Krankheitsbilder - DIE PATHOLOGISCH-ANATOMISCHE SAMMLUNG IM NARRENTURM - Eduard Winter, Walter Feigl & Karin Wiltschke-Schrotta ...
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Eduard Winter, Walter Feigl & Karin Wiltschke-Schrotta 1. Auflage Krankheitsbilder SAMMLUNGSFÜHRER naturhistorisches museum wien DIE PATHOLOGISCH-ANATOMISCHE SAMMLUNG IM NARRENTURM
Inhalt n Vorwort Seite 3 n Übersichtsplan der Schausammlung Seite 5 n Einleitung Seite 6 n Die Wiener pathologisch-anatomische Sammlung Seite 8 n Pathologie einst und heute Seite 10 n Präparationsmethoden Seite 12 n Allgemeine Pathologie Seite 13 n Spezielle Pathologie Seite 21 n Der Wiener Narrenturm Seite 32 n Bildquellen Seite 34 n Impressum Seite 36 2
Vorwort Der Narrenturm und seine Exponate wer- bildgebende Verfahren, dreidimensionale den meist mit der dunklen und morbiden Röntgenscans und genetische Methoden das Seite Wiens assoziiert – ein Ort, an dem Verständnis für die Entstehung von Krankheiten; Tod und Krankheit nicht verdrängt wer- damit waren die Voraussetzungen für Diagnose den können. Auch wenn die neu aufgestellte und Therapie geschaffen. Schausammlung sehr hell und ästhetisch Das Gebäude, noch heute als Narrenturm be- wirkt, thematisiert sie nach wie vor Gebrechen zeichnet, war für psychisch kranke Menschen des Menschen – geordnet nach verschiede- konzipiert und wurde im 18. Jahrhundert in ei- nen Ursachen und Organen. Sie dokumentiert ner eigenwilligen Architektur errichtet, die auf Krankheiten, die aufgrund des medizinischen ein Faible für Zahlenmystik hinweist. Während Fortschritts in Westeuropa kaum noch vorkom- es für damalige Verhältnisse ein bedeutender men. Sie zeigt aber auch die Bedeutung von Fortschritt war, psychisch Kranke als krank und Ernährung und Lebensstil auf: Der diesbezüg- damit als potentiell heilbar und nicht mehr liche Themenbogen umfasst die Auswirkungen als von bösen Geistern besessen einzustu- von Folsäure- oder Vitamin D-Mangel auf fen, haben moderne Behandlungsmethoden Embryonen und auf das Knochensystem die Therapie des Ankettens längst überflügelt. ebenso wie das Aussehen einer Raucherlunge. Zwar ist „Narr“ auch aktuell kein positiv kon- Erstellt wurde die pathologisch-anatomische notierter Begriff, doch wird die Benennung als Sammlung als wissenschaftliche Sammlung. Narrenturm der Intention und dem Aussehen Sie hat – wie vergleichbare Sammlungen in des Gebäudes eher gerecht als die volkstümli- ganz Europa – entscheidend dazu beigetra- che Bezeichnung Gugelhupf. gen, Krankheitsbilder zu ordnen und Diagnosen Uns, dem Team des NHM Wien, ist die jetzige zu präzisieren. Heute veranschaulicht sie ein- Funktion wichtig: Die Auseinandersetzung mit drucksvoll den Fortschritt in der Forschung: physischen und psychischen Krankheiten und Während zu den frühen Präparaten vor al- damit letztlich mit der Frage: Wer oder was ist lem Beschreibungen existieren, stieg durch der Mensch? Dr. Katrin Vohland Generaldirektorin und wissenschaftliche Geschäftsführerin 3
Vorwort Die im Narrenturm vorgestellte patholo- Kernaufgabe der Pathologie – dar. So können gisch-anatomische Sammlung ist in ihrem wir mit modernen Methoden der Wissenschaft, Umfang und ihrer Breite eine der größten wie molekularen Analysen, die genetischen und damit auch für die heutige, moderne Ursachen von Erkrankungen, aber auch von Medizin von Bedeutung. Wissenschaftliche Infektionskrankheiten auf den Grund gehen. Sammlungen wie diese, angelegt mit der Die Vielzahl der Präparate erlaubt Absicht, einzelne, meist seltene Erkrankungen Untersuchungen von Fragestellungen weit über oder Krankheitsbilder zu dokumentieren, zei- die Einzelbeobachtung hinaus. Damit hat die gen uns nicht nur, woran unsere Vorfahren Sammlung über das historische Interesse hin- litten. Zusammen mit der Dokumentation aus Bedeutung für die heutige Krankheitslehre ihrer Herkunft, Operationsberichten oder und Forschung. Unter diesem Gesichtspunkt Befunden der Histologie und Obduktion wünsche ich allen Interessierten und stellen die Präparate auch heute noch die Betrachter*innen der Sammlung einen lehr- und Grundlage der systematischen Erforschung aufschlussreichen Besuch. von Krankheiten und ihren Ursachen – der Univ. Prof.in Dr.in PhD Renate Kain Organisationseinheitsleiterin des Klinischen Institutes für Pathologie 4
Übersichtsplan der Schausammlung 21 22 23 20 24 19 25 SPEZ IELL SPEC EP AT 18 IAL PAT HOL 26 HO OG E GI LO GY I E TH OLO GY 17 27 TH O OL PAE PA EIN ON EM GES MM 16 28 ALLG Ebene CHIC CO H IST O Floor HTE DES NARRENTU RY OF NAR R ENTU A 15 1 IEG THOLOGY TE HICH RM 14 2 RMS ESC PA OL AND G E PA ICIN O 13 3 D TH E FM RY O ND TO -U H IS 4 IN 12 ME DIZ 11 5 10 6 9 7 9 Kassa/Garderobe 21 Herz-Kreislauf-Pathologie 10 Wr. pathologisch-anatomische Sammlung 22 Neuropathologie 11 Anfänge der Krankheitslehre 23 Atemwegserkrankungen 12 Zweite Wr. Medizinische Schule 24 Erkrankungen des Verdauungssystems 13 Pathologie heute 25 Erkrankungen d. Harn- u. Geschlechtsorgane 14 Pathologie begreifen 26 Erkrankungen des Bewegungsapparates 15 Die Entzündung 27 Hautkrankheiten 16 Infektionskrankheiten 28 Historische Schmiede 17 Tuberkulose 1 Der Narrenturm 18 Tumorpathologie 2 Kunstinstallation 19 Angeborene Krankheitsursachen 3-5 Temporäre Ausstellungen 5 20 Äußere Krankheitsursachen 7 Shop
„Taceant colloquia; effugiat risus. Hic locus est ubi mors gaudet suc- currere vitae“ Schweigen sollen die Gespräche; entfliehen das Lachen. Hier ist der Ort, an dem der Tod sich freut, dem Leben zu helfen. Giovanni Battista Morgagni (1682–1771) Die Schausammlung Die pathologisch-anatomische Sammlung Sammlung gezeigt. Die Räume 10–14 be- wurde 1796 als wissenschaftliche Lehr- handeln die Geschichte der Sammlung und sammlung gegründet. Ursprünglich für Ärzte die Entwicklung der Krankheitslehre von den und Studenten der Medizin gedacht, wurde sie Anfängen bis heute. In den Räumen 10–20 wer- 1974 aus dem universitären Betrieb ausgeglie- den die Grundlagen der Allgemeinen Pathologie dert und eine Schausammlung eingerichtet. mit Themen wie Entzündung, Infektion, Allerdings konnte aus verschiedenen Gründen Tumorerkrankungen, sowie innere und äußere kein einheitliches Konzept verwirklicht werden. Krankheitsursachen thematisiert. Danach folgt Die aktuelle Neuaufstellung ist ein Versuch, das in den Räumen 21–27 die Spezielle Pathologie. zu ändern. Darin werden Krankheitsbilder in den verschie- Die Schausammlung hat das Ziel, denen Organsystemen vorgestellt. die Themen der Pathologie nicht nur Die fachspezifischen Themen wer- Ärzt*innen, Medizinstudent*innen und den mit ausgewählten Beispielen aus dem Krankenpfleger*innen, sondern auch Sammlungsbestand veranschaulicht. Die Schüler*innen und einem interessierten Präparate stammen aus Spitälern; die Provenienz Laienpublikum zu vermitteln. ist erschlossen, zum großen Teil liegen die Die didaktische Aufarbeitung musste sich Obduktionsprotokolle vor. Bewusst werden die an die vorgegebenen Raumstruktur des denk- teilweise historischen menschlichen Präparate malgeschützten Narrenturms anpassen, was verwendet, um die diversen Krankheiten des diesen Museumsbesuch zu etwas Einzigartigem Menschen eindrücklich darzustellen. Der macht. Aktuelle Themen und historische Anspruch einer wissenschaftlichen Sammlung Aspekte werden einbezogen. soll gewahrt werden und auf eine reine In den Räumen 10–27 werden die Inhalte und Inszenierung wird weitestgehend verzichtet. die Systematik der pathologisch-anatomischen Vergrößerter Herzbeutel mit großflächigen Verkalkungen. Das Präparat wurde 1851 von Rokitansky zur Lehrzwecken angefertigt und mittels Heißlufttrocknung konserviert. 6
Die Wiener pathologisch- anatomische Sammlung Die Sammlung pathologisch-anatomischer Laurenz Biermayer (1778–1843) wurde 1812 Präparate, die sich heute im Narrenturm befin- Institutsleiter. Er verwaltete das Museum det, ist mit über 50.000 Präparaten eine der und begann 1813 den bis heute geführten größten dieser Art weltweit. Museumskatalog. Ärzte der Universität Wien begannen bereits Ab 1827 arbeitete Carl von Rokitansky (1804– im 18. Jahrhundert, medizinische Präparate 1878) am pathologisch-anatomischen Institut, zu Lehrzwecken zu sammeln. 1796 grün- zunächst als unbesoldeter Praktikant. Neben sei- dete Johann Peter Frank (1745–1821), Direktor nen Aufgaben als Ordinarius und Professor für des Allgemeinen Krankenhauses Wien, im Pathologie vermehrte er in mehr als 40 Jahren neuen pathologisch-anatomischen Institut den Museumsbestand auf 4.833 Objekte. ein Museum. Er bestellte Aloys Rudolph Vetter 1875 wurde Rokitanskys Schüler Richard (1765–1806) zum unbesoldeten Prosektor und Heschl (1824–1881) sein Nachfolger. Er erwei- Konservator der pathologischen Sammlung. terte das Museum um viele Knochenpräparate. Frühere Sammlungsaufstellung im Museum des im Jahr 1966 erbauten Patholo- gisch-Anatomischen Institutes. Die Präparate befanden sich dort bis 1971. 8
Johann Kundrat (1845–1893), ebenfalls Kustod*innen Rokitansky-Schüler, wurde 1883 Ordinarius Curators in Wien und brachte einen Teil der Grazer Präparatesammlung mit. Im 20. Jahrhundert waren Anton Weichselbaum (1845–1920), Rudolf Maresch Beatrix Patzak (1868–1936), Hermann Chiari (1897–1969) und 1993–2014 J. Heinrich Holzner (1922–2013) Institutsleiter. Unter Chiari begann der engagierte Kustos Karl Portele (1912–1993) die Nachkatalogisierung Karl Alfons Portele nicht inventarisierter Objekte, initialisierte eine 1946–1993 Neuaufstellung und befasste sich mit neuen Präparationsmethoden. Aus Platzgründen musste 1971 die gesamte Sammlung in den Rudolf Maresch Narrenturm übersiedelt werden. Sie wurde 1923–1936 aus dem Allgemeinen Krankenhaus ausge- gliedert und Portele 1974 Direktor des neuen Pathologisch-anatomischen Bundesmuseums. Heinrich Albrecht 1993 übernahm Beatrix Patzak die Leitung des 1920–1922 Museums. Seit 2012 ist die Sammlung dem Naturhistorischen Museum Wien angegliedert. Alexander Kolisko Im Zuge der Renovierung des Gebäudes fand 1916–1918 eine komplette Neustrukturierung der öffentli- chen Schausammlung statt. Anton Weichselbaum 1893–1916 Johann Kundrat 1882–1893 Richard Heschl 1875–1881 Carl v. Rokitansky 1832–1874 Johann Wagner 1829–1832 Laurenz Biermayer 1812–1829 Kustod*innen des Pathologisch- Aloys Rudolph Vetter 1796–1803 anatomischen Museums Johann Peter Frank 1795–1796 9
Pathologie einst und heute Der Begriff „pathologikós“ findet sich bereits In Wien prägte der aus Leiden (Niederlande) in der antiken Heilkunde beim römischen stammende Arzt Gerard van Swieten (1700– Arzt Cornelius Celsus (25 v. Chr.–50 n. Chr.). Er 1772) die medizinische Lehre. Er wurde 1745 bezeichnete damit eine „Person, die kundig im als Leibarzt Maria Theresias nach Wien beru- wissenschaftlichen Umgang mit Krankheit ist“. fen. Er führte die Reformation des veralteten Allerdings dauerte es bis ins 18. Jahrhundert, bis Medizinalwesens durch. Van Swieten holte in Padua der Arzt Giovanni Battista Morgagni Anton de Haen (1704–1776) als Vorstand der (1682–1771) mit seinem fünfbändigen Werk Medizinischen Klinik nach Wien. Zusätzlich zur „De sedibus et causis morborum“ („Vom Sitz klinischen Beobachtung führte er die Sektion als und den Ursachen der Krankheiten“) die patho- ein systematisch angewandtes Verfahren ein. logische Anatomie begründete. In über 700 Von besonderer Bedeutung war im 19. Obduktionen zeigte er den Zusammenhang Jahrhundert das Wirken von Carl von Rokitansky von klinischen Symptomen und Erkenntnissen (1804–1878). 1844 wurde er Ordinarius für pa- bei der Sektion. Im Vordergrund stand nicht die thologische Anatomie, dem ersten derartige „Zergliederungskunst“, wie sie lange Zeit von nLehrstuhl im deutschen Sprachraum. In sei- den Ärzten der Universitäten praktiziert wurde, ner Amtszeit wurden am Institut knapp 60.000 sondern die Beziehung zwischen Organen und Sektionen durchgeführt. Die Ergebnisse der dem Verlauf von Krankheiten. Verbindung von klinischen mit pathologisch- anatomischen Befunden stellte er in seinen Giovanni Battista Morgagni, Begründer Lehrbüchern systematisch dar. Dies brachte der modernen pathologischen Anatomie ihm weltweit den Ruf als „Linné der pathologi- schen Anatomie“ ein. Neben vielen Ehrungen wurde er 1874 von Kaiser Franz Joseph I. in den Freiherrenstand erhoben. Viele Ärzte, wie etwa Josef von Skoda oder Ferdinand von Hebra, suchten Bestätigung ihrer klinischen Diagnosen in Rokitanskys Seziersaal. Josef von Skoda (1805–1881), ab 1845 Vorstand der Internen Medizin, schrieb ein Lehrbuch über Abklopfen (Perkussion) und Abhorchen (Auskultation) – damals moderne Untersuchungsmethoden. Ferdinand von Hebra (1816–1880), Erstbeschreiber verschiedener Hauterkrankungen, erhielt die erste Lehrkanzel für Dermatologie. Der Vergleich der Befunde der Kliniker mit jenen der Pathologen wurde zu einer medizinischen Grundlage. Die Zusammenarbeit von Rokitanksy, Skoda, Hebra und anderen Ärzten der Zweiten Wiener Medizinischen Schule führte 10 zu einer Glanzzeit der Wiener Medizin.
Ein Meilenstein in der Pathologie Medaille zum 100. Todestag Roki- war die Einführung des Mikroskops tanskys, ausgegeben auf der 62. Ta- und damit die Erforschung des gung der Deutschen Gesellschaft feingeweblichen (histologi- für Pathologie in Wien schen) Bildes. Der Pathologe Rudolf Virchow (1821–1902) entwickelte Mitte des 19. Jahrhunderts in Berlin an- der DNA oder RNA ver- hand seiner histologischen mehrt und dann für weitere Erkenntnisse das Konzept der Analyseverfahren verwendet Zellularpathologie, die Grundlage werden. DNA-Sequenzierung der Medizin des 20. Jahrhunderts. ist die Untersuchung der Abfolge Dadurch verschob sich der Schwerpunkt von Nukleotiden, also der chemischen der Pathologie vom Seziertisch zum Mikroskop. Grundbausteine des Erbguts (DNA und Heute werden vor allem zur medizinischen RNA). Damit können auch Abweichungen Diagnose von Patient*innen operativ entfernte (Mutationen) festgestellt werden, was für die Organe bzw. Organteile oder entnommene Diagnose von Tumoren und Erbkrankheiten not- Gewebeproben (Biopsien) von Patholog*innen wendig ist. Auch die DNA/RNA von Erregern histologisch untersucht. Dies ist zum Beispiel wie Bakterien oder Viren kann durch DNA- für die Diagnose oder Klassifikation von Sequenzierung bestimmt werden. Tumoren notwendig. Dazu wird das ent- nommene Gewebe in Formaldehydlösung fi- xiert, entwässert und in Paraffinblöcke ge- gossen. Von diesen werden 2–3 µm dicke Schnitte angefertigt und gefärbt. Im 21. Jahr- hundert stellt die Molekularpathologie das modernste Teil- gebiet der Pathologie dar; sie unter- sucht pathologische Ve rä n d e r u n g e n auf genetischer Ebene. Mittels PCR (Polymerase Chain Reaction) können spe- zifische Abschnitte Histologische Detailabbildung eines Darmtumors (Dickdarmkarzinom) 11
Präparationsmethoden Feuchtpräparate sind Körper oder Körperteile, Um die Körperteile und die Skelette an- die in einer Flüssigkeit fixiert und konser- schaulich zu präsentieren, werden sie montiert. viert wurden. Im 18. und 19. Jahrhundert Weichgewebe wie Magen, Darm oder Herz kön- verwendete man dazu Weingeist. 1855 ent- nen durch langwierige Heißlufttrocknung, die deckte Alexander Michailowitsch Butlerow heute kaum mehr angewendet wird, trocken die chemische Verbindung Formaldehyd. konserviert werden. Ferdinand Blum entwickelte daraus Formalin. Die Moulagen der Sammlung sind drei- Diese Fixierlösung macht Gewebe dauerhaft dimensionale, naturgetreue Darstellungen haltbar, indem die Struktur der Proteine ver- krankhafter Körperregionen in Wachs. Sie ändert wird. Formaldehyd, bekannt auch unter werden durch eine Umkehrtechnik erstellt: den Markennamen Formol und Formalin, hat Herstellung eines Negativs vom Körper mit eine stark biozide Wirkung: Krankheitserreger Gips oder Elastine (einer Abgussmasse, die und Schimmelpilze werden abgetötet. vermutlich mit Gelatine hergestellt wurde, Nach dem Fixieren wird das Präparat in eine deren Rezept aber nicht überliefert ist), ge- Konservierungslösung eingelegt. Kaiserling, folgt vom Ausgießen der Form zur Herstellung Jores und Romhany sind weitere bekannte eines Positivs aus Wachs. Danach wird die Lösungen, meist basierend auf Formaldehyd ausgelöste Wachsform wirklichkeitsgetreu oder Alkohol, die alle nach ihren Erfindern mit Ölfarbe bemalt, mit Stoff eingeschlagen benannt wurden. Feuchtpräparate müssen und auf ein schwarzes Holzbrett montiert. regelmäßig gepflegt werden, verdunstete Moulagen zeigen immer ein individuelles Flüssigkeit muss ersetzt oder verfärbte ausge- Krankheitsbild. Sie sind vor allem in jenen medi- tauscht werden. zinischen Fachrichtungen entstanden, in denen Trockenpräparate sind meist mazerierte Krankheitszeichen auf der Haut zu sehen sind, Knochen oder Skelette. Dabei entfernt man das zum Beispiel in der Dermatologie und in der Weichteilgewebe und entfettet die Knochen. Augenheilkunde. Der zu mazerierende Körperteil wird in einer Flüssigkeit eingeweicht, bis sich die Weichteile lösen lassen. Man unterscheidet Kaltwasser- und Warmwassermazeration (30–40° C), enzy- matische und chemische Mazeration. Die Kaltwassermazeration ist die schonendste, aber auch langwierigste Methode. Bei der enzyma- tischen Mazeration wird das Weichteilgewebe mit Verdauungsenzymen oder Waschmitteln, bei der chemischen Mazeration mit Ammoniak oder Natronlauge aufgelöst. Es gibt auch biologische Verfahren mit aasfressenden Maden oder Käfern. 12
Allgemeine Pathologie Die allgemeine Pathologie befasst sich mit Die Räume 15, 16 und 17, „Entzündung“, grundlegenden Begriffen der Krankheitslehre „Infektion“ und „Tuberkulose“, bilden eine (Pathologie). Zum Beispiel sind Entzündung Einheit. In Raum 15 werden die Vorgänge der und Tumor allgemeine Begriffe, während Entzündung und deren akute und chronische Lungenentzündung und Gebärmutterkrebs Abläufe gezeigt. Raum 16 thematisiert die Krankheiten sind und der Speziellen Pathologie Entzündungserreger und ihre Krankheitsbilder. zugeordnet werden. Auch die Lehre von den In Raum 17 wird die – auch historisch bedeu- Krankheitsursachen (Ätiologie) wird der tende – entzündliche Erkrankung Tuberkulose Allgemeinen Pathologie zugeordnet. Die dargestellt. Allgemeine Pathologie eignet sich gut, um einen Überblick über die Krankheitslehre zu geben. „Hämorrhagische Entzündungen“: Dabei handelt es sich um akute Entzündungen, bei denen es zusätzlich zu starken Blutungen kommt (Grippe, Pocken, Milzbrand). 13
Die Entzündung ist eines der wichtigs- ten Krankheitsphänomene. Es handelt sich dabei um eine Abwehrreaktion auf eine Gewebsschädigung. Die häufigste Ursache sind organische Krankheitserreger wie Viren, Bakterien oder größere Mikroorganismen so- wie Mehrzeller. Ziel der Entzündung ist es, die krankmachende Ursache zu beseitigen. Die sogenannten fünf Kardinalsymptome der Entzündung sind Schmerz (Dolor), Hitze (Calor), Rötung (Rubor), Schwellung (Tumor) so- wie Funktionseinschränkung (Functio laesa). Es gibt akute und chronische Entzündungen. Die akute Entzündung kann mit Bildung von Exsudat (Flüssigkeitsabsonderungen) und eit- riger Abszessbildung einhergehen. Von einer chronischen Entzündung spricht man, wenn der Entzündungsreiz über Wochen bis Jahre im Körper existiert. Der Körper antwortet mit einer Gewebsneubildung, um den Erreger abzukap- seln oder zu eliminieren. Knochenneubildung bei chronischer Entzündung im Oberschenkelknochen Mächtiger Leberabszess bei Amöbenruhr, einer Darmentzündung, die durch para- sitische Einzeller hervorgerufen wird. 14
Bei einer Infektion dringen Krankheitserreger in den Körper ein und werden über die Blutbahn verteilt. Einige Erkrankungen entstehen durch Tröpfcheninfektion auf dem Luftweg (grip- paler Infekt, echte Grippe, Tuberkulose). Andere Möglichkeiten sind Kontakt- oder Schmierinfektion und die Infektion über die Nahrung (Lebensmittelvergiftung, Typhus, Cholera). Krankheiten wie Gonorrhoe (Tripper), Syphilis (Lues) und AIDS werden hauptsächlich Knochenveränderungen des Schädel- daches im dritten Stadium der Ge- schlechtskrankheit Syphilis (Lues). sexuell übertragen. Ob bei Ansteckung eine Krankheit entsteht, hängt davon ab, ob die Haut-Schleimhaut-Barriere vom Erreger über- wunden wird. Auch die krankmachende Wirkung der Mikroorganismen und die Abwehrkraft der Patient*innen spielen eine Rolle. Eine Lokalinfektion bleibt auf den Eintrittsort be- schränkt. Breitet sie sich über die Blutbahn im Körper aus, entsteht eine lebensgefähr- liche Blutvergiftung (Sepsis). Bakterielle Seuchen (Pest, Cholera) sind durch Hygiene und Behandlung mit Antibiotika in Europa fast aus- gerottet, weltweit aber immer noch präsent. Gegen Virusepidemien (Grippe, Masern, Mumps, Röteln, COVID-19) schützen Impfungen. Angina bei Scharlach mit intensiv rot gefärbter Zunge, hervorgerufen durch Streptokokken (in Ketten angeordnete Kugelbakterien). 15
16 Leberzirrhose infolge infektiöser Gelbsucht (Hepatitis): Das Lebergewebe ist verhärtet und zeigt knotige Wucherungen.
Tuberkulose ist eine Krankheit, welche die Menschheit schon seit Jahrtausenden begleitet. Jährlich er- kranken weltweit über zehn Millionen Menschen daran. Im 19. Jahrhundert war sie als „Wiener Krankheit“ bekannt, da in Wien bis zu 20 % der Todesfälle auf Tuberkulose zurückzuführen wa- ren. Erreger ist das Mycobacterium tuber- culosis. Nur etwa 10 % der Infizierten erkran- ken auch daran. In über 75 % der Fälle betrifft Tuberkulose die Lunge, aber sie kann sich im gesamten Körper ausbreiten und auch Knochen Miliare Tuberkulose der Lunge mit zahlreichen oder andere Organsysteme befallen. Heutige verstreuten, hirsekorngroßen Krankheits- Therapien sehen eine Behandlung mit mehre- herden (Milium: lateinisch für Hirsekorn) ren Antibiotika gleichzeitig über Monate hinweg vor. Das ist notwendig, da die Bakterien sehr stark zur Resistenzbildung neigen. In Österreich ist die Tuberkulose meldepflichtig. Reisespucknapf für den hochinfektiösen Auswurf – seit dem Roman „Der Zauber- berg“ von Thomas Mann auch bekannt als „Blauer Heinrich“. 17
Neoplasien oder Tumoren sind Neubildungen aus entarteten Zellen. Es gibt drei Typen: beni- gne (gutartige Tumoren), maligne (bösartige Tumoren), semimaligne Neoplasien (borderline Tumoren). „Krebs“ bezeichnet umgangssprach- lich bösartige Neubildungen, da das Wachstum an ins Gewebe schneidende Krebsscheren erin- nert. Neoplasien haben verschiedene Ursachen. Exogene Krebsauslöser sind chemische, krebs- erregende Substanzen (wie Benzpyren im Zigarettenrauch), Viren und verschiedene phy- sikalische Ursachen (wie etwa radioaktive Strahlung). Auch eine genetische Veranlagung erhöht das Risiko für Tumorerkrankungen. Unter den Viren sind es die Humanen Papillomviren (HPV), die Hautwarzen (Verrucae vulgares) und Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom) aus- lösen. UV-Strahlung kann zu Tumoren der Pigmentzellen führen, ionisierende Strahlen zu Leukämien. Gutartige (benigne) Blutgefäßge- Tochtergeschwülste (Metastasen) eines schwulst (Hämangiom) der Leber Speicheldrüsenkarzinoms in der Lunge. Metastasen sind eine bedeutende Kompli- kation von bösartigen Tumoren. Sie können weit entfernt vom Ur- sprungsorgan im gan- zen Körper auftreten. 18
Unterzahl sind in den meisten Fällen tödlich; es gibt aber Ausnahmen wie etwa Trisomie 21 (Down-Syndrom). Auch Schädigungen des Embryos bzw. Fetus im Mutterleib oder bei der Geburt können zu angeborenen Krankheiten führen. Verursacht werden diese durch äu- ßere Faktoren wie beispielsweise verschiedene Infektionskrankheiten, Medikamente, Alkohol-, Tabak- oder Suchtmittelkonsum aber auch durch Sauerstoffmangel bei der Geburt. Am Brustkorb zusammengewachsene Zwil- Angeborene Fischschuppenkrankheit (Ich- linge (Thoracopagus). Früher als siamesische thyose), ausgelöst durch Gendefekte, die eine Zwillinge bezeichnete Fehlentwicklung. Störung der Hautneubildung verursachen. Die quer verlaufenden Risse der Haut führ- ten zur Bezeichnung „Harlekin-Krankheit“. Ein weiterer Bereich der Allgemeinen Pathologie befasst sich mit „inneren“ und „äu- ßeren“ Schädigungen (Noxen), sie untersucht also, durch welche Ursachen (Ätiologien) die Krankheiten prinzipiell ausgelöst werden. Innere Krankheitsursachen sind entweder ererbt oder auf Schädigungen im Mutterleib zurückzuführen. Sie können durch Defekte im Erbgut – an einzelnen oder mehreren Genen oder von ganzen Chromosomen – hervorge- rufen werden. Gendefekte können spontan entstehen oder vererbt werden. Defekte an den Chromosomen oder deren Über- bzw. 19
Äußere Krankheitsursachen werden in der Medizin als exogene Noxen bezeichnet. Das ist ein Überbegriff für unterschiedlichste schädli- che Einwirkungen auf den Organismus. Unter mechanischen Schädigungen versteht man äußere Kräfte, die in Form von Zug oder Druck auf den Körper einwirken. Sie entstehen durch Unfälle oder durch Gewalteinwirkungen. Vergiftungen finden sich in pathologi- schen Sammlungen nur, wenn sie sichtbare Veränderungen auslösen, wie zum Beispiel bei Arsen und Blei. Thermische Verletzungen sind Verbrennungen und Erfrierungen. In beiden Fällen reichen die Auswirkungen von Rötung und Blasenbildung bis zu Nekrosen (Absterben des Gewebes) und völliger Gewebszerstörung. Erfrierungen, häufig an Fingern, Zehen, Ohren oder Nase, bewirken Durchblutungsstörungen, welche ebenfalls zum Absterben des Gewebes führen können. Beim Durchfließen von Strom wird das Gewebe überhitzt, was zu elektrischen Verbrennungen führt. Außerdem kann der durch Breiter Substanzdefekt des Schädel- daches nach einem Säbelhieb Elektrische Verbrennung den Körper fließende Strom die Erzeugung und Leitung der elektrischen Impulse im Herzen so stören, dass es zu Herzrhythmusstörungen oder Herzstillstand kommt. Röntgen- und radioaktive Strahlen kön- nen, abhängig von Einwirkdauer und Stärke, an der betroffenen Stelle ebenfalls zu massiven Verbrennungen führen. 20
Die Spezielle Pathologie Die spezielle Pathologie ist nach Organen bzw. erster Stelle der Todesursachenstatistik. Organsystemen geordnet. In jedem dieser Organe Eine wichtige Zivilisationserkrankung ist die können Krankheiten wie Tumore, Entzündungen Arterienverkalkung. Es kommt dabei zu einem oder angeborene Erkrankungen, die wir aus der Elastizitätsverlust der Blutgefäße, zur Verkalkung Allgemeinen Pathologie kennen, lokalisiert sein. und Verengung bis hin zum Gefäßverschluss In der Ausstellung werden Krankheiten des Herz- durch Blutgerinnsel (Thrombosen). Sind die Kreislaufsystems, des Zentralnervensystems, Herzkranzgefäße davon betroffen, kann dies zum der Atemwege, des Magen-Darm-Traktes, Herzinfarkt führen. Ohne Behandlung kann ein der Harn- und Geschlechtsorgane, des Herzinfarkt zu einem kompletten Pumpversagen Bewegungsapparates sowie der Haut behandelt. und damit zu akutem Herztod führen. Eine Erkrankungen des Herzens und der Gefäße Herzklappen- oder Herzmuskelentzündung kann (Arterien und Venen) stehen in Europa an zu einer starken Herzvergrößerung führen. Starke Vergrößerung der linken Herzkam- mer bei Entzündung der Aortenklappe 21
Zu den angeborenen Herzfehlern zäh- len Scheidewanddefekte. Eine häufig auftretende Krankheit ist das Venenleiden, das mit Venenerweiterungen (Varizen) – besonders häufig an den Beinen – und Thrombosen ein- hergeht. Solche Thrombosen (Blutgerinnsel in den Blutgefäßen) können sich ablösen und in die Lunge verschleppt werden, wo sie zur ge- fährlichen Pulmonalembolie (Verschluss von Blutgefäßen in der Lunge) führen können. Massiv ausgeweitete Beinvene von der Rückseite des Unterschenkels (Varizen) In dieser Vitrine , die über eine ganze Seiten- wand des Raumes reicht, findet sich eine Sammlung von Erkrankungen des Herzens. Sie reichen vom Herzinfarkt bis zum selte- nen Tumor des Herzens (Vorhofmyxom). 22
Erkrankungen des Zentralnervensystems (Meningitis) auftreten. Gehirntumoren so- (Gehirn und Rückenmark) sind in ihrem Verlauf wie Verletzungen des Zentralnervensystems schwerwiegend und oft lebensbedrohlich. Einige sind besonders gefährlich. Eine Ausweitung betreffen die versorgenden Gefäße, wie etwa die der Hirnkammern nennt man Hydrozephalus Arteriosklerose (Verengung von Blutgefäßen aus- (Wasserkopf). Zu den Erkrankungen mit gelöst durch Fetteinlagerungen) der Hirnarterien Gewebsuntergang (degenerative Erkrankungen) und Gefäßerweiterungen (Aneurysmen). Eine des Gehirns zählt Morbus Alzheimer. häufige Folge dieser Erkrankungen ist der Schlaganfall. Entzündungen können im Gehirn (Enzephalitis) und an den Hirnhäuten Einblutung in die Hirnkammer mit Zerstörung von Hirnsubstanz. Ursache dieser Läsion ist Arteriosklerose und/ oder Bluthochdruck. 23
Wasserkopf (Hydrozephalus) bei ei- nem fünfjährigen Mädchen 24
Die Atemwege (Respirations- trakt) teilen sich in den oberen Respirationstrakt – mit Nase, Nasennebenhöhlen und Kehlkopf – und den unteren mit Luftröhre, Bronchien und Lungenflügeln. Zu den häufi- gen Erkrankungen der oberen Atemwege zählen Schnupfen, Nasennebenhöhlenentzündung und Kehlkopfentzündung. Zu den bösartigen Neubildungen zählt der Kehlkopfkrebs (Larynxkarzinom). Bronchitis ist eine meist virale Entzündung der unteren Luft- wege. Sie führt zur chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), einhergehend mit Verengung der Atemwege, chro- nischem Husten, Auswurf und Atemnot. Eine weitere Erkrankung, bleibende Vergrößerung der Lufträume und da- das Lungenemphysem, verursacht eine mit Atemnot. Andere schwere Erkrankungen sind die Lungenentzündung (Pneumonie), die Tuberkulose so- wie Tumorerkrankungen. Der Lungenkrebs (Bronchialkarzinom) ist eine der häufigsten, oft tödlich verlaufenden Krebserkrankungen. Lungenkarzinom, ausgehend vom rechten Hauptast mit hellen, konzentrisch-kreisförmi- gen Vorwölbungen gegen das übrige, dunkle Lungengewebe. Die Staublungenerkrankung (Si- likose) war früher eine Berufser- krankung bei Asbestarbeitern. Es finden sich kleine, knotige Ver- dichtungen im gesamten Lun- gengewebe, welche die Funktion der Lunge beeinträchtigen. 25
Zum Verdauungstrakt zählen die Speiseröhre (Oesophagus), der Magen-Darm- Trakt, sowie Leber mit Gallenblase und die Bauchspeicheldrüse (Pankreas). Die bekanntesten Entzündungen sind die der Magenschleimhaut (Gastritis), des Wurmfortsatzes des Dickdarms (Appendizitis), der Gallenblase (Cholecystitis), der Leber (Hepatitis) und des Pankreas (Pankreatitis). Infektionserkrankungen wie Ruhr oder Cholera betreffen den Dick- oder Dünndarm. Polypen sind gutartige Tumore des Darms, die auch bösartig entarten können. Darmkarzinome Fettleber: Das Organ ist stark vergrößert sind bei Früherkennung gut behandelbar. (42 cm × 23 cm × 38 cm) und weist eine gelb- Komplikationen wie Darmverschluss und liche Farbe auf. Die Ursache ist ernährungsbe- Metastasen sind Spätfolgen. dingt und/oder übermäßiger Alkoholgenuss. Die Leberzirrhose entsteht durch Zelltod und Vernarbung, verursacht durch Alkohol oder Hepatitisviren. Die Zuckerkrankheit (Diabetes Bauchspeicheldrüse. Der Leberzellkrebs (hepato- mellitus) ist eine Stoffwechselerkrankung, aus- zelluläres Karzinom) und das Pankreaskarzinom gelöst durch Störung der Insulinproduktion in der sind sehr gefährliche, bösartige Tumore. In den unteren Bereich des Magens vorgewölbtes, dick- wulstiges Krebsgeschwür (polypöses Karzinom) 26
Erkrankungen der Nieren und ableiten- den Harnwege können jedes Geschlecht gleichermaßen betreffen. Vor allem Harnwegsentzündungen oder Nierensteine treten häufig auf. Nierensteine können heftige Schmerzen verursachen, sind aber durch mo- derne Ultraschallbehandlung ohne Operation zu entfernen. Auch Karzinome können in jedem Bereich des Harntraktes entstehen, Karzinome der Harnblase treten eher im höheren Lebensalter auf. Harnblasensteine mit typischem, schichtartigen Aufbau Stark vergrößerte Zystenniere (20 cm × 14 cm × 9 cm) mit flüssigkeitsgefüllten Kam- mern. Angeborene Erkrankung (Gendefekt), bei der der Tod jedoch erst im Erwachsenen- alter eintritt, ausgelöst durch die eingeschränkte Filterfunk- tion der kranken Niere. 27
Ausgedehnter bös- artiger Hodentumor (Seminom, 12 cm × 9 cm × 7 cm), der von den samenbildenden Zellen gebildet wird Zu den ge- schlechtsspezifischen Erkrankungen zählen bei der Frau vor allem die gutartigen und bös- artigen Tumoren in der Gebärmutter und in den Eierstöcken. Durch regel- mäßige Krebsabstriche wird der gefährliche Gebärmutterhalskrebs heute früher diagnostiziert und behandelt. In Beim Mann ist die altersbedingte der Schwangerschaft kann es zu Komplikationen Prostatahyperplasie, die zu einer Verengung der wie zum Beispiel Eileiterschwangerschaften oder Harnröhre führt, eine häufige Erkrankung. Das Plazentamissbildungen kommen. Prostatakarzinom ist der dritthäufigste bösar- tige Tumor beim Mann. Maligne (bösartige) Hodentumoren kön- nen bereits in jungem Alter auftreten. Durch den Gynäko- logen Ernst Wert- heim (1864–1920) operativ entferntes Gebärmutter halskarzinom. (Collumkarcinom). Diese Radikalopera- tion reduzierte ein Wiederauftreten der Krebserkrankung. 28
Erkrankungen des Bewegungsapparats be- treffen die Knochen, Gelenke und Muskeln. Das Skelett hat einerseits stützende und schützende Funktionen, andererseits ist es auch ein Stoffwechselorgan. Erkrankungen, die die Stützfunktion beeinträchtigen, kön- nen zu Einschränkungen im täglichen Leben führen. So kommt es bei Osteoporose zum übersteigerten Abbau des Knochengewebes. Eine verminderte Festigkeit und erhöhte Frakturanfälligkeit sind die Folge. Rachitis ist eine Knochenmineralisationsstörung aufgrund von Vitamin D-, Phosphat- oder Kalziummangel. Durch Überbeanspruchung der Gelenke kommt es zu Arthrosen (Gelenksverschleiß). Diese degenerativen Veränderungen tre- ten häufig im Hüft- und Kniegelenk sowie in der Wirbelsäule auf. Funktionsuntüchtige Gelenke kön- nen durch Prothesen ersetzt werden. Bei entzündlichen Erkrankungen des Bewegungsapparates, wie etwa bei Morbus Bechterew, versteifen (ankylo- sieren) die Wirbel und Gelenke. Frische Fraktur des Oberschenkel- schaftes. Sie wurde durch eine mit Schrauben fixierte Metall- platte operativ versorgt. Verkrümmung der Wirbelsäule nach hinten und zur Seite (Kyphoskoli- ose) bei einer 71-jährigen Frau 29
Die Haut ist zugleich Verbindung und schüt- Hautkrankheiten (Dermatologie) ist das zende Grenze des Organismus zur Umwelt. Sie Fach Venerologie (sexuell übertragbare ist unsere fühlende Hülle undvermittelt elemen- Erkrankungen) zugeordnet. Der Name lei- tare Sinneswahrnehmungen wie Berührung, tet sich von „Venus“ – Göttin der Liebe – ab. Temperatur und Schmerz. Die Oberfläche der Dazu gehören die durch Bakterien übertrage- Haut misst je nach Körpergröße bis zu 2 m2. nen Erkrankungen Gonorrhoe (Tripper) und Heute sind ca. 3.000 definierte Haut- Syphilis (Lues). Sie können mittlerweile durch krankheiten bekannt. Sie entstehen durch Antibiotika behandelt werden. Die durch äußerliche Einwirkungen wie Hitze oder Viren verursachte Erkrankung AIDS zählt Chemikalien, als Begleitsymptome ande- seit den 1980er Jahren zu den gefürchtets- rer Organkrankheiten oder im Rahmen ten Geschlechtskrankheiten. Mittlerweile ist angeborener bzw. erworbener Fehlanlagen diese Erkrankung durch intensive Beforschung (Erbkrankheiten bzw. Tumoren). Dem Fach gut therapierbar. Pocken – Der Erreger ist das Poxvirus variolae. Die Pocken waren noch bis in die 1960er-Jahre weltweit verbreitet und wegen der hohen Sterblichkeit (25 %) ge- fürchtet. Aufgrund der Schutzimpfung gelten sie seit 1977 als ausgerottet. 30 Haut- und Schleimhautschäden bei Lues (Syphilis) im zweiten Stadium der Erkrankung
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Der Wiener Narrenturm Außerhalb der Stadtmauer ließ Kaiser Joseph II. konnte man sich auch freiwillig in Behandlung auf dem als Siechenals bekannten Areal das begeben und entlassen. Allgemeine Krankenhaus mit angeschlossener Nach der Schließung des Gebäudes als „Irrenanstalt“ errichten. Am 19. April 1784 ging Psychiatrie im Jahr 1869 wurde das Gebäude die erste Psychiatrie der Habsburger Monarchie für Wirtschaftsräume des AKH genutzt. Ab im neugebauten Gebäude in Betrieb. Von Beginn 1900 nutzten Ärzt*innen, Student*innen an bezeichnete man das Gebäude als Irren- und Pflegepersonal die Räume als oder Narrenturm. Im Volksmund bürgerte sich, Dienstwohnungen. angelehnt an die Form einer bekannten Wiener Leerstehende Zimmer des Narrenturms Mehlspeise, sehr bald der Name „Guglhupf“ standen ab 1971 für die Aufstellung der ein. Das fünfstöckige Rundgebäude, welches pathologisch-anatomischen Sammlung von Joseph II. regelmäßig besucht wurde, mit zur Verfügung. Mit der Übersiedlung des je 28 Zellen pro Stockwerk und einer verbinden- Allgemeinen Krankenhauses wurden 1993 die den Sehne in der Mitte hatte bis in die 1920er Dienstwohnungen und Werkstätten aufgege- Jahre ein hölzernes Oktogon auf dem Dach. ben. Danach wurde der gesamte Turm museal Wofür der Kaiser diesen Raum nutzte, ist leider genutzt. 2012, im Zuge der Eingliederung der nicht überliefert. Sammlung in das Naturhistorische Museum, Psychisch Kranke wurden damals zum ersten begann die Renovierung des denkmalgeschütz- Mal als behandelbare Patient*innen gesehen. ten Gebäudes mit budgetärer Unterstütztung Neben streng geregelten Zwangseinweisungen des Bundes. Blick von der Spi- talgasse auf den Nar- renturm mit Oktogon am Dach; Foto vom Beginn des 32 20. Jahrhunderts
1784 Eröffnung des Allgemeinen 1870–1993 Nutzung als Wirtschaftsgebäude für Krankenhauses (AKH) mit der neu erbau- das AKH, im Erdgeschoß Handwerkertrakt ten Irrenanstalt im Irrenthurm durch 1905 Adaption der Räumlichkeiten als Kaiser Joseph II. Wohnungen für Bedienstete des AKH 1817 Die Irrenanstalt im Turm wird eine eigene 1906–1993 Wohnheim für Pflegepersonal, Abteilung des AKHs mit einem Primararzt. Ärzt*innen und nichtmedizinisches „Eine psychische Behandlung kann Personal, im Erdgeschoß weiterhin mehr erreichen als Gitterfenster und Handwerkertrakt Zwangsjacken!“ (Dr. Bruno Görgen, 1971 Übersiedlung der pathologisch-anato- 1777–1842, Primarius der Irrenanstalt mischen Sammlung in den B-Stock des im k. k. allgemeinen Krankenhaus) Turmes 1839 Entfernung von 30 Zentnern 1974–2012 Pathologisch-anatomisches Bundes- (ca. 1,7 Tonnen) Ketten (unter Prof. museum Michael von Viszánik 1792–1872, 1993 Verkauf des AKH (und damit auch des Primararzt der k. k. Irrenanstalt zu Wien) Turmes) durch die Stadt Wien an die 1853 Teilweise Absiedelung der Patient*innen Universität Wien in die neu erbaute Niederösterreichische 2012 Eingliederung des Pathologisch- Landes-Irrenanstalt am Bründlfeld anatomischen Bundesmuseums in das 1859 Versorgungsanstalt für die im Turm Naturhistorische Museum verbliebenen „lauten, unreinen und 2012 Beginn der Generalsanierung des tobenden Insaßen“ Gebäudes 1869 Schließung der Versorgungsanstalt im 2021 Eröffnung der neu gestalteten Dauer- Turm wegen Unzweckmäßigkeit ausstellung Neu renovierter Narrenturm 2021 33
Bildquellen Sofern nicht extra angeführt: Bilder von Wolfgang Reichmann © NHM Wien Deckblatt: Lungenemphysem (Pulmo emphysematosus, Anthracosilicose), um 1920, MN 19.621 (Formalinpräparat) Seite 5: Übersichtsplan Ebene A, Grafik: Rosemarie Hochreiter © NHM Wien Seite 7: Vergrößerter Herzbeutel mit Verkalkung (Pericardium potissima sui parte ossificatum), 1851, MN 3.036 (Trockenpräparat) Seite 8: Die pathologisch-anatomische Sammlung im Museum des Institutes für Pathologie (bis 1971); Foto: Archiv pathologisch-anatomische Sammlung Seite 9: Kustod*innen der pathologisch-anatomischen Sammlung; Grafik: Rosemarie Hochreiter © NHM Wien Seite 10: Giovanni Battista Morgagni (1682–1771), Kopie Holzschnitt, 18. Jahrhundert Seite 11: Rokitansky Medaille, 1978, MN 21.296 | Histologische Detailabbildung eines Darmtumors (Dickdarmkarzinom); © Christian Franke Seite 13: Vitrine Hämorrhagische Entzündungen, Raum 15; Foto: Alice Schumacher © NHM Wien Seite 14: Knochenmarksentzündung (Osteomyelitis femoris sin. cum fistulis Sequester), 1859, MN 2.711 (Trockenpräparat) | Folgen der Amöbenruhr (Abscessus hepatis entamoeba histo- lytica affectus), 1930, MN 7.390 (Formalinpräparat) Seite 15: Scharlach (Scharlachangina mit Himbeerzunge) 1915, MN 16.921 (Moulage) | Knochenver- änderungen des Schädeldaches im dritten Stadium der Geschlechtskrankheit Syphilis (Lues), 1852, MN 5736 (Trockenpräparat) Seite 16: Leberzirrhose infolge infektiöser Gelbsucht (Hepatitis), 1949, MN 23.405 (Formalinpräparat) Seite 17: Lungentuberkulose (Tuberculosis miliaris pulmonum. Perforatio lymphonodi tbc. in venam cavam superiorem), 1954, MN 10.488 (Formalinpräparat) | Blauer Heinrich, Reisespucknapf, ca. 1930, MN 31.871 Seite 18: Metastasen in der Leber (Carcinoma metastaticum hepatis post carcinoma pylori progre- diens in venam portae), 1929, MN 7.446 (Formalinpräparat) | Blutgefäßtumore unter der Leberkapsel (Haemangiomatosis. Hepar., Morbus Osler), 1962, MN 14.596 (Formalinpräparat) 34 Seite 19: Neugeborenes mit einer besonders schweren Form der Fischschuppenkrankheit (Ichthyosis congenita), 1911, MN 16.917 (Moulage) | Am Brustkorb zusammengewachsene Zwillinge
(Thoracoischiopagus tripus tribrachius), 1885, MN 4.578 (Formalinpräparat) Seite 20: Strommarke am Zeigefinger und Verbrennungen an der Handfläche (Strommarke volar dig. II. multipl. Nekrosen), 1952, MN 32.964/23 (Formalinpräparat) | Säbelhieb, 1860, MN 5.720 (Trockenpräparat) Seite 21: Erworbener Herzfehler (Endocarditis ulcerosa), 1890, MN 8.293 (Formalinpräparat) Seite 22: Krampfadern (Varizen), 1935, MN 18.603 (Formalinpräparat) | Vitrine mit Herzerkrankungen, Raum 21; Foto: Alice Schumacher © NHM Wien Seite 23: Einblutungen in die Hirnsubstanz (intrazerebrale Blutung), ca. 1970, MN 31.161 (Formalinpräparat) Seite 24: Wasserkopf bei einem fünfjährigen Kind (Hydrocephalus), 1878, MN 3.605 (Trockenpräparat) Seite 25: Lungenkrebs (Carcinoma pulmonis dextri e carcinomate bronchi), 1886, MN 8.252 (Formalinpräparat) | Staublungenerkrankung (Silikose), ca. 1960, MN 30.268 (Formalinpräparat) Seite 26: Fettleber (Cirrhosis hepatis hypertrophicans steatosa sec.), 1983, MN 21.298 (Formalin- präparat) | Magenkarzinom (Carcinoma ventriculi), 1947, MN 11.798 (Formalinpräparat) Seite 27: Blasensteine (Calculi urinaria), 1830, MN 1.260 (Trockenpräparat) | Zystenniere (Cystenniere), 1956, MN 32.301 (Formalinpräparat) Seite 28: Hodentumor (Seminoma testis sinistri), um 1960, MN 14.920 (Formalinpräparat) | Operationspräparat eines Kollumkarzinoms nach Wertheim (Carcinoma uteri), 1906, MN 15.039 (Formalinpräparat) Seite 29: Oberschenkelfraktur (Fractura femoris partis superioris. lateralis dex.), um 1980, MN 22.228 (Trockenpräparat) | Wirbelsäulenverkrümmung (Kyphoskoliosis), 1890, MN 23.962 (Trockenpräparat) Seite 30: Echte Pocken (Variola vera), 1915, MN 16.244 (Moulage) Seite 31: Syphilis (Kleinpapulöses Syphilid), 1896, MN 17.614 (Moulage) Seite 32: Blick von der Spitalgasse auf den Narrenturm mit Oktogon am Dach, Foto, aufgenommen zu Beginn des 20. Jahrhunderts; Foto: Archiv pathologisch-anatomische Sammlung Seite 33: Neu renovierter Narrenturm 2021; Foto: Alice Schumacher © NHM Wien 35 Rückseite: Narrenturm bei Nacht 2021; Foto: Kurt Kracher © NHM Wien
Impressum Autor*innen | Eduard Winter (NHM Wien) Univ.-Prof. DDr. med. Walter Feigl (Medizinische Universität Wien) Dr. Karin Wiltschke-Schrotta (NHM Wien) Redaktion | Dr. Andreas Kroh Abbildungen | Wolfgang Reichmann Layout & Grafik | Dr. Andreas Kroh Mag. Andrea Krapf Lektorat | Anton Kroh Mag. Dr. Brigitta Schmid, MSc Mag. Eva Zimmermann, MA Cover | Wolfgang Reichmann (Foto) Dr. Andreas Kroh (Design) Druck | Gerin Druck GmbH, Wolkersdorf Eigentümer und Verleger: Verlag, Naturhistorisches Museum Wien, w. A. ö. R. Burgring 7, 1010 Wien, Österreich; E-Mail: verlag@nhm-wien.ac.at © 2021 Alle Rechte vorbehalten. Für den Inhalt sind die Autor*innen verantwortlich. Link zur Offenlegung gem. §25 MedienG: https://www.nhm-wien.ac.at/impressum Titelbild (Vorderseite): Lungenemphysem (Pulmo emphysematosus, Anthracosilicose), um 1920; ausgedehntes Lungenemphysem bei einer Staublungenerkrankung (Trockenpräparat) Titelbild (Rückseite): Narrenturm in der blauen Stunde ISBN 978-3-903096-40-0
Gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens, Gerin Druck GmbH, Wolkersdorf, UW-Nr. 756 Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling. EU Ecolabel awarded printed paper. Platzhalter Logo EU Ecolabel: AT/0xx/0xx
Wie verläuft eine Entzündung? Wozu dienen Moulagen? Was ist ein „Blauer Heinrich“? Dies und viele weitere Fragen beantwortet die neu gestaltete Dau- erausstellung der pathologisch-anatomischen Sammlung im Narrenturm. 9 783903 096400 ISBN 978-3-903096-40-0 © Naturhistorisches Museum Wien, 2021
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