Laudatio für Schwester Dr. Lea Ackermann

Die Seite wird erstellt Georg Kellner
 
WEITER LESEN
Laudatio für Schwester Dr. Lea Ackermann
Anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Katholisch-
Theologische Fakultät der Universität Erfurt am 3. Juni 2015

Von Prof. Dr. Elke Mack

Wenn ich vor jemandem wirklich Respekt und Hochachtung in jeder Hinsicht habe,
dann ist das Schwester Lea Ackermann. Ich will begründen, warum.

Ich traf Schwester Lea vor über zwanzig Jahren in Bonn und erfuhr erstmals, dass es
nicht nur Gewalt gegen Frauen in Deutschland gibt, sondern so etwas wie Zwangs-
prostitution und Menschenhandel inmitten unserer Gesellschaft auf deutschem Bo-
den. Es traf mich hart, diese Realitätsnähe von einer katholischen Nonne zu erfah-
ren, die Leid, Not und Verzweiflung näher an sich heranlässt als die meisten von uns,
die wir nur darüber schreiben oder in einem sehr bürgerlichen, behüteten Umfeld le-
ben. Schwester Lea hat ihre ganze Lebenskraft den Schwachen und Armen gewid-
met – in ihrem Fall den fast immer weilblichen Menschen, die Opfer von Gewalt,
Missbrauch oder Menschenhandel geworden sind. Schwester Lea tut seit Jahrzehn-
ten das, was Papst Franziskus von uns fordert. Sie geht an die Ränder dieser Ge-
sellschaft und hilft betroffenen Mädchen und Frauen wieder zurück in ein gutes Le-
ben zu kommen.

Schwester Lea ist nicht laut, von einer frommen Bescheidenheit, sie hat keine Karrie-
re in Wissenschaft und Kirche gemacht, sie sucht keine Anerkennung und sie ist
nicht politisch korrekt. Aber sie traut sich viel, sie erhebt ihre Stimme für die Ärmsten
in unserer Gesellschaft vernehmbar und entschieden. Sie wird deshalb seit über
dreißig Jahren in der deutschen Öffentlichkeit als eine katholische Christin mehr
wahrgenommen als manche Professoren der Theologie. Sie wurde vielseitig geehrt
mit Bundesverdienstkreuzen, Ehren, Orden und dem Friedenspreis und selbst für
den Friedensnobelpreis nominiert. Sie wurde nie durch Kritik oder negative Presse
begleitet – sondern immer gelobt. Man nimmt sie ernst, obwohl oder weil sie so ka-
tholisch ist. Es ist ihr absolut authentisches und glaubwürdiges Christsein, das auch
Nichtgläubigen Respekt abverlangt. Denn nicht sie steht im Vordergrund, sondern die
Frauen und Kinder, für die sie sich einsetzt. Sie ist eine bescheidene, kluge, intellek-
tuelle und sehr fromme Frau, aber mit einer unbändigen Kraft, großer natürlicher Au-
torität und erheblichem Kampfgeist für das Gute und Gerechte. Das haben schon
viele Polizeibeamte, Staatsanwälte und Minister zu spüren bekommen, wenn sie den
Opfern nicht ausreichend Schutz geboten oder die Täter zu milde abgeurteilt haben.

Im Jahr 1985 hat sie als Missionsschwester unserer Lieben Frau von Afrika in Kenia
die Hilfsorganisation Solwodi gegründet, was für Solidarität mit Frauen in Not steht
(solidarity with women in distress). Als Lehrerin in den schwarzafrikanischen Län-
dern Ruanda und Kenia erlebte sie, wie gerade die armen Frauen zu Opfern von
Sex-Geschäften, sexueller Ausbeutung und Menschenhandel wurden. Sie war die
erste Christin in Afrika, Deutschland und Europa, die den Menschenhandel mit ihrer
ganzen Person und durch ihre Organisation überhaupt zum öffentlichen Thema ge-
macht hat. Human Trafficking wurde erst viel später im Jahr 2000 durch die UNO im
Protokoll to Prevent, Suppress and Punish Trafficking In Persons, Especially Women
and Children als Menschenrechtsverletzung anerkannt. Schwester Lea war also eine
Pionierin im Kampf gegen den Menschenhandel. An ihrer Seite stehen viele enga-
gierte Frauen, insbesondere Schwestern unterschiedlichster Orden, von denen eine
Abordnung uns heute hier die Ehre gibt. Sie helfen als Mitarbeiterinnen von Solwodi,
sie beraten und helfen oft ehrenamtlich durch seelsorgerliche Tätigkeiten, aber auch
in ganz praktischen Fragen, wie die Opfer beispielsweise dem Milieu und ihren Zu-
hältern entkommen können. Nicht zuletzt leben sie sogar zusammen mit den ver-
ängstigten und geschundenen Frauen und deren oft neu geborenen oder verängstig-
ten Kindern in Schutzwohnungen an geheimen Orten im Verborgenen. Sie vertreten
sie vor Gericht, kümmern sich um Zeugenschutzprogramme bei der Staatsanwalt-
schaft und erwirken Duldungen und Sozialleistungen für die betroffenen Frauen.
Auch in Kenia und Ruanda gibt es Hilfseinrichtungen von Solwodi und der Unteror-
ganisation Solgidi, was Schwester Lea noch ganz nebenbei in ihrem Alter überwacht
und organisiert. Wir danken ihr und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Sol-
wodi sehr für das höchst respektable soziale Engagement, das seinesgleichen sucht.

Fragen wir uns nun noch: Was ist nur das moraltheologisch Bedeutsame an Schwes-
ter Leas Wirken. Elementar erscheint mir, dass Schwester Lea sich nie gescheut hat,
das moralische Übel und Unrecht beim Namen zu nennen und den Mut besitzt, einer
allzu freizügigen Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Sie sagt und publiziert an
vielen Stellen klar, auch für alle, die das nicht hören wollen, dass es sich bei
Zwangsprostitution um Sklaverei in der übelsten Form handelt, die inmitten unseres
demokratischen Rechtsstaates geduldet wird. Das hängt damit zusammen, dass
Prostitution als Institution rechtlich und politisch geschützt wird – noch mehr seit dem
deutschen Prostitutionsgesetz von 2002. Dies führte nämlich zum Gegenteil dessen,
was angezielt war: Es gab keine größere rechtliche und soziale Sicherheit für die
Frauen in diesem Gewerbe. Deutschland wurde zum Bordell Europas (Spiegel 2015).
Man muss jetzt nicht mehr nach Thailand fahren. Und das ist genau betrachtet ein
Skandal, denn Sexarbeit ist keine Dienstleistung im herkömmlichen Sinne. Fast alle
Frauen sind rechtlos und werden aufs Übelste ausgebeutet, sie sind vorwiegend
Ausländerinnen ohne Gesundheitsschutz, soziale Absicherung, ohne Freiheitsrechte,
verängstigt, geschlagen, verzweifelt, psychisch an der Grenze zur Selbstaufgabe.
„Für diese Frauen ist Liebe ein Fremdwort“, so Schwester Lea.

Sie spricht theologisch gut begründet das aus, was viele verdrängen oder nicht wirk-
lich anschauen wollen, weil es ein kriminell organisiertes Geschäft ist, das der ver-
meintlich bürgerlichen Mitte gern nachgefragte Dienstleistungen anbietet. Es ist nicht
verwunderlich, dass es auch in Deutschland eine erhebliche politische Lobby für die
Institution einer möglichst liberalisierten Prostitution gibt. Die Tatsache, dass Mäd-
chen und Frauen nicht nur in Familien, sondern noch viel häufiger auf dem Prostituti-
onsmarkt Opfer sexueller Gewalt werden, hängt einfach damit zusammen, dass
Männern der Kauf von Sex in Deutschland und weiten Teilen der vermeintlich zivili-
sierten Welt immer noch ohne gesellschaftliche Ächtung gestattet ist. Dass dies auch
anders geht, sehen wir im protestantischen und säkularisierten Schweden und ande-
ren skandinavischen Ländern, in denen Jungs in dem Bewusstsein aufwachsen,
dass Menschen nicht käuflich sind und es auch nicht sein dürfen. Modernisierung
von Gesellschaften ist deshalb nicht gleichzusetzen mit Liberalisierung ihrer Moral.
Vielmehr kommt es in manch modernisierten Gesellschaften der Welt zu einer Schär-
fung der Geschlechter- und Rechtsmoral, die gerade die christliche Ethik würdigen
kann. Ich gehe davon aus, dass wir als katholische Kirche hier eine Bringschuld be-
züglich der rechtsethischen Bewusstseinsbildung in der breiten Bevölkerung besitzen
und dass wir die Wandlungsprozesse in anderen europäischen Ländern mit vollzie-
hen sollten. Wir müssen deshalb das Verdienst von Schwester Lea in höchstem Ma-
ße anerkennen, weil sie seit dreißig Jahren eine der wenigen ist, die von Seiten der
katholischen Kirche vehement für den Opferschutz eintritt und politisch wirksam ihre
Stimme erhebt.

Wenn Schwester Lea ganz klar öffentlich in Schrift und Wort für ein Verbot der Prosti-
tution eintritt, so wird ihr nicht katholische Prüderie und Sexualfeindlichkeit vorgewor-
fen. Nein, selbst eine säkulare kritische Presse glaubt ihr, dass sie nicht nur aufgrund
eingehender theologischer Reflexion, sondern aufgrund der immer wieder gleichen
Erfahrung aller zahlloser betroffenen Frauen, die sie selbst betreut hat, sagen kann:
Prostitution schadet jedem Menschen: den Opfern und den Tätern, aber ganz be-
sonders denen, die sie ohne menschliche Gefühle und in beständiger Verleugnung
ihrer selbst aushalten müssen. Prostitution verletzt grundsätzlich menschliche Wür-
de. Und ich spreche jetzt ganz bewusst nicht nur von Zwangsprostitution. Sie ent-
fremdet die Frauen von ihrer eigenen Identität – gar nicht zu reden von den unver-
meidbaren medizinischen und erheblichen psychischen Folgen in Form von Trauma-
ta und Depressionen, die Schwester Lea nicht müde wird öffentlich zu machen.

Wir müssen und wollen als theologische Fakultät anerkennen, dass es auch für sie
nicht politisch korrekt und mühselig ist, einen erforderlichen Bewusstseinswandel
bezüglich sexueller Gewalt in einer säkularen Welt plausibel zu machen. Dass ge-
schlechtliches Beisammensein eine Interaktion sein sollte, die grundsätzlich nur völlig
freiwillig aus wechselseitiger Zuneigung und Liebe geschehen sollte und niemals als
Dienstleistung angeboten werden darf, das ist eine Botschaft, die das Christentum
nach wie vor mutig in aller Öffentlichkeit vertreten kann und sollte. Dies scheint mir
als Sozialethikerin aus Gründen der Einhaltung der Menschenrechte und um die In-
strumentalisierung von Menschen zu vermeiden, deutlich wichtiger zu sein als die
Formulierung einer Hochmoral, auch wenn diese für Christen unverzichtbar ist. Wir
vermissen von theologischer Seite die moraltheologischen Reflexionen und inner-
kirchlichen Stimmen, die Schwester Lea in ihrem Kampf gegen Menschenhandel und
sexuelle Ausbeutung unterstützen. Denn ihre Unterstützung sollte eine gemeinsame
Herzenssache aller Christen und Christinnen im Sinne der Opfer sein.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Seit Schwester Lea Ackermann von ihrem
Orden die großzügige Freistellung für die Gründung der Organisation Solwodi erhal-
ten hat, hilft sie Frauen, die Opfer von Menschenhandel und Gewalt wurden. Sie hilft
ihnen wieder aufrecht zu gehen und sich in ein bürgerliches Leben einzugliedern.
Dass Sie dadurch in ihrem pastoralen Lebenswerk enormes geleistet hat steht außer
Frage. Sie hat jedoch auch durch ihre theologischen Reflexionen in zahlreichen Pub-
likationen einen gewichtigen Beitrag zur christlichen Menschenrechtsethik und zur
theologischen Sexualethik geleistet. Wir danken ihr hierfür von Herzen und wollen
dies dadurch tun, dass wir ihr als Theologische Fakultät der Universität Erfurt die Eh-
rendoktorwürde in Katholischer Theologie verleihen.
Sie können auch lesen