Kunststadt stadtkunst - BBK-Kulturwerk

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Kunststadt stadtkunst - BBK-Kulturwerk
kunststadt                                                  62

stadtkunst

 INFORMATIONSDIENST des kulturwerks des bbk berlin   2015
Kunststadt stadtkunst - BBK-Kulturwerk
Vorderseite oben: NEOZOON: Is the grass always green on the other side?, Berlin Friedrichshain-Kreuzberg, Kindernotdienst, Böcklerstraße, Juli 2014, Foto: Thorsten Goldberg Vorderseite unten: Tobias Rehberger: Ohne Titel, Berlin Lichtenberg, Nils-Holgersson-Schule, Otto-Marquardt-
               Straße, März 2015, Foto: Britta Schubert Rückseite oben: Blu: Übermalung des Wandbildes, Berlin Kreuzberg, Cuvrybrache, Dezember 2014, Foto: Christian Mang „in 2007 and 2008 i painted two walls at Cuvrystraße in Berlin (with the support of Lutz, Artitude and its volunteers) in 2014,
                           after witnessing the changes happening in the surrounding area during the last years, we felt it was time to erase both walls.“ http://blublu.org Rückseite unten: AG „Hellersdorfer Illustrierte“, Wandzeitung, Neue Grottkauer Straße, Februar 2015, Foto: AG Kunst im Untergrund

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 INHALT                                                                                      EDITORIAL
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Editorial | 2
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  TAUWETTER?
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 KULTURPOLITIK
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Gestaltungswettbewerbe | Funktionalitätszwang statt künstlerische Freiheit |
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Elfriede Müller, Martin Schönfeld 3
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  V    or einem Jahr, als die letzte Ausgabe von kunststadt/stadtkunst herauskam,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       schien eine Eiszeit ausgebrochen zu sein zwischen Künstler/innen und Lan-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  desverwaltung. bbk berlin, Künstlerbund und Architektenkammer hatten ihre
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Durchregieren oder Partnerschaft?                                                              Mitgliedschaft im Beratungsausschuss Kunst vorübergehend ausgesetzt. Seit-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Was seitdem geschah ... | Elfriede Müller 5                                                    dem ist viel passiert, ein neuer Staatssekretär hat seine Arbeit aufgenommen,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Zum Einsatz prinzipiengeleiteter Auswahlgremien in der öffentlichen Kunstförde-                eine Anhörung im Kulturausschuss zu Kunst im öffentlichen Raum hat auch die
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   rung | Eckhard Braun 6                                                                         Politiker/innen des Landes Berlin für das Thema sensibilisiert.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Wider die Daumen rauf und runter Mentalität | Christine Edmaier 9
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Nachträglicher Kommentar mit Blick auf das Themenfeld Kunst im öffentlichen                       Die Beiträge der Veranstaltung vom . August  Durchregieren oder Part-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Raum | Rainer W. Ernst 9                                                                       nerschaft? vollziehen die Debatte nach und erläutern die Grundlagen einer er-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Mitbestimmung ist notwendig! | Fachbeiräte als Grundstein des demokrati-                       folgreichen Zusammenarbeit von Künstler/innen und Verwaltungen. Auch
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   schen Kunstauftrags | Martin Schönfeld 10                                                      wenn das Eis noch nicht ganz gebrochen ist, so befinden wir uns doch in einer
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  viel versprechenden Tauwetterphase.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 KUNST IM STADTRAUM                                                                                  Aber dennoch bleibt weiter viel zu tun. Unser Leitartikel befasst sich mit ei-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Next Stop: station urbaner kulturen | Die Kunst im Untergrund recherchiert auf                 nem weniger attraktiven Thema, das für bildende Künstler/innen eine Zumu-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   der U-Bahnlinie 5: Was ist draußen? 13                                                         tung darstellt: Die Gestaltungswettbewerbe. Es wird eine Bilanz der drei durch-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  geführten Wettbewerbe gezogen und eine strukturelle Analyse dieser Verfahren
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  durchgeführt. Renata Stih fühlt dem Gestaltungswettbewerb Denkzeichen Rum-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 KUNST UND GEDENKEN                                                                               melsberger Bucht aus künstlerischer Sicht auf den Zahn.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Was hat das mit Kunst zu tun? | Bemerkungen zum nichtoffenen Gestaltungs-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   wettbewerb „GEDENKORT RUMMELSBURG“ | Renata Stih 15                                               Demgegenüber war im letzten Jahr die konsequente Anwendung der Anwei-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Wettbewerb für ein Deserteurdenkmal | In Hamburg entsteht ein Gedenkort für                    sung Bau in den Bezirken Lichtenberg und Steglitz-Zehlendorf besonders er-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz | Stefanie Endlich 17                         freulich. Sie zeigten, dass mit Sachverstand und demokratischer Überzeugung,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Die drei Gründerväter | Denkzeichen für Max Reinhardt, Hans Poelzig und Erik                   vorbildliche Kunstwettbewerbe in kurzer Zeit in Anbindung an die geltenden
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Charell am Friedrichstadt-Palast Berlin | Hildtrud Ebert 19                                    Regelwerke nicht nur transparent durchgeführt werden können, sondern auch
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   „Aids Kunst Grab“ | Zweistufiger Kunstwettbewerb für die Neugestaltung des                     künstlerisch überraschende und hervorragende Ergebnisse hervorbringen. Al-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Aids-Gemeinschaftsgrabes auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schö-                   lein diese Erfahrungen machen „graue Verfahren“ außerhalb der Regelwerke
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   neberg | Katja Jedermann, Karen Scheper 20                                                     schlicht überflüssig. Diesen pragmatischen Modellen stehen explodierende Ver-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  fahrenskosten in den Wettbewerben auf Landesebene gegenüber. Die Einstel-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  lung der Verfahrenskosten in die Baunebenkosten bleibt uns deshalb als wichti-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 INTERNATIONALES                                                                                  ge Forderung erhalten.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Funding Public Art in the United States | Zachary Smith 22
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   TURIN | Identity between urban regeneration and new models of artistic produc-                    Die Bilanz des letzten Jahres ist trotz vieler Anstrengungen und Bemühun-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   tion in their social context | Nicoletta Daldanise, Irene Pittatore 23                         gen, die nicht direkt mit unserer Aufgabe – der Umsetzung der Anweisung Bau
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Auf der Überholspur in Brasilien? | Multimediale Projekte als Artist in Resi-                  und der Begleitung von Kunstwettbewerben im Dienste der Künstler/innen –
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   dence in Porto Alegre, Brasilien | Sandra Becker 24                                            zu tun haben, positiv. Die Zusammenarbeit zwischen den Künstlerverbänden
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  und der Architektenkammer hat Horizonte und neue Perspektiven eröffnet und
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  deutlich gemacht, wie nötig und fruchtbar starke Interessensvertretungen sind,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 WETTBEWERBE                                                                                      vor allem wenn sie gemeinsam handeln und vor Auseinandersetzungen nicht
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Von Sieg und Niederlage | Der Kunstwettbewerb für das Schul- und Leistungs-                    zurückschrecken. Dafür möchten wir allen Kolleg/innen ganz herzlich danken!
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   sportzentrum (SLZB) in Berlin-Hohenschönhausen | Candy Lenk 26                                 Ein besonderer Dank gilt auch allen Künstler/innen, die sich in diesem Kontext
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Ein Bild von Sport | Der Kunstwettbewerb zum Neubau der Sporthalle Goethe-                     engagiert haben, denn es hat sich gelohnt, und der Protest hat sich ausgezahlt,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Oberschule Berlin-Lichterfelde | Stefan Krüskemper 27                                          auch wenn noch nicht alle notwendigen Schritte, die zur Aufrechterhaltung der
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Wirkungskräfte im Raum | Der Kunstwettbewerb zum Erweiterungsbau der Max                       Wettbewerbskultur nötig sind, vollzogen wurden.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   von Laue-Schule Berlin-Lichterfelde | Monika Goetz 28
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Spring | Sporthalle für die Heinrich-Roller-Grundschule | Susanne Ahner 30
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Wo Bau und Baum sich kreuzen | Der Kunstwettbewerb zum Erweiterungsbau                                                      BÜRO FÜR KUNST IM ÖFFENTLICHEN RAUM
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   des Arndt-Gymnasiums in Berlin-Dahlem | Martin Schönfeld 31                                                    ELFRIEDE MÜLLER, MARTIN SCHÖNFELD, BRITTA SCHUBERT
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Eine Frage an die Zukunft | Der Kunstwettbewerb zum Grundschulneubau
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Habichtshorst in Berlin-Biesdorf | Karin Scheel 32
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Kunst in der „Grünen Amöbe“ | Stéphane Bauer 34
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Wortsplitter und Codes | Kunstwettbewerb für die Mildred-Harnack-Schule
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   in Berlin-Lichtenberg | Volker Andresen 37
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Schülernamenschulfassade | Kunst am Bau Wettbewerb an der Karlshorster
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Grundschule | Roland Fuhrmann 38
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Planerische Ironie | Kunstwettbewerb für die Grundschule in der Dolgenseestra-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   ße 60 in Lichtenberg | Elfriede Müller 39

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 INFOS
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                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Wanted | 42
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Glossar | 42
kunststadt stadtkunst 62 |

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Impressum: Informationsdienst des Kulturwerks des berufsverbandes bildender künstler berlin GmbH | Herausgeber: Kulturwerk des berufsverbandes bildender künstler berlin GmbH
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Redaktion: Elfriede Müller, Martin Schönfeld, Britta Schubert | Redaktionsanschrift: Büro für Kunst im öffentlichen Raum | Köthener Straße 44 | 10963 Berlin | Email: kioer@bbk-kulturwerk.de
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 www.bbk-kulturwerk.de | Tel: 030-23 08 99 30 | Fax: 030-23 08 99-19 | Layout: Max Grambihler | Druck: hinkelsteindruck | Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos übernimmt die
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Redaktion keine Haftung. | Für namentlich gekennzeichnete Beiträge haftet der Autor. | Wenn nicht anders verzeichnet, stammen die Fotos von den angegebenen Künstler/innen.

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Kunststadt stadtkunst - BBK-Kulturwerk
GESTALTUNGSWETTBEWERBE
                                                     Funktionalitätszwang statt künstlerische Freiheit

                                                                                                                                                                               Helga Lieser, Gedenkort Rummelsburg, Berlin Lichtenberg 2015,
                                                                                                                                                                                                                        Foto: Britta Schubert

                       Ursula Wilms, Nikolaus Koliusis und Heinz W. Hallmann: Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde, Berlin Mitte, Tiergartenstraße 4, November 2014, Fotos: Britta Schubert

D    ie Bilanz der Ära Wowereit sieht für die Kunst im öf-
     fentlichen Raum nicht viel anders aus als für den
Flughafenneubau BER/BBI. Nicht nur, dass unter dem Auf-
                                                                             am Ort der Planungszentrale Tiergartenstraße  Berlin“ ge-
                                                                             schafft, im Tätigkeitsfeld künstlerischer Professionen Anwen-
                                                                             dung zu finden. Doch werden Gestaltungswettbewerbe der
                                                                                                                                                                 der Federführung von Künstler/innen und Gestalter/innen
                                                                                                                                                                 (der Beruf Diplom-Gestalter/in ist gesetzlich geschützt, aber
                                                                                                                                                                 ohne Interessensvertretung) in Zusammenarbeit mit Land-
sichtsratsvorsitzenden Wowereit und unter der Beteiligung                    Fachlichkeit dieser Professionen nicht gerecht und reduzieren                       schaftsarchitekt/innen. Das vorgeschaltete Auswahlgremium
der Fachverwaltungen der Länder Berlin und Brandenburg                       die Kunst auf die Schaffung instrumenteller Informations-                           ist in seiner Zusammensetzung bis heute öffentlich nicht na-
die Wettbewerbsrichtlinien außer Kraft gesetzt wurden,                       und Gedenkorte, die auf die Bedürfnisse von Verwaltungen                            mentlich bekannt. Wie in anderen, vom Land Berlin zusam-
die Berliner Wettbewerbskultur erlebte in dieser Zeit auch                   zugeschnitten werden, aber mit zeitgenössischen Formen der                          mengesetzten vorgeschalteten Auswahlgremien gehen wir
manch andere Schlappe auf Kosten der Künstler/innen und                      Kunst im öffentlichen Raum nur selten etwas zu tun haben                            davon aus, dass es sich hauptsächlich aus Verwaltungsmitar-
der Kunst. Die Freischaltung der Innenstadt zur internatio-                  und deren Potenzial nicht ansatzweise ausschöpfen.                                  beiter/innen zusammengesetzt hat und Künstler/innen darin
nalen Partymeile ging einher mit dem Ausverkauf der Kieze                                                                                                        nicht vertreten waren, obgleich dieses Gremium die Aufga-
und des Immobilienbestands von Land und Bund, was selbst-                       Die Richtlinien für Planungswettbewerbe (RPW ) se-                           be eines Preisgerichts übernommen hatte: nämlich unter 
verständlich auch Auswirkungen auf die Kunst hat. Obwohl                     hen in ihren Grundsätzen § vor: „Diese Richtlinie kann auch                        eingereichten Bewerbungen  Teams auszuwählen. So wies
die zeitgenössische Kunst Berlin Ruhm und Ehre bringt,                       für Wettbewerbe im Bereich Kunst und Design Anwendung                               dieser erste Gestaltungswettbewerb bereits im Vorfeld demo-
wird weder in künstlerische Produktionsbedingungen noch                      finden.“ Der Gestaltungswettbewerb kommt darin nicht vor                            kratische Defizite auf: Künstler/innen von Entscheidungen,
in Künstler/innen investiert. Der radikale Abbau der öffent-                 und ist auch anderweitig als Wettbewerbsverfahren nicht de-                         die zu künstlerischen Gestaltungen führen, auszuschließen!
lichen Dienste und der Senatsverwaltungen führte parallel                    finiert. Damit stellt die Durchführung von Gestaltungs- an-                         Über ein anderes Defizit dieses Wettbewerbes, die geringe
auch zu einem Abbau demokratischer Beteiligung von Künst-                    stelle von Kunstwettbewerben einen Verstoß gegen die RPW                            Aufwandsentschädigung ( Euro für eine Arbeitsgruppe
ler/innen an künstlerischen Entscheidungen. So absurd es                     dar.                                                                                von drei Personen) haben die Berliner Presse und kunststadt/
klingen mag, verstärkte der Stellenabbau in den Verwaltun-                                                                                                       stadtkunst bereits ausführlich berichtet.
gen nicht die demokratische Beteiligung der Künstler/innen,                     Warum aber ersetzt diese Wettbewerbsform vor allem bei
was wiederum auch zu einer Entlastung der immer weniger                      Gedenkzeichen im Land Berlin nach und nach die bewähr-                                 Laut RPW müssen die Fachpreisrichter/innen dieselbe
werdenden Mitarbeiter/innen führen könnte, sondern führ-                     ten Kunstwettbewerbe? Welche Interessen werden damit                                Qualifikation besitzen wie die eingeladenen Teilnehmer/in-
te zum Gegenteil. Langsam und schleichend wurde in den                       verfolgt und welche Auswirkungen hat diese – im Bereich der                         nen. Unter den sechs Fachpreisrichter/innen des T  Verfah-
letzten Jahren die Beteiligung von Künstler/innen und deren                  Kunst relativ neue Wettbewerbsform – für die Künstler/in-                           rens fand sich eine Künstler/in, zwei versierte Kunstsachver-
Interessensvertretung an Auswahlgremien eingeschränkt                        nen und die Kunst?                                                                  ständige, drei Architekt/innen, eine erhielt den Vorsitz, ein
                                                                                                                                                                                                                                                  kunststadt stadtkunst 62 | KULTURPOLITIK

und die Verwaltung selbst – mit der Begründung der Kosten-                                                                                                       anderer war der ständig anwesende Stellvertreter. Die Jury
ersparnis – übernahm die Funktion von Fachpreisrichter/in-                      Der im folgenden T  genannte erste Gestaltungswettbe-                           hatte die schwere Aufgabe, für eine überfrachtete Aufgaben-
nen, statt die Bedingungen unabhängiger Preisgerichte und                    werb wurde  vom Bund und Land Berlin ausgelobt. Er kann                         stellung unter  Entwürfen auszuwählen. Auch die in Berlin
transparenter Verfahren zu gewährleisten. Die Einführung                     als Paradigma für andere Gestaltungswettbewerbe dienen,                             höchste Realisierungssumme von . Euro war dafür
von Gestaltungswettbewerben für künstlerische Aufgaben,                      deren Mängel fast identisch sind. Zunächst wurde weder das                          zu knapp kalkuliert. Die Produktions- und Unterhaltskosten
vor allem auf dem Gebiet der Gedenkkultur, ist ein weiteres                  Verfahren, noch die Aufgabenstellung oder die Zusammen-                             waren zum Zeitpunkt der Jurysitzung weder kalkuliert noch
Beispiel der Einschränkung künstlerischer Freiheit, der In-                  setzung der Jury im dafür zuständigen Beratungsausschuss                            gesichert. Mittlerweile wurde der Siegerentwurf von Ursula
dienstnahme der Kunst für Verwaltungszwecke und der Gän-                     Kunst (BAK) empfohlen und beraten, sondern von einem ei-                            Wilms, Nikolaus Koliusis und Heinz W. Hallmann realisiert.
gelung von Künstler/innen.                                                   gens dazu einberufenen Runden Tisch, der seit  tagte und                        Die hellblaue Glaswand vor der Philharmonie hat in der
                                                                             zu dessen Sitzungen Künstler/innen nicht eingeladen waren.                          Kunstwelt weder Aufsehen erregt, noch wurde sie als neuer
   Das Land Berlin führt seit  aus den Mitteln für Kunst                 Obgleich ein Kunstwerk verlangt wurde, entschied sich der                           Beitrag zur internationalen Gedenkkultur wertgeschätzt.
am Bau und Künstlerische Gestaltungen im Stadtraum                           Auslober, einen Gestaltungswettbewerb mit vorgeschaltetem
(Haushaltstitel ) sogenannte „Gestaltungswettbewer-                     internationalen Bewerberverfahren durchzuführen, auch                                 Der zweite vom Land Berlin ausgelobte Gestaltungswett-
be“ durch. Dieser Begriff aus dem Hobby- und Freizeitbereich                 wenn die am Runden Tisch minoritär vertretenen Kunstsach-                           bewerb betraf das „Gedenken an die Baruch-Auerbach’schen-
hat es mit dem Wettbewerb „Gedenk- und Informationsort                       verständigen für einen Kunstwettbewerb argumentiert hat-                            Waisen-Erziehungsanstalten für jüdische Knaben und Mäd-
für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde                 ten. Aufgefordert wurden nur Arbeitsgemeinschaften unter                            chen“. Das Preisgericht tagte im Januar . Bereits 

                                                                                                                                                                                                                                                               3
Kunststadt stadtkunst - BBK-Kulturwerk
Helga Lieser, Gedenkort Rummelsburg, Berlin Lichtenberg 2015,
                                                                                                                                                                            Foto: Britta Schubert

                                            Christoph Bauder und Marc Bauder, Lichtgrenze, temporäre Installation zum                                       Susanne Ahner, Erinnerungsort Baruch Auerbach‘sches Waisenhaus, 2014, Berlin-Prenzlauer Berg, Schönhauser Allee 162,
                                                                          9. November 2014. Foto: Martin Schönfeld                                                                                                                                        Fotos: Martin Schönfeld

                                           fand ein bezirklicher Kunstwettbewerb statt, der ein von                     mehr Künstler/innen als Fachpreisrichter/innen zu berufen,                    derum über das straffe Korsett der vom Auslober gesetzten
                                           Karla Sachse mit Schüler/innen der Kurt-Schwitters-Schule                    was mit Patricia Pisani und Renata Stih auch geschah, und                     Vorgaben nicht hinwegsetzen und werden der eigentlichen
                                           entwickeltes Kunstwerk zur Realisierung empfohlen hatte:                     trug einiges zur inhaltlichen Präzisierung der Auslobung                      künstlerischen Möglichkeiten einer solchen Aufgabenstel-
                                           Spielzeuge aus gebranntem Ton, die auf der kleinen Mauer                     bei. Gleichwohl waren von fünf Fachpreisrichter/innen nur                     lung beraubt. Damit verliert aber die Kunst ihr Diskurs- und
                                           vor dem Haus platziert wurden. Das Kunstwerk wurde zer-                      drei bildende Künstler/innen. Renata Stih schreibt in dieser                  Wirkungspotenzial. Hier wird sie zu einem erinnerungsdi-
                                           stört, die Spielzeuge zerschlagen. Das Kunstwerk wurde neu                   Ausgabe über den nichtoffenen Gestaltungswettbewerb „Ge-                      daktischen Instrument und auf ein bloßes Trägersystem re-
                                           erstellt, aber nicht mehr im Außenraum installiert. Da in der                denkort Rummelsburg“ aus künstlerischer Sicht. Das vorge-                     duziert. So erweist sich der Gestaltungswettbewerb als eine
                                           Zwischenzeit die Namen aller aus dem Waisenhaus Depor-                       schaltete Auswahlgremium war mit einer stimmberechtigten                      Variante der Instrumentalisierung von Kunst. Im Ergebnis
                                           tierten bekannt wurden, lobte die Senatskanzlei einen wei-                   Künstlerin besetzt, ansonsten mit Verwaltungsmitarbeiter/                     gehen aus den Gestaltungswettbewerben Werke hervor, die
                                           teren Wettbewerb aus. Wie beim T-Gestaltungswettbewerb,                     innen und einem Vertreter der BVV, der aufgrund seiner                        sich von den Auftraggebern nicht lösen und keine eigenstän-
                                           so gab es auch bei diesem Verfahren ein vorgeschaltetes                      geschichtswissenschaftlichen Qualifikation hinzugezogen                       dige künstlerische Position entwickeln können.
                                           Auswahlgremium ohne künstlerische Beteiligung, das aus                       wurde. Besonders im Widerspruch zur RPW steht, dass der                          Dies war bei früheren Beispielen öffentlicher Erinnerungs-
                                            Bewerbungen zwölf Künstler/innen oder Gestalter/innen                     Wettbewerbssteuerer selbst am vorgeschalteten Auswahlgre-                     kunst im Berliner Stadtraum anders. Sie gaben Anstöße zum
                                           auswählte. Neben einem Bewerbungsformular, einer Vita und                    mium stimmberechtigt beteiligt war. Dieses Gremium wähl-                      Nachdenken über das historische Ereignis und über das Ver-
                                           einer Projektliste waren Angaben zu bis zu drei Referenzpro-                 te aus  Einreichungen zehn Teilnehmer/innen aus. Ebenso                     hältnis der Gegenwart zur Vergangenheit. Dafür gibt es vie-
                                           jekten aus den letzten fünf Jahren gefordert.                                intransparent wie bei T , wurden die stimmberechtigten                       le wichtige Beispiele in Berlin: Micha Ullmans „versunkene
                                              Dabei sind drei realisierte Referenzprojekte innerhalb                    Mitglieder des Auswahlgremiums in der Auslobung nicht                         Bibliothek“ auf dem Bebelplatz, Dani Karavans Gedenkort
                                           von fünf Jahren auch für erfolgreiche Künstler/innen sehr                    genannt. Die Problematik dieses nicht fachgerecht zusam-                      für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma
                                           ungewöhnlich. Eine solche Vorgabe grenzt deshalb bereits im                  mengesetzten Auswahlgremiums zeigte sich deutlich in der                      im Tiergarten, Peter Eisenmans Denkmal für die ermordeten
                                           Vorfeld sehr viele Teilnehmer/innen aus und soll vielleicht                  Auswahl der Teilnehmer/innen: Sechs davon waren bereits                       Juden Europas, das Denkmal für die im NS verfolgten Ho-
                                           eher dazu dienen, eine zu große Beteiligung zu unterbinden.                  gerade zuvor zum Gestaltungswettbewerb „Gedenken an die                       mosexuellen von Elmgreen und Dragset, Karl Biedermanns
                                           Sie stellt das Prinzip des offenen Kunstwettbewerbs auf den                  Baruch-Auerbach’schen-Waisen-Erziehungsanstalten für jü-                      Denkmal „Der verlassene Raum“ für die deportierten Juden
                                           Kopf, der professionellen Künstler/innen eine Chance gibt,                   dische Knaben und Mädchen“ eingeladen worden und galten                       Berlins, aber auch das Denkzeichen „Fragen“ von Karla Sachse
                                           egal wie viele Realisierungen die Betreffenden aufweisen kön-                deshalb den nicht künstlerisch geschulten Auswählenden als                    an der ehemaligen NKWD-Haftstätte Prenzlauer Allee. Eines
                                           nen. Deshalb ist auch hier die Begriffswahl eines „offenen Be-               kompetent. Das hatte es in Berlin noch nicht gegeben! Zwei                    solchen mehrdimensionalen Wirkungspotenzials werden die
                                           werberverfahrens“ irreführend.                                               im selben Jahr stattfindende Wettbewerbe, die noch vorge-                     „Erinnerungsgestaltungen“ im Unterschied zur genannten
                                                                                                                        ben, ein „offenes“ Bewerberverfahren vorzuschalten, laden                     „Erinnerungskunst“ strukturell und funktionell beraubt.
                                              Das zweite und eigentliche Preisgericht setzte sich aus                   zweimal hintereinander sechs Teilnehmer/innen ein! Als ob                        Kunstwettbewerbe für Erinnerungskunst haben früher
                                           vier Fach- und drei Sachpreisrichter/innen zusammen. Un-                     es in Berlin keine breitere Auswahl an Künstler/innen gäbe,                   wichtige Debatten über das Verhältnis von Kunst und Öf-
                                           ter den zwölf schließlich ausgewählten Bewerbungen waren                     die fähig wären, die enge Aufgabenstellung künstlerisch um-                   fentlichkeit, von Erinnerung und Kunst ausgelöst. Eine solche
                                           neun Bildende Künstler/innen, ein Architektenteam und eine                   zusetzen! Es geht nicht darum, den Teilnehmer/innen ihre                      Kultur des öffentlichen Diskurses wird aber von Gestaltungs-
                                           Designerin. Den zweiten Gestaltungswettbewerb gewann die                     Qualifikation abzusprechen, aber es sollte allen Beteiligten                  wettbewerben untergraben. Wo nur noch vermittelt wird, ver-
                                           auf dem Feld der Gedenkkunst erfahrene Künstlerin Susanne                    an der Auslobung von Wettbewerben ein Anliegen sein, ein                      stummt das Gespräch.
                                           Ahner.                                                                       möglichst umfassendes Spektrum an Teilnehmer/innen zu
                                                                                                                        gewinnen, um den öffentlichen Raum in Berlin künstlerisch                        Die Aufgabenstellungen der drei bisher stattgefundenen
                                              Auf den dritten Gestaltungswettbewerb „Gedenkort Rum-                     zu gestalten. Dafür unterhält z. B. das Büro für Kunst im öf-                 Gestaltungswettbewerbe machen nicht plausibel, warum
                                           melsburg“ waren Künstler/innen und ihre Interessensver-                      fentlichen Raum eine Datei mit aktuell  Künstler/innen,                    Gestaltungs- statt Kunstwettbewerbe durchgeführt wurden.
                                           bände aufgrund der beiden Erfahrungen besser vorbereitet.                    die im und für den öffentlichen Raum arbeiten. Auch dieses                    Künstler/innen haben in Berlin und anderswo längst bewie-
                                           Ausgelobt wurde er vom Bezirk Lichtenberg, vertreten durch                   traurige Ergebnis ist ein Grund mehr, die Künstler/innenaus-                  sen, wie eindrucksvoll und prägnant sie mit dem Gedenken
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                                           den damaligen Bürgermeister. Gesteuert vom ehemaligen                        wahl von Fachpreisrichter/innen vornehmen zu lassen, deren                    gerade an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft umge-
                                           Gedenkstättenreferenten Rainer E. Klemke, der mittlerweile                   Fachkompetenz besser dafür geeignet ist, die künstlerische                    hen können. Die Aufgabenstellungen der drei Wettbewerbe
                                           den Senat und die Bezirke in Gedenkfragen privatwirtschaft-                  Position in ein Verhältnis zur Aufgabenstellung zu bringen.                   lassen sich durchaus miteinander vergleichen, auch wenn die
                                           lich betreut und koordiniert von Ralf Sroka, einem Architek-                                                                                               Realisierungsbeträge sich sehr voneinander unterscheiden.
                                           ten, der häufig für das Land Berlin in diesem Feld tätig ist.                   Im Verfahren „Gedenkort Rummelsburg“ waren von den                         Alle Aufgabenstellungen fordern viel Aufmerksamkeit für
                                           Zunächst ausgeschlossen – wie bei T  der dafür zuständi-                    zehn Teilnehmenden, fünf bildende Künstler/innen. Gewon-                      die Vermittlung. Bei T  lautete die Aufgabenstellung aus-
                                           ge BAK – war der bezirkliche Fachbeirat für Kunst am Bau                     nen hat die Designerin Helga Lieser, deren Arbeit bereits re-                 zugsweise: „durch die künstlerische Gestaltung des Ortes
                                           und im Stadtraum, der alle Kunstwettbewerbe des Bezirkes                     alisiert ist.                                                                 vielfältige Ansätze zur gedanklichen und emotionalen Ausei-
                                           betreut. Aufgrund der späten Information dieses Beirats wa-                                                                                                nandersetzung mit der Gesamtthematik zu schaffen, die auch
                                           ren die Weichen für einen Gestaltungswettbewerb bereits                         Im Ergebnis entstanden sachliche und kognitiv mitteilsa-                   für nachfolgende Generationen erfahrbar bleiben soll.“ Auch
                                           gestellt, gleichwohl forderte der Fachbeirat die Beteiligung                 me Gedenkorte. Sie fügen sich den vorgegebenen Raumstruk-                     beim „Gedenkort Rummelsburg“ und dem Auerbach’schen
                                           einer stimmberechtigten Künstlerin im vorgeschalteten                        turen ein und erfüllen die vom Auslober formulierte Aufga-                    Waisenhaus spielen Opferbiografien eine große Rolle. Beim
                                           Auswahlgremium und die Anwesenheit der Verfahrenssach-                       bengestellung sehr diszipliniert. Teilweise entwickeln sie eine               „Gedenkort Rummelsburg“ wurde eine „künstlerisch-gestal-
                                           verständigen des Büros für Kunst im öffentlichen Raum,                       Bildform, welche die vorgegebene Themenstruktur symboli-                      terische Gesamtkonzeption“ gefordert, „die die grundlegen-
                                           die in den beiden anderen vorgeschalteten Auswahlgremien                     siert. Dabei erübrigen sie sich in Zeichenhaftigkeit und in                   den Informationen zur Geschichte des Ortes mit den einzel-
                                           ausgeschlossen wurden. Weiterhin forderte der Fachbeirat,                    ihrer demonstrativen Materialität. Doch können sie sich wie-                  nen Gebäuden im öffentlichen Raum vermittelt und diese

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Kunststadt stadtkunst - BBK-Kulturwerk
zugleich untereinander wie auch mit dem           den. Wenn schon, dann muss es wenigs-
Gedenkort deutlich und nachvollziehbar            tens ein Spektakel sein, das sich wieder-
vernetzt.“ In keinem der drei Wettbewerbe
ging es nur um Information und Vermitt-
lung, sondern alle verlangten künstlerische
                                                  um im Städtemarketing einsetzen lässt
                                                  und für die Stadt, ihre Kulinarwirtschaft
                                                  und die Hotellerie noch etwas abwirft. Ein
                                                                                                        „DURCHREGIEREN ODER
                                                                                                          PARTNERSCHAFT“
Gestaltungen, ohne andererseits den Mut           jüngstes Beispiel gab dafür die stadtweite
aufzubringen, die freie Kunst nicht gestalte-     Inszenierung einer „Lichtgrenze“ zum .
risch einzurahmen und damit die Grenzen           November  ab. Die Installation von
ihrer Freiheit bedenklich eng zu ziehen.          . Leuchtballons entlang der frühe-
                                                  ren innerstädtischen Ost-West-Grenze
                                                                                                       Podiumsdiskussion zum Verhältnis von
   Der „Gestaltungswettbewerb“ als eine           kanalisierte die öffentliche Erinnerung              Künstler/innen, Politik und Verwaltung
neue Sonderform eines instrumentellen             an den Mauerfall  in ein partizipa-
Wettbewerbs ist dabei auch nur das Kind           tives Massenspektakel mit angeschlos-                   in der nGbK am 27. August 2014
seiner Zeitumstände:                              sener Fressmeile, in dessen Mittelpunkt
                                                  einfache Stehlampenträger standen, die                bbk berlin, Deutscher Künstlerbund,
Erstens fehlen der Öffentlichkeit und der         bloß schon wegen ihrer Guinness-Buch
  Politik im Berliner Landeshaushalt und          rekordverdächtigen Anzahl Aufmerk-                         Architektenkammer Berlin
  in den Bezirken die finanziellen Mittel         samkeit erlangten. Nebenbei muss zur
  zur Finanzierung öffentlicher Erinne-           „Lichtgrenze“, die sogleich zum Wort
  rungsvorhaben. Gesonderte Haushalts-            des Jahres  erklärt wurde, noch ver-
  ansätze für Gedenktafeln und Gedenk-            merkt werden, dass sie ein Direktauftrag
  zeichen gibt es nur in wenigen Berliner         der Kulturprojekte Berlin GmbH war und
  Bezirken, wo sich diese Mittel in der           eine gute Million Euro an Lottomitteln
  marginalen Größenordnung von .              verschlang. Ob diesem Auftrag eine öf-
  bis . Euro jährlich bewegen. Im            fentliche Ausschreibung zugrunde lag, ist
  Berliner Landeshaushalt fehlt ein sol-          nicht bekannt. Die Obergrenze für Kunst
  cher Ansatz komplett. Deshalb gelangt           am Bau bei einer Baumaßnahme liegt
  der Haushaltstitel  „Künstlerische         demgegenüber bei . Euro. Auch
  Gestaltungen im Stadtraum“ mit seinem           bei diesem Beispiel wurde die öffentliche
  jährlichen Ansatz von . Euro in           Erinnerung auf Design, Stadtmöblierung
  das Visier der Erinnerungsinitiativen           und Spektakel heruntergebrochen.
  der Politiker/innen als eine der wenigen
  Finanzierungsmöglichkeiten. Die „Ge-             Die genannten Beispiele und mit ihnen
  staltung“ dient dann nur noch als ein Zu-     die angesprochenen „Gestaltungswettbewer-
  geständnis an die eigentliche Widmung         be“ zeugen von einer institutionellen Angst
  des Etats und folglich führt die Verwal-      vor der Kunst, die bei den Verantwortlichen
  tung „Gestaltungswettbewerbe“ durch,          der Stadt, bei den Politiker/innen und in der
  um die schleichende Zweckentfremdung          Bürokratie, aber auch in Teilen einer brei-
  der Mittel rechtfertigen zu können. Statt     teren Öffentlichkeit besteht. Dies ist nicht
  einen eigenständigen Etatansatz für öf-       erst ein neues Phänomen, sondern beglei-
  fentliche Erinnerungskultur im Berliner       tet die Künstler/innen in Berlin schon seit          Diskussionsveranstaltung in der nGbK am 27. August 2014 mit den Teilnehmern (Podium, von links) Georg Winter,
  Landeshaushalt zu etablieren, was in den      Langem, dabei denke man nur daran, dass                                          Renata Stih, Rainer W. Ernst, Eckard Braun, Christine Edmaier. Foto: Martin Schönfeld
  grundlegenden Möglichkeiten der Politik       einst eine Stadtentwicklungssenatorin die
  läge, werden die vorhandenen Mittel mit
  verschiedensten Anliegen überfrachtet.
                                                Realisierung eines Kunstprojektes auf der
                                                Potsdamer Straße in Berlin-Schöneberg un-        Was seitdem                                                 den Spitzen der drei Verbände und Kultur-
                                                                                                                                                             staatssekretär Tim Renner statt. Am .
                                                tersagte, indem sie die bereitstehenden Mit-                                                                 September  tagte der Kulturausschuss
Zweitens erfolgte in den zurückliegenden
  Jahren eine zunehmende Verengung der
                                                tel einfach strich. So entpuppt sich Berlins
                                                Aushängeschild als Kunstmetropole für die
                                                                                                 geschah ...                                                 im Berliner Abgeordnetenhaus zu Kunst im
                                                                                                                                                             öffentlichen Raum.
  allgemeinen Vorstellung von Kunst im öf-      Kunst im öffentlichen Raum als ein noch
  fentlichen Raum auf eine Art von Stadt-
  möblierung. Jenseits eines allgemeinen
  Funktionalitätszwangs darf sonst im öf-
                                                ausstehendes Versprechen. Offenheit und
                                                Mut für die Kunst müssen hier erst noch ent-
                                                wickelt werden. Das setzt eine Bereitschaft
                                                                                                D    ie Veranstaltung vom 27. August 2014
                                                                                                     brachte einen Konflikt zwischen Künst-
                                                                                                ler/innenverbänden & Architektenkammer
                                                                                                                                                                Die folgenden Forderungen wurden 
                                                                                                                                                             von den drei Berufsverbänden gegenüber
                                                                                                                                                             den Senatsverwaltungen formuliert. In eini-
  fentlichen Raum sich nichts platzieren,       für öffentliche Diskurse über Kunst, also für   und der Berliner Verwaltung an die Öffent-                   gen Fällen wurde darauf eingegangen, ande-
  was nicht irgendwie benutzbar ist und         eine künstlerische Streitkultur voraus, die     lichkeit und hatte den Anspruch, die An-                     re sollen in Zukunft berücksichtigt werden.
  damit die allgemeine Aufenthaltsquali-        es gerade für das öffentliche Gedenken im       hörung zu Kunst im öffentlichen Raum im                      Wir dokumentieren hier den Sachstand vom
  tät eines Ortes steigert. Vorreiter dieser    Stadtraum vor zehn, zwanzig Jahren schon        Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses                       Februar .
  Tendenz waren die Sanierungsprogram-          einmal gab – man denke dabei nur an den         von Berlin am 22. September 2014 vorzu-
  me zur Verschönerung der als „schwierig“      Wettbewerb zum Denkmal für die ermorde-         bereiten. Der zwei Jahre lang schwelende                       Forderungen der Künstlerverbände
  von der Politik eingeschätzten Quartiere,     ten Juden Europas, dessen Entwurfsausstel-      Konflikt betraf im allgemeinen die Missach-                  und der Architektenkammer vor der
  in deren Planungen sich immer wieder          lung und die begleitenden Diskussionen oder     tung künstlerischer Interessen bei Kunst-                    Anhörung im Abgeordnetenhaus vom
  Kunstpositionen fanden. Darunter ver-         auch an „Orte des Erinnerns“ im Bayerischen     wettbewerben, speziell die, immer wieder                     . September :
  standen die Planer/innen aber stets nur       Viertel von Stih/Schnock. Hier gab die Kunst    zu Interessenskonflikten führende fehlende
  behübschte Sitzmöbel oder Spielgeräte.        den Anstoß zur Formierung einer demokra-        Prüfung von Auslobungen. Hinzu kamen die
  Lokale Künstler/innen durften dabei           tischen Öffentlichkeit. Vergleichbare Impul-    Missachtung von Wettbewerbsrichtlinien in                    8 Punkte Programm für Transparenz
  Kinder und Jugendliche bei öffentlichen       se haben die zurückliegenden „Gestaltungs-      einigen Verfahren, die Durchführung von                      und Gleichberechtigung in Kunst-
  Malaktionen anleiten oder zusammen            wettbewerbe“ leider nicht gegeben.              Gestaltungs- statt Kunstwettbewerben bei
  mit den Kids modellieren und à la Gaudi                                                       Denkzeichen, sehr hohe und überwiegend                       wettbewerben
  bunte Keramikbruchfliesen an Betonkör-            Die bisherige Bilanz der drei stattgefun-   intransparente Verfahrenskosten bei Kunst-                   . Trennung von Beratung und Verwal-
  pern applizieren. Solitäre Werke, die aber    denen Gestaltungswettbewerbe ist negativ.       wettbewerben, vorgeschaltete Auswahl-                           tung
  eine ganz besondere Funktionalität auf-       Die Verfahren weisen starke Defizite auf        gremien ohne Künstler/innen-Beteiligung                         Im Beratungsausschuss Kunst (BAK)
  weisen – nämlich die Qualität einer geis-     und haben die Aufgabenstellungen so ein-        sowie die Mittelverausgabung aus dem Titel                      wirkt die Verwaltung derzeitig stimm-
  tigen und optischen Irritation und Her-       geschränkt, dass weder künstlerische noch       „Künstlerische Gestaltungen im Stadtraum“                       berechtigt mit. Damit berät sich die Ver-
  ausforderung – finden in einem solchen        gestalterische Fähigkeiten der Beteiligten      ohne Hinzuziehung des Beratungsausschus-                        waltung durch den BAK selbst. Erst die
                                                                                                                                                                                                                         kunststadt stadtkunst 62 | KULTURPOLITIK

  Verständnis von Kunst im öffentlichen         wirklich voll und ganz zum Tragen kommen        ses Kunst (BAK).                                                Empfehlungen eines unabhängigen Gre-
  Raum keinen Aktionsraum. Wie Kunst            konnten. Wir plädieren auch in gedenkpo-                                                                        miums, in dem die Verwaltung nur bera-
  diesen Zwang zur Stadtmöblierung un-          litischen Fragen dafür, Kunstwettbewerbe            Da diese Konfliktpunkte im dafür vor-                       tend mitwirkt, würden dem Wesen einer
  terwandern kann, verdeutlichte kürzlich       durchzuführen, Forderungen nach Informa-        gesehenen Beratungsausschuss Kunst nicht                        Beratung entsprechen und an fachlicher
  Tobias Rehberger mit seinen farbkräfti-       tion und Vermittlung in die Aufgabenstel-       auf Augenhöhe diskutiert und entschärft                         und künstlerischer Kompetenz gewinnen.
  gen Interventionen an den Stromvertei-        lungen zu integrieren und von vorneherein       werden konnten, entschieden sich die Ver-                       Stand Februar : Der Vertreter der Se-
  lungskästen der Stadt Münster. Leider         in allen künstlerischen Entscheidungsfragen     treter/innen der drei Verbände (Architek-                       natskanzlei/Kulturelle Angelegenheiten
  trägt nun auch die öffentliche Erinne-        gemäß den Richtlinien für Planungswettbe-       tenkammer, bbk berlin e. V. und Deutscher                       hat seine Stimme aufgegeben zuguns-
  rung im Stadtraum der Tendenz zur Möb-        werbe Künstler/innen als Fachpreisrichter/      Künstlerbund) ihre Mitgliedschaft in dem                        ten einer Vertreter/in der Freien Szene.
  lierung zunehmend Rechnung.                   innen mehrheitlich zu beteiligen. Darüber       Gremium – in dem die Künstler/innen in                          Der Vertreter der Senatsverwaltung für
                                                hinaus sind alle an künstlerischen Auswah-      einer Minderheit waren – vorübergehend                          Stadtentwicklung und Umwelt behält sein
Drittens schlägt schließlich der Zwang zum      lentscheidungen Beteiligten öffentlich be-      auszusetzen und zu versuchen, den Kon-                          Stimmrecht bei.
  Event im öffentlichen Raum durch. Ohne        kannt zu machen.                                flikt auf politischer Ebene zu lösen und an                  . Unabhängige Prüfung der Auslobun-
  Attraktion und Aufmerksamkeit darf im                                                         die Öffentlichkeit zu gehen. Dieses Vorge-                      gen
  öffentlichen Raum nichts mehr stattfin-          E M, M S            hen hat einiges ins Rollen gebracht. Es fand                    Eine unabhängige und sachgerechte
                                                                                                ein viel versprechendes Gespräch zwischen                       Prüfung von Auslobungen (wie sie bei

                                                                                                                                                                                                                                    5
Kunststadt stadtkunst - BBK-Kulturwerk
Zum Einsatz prinzipiengeleiteter
                                                                                                                                                    Auswahlgremien in der
                                                                                                                                                    öffentlichen Kunstförderung
                                                                                                                                                   I. Einleitung                                     schen und Teil seiner gesellschaftlichen Ent-
                                                                                                                                                                                                     wicklung.
                                                                                                                                                   Meine Damen und Herren,                              Gleichzeitig verlangt die Kunstfreiheits-
                                                                                                                                                       ich war in meiner beruflichen Laufbahn        garantie aber auch eine Freiheit, die kon-
                                                                                                                                                   mehrere Jahre lang Geschäftsführer ver-           kreten Bezug auf ihren Gegenstand nimmt.
                                                                                                                                                   schiedener gemeinnütziger Kulturträger-           Und das bedeutet: „Neutralität des Staates“
                                                                                                                                                   vereine und Kulturförderinstitutionen in          gegenüber der Kunst. Neutralität, nicht in
                                                                                                                                                   Hessen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg           einem abwehrenden, indifferenten oder ig-
                                                                                                                                                   und  Jahre lang Justitiar und Referent          noranten Sinn, sondern als aktive, positive
                                                                                                                                                   des Kulturbürgermeisters der Stadt Leip-          Neutralität, die im besten Fall der Kunst
                                                                                                                                                   zig. In allen Tätigkeiten habe ich mich ge-       wohlwollend und eben fördernd gegenüber-
                                                                                                 Die Fachkommission tagt. Foto: Martin Schönfeld   fragt: „Nach welchen Regeln und aufgrund          steht, ohne sie inhaltlich zu lenken, zu be-
                                                                                                                                                   welcher Ermächtigung arbeiten wir eigent-         stimmen oder für staatsideologische Zwecke
                                              Architekturwettbewerben durch die Ar-           fenen vorgeschalteten Bewerbungspha-                 lich? – Wer oder was bestimmt, „wie“ Kunst        zu missbrauchen.
                                              chitektenkammer stattfindet) ist nicht          sen) findet die Künstler/innen-Auswahl               und Kultur von staatlicher oder zivilgesell-         Neutralität ist ein abstrakter Begriff,
                                              gewährleistet. Diese würde voraussetzen,        intransparent und vom Auslober statt,                schaftlicher Seite her gefördert und gestal-      er sagt aus sich heraus nicht, was und wie
                                              dass sich ein Auslober nicht selbst prüfen      der Wettbewerbsorganisation und der                  tet werden?“ Ich habe mich gefragt, ob es         staatliche Kunstförderung zu gestalten ist.
                                              kann.                                           Verwaltung mehrheitlich bestimmt. Die                Regeln der Kunstförderung gibt. Schriftli-        Der Begriff verlangt nach Ausfüllung – be-
                                              Stand Februar : Staatssekretär Tim          Zusammensetzung dieser Auswahlgre-                   che Regeln waren mir nicht bekannt, außer         zogen auf seinen Gegenstand. Sie wissen, es
                                              Renner erklärte sich bereit, über eine          mien wird in den Auslobungen nicht na-               denen, die ich z. B. selbst für die Satzung des   gibt völkerrechtliche Neutralität, die Neut-
                                              Prüfung der Auslobungen für Kunstwett-          mentlich benannt. Da es sich dabei um                von mir mit gegründeten Vereins entworfen         ralität des Richters, Neutralität im Bereich
                                              bewerbe nachzudenken. Konkrete Schrit-          eine Vorjury handelt, sollten auch diese             hatte. Doch habe ich bemerkt, dass die Mit-       der Religionsfreiheit – die der Kunstfreiheit
                                              te in diese Richtung wurden noch nicht          Auswahlgremien gemäß RPW mehr-                   arbeiter/innen in der Szene der Kulturarbeit      sehr nahe steht, Neutralität im Bereich der
                                              unternommen.                                    heitlich aus Fachpreisrichter/innen zu-              fast alle einen inneren Kompass hatten und        Wissenschaftsfreiheit, der Medienfreiheit
                                           . Stärkung der künstlerischen Kompe-              sammengesetzt sein.                                  haben. Es gab und gibt eine Übereinstim-          usw. Für die Kunst bedeutet Neutralität vor
                                              tenz des Beratungsausschuss Kunst               Stand Februar : In diesem Punkt hat              mung über das, was richtig und was falsch         allem: Achtung ihrer Autonomie und ihrer
                                              Da der BAK grundlegende Fragen der Bil-         sich bisher noch nichts geändert.                    ist in der öffentlichen Kunst- und Kulturför-     Pluralität. Beides zeichnet Kunst in allen ih-
                                              denden Kunst berät, muss die Zahl der        . Finanzierung der Wettbewerbs-Ver-                    derung. Auch wurde mir nach einiger Zeit          ren Erscheinungsformen aus, beides: Auto-
                                              qualifizierten Künstler/innen merklich          fahrenskosten aus den Baunebenkos-                   klar, dass zwischen der politischen, also         nomie und Pluralität sind ein Kernelement
                                              erhöht werden (bis  hatten sie nur          ten                                                  der „kultur“-politischen Gestaltungsbefug-        jeder künstlerischen Szenerie. Ihre Ach-
                                              ein Fünftel der Stimmen!). Die Richtli-         Die Kunst-Mittel werden durch die Ver-               nis und den ordnungsrechtlichen Fragen            tung ist mithin eine Funktion von aktiver
                                              nien für Planungswettbewerbe sehen in           fahrenskosten des Wettbewerbs zuneh-                 zu differenzieren ist. Ordnungsrechtliche         Neutralität. Daneben gibt es Prinzipien der
                                              Preisgerichten üblicherweise eine Stim-         mend reduziert (vgl. Wettbewerb HU-                  Fragen sind solche, die die Abläufe, – nicht      Kunstförderung, welche die Interessen der
                                              menmehrheit der Fachpreisrichter vor.           Lebenswissenschaften: . Euro                    das „Was“, sondern das „Wie“ des Handelns         Kunst und des sie fördernden Staates in ei-
                                              Stand Februar : Von  stimmberech-         Verfahrenskosten von einem Gesamt-                   bestimmen. Heute geht es um solche Fragen:        nen Ausgleich bringen: das ist einmal die Be-
                                              tigten Mitgliedern sind im Augenblick           budget von . Euro, was einem An-               um die ordnungs-rechtliche Gestaltung und         stimmung des Gemeinwohls und damit des
                                              vier bildende Künstler/innen. Voraus-           teil von  Prozent entspricht). Deshalb             damit um                                          öffentlichen Interesses an der Kunst- und
                                              sichtlich wird die Akademie der Künste          sollten wie in Architekturwettbewerben                                                                 Kulturförderung. Der Staat fördert nämlich
                                              noch einen weiteren bildenden Künstler          die Wettbewerbsverfahren für Kunst am                                                                  nur das, was im gemeinen Interesse liegt,
                                              benennen.                                       Bau aus einer Untergruppe der Bauneben-              II. Prinzipien öffentlicher Kunst- und            was entsprechend der Verfassung dem Wohl
                                           . Konsequente Anwendung der Wett-                 kosten aufgewendet werden. Transparenz               Kulturförderung                                   des Ganzen dient. Er fördert nicht die Kunst
                                              bewerbsrichtlinien (RPW) in allen               über die Zusammensetzung der Verfah-                                                                   um der Kunst willen, sondern um des Men-
                                              künstlerischen Wettbewerbsverfah-               renskosten ist herzustellen.                             Sie wissen woher der Kulturauftrag des        schen und seiner Entfaltungsmöglichkeiten
                                              ren                                             Stand Februar : Darüber wurde noch               Staates rührt, dass darüber im Grundgesetz        willen. Das kann auch zu Einschränkungen
                                              Die im Land Berlin übernommenen Wett-           nicht beraten.                                       nichts vermerkt ist, dass es (noch) keine         staatlicher Förderaktivität führen.
                                              bewerbsrichtlinien (RPW) wurden in       . Keine Verausgabung von Mitteln aus                   Kulturstaats- bzw. Kulturförderungsklausel           Dieser Gedanke führt zum anderen zum
                                              den letzten Jahren bei Kunstwettbewer-          dem Titel „Künstlerische Gestaltun-                  gibt, dass demgegenüber aber die Verfassun-       nächsten Prinzip, dem der Subsidiarität
                                              ben zunehmend aus vorgeblichen Kosten-          gen im Stadtraum“ (Haushaltstitel                    gen der deutschen Bundesländer ausformu-          staatlichen Agierens. Subsidiarität als Funk-
                                              gründen umgangen. Wenn für Kunstpro-            ) ohne Votum des BAK und ohne                   lierte Kulturförderaufträge enthalten und         tion von Neutralität bestimmt die Grenzen
                                              jekte bis zu einer Grenze von . Euro       Wettbewerbsverfahren                                 dass die Gestaltung der Kultur zum Selbst-        staatlicher Aktivitäten. Ein Staat, der alles
                                              die Wettbewerbsrichtlinien nicht mehr           Obgleich die Anweisung Bau vorsieht,                 verwaltungsrecht der Kommunen gehört.             in die Hand nimmt, alles regelt und fördert,
                                              angewendet werden, findet die Mehrzahl          dass alle künstlerischen Gestaltungen                – Aber es gibt in Deutschland kein Kultur-        kann letztlich nicht mehr neutral sein. Er
                                              der Wettbewerbe in Berlin außerhalb der         im Stadtraum im BAK zu beraten sind,                 fördergesetz, das umfassend beschreibt, wie       muss sich dort zurückhalten, wo Dinge aus
                                              verbindlichen Regeln statt!                     ist dies in der Realität nicht der Fall. Die         Kultur- und Kunstförderung konkret um-            eigener bürgerlicher, zivilgesellschaftlicher,
                                              Stand Februar : Die Senatskanzlei           Verwendung der Mittel des Haushaltsti-               zusetzen ist. Eine Ausnahme ist das sächsi-       wirtschaftlicher oder eben künstlerischer
                                              Kulturelle Angelegenheiten hat verbal           tels  wird in vielen Fällen am BAK              sche Kulturraumgesetz, das einige Hinweise        Kraft möglich sind. Nicht alles, was er kann,
                                              bekundet, sich in Ausnahmefällen (falls         vorbei intransparent gehalten. Darüber               auf die Arbeit von Kulturbeiräten gibt, und       darf er auch machen, auch wenn er (der
                                              von der RPW abgewichen wird) vom Bera-          hinaus werden sie oft für erinnerungs-               demnächst vielleicht ein neues Kulturför-         Staat), kraft seiner Kompetenz und Macht,
                                              tungsausschuss Kunst beraten zu lassen          politische Zwecke genutzt (so genannte               dergesetz in Nordrhein-Westfalen. Um das          es vielleicht sogar besser könnte. Subsidia-
                                              und dessen Empfehlungen zu folgen.              Gestaltungswettbewerbe) und der eigent-              Instrumentarium öffentlicher Kunstför-            rität verlangt nach Formen der Mitsprache,
                                           . Einhaltung von Mindeststandards                 lichen Intention künstlerischer Anliegen             derung zu bestimmen, bleibt im Kern nur           Beteiligung, Partizipation und Kooperation.
                                              Für Wettbewerbsverfahren mit außer-             entzogen. Auch deshalb sollte ein eigener            die Aussage von Art.  Absatz  Grundge-
                                              ordentlich geringem Budget müssen               Haushaltstitel für Anliegen des öffentli-            setz, die bestimmt, dass die Kunst frei ist.         Schließlich müssen diese Prinzipien in
                                              Mindeststandards gewährleistet sein:            chen Gedenkens eingerichtet und der bis-             Daraus lässt sich allerdings vieles ableiten,     reale Formen des Handelns umgesetzt wer-
                                              eine Mehrzahl von Fachpreisrichter/in-          herige Titel  deutlich erhöht werden.           das – zwar von prinzipiellem Charakter ist        den. Aktive, positive Neutralität kann nur
kunststadt stadtkunst 62 | KULTURPOLITIK

                                              nen, Unabhängigkeit der Preisrichter/           Stand Februar : Wie damit umgegan-               – bei näherem Hinsehen aber doch einige           realisiert werden, wenn in der Kulturverwal-
                                              innen von der Wettbewerbsorganisation,          gen werden wird, wird sich beim nächsten             Verbindlichkeit und Umsetzungsfähigkeit           tung und in der Kulturpolitik die beschrie-
                                              Durchführung eines Einführungskol-              gedenkpolitischen Wettbewerb zeigen.                 in sich birgt. Hier finden wir jene Prinzipi-     benen Funktionen von Neutralität in kon-
                                              loquiums, Verfahrensbegleitung durch                                                                 en, die zwingend erforderlich sind, um die        kretes Handeln fließen. Der moderne und
                                              Sachverständige und neutrale Vertreter          Gegenüber diesen grundsätzlichen An-                 grundgesetzliche Kunstfreiheitsgarantie zu        manchmal schon strapazierte Begriff der
                                              der Künstlerverbände (in Berlin die Sach-    liegen sehen wir weiter einen Handlungsbe-              realisieren.                                      „Good Governance“ wird erst damit mit Le-
                                              verständigen des Büros für Kunst im öf-      darf hinsichtlich der konsequenten Anwen-                  Zunächst: neben die Pflicht des Staates,       ben erfüllt. Bestimmte, konkrete Standards
                                              fentlichen Raum).                            dung der Anweisung Bau für Kunst am Bau                 die Kunst und ihre Freiheit zu schützten,         sind einzuhalten. Sie drücken sich in der
                                              Stand Februar : Diese Mindeststan-       bei den Baumaßnahmen einiger Berliner Be-               tritt nach heutigem Verfassungsverständ-          Organisation und in den Verfahren der Ver-
                                              dards wurden von der Senatskanzlei           zirke. In einigen Bezirken wie beispielsweise           nis auch die Pflicht, diese Freiheit aktiv zu     waltung aus. Die sogenannten „politics“ der
                                              Kulturelle Angelegenheiten noch nicht        Spandau und Reinickendorf wird die Durch-               befördern. Eine Pflicht, die unmittelbar auf      Kunstförderung verlangen im demokratisch
                                              bestätigt.                                   führung von Kunst am Bau noch komplett                  Artikel  Abs.  der Verfassung zurückgreift,     verfassten Staat nach solchen der Kunst an-
                                           . Besetzung von vorgeschalteten Aus-           ignoriert, im Bezirk Pankow werden nur                  also auf die Menschenwürde, um Freiheit in        gemessenen, sachgerechten, klaren, trans-
                                              wahlgremien mit Fachpreisrichter/            noch Auswahlverfahren außerhalb der RPW                 einem positiven Sinne zu ermöglichen, denn        parenten und kontrollierbaren Regeln, die
                                              innen                                        durchgeführt.                                           künstlerische und kulturelle Betätigung ist       ihrerseits, was ihre Richtigkeit betrifft, d. h.
                                              In so genannten Teilnahmeverfahren (of-                                E M               Teil der Persönlichkeitsentfaltung des Men-       ob sie der Sache auch gerecht werden, sich an

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Kunststadt stadtkunst - BBK-Kulturwerk
Gregor Schneider, Unsubscribe, temporäre Installation 4. bis 22. Dezember 2014 auf dem Rosa Luxemburg-Platz.
  Veronike Hinsberg und Olf Kreisel, Leitung & Linie, 2013, Kunst am Bau für die Hochschule für Technik und Wirtschaft,             Die Ladefläche des Lastwagens enthält abgetragenen Schutt aus dem Geburtshaus von Joseph Goebbels in
                                                                     Campus Oberschöneweide. Foto: Martin Schönfeld                      Mönchengladbach, das der Künstler Gregor Schneider gekauft und entkernt hat. Foto: Martin Schönfeld

den Prinzipien der Kunstförderung messen                      Prinzipien in der öffentlichen Kunstförde-                  verständige Urteile benötigt. So wie sich in               oder Geschäftsordnungen zu schaffen, wo-
lassen müssen.                                                rung aussprechen.                                           anderen Fachbereichen, z. B. der Medizin,                  bei im Kern immer gilt, dass künstlerische
   Im weiteren Sinne regeln die hier verhan-                     Am klarsten aber hat sich das Bundesver-                 den verschiedenen Geistes- und Naturwis-                   Entscheidungen nur von künstlerisch sach-
delten Prinzipien also, wie im Einladungs-                    fassungsgericht in seinem jüngsten Rund-                    senschaften niemals Politiker/innen, Volks-                verständigen Personen getroffen werden
flyer erwähnt, auch Fragen der Verteilungs-                   funkurteil (Nr. ) positioniert und dem                    vertreter/innen, Verwaltungsbeamt/innen                    können.
gerechtigkeit.                                                Gesetzgeber hinsichtlich der Besetzung von                  fachliche Urteile erlauben würden, so ist
                                                              Rundfunkräten konkret aufgegeben, den                       auch die Kunst ein eigenständiges Subsys-                     Ich will noch konkreter werden:
                                                              Prinzipien der Neutralität des Staates, der                 tem unserer Gesellschaft, mit eigenen Re-                  . Vertreter/innen nicht-künstlerischer In-
III. Umsetzung in Standards und                               Autonomie und Pluralität Rechnung zu tra-                   geln und Gesetzen, deren Kenntnis Voraus-                     teressen aus Politik, Gesellschaft und
Verfahren der Kunst- und Kulturför-                           gen und zu garantieren, dass Rundfunkräte                   setzung für die Fähigkeit des angemessenen,                   Kulturverwaltung dürfen kein Stimm-
                                                              künftig unabhängig, staatsfern und trans-                   sachlichen und fachlichen Urteils ist.                        recht bei künstlerischen Auswahlent-
derung                                                        parent besetzt werden und arbeiten. Das                                                                                   scheidungen haben. Eine Beratung der
   Wie werden also die vorgestellten Prinzi-                  Gericht fordert diese demokratischen Frei-                     Das heißt: Fördernde Auswahlentschei-                      Politik und der Verwaltung durch sich
pien in der Praxis angewandt, wie wirken sie                  heitsrechte im Hinblick auf die „Zusammen-                  dungen im Bereich der Kunst müssen erstens                    selbst ist eine Farce. Zulässig sind aber
auf Standards und Verfahren in der Kunst-                     setzung“ und die „Funktionsweise“ der Auf-                  durch unabhängige Gremien, die von künst-                     Mitsprache, Rat und Anhörung.
und der Kulturförderung?                                      sichts- und Beratungsgremien. Dies ist zwar                 lerischem Sachverstand dominiert sind, ge-                    Das gilt nicht für kulturpolitische Ent-
                                                              kein direktes Beispiel aus dem Bereich der                  troffen werden. Und zweitens müssen diese                     scheidungen. Dort soll es (mit Ausnahme
   Dazu gibt es, wenn auch unsystematisch                     „Kunst“Förderung, aber es zeigt, dass auch                  Gremien in ihrer Besetzung dem pluralen Er-                   der Verwaltung, die ja nur ausführenden
und nicht immer streng getrennt zwischen                      im weiteren Bereich der „Kultur“Förderung                   scheinungsbild der künstlerischen und kultu-                  Status hat) wiederum eine ausgewogene
kulturpolitischen und ordnungsrechtli-                        die genannten Prinzipien Anwendung finden.                  rellen Szenen entsprechen, die im jeweiligen                  Mischung der von und mit kulturellen
chen Vorgaben, seit Mitte der er Jahre                       Aus der Summe dieser Positionen lassen                   Tätigkeitsfeld einer Kulturverwaltung existie-                und kulturpolitischen Fragen befassten
zahllose Vorschläge und Stellungnahmen in                     sich folgende Regeln extrahieren: Der Staat                 ren. Dem Aspekt, dass bei der Entscheidung                    und interessierten Gruppen mit Stimm-
                                                                                                                                                                                                                                               kunststadt stadtkunst 62 | KULTURPOLITIK

der Rechtsliteratur, in den Veröffentlichun-                  achtet die Autonomie der Kunst (und den                     über Fördermaßnahmen häufig auch eine                         recht geben.
gen der Kulturpolitischen Gesellschaft, des                   Kern autonomer Kulturen), indem er sich                     Reihe von politischen, sozialen, wirtschaftli-
deutschen Kulturrates, des deutschen Mu-                      der Beurteilung von Kunst (und kultureller                  chen, städtebaulichen und anderen Gesichts-                . Die Verwaltung hat den Auftrag, das Ver-
sikrates, der Enquetekommission Kultur in                     Inhalte) enthält (soweit sie nicht in ihrem                 punkten eine Rolle spielen, kann Rechnung                     fahren objektiv, transparent und offen,
Deutschland () und in vielen Positionen                   Handeln gegen die Verfassung verstoßen).                    getragen werden, indem diese Gesichtspunk-                    also kontrolliert und kontrollierbar zu
von Kulturverbänden (wie jüngst hier in                       Das bedeutet, dass ästhetische, ethische,                   te durch Vertreter/innen der Verwaltung oder                  gestalten, sie selbst hat aber keinesfalls
Berlin in Nr.  der Zeitschrift stadtkunst/                  wertende Auswahlentscheidungen bezüg-                       der Politik im Beirat thematisiert werden. Sol-               Sitz und Stimme in Ausschüssen, Beirä-
kunststadt im Artikel zur Kunstautonomie                      lich Kunst frei und unabhängig von staatli-                 che Vertreter/innen können und sollen auch                    ten oder Aufsichtsgremien, die künstleri-
von Elfriede Müller.)                                         cher Einflussnahme zu treffen sind. Aber die                im Beirat für ihren Bereich vertreten sein,                   sche Inhalte bewerten. Noch besser ist es,
   Dann gibt es konstruktive Entwürfe von                     Kunst selbst ist andererseits auch nicht de-                aber sie können und dürfen in rein künstle-                   wenn die Verwaltung schon die Organisa-
Philosophen und Soziologen wie John Rawls                     mokratiefähig. Nicht das Volk oder Vertre-                  rischen Fragen nicht stimmberechtigt sein.                    tion und Durchführung des Verfahrens
und Niclas Luhmann sowie Konzepte hoch-                       ter/innen gesellschaftlicher Gruppen sind                                                                                 in die Hände unabhängiger Institutionen
geachteter Staatsrechtler und Verfassungs-                    befugt künstlerische Urteile zu fällen. Die                    Die Politik ist beauftragt, für Auswahl-                   legt, dies also ganz der Selbstverwaltung
richter wie Böckenförde, Häberle, Herzog,                     Autonomie der Kunst verlangt, dass solche                   verfahren entsprechend ausgewogene und                        überlässt. Dies ist eine Forderung, die
Geis, Huster, Maihofer, Marenholz, Isensee,                   Urteile aus der Kunstszene heraus getroffen                 all diese Interessen, Szenen und Gruppen                      sich aus dem Prinzip der Subsidiarität
Lerche u. a., die sich für die Einhaltung von                 werden. Denn hier werden fachliche, sach-                   beachtende Regeln, Richtlinien, Satzungen                     und des Gemeinwohls ergibt, wonach die

                                                                                                                                                                                                                                                          7
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