Manchmal ist die Wüste grün

 
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Manchmal ist die Wüste grün
VOR ORT TSCHAD

Manchmal ist die
Wüste grün
Zehn von zwölf Monate im Jahr prägt Trockenheit die
Provinz Guéra im Zentrum des Tschad. Doch zur
Regenzeit verwandelt sich das Land. Dann bleiben den
Menschen wenige Wochen, um zu säen, zu pflanzen und zu
ernten - und genügend Vorräte anzulegen, damit sie für
den Rest des Jahres reichen. Aber was, wenn ein Virus
kommt und alle Pläne durcheinanderwirbelt?
TEXT: CHRISTIAN SELBHERR | FOTOS: JÖRG BÖTHLING

  14    | missio    4/2020                               missio   4/2020 |   15
Manchmal ist die Wüste grün
VOR ORT TSCHAD

                                                                                                  MATTHIEU ISSA:
                                                                                                  „Bei schweren Fällen müssen
                                                                                                  wir die Patienten wegschicken.“

                                                                                                                                               „Artemisia“: Die Kräutermedizin kann gegen Fieber helfen. Auch bei Malaria oder sogar beim Coronavirus?

                 FANGEN WIR mit den Zahlen          den. Die Zahl der Todesopfer in diesen       Nun, wie sieht diese Normalität aus? In
      an. Denn das ist es ja, was man in Coro-      Kriegsjahren lässt sich, so viel Ungenau-    der Klinik haben sie einige neue Behand-
      nazeiten so macht an jedem Tag: Nach-         igkeit sei erlaubt, zahlenmäßig nur schät-   lungsräume bauen können, gerade hat
      schauen, wie hoch die Ansteckungen            zen auf mehrere Zehntausend.                 eine Impfaktion stattgefunden, und sie
      sind, wie steil oder wie flach die Krank-        Gemessen an diesen Statistiken ist das,   bieten Beratung und Hilfe für schwangere
      heitskurve verläuft - und um wie viel Pro-    was Matthieu Issa tut, also ziemlich aus-    Frauen an. Die Kinder könnten hier zur
      zent die Wirtschaft einbricht.                sichtslos. Herr Issa leitet die kleine ka-   Welt kommen. „Aber die meisten Frauen
         Zu den Zahlen also. In der Provinz         tholische Krankenstation von Dadouar,        bleiben zur Geburt lieber im Dorf,“ er-
      Guéra, mitten im Tschad, mitten in            etwa 25 Kilometer entfernt von der           klärt der Klinikleiter. Schwierigere Fälle
      Afrika, kommt ein Arzt auf 77 774 Ein-        nächstgrößeren Stadt Mongo. Es ist ein       muss er wegschicken zum staatlichen
      wohner. Oder, noch eine andere: Durch-        Tag im Monat August, als Herr Issa durch     Krankenhaus in der Stadt.
      schnittlich hat hier jeder Lehrer oder jede   die Klinik führt, und das Coronavirus mit
      Lehrerin 87 Schulkinder zu betreuen. In       all seinen weltweiten Bedrohungen ist        Malaria ist die größte Gefahr
      den 60 Jahren seiner Unabhängigkeit ist       noch weit entfernt. Das bedeutet, aus        Während er erklärt, treffen vor dem Ge-
      der Tschad von Bürgerkriegen und Re-          heutiger Sicht herrscht an diesem heißen     bäude immer wieder kleine Mopeds ein,
      bellenkonflikten durchgeschüttelt wor-        Tag im August so etwas wie Normalität.       die Patienten abliefern. Im Schatten der
                                                                                                 Bäume warten diese, bis sie an die Reihe
                                                                                                 kommen. August, das bedeutet in dieser
                                                                                                 Gegend: Regenzeit. Vor allem in der Nacht
                                                                                                 prasseln literweise Wassermassen hernie-
                                                                                                 der. Die Menschen sind froh um den Re-
                                                                                                 gen, denn er erlaubt ihnen, dass sie ihre
                                                                                                 Felder bepflanzen. Aber das bringt auch
                                                                                                 Probleme mit sich. Einer von Herrn Issas
                                                                                                              Mitarbeitern hat sich für
                                                                                                              heute vom Dienst abgemel-
                                                                                                              det. „Er musste dringend aufs
                                                                                                              Feld“, sagt sein Chef. Und im
                                                                                                              Regen und der feucht-schwü-
                                                                                                              len Hitze schlüpft die gefähr-
                                                                                                              liche Anophelesmücke. „Ma-
                                                                                                              laria ist unsere häufigste
                                                                                                              Krankheit hier“, sagt Mat-
                                                                                                              thieu Issa.

 16   | missio      4/2020                                                                                                                                                                                                                               missio   4/2020 |   17
Manchmal ist die Wüste grün
VOR ORT TSCHAD                                                                                                                                                                                                                             VOR ORT MALI

Das meiste ist Handarbeit: Mühsam ringen die Menschen dem Boden einen Ertrag ab.

                  Noch ein paar Zahlen: Im Jahr 2018           sie es alleine beim Gottvertrauen belassen    Frauen. Auf sie kann sie sich auch jetzt    sagt: „Mit dem Geld können wir unsere
              hat die Weltgesundheitsorganisation              würde. Die gebürtige Chilenin arbeitet        verlassen. Wie auf Hababa Djaba, die sich   Kinder in die Schule schicken. Und wir
              (WHO) für Afrika 194 Millionen Mala-             seit 2011 im Tschad, zuvor war sie in Ka-     mit ihren Nachbarinnen zusammengetan        können sie ins Krankenhaus bringen“. Sie
              ria-Kranke registriert; 407 000 davon star-      merun und im Kongo. „Wir müssen die           hat, um endlich einen Ausweg zu finden      hat kaum fertig gesprochen, da klingelt es
              ben. Über 70 Prozent davon waren Kin-            Gefahren des Virus ernst nehmen“, sagt        aus dem ewigen Kampf gegen Armut und        in ihrer Tasche. Sie muss ans Handy. Aber
              der unter 5 Jahren. Im Vergleich dazu ist        sie, und sie will etwas tun. Deshalb fährt    Mangel. Als Frauen, erklärt Hababa          einen Gedanken will sie noch loswerden.
              die Bedrohung durch das Coronavirus              sie im Auftrag der katholischen Kirche        Djaba, hätten sie kaum eine Chance, ein     Die Frauen arbeiten hart, und gemeinsam
              noch wenig greifbar. Anfang Mai 2020             seit Wochen durch die Dörfer, um die          eigenes Stück Land zu kaufen. Der           kommen sie vorwärts. „Wir übertreffen
              hatte Tschad wenige hundert Fälle und            Menschen zu informieren und zu sensi-         Gruppe ist es nun immerhin gelungen, ein    damit sogar das, was unsere Männer ern-
              eine zweistellige Zahl Tote zu beklagen.         bilisieren. Auf ihr Fahrzeug haben sie mit    gemeinsames Feld zu pachten. Mit einem      ten“, sagt Hababa Djaba.
                  „Die Menschen denken: Gott ist all-          großen Buchstaben geschrieben: „Stop          Brunnenbau und etwas Anschubfinanzie-
              mächtig. Und er wird ihnen das Virus er-         Coronavirus“.                                 rung können sie nun in der Regenzeit        Vorsorgen für die Krise
              sparen“, sagt Ximena Cabezas Arenas. Sie             Der Vorteil: Schon in Zeiten der soge-    pflanzen und säen. Süßkartoffeln und        Jetzt, da sich die Gefahr des Virus an-
              ist Ordensschwester, daher überrascht es         nannten Normalität hat Sr. Ximena Be-         Erdnüsse wachsen besonders gut. Wenn        bahnt, haben Sr. Ximena und mehrere
              nicht, dass sie auf Gott vertraut. Es wäre       kanntschaft geschlossen mit den Men-          sie genug ernten, können sie auch einen     Frauengruppen damit begonnen, Stoff-
              aber ein Missverständnis zu glauben, dass        schen in den Dörfern, vor allem mit den       Teil auf dem Markt verkaufen. Frau Djaba    masken zu nähen für die Mitarbeiter in
                                                                                                                                                         den kirchlichen Krankenstationen. Auch
                                                                                                                                                                                                      BAUER TERAP BETOLRUM (l.),
Gemeinsam stark: Frauen wie Hababa Djaba (r.) teilen sich ihre Felder – und erzielen einen höheren Ertrag.                                               Seife und Desinfektionsmittel stellen sie
                                                                                                                                                                                                      UND CARITASLEITER DIMANCHE
                                                                                                                                                         her. Wer weiß, was alles kommen wird.
                                                                                                                                                                                                      GAYÉ: „In der Getreidebank lagern
                                                                                                                                                         Die Idee, sich auf Notzeiten vorzuberei-
                                                                                                                                                                                                      wir Korn für Notzeiten ein.“
                                                                                                                                                         ten, hat es schwer in einer Region, in der
                                                                                                                                                         sich jeden Morgen von neuem entschei-
                                                                                                                                                         det, ob am Abend alle genug zu essen ha-
                                                                                                                                                         ben werden. Und ob hier in der Sahelzone
                                                                                                                                                         der Regen rechtzeitig fällt und genug
                                                                                                                                                         wächst, damit es dann auch für die mo-
                                                                                                                                                         natelange Trockenzeit
                                                                                                                                                         reicht.
                                                                                                                                                            Besuch im Dorf Ab-
                                                                                                                                                         touyour: Unter einem
                                                                                                                                                         schattigen Baum kommt
                                                                                                                                                         das Komitee der so ge-
                                                                                                                                                         nannten „Getreidebank“

      18     | missio        4/2020                                                                                                                                                                                                       missio    4/2020 |   19
Manchmal ist die Wüste grün
VOR ORT TSCHAD

                                                                                                                                                         digen Lebensmitteln sicherstellen, for-
                                                                                                                                                         derte vor kurzem der Erzbischof der
                                                                                                                                                         Hauptstadt N’Djamena, Edmond Goetbé
                                                                                                                                                         Djitangar. „Dazu gehören Öl, Salz, Zucker
                                                                                                                                                         und Mehl, und weitere notwendige
                                                                                                                                                         Dinge, wie elektrischer Strom und Gas,“
                                                                                                                                                         sagte der Kirchenmann. Er warnte außer-
                                                                                                                                                         dem davor, dass Hilfslieferungen in fal-
                                                                                                                                                         sche Hände geraten könnten: „Epidemien
                                                                                                                                                         sind oft eine willkommene Gelegenheit,
                                                                                                                                                         um Hilfen abzuzweigen, die eigentlich für
                                                                                                                                                         die Armen bestimmt sind.“

Wertvolles Wachstum: Der Jesuit Serge Semur überlebte den Bürgerkrieg und schützt wichtige Heilpflanzen.                                                 Vielleicht wächst das Heilmittel hier        Regenzeit: Aus der Luft zeigt sich das Land in seiner ganzen Schönheit. Unten: Kampf gegen das Virus.
                                                                                                                                                         Viele denken: Wenn wir uns auf den Staat
                                                                                                                                                         und die Regierung nicht verlassen kön-
                                                                                                           zusammen. Dieser Zusammenschluss ist          nen, dann müssen wir uns selber helfen.      gegen Corona auf Malariamittel zurück-
                                                                                                           ein Versuch, sich für Krisen zu rüsten. Wa-   Und vielleicht auf afrikanische Lösungen     greift? Hier im Tschad jedenfalls wissen
                                                                                                           rum das notwendig ist, erklären die Män-      vertrauen. An vielen Orten in Afrika ist     sie, was ein traditionelles Mittel wie Arte-
                                                                                                           ner in der Runde, während ihre Frauen         derzeit die Rede von „Covid Organics“        misia leisten kann. Der über 80 Jahre alte
                                                                                                           aufmerksam, aber stumm zuhören. Ge-           aus Madagaskar. Dort stellt man aus dem      Jesuit Serge Semur zum Beispiel, seit 1967
                                                                                                           rade die Kleinbauern in den Dörfern wer-      Artemisia-Kraut (auch Einjähriger Bei-       im Land, kümmert sich um einen kleinen

                                                                                                                                                                                                                                                              Foto: CARITS AURA Mongo
                                                                                                           den in ihrer Not oft ausgenutzt, berichten    fuß genannt) ein Mittel her, welches das     botanischen Garten. Dort bewahrt er
                                                                                                           sie. Wenn sie ihre Hirse geerntet haben,      Coronavirus bezwingen soll. Schon 1971       Heilpflanzen vor dem Aussterben und er-
                                                                                                           dann verkaufen alle Bauern gleichzeitig.      hatte die chinesische Wissenschaftlerin      muntert die Dorfbewohner, es mit dem zu
                                                                                                           Dadurch sinkt der Preis. In der Trocken-      Tu Youyou den Wirkstoff Artemisin ent-       versuchen, was bei ihnen vor der Haustür
                                                                                                           zeit, wenn das Geld und die Vorräte knapp     deckt und ihn im Kampf gegen Malaria-        wächst. Eine industrielle Produktion ist
                                                                                                           werden, sind es die gleichen Händler, die     Fieber eingesetzt. 2015 erhielt Tu Youyou    zwar zur Zeit nicht geplant. Aber auch die
                                                                                                           dann das Getreide wieder aus ihren Spei-      den Nobelpreis für Medizin.                  tschadische Regierung scheint daran zu
                                                                                                           chern herausholen und die Preise nach            Ob die Verbindungen zwischen Mala-        glauben. Vor kurzem hat Präsident Idriss
                                                                                                           oben treiben. „Wir müssen uns dann Geld       ria und Corona mehr sind, als nur einer      Déby eine große Lieferung von „Covid
                                                                                                           bei den arabischen Händlern leihen.“          von vielen Vorschlägen des amerikani-        Organics“ aus Madagaskar entgegen ge-
                                                                                                           Aber viele können ihre Schulden später        schen Präsidenten, der zur Vorbeugung        nommen. A
                                                                                                           nicht mehr zurückzahlen.
                                                                                                               In die Getreidebank zahlt jedes Mit-
                                                                                                           glied gut gefüllte Hirsesäcke ein, die man                                        GROSSER SEE, GROSSE KRISEN
                                                                                                           dann in Notzeiten wieder ausleihen kann
                                                                                                           – und im Idealfall bringt jeder sie nach                                          Der Name des Landes mag irreführend sein. „Tschad“
                                                                                                           erfolgreicher Ernte mit einem zusätzli-                                           steht für „großes Wasser“, obwohl oft Trockenheit und
                                                                                                           chen Zins wieder zurück. Aber, seufzen        Dürre herrschen. Gemeint ist der Tschadsee ganz im Westen, an dessen Ufern außerdem noch
                                                                                                           die Männer, nicht alles laufe nach Plan.      Niger, Nigeria und auch ein kleines Stück Kamerun liegen. Der See erhielt seinen Namen weit
                                                                    SR. XIMENA CABEZAS                     Schädlinge seien gekommen und hätten          vor dem heutigen Staat, der zu kolonialen Zeiten Teil von „Französisch-Äquatorialafrika“ war.
                                                                    ARENAS AUS CHILE:                      die halbe Ernte aufgefressen – Grillen,       Vor Ankunft der Franzosen gab es mächtige Sultanate und Königreiche. Im 19. Jahrhundert bereisten auch deutsche Forscher das Gebiet. Be-
                                                                    „Das größte Problem hier               Vögel, sogar Elefanten gibt es – die Natur    sonders bekannt wurden die Reiseberichte von Heinrich Barth und Gustav Nachtigal. 1960 erlangte Tschad die Unabhängigkeit. Schnell kam
                                                                    ist der Wassermangel.“                 ist leider oft ein mächtiger Gegner.          es zu Spannungen zwischen Völkern und Religionen. Der eher christlich-afrikanisch geprägte Süden wurde aus Europa und den USA unter-
                                                                                                               So stark, wie sonst nur ein weltweit      stützt, der muslimisch-arabische Norden hatte Libyen mit Gaddafi an seiner Seite. In den 1980er-Jahren regierte das diktatorische Regime von
                                                                                                           auftretendes Virus. Wenn nun die Ein-         Hissène Habré, der wegen seiner Menschenrechtsverletzungen den Beinamen „Afrikas Pinochet“ erhielt. Etwa 40 000 Menschen, die der Op-
                                                                                                           schränkungen des täglichen Lebens be-         position zugeordnet wurden, kamen gewaltsam ums Leben. Die Zahl der Folteropfer ist unbekannt. 1990 wurde Habré gestürzt und floh in
                                                                                                           deuten, dass Bauern nicht mehr aufs Feld      den Senegal. Mehrfach scheiterte der Versuch, ihn nach Belgien auszuliefern und vor Gericht zu stellen. Ein Verfahren gab es erst ab 2013 in
                                                                                                           gehen können, so befürchten manche,           Dakar, bei dem der ehemalige Machthaber zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, die er nun im Senegal verbringt. Die „New York Times“ be-
                                                                                                           dass in den kommenden Monaten                 zeichnete den Prozess als „Meilenstein für Gerechtigkeit in Afrika“. Aber auch an der aktuellen Regierung gibt es Kritikpunkte. Die Herrschaft
                                                                                                           schwere Zeiten anbrechen. Der Staat           von Idriss Déby (im Amt seit 1990/91) stützt sich aufs Militär und die Bündnistreue Frankreichs. Seine Verbündeten, zu denen auch Deutsch-
                                                                                                           müsse die Versorgung mit allen notwen-        land zählt, sehen in Déby einen stabilen Faktor in der Sahelzone, die von Terrorismus, Klimawandel und Fluchtbewegungen geprägt ist.

    20      | missio      4/2020                                                                                                                                                                                                                                                        missio   4/2020 |   21
Manchmal ist die Wüste grün Manchmal ist die Wüste grün Manchmal ist die Wüste grün Manchmal ist die Wüste grün Manchmal ist die Wüste grün Manchmal ist die Wüste grün
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