Magazin - Helfer auf vier Pfoten Assistenzhunde erleichtern Menschen mit Behinderung den Alltag - Sozialverband Deutschland

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Magazin - Helfer auf vier Pfoten Assistenzhunde erleichtern Menschen mit Behinderung den Alltag - Sozialverband Deutschland
Oktober
                                                 2020

                      Magazin
  Herausgegeben vom Sozialverband Deutschland

    Helfer auf vier Pfoten
    Assistenzhunde erleichtern
Menschen mit Behinderung den Alltag
Magazin - Helfer auf vier Pfoten Assistenzhunde erleichtern Menschen mit Behinderung den Alltag - Sozialverband Deutschland
2     Über uns                                                                                                                                                                                                   Inhalt      3

    Eine starke Gemeinschaft                                                                        Pflege gerecht finanzieren

    Der Sozialverband Deutschland (SoVD)               rungssysteme ein. Der Sozialstaat ist ein    Armut und Benachteiligung durch Pfle-
    vertritt die Interessen der Rentner, der           wichtiges Auffangnetz für die Menschen       gekosten – SoVD für Vollversicherung
    Patienten und gesetzlich Krankenversi-             – das zeigt sich gerade in Zeiten wirt-
    cherten sowie der pflegebedürftigen und            schaftlicher Krisen. Uns geht es auch um
                                                                                                                                                      Seite 4 – 11
    behinderten Menschen. Wir setzen uns für           Chancengleichheit, zum Beispiel um die
    Ihre Rechte ein und bie-                                           Bildung und Ausbildung,                                                                                   Armut in der EU bekämpfen
    ten unseren Mitgliedern                                            die unsere Gesellschaft
    Beratungsstellen in ganz                                           behinderten und benach-                                                                                   Digitale Veranstaltung von SoVD und
    Deutschland. Dort erhal-                                           teiligten Kindern und Ju-                                                                                 AWO am 12. Oktober – jetzt anmelden.
    ten sie Hilfe bei Fragen                                           gendlichen bietet.
    zur gesetzlichen Kranken-,                                         Der SoVD ist eine starke
                                                                                                                                                                                                             Seite 16 – 19
    Renten- und Pflegeversicherung oder in             Gemeinschaft mit rund 600.000 Mitglie-
    behindertenrechtlichen Dingen. Soziale             dern. Bei uns können Sie sich engagieren
                                                                                                    Mehr Zuschuss
    Gerechtigkeit steht im Mittelpunkt un-             und mit anderen gemeinsam aktiv wer-
    serer Arbeit. Wir setzen uns für den Aus-          den. Einer von über 2.000 Ortsverbänden      Krankenkassen übernehmen höheren
    bau und den Erhalt der sozialen Siche-             befindet sich bestimmt auch in Ihrer Nähe.   Anteil bei Zahnbehandlungen

                                                                                                                                                    Seite 20 – 25

                                                                                                                                                                                 Helfer auf vier Pfoten
                                                                                                                                                                                 Der Verein Pfotenpiloten setzt sich für
                                                                                                                                                                                 Assistenzhunde ein

                                                                                                                                                                                                             Seite 26 – 37

                                                                                                    Einsamkeit im Alter

                                                                                                    Schweizer Dokumentation widmet sich
                                                                                                    sensiblem Thema

                                                                                                                                                    Seite 38 – 45
    Die bundesweit über 600.000 Mitglieder des SoVD bilden eine starke Gemeinschaft.
                                                                                                    Foto Titelbild: Andi Weiland | Pfotenpiloten e. V., Gesellschaftsbilder.de
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4   Sozialpolitik                                                                                                                 Sozialpolitik            5

                           Armut und Benachteiligung durch Pflegekosten – SoVD für solidarische Vollversicherung

                                     Pflege endlich gerecht finanzieren

      Im Pflegefall kann es teuer werden.
      Steigende Kosten müssen die rund 3,4
      Millionen Pflegebedürftigen selbst
      tragen, denn ob stationär oder am-
      bulant: Die Pflegeversicherung deckt
      nicht alle Leistungen ab. Diese „Teil-
      kasko“ ist für viele ein Armutsrisiko
      – aus SoVD-Sicht unhaltbar. Bereits
      lange sichtbar sind außerdem die
      strukturellen Probleme in der Pflege.
      Bei der Versorgung und ihrer Finan-
      zierung ist dringend eine umfassende
      Reform nötig.

                                                                                                                         Foto: Mediteraneo / Adobe Stock

                                                                                                        Pflegekosten belasten Betroffene und
                                                                                                        ihre Angehörige. Um sie fair zu gestal-
                                                                                                        ten, fordert der SoVD Reformen.
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6   Sozialpolitik                                                                                                      Sozialpolitik        7

      In einem breiten Zusammen-            bedarf besteht, landete in den
      schluss engagiert sich der SoVD       letzten Monaten stärker auf den
      deshalb für bessere Bedingungen       Tagesordnungen, weil das ganze
      und eine andere Pflegeversiche-       Gesundheitssystem in der Coron-
      rung. Das „Bündnis für Gute Pfle-     avirus-Pandemie viel Aufmerk-
      ge“ aus 23 Verbänden und Organi-      samkeit bekommt. Mängel, Gren-
      sationen sowie 14 Unterstützern,      zen und Gefahren – auch soziale
      die rund 13,6 Millionen Menschen      – werden sichtbarer.
      vertreten, stellte einen Forde-       So befasst sich das Bundesge-
      rungskatalog auf.                     sundheitsministerium (BMG) end-
      Neben mehr Personal und dessen        lich verstärkt damit, dass es in
      besserer Bezahlung will es einen      Kliniken, Praxen, Heimen, ambu-
      Systemwechsel in der Finanzie-        lanten Diensten und bei Pflege-
      rung: hin zu einer gerechten, soli-   bedürftigen etliche Problemla-
      darischen, paritätischen und nach-    gen gibt. Auf viele weist der SoVD
      haltigen Versicherung, die alle       schon lange hin.
      pflegebedingten Kosten deckt.         Eine einmalige „Corona-Prämie“
      Das Bündnis fordert unter ande-       für Pflegekräfte, die nicht einmal
      rem, „versicherungsfremde“ Leis-      alle erhalten, ändert an deren Si-
      tungen mit Steuern zu finanzieren,    tuation im Grundsatz wenig. Auch
      medizinische Behandlungspflege        dieser Bonus wird im Übrigen
      in Heimen systemgerecht über          großteils über die belastete Pfle-
      die Kranken- statt Pflegekasse zu     geversicherung finanziert – mit
      bezahlen und den Pflegevorsorge-      bis zu 1.000 Euro, bis 1.500 Euro
      fonds aufzulösen, damit er in die     sollen Länder-Zuschüsse ermögli-
      Versicherung fließt. Zudem seien      chen.
      die Leistungen entlang der Loh-
      nentwicklung zu dynamisieren. Ei-     Pflegebedarf als Armutsrisiko –
                                                                                                               Foto: toa555 / Adobe Stock
      genanteile der Pflegebedürftigen      echte Reform überfällig
                                                                                 Eigenanteile bei Pflegebedürftgkeit sind stark
      seien kurzfristig zu begrenzen.       Gesundheitsminister Jens Spahn       gestiegen. Das ist nicht nur unfair, sondern kann
      Dass in der Pflege Änderungs-         (CDU) hat viele Pakete und Ge-       Betroffene zu „Sozialfällen“ machen.
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8   Sozialpolitik                                                                                                                                Sozialpolitik    9

      setze im gesamten Gesundheits-                                                                                        ten erbringen auch bei Hilfe durch
      bereich zugesagt oder Entwürfe                                                                                        Pflegedienste nicht diese, sondern
      vorgestellt. Was in der laufenden                                                                                     Angehörige oder gar die Pflegebe-
      Legislatur noch wirklich kommt,                                                                                       dürftigen selbst, notgedrungen, so
      muss sich zeigen.                                                                                                     gut wie möglich – und ohne Ver-
      Eigentlich stand dabei ebenfalls                                                                                      gütung.
      ein Gesetz zur Reform der Pflege-
      versicherung auf der Agenda: Das                                                                                      Heimbewohnende zahlen über
      hatte Spahn im Januar für die Jah-                                                                                    2.000 Euro im Monat
      resmitte angekündigt, verschob                                                                                        Ob Heim oder daheim: Alles über
      dann aber die Diskussion auf den                                                                                      den Festbetrag hinaus zahlen die
      Herbst. In der Debatte soll es                                                                                        Versicherten selbst. Ihr Eigenan-
      auch um neue Finanzlöcher durch                                                                                       teil in Heimen liegt inzwischen
      die Corona-Krise gehen, also um                                                                                       im Bundesdurchschnitt bei 2.015
      „Machbarkeit“. Ein Gesetzentwurf                                                                                      Euro im Monat. Davon sind 786
      liegt noch nicht vor.                                                                                                 Euro für die eigentliche Pflege,
      Zu befürchten ist, dass dieser nur                                                                                    455 Euro für Investitionskosten
      ein kleiner Wurf wird. Keine Lösung                                                                                   der Heime und der Rest für Un-
      kann es nach Überzeugung des                                                                                          terkunft und Verpflegung. „Selbst
      SoVD etwa sein, allein die private                                                                                    mit einer auskömmlichen Rente
      Pflegeversicherung zu stärken.                                                                                        ist dies nicht mehr zu bewältigen“,
      Aus Verbandssicht ist eine echte                                                                                      sagt dazu SoVD-Präsident Adolf
      Reform fällig, die nicht „nach Kas-   die Pflegebedürftigen, die das be-                                              Bauer.
      senlage“ aufschiebbar ist. Dafür      sonders trifft.                                                                 Die Durchschnittsrente betrug
      gibt es mehr Gründe als den von       Durch steigende Eigenanteile                                                    2019 laut Deutscher Rentenver-
      der Politik benannten, dass bald      führt Pflegebedarf oft zu prekä-                                                sicherung über alle Rentenarten
      die geburtenstarken Jahrgänge         ren Lagen. Denn die Pflegekas-                                                  hinweg 954 Euro. Viele liegen
      ins Pflegebedürftigkeitsalter kom-    se bezahlt nur eine Pauschale, je                                               weit darunter. Jede*r dritte Heim-
      men. Schon jetzt wachsen Bedarf       nach Pflegegrad. Ambulant ist der               Foto: godfather / Adobe Stock
                                                                                                                            bewohnende bezieht Sozialhilfe.
      und Kosten, schon jetzt ist die Fi-   tatsächliche Bedarf besonders          Heimkosten liegen monatlich              „Eine qualitativ hochwertige und
      nanzierung schwierig; und es sind     schwer zu beziffern. Viele Tätigkei-   oft im vierstelligen Bereich.            am Bedarf orientierte Pflege setzt
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10   Sozialpolitik                                                                                                    Sozialpolitik 11

       eine deutlich bessere Personal-                   Reformbedarf, denn Pflege geht         sein. Lösbar wäre das nur durch
       ausstattung in der stationären und                alle an.“                              den nachhaltigen Umbau der Pfle-
       ambulanten Altenpflege voraus                                                            geversicherung.
       sowie eine angemessene tarifli-                   SoVD für Vollversicherung: ge-         Hierzu kursieren verschiedene Mo-
       che Bezahlung“, so Bauer weiter.                  recht, solidarisch, nachhaltig         delle – etwa, die Eigenanteile zu de-
       „Die damit verbundenen Kosten-                    Pflege ist eine Aufgabe der gan-       ckeln. Populär ist der „Sockel-Spit-
       steigerungen dürfen jedoch nicht                  zen Gesellschaft. Ihre Finanzie-       ze-Tausch“. Er kehrt das aktuelle
       einseitig zulasten der Betroffenen                rung muss daher aus SoVD-Sicht         Modell um: Pflegebedürftige wür-
       gehen. Hier besteht dringender                    zukunftssicher, solidarisch und fair   den einen Festbetrag zahlen, alles
                                                                                                darüber übernähme die Kasse.
                                                                                                Der SoVD tritt für eine Bür-
                                                                                                ger-Vollversicherung in der Pflege
                                                                                                ein. Damit entfielen Eigenantei-
                                                                                                le langfristig ganz. Alle Bevölke-
                                                                                                rungsgruppen sollten solidarisch
                                                                                                einzahlen, auch Beamte und
                                                                                                Selbstständige. Die Beiträge im
                                                                                                Berufsleben wären paritätisch
                                                                                                zu übernehmen, sie würden ver-
                                                                                                mutlich nur gering steigen. Da-
                                                                                                für könnte die Versicherung alle
                                                                                                pflegebedingten Leistungen ab-
                                                                                                decken. Investitionskosten sollen
                                                                                                endlich, wie bei Einführung der
                                                                                                Pflegeversicherung 1995 geplant,
                                                                                                die Länder tragen, statt sie auf die
                                                                                                Heimbewohnenden abzuschieben.
                                             Foto: Photographee.eu / Adobe Stock
                                                                                                Diesen blieben dann noch die
      Die tatsächlichen Kosten und Leistungen im Fall häuslicher Pfle-                          Kosten für Unterkunft und Verpfle-
      ge lassen sich kaum korrekt beziffern – oft übernehmen Pflege-                            gung – die sie auch ohne Pflege-
      bedürftige und Angehörige trotz Pflegedienst vieles selbst.
                                                                                                bedarf hätten.
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12   Sozialpolitik                                                                                                                       Sozialpolitik 13

                                      Vereinbarkeit von Pflege, Beruf und Familie nicht genug gestärkt – hohe Dunkelziffer

                                    Pflegende Angehörige kommen zu kurz

       Nicht nur die berufliche Pflege                                                                              Rund drei Viertel der 3,41 Millio-
       braucht aus SoVD-Sicht Unter-                                                                                nen anerkannt Pflegebedürftigen
       stützung. Oft vergessen wird eine                                                                            werden laut Statistischem Bun-
       riesige Gruppe: pflegende Ange-                                                                              desamt zu Hause versorgt: unge-
       hörige. Denn wohnen Pflegebe-                                                                                fähr 2,6 Millionen Menschen. Bei
       dürftige zu Hause statt im Heim,                                                                             den meisten (1,76 Millionen, letz-
       sind ambulante Dienste nicht die                                                                             te Zahlen von 2017) tragen allein
       einzige Hilfe. Viele Familienmit-                                                                            Angehörige die Pflege-Verantwor-
       glieder übernehmen die Versor-                                                                               tung.
       gung – ganz oder zum Teil, indem                                                                             Zudem liegt die wahre Zahl ver-
       sie die Tätigkeiten des Pflege-                                                                              mutlich höher. Das gilt vor allem,
       dienstes ergänzen. Doch drohen                                                                               wenn das mitzählt, was nur die
       ihnen dadurch Nachteile.                                                                                     Familie übernimmt und was als
                                                                                                                    Pflegeleistung definierbar, aber
                                                                                                                    nicht erfasst ist. Nach Schätzun-
                                                                                                                    gen des Deutschen Instituts für
                                                                                                                    Wirtschaftsforschung (DIW) be-
                                                                                                                    trüge die „Dunkelziffer“ bis zu 4,6
                                                                                                                    Millionen Hilfsbedürftige nur bei
                                                                                                                    Sorgearbeit zu Hause. Viele Ange-
                                                                                                                    hörige pflegen unvergütet.
                                                                                                                    Der SoVD nimmt die aktuellen
                            Foto: fizkes / Adobe Stock

       Oft sind es Frauen, die zu Hause
                                                                                                                    Pflegedebatten zum Anlass, er-
       Pflegearbeit übernehmen.                                                                                     neut hierauf hinzuweisen: Es dro-
Magazin - Helfer auf vier Pfoten Assistenzhunde erleichtern Menschen mit Behinderung den Alltag - Sozialverband Deutschland
14   Sozialpolitik                                                                                                         Sozialpolitik 15

                                                                                                       Ein Jahr später hat sich seitens
                                                                                                       der Politik wenig getan. Dabei war
                                                                                                       der Stellenwert häuslicher Sorge-
                                                                                                       arbeit im Corona-Lockdown allzu
       hen auch berufliche und damit                                                                   deutlich. Forderungen nach aus-
       Renten-Einbußen. In 70 Prozent                                                                  geweiteten Lohnersatzleistungen
       treffen sie Frauen. Sie pflegen im                                                              wurden nicht umgesetzt. Immer-
       Durchschnitt 21 Stunden pro Wo-                                                                 hin gab es vom Familienministe-
       che unbezahlt. Diese Zahlen hatte                                                               rium Krisen-Akuthilfen wie einen
       ein Gutachten ergeben, mit dem                                                                  einfacheren Zugang zur Famili-
       der SoVD vor einem Jahr vor „Al-                                                                enpflegezeit und doppelt so lan-
       tersarmut von Frauen durch häus-                                                                ge Pflegeunterstützungsgeld (20
       liche Pflege“ warnte. Der Verband                                                               statt 10 Tage). Doch die Rege-
       meint: Pflege muss für alle mit                                                                 lungen gelten nur coronabedingt
                                                                Foto: Racle Fotodesign / Adobe Stock
       dem Beruf vereinbar sein – und                                                                  und sind zeitlich begrenzt – das
                                            Private Pflege kann das Berufsleben stören
       mit dem Familienleben. Denn          und die ganze Familie belasten – egal, ob man
                                                                                                       hilft den dauerhaft Pflegenden
       auch das leidet oft.                 Ältere versorgt oder ein Kind mit Pflegebedarf.            nicht.
Magazin - Helfer auf vier Pfoten Assistenzhunde erleichtern Menschen mit Behinderung den Alltag - Sozialverband Deutschland
16   Sozialpolitik                                                                                                       Sozialpolitik 17

                                                                Digitale Veranstaltung von SoVD und AWO am 12. Oktober

                                                            Armut europäisch bekämpfen

       Gemeinsam mit der AWO veran-
       staltet der SoVD eine digitale Ta-
       gung über „Europäische Strategien
       zur Armutsbekämpfung – Perspek-
       tiven für ein Europa von morgen“.
       Es sprechen Vertreter*innen bei-
       der Verbände, Wissenschaftler*in-
       nen und Politiker*innen, darunter
       Bundesarbeitminister Hubertus
       Heil.

                           Foto: Jonathan Stutz / Adobe Stock

       SoVD und AWO diskutieren über die Sozialpo-
       litik der EU. Das Ziel, die Armutsgefährdung
       bis 2020 deutlich zu senken, wurde verfehlt.
Magazin - Helfer auf vier Pfoten Assistenzhunde erleichtern Menschen mit Behinderung den Alltag - Sozialverband Deutschland
18   Sozialpolitik                                                                                                            Sozialpolitik 19

                                                                      Die deutsche EU-Ratspräsident-       pa-2020-Strategie“, die Zahl der
                                                                      schaft fällt in eine bewegte Zeit.   armutsgefährdeten Menschen um
                                                                      Neben der Bewältigung der Co-        20 Millionen zu reduzieren, wurde
                                                                      rona-Pandemie und notwendi-          weit verfehlt.
                                                                      gen Aktionen gegen die Klima-        Unter dem Titel „Europäische
                                                                      katastrophe ist auch das Soziale     Strategien zur Armutsbekämpfung
                                                                      ein Politikfeld mit großem Hand-     – Perspektiven für ein Europa von
                                                                      lungsbedarf. Das Ziel der „Euro-     morgen“ organisieren der SoVD
                                                                                                           und die AWO deshalb am 12. Ok-
                                                                                                           tober von 11 bis 13 Uhr eine di-
                                                                                                           gitale Veranstaltung. Es sprechen
                                                                                                           unter anderem SoVD-Präsident
                                                                                                           Adolf Bauer und AWO-Präsidiums-
                                                                                                           mitglied Gerwin Stöcken.
                                                                                                           Der Bundesarbeitsminister Huber-
                                                                                                           tus Heil (SPD) referiert zum The-
                                                                                                           ma „Welchen Beitrag zur europa-
                                                                                                           weiten Armutsbekämpfung leistet
                                                                                                           die deutsche EU-Ratspräsident-
                                                                                                           schaft – und wie geht es danach
                                                                                                           weiter?“. Nicolas Schmit, EU-Kom-
                                                                                                           missar für Beschäftigung und so-
                                                                                                           ziale Rechte, spricht zu „Visionen
                                                                                 Hubertus Heil             der Europäischen Kommission für
                                                                                                           ein Europa von morgen ohne Ar-
                                                                                                           mut“. Eine Diskussionsrunde fragt
                                                                                                           nach europäischen Strategien der
                                                                                                           Armutsbekämpfung.
                                       Foto: Sara Kurfeß / unsplash
                                                                                                           Informationen zu Anmeldung und
                     Derzeit sind die Aussichten trübe. Wie
                                                                                                           Programm gibt es auf: sovd.de/
                     ein Europa von morgen aussehen kann,
                     fragen SoVD und AWO am 12. Oktober.                                                   eu-armut-digital.
20   Sozialpolitik                                                                                                                  Sozialpolitik 21

                                   Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen ab Oktober einen höheren Anteil

                                          Mehr Zuschuss zum Zahnersatz

          Wer einen Zahnersatz benötigt, muss sich auf eine hohe
          Rechnung einstellen. Die Krankenkassen übernahmen
          bisher die Hälfte des Regelsatzes. Seit Oktober dieses
          Jahres ist der Zuschuss um 10 Prozent auf 60 Prozent
          gestiegen. Wer jährlich zum Zahnarzt geht und das mit
          einem Bonusheft nachweist, kann sogar bis zu 75 Pro-
          zent erstattet bekommen.

                                                                                                 Foto: focusandblur / Adobe Stock

                                                                         Ein Zahnersatz ist teuer. Die gesetzlichen Kran-
                                                                         kenkassen übernehmen aber jetzt mehr als die
                                                                         Hälfte der Regelversorgungskosten.
22   Sozialpolitik                                                                         Sozialpolitik 23

       Zahnersatz ist eine teure Angele-    Die Regelversorgung ist die kos-
       genheit. Nicht selten liegen die     tengünstigste Variante für die
       Kosten für eine Krone, eine Brü-     Patient*innen. Alle Leistungen,
       cke, ein Implantat oder eine Pro-    die nicht dazu gehören, wie zum
       these im vierstelligen Bereich und   Beispiel eine Keramikvollverblen-
       entsprechen damit dem Gegen-         dung oder eine Goldlegierung,
       wert einer Urlaubsreise. Damit       müssen Versicherte komplett aus
       sich auch Normalverdiener*innen      eigener Tasche bezahlen. Den Zu-
       einen Zahnersatz leisten können,     schuss zu den Basisleistungen der
       übernehmen die Krankenkassen         Regelversorgung gibt es natürlich
       den Festzuschuss. Der orientiert     trotzdem.
       sich an den Kosten der Regel-
       versorgung und betrug bisher 50
       Prozent. Dank des 2019 beschlos-
       senen „Gesetzes für schnellere
       Termine und bessere Versorgung“
       steigt der Zuschuss jetzt auf 60
       Prozent.

                                                                Foto: maho / Adobe Stock

                                            Der Zahnarztbesuch macht selten Spaß.
                                            Ein gepflegtes Bonusheft kann dafür
                                            Geld sparen.
24   Sozialpolitik                                                                                                     Sozialpolitik 25

                                                              Regelmäßiger Besuch der              jede*n weitere*n Angehörige*n
                                                              Zahnarztpraxis lohnt sich            kommen 318,50 Euro dazu) be-
                                                              Wer regelmäßig mindestens ein-       kommen 100 Prozent erstattet.
                                                              mal im Jahr zum*zur Zahnarzt*ärz-    Aber auch Menschen, deren Ein-
                                                              tin geht und dies durch ein Bonus-   kommen nur wenig darüber liegt,
                                                              heft nachweisen kann, bei dem*der    können dank der „gleitenden Här-
                                                              steigt der Zuschuss sogar auf 70     tefallregelung“ einen höheren Zu-
                                                              Prozent (fünf Jahre lückenloser      schuss erhalten.
                                                              Nachweis) bis 75 Prozent (zehn
                                                              Jahre lückenloser Nachweis).         Grundlage ist immer ein
                                                              Hat man in den letzten zehn Jah-     Heil- und Kostenplan
                                                              ren einmal die zahnärztliche Un-     Vor Beginnn der Behandlung wird
                                                              tersuchung vergessen, gibt es        ein Heil- und Kostenplan aufge-
                                                              seit Oktober trotzdem 75 Prozent,    stellt. Darin sind die Leistungen
                                                              wenn die Person die letzten fünf     detailliert aufgelistet, darunter
                                                              Jahre vor der Behandlung lücken-     auch der Eigenanteil. Dazu muss
                                                              los nachweisen kann.                 auch das Bonusheft und eventuell
                                                                                                   der Härtefallantrag eingereicht
                                                              Für Geringverdienende gibt           werden.
                                                              es eine Härtefallregelung            Wer im Voraus wissen will, wie
                                                              Empfänger*innen von Sozialleis-      hoch die eigenen Kosten sind, kann
                                                              tungen (ALG II, Hartz IV, BAföG,     das auch im Internet mithilfe von
                                                              Grundsicherung, Kriegsopferfür-      Zahnersatz- oder Festzuschuss-
                                                              sorge) oder Menschen mit einem       rechnern ermitteln. Verbindlich
                                                              geringen Einkommen bis 1.274         sind aber nur die Angaben, welche
                                                              Euro monatlich bzw. mit einem*r      die Krankenkasse in ihrer Zusage
                                                              Angehörigen 1.751,75 Euro (für       abgibt.

                              Foto: megaflopp / Adobe Stock

        Tut zwar weh, aber zumindest der finanzielle
        Schmerz kann künftig etwas glimpflicher
        ausfallen.
26 Titelthema                                                                                                          Titelthema   27

                                 Der Verein „Pfotenpiloten e. V.“ betreibt Grundlagenarbeit zum Thema Assistenzhunde

                                                                   Helfer auf vier Pfoten

      Assistenzhunde verhelfen Menschen mit Han-
      dicap zu mehr Unabhängigkeit, Sicherheit, Mo-
      bilität und Teilhabe. Aber in Deutschland sind
      sie fast unbekannt. Der Bereich Assistenz durch
      Hunde ist auch strukturell bis auf den Blinden-
      hund völlig ungeregelt. „Pfotenpiloten e. V.“
      will das ändern und Akzeptanz und Grundlagen
      schaffen – national und international.

                                             Foto: Pfotenpiloten

       Sieht nicht nur putzig aus, sondern macht als Assis-
       tenzhund einen wichtigen Job.
28   Titelthema                                                                Titelthema            29

       Als Roswitha Warda die gemein-                 hoffen: Die Ausbildung der Hunde
       nützige und unabhängige Orga-                  und ihrer Ausbilder*innen ist nicht
       nisation „Pfotenpiloten“ gründe-               geregelt, es gibt keine einheitli-
       te, war ihr nicht klar, was für eine           chen Qualitätsnormen. Selbst die
       Mammutarbeit damit auf sie zu-                 Kenndecken und Abzeichen der
       kommen würde. Während ihres                    Assistenzhunde sind oft Marke Ei-
       Aufenthalts in den USA hatte sie               genbau.
       erlebt, wie gut und wichtig As-
       sistenzhunde für Menschen mit                  Noch fehlen Strukturen für den
       Behinderungen sein können. Zu-                 Umgang mit Assistenzhunden
       rück in Deutschland ließ sich ihre             Die      „Pfotenpiloten“-Gründerin
       Tochter zur Blindenführhund-Trai-              sagt dazu: „Gerade im Assistenz-
       nerin ausbilden. Dadurch stell-                hundebereich, wo die Leute keine
       te Roswitha Warda fest, dass in                Förderung haben, wo sie extreme
       Deutschland selbst grundlegende                Entbehrungen auf sich nehmen,
       Strukturen im Assistenzhunde-Be-               um so ein Tier zu bekommen, darf
       reich fehlen.                                  es nicht sein, dass man sich auf
       Abgesehen von Blindenhunden                    sein Bauchgefühl verlassen muss,
       waren und sind Hunde als Helfer                weil es keine Strukturen gibt.“
       für Menschen mit anderen Handi-                In vielen anderen europäischen
       caps wie zum Beispiel Traumabe-                Ländern sieht es auch nicht viel
       lastung, Diabetes oder Hörbehin-               besser aus als in Deutschland,
       derung weitgehend unbekannt.
       „Wir haben eine Ausstellung auf-
       gebaut mit Aktion Mensch. Von
       zehn Leuten, die reinkommen,
       wissen acht davon nichts“, resü-
       miert Roswitha Warda.
                                                                            Foto: Sabrina Parczany
       Wer einen Assistenzhund möch-
                                              Dank Zutrittskampagne darf Sabrina Parczany
       te, muss selbst dafür zahlen und       ihre Epilepsiehündin June trotz allgemeinem
       bei der „Anschaffung“ auf Glück        Hundeverbot mit ins Gebäude nehmen.
30   Titelthema                                                        Titelthema 31

      während etwa Großbritannien
      schon seit Jahren viel besser auf-
      gestellt ist. Roswitha Warda weiß:
      „Der englischsprachige Raum ist
      uns um 20 Jahre voraus.“

      Aktuelle Kampagne
      „Assistenzhund willkommen“
      Angesichts der geringen Zahl von
      Assistenzhunden in Deutschland
      (geschätzt 500 bis 1.000) und im
      gesamten Europa war Roswitha
      Warda klar, dass von staatlicher
      Seite kein dringender Handlungs-
      bedarf besteht. Daher beschloss
      sie tatkräftig, die Sache selbst an-
      zugehen, indem sie „Pfotenpiloten
      e. V.“ gründete.
      „Pfotenpiloten“ arbeitet mithilfe

                                                                       Foto: Aktion Mensch

                                             Assistenzhündin Rieke ist Herrchen Jens
                                             Schmidt eine große Hilfe. Hier reicht sie
                                             ihm eine Mütze.
32   Titelthema                                                              Titelthema               33

       von haupt- und ehrenamtlichen
       Mitarbeiter*innen,    Mitgliedern
       und Unterstützer*innen seit fünf
       Jahren an vielen Baustellen:
       Die Öffentlichkeit soll über das
       Thema Assistenzhunde aufgeklärt
       werden, mit der Kampagne „Assis-
       tenzhund willkommen“ (die noch
       bis 2021 läuft) können Geschäfte
       und Einrichtungen mit Aufklebern
       signalisieren, dass Assistenzhun-
       den der Zutritt erlaubt ist. Die
       Angst von Geschäftsinhaber*in-
       nen und Kund*innen, dass die An-
       wesenheit eines Assistenzhundes
       unhygienisch ist, kann „Pfotenpi-
       loten“ mit Schreiben qualifizier-
       ter Expert*innen entkräften: Ein
       gut ausgebildeter Assistenzhund
       sei nicht unhygienischer als ein
       Mensch in Straßenkleidung.

       Bereits erste Gespräche
       mit dem Ministerium
       Auf europäischer Ebene sollen
       Qualitätsrichtlinien für die Ausbil-
       dung erstellt werden, die „Stiftung
                                                          Foto: Andi Weiland | Pfotenpiloten e. V.,
       Assistenzhund“ will Assistenzhun-                                   Gesellschaftsbilder.de
       de-Teams zertifizieren. Damit soll     Der „beste Freund des Menschen“ bietet
       eine transparente, einfache und        ganz praktische Hilfe.
34   Titelthema                                                                                                                         Titelthema 35

                                                                            unabhängige       Bewertungsstel-    „Pfotenpiloten“ baut nationale
                                                                            le geschaffen werden, die allen      und internationale Partnerschaf-
                                                                            mehr Sicherheit gibt. An den tech-   ten für das Konzept Assistenzhund
                                                                            nischen und inhaltlichen Voraus-     auf. Denn auf nationaler Ebene ist
                                                                            setzungen für eine Video-Evaluie-    die Zahl der Betroffenen zu klein,
                                                                            rung wird bereits gearbeitet.        um Gewicht zu erhalten.
                                                                            Von „Pfotenpiloten“ anerkannte       Auch politisch bringt sich „Pfo-
                                                                            Teams sollen in Zukunft von einer    tenpiloten“ ein: Im Oktober 2019
                                                                            Telefon-Hotline unterstützt und      wurden erste Gespräche mit dem
                                                                            gezielt gefördert werden.            Bundesministerium für Arbeit und
                                                                            Der Verein bemüht sich außerdem      Soziales (BMAS) zum geplanten
                                                                            um wissenschaftliche Studien, um     Assistenzhundegesetz       geführt,
                                                                            zum Beispiel die positiven Aus-      das unter anderem die Rechte von
                                                                            wirkungen von Assistenzhunden        Assistenzhunden und -Halter*in-
                                                                            nachzuweisen.                        nen regeln soll. Leider hat seit

         Foto: Andi Weiland | Pfotenpiloten e. V., Gesellschaftsbilder.de

       Für Menschen mit Behinderung können Assis-
       tenzhunde eine große Erleichterung sein.
36   Titelthema                                                                Titelthema            37

       dem Frühjahr Corona alle ande-
       ren Themen in die Warteschleife
       geschoben. Roswitha Warda be-
       fürchtet, dass es in dieser Legis-
       laturperiode vielleicht nicht mehr
       klappen könnte mit dem Gesetz.
       Finanziert werden die „Pfotenpi-
       loten“ und ihre Projekte unter an-
       derem durch das BMAS, Lotterien,
       Mitgliedsbeiträge, Förderer und
       Spenden.
       Die Aufgaben, die sich der Ver-
       ein gestellt hat, sind immens und
       langwierig. Daher hofft Initiatorin
       und Gründerin Roswitha Warda
       für die Zukunft auf eine dauerhaf-
       te Unterstützung durch Sozialträ-
       ger und auf Spenden.

                                                   Foto: Foto: Andi Weiland | Pfotenpiloten e. V.,
                                                                          Gesellschaftsbilder.de

                                             Hund und Herrchen Ton in Ton.
38   Vermischtes                                                                                                                Vermischtes           39

                   Die Schweizer Dokumentation „Immer noch Frau“ kommt am 26. November in die deutschen Kinos

                      Einsamkeit im Alter vielfältig dargestellt

                                                                                           Fünf Protagonistinnen – ein Schicksal:
                                                                                           verlassen, verwitwet, geschieden oder
                                                                                           einfach aus Prinzip Einzelgängerin. Sie
                                                                                           versuchen ihrem „Lebensherbst“ zu ent-
                                                                                           fliehen und einen Partner fürs Leben zu
                                                                                           finden. Die Regisseurinnen Stéphanie
                                                                                           Chuat und Véronique Reymond begleiten
                                                                                           sie bei ihrer Suche und fangen charmant
                                                                                           und authentisch die Tücken des „Datings“
                                                                                           jenseits der 60 Jahre ein.

                                                                                                                      alle Fotos: Véronique Reymond

                                                                                            Carmen Python ist eine der Frauen, die der Film
                                                                                            begleitet.
40   Vermischtes                                                   Vermischtes 41

       Wo sind bloß die Männer abgeb-       Mit Männern auf der
       lieben? Mit dieser Frage beschäf-    Wildschweinejagd
       tigt sich Marion Jeanmonod schon     Carmen Python war glücklich ver-
       länger. Die verwitwete Leiterin      heiratet, hat den familiären Haus-
       einer Tanz- und Theatergruppe        halt geführt und die Kinder groß-
       treibt diese Frage um, weil es sie   gezogen. Aus dem Nichts hat ihr
       nicht nur nervt, dass alleinste-     Mann sie dann für eine andere
       hende, rüstige Männer älter aus-     Frau verlassen. Sie leidet unter der
       sehen als sie sind und dann noch     Einsamkeit, nimmt 15 Kilo ab und
       jüngere Frauen bei der Partner-      kämpft mit ihren Phobien. Beim
       suche bevorzugen, sondern auch,      abendlichen Ausgehen in der
       weil Männer Mangelware in ihrer      Stadt sieht sie glücklich aus, sie
       Theatergruppe sind. So schlüpft      tanzt auch gerne, aber wenn sie
       sie kurzerhand selbst in die Män-    einsam daheim die Wand anstar-
       nerrollen und begeistert damit ihr   ren muss, wird sie verrückt. „Da-
       Publikum.                            rum koche ich auch nicht mehr“,
                                            meint sie.

                                            Marion Jeanmonod leitet eine Tanz-
                                            und Theatergruppe.
42   Vermischtes                                                                                     Vermischtes 43

       Odile Curchod geht gerne wan-         seite. „Hast du Angst, verlassen
       dern und umarmt im Wald Bäu-          zu werden?“, fragt er ganz ehrlich.
       me. „Ich schaue, ob es ihnen auch     „Ja klar“, entgegnet sie, worauf er
       gut geht“, erklärt die begeisterte    unterstützend und respektvoll
       Sportschützin, die von sich be-       erwidert: „Wenn ihr euch das ers-
       hauptet, vor langer Zeit das große    te Mal trefft, musst du dir selbst
       Liebeslos gezogen zu haben, nur       sagen: Selbst wenn wir uns tren-
       um dann zu erkennen, dass es doch     nen sollten, ist unsere Begegnung
       eine „Niete“ war. „Mit dem Alter      wertvoll, denn es ist eine gute Er-
       lernt man mit der Enttäuschung
       umzugehen“, sagt sie und geht mit
       Männern auf die Wildschweinjagd
       oder genießt das Dolcefarniente
       mit ihrem Papagei.
       Die Journalistin Noëlle Clerc sitzt
       mit einem Bekannten an ihrem
       Küchentisch und brütet über ih-
       rem Profil auf einer Dating-Web-

                                                                                   Odile Curchod mit ihrem Papagei.
44   Vermischtes                                                                                                                              Vermischtes      45

       fahrung.“ Pierrete Grivels Musik-    das Thema Einsamkeit im Alter        am Ende aufzeigt, wie die starken
       schüler*innen nennen sie liebe-      menschlich, vielschichtig und aus    Frauen ihre inneren Zweifel und
       voll die „Flötenoma“. Auch wenn      verschiedenen Perspektiven diffe-    Ängste überwinden. Freund*innen
       die verwitwete Pastorenfrau sich     renziert zu erzählen. Auch wenn      des Programmkinos kommen auch
       fürsorglich um ihre Schützlinge      man sich anfangs an die filmische    mit französischem Originalton
       sorgt, wünscht sie sich selbst En-   Erzählweise der Perspektivwech-      und deutschen Untertiteln voll auf
       kelkinder. Musik ist ihre Zuflucht   sel gewöhnen muss, ist gerade        ihre Kosten. In den meisten deut-
       vor dem Nichts. In ihrem Schlaf-     dieses Stilmittel der sich aufbau-   schen Kinos wird der Film, der am
       zimmer diskutiert sie mit einem      enden Szenen ein interessanter       26. November startet, mit deut-
       leeren Bett, in dem ihr verstor-     Spannungsbogen, der außerdem         scher Synchronisation gezeigt.
       bener Mann geschlafen hat. Sie
       kocht stets für zwei, um bei Tisch
       nicht ganz alleine zu sitzen und
       hat nicht die Courage, das Büro
       ihres Ehemannes auszumisten.

       Starke Frauen überwinden
       ihre inneren Zweifel
       Stéphanie Chuat und Véronique
       Reymond, die in ihrer Dokumenta-
       tion „Immer noch Frau“ diese fünf
       unterschiedlichen Französinnen
       zwischen 60 und 70 Jahren vorstel-
       len und ganz ohne Voice-Over-Er-
       zähler*in auskommen, gelingt es,

                                                                                                                      Noëlle Clerc versucht mit über 60 eine
                                                                                                                      neue Liebe zu finden.
46   Unterhaltung                                                                                                Unterhaltung          47

                                                           Zeitmaschine

                                                 Die Vollendung der Einheit

       Die Teilung Deutschlands endete vor 30 Jahren                                Nachdem eine friedliche Revo-
       am 3. Oktober 1990 mit dem Beitritt der fünf                                 lution das sozialistische Regime
       DDR-Länder zur westdeutschen Bundesrepub-                                    der DDR bereits im Jahr 1989 fak-
       lik. Hunderttausende aus dem In- und Ausland                                 tisch zu Fall gebracht hatte, voll-
       feierten in Berlin zwischen Reichstagsgebäu-                                 zog sich die Wiedervereinigung in
       de und Brandenburger Tor. Zu den Klängen                                     atemberaubender Geschwindig-
       der Freiheitsglocke wurde um Mitternacht am                                  keit. Den Ruf der Bürger*innen der
       großen Fahnenmast vor dem Reichstag die                                      DDR nach Wiedervereinigung hat-
       Bundesflagge gehisst. Feuerwerk säumte den                                   te den Weg für den Mauerfall und
       Himmel Berlins und die vierzigjährige Teilung                                die Öffnung der Grenze erzwun-
       Deutschlands war politisch überwunden.                                       gen und somit die deutsche Frage
                                                                                    Ende 1989 wieder auf die inter-
                                                                                    nationale Agenda gesetzt. Die Un-
                                                                                    terzeichnung des Zwei-Plus-Vier-
                                                                                    Vertrages am 12. September 1990

                                                                                              Foto: Wolfgang Kumm / picture alliance

                                                                          Hunderttausende Bürger*innen feierten rund um
                                                                          das Reichstagsgebäude am 3. Oktober 1990 die
                                                                          deutsche Einheit.
48   Unterhaltung                                                                                                         Unterhaltung          49

     Auch
        in Moskau
            im Ruhrgebiet
                       machtesind  schließlich
                                        Wohnun-  den    Großbritannien am Ende doch für
     genWegknapp.
               frei fürIn denDuisburg-Marxloh
                                  Beitritt der DDR      die Vertragsverhandlungen offen
     undzur in
             Bundesrepublik.
                 Gelsenkirchen-Ückendorf                zeigten, war der Haltung der USA
     gibt es zumindest für junge Er-                    zu verdanken. Die sowjetische Re-
        Paris, London
     wachsene         seit und     MoskauJahren
                                einigen                 gierung unter Präsident Gorbats-
        hatten
     eine         zunächstAlternative:
           interessante          Vorbehalte Wer         chow gab erst Ende Januar 1990
        Doch nicht
     studiert,              jeder war glücklich
                  am Bundesfreiwilligen-                grünes Licht für die Verhandlun-
        über teilnimmt
     dienst     die gesellschaftlichen
                               oder ein Freiwil- Um-    gen, nachdem offensichtlich war,
        brüche
     liges         in der
            Soziales     JahrDDR.     Der Weg
                                absolviert,   kannzu    dass der wirtschaftliche Kollaps
        denfür Verhandlungen
     dort       mindestens ein Jahr     des miet-
                                                Zwei-   der DDR nicht aufgehalten wer-
        Plus-Vier-Vertrages
     frei  wohnen. Möglich macht        gestalteten
                                               dies     den konnte.
     dersich    schwierig.
           Verein     TauscheBesonders
                                    Bildung fürdie      Als man im Juli auch die Frage der
        beiden Die
     Wohnen.       westeuropäischen
                        Teilnehmenden Status- wer-      NATO-Mitgliedschaft      Deutsch-
     denmächte
           zunächst Frankreich       und Großbri-
                          als Bildungspat*in-           lands nach der Wiedervereini-
     nentannien     trieb die
           qualifiziert       und Sorge    um, dass
                                    unterstützen        gung geklärt hatte, unterzeichne-
     imein     wiedervereinigtes
          nächsten         Schritt die Deutsch-
                                           Kinder       ten die Außenminister der sechs
     desland    das politische
           Stadtteils                  Gewicht
                            in gezielten     Lern-in    Länder den „Vertrag über die ab-
     undEuropa      zu seinen Gunsten
           Förderangeboten.           Neben der  ver-   schließende Regelung in Bezug
        schieben könnte.stehen
     Sprachförderung               Besonders dabeidie   auf Deutschland“, wie der Zwei-
     vorbritische     Premierministerin
          allem soziale          und schulische  Mar-   Plus-Vier-Vertrag offiziell hieß.
        garet Thatcher,
     Kompetenzen          im die   als Jugendliche
                               Mittelpunkt.             Der Einigungsvertrag zwischen
     Aufden   Zweiten
          diese    Weise Weltkrieg        miterlebt
                              eröffnen sich     ge-     der BRD und der DDR regelte,
        hatte,
     rade   in wollte        anfangs die Wieder-
                 strukturschwachen           Regi-      dass der „Tag der Deutschen Ein-
        vereinigung
     onen                     Deutschlands
             neue Perspektiven.            Unter-ver-   heit“ am 3. Oktober Nationalfeier-
        hindern. Dass
     schiedliche              sich Frankreich
                       Generationen              und
                                            leben,      tag wurde.
     lernen und spielen gemeinsam.
     Gesellschaftliche Teilhabe wird so
                                                                                                       Foto: Luis Diego Hernández / unsplash+
     von den Beteiligten selbst gestal-
                                                                                             Die Spuren der Trennung sind oft ver-
     tet.                                                                                    schwunden. Doch der Einigungsprozess
                                                                                             geht bis heute weiter.
Mit spitzer Feder

          Postmaterialismus

                                 Impressum

Das Online-Magazin erscheint monatlich in Ergänzung zur Mitglie-
derzeitung „Soziales im Blick“. Gelesen werden kann es online un-
ter www.sovd.de sowie (mit Zusatzfunktionen) über die App „SoVD Maga-
zin“. Herausgeber ist der Sozialverband Deutschland e. V. (SoVD), Stralauer
Straße 63, 10179 Berlin, E-Mail: redaktion@sovd.de, Telefon: 030 / 72 62 22 – 0.
Redaktion: Veronica Sina (verantwortlich), Joachim Schöne, Brigitte Grahl, Sebastian
Triesch, Denny Brückner, Eva Lebenheim, Christian Müller.
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