Kostenpflicht der Hersteller für Zigarettenkippen und To-go-Verpackungen
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Kostenpflicht der Hersteller für Zigarettenkippen und To-go-Verpackungen Anforderungen und Rahmenbedingungen für die Umsetzung der Erweiterten Herstellerveranwortung nach Art. 8 der EU-Kunststoffrichtlinie Gutachten im Auftrag des VKU erstattet von Prof. Dr. jur. Walter Frenz, Maître en Droit Public, Aachen am 11.12.2019 1
Inhalt I. Problematik.......................................................................................................................................... 4 1. Art. 8 KunststoffRL .......................................................................................................................... 4 2. Einbeziehung des EU-Primärrechts: Verursacherprinzip und Beihilfenverbot ............................. 4 3. Umsetzung in nationales Recht ...................................................................................................... 5 II. Das Verhältnis von Erweiterter Herstellerverantwortung und Verursacherprinzip ........................ 6 1. Verbraucher als Verursacher? ........................................................................................................ 6 2. Der Gehalt von Art. 8 KunststoffRL ................................................................................................ 6 3. Zielrichtung der KunststoffRL ......................................................................................................... 8 a) Vermeidung von Einwegartikeln und Abfällen: Hersteller als Schaltstelle .............................. 8 b) Ausdruck der Nachhaltigkeit ...................................................................................................... 9 c) Weite Herstellerverantwortung als effiziente Umsetzung der Kunststoffstrategie................. 9 d) Bekämpfung der Meeresverschmutzung................................................................................. 10 4. Das Verursacherprinzip ................................................................................................................ 11 a) Kostentragungsprinzip.............................................................................................................. 11 b) Internalisierung externer Kosten ............................................................................................. 12 c) Beabsichtigte Anreizwirkung .................................................................................................... 13 d) Keine Ausklammerung der Herstellerverantwortung durch (ordnungswidriges) Verbraucherverhalten .................................................................................................................. 14 e) Entscheidung des Normgebers nach Effektivität..................................................................... 15 5. Gesamtschau mit der Abfallrahmen- und der KunststoffRL ....................................................... 16 a) Ausdruck der Gesamtkonzeption der Produktverantwortung nach der AbfallRRL: Erweiterte Herstellerverantwortung als Regelzurechnungsmodell .............................................................. 16 b) Verhältnis von AbfallRRL und KunststoffRL............................................................................. 17 c) Umsetzungsfrist für die KunststoffRL ....................................................................................... 18 d) Zwischenfazit ............................................................................................................................ 18 6. Hinzunahme von Art. 1 EGRC ....................................................................................................... 19 7. Problematische Kostenverlagerung auf den Staat ...................................................................... 21 8. Beihilfenverbot und Verursacherprinzip ..................................................................................... 22 9. Parallelen zur Anlastung der Gemeinschaftskosten bei Fußballspielen ..................................... 24 a) Vorteilsbezogener Ansatz des BVerwG bei gewinnorientierten Großveranstaltungen ........ 24 b) Übertragung auf die Herstellerverantwortung ....................................................................... 25 c) Abgrenzung von allgemeinen Kosten ....................................................................................... 25 d) Kostenanlastung unabhängig von der Störereigenschaft ....................................................... 26 e) Ausklammerung ausschließlicher Drittursachen und Verhinderung einer Abschreckungswirkung ................................................................................................................. 27 f) Bezug zum Verursacherprinzip ................................................................................................. 28 2
g) Verhältnismäßigkeit ................................................................................................................. 29 h) Gleichheitsgerechte Ausgestaltung ......................................................................................... 31 i) Keine Absenkung wegen allgemeinen Interesses .................................................................... 31 j) Höhe der anzulastenden Kosten ............................................................................................... 33 k) Verbot der „Doppelabrechnung“ ............................................................................................. 34 10. Folgerungen wegen eines etwaigen Abschlags für ordnungswidriges Verhalten .................... 36 III. Sonstige Anforderungen an die Kostenermittlung und -zuordnung ............................................. 36 1. Anforderungen an die Kostenermittlung ..................................................................................... 36 a) Erforderlichkeit für die kosteneffiziente Bereitstellung.......................................................... 37 b) Transparenz .............................................................................................................................. 38 c) Verhältnismäßigkeit.................................................................................................................. 39 2. Grenzen für die nationale Ausgestaltung .................................................................................... 40 a) Irrelevanz der nationalen Abgabenbelastung ......................................................................... 40 b) Irrelevanz nationaler Lizenzentgelte ....................................................................................... 40 c) Heranzuziehende Maßstäbe ..................................................................................................... 41 3. Untergrenzen ................................................................................................................................ 41 a) Aus der effektiven Richtlinienumsetzung ................................................................................ 41 b) Aus dem Beihilfenverbot .......................................................................................................... 43 IV. Mitgliedstaatlicher Ermessensspielraum ....................................................................................... 43 1. Grundsätzliche Betonung durch den EuGH im Rahmen der Zielerreichung ............................... 43 2. Angemessene mehrjährige feste Beiträge ................................................................................... 43 3. Ausübung des mitgliedstaatlichen Pauschalisierungsermessens ............................................... 44 4. Mögliche Überschreitung der Vollkosten .................................................................................... 44 a) Zur Sicherstellung effizienter Reinigungsdienste .................................................................... 44 b) Zur Gewährleistung einer Verhaltensänderung entsprechend dem Verursacherprinzip ...... 44 c) Opting out ................................................................................................................................. 45 5. „Reinigungscent“ pro Zigarette .................................................................................................... 46 6. Übertragung auf andere Leistungsbereiche ................................................................................ 46 7. Ausschluss kommunaler Verpackungssteuern ............................................................................ 47 V. Ergebnisse ......................................................................................................................................... 47 3
Wer zahlt für die weggeworfenen Zigarettenkippen und sog. To-go-Verpackungen wie Tüten und Getränkebecher – der Staat oder die Hersteller? Können auf Letztere die öffentlichen Kosten umgelegt werden? Die aktuelle EU-KunststoffRL zielt auf die umfassende Kostenbelastung der Hersteller für die öffentlichen Sammlungs-, Behandlungs-, Reinigungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen. Nur diese Sicht entspricht dem Verursacherprinzip i.V.m. dem Beihilfenverbot. Nationales Vorbild ist die Überwälzung der Polizeikosten bei Hochrisikospielen in der Fußball-Bundesliga nach dem Bremer Modell. I. Problematik 1. Art. 8 KunststoffRL Die Richtlinie (EU) 2019/904 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 über die Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt1 sieht in ihrem Art. 8 eine Erweiterte Herstellerverantwortung für bestimmte Einweg-Kunststoffprodukte vor. Danach haben zukünftig die Hersteller von bestimmten sog. To-go-Verpackungen (Lebensmittelverpackungen, Tüten, Folienverpackungen, Getränkebehältern und –bechern, leichte Kunststofftragetaschen) und Zigarettenfiltern die Kosten öffentlicher (kommunaler) Sammlungs-, Reinigungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen zu tragen. Auf diese Weise werden die stetig steigenden Kosten des Litterings nicht allein auf Steuer- und Gebührenzahler abgewälzt, sondern die Hersteller an diesem Aufwand beteiligt, um z.B. den Wechsel zu Mehrwegsystemen oder zu leicht abbaubaren Materialien anzureizen. Diese Erweiterung ist näher vor dem Hintergrund der Entstehung und des Zwecks der EU-KunststoffRL zu beleuchten. Daraus ergibt sich dann auch die konkrete Reichweite der Erweiterten Herstellerverantwortung. Falls sich eine solche nicht aus Art. 8 KunststoffRL zwingend ableiten lässt: Ist diese Option von der Richtlinie umfasst? Gibt es die Möglichkeit eines entsprechenden nationalen Opting out, d.h. einer nationalen Schutzverstärkung – ggf. mit Lenkungszuschlag? 2. Einbeziehung des EU-Primärrechts: Verursacherprinzip und Beihilfenverbot Tiefergehend ist das EU-Primärrecht einzubeziehen. Das Verursacherprinzip ist nach Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV tragender Grundsatz des EU-Umweltrechts. Wer ist danach Verursacher – der Erzeuger oder der Verbraucher, welcher die Verpackungen und Zigarettenfilter wegwirft? Ergeben sich daraus Änderungen der Kostenanlastung aus dem Sekundärrecht? Oder verbietet umgekehrt das Beihilfenverbot nach Art. 107 AEUV eine (weitere) Kostentragung durch die öffentliche Hand infolge einer systemwidrigen Begünstigung der eigentlich zahlungspflichtigen Herstellerunternehmen? Bei 1 ABl. 2019 L 155, S. 1. 4
einem Verstoß gegen das Verursacherprinzip wurde immer wieder ein Verstoß gegen das Beihilfenverbot festgestellt, so bei der Sanierung schadstoffbelasteter Standorte.2 Der deutsche Entsorgungsfonds für die atomare Endlagerung wurde nur mit der Maßgabe von der Kommission genehmigt, dass hinreichende Vorsorgekosten für künftige Entwicklungen von den Atomkonzernen bezahlt wurden.3 Dies deutet auf die große Reichweite des Verursacherprinzips und seine hohe Bedeutung. 3. Umsetzung in nationales Recht Sodann ist die Umsetzung in den Blick zu nehmen. Die nationale Umsetzung wird nach derzeitigem Stand für Einwegkunststoffverpackungen wohl im VerpackG erfolgen. Dort sind bereits die Pflichten zur Rücknahme und Entsorgung von Verpackungen geregelt. Von daher handelt es sich um eine Erweiterung der Verantwortung, nicht der erfassten Gegenstände. Für die sonstigen Kunststoffartikel hat das BMU in der jüngst vorgelegten Novelle des KrWG bereits insofern den Umsetzungsprozess vorbereitet, als in § 23 Abs. 2 Nr. 10 KrWG-E auch die Beteiligung an den kommunalen Reinigungskosten der Produktverantwortung zugeordnet wird. In Verbindung mit § 23 Abs. 4 und den §§ 24 und 25 KrWG-E ergibt sich daraus eine entsprechende Verordnungsermächtigung für die Umsetzung der diesbezüglichen Vorgaben von Art. 8 der EU- KunststoffRL. Angesichts dieser Stufenfolge stellt sich die Frage des mitgliedstaatlichen Ermessensspielraumes. Dieser wird begrenzt durch die Anforderungen an die Kostenermittlung und –zuordnung in Art. 8 Abs. 4 KunststoffRL, so durch die notwendige kosteneffiziente Bereitstellung der kommunalen Dienste sowie die Verhältnismäßigkeit. Gibt es daher Grenzen aus der bereits hohen Belastung namentlich der Zigarettenhersteller mit öffentlichen Abgaben – die allerdings national sind? Limitiert die Lizenzpflicht für die in Verkehr gebrachten Serviceverpackungen die Gebühr? Tiefergehend stellt sich die Frage nach den anzulegenden generellen Maßstäben für die Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung. Folgen aus der KunststoffRL und deren effektiver Durchsetzung Untergrenzen für die Kostenerstattungsbeiträge? Lassen sich Mindeststandards aus dem EU-Beihilfenverbot herleiten? In diesem Rahmen aus EU-Primär- und Sekundärrecht können die Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 4 S. 4 KunststoffRL angemessene mehrjährige feste Beiträge bestimmen. Inwieweit liegt hier eine im Ermessen der Mitgliedstaaten liegende 2 Mitteilung der Kommission – Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014-2020, ABl. 2014 C 200, S. 1 (Rn. 43 mit Fußn. 40). 3 Kommissionbeschluss v. 16.6.2017, SA 45296; näher Frenz, in: ders., Atomrecht, 2019, Anhang 3 EntsorgungsfondsG Rn. 5 ff. 5
Pauschalisierungsermächtigung? Sind Lenkungszuschläge möglich – etwa in Form eines „Reinigungscent“ für Zigaretten? Passen in diesen Rahmen Verpackungssteuern, wie sie die Stadtverwaltung in Tübingen jüngst plante? 4 Das ist auch eine nationalrechtliche Kompetenzfrage im Hinblick auf § 23 Abs. 2 Nr. 10 KrWG-E. Die Kostenanlastung für die öffentliche Entsorgung von bestimmten Verkaufsverpackungen und Zigarettenkippen findet ihr nationales Gegenstück in dem Bremer Modell, das den Mehraufwand für Polizeikräfte bei Hochrisiko-Fußballspielen dem Veranstalter in Rechnung stellt. Welche Parallelen und Unterschiede bestehen – sowohl für den Rechtsgrund als auch für die nähere Ausgestaltung, insbesondere die Begrenzung durch die Verhältnismäßigkeit? II. Das Verhältnis von Erweiterter Herstellerverantwortung und Verursacherprinzip 1. Verbraucher als Verursacher? Von Herstellerseite wird gegen die Erstreckung der Herstellerfinanzierung auf kommunale Reinigungsleistungen eingewandt, für Litteringkosten könnten nicht die Hersteller verantwortlich gemacht werden, „Verursacher“ sei vielmehr der sich ordnungswidrig verhaltende Verbraucher. Ist also dieser Verbraucher der „wahre Verursacher“ von Litteringkosten? Dieser Ansatz bedarf näherer Untersuchung. Immerhin statuiert Art. 8 KunststoffRL eine Erweiterte Herstellerverantwortung und unterstellt ihr die Kosten öffentlicher Sammlungs-, Reinigungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen für bestimmte sog. To-go-Verpackungen und Zigarettenfilter. Damit ist näher zu untersuchen, welchen konkreten Gehalt und vor allem welchen Hintergrund diese Festlegung hat: Sie ist eingebettet in die generelle Zielrichtung der Richtlinie zur Vermeidung der Verschmutzung der Meere und zur Verminderung des Abfallaufkommens. Darauf aufbauend ist dann der Bezug zum Verursacherprinzip herzustellen und eine Gesamtschau des Sekundärrechts vor dem Hintergrund des Primärrechts zu schaffen – auch unter Hinzunahme von Art. 1 EGRC und des Beihilfenverbots nach Art. 107 AEUV. 2. Der Gehalt von Art. 8 KunststoffRL Nach Art. 8 Abs. 1 KunststoffRL tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass für alle in Teil E des Anhangs aufgeführten und in dem jeweiligen Mitgliedstaat in Verkehr gebrachten Einwegkunststoffartikel Regime der erweiterten Herstellerverantwortung gemäß den Art. 8 und 8a der 4 Vorlage 241/2019 vom 20.9.2019 für einen Beschluss über eine Satzung über die Erhebung einer Verpackungssteuer auf Einwegverpackungen (Verpackungssteuersatzung); näher u. IV.7. 6
Richtlinie 2008/98/EG5 eingeführt werden. Nach Art. 8 Abs. 1 UAbs. 2 der AbfallRRL umfasst die Erweiterte Herstellerverantwortung die Rücknahme zurückgegebener Erzeugnisse und von Abfällen, die nach der Verwendung dieser Erzeugnisse übrig bleiben, sowie die anschließende Bewirtschaftung der Abfälle und die finanzielle Verantwortung für diese Tätigkeiten. Diese Maßnahmen können die Verpflichtung umfassen, öffentlich zugängliche Informationen darüber zur Verfügung zu stellen, inwieweit das Produkt wiederverwendbar und recyclebar ist. Damit wird der Rahmen gesteckt, den die KunststoffRL ausfüllt. Daran wird der Herstellerbezug deutlich. Die Kostenanlastung wird gleichrangig neben den anderen Maßnahmen vorgesehen. Sie kann neben Verhaltenspflichten wie der Rücknahme bestehen. Soweit bei den littering-affinen Artikeln gerade keine Rücknahme erfolgt, bildet die finanzielle Belastung die einzige Anlastung bei den Herstellern; sie muss daher auch an die Stelle der insoweit fehlenden Verhaltenspflichten treten. Ansonsten würde gar keine Kostenanlastung erfolgen. Dementsprechend bestimmt Art. 8 Abs. 2 KunststoffRL als Vorgabe an die Mitgliedstaaten, dass die Hersteller der im Anhang Teil E Abschnitt I dieser Richtlinie aufgeführten Einwegkunststoffartikel die Kosten tragen, die sich aus den Bestimmungen über die erweiterte Herstellerverantwortung der Richtlinien 2008/98/EG und 94/62/EG ergeben, sowie, sofern sie noch nicht darin enthalten sind, folgende Kosten: a) die Kosten der in Art. 10 KunststoffRL genannten Sensibilisierungsmaßnahmen für diese Artikel; b) die Kosten der Sammlung der in öffentlichen Sammelsystemen entsorgten Abfällen dieser Artikel, einschließlich der Infrastruktur und ihres Betriebs, sowie die Kosten der anschließenden Beförderung und Behandlung dieser Abfälle; c) die Kosten von Reinigungsaktionen im Zusammenhang mit Abfällen dieser Artikel und der anschließenden Beförderung und Behandlung dieser Abfälle. Erwägungsgrund 21 der KunststoffRL postuliert für Einwegkunststoffartikel, für die es derzeit keine leicht verfügbaren geeigneten und nachhaltigeren Alternativen gibt, ausdrücklich entsprechend dem Verursacherprinzip die Einführung von nationalen Regimen der erweiterten Herstellerverantwortung, um die notwendigen Kosten der Abfallbewirtschaftung und von Reinigungsaktionen sowie die Kosten der Maßnahmen zu decken, mit denen für die Vermeidung und Verminderung dieser Art der Vermüllung sensibilisiert werden soll. Diese Kosten sollten kostendeckend sein und zwischen den 5 I.d.F. der RL (EU) 2018/851 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.5.2018 zur Änderung der RL 2008/98/EG über Abfälle, ABl. 2018 L 150, S. 109. 7
betroffenen Akteuren auf transparente Weise festgelegt werden – der Verbraucher taucht nicht auf. Dieser direkte Bezug wird durch die generelle Zielrichtung der KunststoffRL untermauert, ebenso durch das Verursacherprinzip. 3. Zielrichtung der KunststoffRL a) Vermeidung von Einwegartikeln und Abfällen: Hersteller als Schaltstelle Mit der KunststoffRL sollen nach ihrem Erwägungsgrund 2 kreislauforientierte Ansätze gefördert werden, die nachhaltige und nichttoxische wiederverwendbare Artikel und Wiederverwendungssysteme gegenüber Einwegartikeln bevorzugen. Dabei wird in erster Linie auf die Verringerung des Abfallaufkommens abgezielt. Darin zeigt sich die zentrale Zielrichtung der KunststoffRL, das Auftreten von Abfällen durch die Zurückdrängung von Einwegartikeln zu verringern. Vor diesem Hintergrund sind daher sämtliche Artikel der Richtlinie auszulegen. Die zentrale Zielrichtung der Verringerung von Abfällen durch die Zurückdrängung von Einwegartikeln deutet darauf hin, dass möglichst viele Ansatzpunkte effizient genutzt werden sollen, um dieses Ziel zu erreichen. Zwar können dazu auch die Verbraucher beitragen, indem sie von Einweg auf Mehrweg umsteigen und Produkte mit langlebigen Bestandteilen kaufen, mithin etwa Kaffee in To-go-Bechern meiden und für Lebensmittel nicht die Plastiktüte nehmen, sondern etwa ihr eigenes Behältnis mitbringen. Eine Zurückdrängung von Einwegartikeln und damit eine Verringerung des Abfallaufkommens lässt sich aber am ehesten durch eine Inpflichtnahme der Hersteller erreichen: Sie entscheiden darüber, welche Materialien verwendet werden – ob etwa Einweg- oder Mehrwegtüten. Dabei blicken sie auch auf die Wünsche der Verbraucher. Von daher ist es nützlich, Verbraucher zu informieren. Unabdingbar ist aber eine Beeinflussung des Herstellerverhaltens. Sie sind gleichsam die Schaltstelle, der Dreh- und Angelpunkt, über den Einwegartikel zurückgedrängt und Abfälle vermieden werden. Daher sind auf sie die Anstrengungen zu konzentrieren. Nur so wird der in Erwägungsgrund 2 der KunststoffRL gewollte zentrale Zweck einer Vermeidung von Einwegartikeln und Abfällen erfüllt. Diese Konzentration gilt auch und gerade für das Wegwerfen von Einwegtüten sowie Bechern etc. und von Zigarettenkippen im öffentlichen Raum. Werden sie in geringerem Umfang in den Verkehr gebracht bzw. in einer leicht abbaubaren Zusammensetzung, sinkt auch ihr Aufkommen bzw. ihre Umweltschädlichkeit. Verbraucher können dann von vornherein keine Abfälle entstehen lassen und Fehlwürfe tätigen bzw. den öffentlichen Raum durch schwer abbaubare Materialien belasten. Die Kosten für die Entsorgung durch die öffentliche Hand fallen erst gar nicht an. Daher sind nicht sie die „wahren Verursacher“, sondern die Hersteller. 8
Damit bildet das Herstellerverhalten den entscheidenden Schlüssel zur Vermeidung von Abfall. Bei einer entsprechenden Ausrichtung kann das Auftreten dieser Abfälle von vornherein ausgeschlossen oder doch zumindest vermindert werden. Es ist daher auch dadurch zu steuern, dass die Kosten des Littering den Herstellern angelastet werden, um einen Kostendruck zu erzeugen, die Einwegverpackungen durch Mehrwegsysteme abzulösen. Oder es werden Materialien verwendet, die leicht abbaubar sind und nicht zu langanhaltenden Verschmutzungen beitragen, wie dies vor allem durch Plastikreste und Zigarettenkippen erfolgt. Damit ist diese Art der Abfallvermeidung durch Verringerung des Abfallaufkommens durch die KunststoffRL ins Visier genommen. Auf diese Weise wird die Abfallvermeidung effizient vorangetrieben. Diese Art der Abfallvermeidung und damit die durch Verringerung des Abfallaufkommens steht, wie Erwägungsgrund 2 der KunststoffRL betont, in der Abfallhierarchie im Sinne der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates an oberster Stelle. So ist die Herstellerverantwortung auch rechtlich in der EU-Abfallhierarchie unterlegt. b) Ausdruck der Nachhaltigkeit Die KunststoffRL wird nach ihrem Erwägungsgrund 2 dazu beitragen, das Ziel Nr. 12 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, das darin besteht, für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster zu sorgen. Das ist Teil des Ziels der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die am 25. September 2015 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Damit werden Konsum- und Produktionsmuster gleichgeordnet genannt. Es wird mithin nicht nur das Konsumentenverhalten angesprochen, sondern ebenfalls die Produktherstellung. Zudem zielt der Folgesatz des Erwägungsgrundes 2 auf die Wirtschaft, indem er formuliert: „Durch die möglichst lange Erhaltung des Wertes von Artikeln und Materialien und die Erzeugung von weniger Abfall kann die Wirtschaft der Union wettbewerbsfähiger und widerstandsfähiger werden, während zugleich der Druck auf wertvolle Ressourcen und die Umwelt abnimmt.“ c) Weite Herstellerverantwortung als effiziente Umsetzung der Kunststoffstrategie Das Ziel der Vermeidung von Abfall durch Zurückdrängung von Einwegverpackungen nach Erwägungsgrund 2 der KunststoffRL wird im vorstehenden Erwägungsgrund 1 mit der EU- Kunststoffstrategie in Verbindung gebracht. Die EU-Strategie für Kunststoffe ist danach „ein Schritt hin zur Schaffung einer Kreislaufwirtschaft, in der bei der Gestaltung und Herstellung von Kunststoffen und Kunststoffprodukten den Erfordernissen in Bezug auf Wiederverwendung, Reparatur und Recycling in vollem Umfang Rechnung getragen wird und nachhaltigere Materialien entwickelt und gefördert werden.“ Zu diesem Zweck soll aufgrund der erheblichen negativen Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte in den Bereichen Umwelt, Gesundheit und Wirtschaft ein spezifischer Rechtsrahmen für die wirksame Verringerung dieser negativen Auswirkungen festgelegt werden. 9
Dieser Rechtsrahmen und damit auch Art. 8 KunststoffRL ist also in Bezug zu setzen zur Kunststoffstrategie der EU, und diese setzt ausweislich Erwägungsgrund 1 der KunststoffRL an der Gestaltung und Herstellung der Materialien an; diese sollen im Sinne der Nachhaltigkeit fortentwickelt werden. Damit bezieht sich die EU-Kunststoffstrategie auf die Produktverantwortung im klassischen Sinne. Die Hersteller werden in die Pflicht genommen. Damit ist auch aus dieser Warte der Druck auf die Hersteller zu verstärken, auf Einwegprodukte möglichst zu verzichten. Das erfolgt durch die Anlastung von Kosten, die dazu veranlassen, auf andere Materialien und Produkte umzuwechseln. Daher sind die öffentlichen Kosten des Littering auf die Hersteller abzuwälzen. Das ist damit Ausdruck der EU-Kunststoffstrategie und wird bestätigt durch eine nähere Betrachtung des tieferen Hintergrundes der KunststoffRL sowie des Verursacherprinzips. d) Bekämpfung der Meeresverschmutzung Die Kunststoffstrategie wurde vor allem entwickelt, um die Verschmutzung der Meere mit Plastikmüll zu bekämpfen – in Verwirklichung des Ziels Nr. 14 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, das darin besteht, Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung zu erhalten und nachhaltig zu nutzen. Die Union muss nach Erwägungsgrund 3 der KunststoffRL zur Vermeidung und Bewältigung der Meeresvermüllung ihren Beitrag leisten und sich bemühen, einen globalen Standard zu setzen. Da sie in zahlreichen internationalen Foren wie der G20, der G7 und den Vereinten Nationen mit ihren Partnern zusammenarbeitet, um ein konzertiertes Vorgehen zu fördern, und diese Richtlinie Teil der Arbeiten der Union in diesem Bereich ist, muss die EU-Normierung anspruchsvoll sein und einen Vorbildcharakter haben – vergleichbar zum Klimaschutz, der weltweit nicht zuletzt durch die Vorreiterrolle der EU erste Standards hervorgebracht hat. Beispiel dafür ist namentlich das Pariser Abkommen, das erst nach langem Ringen unter maßgeblicher Beteiligung der EU und ihrer Mitgliedstaaten zustande kam. Damit ein weltweiter Erfolg eintritt, ist es notwendig, dass schon die Erzeugung dieser Materialien, welche die Meeresverschmutzung hauptsächlich verursachen, möglichst weit zurückgedrängt wird. Der Schlüssel hierzu ist die Herstellerverantwortung. Dies kommt auch in Erwägungsgrund 3 der KunststoffRL nochmals dadurch zum Ausdruck, dass es für die Wirkung der weltweiten Bemühungen auch wichtig ist, „dass die Ausfuhr von Kunststoffabfällen aus der Union nicht zu einer Zunahme der Meeresvermüllung in anderen Teilen der Welt führt.“ Die Ausfuhr von Kunststoffabfällen liegt regelmäßig nicht beim einzelnen Verbraucher. In erster Linie zählt zudem die Vermeidung der Entstehung. Der Verbraucher in der EU wie auch weltweit soll also möglichst gar nicht die Gelegenheit haben, unsachgemäß mit Kunststoffabfällen umzugehen. 10
Diese Überlegung wird für Zigarettenkippen in Erwägungsgrund 16 der KunststoffRL näher aufgezeigt. Danach sind kunststoffhaltige Filter für Tabakprodukte die am zweithäufigsten an den Stränden der Union vorgefundenen Einwegkunststoffartikel. Die daraus resultierenden enormen Umweltauswirkungen durch die unmittelbare Entsorgung in die Umwelt nach dem Konsum gilt es zu verringern. Vor diesem Hintergrund „wird erwartet, dass Innovation und Produktentwicklung sinnvolle Alternativen für kunststoffhaltige Filter hervorbringen werden, und diese Prozesse müssen beschleunigt werden. Daneben sollten Regelungen der erweiterten Herstellerverantwortung für Tabakprodukte mit kunststoffhaltigen Filtern Innovationen anregen, die zur Entwicklung nachhaltiger Alternativen für kunststoffhaltige Filter für Tabakprodukte führen.“ Es geht also gerade darum, die Herstellerverantwortung möglichst umfassend zu etablieren, um die Verschmutzung der Meere effektiv zu bekämpfen und so als EU einen signifikanten Beitrag für diese weltweite Problematik zu leisten. Auch vor diesem Hintergrund sind in erster Linie die Hersteller in die Pflicht zu nehmen. Gerade bei weltweiter Betrachtung gilt es die Wurzel der bekämpften Ursachenkette anzugehen. Diese Überlegungen können auch im Rahmen des unionsrechtlichen Verursacherprinzips nicht unbeachtlich sein, betont doch Art. 191 Abs. 1 4. Spiegelstrich AEUV das Ziel der Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bekämpfung regionaler oder globaler Umweltprobleme. Nur durch eine Heranziehung der Hersteller lässt sich das globale Umweltproblem der Meeresvermüllung durch Kunststoffabfälle wirksam bekämpfen und somit jedenfalls aus Sicht von Maßnahmen der EU erreichen. 4. Das Verursacherprinzip a) Kostentragungsprinzip Das Verursacherprinzip wurde vor allem im Abfallrecht bedeutsam.6 Es ist eine tragende Säule des EU- Umweltrechts. Schließlich „beruht“ die europäische Umweltpolitik gem. Art. 191 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 AEUV auch auf ihm. Danach ist grundsätzlich der Verursacher von Umweltbeeinträchtigungen für die Verwirklichung der erforderlichen Schutzmaßnahmen in die Pflicht zu nehmen. Dies kann auch durch eine direkte Inanspruchnahme, beispielsweise durch ein Verhaltensgebot geschehen. 7 Die englische und französische Fassung „polluter should pay“ bzw. „pollueur-payeur“ deuten allerdings in erster 6 Krämer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, EU-Recht, 7. Aufl. 2015, Art. 191 AEUV Rn. 56. 7 Heselhaus, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar, EUV/GRC/AEUV, 2017, Art. 191 AEUV Rn. 75; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 191 AEUV Rn. 110; Frenz, Handbuch Europarecht Bd. 6: Institutionen und Politiken, 2011, Rn. 4626 f.; Kahl, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 191 AEUV Rn. 98 unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 29.4.1999 – C-293/97, ECLI:EU:C:1999:215, Rn. 51 – Strandley; a.A. etwa Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2013, S. 153; Schröder, in: Rengeling (Hrsg.), EUDUR I, § 9 Rn. 42; Käller, in: Schwarze, EU, 4. Aufl. 2019, Art. 191 AEUV Rn. 36. 11
Linie auf ein Kostentragungsprinzip.8 Derjenige, der eine Umweltbeeinträchtigung hervorruft, soll für diese auch zahlen.9 Genau diese Kostentragung verwirklicht die Anlastung der Entsorgungskosten für bestimmte Einwegverpackungen und Zigarettenstummel. Schon dieser grundlegende Ansatzpunkt der Kostentragung deutet darauf, dass diese möglichst vollständig zu sein hat. Der Verursacher soll alle Kosten tragen, die durch sein Verhalten bedingt sind. Dazu gehören auch die kommunalen Kosten, welche die Folgen der vom Verursacher in Verkehr gebrachten Produkte sind. b) Internalisierung externer Kosten Die tatsächlichen Kosten dieser Produkte kommen nur zum Ausdruck, wenn sämtliche Kosten dem Verursacher angelastet werden. Bei dem umweltbezogenen Verursacherprinzip geht es auch um die Internalisierung externer Kosten. Das gilt auch für das Verursacherprinzip nach Art. 191 Abs. 2 AEUV,10 welches durch die Internalisierung externer Kosten zur Verwirklichung des Grundsatzes der Kostenwahrheit beitragen soll.11 Nur so werden nämlich die tatsächlichen Umweltbelastungen voll abgebildet. Darin liegt traditionell eine der tragenden Säulen des Verursacherprinzips, welches einen wirtschaftswissenschaftlichen Ursprung hat. In einer freien Marktwirtschaft wird regelmäßig nur berücksichtigt, was Kosten verursacht.12 Daher müssen Umweltkosten, welche sich nicht in den normalen Herstellungskosten niederschlagen, mit einem Preis versehen und den Unternehmen angelastet und so internalisiert werden. Umweltbelastungen dürfen nicht ohne kostenmäßige Auswirkungen hervorgerufen werden können.13 Kosten zu ihrer Verhinderung und Beseitigung dürfen nicht am Preissystem vorbeigehen, sondern müssen in die betriebswirtschaftliche Einzelrechnung der beteiligten Wirtschaftssubjekte eingestellt werden.14 Beseitigungskosten für Umweltbelastungen sind auch die Kosten zur Reinigung und Entsorgung der im öffentlichen Raum weggeworfenen Einwegverpackungen und Zigarettenstummel. Sie bleiben außen vor, wenn bei den Verpackungen (als sog. Serviceverpackungen) nur die Kosten für die Lizenzierungen 8 Darauf vor diesem Hintergrund reduzierend Calliess, in: ders./Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 191 AEUV Rn. 39. 9 Etwa Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 191 AEUV Rn. 107. 10 Kahl, in. Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 191 AEUV Rn. 97; Krämer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, EU-Recht, 7. Aufl. 2015, Art. 191 AEUV Rn. 51. 11 Calliess, in: ders./Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 191 AEUV Rn. 39. 12 P.M. Huber, ZRP 1994, 396 (396); bereits Luhmann, Zeitschrift für Soziologie 1984, 308 ff. 13 Etwa Paefgen, NuR 1994, 424 (427). 14 Frenz, Das Verursacherprinzip im Öffentlichen Recht, 1997, S. 32. 12
im bisherigen Umfang angelastet werden. Dabei sind diese Abfälle für die Umwelt besonders belastend und ihre Entsorgung ruft gleichfalls Kosten hervor. Auch sie müssen daher den Herstellern angelastet werden, um die externen Kosten zu internalisieren. Dieser Ansatz umfasst auch die sozialen Zusatzkosten, also die Kosten für die Schäden, die eine Wirtschaftseinheit Dritten oder der Allgemeinheit durch umweltgefährdende Maßnahmen verursacht.15 Soweit die Beseitigungskosten für Einwegverpackungen und Zigarettenstummel im öffentlichen Raum noch nicht kostenmäßig abgedeckt sind, gilt es dies nachzuholen, damit auch diese Kosten internalisiert und so auch Vermeidungsanstrengungen unternommen werden, um eine Umweltbelastung zu verhindern. Die umweltgefährdende Maßnahme liegt schon in der Herstellung: Danach nimmt das absehbare Geschehen seinen Lauf. Es ist bereits angelegt und durch die Produktion auf den Weg gebracht, ohne dass der Hersteller noch gegensteuern könnte. Er hat damit den weiteren Ablauf in Kauf genommen und ist deshalb auch für ihn als Verursacher verantwortlich, woraus die Kostentragung folgt. Verursacher ist dabei, „wer die Umwelt direkt oder indirekt belastet, oder eine Bedingung für die Umweltbelastung setzt.“16 Auf eine direkte Verursachung kommt es daher nicht an. Es genügt irgendein Beitrag zum eingetretenen Erfolg im Sinne der Äquivalenztheorie (conditio sine qua non), der auch nicht illegal sein muss.17 c) Beabsichtigte Anreizwirkung Das Verursacherprinzip will sich an die Verantwortung des Einzelnen richten und durch Internalisierung der externen Kosten eine Anreizwirkung zu umweltgerechterem Verhalten erzeugen.18 Auf dieser Linie liegt die Herstellerverantwortung. Die Produkt- und Kostenverantwortung der Hersteller für die Entsorgung ihrer Produkte will Anreize zur Kostenminimierung durch eine umweltgerechte Produktgestaltung und zur Innovation schaffen.19 Die Innovation kann nicht nur in der Entwicklung neuer Recycling- und Verwertungstechnologien liegen, sondern auch und vor allem in der Entwicklung einer neuen Produktgestaltung, welche eine Entsorgung gänzlich entbehrlich macht. Sie steht für einen besonders hohen Umweltschutz, auf welchen Art. 191 Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 AEUV zielt. 15 Grundlegend Kapp, Volkswirtschaftliche Kosten der Privatwirtschaft, 1958; Buchanan/Stubblebine, Economica 1962, 371 ff.; zusammengefasst bei Frenz, Das Verursacherprinzip im Öffentlichen Recht, 1997, S. 32. 16 Etwa Calliess, in: ders./Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 191 AEUV Rn. 38; Kahl, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 191 AEUV Rn. 96 jeweils unter Verweis auf das 1. Umweltaktionsprogramm der Gemeinschaft, ABl. 1973 C 112, S. 1. 17 Kahl, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 191 AEUV Rn. 96. Näher u. d). 18 M.w.N. Frenz, Das Verursacherprinzip im Öffentlichen Recht, 1997, S. 31 ff. 19 Prelle, in: Schmehl/Klement, KrWG, 2. Aufl. 2019, § 23 Rn. 2 unter Verweis auf Erwägungsgrund 27 der AbfallRRL a.F. 13
Gerade für Zigarettenstummel besteht eine solche Notwendigkeit, stehen sie doch wie kaum ein anderes Objekt für die Verschmutzung der Fußgängerzonen, der Landschaft wie auch der Meere. Daher ist insoweit in besonders starkem Umfang eine Anreizwirkung notwendig, die Produktgestaltung zu ändern, so z.B. durch biologisch abbaubare Filter oder durch eine mehrwegtaugliche Form der Tabakdarreichung. Bei sog. To-go-Verpackungen stellt sich die Aufgabe der Ersetzung und gleichfalls der Zurückdrängung. Auch sie tragen in besonderem Maße zur Verschmutzung der Fußgängerzonen, der Landschaft sowie der Meere bei und bilden daher einen der Brennpunkte zur Verwirklichung der EU-Kunststoffstrategie. Umso eher ist ein wirksames Ansetzen am Produktionsprozess notwendig. Es geht um eine umweltgerechte, d.h. langlebige, wiederverwendungs- und recyclingfördernde Produktgestaltung, die durch eine Kostenanlastung und die damit verbundenen Anreize zur Kostenminimierung erreicht werden soll.20 d) Keine Ausklammerung der Herstellerverantwortung durch (ordnungswidriges) Verbraucherverhalten Das Verursacherprinzip erfasst potenziell legale wie illegale Umweltbeeinträchtigungen.21 Damit werden nicht etwa Hersteller ausgeklammert, wenn illegale Vorgänge wie das ordnungswidrige Wegwerfen von Abfällen auftreten. Personell ist der Kreis der Verursacher nicht a priori begrenzt. Es kann sich um Industriebetriebe, allerdings auch um Verbraucher handeln. Letztere verursachen etwa schädliche Produktfolgen schon durch die Tatsache, dass sie bestimmte Erzeugnisse verbrauchen. Indes wird nicht nur die letzte Ursache erfasst. Es genügt irgendein Verursachungsbeitrag im Sinne der Äquivalenztheorie.22 Aber auch die Herstellung ist in diesem Sinne conditio sine qua non. Allein der Verbrauch durch die Konsumenten als zeitlich letzte Ursache etwaiger Umweltbelastungen überlagert mithin nicht eine vorgelagerte Ursache in der Herstellung oder im Vertrieb eines Erzeugnisses und nimmt dadurch nicht Hersteller und Vertreiber von einer Verantwortung aus.23 Zwar ist – in Abgrenzung zum Ursprungsprinzip – allgemein nicht zwingend der Produzent heranzuziehen, wohl aber im Falle der Herstellerverantwortung: Maßgeblich sind nämlich die tatsächliche Ursache der 20 Prelle, in: Schmehl/Klement, KrWG, 2. Aufl. 2019, § 23 Rn. 2 unter Verweis auf Erwägungsgrund 27 der AbfallRRL a.F. 21 S. nur Calliess, in: ders./Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 191 AEUV Rn. 39. Näher Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 23 ff.; Vorwerk, Die umweltpolitischen Kompetenzen, 1990, S. 28 ff.; a.A. früher Krämer, EuGRZ 1989, 353 (354 f.); anders aber jetzt ders., in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, EU-Recht, 7. Aufl. 2015, Art. 191 AEUV Rn. 52. 22 Kahl, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 191 AEUV Rn. 96. 23 Allgemein Rehbinder, Politische und rechtliche Probleme des Verursacherprinzips, 1973, S. 31 ff. 14
Umweltbeeinträchtigung und – im Falle mehrerer Verursachungsbeiträge – Effektivitätsgesichtspunkte. Dabei ist zu beachten, dass den hier angesprochenen Produkten das Geschäftsmodell zugrunde liegt, dass diese Produkte zu großem Anteil im öffentlichen Raum konsumiert werden und daher im öffentlichen Raum als Abfall anfallen. Der öffentliche Raum muss daher zumindest partiell diejenigen Reinigungs- und Entsorgungsfunktionen erfüllen, die bei einer privaten Lebensmittelzubereitung die häusliche Küche und die Hausmüllentsorgung übernimmt. Der Anfangspunkt der Umweltbeeinträchtigung durch Einwegverpackungen ist deren Angebot. Erstere würden Verbraucher erst gar nicht benutzen, wenn nur noch Mehrwegverpackungen in Umlauf wären. Und der Konsum von Zigaretten wird maßgeblich dadurch gesteuert, dass die Hersteller süchtig machende Geschmacksverstärker verwenden. Von daher sind die Hersteller sogar (Zweck)Veranlasser des Verhaltens der Verbraucher; jedenfalls ist dieses vorhersehbar und wird in Kauf genommen. Die Verschmutzung durch Zigarettenkippen wie auch durch Einwegverpackungen wird insbesondere über ihre Zusammensetzung bestimmt. Würden dabei leicht und rückstandsfrei in der Umwelt abbaubare Stoffe verwendet, würde schon einiges für den Umweltschutz gewonnen. Eine entscheidende Verbesserung würde allerdings erst mit der Ersetzung dieser Einwegprodukte durch Mehrweglösungen erreicht. Damit kann nur bei den Herstellern der Umweltschutz wirksam verwirklicht werden. Der Effektivitätsgrundsatz verlangt daher deren Heranziehung. Diese würde die jeweiligen Herstellergruppen erfassen. Eine Zurechnung an einzelne Hersteller ist praktisch unmöglich. Die Inanspruchnahme homogener Verursachergruppen aufgrund einer Gruppenverantwortlichkeit ist eine sehr gebräuchliche Realisierung des Verursacherprinzips.24 e) Entscheidung des Normgebers nach Effektivität Die Hauptschwierigkeit, Maßnahmen auf den Verursacher zu beziehen, besteht normalerweise darin, dass tatsächliche Unsicherheiten darüber bestehen, wer im Einzelfall die Ursache für eine Umweltbeeinträchtigung oder auch nur eine umweltrelevante, möglicherweise umweltschädigende Handlung gesetzt hat.25 Im Falle der Herstellerverantwortung ist die Verursachung sehr klar. Es geht eher darum, das wirksamste Mittel zu finden. 24 Calliess, in: ders./Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 191 Rn. 39 a.E.; Kahl, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 191 AEUV Rn. 98 a.E. 25 Frenz, Handbuch Europarecht Bd. 6: Institutionen und Politiken, 2011, Rn. 4629. 15
Insofern kommt auch ein Vorgehen gegen mehrere Verursachergruppen in Betracht, sofern bei allen hinreichende Anhaltspunkte für einen Verursachungsbeitrag bestehen, ohne dass eine Gruppe sicher ausgeschlossen werden kann. Welche Gruppe in Anspruch genommen wird, entscheidet der Gesetzgeber bzw. allgemein die öffentliche Hand. Sie muss dabei nur eine sachgerechte Auswahl treffen. Wegen der den Hintergrund des Verursacherprinzips bildenden Verhaltensänderung durch Kostenanlastung entsprechend der Konzeption des polluter pays-principles kommen im Bereich der sog. To-go-Verpackungen und der Zigarettenkippen nur die Hersteller in Betracht. Dies steht nicht in Widerspruch dazu, dass die illegale Entsorgung von To-go-Verpackungen und Zigarettenkippen nach Maßgabe des jeweiligen Landes- bzw. Ortsrechts als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann. Denn zum einen umfasst die Herstellerverantwortung nach Art. 8 KunststoffRL sowohl die unzulässige Vermüllung des öffentlichen Raums als auch die zulässige Nutzung der öffentlichen Sammeleinrichtungen. Zum anderen dient das Ordnungswidrigkeitsrecht nicht der Kostenanlastung als Lenkungsimpuls, sondern der Sanktionierung von individuellem Fehlverhalten. Selbst eine Ausweitung der ordnungsbehördlichen Verfolgung illegaler Entsorgungspraktiken der Verbraucher könnte somit die Kostenanlastung bei den Herstellern nicht ersetzen, ganz abgesehen von den hier auseinanderfallenden Gesetzgebungs- bzw. Verwaltungskompetenzen. 5. Gesamtschau mit der Abfallrahmen- und der KunststoffRL a) Ausdruck der Gesamtkonzeption der Produktverantwortung nach der AbfallRRL: Erweiterte Herstellerverantwortung als Regelzurechnungsmodell Das Verursacherprinzip zielt traditionell auf eine Kostenanlastung beim Verursacher. Art. 8 Abs. 2 KunststoffRL sieht eine solche an die Hersteller vor. Dadurch wird das unionsrechtliche Verursacherprinzip konkretisiert. Eine solche Präzisierung erfolgte schon in der AbfallRRL. Nach deren Neufassung in Gestalt der Richtlinie 2018/851 sollen gemäß Erwägungsgrund 26 Hersteller von Erzeugnissen die Kosten tragen, die mit der Erfüllung der für das betreffende Regime der erweiterten Herstellerverantwortung festgelegten Abfallbewirtschaftungsziele und anderer Vorgaben und Zielsetzungen, auch in Bezug auf die Vermeidung von Abfällen, verbunden sind. Diese Festlegung erfolgt auch in Abgrenzung zu anderen Verursachern: „Unter strengen Bedingungen dürfen diese Kosten zusammen mit den ursprünglichen Abfallerzeugern oder Vertreibern getragen werden, wenn das aufgrund des Erfordernisses, die ordnungsgemäße Abfallbewirtschaftung und die Wirtschaftlichkeit des Regimes der erweiterten Herstellerverantwortung sicherzustellen, gerechtfertigt ist.“ Dadurch hat der europäische Gesetzgeber die erweiterte Herstellerverantwortung als Regelzurechnungsmodell etabliert. Sie entspricht der deutschen Produktverantwortung nach § 22 KrWG, die gleichfalls eine sehr starke Herstellerverantwortung etabliert hat – so durch eine 16
intertemporale Solidargemeinschaft der Hersteller von Elektrogeräten, indem auch ältere Geräte zurückgegeben werden dürfen, und das bei anderen Unternehmen als denen, die das Gerät ursprünglich hergestellt haben. Diese weite Konzeption darf auch den unionsrechtlichen Regelungen zugrunde gelegt werden, kam doch die Initiative für die Einführung einer § 22 KrW-/AbfG korrespondierenden Grundnorm auf europäischer Ebene von der Bundesregierung.26 Entsprechend weit ist daher auch diese zu interpretieren und grundsätzlich unterlegt. b) Verhältnis von AbfallRRL und KunststoffRL Art. 8a AbfallRRL und dabei insbesondere dessen Abs. 4 enthält Mindestanforderungen für die nationalen Regime der erweiterten Herstellerverantwortung. Beschränken diese die KunststoffRL bzw. gehen ihr vor? Indes ist die AbfallRRL die allgemeine Richtlinie, die KunststoffRL die spezielle – wie deren Erwägungsgrund 10 deutlich macht. Danach ist die KunststoffRL „lex specialis“ gegenüber den Richtlinien 94/62/EG und 2008/98/EG. Bei Konflikten zwischen den genannten Richtlinien und der vorliegenden Richtlinie hat dementsprechend die vorliegende Richtlinie im Rahmen ihres Geltungsbereichs Vorrang. Erwägungsgrund 10 der KunststoffRL bezieht diesen Vorrang auf Beschränkungen des Inverkehrbringens. „Insbesondere in Bezug auf Maßnahmen für die Verbrauchsminderung, Produktanforderungen, Kennzeichnungsvorschriften und die erweiterte Herstellerverantwortung ergänzt die vorliegende Richtlinie“ nach ihrem Erwägungsgrund 10 „die Richtlinien 94/62/EG, 2008/98/EG und 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates.“ Das ändert aber nichts an dem grundsätzlichen Vorrangverhältnis. Die Anforderungen der AbfallRRL bilden die Basis, welche durch die Anforderungen der KunststoffRL spezifiziert und näher ausgestaltet werden. Damit zählen Letztere und nur dann, wenn sich daraus keine konkreten Anforderungen ergeben, zählen die allgemeinen Anforderungen nach Art. 8a AbfallRRL. Die Grundkonzeption liegt ohnehin weitestgehend parallel. Das gilt auch für die Grenze der Kostenanlastung in Gestalt der kosteneffizienten Bereitstellung von Dienstleistungen der Abfallbewirtschaftung. Diese Kosten werden zwischen den betroffenen Akteuren transparent festgelegt. (Art. 8a Abs. 4 lit. c) AbfallRRL). Diese Grundsätze werden dann allerdings in Art. 8 Abs. 4 KunststoffRL ergänzt. Hingegen ergeben sich Unterschiede auch aus verschiedenartigen Regelungsmaterien. So ist eine Anlastung der Kosten der getrennten Sammlung von Abfällen nach Art. 8a Abs. 4 lit. a) AbfallRRL zwar für die Produktverantwortung allgemein relevant, nicht aber für die Sammlung von in öffentliche Müllbehälter geworfene To-go-Einwegverpackungen und Zigarettenstummel. So wurde diese Vorgabe auch schon nach Art. 8a Abs. 4 lit. a) S. 2 AbfallRRL für Regime der erweiterten Herstellerverantwortung 26 Petersen, ZUR 2007, 449 sowie AbfallR 2008, 159; Prelle, in: Schmehl/Klement, KrWG, 2. Aufl. 2019, § 23 Rn. 6. 17
ausgeschlossen, die nach den Richtlinien 2000/53/EG, 2006/66/EG oder 2012/19/EU eingerichtet wurden. Korrespondierend dazu ist nach Erwägung 22 der KunststoffRL eine getrennte Sammlung für Tabakprodukte nicht erforderlich. c) Umsetzungsfrist für die KunststoffRL Die KunststoffRL sieht in Art. 17 Abs. 1 für die Umsetzung folgende Fristen vor: Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis 3. Juli 2021 nachzukommen. Sie wenden jedoch nach Art. 17 Abs. 1 UAbs. 2 KunststoffRL die für die Erfüllung der folgenden Bestimmungen erforderlichen Maßnahmen wie folgt an: - Art. 5 ab dem 3. Juli 2021; - Art. 6 Abs. 1 ab dem 3. Juli 2024; - Art. 7 Abs. 1 ab dem 3. Juli 2021; - Art. 8 spätestens ab dem 31. Dezember 2024, aber für die vor dem 4. Juli 2018 errichteten Regime der erweiterten Herstellerverantwortung und für Einwegkunststoffartikel gemäß Teil E Abschnitt III des Anhangs spätestens ab dem 5. Januar 2023. Besonders für die erweiterte Herstellerverantwortung wird daher relevant, ob sich die Umsetzungsfrist nach Art. 17 Abs. 1 KunststoffRL auf den 3. Juli 2021 bezieht oder aber eine nationale Gesetzgebung erst zum 5. Januar 2023 bzw. zum 31. Dezember 2024 in Kraft gesetzt sein muss. Schon aus dem Wortlaut ergibt sich eine Differenzierung, aber nur zwischen Umsetzung und Anwendung. Art. 17 Abs. 1 KunststoffRL verlangt eindeutig ein Inkraftsetzen der für die Umsetzung erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften bis 3. Juli 2021. Davon haben die Mitgliedstaaten nach Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 KunststoffRL die Kommission unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Sie sind also nach ihrer Verabschiedung sogleich der Kommission zu melden. Diese Meldepflicht ist der Vorschrift über eine ggf. nachgelagerte Anwendung vorangestellt. Damit scheidet eine gestufte Inkraftsetzung oder gar eine gestufte Verabschiedung der nationalen Bestimmungen aus. Es kann höchstens ein Anwendungsaufschub in dem rechtzeitig verabschiedeten Gesetz bis zu den in Art. 17 Abs. 1 UAbs. 2 KunststoffRL genannten Terminen festgelegt werden. Ein solcher Aufschub ist aber nicht zwingend. Es ist auch eine frühere Anwendung möglich. Art. 17 Abs. 1 UAbs. 2 KunststoffRL formuliert eigens im Hinblick auf Art. 8 KunststoffRL „spätestens“. d) Zwischenfazit Mithin ist der Regelfall die Anlastung beim Hersteller und gerade nicht beim Vertreiber – erst recht damit auch nicht beim Verbraucher oder gar bei der öffentlichen Hand. Damit hat der 18
Unionsgesetzgeber die Kostenanlastung beim Hersteller in Übereinstimmung mit dem Verursacherprinzip nach Art. 191 AEUV konzentriert. Die genauen Regeln und Grenzen ergeben sich aus der KunststoffRL als lex specialis zur AbfallRRL. Auch die Regelungen zur erweiterten Herstellerverantwortung sind bis zum 3. Juli 2021 umzusetzen und in Kraft zu setzen – höchstens die Anwendung kann aufgeschoben werden, nicht aber die nationale Gesetzgebung. 6. Hinzunahme von Art. 1 EGRC Die Notwendigkeit der Kostenanlastung bei den Herstellern ergibt sich tiefergehend aus einer Hinzunahme der Menschenwürde nach Art. 1 EGRC und des Beihilfenverbots gem. Art. 107 AEUV. Als Kern der Menschenwürde wird die Autonomie gesehen.27 Der Einzelne soll sich selbst nach seinen Vorstellungen entfalten können. Die damit verbundene Kehrseite ist die Verantwortung für die Folgen des eigenen Tuns. Ausdruck dessen ist das Verursacherprinzip. Die Selbstbestimmung wird beeinträchtigt, wenn der Staat die Folgenverantwortung für eigenes Tun durch seine eigene austauscht.28 Zwar geht es hier um die Frage der Zurechnung an Firmen. Indes können diese schwerlich gegenüber dem Einzelnen privilegiert werden. Zudem besteht die wirtschaftliche Entfaltung des Einzelnen regelmäßig in unternehmerischen Aktivitäten. Gerade sie bilden in einer freien Marktwirtschaft ein zentrales Betätigungsfeld des eigenverantwortlichen Menschen.29 Dessen Verhalten wird über Anreize gelenkt und damit auch über die Anlastung von Folgekosten entsprechend dem Verursacherprinzip. Dieser Teil der menschlichen Selbstverwirklichung darf daher nicht in seinen Grundlagen ausgeblendet werden. Ansonsten erfolgen Kostenkalkulationen ohne die möglichen Folgen eigenen Tuns und damit ohne die Monetarisierung gemeinwohlschädlicher Auswirkungen. Die Selbstbestimmung im Wirtschaftsleben würde losgelöst von den Auswirkungen. Diese Folgenverantwortung bezieht sich vor allem auf die Umwelt als Grundlage dafür, dass auch in Zukunft noch eigenverantwortliche Entfaltung möglich ist.30 Mitmenschen müssen weiterhin eine menschenwürdige Zukunft haben. Dazu gehört eine dafür taugliche Umwelt. Ansonsten verleugnet sich der Mensch selbst. Er darf nicht die Existenz der Gattung „Mensch“ aufs Spiel setzen.31 Damit 27 Stern, Staatsrecht III/1, 1988, S. 31. 28 Spezifisch im Kontext der atomaren Endlagerung Frenz, EWS 2016, 212; allgemein ders., Das Verursacherprinzip im Öffentlichen Recht, 1997, S. 197 ff. auch zum Folgenden. 29 Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, 1988, S. 67 ff. 30 Frenz, Handbuch Europarecht Bd. 4: Europäische Grundrechte, 2009, Rn. 855 f. 31 S. Hofmann, JZ 1986, 253 (260); näher Frenz, Das Verursacherprinzip im Öffentlichen Recht, 1997, S. 199 f. auch für das Folgende. 19
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