Material Compliance: Rechtsfolgen bei Nicht-beachtung und Anforderungen an den Nachweis - tec4U-Solutions
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
StoffR 3 2020 Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung materialrelevanter Anforderungen 127 Friedrich Markmann, Stefan Nieser* Material Compliance: Rechtsfolgen bei Nicht- beachtung und Anforderungen an den Nachweis Das Thema „Material Compliance“ ist heute aktueller denn je. Neben verschärften gesetzlichen Anforderungen sehen sich die verpflichteten Wirtschaftsakteure einem zunehmenden Umsetzungsdruck auf dem Markt selbst ausgesetzt. Hier setzt der Beitrag an. Er zeigt potenzielle Rechtsfolgen, veranschaulicht durch einschlägige Rechtsprechung, auf, die bei der Nichtbeachtung materialrelevanter Anforderungen auf der Grundlage des öffentlichen Rechts, des Straf- rechts sowie des Zivilrechts zu besorgen sind, und gibt ausgehend von der DIN EN IEC 63000 konkrete Empfehlungen, die der Einhaltung stofflicher Vorgaben dienen sollen. I. Einführung und rechtliche Ausgangslage gen, die an den Nachweis der Material Compliance von Pro- dukten zu stellen sind, kann dazu auf die Vorgaben der erst Stoffliche Anforderungen für Produkte sind in Vergan- unlängst harmonisierten DIN EN IEC 63000 (vormals DIN genheit und Gegenwart zunehmend Gegenstand nationa- EN 50581) abgestellt werden, die den derzeit geltenden Stan- ler und internationaler Rechtsakte geworden und machen dard widerspiegeln.2 Der Normzweck selbst ist dabei vom das Thema „Material Compliance“ heute aktueller denn Normgeber auf die Festlegung der technischen Dokumen- je. Neben verschärften gesetzlichen Vorgaben hat der Um- tation, die der „Hersteller erstellen muss, um die Einhaltung setzungsdruck auf dem Markt selbst stark zugenommen. der geltenden Stoffbeschränkungen weltweit nach verschie- Ausgeübt wird dieser in erster Linie von den für den Be- denen Gefahrstoffverordnungen zu erklären“3 erweitert wor- reich Material Compliance zuständigen Ordnungs- und den. Die in dieser Norm näher formulierte Vorgehensweise Marktüberwachungsbehörden, durch die Kunden, die, um ist sowohl von der Industrie als auch von den vollziehenden eigenen Haftungsrisiken zu entgehen, Überprüfungen Behörden anerkannt. der bezogenen Produkte selbst durchführen, aber auch Aufgrund der enormen praktischen Relevanz ist es um- durch Mitbewerber und durch Umwelt- sowie Verbrau- so erstaunlicher, dass in vielen Unternehmen das Thema cherschutzorganisationen, wie etwa der Stiftung Waren- Material Compliance und seine Auswirkungen im Falle der test. Nichtbeachtung weiterhin stark unterschätzt wird. Dies Insbesondere für die Ordnungs- und Marktüberwa- gilt umso mehr, als Verstöße gegen gesetzlich normierte chungsbehörden gilt, dass sich deren noch vor einigen Jah- stoffliche Anforderungen mit ernsthaften Konsequenzen ren vorhandene Nachsicht gelegt hat und auf eine rechts- auf der Grundlage des öffentlichen Rechts, des Zivilrechts konforme Umsetzung gedrängt wird.1 Für die Anforderun- und auch des Strafrechts verbunden sein können. Schlag- wortartig und keinesfalls abschließend zählen dazu etwa Vertriebsverbote, Bußgelder, Geldstrafen, Produktrück- nahmen und Produktrückrufe, Schadenersatzforderun- * Dr. Friedrich Markmann ist Rechtsanwalt bei Kopp-Assenmacher & Nus- gen sowie in extremen Fällen sogar strafrechtliche Sank- ser, Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Berlin/Düsseldorf; M. Eng., tionen. Dipl.-Ing. (FH) Stefan Nieser, Geschäftsführer der tec4U-Solutions Ausgehend von diesen Praxisbefunden ist Ziel des Bei- GmbH, Saarbrücken, ist Maschinenbauingenieur, Umweltbetriebsprü- fer sowie QM-Auditor und Gefahrstoffbeauftragter. trags, potenzielle Rechtsfolgen bei einer Nichtbeachtung 1 Nieser, Die IEC 63000 – Stand der Technik zur Umsetzung der Materi- von gesetzlich normierten Material-Compliance-Anforde- al Compliance, StoffR 2018, S. 90–93. rungen darzustellen sowie praktische Empfehlungen und 2 DIN EN IEC 63000 basiert auf der Europäischen Norm DIN EN mögliche Ansatzpunkte für eine rechtssichere Umsetzung 50581:2012, die die Richtlinie 2011/65/EU des Europäischen Parla- dieser Vorgaben aufzuzeigen. Dazu erfolgt unter II. zunächst ments und des Rates vom 8. Juni 2011 zur Beschränkung der Verwen- dung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten eine knappe Wiedergabe von Rechtsgrundlagen, denen sich (RoHS-Richtlinie) unterstützt. Diese Norm legt die technische Doku- spezifische Anforderungen im Hinblick auf die stoffliche mentation fest, die der Hersteller erstellen muss, um die Einhaltung der Zusammensetzung von Produkten entnehmen lassen. Mög- geltenden Stoffbeschränkungen zu erklären. Informationen abrufbar im liche Rechtsfolgen, mit denen der verpflichtete Wirtschafts- Internet unter www.iec63000.com/ (letzter Zugriff 11.8.2020). akteur bei einer Nichteinhaltung eben dieser Vorgaben rech- 3 DIN EN IEC 63000, S. 2. Neben der RoHS-Richtlinie ist eine Anwen- dung der Norm insofern auch auf sonstige Rechtsakte, denen sich Stoff- nen muss, werden unter III. aufgeführt. Eine Darstellung verbote und Stoffbeschränkungen entnehmen lassen, möglich. Dazu konkreter Maßnahmen und Empfehlungen ausgehend von zählt etwa die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Be- der DIN EN IEC 63000, die der Sicherstellung der Einhal- wertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH-Ver- ordnung). Zum potenziellen Anwendungsbereich siehe im Übrigen tung stofflicher Vorgaben dienen soll, erfolgt abschließend auch unter II. unter IV.
128 Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung materialrelevanter Anforderungen StoffR 3 2020 II. Material Compliance: Rechtliche Vorgaben Demgegenüber handelt es sich bei den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Grundlagen ElektroStoffV geregelten Vorgaben im Hinblick auf die Ein- haltung bestimmter Grenzwerte für die in den Elektro- und Gesetzlich normierte Anforderungen an die stoffliche Be- Elektronikgeräten enthaltenen „homogenen Werkstoffe“6 schaffenheit von Produkten sind in einer Vielzahl nationa- (Beschränkung auf 0,1 Gewichtsprozent je homogenen ler und internationaler Rechtsakte zu finden. Zu differen- Werkstoff für Blei, Quecksilber, sechswertiges Chrom etc.) zieren ist dabei zunächst zwischen ganz allgemeingültigen um Stoffbeschränkungen. Eine Überschreitung dieser Vorgaben, die uneingeschränkt auf sämtliche Produkte An- Grenzwerte hat regelmäßig ein Verkehrsverbot zur Folge. wendung finden, die produziert und gehandelt werden. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang etwa die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulas- III. Rechtsfolgen und Risiken bei Nichtbeachtung sung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH-Verord- nung), von deren Anwendungsbereich nahezu sämtliche Im Hinblick auf die bei einem Verstoß gegen gesetzlich ko- „Gemische“ und „Erzeugnisse“ erfasst sind, ungeachtet ihrer difizierte absolute Stoffverbote und Stoffbeschränkungen konkreten Funktion oder Zweckbestimmung.4 Über einen zu besorgenden Rechtsfolgen ist zu differenzieren. Im We- vergleichbar weiten Anwendungsbereich, der alle „Gemi- sentlichen lässt sich hier zwischen potenziellen Rechtsfol- sche“ und „Erzeugnisse“ einbezieht, verfügt überdies auch gen auf der Grundlage des öffentlichen Rechts und des Straf- die Verordnung (EU) 2019/1021 über persistente organische rechts (dazu unter 1.) und auf der Grundlage des Zivilrechts Schadstoffe (POP-Verordnung). (dazu unter 2.) unterscheiden.7 Auf eine allgemeine wettbe- Demgegenüber gibt es aber auch gesetzliche Regelwerke, werbsrechtliche Relevanz solcher Verstöße wird unter 3. hin- deren Bestimmungen produktspezifisch Anwendung fin- gewiesen. Den nachstehend aufgezeigten Rechtsfolgen wer- den. Auf internationaler Ebene ist in diesem Zusammen- den dabei exemplarisch Verstöße gegen die REACH-Verord- hang etwa die sog. California Proposition 65 zu nennen, die nung und gegen die RoHS-Richtlinie bzw. die ElektroStoffV stoffliche Anforderungen an Produkte festlegt, die mit zugrunde gelegt. Für Verstöße gegen die stofflichen Vorga- Trinkwasser in Berührung kommen.5 Von ihrem ausdrück- ben anderer Rechtsakte gilt, dass regelmäßig mit vergleich- lichen Anwendungsbereich her ist die California Propositi- baren Rechtsfolgen gerechnet werden muss. Die Darstellung on 65 zwar auf Kalifornien beschränkt. Da viele europäische dieser Rechtsfolgen konzentriert sich dabei auf solche Maß- Unternehmen aber Produkte herstellen, die in Kalifornien nahmen, die unmittelbar gegen den zur Einhaltung stoffli- und den übrigen USA auf den Markt gebracht werden, cher Vorgaben Verpflichteten selbst gerichtet sind. Etwaige nimmt der jeweilige Produzent in Europa auch seine euro- Pflichten, die dem Verpflichteten unter bestimmten Voraus- päischen Lieferanten bezüglich dieser Vorgabe in die Pflicht. setzungen von sich aus gegenüber der jeweils zuständigen Mittlerweile ist die California Proposition 65 zu einem fes- Behörde obliegen (etwa Informations- und Meldepflichten) ten Bestand der materialspezifischen Vorgaben im innereu- sind nicht Bestandteil des Beitrags. ropäischen Warenverkehr geworden. Unmittelbar auf euro- päischer Ebene ist für die produktspezifischen Rechtsakte überdies die Richtlinie 2011/65/EU zur Beschränkung der 1. Rechtsfolgen auf der Grundlage des Verwendung bestimmter Stoffe in Elektro- und Elektronik- öffentlichen Rechts und des Strafrechts geräten (RoHS-Richtlinie) bzw. die diese Richtlinie in deut- sches Recht umsetzende Elektro- und Elektronikgeräte- Zu differenzieren ist in diesem Zusammenhang zunächst Stoff-Verordnung (ElektroStoffV) zu nennen. Spezifische zwischen behördlichen Maßnahmen, die unmittelbar der stoffliche Anforderungen, die etwa nur Batterien betreffen, Gefahrenabwehr dienen (dazu unter a.). Sofern dem Herstel- sind der Richtlinie 2006/66/EG über Batterien und Akkumu- ler bzw. der diesbezüglich verantwortlichen Person im Hin- latoren sowie Altbatterien und Altakkumulatoren bzw. dem Batteriegesetz (BattG) zu entnehmen. Besondere Vorgaben für Verpackungsmaterialien sind in der Richtlinie 94/62/EG 4 Zu den eng begrenzten Ausnahmen vom Anwendungsbereich siehe über Verpackungen und Verpackungsabfälle bzw. im Ver- Art. 2 der REACH-Verordnung („Anwendung“). packungsgesetz (VerpackG) normiert. 5 Vgl. OEHHA – California Office of Environmental Health Hazard As- sessment. Im Rahmen dieser Vorgaben ist überdies zwischen abso- 6 Gemäß der in § 2 Nr. 19 ElektroStoffV enthaltenen Legaldefinition han- luten Stoffverboten, Stoffbeschränkungen und Informations- delt es sich bei einem „homogenen Werkstoff“ um „einen Werkstoff von pflichten in der Lieferkette zu differenzieren. Beispiel für ein durchgehend gleichförmiger Zusammensetzung oder einen aus ver- absolutes Stoffverbot ist dabei etwa das in Anhang XVII schiedenen Werkstoffen bestehenden Werkstoff, der nicht durch mecha- nische Vorgänge wie Abschrauben, Schneiden, Zerkleinern, Mahlen und Nr. 7 der REACH-Verordnung normierte Stoffverbot für Schleifen in einzelne Werkstoffe zerlegt oder getrennt werden kann.“ Tris-(aziridinyl)-phosphinoxid in „Textilerzeugnissen, die da- 7 Vgl. hierzu Nieser/Reusch, Haftungsfalle Material Compliance. Ein haf- zu bestimmt sind, mit der Haut in Kontakt zu kommen, bei- tungsrelevantes Produktmerkmal mit allen Konsequenzen, ZRFC – Risk, spielsweise in Oberbekleidung, Unterwäsche und Wäsche“. Fraud & Compliance 2017, S. 14 ff.
StoffR 3 2020 Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung materialrelevanter Anforderungen 129 blick auf den jeweiligen Verstoß überdies ein Verschulden wirtschaftsgesetz [KrWG]). Als Adressat des Bußgeldbe- vorzuwerfen ist, können flankierend zu diesen Maßnahmen scheids kommt neben dem für die Einhaltung der stoffrecht- noch Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren bei Erfül- lich geregelten Anforderungen im Unternehmen primär lung entsprechender Tatbestände hinzutreten (dazu unter Verantwortlichen auch eine Inanspruchnahme der ge- b.). Weitere Folgemaßnahmen und denkbare Folgekosten für schäftsleitenden Ebene, sofern entsprechende Aufgaben den Produzenten werden unter c. knapp aufgezeigt. nicht ordnungsgemäß unternehmensintern delegiert wor- den sind, und schließlich auch des Unternehmens selbst in a. Gefahrenabwehrmaßnahmen Betracht. Eine Missachtung von den in der REACH-Verord- nung geregelten Stoffverboten stellt demgegenüber teilwei- Bei einem Verstoß gegen stoffrechtliche Anforderungen se sogar eine Straftat dar. Ein Verstoß gegen das oben unter sind bei Vorliegen der diesbezüglich normierten Vorausset- II. hierfür exemplarisch genannte Verbot, bestimmte Tex- zungen zunächst eine Vielzahl potenzieller Gefahrenab- tilerzeugnisse mit Tris-(aziridinyl)-phosphinoxid zu verset- wehrmaßnahmen denkbar. Für Missachtungen der stoff- zen, ist strafbewehrt (vgl. § 5 Nr. 4 Chemikalien-Sanktions- rechtlichen Vorgaben der REACH-Verordnung können etwa verordnung [ChemSanktionsV] in Verbindung mit § 27 auf der Grundlage des Chemikaliengesetzes (ChemG) Ver- Abs. 1 Nr. 3 Satzteil vor Satz 2, Abs. 1a) bis 4 des ChemG). triebsverbote, Sicherstellungen und Vernichtungen angeord- net werden (vgl. dazu § 23 Abs. 1 ChemG, wonach die zu- c. Folgemaßnahmen und Folgekosten ständige Landesbehörde im Einzelfall Anordnungen treffen kann, die zur Beseitigung festgestellter oder zur Verhütung Neben den oben unter a. und b. dargestellten Rechtsfolgen künftiger Verstöße u. a. gegen die REACH-Verordnung not- kann der Produzent bei einem Verstoß überdies dazu ver- wendig sind). Überdies ist in § 26 Abs. 2 Produktsicherheits- pflichtet sein, eigene Maßnahmen durchzuführen, die mit gesetz (ProdSG) eine allgemeingültige Ermächtigungs- weiteren Folgekosten verbunden sind. Dazu gezählt werden grundlage normiert, die entsprechende Maßnahmen zu- können etwa erforderliche Überprüfungen, in welchem Pro- lässt. Als ultima ratio kommt schließlich auch eine angeord- dukt der beanstandete Artikel noch verbaut ist und gegebe- nete Rücknahme bzw. der Rückruf des Produkts in Betracht nenfalls Maßnahmen, die dieses Produkt betreffen, eine (vgl. dazu § 26 Abs. 4 ProdSG). Erforderlich dafür ist indes, Umarbeitung der betroffenen teilfertigen Produkte, eine dass von dem jeweiligen Produkt ein „ernstes Risiko“ für die Umarbeitung der zurückgenommenen Produkte aus dem Sicherheit und Gesundheit von Personen ausgeht.8 Bei der Handel, die Entsorgung der zurückgenommenen Produkte Anordnung der jeweiligen Gefahrenabwehrmaßnahme hat des Kunden sowie die Einrichtung eines erforderlichen Lo- die Behörde regelmäßig den Grundsatz der Verhältnismä- gistik- und Projektmanagements für den gesamten Prozess. ßigkeit zu beachten. Dazu zählt insbesondere, dass mildere, gleich geeignete Maßnahmen nicht möglich sind und das mit der jeweiligen Maßnahme verfolgte Ziel nicht außer Ver- 2. Rechtsfolgen auf der Grundlage des Zivilrechts hältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen darf. Als mindestens so weitreichend wie die auf der Grundlage b. Ordnungswidrigkeiten und Strafverfahren des öffentlichen Rechts zu besorgenden Rechtsfolgen erwei- sen sich die Konsequenzen für Verstöße gegen stoffliche An- Verstöße gegen öffentlich-rechtlich normierte Stoffverbote forderungen aus zivilrechtlicher Perspektive. Vertragsrecht- und Stoffbeschränkungen begründen bei Vorliegen eines lich begründen Verstöße gegen gesetzlich normierte Stoff- Verschuldens überdies in der Regel Ordnungswidrigkeiten, verbote und Stoffbeschränkungen zunächst regelmäßig ei- die mit Bußgeldern geahndet werden können (vgl. dazu et- nen Sachmangel gemäß § 434 Bürgerliches Gesetzbuch wa für die in der RoHS-Richtlinie bzw. ElektroStoffV nor- (BGB), der den jeweiligen Vertragspartner unter den dazu mierten Stoffbeschränkungen, etwa § 14 Abs. 1 Elektro- festgelegten Voraussetzungen zur Geltendmachung ent- StoffV in Verbindung mit § 69 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 Kreislauf- sprechender Mängelgewährleistungsrechte berechtigt. Dazu zählen Nacherfüllung, Rücktritt und Minderung, aber auch finanzieller Schadenersatz sowie Ersatz vergeblicher Auf- 8 Der Begriff des ernsten Risikos ist dabei in § 2 Nr. 9 ProdSG legal defi- wendungen. niert. Danach ist „ernstes Risiko jedes Risiko, das ein rasches Eingreifen Zivilrechtliche Auseinandersetzungen sind überdies der Marktüberwachungsbehörde erfordert, auch wenn das Risiko kei- auch ob bestehender besonderer Vereinbarungen der Ver- ne unmittelbare Auswirkung hat“. Diese Definition ist jedoch für die tragsparteien über die stoffliche Beschaffenheit des Pro- Bestimmung, ob ein ernstes Risiko vorliegt, wenig ergiebig. In der Pra- xis wird der Risikograd jedoch ohnehin nach den RAPEX-Leitlinien dukts denkbar, die noch über die gesetzlich festgelegten Vor- (Durchführungsbeschluss (EU) 2019/417 der Kommission vom 8. No- gaben hinausgehen können. Verstöße gegen solche beson- vember 2018 zur Festlegung von Leitlinien für die Verwaltung des ge- deren Vereinbarungen können ebenfalls zu Schadenersatz- meinschaftlichen Systems zum raschen Informationsaustauch „RAPEX“ gemäß Artikel 12 der Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Pro- forderungen berechtigen. Überdies sind auch Ansprüche auf duktsicherheit, ABl. L 73/121, 15.3.2019) ermittelt. der Grundlage von vereinbarten Vertragsstrafen denkbar.
130 Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung materialrelevanter Anforderungen StoffR 3 2020 Praxisurteil: u. a. bei der Pflicht des Herstellers, die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Die Nichteinhaltung vereinbarter Stoffkonzentrationen be- ElektroStoffV normierten Stoffbeschränkungen einzuhal- gründet nach der Rechtsprechung des OLG Koblenz über- ten, um eine Marktverhaltensregel handelt. Begründet dies die Mangelhaftigkeit einer gesamten Warenlieferung, wird dies damit, dass die Bestimmung produktbezogen ein selbst wenn nur ein Teil der Gesamtlieferung betroffen ist Absatzverbot regele und die Vorgaben der RoHS-Richtli- (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 7.7.2016 – 2 U 504/15). Ins- nie ausdrücklich auch den Gesundheitsschutz des Men- besondere könne eine solche Beschaffenheitsvereinbarung schen bezwecken. Bei Verstößen gegen die normierten auch nicht durch einen Hinweis, dass geringste unvermeid- Stoffbeschränkungen sei die in § 3a Gesetz gegen den un- bare Verunreinigungen vorhanden sein können, ausge- lauteren Wettbewerb (UWG) normierte Spürbarkeits- schlossen werden. Ob der Kunde im Rahmen der ihm nach schwelle überdies regelmäßig überschritten. Diese Feststel- § 377 Abs. 1 Handelsgesetzbuch (HGB) obliegenden Unter- lungen des BGH erfolgten dabei im Rahmen der Klage ei- suchungspflicht im Übrigen dazu angehalten sei, eigene nes auf der Grundlage des UKlaG legitimierten Umwelt- chemische Untersuchungen der Ware durchzuführen, ist vereins gegen eine Herstellerin und Vertreiberin von Ener- nach Ansicht des OLG Koblenz im Übrigen maßgeblich von giesparlampen, in denen der in der RoHS-Richtlinie bzw. dem zu erwartenden Kostenaufwand abhängig, wie er sich der ElektroStoffV zulässige Grenzwert von Quecksilber in aus ex-ante Sicht darstellt. Für eine anzunehmende Unzu- zwei überprüften Exemplaren überschritten wurde. mutbarkeit besonderer Untersuchungen ist insbesondere auch auf den Warenwert selbst abzustellen. Der Entschei- Praxisurteil: dung lag dabei eine Klage gerichtet auf Schadenersatz auf- In der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung des BGH grund einer Grenzwertüberschreitung des Weichmachers wurde überdies beschlossen, dass eine Verurteilung auf DEHP in von der Beklagten gelieferten Folien zugrunde. der Grundlage von § 8 UWG, den Vertrieb wettbewerbs- Hinsichtlich dieses Weichmachers hatte die Beklagte im widriger Produkte zu unterlassen, auch den Rückruf bzw. Rahmen ihrer Informationspflicht auf der Grundlage von die Rücknahme der wettbewerbswidrigen Produkte be- Art. 33 der REACH-Verordnung erklärt, dass die Folien kein inhaltet (vgl. BGH, Beschluss vom 29.9.2016 – I ZB 34/15). DEHP enthalten, geringste Verunreinigungen gleichwohl Nach Ansicht des BGH ist eine Auslegung des Unterlas- nicht ausgeschlossen werden könnten. sungsanspruchs dahingehend geboten, dass davon auch mögliche und zumutbare Handlungen zur Beseitigung des Gesetzliche Ansprüche gerichtet auf Schadenersatz bei ei- Störungszustands erfasst sind. Dies soll immer dann gel- nem Verstoß gegen stoffliche Vorgaben sind überdies auf ten, wenn allein durch die Vornahme von Handlungen der Grundlage von § 823 Abs. 1 BGB und nach § 1 Abs. 1 Pro- dem Unterlassungsgebot nachgekommen werden kann. dukthaftungsgesetz (ProdHaftG) möglich. Ein Anspruch auf Dies sei prinzipiell der Fall, wenn die Nichtbeseitigung der Grundlage von § 823 Abs. 1 BGB setzt dabei voraus, dass des Verletzungszustands gleichbedeutend mit der Fort- eines der dort genannten Rechtsgüter (Leben, Körper, Ge- setzung der Verletzungshandlung ist. Eine Rückrufver- sundheit, Freiheit, Eigentum oder ein sonstiges Recht) vor- pflichtung gelte indes nicht im einstweiligen Rechts- sätzlich oder fahrlässig verletzt worden ist. Zu beachten ist schutz, da anderenfalls die Hauptsache in unzulässiger dabei indes, dass ein primärer „reiner Vermögensschaden“ Weise vorweggenommen würde. Der Entscheidung des über § 823 Abs. 1 BGB nicht ersatzfähig ist.9 Eine Haftung BGH vorangegangen war die Verurteilung einer Herstel- unmittelbar nach ProdHaftG kommt überdies nur für Per- lerin sog. „Rescue Tropfen“, es zu unterlassen, Produkte sonen- (Körper oder Gesundheit) und Sachschäden in Be- unter dieser Bezeichnung zu vertreiben. Bereits vor der tracht (vgl. § 1 Abs. 1 ProdHaftG). Verurteilung ausgelieferte Produkte waren im Handel noch erhältlich gewesen. In der Literatur ist dieser Be- schluss des BGH hingegen zum Teil stark kritisiert wor- 3. Wettbewerbsrechtliche Relevanz den, vgl. dazu etwa Bornkamm, in: Köhler/Born- kamm/Feddersen, UWG, Kommentar, 37. Aufl. 2019, Nicht zu unterschätzen ist überdies die wettbewerbsrechtli- Rn. 1.77 f. che Relevanz eines Verstoßes gegen die Einhaltung stoffli- cher Anforderungen. Eine Missachtung stoffrechtlich rele- vanter Vorgaben eröffnet Mitbewerbern sowie eines auf der IV. Maßnahmen und Empfehlungen zur Grundlage des Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) beson- Einhaltung stofflicher Vorgaben ders befugten Adressatenkreises prinzipiell die Möglichkeit, gegen den jeweiligen Mitbewerber vorzugehen. Um dem Vorwurf der Fahrlässigkeit etwa im Rahmen eines bei der Nichteinhaltung stofflicher Anforderungen eingelei- Praxisurteil: In seinem Urteil vom 21.9.2016 – I ZR 234/15 hat der BGH in diesem Zusammenhang etwa festgestellt, dass es sich 9 Vgl. etwa BGH, Urteil vom 9.12.2014 – VI ZR 155/14, juris Rn. 15.
StoffR 3 2020 Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung materialrelevanter Anforderungen 131 teten Ordnungswidrigkeitenverfahrens wirksam begegnen Die Bestimmung, welche Informationen überhaupt benö- zu können, haben die betroffenen Wirtschaftsakteure nach- tigt werden, ist dabei ganz maßgeblich von der Wahrschein- zuweisen, dass sie alles ihrerseits Erforderliche unternom- lichkeit abhängig, dass Stoffe, für die Verbote und Beschrän- men haben, den eigenen Sorgfaltspflichten zu genügen. Für kungen normiert sind, überhaupt in den bezogenen Produk- die dazu notwendigen Maßnahmen wurde mit der DIN EN ten enthalten sind und wie vertrauenswürdig der jeweilige IEC 63000 eine Norm geschaffen, in der konkrete Vorge- Lieferant in diesem Zusammenhang ist. Eine Erhebung der hensweisen mit Bezug zur technischen Dokumentation be- Informationen kann auf der Grundlage entsprechender Er- schrieben werden. Diese können sowohl für die Sicherstel- klärungen oder Vereinbarungen mit dem Lieferanten, von lung stofflicher Vorgaben der RoHS-Richtlinie bzw. der Materialdeklarationen oder aber von Ergebnissen spezifi- ElektroStoffV als auch für die Sicherstellung der in sonsti- scher Untersuchungen und Analysen erfolgen. Für die an- gen Regelwerken enthaltenen stoffrechtlichen Vorgaben an- schließende Beurteilung der Qualität und der Vertrauens- gewandt werden. Mittlerweile findet man die Inhalte der würdigkeit dieser Unterlagen ist ein besonderes Verfahren Norm in diesem Zusammenhang auch in entsprechenden festzulegen. In regelmäßigen Abständen ist schließlich si- Empfehlungen des REACH-Helpdesks10 sowie einzelner cherzustellen, dass die jeweiligen Unterlagen noch gültig Wirtschafts- und Fachverbände. Für das verschuldensunab- sind und den aktuellen Stand der jeweiligen Produkte be- hängige Gefahrenabwehrrecht sowie für das Mängelge- rücksichtigen. währleistungsrecht gilt dies hingegen nicht. Behördliche Maßnahmen und Ansprüche des Vertragspartners bei der Nichteinhaltung stofflicher Vorgaben sind hier immer mög- V. Fazit lich, ohne dass es darauf ankommt, ob dem Wirtschaftsak- teur diesbezüglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht wer- Ein Verstoß gegen gesetzlich und/oder vertraglich festgeleg- den kann oder nicht. te Material-Compliance-Anforderungen kann für den dies- Um den Nachweis der eingehaltenen Sorgfalt wirksam bezüglich Verpflichteten mit ernsthaften Konsequenzen führen zu können, werden in der DIN EN IEC 63000 vier verbunden sein. Für den Bereich des öffentlichen Rechts Aufgaben beschrieben, die der jeweilige Hersteller auszu- sind hier zunächst eine Vielzahl verschuldensunabhängiger führen hat. Dazu zählen: Gefahrenabwehrmaßnahmen (etwa Vertriebsverbote und (1) eine „Bestimmung der benötigten Informationen“ Produktrücknahmen) denkbar. Ist dem jeweiligen Wirt- durch den Hersteller, schaftsakteur überdies ein besonderes Verschulden vorzu- (2) die „Erhebung der Informationen“, werfen, sind weiterhin noch Maßnahmen auf der Grundla- (3) eine „Beurteilung der Informationen bezüglich ihrer ge des Ordnungswidrigkeitenrechts zu besorgen. Zivilrecht- Qualität und Vertrauenswürdigkeit und die Entschei- lich gesehen begründen Verstöße gegen Material-Complian- dung, ob sie in die technischen Unterlagen aufgenom- ce-Vorgaben im Rahmen vertraglicher Beziehungen regel- men werden“ und mäßig Mängelgewährleistungsrechte und vermögen für be- (4) die „Sicherstellung, dass die technische Dokumentati- stimmte Schäden auch noch gesetzliche Ansprüche u. a. auf on gültig bleibt“. der Grundlage des ProdHaftG zu eröffnen. Zumindest um dem Vorwurf der Fahrlässigkeit für verschuldensabhängige Maßnahmen und Ansprüche wirksam begegnen zu können, lassen sich der DIN EN IEC 63000 konkrete Vorgehenswei- 10 REACH-CLP-Biozid-Helpdesk: Nationale Auskunftsstelle des Bundes für REACH, CLP und Biozide, abrufbar im Internet unter www.reach- sen entnehmen, um den Nachweis der Einhaltung eigener clp-biozid-helpdesk.de/de/Startseite.html (letzter Zugriff 11.8.2020). Sorgfaltspflichten wirksam führen zu können.
Sie können auch lesen