Material Compliance: Rechtsfolgen bei Nicht-beachtung und Anforderungen an den Nachweis - tec4U-Solutions

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StoffR 3 2020                                    Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung materialrelevanter Anforderungen                      127

      Friedrich Markmann, Stefan Nieser*

      Material Compliance: Rechtsfolgen bei Nicht-
      beachtung und Anforderungen an den Nachweis
      Das Thema „Material Compliance“ ist heute aktueller denn je. Neben verschärften gesetzlichen Anforderungen sehen
      sich die verpflichteten Wirtschaftsakteure einem zunehmenden Umsetzungsdruck auf dem Markt selbst ausgesetzt.
      Hier setzt der Beitrag an. Er zeigt potenzielle Rechtsfolgen, veranschaulicht durch einschlägige Rechtsprechung, auf,
      die bei der Nichtbeachtung materialrelevanter Anforderungen auf der Grundlage des öffentlichen Rechts, des Straf-
      rechts sowie des Zivilrechts zu besorgen sind, und gibt ausgehend von der DIN EN IEC 63000 konkrete Empfehlungen,
      die der Einhaltung stofflicher Vorgaben dienen sollen.

I. Einführung und rechtliche Ausgangslage                                      gen, die an den Nachweis der Material Compliance von Pro-
                                                                               dukten zu stellen sind, kann dazu auf die Vorgaben der erst
Stoffliche Anforderungen für Produkte sind in Vergan-                          unlängst harmonisierten DIN EN IEC 63000 (vormals DIN
genheit und Gegenwart zunehmend Gegenstand nationa-                            EN 50581) abgestellt werden, die den derzeit geltenden Stan-
ler und internationaler Rechtsakte geworden und machen                         dard widerspiegeln.2 Der Normzweck selbst ist dabei vom
das Thema „Material Compliance“ heute aktueller denn                           Normgeber auf die Festlegung der technischen Dokumen-
je. Neben verschärften gesetzlichen Vorgaben hat der Um-                       tation, die der „Hersteller erstellen muss, um die Einhaltung
setzungsdruck auf dem Markt selbst stark zugenommen.                           der geltenden Stoffbeschränkungen weltweit nach verschie-
Ausgeübt wird dieser in erster Linie von den für den Be-                       denen Gefahrstoffverordnungen zu erklären“3 erweitert wor-
reich Material Compliance zuständigen Ordnungs- und                            den. Die in dieser Norm näher formulierte Vorgehensweise
Marktüberwachungsbehörden, durch die Kunden, die, um                           ist sowohl von der Industrie als auch von den vollziehenden
eigenen Haftungsrisiken zu entgehen, Überprüfungen                             Behörden anerkannt.
der bezogenen Produkte selbst durchführen, aber auch                               Aufgrund der enormen praktischen Relevanz ist es um-
durch Mitbewerber und durch Umwelt- sowie Verbrau-                             so erstaunlicher, dass in vielen Unternehmen das Thema
cherschutzorganisationen, wie etwa der Stiftung Waren-                         Material Compliance und seine Auswirkungen im Falle der
test.                                                                          Nichtbeachtung weiterhin stark unterschätzt wird. Dies
    Insbesondere für die Ordnungs- und Marktüberwa-                            gilt umso mehr, als Verstöße gegen gesetzlich normierte
chungsbehörden gilt, dass sich deren noch vor einigen Jah-                     stoffliche Anforderungen mit ernsthaften Konsequenzen
ren vorhandene Nachsicht gelegt hat und auf eine rechts-                       auf der Grundlage des öffentlichen Rechts, des Zivilrechts
konforme Umsetzung gedrängt wird.1 Für die Anforderun-                         und auch des Strafrechts verbunden sein können. Schlag-
                                                                               wortartig und keinesfalls abschließend zählen dazu etwa
                                                                               Vertriebsverbote, Bußgelder, Geldstrafen, Produktrück-
                                                                               nahmen und Produktrückrufe, Schadenersatzforderun-
*   Dr. Friedrich Markmann ist Rechtsanwalt bei Kopp-Assenmacher & Nus-        gen sowie in extremen Fällen sogar strafrechtliche Sank-
    ser, Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Berlin/Düsseldorf; M. Eng.,     tionen.
    Dipl.-Ing. (FH) Stefan Nieser, Geschäftsführer der tec4U-Solutions             Ausgehend von diesen Praxisbefunden ist Ziel des Bei-
    GmbH, Saarbrücken, ist Maschinenbauingenieur, Umweltbetriebsprü-
    fer sowie QM-Auditor und Gefahrstoffbeauftragter.                          trags, potenzielle Rechtsfolgen bei einer Nichtbeachtung
1   Nieser, Die IEC 63000 – Stand der Technik zur Umsetzung der Materi-        von gesetzlich normierten Material-Compliance-Anforde-
    al Compliance, StoffR 2018, S. 90–93.                                      rungen darzustellen sowie praktische Empfehlungen und
2   DIN EN IEC 63000 basiert auf der Europäischen Norm DIN EN                  mögliche Ansatzpunkte für eine rechtssichere Umsetzung
    50581:2012, die die Richtlinie 2011/65/EU des Europäischen Parla-          dieser Vorgaben aufzuzeigen. Dazu erfolgt unter II. zunächst
    ments und des Rates vom 8. Juni 2011 zur Beschränkung der Verwen-
    dung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten
                                                                               eine knappe Wiedergabe von Rechtsgrundlagen, denen sich
    (RoHS-Richtlinie) unterstützt. Diese Norm legt die technische Doku-        spezifische Anforderungen im Hinblick auf die stoffliche
    mentation fest, die der Hersteller erstellen muss, um die Einhaltung der   Zusammensetzung von Produkten entnehmen lassen. Mög-
    geltenden Stoffbeschränkungen zu erklären. Informationen abrufbar im
                                                                               liche Rechtsfolgen, mit denen der verpflichtete Wirtschafts-
    Internet unter www.iec63000.com/ (letzter Zugriff 11.8.2020).
                                                                               akteur bei einer Nichteinhaltung eben dieser Vorgaben rech-
3   DIN EN IEC 63000, S. 2. Neben der RoHS-Richtlinie ist eine Anwen-
    dung der Norm insofern auch auf sonstige Rechtsakte, denen sich Stoff-     nen muss, werden unter III. aufgeführt. Eine Darstellung
    verbote und Stoffbeschränkungen entnehmen lassen, möglich. Dazu            konkreter Maßnahmen und Empfehlungen ausgehend von
    zählt etwa die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Be-        der DIN EN IEC 63000, die der Sicherstellung der Einhal-
    wertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH-Ver-
    ordnung). Zum potenziellen Anwendungsbereich siehe im Übrigen              tung stofflicher Vorgaben dienen soll, erfolgt abschließend
    auch unter II.                                                             unter IV.
128         Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung materialrelevanter Anforderungen                                                 StoffR 3 2020

II. Material Compliance: Rechtliche Vorgaben                       Demgegenüber handelt es sich bei den in § 3 Abs. 1 Nr. 1
    und Grundlagen                                                 ElektroStoffV geregelten Vorgaben im Hinblick auf die Ein-
                                                                   haltung bestimmter Grenzwerte für die in den Elektro- und
Gesetzlich normierte Anforderungen an die stoffliche Be-           Elektronikgeräten enthaltenen „homogenen Werkstoffe“6
schaffenheit von Produkten sind in einer Vielzahl nationa-         (Beschränkung auf 0,1 Gewichtsprozent je homogenen
ler und internationaler Rechtsakte zu finden. Zu differen-         Werkstoff für Blei, Quecksilber, sechswertiges Chrom etc.)
zieren ist dabei zunächst zwischen ganz allgemeingültigen          um Stoffbeschränkungen. Eine Überschreitung dieser
Vorgaben, die uneingeschränkt auf sämtliche Produkte An-           Grenzwerte hat regelmäßig ein Verkehrsverbot zur Folge.
wendung finden, die produziert und gehandelt werden. Zu
nennen ist in diesem Zusammenhang etwa die Verordnung
(EG) Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulas-            III. Rechtsfolgen und Risiken bei Nichtbeachtung
sung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH-Verord-
nung), von deren Anwendungsbereich nahezu sämtliche                Im Hinblick auf die bei einem Verstoß gegen gesetzlich ko-
„Gemische“ und „Erzeugnisse“ erfasst sind, ungeachtet ihrer        difizierte absolute Stoffverbote und Stoffbeschränkungen
konkreten Funktion oder Zweckbestimmung.4 Über einen               zu besorgenden Rechtsfolgen ist zu differenzieren. Im We-
vergleichbar weiten Anwendungsbereich, der alle „Gemi-             sentlichen lässt sich hier zwischen potenziellen Rechtsfol-
sche“ und „Erzeugnisse“ einbezieht, verfügt überdies auch          gen auf der Grundlage des öffentlichen Rechts und des Straf-
die Verordnung (EU) 2019/1021 über persistente organische          rechts (dazu unter 1.) und auf der Grundlage des Zivilrechts
Schadstoffe (POP-Verordnung).                                      (dazu unter 2.) unterscheiden.7 Auf eine allgemeine wettbe-
   Demgegenüber gibt es aber auch gesetzliche Regelwerke,          werbsrechtliche Relevanz solcher Verstöße wird unter 3. hin-
deren Bestimmungen produktspezifisch Anwendung fin-                gewiesen. Den nachstehend aufgezeigten Rechtsfolgen wer-
den. Auf internationaler Ebene ist in diesem Zusammen-             den dabei exemplarisch Verstöße gegen die REACH-Verord-
hang etwa die sog. California Proposition 65 zu nennen, die        nung und gegen die RoHS-Richtlinie bzw. die ElektroStoffV
stoffliche Anforderungen an Produkte festlegt, die mit             zugrunde gelegt. Für Verstöße gegen die stofflichen Vorga-
Trinkwasser in Berührung kommen.5 Von ihrem ausdrück-              ben anderer Rechtsakte gilt, dass regelmäßig mit vergleich-
lichen Anwendungsbereich her ist die California Propositi-         baren Rechtsfolgen gerechnet werden muss. Die Darstellung
on 65 zwar auf Kalifornien beschränkt. Da viele europäische        dieser Rechtsfolgen konzentriert sich dabei auf solche Maß-
Unternehmen aber Produkte herstellen, die in Kalifornien           nahmen, die unmittelbar gegen den zur Einhaltung stoffli-
und den übrigen USA auf den Markt gebracht werden,                 cher Vorgaben Verpflichteten selbst gerichtet sind. Etwaige
nimmt der jeweilige Produzent in Europa auch seine euro-           Pflichten, die dem Verpflichteten unter bestimmten Voraus-
päischen Lieferanten bezüglich dieser Vorgabe in die Pflicht.      setzungen von sich aus gegenüber der jeweils zuständigen
Mittlerweile ist die California Proposition 65 zu einem fes-       Behörde obliegen (etwa Informations- und Meldepflichten)
ten Bestand der materialspezifischen Vorgaben im innereu-          sind nicht Bestandteil des Beitrags.
ropäischen Warenverkehr geworden. Unmittelbar auf euro-
päischer Ebene ist für die produktspezifischen Rechtsakte
überdies die Richtlinie 2011/65/EU zur Beschränkung der            1. Rechtsfolgen auf der Grundlage des
Verwendung bestimmter Stoffe in Elektro- und Elektronik-              öffentlichen Rechts und des Strafrechts
geräten (RoHS-Richtlinie) bzw. die diese Richtlinie in deut-
sches Recht umsetzende Elektro- und Elektronikgeräte-              Zu differenzieren ist in diesem Zusammenhang zunächst
Stoff-Verordnung (ElektroStoffV) zu nennen. Spezifische            zwischen behördlichen Maßnahmen, die unmittelbar der
stoffliche Anforderungen, die etwa nur Batterien betreffen,        Gefahrenabwehr dienen (dazu unter a.). Sofern dem Herstel-
sind der Richtlinie 2006/66/EG über Batterien und Akkumu-          ler bzw. der diesbezüglich verantwortlichen Person im Hin-
latoren sowie Altbatterien und Altakkumulatoren bzw. dem
Batteriegesetz (BattG) zu entnehmen. Besondere Vorgaben
für Verpackungsmaterialien sind in der Richtlinie 94/62/EG         4   Zu den eng begrenzten Ausnahmen vom Anwendungsbereich siehe
über Verpackungen und Verpackungsabfälle bzw. im Ver-                  Art. 2 der REACH-Verordnung („Anwendung“).
packungsgesetz (VerpackG) normiert.                                5   Vgl. OEHHA – California Office of Environmental Health Hazard As-
                                                                       sessment.
   Im Rahmen dieser Vorgaben ist überdies zwischen abso-
                                                                   6   Gemäß der in § 2 Nr. 19 ElektroStoffV enthaltenen Legaldefinition han-
luten Stoffverboten, Stoffbeschränkungen und Informations-
                                                                       delt es sich bei einem „homogenen Werkstoff“ um „einen Werkstoff von
pflichten in der Lieferkette zu differenzieren. Beispiel für ein       durchgehend gleichförmiger Zusammensetzung oder einen aus ver-
absolutes Stoffverbot ist dabei etwa das in Anhang XVII                schiedenen Werkstoffen bestehenden Werkstoff, der nicht durch mecha-
                                                                       nische Vorgänge wie Abschrauben, Schneiden, Zerkleinern, Mahlen und
Nr. 7 der REACH-Verordnung normierte Stoffverbot für
                                                                       Schleifen in einzelne Werkstoffe zerlegt oder getrennt werden kann.“
Tris-(aziridinyl)-phosphinoxid in „Textilerzeugnissen, die da-
                                                                   7   Vgl. hierzu Nieser/Reusch, Haftungsfalle Material Compliance. Ein haf-
zu bestimmt sind, mit der Haut in Kontakt zu kommen, bei-              tungsrelevantes Produktmerkmal mit allen Konsequenzen, ZRFC – Risk,
spielsweise in Oberbekleidung, Unterwäsche und Wäsche“.                Fraud & Compliance 2017, S. 14 ff.
StoffR 3 2020                                     Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung materialrelevanter Anforderungen                       129

blick auf den jeweiligen Verstoß überdies ein Verschulden                        wirtschaftsgesetz [KrWG]). Als Adressat des Bußgeldbe-
vorzuwerfen ist, können flankierend zu diesen Maßnahmen                          scheids kommt neben dem für die Einhaltung der stoffrecht-
noch Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren bei Erfül-                        lich geregelten Anforderungen im Unternehmen primär
lung entsprechender Tatbestände hinzutreten (dazu unter                          Verantwortlichen auch eine Inanspruchnahme der ge-
b.). Weitere Folgemaßnahmen und denkbare Folgekosten für                         schäftsleitenden Ebene, sofern entsprechende Aufgaben
den Produzenten werden unter c. knapp aufgezeigt.                                nicht ordnungsgemäß unternehmensintern delegiert wor-
                                                                                 den sind, und schließlich auch des Unternehmens selbst in
a. Gefahrenabwehrmaßnahmen                                                       Betracht. Eine Missachtung von den in der REACH-Verord-
                                                                                 nung geregelten Stoffverboten stellt demgegenüber teilwei-
Bei einem Verstoß gegen stoffrechtliche Anforderungen                            se sogar eine Straftat dar. Ein Verstoß gegen das oben unter
sind bei Vorliegen der diesbezüglich normierten Vorausset-                       II. hierfür exemplarisch genannte Verbot, bestimmte Tex-
zungen zunächst eine Vielzahl potenzieller Gefahrenab-                           tilerzeugnisse mit Tris-(aziridinyl)-phosphinoxid zu verset-
wehrmaßnahmen denkbar. Für Missachtungen der stoff-                              zen, ist strafbewehrt (vgl. § 5 Nr. 4 Chemikalien-Sanktions-
rechtlichen Vorgaben der REACH-Verordnung können etwa                            verordnung [ChemSanktionsV] in Verbindung mit § 27
auf der Grundlage des Chemikaliengesetzes (ChemG) Ver-                           Abs. 1 Nr. 3 Satzteil vor Satz 2, Abs. 1a) bis 4 des ChemG).
triebsverbote, Sicherstellungen und Vernichtungen angeord-
net werden (vgl. dazu § 23 Abs. 1 ChemG, wonach die zu-                          c. Folgemaßnahmen und Folgekosten
ständige Landesbehörde im Einzelfall Anordnungen treffen
kann, die zur Beseitigung festgestellter oder zur Verhütung                      Neben den oben unter a. und b. dargestellten Rechtsfolgen
künftiger Verstöße u. a. gegen die REACH-Verordnung not-                         kann der Produzent bei einem Verstoß überdies dazu ver-
wendig sind). Überdies ist in § 26 Abs. 2 Produktsicherheits-                    pflichtet sein, eigene Maßnahmen durchzuführen, die mit
gesetz (ProdSG) eine allgemeingültige Ermächtigungs-                             weiteren Folgekosten verbunden sind. Dazu gezählt werden
grundlage normiert, die entsprechende Maßnahmen zu-                              können etwa erforderliche Überprüfungen, in welchem Pro-
lässt. Als ultima ratio kommt schließlich auch eine angeord-                     dukt der beanstandete Artikel noch verbaut ist und gegebe-
nete Rücknahme bzw. der Rückruf des Produkts in Betracht                         nenfalls Maßnahmen, die dieses Produkt betreffen, eine
(vgl. dazu § 26 Abs. 4 ProdSG). Erforderlich dafür ist indes,                    Umarbeitung der betroffenen teilfertigen Produkte, eine
dass von dem jeweiligen Produkt ein „ernstes Risiko“ für die                     Umarbeitung der zurückgenommenen Produkte aus dem
Sicherheit und Gesundheit von Personen ausgeht.8 Bei der                         Handel, die Entsorgung der zurückgenommenen Produkte
Anordnung der jeweiligen Gefahrenabwehrmaßnahme hat                              des Kunden sowie die Einrichtung eines erforderlichen Lo-
die Behörde regelmäßig den Grundsatz der Verhältnismä-                           gistik- und Projektmanagements für den gesamten Prozess.
ßigkeit zu beachten. Dazu zählt insbesondere, dass mildere,
gleich geeignete Maßnahmen nicht möglich sind und das
mit der jeweiligen Maßnahme verfolgte Ziel nicht außer Ver-                      2. Rechtsfolgen auf der Grundlage des Zivilrechts
hältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen darf.
                                                                                 Als mindestens so weitreichend wie die auf der Grundlage
b. Ordnungswidrigkeiten und Strafverfahren                                       des öffentlichen Rechts zu besorgenden Rechtsfolgen erwei-
                                                                                 sen sich die Konsequenzen für Verstöße gegen stoffliche An-
Verstöße gegen öffentlich-rechtlich normierte Stoffverbote                       forderungen aus zivilrechtlicher Perspektive. Vertragsrecht-
und Stoffbeschränkungen begründen bei Vorliegen eines                            lich begründen Verstöße gegen gesetzlich normierte Stoff-
Verschuldens überdies in der Regel Ordnungswidrigkeiten,                         verbote und Stoffbeschränkungen zunächst regelmäßig ei-
die mit Bußgeldern geahndet werden können (vgl. dazu et-                         nen Sachmangel gemäß § 434 Bürgerliches Gesetzbuch
wa für die in der RoHS-Richtlinie bzw. ElektroStoffV nor-                        (BGB), der den jeweiligen Vertragspartner unter den dazu
mierten Stoffbeschränkungen, etwa § 14 Abs. 1 Elektro-                           festgelegten Voraussetzungen zur Geltendmachung ent-
StoffV in Verbindung mit § 69 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 Kreislauf-                    sprechender Mängelgewährleistungsrechte berechtigt. Dazu
                                                                                 zählen Nacherfüllung, Rücktritt und Minderung, aber auch
                                                                                 finanzieller Schadenersatz sowie Ersatz vergeblicher Auf-
8   Der Begriff des ernsten Risikos ist dabei in § 2 Nr. 9 ProdSG legal defi-
                                                                                 wendungen.
    niert. Danach ist „ernstes Risiko jedes Risiko, das ein rasches Eingreifen      Zivilrechtliche Auseinandersetzungen sind überdies
    der Marktüberwachungsbehörde erfordert, auch wenn das Risiko kei-            auch ob bestehender besonderer Vereinbarungen der Ver-
    ne unmittelbare Auswirkung hat“. Diese Definition ist jedoch für die
                                                                                 tragsparteien über die stoffliche Beschaffenheit des Pro-
    Bestimmung, ob ein ernstes Risiko vorliegt, wenig ergiebig. In der Pra-
    xis wird der Risikograd jedoch ohnehin nach den RAPEX-Leitlinien             dukts denkbar, die noch über die gesetzlich festgelegten Vor-
    (Durchführungsbeschluss (EU) 2019/417 der Kommission vom 8. No-              gaben hinausgehen können. Verstöße gegen solche beson-
    vember 2018 zur Festlegung von Leitlinien für die Verwaltung des ge-         deren Vereinbarungen können ebenfalls zu Schadenersatz-
    meinschaftlichen Systems zum raschen Informationsaustauch „RAPEX“
    gemäß Artikel 12 der Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Pro-          forderungen berechtigen. Überdies sind auch Ansprüche auf
    duktsicherheit, ABl. L 73/121, 15.3.2019) ermittelt.                         der Grundlage von vereinbarten Vertragsstrafen denkbar.
130         Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung materialrelevanter Anforderungen                                             StoffR 3 2020

Praxisurteil:                                                       u. a. bei der Pflicht des Herstellers, die in § 3 Abs. 1 Nr. 1
  Die Nichteinhaltung vereinbarter Stoffkonzentrationen be-         ElektroStoffV normierten Stoffbeschränkungen einzuhal-
  gründet nach der Rechtsprechung des OLG Koblenz über-             ten, um eine Marktverhaltensregel handelt. Begründet
  dies die Mangelhaftigkeit einer gesamten Warenlieferung,          wird dies damit, dass die Bestimmung produktbezogen ein
  selbst wenn nur ein Teil der Gesamtlieferung betroffen ist        Absatzverbot regele und die Vorgaben der RoHS-Richtli-
  (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 7.7.2016 – 2 U 504/15). Ins-        nie ausdrücklich auch den Gesundheitsschutz des Men-
  besondere könne eine solche Beschaffenheitsvereinbarung           schen bezwecken. Bei Verstößen gegen die normierten
  auch nicht durch einen Hinweis, dass geringste unvermeid-         Stoffbeschränkungen sei die in § 3a Gesetz gegen den un-
  bare Verunreinigungen vorhanden sein können, ausge-               lauteren Wettbewerb (UWG) normierte Spürbarkeits-
  schlossen werden. Ob der Kunde im Rahmen der ihm nach             schwelle überdies regelmäßig überschritten. Diese Feststel-
  § 377 Abs. 1 Handelsgesetzbuch (HGB) obliegenden Unter-           lungen des BGH erfolgten dabei im Rahmen der Klage ei-
  suchungspflicht im Übrigen dazu angehalten sei, eigene            nes auf der Grundlage des UKlaG legitimierten Umwelt-
  chemische Untersuchungen der Ware durchzuführen, ist              vereins gegen eine Herstellerin und Vertreiberin von Ener-
  nach Ansicht des OLG Koblenz im Übrigen maßgeblich von            giesparlampen, in denen der in der RoHS-Richtlinie bzw.
  dem zu erwartenden Kostenaufwand abhängig, wie er sich            der ElektroStoffV zulässige Grenzwert von Quecksilber in
  aus ex-ante Sicht darstellt. Für eine anzunehmende Unzu-          zwei überprüften Exemplaren überschritten wurde.
  mutbarkeit besonderer Untersuchungen ist insbesondere
  auch auf den Warenwert selbst abzustellen. Der Entschei-      Praxisurteil:
  dung lag dabei eine Klage gerichtet auf Schadenersatz auf-      In der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung des BGH
  grund einer Grenzwertüberschreitung des Weichmachers            wurde überdies beschlossen, dass eine Verurteilung auf
  DEHP in von der Beklagten gelieferten Folien zugrunde.          der Grundlage von § 8 UWG, den Vertrieb wettbewerbs-
  Hinsichtlich dieses Weichmachers hatte die Beklagte im          widriger Produkte zu unterlassen, auch den Rückruf bzw.
  Rahmen ihrer Informationspflicht auf der Grundlage von          die Rücknahme der wettbewerbswidrigen Produkte be-
  Art. 33 der REACH-Verordnung erklärt, dass die Folien kein      inhaltet (vgl. BGH, Beschluss vom 29.9.2016 – I ZB 34/15).
  DEHP enthalten, geringste Verunreinigungen gleichwohl           Nach Ansicht des BGH ist eine Auslegung des Unterlas-
  nicht ausgeschlossen werden könnten.                            sungsanspruchs dahingehend geboten, dass davon auch
                                                                  mögliche und zumutbare Handlungen zur Beseitigung des
Gesetzliche Ansprüche gerichtet auf Schadenersatz bei ei-         Störungszustands erfasst sind. Dies soll immer dann gel-
nem Verstoß gegen stoffliche Vorgaben sind überdies auf           ten, wenn allein durch die Vornahme von Handlungen
der Grundlage von § 823 Abs. 1 BGB und nach § 1 Abs. 1 Pro-       dem Unterlassungsgebot nachgekommen werden kann.
dukthaftungsgesetz (ProdHaftG) möglich. Ein Anspruch auf          Dies sei prinzipiell der Fall, wenn die Nichtbeseitigung
der Grundlage von § 823 Abs. 1 BGB setzt dabei voraus, dass       des Verletzungszustands gleichbedeutend mit der Fort-
eines der dort genannten Rechtsgüter (Leben, Körper, Ge-          setzung der Verletzungshandlung ist. Eine Rückrufver-
sundheit, Freiheit, Eigentum oder ein sonstiges Recht) vor-       pflichtung gelte indes nicht im einstweiligen Rechts-
sätzlich oder fahrlässig verletzt worden ist. Zu beachten ist     schutz, da anderenfalls die Hauptsache in unzulässiger
dabei indes, dass ein primärer „reiner Vermögensschaden“          Weise vorweggenommen würde. Der Entscheidung des
über § 823 Abs. 1 BGB nicht ersatzfähig ist.9 Eine Haftung        BGH vorangegangen war die Verurteilung einer Herstel-
unmittelbar nach ProdHaftG kommt überdies nur für Per-            lerin sog. „Rescue Tropfen“, es zu unterlassen, Produkte
sonen- (Körper oder Gesundheit) und Sachschäden in Be-            unter dieser Bezeichnung zu vertreiben. Bereits vor der
tracht (vgl. § 1 Abs. 1 ProdHaftG).                               Verurteilung ausgelieferte Produkte waren im Handel
                                                                  noch erhältlich gewesen. In der Literatur ist dieser Be-
                                                                  schluss des BGH hingegen zum Teil stark kritisiert wor-
3. Wettbewerbsrechtliche Relevanz                                 den, vgl. dazu etwa Bornkamm, in: Köhler/Born-
                                                                  kamm/Feddersen, UWG, Kommentar, 37. Aufl. 2019,
Nicht zu unterschätzen ist überdies die wettbewerbsrechtli-       Rn. 1.77 f.
che Relevanz eines Verstoßes gegen die Einhaltung stoffli-
cher Anforderungen. Eine Missachtung stoffrechtlich rele-
vanter Vorgaben eröffnet Mitbewerbern sowie eines auf der       IV. Maßnahmen und Empfehlungen zur
Grundlage des Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) beson-              Einhaltung stofflicher Vorgaben
ders befugten Adressatenkreises prinzipiell die Möglichkeit,
gegen den jeweiligen Mitbewerber vorzugehen.                    Um dem Vorwurf der Fahrlässigkeit etwa im Rahmen eines
                                                                bei der Nichteinhaltung stofflicher Anforderungen eingelei-
Praxisurteil:
  In seinem Urteil vom 21.9.2016 – I ZR 234/15 hat der BGH
  in diesem Zusammenhang etwa festgestellt, dass es sich        9    Vgl. etwa BGH, Urteil vom 9.12.2014 – VI ZR 155/14, juris Rn. 15.
StoffR 3 2020                                  Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung materialrelevanter Anforderungen                     131

teten Ordnungswidrigkeitenverfahrens wirksam begegnen                       Die Bestimmung, welche Informationen überhaupt benö-
zu können, haben die betroffenen Wirtschaftsakteure nach-                   tigt werden, ist dabei ganz maßgeblich von der Wahrschein-
zuweisen, dass sie alles ihrerseits Erforderliche unternom-                 lichkeit abhängig, dass Stoffe, für die Verbote und Beschrän-
men haben, den eigenen Sorgfaltspflichten zu genügen. Für                   kungen normiert sind, überhaupt in den bezogenen Produk-
die dazu notwendigen Maßnahmen wurde mit der DIN EN                         ten enthalten sind und wie vertrauenswürdig der jeweilige
IEC 63000 eine Norm geschaffen, in der konkrete Vorge-                      Lieferant in diesem Zusammenhang ist. Eine Erhebung der
hensweisen mit Bezug zur technischen Dokumentation be-                      Informationen kann auf der Grundlage entsprechender Er-
schrieben werden. Diese können sowohl für die Sicherstel-                   klärungen oder Vereinbarungen mit dem Lieferanten, von
lung stofflicher Vorgaben der RoHS-Richtlinie bzw. der                      Materialdeklarationen oder aber von Ergebnissen spezifi-
ElektroStoffV als auch für die Sicherstellung der in sonsti-                scher Untersuchungen und Analysen erfolgen. Für die an-
gen Regelwerken enthaltenen stoffrechtlichen Vorgaben an-                   schließende Beurteilung der Qualität und der Vertrauens-
gewandt werden. Mittlerweile findet man die Inhalte der                     würdigkeit dieser Unterlagen ist ein besonderes Verfahren
Norm in diesem Zusammenhang auch in entsprechenden                          festzulegen. In regelmäßigen Abständen ist schließlich si-
Empfehlungen des REACH-Helpdesks10 sowie einzelner                          cherzustellen, dass die jeweiligen Unterlagen noch gültig
Wirtschafts- und Fachverbände. Für das verschuldensunab-                    sind und den aktuellen Stand der jeweiligen Produkte be-
hängige Gefahrenabwehrrecht sowie für das Mängelge-                         rücksichtigen.
währleistungsrecht gilt dies hingegen nicht. Behördliche
Maßnahmen und Ansprüche des Vertragspartners bei der
Nichteinhaltung stofflicher Vorgaben sind hier immer mög-                   V. Fazit
lich, ohne dass es darauf ankommt, ob dem Wirtschaftsak-
teur diesbezüglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht wer-                  Ein Verstoß gegen gesetzlich und/oder vertraglich festgeleg-
den kann oder nicht.                                                        te Material-Compliance-Anforderungen kann für den dies-
   Um den Nachweis der eingehaltenen Sorgfalt wirksam                       bezüglich Verpflichteten mit ernsthaften Konsequenzen
führen zu können, werden in der DIN EN IEC 63000 vier                       verbunden sein. Für den Bereich des öffentlichen Rechts
Aufgaben beschrieben, die der jeweilige Hersteller auszu-                   sind hier zunächst eine Vielzahl verschuldensunabhängiger
führen hat. Dazu zählen:                                                    Gefahrenabwehrmaßnahmen (etwa Vertriebsverbote und
   (1) eine „Bestimmung der benötigten Informationen“                       Produktrücknahmen) denkbar. Ist dem jeweiligen Wirt-
       durch den Hersteller,                                                schaftsakteur überdies ein besonderes Verschulden vorzu-
   (2) die „Erhebung der Informationen“,                                    werfen, sind weiterhin noch Maßnahmen auf der Grundla-
   (3) eine „Beurteilung der Informationen bezüglich ihrer                  ge des Ordnungswidrigkeitenrechts zu besorgen. Zivilrecht-
       Qualität und Vertrauenswürdigkeit und die Entschei-                  lich gesehen begründen Verstöße gegen Material-Complian-
       dung, ob sie in die technischen Unterlagen aufgenom-                 ce-Vorgaben im Rahmen vertraglicher Beziehungen regel-
       men werden“ und                                                      mäßig Mängelgewährleistungsrechte und vermögen für be-
   (4) die „Sicherstellung, dass die technische Dokumentati-                stimmte Schäden auch noch gesetzliche Ansprüche u. a. auf
       on gültig bleibt“.                                                   der Grundlage des ProdHaftG zu eröffnen. Zumindest um
                                                                            dem Vorwurf der Fahrlässigkeit für verschuldensabhängige
                                                                            Maßnahmen und Ansprüche wirksam begegnen zu können,
                                                                            lassen sich der DIN EN IEC 63000 konkrete Vorgehenswei-
10 REACH-CLP-Biozid-Helpdesk: Nationale Auskunftsstelle des Bundes
   für REACH, CLP und Biozide, abrufbar im Internet unter www.reach-        sen entnehmen, um den Nachweis der Einhaltung eigener
   clp-biozid-helpdesk.de/de/Startseite.html (letzter Zugriff 11.8.2020).   Sorgfaltspflichten wirksam führen zu können.
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