Männer in der Armee. Frauen in die Armee!? - Überlegungen aus völker- und verfassungsrechtlicher Perspektive
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Männer in der Armee. Frauen in die Armee!? Überlegungen aus völker- und verfassungsrechtlicher Perspektive Lic. Iur. Tarek Naguib Building Competence. Crossing Borders. Zentrum für Sozialrecht nagu@zhaw.ch
Helden in der Armee «Männlichkeit pflegen wir am besten durch die Weckung der Lust zur Höchstforderung und Härte sich selbst gegenüber. Männlichkeit aber darf kein Ideal sein, Männlichkeit muss für jeden jungen Eidgenossen Selbstverständlichkeit sein. […] Es muss für jeden Schweizerjüngling zur klar entschiedenen Charakterfrage geworden sein, noch vor Eintritt in die Rekrutenschule, ob er wehrhaft bereit ist, für sein Vaterland in den Tod zu gehen» (Farner, Wehrpsychologie, S. 41)) 3
Frauen in die Armee!? Soldatin, Mutter, Berufsfrau! Die perfekte Frau 11
Ziele des Referats 1) Hintergründe ausloten zur Wehrpflicht für Männer, Freiwilligkeit für Frauen 2) Beurteilung aus der Perspektive des Völker- und des Literaturhinweis: Bondolfi, Sibilla, Wehrpflicht und Geschlechterdiskriminierung. Verfassungsrechts Verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Anforderungen an die Wehrpflicht im Vergleich zum Modell Israel, Diss. Zürich, Zürich 2012 12
Historie Wehrpflicht nur für Männer 13
Frauen in der Armee: Eine kurze Zeit- und Raumreise • Regel: nur Männer (Eidgenossenschaften: Ersatzmann) • Frauen, die gekämpft haben Kombattantinnen, Partisaninnen, Guerillakämpferinnen, Terroristinnen • Weltweit Frauen in nicht kombattanten Funktionen Krankenschwestern, Schreibkräfte, Fabrikarbeiterinnen in der Rüstungsindustrie • Frauen mit militärischen Hilfsarbeiten • 1939: Ziviler Frauenhilfsdienst (FHD) („Zivilschutzdienste“) • 1940: Militärischer Frauenhilfsdienst, Militärischer Frauendienst (MFD) Sanitäterinnen, Flugzeugbeobachterinnen, Fahrerinnen, Bürogehilfinnen; Brieftauben, Flüchtlingsfürsorge, Warndienst • Schweizer Verband Soldatenwohl (Gründung: 1. Weltkrieg) • 2001 (Armeereform XXI): Öffnung für alle militärische Funktionen Total: 1’053 (0,6%), wovon 55% Führungsunterstützung, Logistik, Sanität, Ausbildung, Support; 19% Infanterie, Panzertruppen, Artillerie, Genietruppen; 9% Luftwaffe 14
Kombattantinnen I «Absolut nötig wäre ein solcher Ausschluss ja auch nicht; es haben oft schon Frauen freiwillig im Krieg mitgefochten und nicht ohne Auszeichnung: Jeanne D’Arc, Leonora Prohasca, unsere brave Frau Oberstin Engel sind klassische Beispiele» (zitiert aus: Stämpfli, Mit der Schürze in die Landesverteidigung, S. 33) 15
Kombattantinnen II «Die Weiber warfen Handgranaten aus den Fenstern und waren die Wildesten der Wilden in diesem furchtbaren Gemetzel» (Kriegsberichterstatter K von Reden, über den Angriff der Deutschen und Österreicher auf Belgrad im Ersten Weltkrieg) 16
Kombattantinnen III «Die Deutschen flüchteten, aber nach einer halben Stunde kehrten sie zurück. Wir empfingen sie mit Molotowcocktails und Handgranaten. Einer der Deutschen, der ein Mädchen in der Stellung entdeckte, rief staunend: ‘Hans schau: Eine Frau!’, und schoss auf sie. Aber sie blieb stehen» (aus: Rotem, Erinnerungen eines Ghettokämpfers, S. 50 17
Frauen mit militärischen Hilfsarbeiten «Without it the Army would have to hire thousands of civilian personnel to act as telephone operators, signalers, typists and clerical workers» (aus: Rolbant, The Israely Solder, S. 141) 18
Historische Gründe Militärische Aufgaben seien grundsätzlich wider • die „Natur“ der Frau, • das „Wesen“ der Frau Dennoch, Frauen waren und sind Teil der Armee • Regel: Hilfsdienste, nicht kombattante Funktionen • Ausnahme: Kombattante Funktionen 19
Die Perspektive der Feministinnen: Zwischen Pro & Widerstand • 1887, Emilie Kempin-Spiry: Es sei gar nicht gesagt, dass der Grundsatz «Jeder Schweizer ist wehrpflichtig» nicht auch auf Frauen angewendet werden könne • 1894, Lina Morgenstern: Vorschlag eines obligatorischen Dienstjahres für Frauen (hauptsächlich in der Krankenpflege). Begründung: Frauen müssten von Männern oft hören, dass der Mann Bevorzugung verdiene (Lina Morgenstern, Frauenrechtlerin) • Anfang 20er-Jahre: Schw. Frauenbund, Bund Schw. Frauenorganisationen forderten Einführung eines obl. Frauendienstes • 2000, Alice Schwarzer: «Je mehr Frauen beteiligt sind an der Macht, Kriege zu machen, umso mehr könnten sie logischerweise auch darauf einwirken, Kriege zu verhindern.» Militärische Partizipation soll zu rechtlicher und sozialer Gleichberechtigung führen, die Beteiligung von Frauen an machtvollen Institutionen ermöglichen, Geschlechterstereotypen abbauen helfen, männlich-militärische Struktur Kultur verändern 20
Völkerrecht und Verfassungsrecht Eine kritische Beurteilung des Status Quo 21
Rechtsgrundsätze • Freiheitsrechte (BV) • Verbot der • Recht auf Leben (Art. 10 Abs. 1) Diskriminierung • Menschenwürde (Art. 7) aufgrund des • Recht auf körperliche Geschlechts (EMRK, UNO- Unversehrtheit (Art. 10 Abs. 2) Pakte, Art. 8 Abs. 2 BV) • Recht auf persönliche Freiheit (körp. und geist. Unversehrtheit, Bewegungsfreiheit) (Art. 10 Abs. 2) • Gl. und Gew. Freiheit (Art. 15) • Recht auf Ehe und Familie (Art. 14) • Recht auf Privatsphäre (Art. 13) 22
Güterabwägung: Waage Problemstellungen • (Direkte) Benachteiligung der Männer durch die einseitige Wehrpflicht • (Indirekte) Benachteiligung der Frauen durch die beidseitige Wehrpflicht Schutz vor Benachteiligung vs. ? 23
Wehrpflicht für Männer, Freiwilligkeit für Frauen: Nachteile für beide Seiten Männer Frauen Nachteile Vorteile, Chancen Nachteile Vorteile Beruf s. Nachteile bei Berufliche und s. Nachteile bei Frauen persönliche Männern Erwerbsersatz Fehlendes (max. 80%) Netzwerk Arbeitslosenversich Kein Med. Check erung Integrationsfunktion Physische und psychische Erschwerter Zugang Belastungen zum Zivildienst Betreuungspflichten Fehlende , keinen Anspruch Vorbereitung auf auf Verschiebung Krisensituation Stereotypisierung Minderheitenstatus, Stereotypisierung 24
Perpetuierung von Stereotypen «A partial list would include higer rates of attrition (Aufreibung), greater need for medical care, higher rates of non-availability, lower rates of deployability (Verlegefähigkeit), lesser physical ability, aggravated problems of single-parenthood, dual-service marriages, fraternization (Verbrüderung), sexual harassment, sexual promiscuity (sexuelle Zügellosigkeit), and homosexuality, all of which adversely affect unit cohesion, morale, and the fighting spirit of the armed forces» (Brian Mitchell, US-amerikanischer Militärwissenschaftler, S. 340) 25
Perpetuierung von Stereotypen «Some military schools try to cope with the problem by concealing these discrepancies – for example, by issuing men and women training hand grenades that look similar but are made of different materials and have different weights […]. All such measures rest on the belief that the men are stupid – and will therefore tend to make them even more cynical and bitter» (Martin Van Creveld, Culture, S. 402) 26
Perpetuierung von Stereotypen «Die an Frauen im Hinblick auf Verteidigungsaufgaben eingeräumte Sonderstellung perpetuiert damit eine Rollentrennung, wie sie die Frauen selbst je länger je weniger wollen» (Meyer, Rolle der Frau, S. 5) 27
Benachteiligung durch rechtliche und faktische Sonderbehandlung in der Armee Männer Frauen Beförderung Ausrüstung und Kleidung Kosten für Ausrüstung und Kleidung, Rock als sexistische Kleidung (Jupe- Zwang an dienstlichen Anlässen) Unterbringung (Komfort-Defizite) Unterbringung («Soziale Isolation», „schlicht vergessen gegangen“) Geschlechtsspezifische Werte-Tabelle beim Sport Betreuungspflichten(?), Teilzeitarbeit 28
Lassen sich diese Benachteiligungen rechtfertigen? 29
Rechtfertigung der Benachteiligung Rechtfertigungsgründe (historische, aktuelle Argumente) Tradition, Wehrpflicht für Frauen bisher unbekannt Mutterfunktion: Lastenausgleich, Schutz der Mutterschaft, Erziehungspflichten «Psyche» und «Natur» der Frau: Besondere Schutzbedürftigkeit, Friedfertigkeit der Frau, weiblicher Pazifismus und Antimilitarismus, geringere psychische Belastbarkeit, Anforderungen an den Dienst, anatomische Differenzen Militärische Begründung: Disziplinlosigkeit, Moral und Kohäsion der Truppen, Beeinträchtigung des Dienstbetriebes, Schlagkräftigkeit und Effizienz, Imageschaden Ökonomische Begründung: Kleiner Personalbedarf, praktische und finanzielle Gründe, wirtschaftspolitische Gründe, Aufrechterhaltung des zivilen Sektors, demographische Gründe Fehlende tatsächliche Gleichstellung: Geschehenes Unrecht, fehlende faktische Gleichheit, Gleichstellungsfeindlichkeit der Armee Sexuelle Gewalt: In der Armee, durch den Feind 30
Tradition «So gilt nach schweizerischem Recht die Wehrpflicht ihrer Natur nach auf die männlichen Bürger beschränkt, und es ist bis heute an diesem uralten Gewohnheitsrecht festgehalten worden» (aus: Köpfli, Die öffentlichen Rechte und Pflichten der Frau nach schweizerischem Recht, S. 155) 31
«Psyche» und «Natur» der Frau, des Mannes «Die geringere Körperkraft, vielleicht auch der damit verbundene grössere grad von Geduld, Unterwürfigkeit und Idealismus bei dem weiblichen Geschlecht erscheint uns als der wahrscheinliche historische Hauptgrund der ungleichen Rechtsstellung, der teilweise ja noch jetzt in dem Ausschluss des weiblichen Geschlechts von der allgemeinen Wehrpflicht […] stattfindet» (aus: Hilty, Frauenstimmrecht, S. 73) 32
Die «Natur» der Frau «Nur waren eben diese Gemeinwesen [die alten Römer und Germanen] so sehr auf Krieg und Wehrfähigkeit gegründet, dass dem körperlich schwächeren […] Geschlecht […] naturgemäss eine untergeordnete Stellung zukam» (aus: Hilty, Frauenstimmrecht, S. 4) 33
Die «Natur» der Frau «Aus dem schweizerischen Milizsystem wiederum folgt nicht, dass eine allgemeine Wehrpflicht auch für Frauen vorzusehen wäre, was auch nie erwogen wurde. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass Frauen aufgrund physiologischer und biologischer Unterschiede im Durchschnitt für den Militärdienst als weniger gut geeignet erachtet werden als der Durchschnitt der Männer» (Urteil des Bundesgerichts vom 21. Januar 2010, 2C_221/2009) 34
«Disziplinlosigkeit» «Die Weiber warfen Handgranaten aus den Fenstern und waren die Wildesten der Wilden in diesem furchtbaren Gemetzel» (Kriegsberichterstatter K von Reden, über den Angriff der Deutschen und Österreicher auf Belgrad im Ersten Weltkrieg) 35
«Schädigung der Moral und der Kohäsion der Truppe» «A partial list would include higer rates of attrition, greater need for medical care, higher rates of non-availability, lower rates of deployability, lesser physical ability, aggravated problems of single-parenthood, dual-service marriages, fraternization, sexuasl harassment, sexual promiscuity, and homosexuality, all of which adversely affect unit cohesion, morale, and the fighting spirit of the armed forces» (Brian Mitchell, US- amerikanischer Militärwissenschaftler, S. 340) 36
Unter dem Strich! Männer Frauen • Rechtliche Nachteile • Rechtliche Nachteile • Menschenwürde • Defizite im grund- und menschenrechtlichen • Persönliche Freiheit Schutz vor Diskriminierung im • Recht auf Ehe, Familie und Privatsphäre Erwerbsleben? • Recht auf Arbeit • Stereotypisierung • Stereotypisierung • Schutzbedürftigkeit und Opferstatus • Beschützerstatus • Biologische Minderwertigkeit • Verfestigung der traditionellen Rollen • Verfestigung der traditionellen Rollen • Faktische Nachteile • Faktische Nachteile • Vereinbarkeit von Familie und Beruf • Vereinbarkeit von Familie und Beruf 37
Völkerrecht und Verfassungsrecht Eine vertiefter kritischer Blick auf die Frage des Ausbaus der Wehrpflicht auf Frauen 38
Wehrpflicht für Frau und Mann: These Ungleichbehandlung ist prima vista nicht gerechtfertigt, aber … ... unter der Lupe betrachtet • Zementierung der tatsächlichen Diskriminierung betreffend die Vereinbarkeit von Familie und Beruf • Männer, Frauen betroffen • Aber: Diskriminierung der Frau als vergleichsweise besonders problematischer faktischer Nachteil • Nachteile der Frauen beim Zugang zu Geld und politischer Macht 39
Ausgangslage Diskriminierung der Frau im Strukturelle Nachteile der Erwerbsleben Männer im Familienleben • Nachteile bei der beruflichen • Erhöhte Arbeitsbelastung Qualifizierung durch aufgrund der Diskriminierung Abwesenheit während der Partnerin Schwangerschaft, Mutterschaft • Konkret: Höherer Lohn des • Teilzeitarbeit (bzw. Nachteile in Mannes, besserer Zugang zum der beruflichen Qualifizierung) Arbeitsmarkt durch stärkere Belastung in der Familienarbeit (bzw. defizitäre familienergänzende Betreuungsstrukturen) • Lohndiskriminierung 40
These: Jeder Monat Abwesenheit im Zivilen bedeutet für Frauen sowohl in zeitlicher als auch finanzieller Hinsicht eine stärkere Belastung als für den Mann Dies gilt gerade für die Zeitspanne im Lebensalter von 20-35 Jahren, in welchem die Menschen besonders gefordert sind, ins Familien- und Berufsleben einzusteigen und sich zu etablieren Zumindest so lange die tatsächliche Diskriminierungen der Frauen – einstellungs- und strukturell bedingt – im Zivilen nicht abgebaut sind 41
Tatsächliche Diskriminierung der Männer? Effekt: Die militärische Absenz fällt für Männer schwerer ins Gewicht hinsichtlich der familiären Betreuungsmöglichkeiten Absenzen in Beruf durch Schwangerschaft und Mutterschaft Teilzeitarbeit durch ungleiche Belastung in der Familienarbeit Weniger Zeit zur Investition in Bildung Lohndiskriminierung 42
Tatsächliche Diskriminierung der Männer? Effekt: Die militärische Absenz fällt für Männer schwerer ins Gewicht hinsichtlich der familiären Betreuungsmöglichkeiten Absenzen in Familie durch Vollzeitarbeit Stereotype Rollenbilder in der Betreuungsarbeit, mangelhafte Strukturen Besser bezahlte Stellen männertypischer Berufe Lohndiskriminierung 43
Fazit • Wehrpflicht nur für Unter dem Strich: Männer führt zu Nachteilen für Mann und Ein wirksamer Abbau Frau von Nachteilen • Wehrpflicht für Frau und zwischen Mann und Mann baut Nachteile ab Frau im Militär ist • Ausnahme: Zementierung abhängig von einer der Diskriminierung beim effektiven Politik zur Zugang zu politischen Gleichstellung im und ökonomischen zivilen Leben Ressourcen 44
Besten Dank! nagu@zhaw.ch www.tarek-naguib.ch 45
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