratischen Staaten zu unterstützen, damit diese militärische und diplomatische Fähigkeiten ver- die Kommunikationsnetze der Zukunft sicher fügen. Ein entscheidender Trumpf ist auch die und kostengünstig ausbauen können. internationale Solidarität bei Menschenrechten und Demokratie sowie ein glaubwürdiger Ein- Es gilt die Stärke des Rechts und nicht das satz für internationales Recht. Recht des Stärkeren. Auch China ist an interna- tionale Regeln gebunden und muss mit robus- Beim Thema Menschenrechte gilt, dass die gra- ten Reaktionen rechnen, wenn es im Südchine- vierenden Missstände in China umso überzeu- sischen Meer Seerecht bricht. Der chinesischen gender kritisiert werden können, je besser Führung muss klar sein, dass die westliche Ge- Deutschland, Europa und die USA selbst daste- meinschaft auch zukünftige Eingriffe in Hong- hen. Und da gibt es noch viel zu tun, wie etwa kongs Autonomie und militärische Drohgebär- der strukturelle Rassismus auch in westlichen den gegenüber Taiwan nicht akzeptieren wird. Staaten zeigt. Aufgrund der schwerwiegenden Klar ist aber auch, dass die Beziehungen zu Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang, der China nicht allein durch die Brille der Systemri- Inhaftierung von über einer Million Uiguren*in- valität betrachtet werden dürfen. Es sollte klar nen, war es richtig, dass die EU mit Sanktionen kommuniziert werden, dass sich die Politik des gegen Verantwortliche in China reagierte. Wich- Westens nicht per se gegen China und seine tig war auch, dass nicht nur die EU allein China Bevölkerung richtet, sondern gegen politische sanktionierte, sondern sich Kanada, die USA Entscheidungen, auf die konkrete Antworten und das Vereinigte Königreich anschlossen. geliefert werden. Die westlichen Staaten stellen Der chinesische Gegenschlag kam unmittelbar sich unmissverständlich gegen antichinesische und traf gewählte Abgeordnete und unabhän- gige Forscher mit dem Ziel, kritische Stimmen Transatlantische Impulse Nr. 5 / Juni 2021 3
Ressentiments, die sich leider auch in Deutsch- deshalb ganz oben auf die transatlantische land verbreiten. Und die Hand zur Kooperation Agenda, sondern vor allem aufgrund der zent- muss ausgestreckt bleiben, wie bei der Be- ralen Bedeutung, die der gemeinsame Einsatz kämpfung der Klimakrise, die nur gemeinsam für mehr Gerechtigkeit hat. Ein wichtiges Flagg- bezwungen werden kann. schiffprojekt der transatlantischen Zusammen- arbeit ist deshalb die beim G7-Treffen verein- Verteidigung der Demokratie beginnt zu- barte globale Mindeststeuer für Unternehmen, hause deren Umsetzung nun zügig vorangetrieben Der Vorschlag von US-Präsident Biden, einen werden muss. weltweiten Gipfel für Demokratie zu organisie- ren, verdient Unterstützung. Denn die stärksten Waffen gegen Autoritarismus sind die eigenen Erfolge und deren Strahlkraft – ein effektiver de- mokratischer und sozialer Rechtsstaat, wirt- schaftlicher Wohlstand und ein solidarisches Miteinander. Die weltweite Verteidigung der De- mokratie beginnt deshalb zuhause. Unter Trump ließ die demokratische Strahlkraft der USA stark nach und drohte in den dunklen Stun- den während des Sturms auf das Kapitol völlig zu erlöschen. Die Biden-Administration hat vom ersten Tag an begonnen, den Trend umzukeh- ren. Insbesondere das milliardenschwere In- vestitions- und Arbeitsbeschaffungsprogramm von Joe Biden könnte dazu beitragen, die mas- siven sozialen Verwerfungen zumindest teil- weise zu überwinden, den innergesellschaftli- chen Zusammenhalt zu stärken und damit die USA wieder zu einem „Leuchtturm der Demo- kratie“ zu machen. Gegen den autokratischen Einfluss von außen, der die Polarisierung innerhalb westlicher Ge- sellschaften vertiefen will, braucht es eine Alli- anz der Demokratien gegen Desinformation und Cyberangriffe. Die Gesellschaften müssen bes- ser geschützt werden, etwa durch bessere Digi- talbildung. Gemeinsam müssen aber auch die tieferliegenden Ursachen für demokratische Rückschritte angegangen werden, wie die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Die staatlichen Hilfen in der Pandemie und die not- wendigen Zukunftsinvestitionen in die Digitali- sierung und den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft belasten die Staatsfinanzen. Ver- stärkte Kooperation beim Kampf gegen Korrup- tion und Steueroasen gehören aber nicht nur Transatlantische Impulse Nr. 5 / Juni 2021 4
Über den Autor Dr. Nils Schmid Nils Schmid ist seit September 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er ist ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und seit 2018 außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Außerdem ist er stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur. Darüber hinaus ist er Mitglied der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. 1997 zog Nils Schmid als Abgeordneter in den Landtag von Baden-Württemberg ein. Nach seiner Wiederwahl ins Landesparlament im Jahr 2001 wurde er finanz- politischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. 2006 wählte ihn seine Fraktion zu ihrem stellvertretenden Vorsitzenden. Durch einen Mitgliederentscheid wurde er 2009 Landesvorsitzender der SPD Baden-Württemberg. Dieses Amt bekleidete er bis 2016. Von 2011 bis 2016 war er Minister für Finanzen und Wirtschaft des Landes Baden-Württemberg sowie stellvertretender Ministerpräsident. Dieser Text stellt die persönliche Ansicht des Autors dar. Er spricht ausdrücklich nicht im Namen der mit ihm assoziierten Institutionen. Über diese Reihe In Anknüpfung an die virtuelle Veranstaltungsreihe Road to Election Night & Beyond begleiten elf trans- atlantische Institutionen und politische Stiftungen Joe Bidens Innen- und Außenpolitik über seine ersten 100 Tage im Amt hinaus im Rahmen dieser Publikationsreihe. Wir möchten das hoffnungsvolle Momentum nach seiner Amtseinführung aufgreifen und Transatlantische Impulse für die Zusammenarbeit zwischen den USA, Deutschland und Europa setzen. Mehr Informationen zur Reihe gibt es unter dem Hashtag #Transat- lantischeImpulse und via https://transatlantische-impulse.de. Partner: American Chamber of Commerce in Germany, American Council on Germany, Amerikahaus Mün- chen, AmerikaHaus NRW, Aspen Institute Germany, Atlantik-Brücke, Deutsche Atlantische Gesellschaft, Friedrich-Ebert-Stiftung, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, The German Marshall Fund of the Uni- ted States, Hanns-Seidel-Stiftung, Heinrich-Böll-Stiftung. Herausgeberschaft: Aspen Germany et al. ISSN: 2748-2480 Redaktion: Laura Senftleben/Dr. Stormy-Annika Mildner Design & Layout: Laura Senftleben Transatlantische Impulse Nr. 5 / Juni 2021 5
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