Medizin auf neuen Wegen - FOKUS
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FOKUS Medizin auf neuen Wegen 20 DIGITALE DIAGNOSEN „Physiologie ist der Gipfel könnten helfen, Medikamente auf die wandlungsfähigen HI- der gesamten Naturwissen- Viren abzustimmen und damit die Therapie von Aids zu optimieren. schaft und ihr dunkelstes Ge- biet“, so Arthur Schopenhauer 28 KANZEROGENE SUBSTANZEN 1852 über das Kernfach der Medizin. Weniger als der pes- lassen sich mit einem neuen, hoch empfindlichen Test- simistische Anklang über- verfahren aufspüren und machen Tierversuche weithin überflüssig. rascht, dass der Philosoph die Physiologie und somit die Medizin zu den Naturwissen- schaften zählte. Denn dass der menschliche Organismus 32 EDLE GASE liefern detaillierte als Teil der Natur auch deren Regeln unterliegt und somit Bilder der Lunge und damit naturwissenschaftlich zu Einblick in dieses bislang nur unscharf fassbare Organ. durchschauen ist, war damals noch keineswegs allgemein anerkannt. Dass 150 Jahre später sogar Methoden der Kosmologie und der Quanten- 38 KOSMISCHE STRUKTUREN finden physik medizinisch zum Tragen kommen, steht auf sich verkleinert in der Architektur einem anderen Blatt – und in von Knochen wieder und ermöglichen die frühe Diagnose von Osteoporose. den folgenden Beiträgen. 3/2005 M A X P L A N C K F O R S C H U N G 19
FOKUS MEDIZIN auf neuen Wegen Aids-Therapie aus dem Computer Was haben Aids und Informatik miteinander zu tun? Sehr viel. Und das liegt an der Wandlungsfähigkeit der HI-Viren. Denn soll eine Therapie greifen, müssen die Patienten die Medikamente erhalten, die auch anschlagen. So haben Wissenschaftler aus der Arbeitsgruppe von THOMAS LENGAUER, Direktor am MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR INFORMATIK in Saarbrücken, ein digitales Diagnosewerkzeug entwickelt, das Resistenzen vorhersagt und dem Arzt bei der Wahl der wirksamen Mittel hilft. T homas Fenkl ist seit 24 Jahren positiv. 1981 hat er sich mit dem HI-Virus infiziert – zu einer Zeit, als FOTO: JACQUES WENGER noch kaum jemand das Wort Aids kannte. Er sagt, dass es ihm gut ge- he, er fühle sich fitter als manches Mal in den vergangenen Jahren. Fenkl ist Geschäftsführer der Bremer Tobias Sing, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Saarbrücker Max-Planck-Institut, ist Bioinformatiker. Aidshilfe und lacht, wenn er betont, Er arbeitet nicht nur mit dem Computer, sondern jongliert auch mit bunten Modellen von Medikamenten. dass er von allen Kollegen die we- nigsten Fehltage hat. Vielleicht ist er verschiedener Präparate, die an un- ne „Traumtherapie“, die ihm statt der auch einfach nur ein starker, positi- terschiedlichen Stellen den Vermeh- befürchteten Beschwerden gute ver Mensch. rungszyklus der Viren unterbrechen. Träume – Lachträume – bescherte. Seit 1996 nimmt Thomas Fenkl Thomas Fenkl hat schon viele Wirk- Doch auch die versagte irgendwann. Medikamente, um die Viren in sei- stoffe ausprobiert, denn schon öfter Jede neue Kombination kann wieder nem Körper in Schach zu halten. Er musste er die Medikamente wech- andere, starke Nebenwirkungen mit kennt die heftigen Nebenwirkungen seln, da die Viren in seinem Körper sich bringen. „Und dann ist da die der Präparate: Durchfälle, die erst Resistenzen gebildet hatten. „Es ist Sorge, dass mit jeder neuen Resis- Wochen später, wenn sich der Körper jedes Mal ein dummes Gefühl, wenn tenz die Optionen weniger werden.“ einigermaßen an den Wirkstoff ge- die Blutuntersuchungen ergeben, Austherapiert heißt es, wenn nichts wöhnt hat, allmählich besser werden. dass die Viruslast steigt“, sagt der mehr geht. „Das ist ein latentes To- Oder die Lipodystrophie: Arme und 44-Jährige. Die Medikamente schla- desurteil. Dann ist der Drops ge- Beine werden dünn, weil das Fett gen nicht mehr an, eine alternative lutscht“, sagt Fenkl. unter der Haut verschwindet und Kombination muss her. „Eine solche Im Jahr 1987 kam das erste Medi- FOTO: SPL - AGENTUR FOCUS sich stattdessen an Bauch, Brust und Botschaft macht traurig, vor allem, kament gegen HIV auf den Markt. im Nacken ablagert. wenn sich die Nebenwirkungen in 1996 wurde die Kombinationsthera- Gut 20 Medikamente sind inzwi- Grenzen hielten und man mit der pie eingeführt – die so genannte schen auf dem Markt. Fast immer Therapie ganz zufrieden war.“ HAART (Highly Active Antiretroviral verschreiben Ärzte eine Kombination Thomas Fenkl erinnert sich an sei- Therapy), bei der mehrere Präparate 20 M A X P L A N C K F O R S C H U N G 3/2005 3/2005 M A X P L A N C K F O R S C H U N G 21
FOKUS MEDIZIN auf neuen Wegen teninformation entsprechend zuord- Wirkstoff nötig ist, um das Wachstum 90 HI-VIRUS WO MEDIKAMENTE ANGREIFEN nen.“ Doch wie bringt man einem des Virus zu drosseln. Im Vergleich Die Vermehrung der Viren beginnt mit dem Verschmelzen von Virus und Zelle. Das Virus dockt Computer bei, die Krankheit zu ver- mit einem bekannten Viren-Refe- Hüllprotein zunächst an den Hauptrezeptor der T4-Helferzelle (weißes Blutkörperchen) an, dann an einen Kore- V L F M stehen? Indem man ihn zunächst mit renzstamm zeigt sich dann, wie viel zeptor: Die Fusion beginnt (1). Derzeit werden Medikamente getestet, welche die Korezeptoren oder genotypischen und phänotypischen mehr Wirkstoff man braucht, um die s 48 r r or die Hüllproteine blockieren. Mit der Fusion gelangt die RNA des Virus in die Zelle; sie muss zunächst 1 2,1 175,5 (22,3) pt Daten füttert. Die gewinnen Virolo- Vermehrung der resistenten Mutante e up or in DNA rückübersetzt werden (2). Diese Aufgabe übernimmt die Reverse Transkriptase des Virus, die ez gen aus dem Blut HIV-Infizierter. lahm zu legen. Auf diese Weise ergibt R G V Ha ept tr durch herkömmliche Medikamente gehemmt wird. Die Virusvermehrung setzt sich mit der Verschmel- zung von Viren- und Wirtszell-DNA fort. Dann beginnt die Produktion von Virusprotei- Bei der genotypischen Information sich ein Maß für die Stärke der Resis- s 54 r z re nen. Die neu gebauten Viren knospen von der Zelle ab, indem sie sich mit Stücken Ko handelt es sich um eine Analyse des tenz: der Resistenz-Faktor (RF). 1 6,8 der Zellmembran umhüllen (3). In den noch unreifen Viren hängen mehrere Proteine zusammen. Sie müssen zunächst von molekularen Scheren (Pro- genetischen Codes der Viren. Be- I V L FLEISSARBEIT MIT teasen) zerschnitten werden; erst danach sind sie voll funktionsfähig. kanntlich bestimmt die Abfolge der 84 72 r AMINOSÄUREN Hier setzen die Protease-Inhibitoren an: Sie blockieren den aktiven DNA-Bausteine, die Nukleinsäurese- 3 Bereich der Proteasen und unterbinden deren Funktion. quenz, in welcher Reihenfolge sich Die Saarbrücker führten beide Da- I V R T V I Aminosäuren zu Eiweißen (Proteinen) tensätze zusammen – zum einen die s r s s s r zusammensetzen. Mutationen in der aus der Nukleinsäuresequenz abgelei- DNA 237,5 (24) 3,7 (1) 1,1 (0,1) 2,3 (0,3) 1,1 (0,1) 19,8 (5,1) Blut des Patienten mit hoher Wahr- Nukleinsäuresequenz können einen tete Aminosäuresequenz und zum an- ILLUSTRATION: ROHRER RNA Decision Trees erleichtern die Wahl des Medika- scheinlichkeit resistent sind – und Austausch von Aminosäuren im Pro- dere den dazugehörigen RF-Wert von welche Medikamente möglicherwei- tein bewirken. Mit Sequenziermaschi- rund 900 Arevir-Patienten für insge- ments: Sitzt etwa im Virenerbgut an Position 90 die Aminosäure Valin (V), lässt sich das Virus mit dem se noch anschlagen. Inzwischen nen, wie sie etwa die Kölner Experten samt 17 verschiedene Medikamente. entsprechenden Medikament bekämpfen. Sitzt Leucin (L) können die digitalen Diagnosewerk- betreiben, lässt sich die Abfolge der Mit diesen Trainingsdaten speisten sie an Position 90 und Valin an Position 48, ist das Virus ZELLE zeuge sogar abschätzen, wie schnell Nukleinsäuren und damit der Ami- dann eine Support-Vektor-Maschine resistent. Die Zahlen geben an, bei wie vielen Patienten- sich bei der einen oder anderen nosäurebausteine bestimmen – und (SVM) – ein modernes statistisches proben die entsprechende Kombination vorlag. HAART-Kombination bei verschie- folglich auch, welche Mutationen Lernverfahren. „Der Trick besteht denen Patienten bestimmte Mutatio- vorliegen. zunächst darin, die Aminosäurese- den Resistenzfaktor ein; also den nen durchsetzen werden. Bevor Ärzte eine neue HAART be- quenz in Nullen und Einsen zu über- Hinweis darauf, wie stark das Virus Bereits seit vier Jahren brummt ginnen, wird bereits seit längerer Zeit setzen, mit denen der Rechner etwas gegen das Medikament resistent ist. auf den Servern in dem weißen genotypisch genau bestimmt, welche anfangen kann“, erklärt Sing – eine Alle Werte zusammen ergeben, so Hochhaus am Rande der saarländi- Virenvarianten der Patient in sich Fleißarbeit. Die Forscher brachten ih- sagt Sing, „einen hochdimensionalen schen Hauptstadt eine Rechenma- trägt. Zwar gibt es einen HIV-Wild- rem Computer zunächst bei, jeder Vektorraum“. Und der wird vom unterschiedlicher Wirkstoff- kungslos werden, die der Pati- schine. Sie hilft Medizinern bei der typ – die klassische Variante –, der in einzelnen Aminosäure einer Sequenz SVM-Algorithmus so lange bearbei- klassen gleichzeitig gegeben wer- ent noch nie eingenommen hat. Die Wahl der geeigneten Therapie. Ge- vielen Fällen nach wie Werte zuzuordnen. Eine tet, bis sich die Werte auf beinahe den. Die Euphorie der Mediziner war Ärzte müssen Medikamente also mit no2Pheno heißt der mathematische vor den größten Teil der Wildtyp 1 für die Aminosäure, magische Weise voneinander tren- groß. Doch im Schatten des Erfolgs Bedacht zusammenstellen, um nicht „Assistenzarzt“. Unter der Adresse Virenlast im Körper aus- die dort codiert ist, und nen. Die Support-Vektor-Maschine bildeten sich immer wieder neue Re- den Weg für spätere Alternativthera- www.geno2pheno.org können Medi- macht. Hinzu kommen eine 0 für all jene Ami- findet eine Hyperebene, welche die sistenzen. Neue Wirkstoffe und pien zu verbauen. ziner aus der ganzen Welt darauf zu- aber verschiedene Vi- nosäuren, die dort eben resistenten von den nichtresistenten Kombinationen sind deshalb nötig, greifen. Entstanden ist das Regel- renmutanten in unter- 0,46 nicht codiert sind. Da Werten teilt – und zwar so, dass sie DIGITALE WERKZEUGE um die Viren in Schach zu halten. werk in Zusammenarbeit mit Virolo- schiedlichen Anteilen. es insgesamt 20 Ami- so weit wie möglich voneinander ZUR DIAGNOSE Noch komplizierter wird die Situati- gen der Universität Köln und des Mit der Sequenzierung nosäuren gibt, wurden entfernt und sauber getrennt sind. on dadurch, dass sich Menschen zu- Den Medizinern helfen seit geraumer Deutschen Referenzzentrums für lässt sich relativ zuver- 70 R so im Handumdrehen Geno2Pheno ist inzwischen ein nehmend mit mutierten Virenstäm- Zeit Forscher, die auf den ersten Retroviren in Erlangen. Während die lässig bestimmen, wel- jeder Aminosäure 20 etabliertes Hilfsmittel für viele Ärzte. 0,46 0,43 men infizieren, die bereits gegen be- Blick mit der Virologie und den bio- Saarbrücker für die Programmierung che Virenstämme vor- Werte – eine 1 und 19 Seit seiner Einführung im Jahr 2001 stimmte Medikamente resistent sind. logischen Vorgängen im Körper des der Software zuständig waren, liefer- liegen. Nullen – zugeordnet. wurde das Programm mehr als Für das Rheinland wurde ermittelt, Menschen so gar nichts gemein ha- ten die Kölner und Erlanger anony- Bei der phänotypi- 215 F,Y 219 E,Q Darüber hinaus fügte 35000-mal genutzt. Ärzte müssen le- dass es sich mittlerweile bei 15 Pro- ben – Mathematiker vom Max- misierte Patientendaten aus der schen Untersuchung hin- der Computer für jede diglich die Nukleinsäuresequenz zent der Neuinfektionen um zumin- Planck-Institut für Informatik in Arevir-Datenbank, die mit Unterstüt- gegen betrachtet man 0,63 0,63 Sequenz, die immerhin (Nukleotidsequenz) des Virenerbguts dest teilresistente Erreger handelt. Die Saarbrücken. Seit Ende der 1990er- zung der Deutschen Forschungsge- im Experiment, wie sich zwischen 90 und 250 eines Patienten via Internet in das wachsende Zahl der Medikamente Jahre befassen sich die Wissen- meinschaft entstanden ist. Damit die genetische Infor- 41 L 67 N Aminosäuren lang ist, Programm eingeben und erhalten und die Verbreitung resistenter Viren schaftler mit der Anpassungsfähig- wurden die Computer gefüttert. mation des Virus auf anschließend für die verschiedenen erschwert den Medizinern die Wahl keit der HI-Viren. Im Blick haben „Wir benutzen Methoden des sta- seine entscheidende Ei- Mutagenic Trees zeigen die zeitliche Medikamente eine Angabe, ob Resis- 0,42 der richtigen Kombinationstherapie. sie jene Mutationen im genetischen tistischen Lernens, um die Daten genschaft, die Resistenz Abfolge von Mutationen im Virenerbgut. tenzen vorliegen. Gibt es im Blut des Insbesondere, weil Viren häufig nicht Code der Viren, die zur Resistenz der auszuwerten“, sagt Tobias Sing, wis- (den Phänotyp) aus- Eine Mutation an Position 70 etwa ge- Patienten verschiedene Viren, die an nur gegen das gerade verabreichte Erreger führen. senschaftlicher Mitarbeiter am Max- wirkt. Ein Laborant 210 W schieht stets vor Mutationen an den Posi- den gleichen Stellen unterschiedliche ILLUSTRATIONEN: ROHRER tionen 215 oder 219. Die Großbuchstaben Medikament unempfindlich werden, Mithilfe mathematischer Verfah- Planck-Institut, „der Computer wird mischt dazu im Reagenzglas die aus Aminosäuren tragen, werden diese stehen für „falsche“ Aminosäuren, die in sondern mitunter auch gegen andere ren bringen die Experten ihren Com- zunächst mit einem großen Datensatz dem Blut gewonnenen Viren des die Virenproteine eingebaut werden. Die entsprechend ihrem Anteil im Körper Präparate. Diese Kreuzresistenz führt putern bei vorherzusagen, gegen trainiert und kann anschließend bei Patienten mit einem HIV-Medika- Zahlen auf den Pfeilen zeigen die Wahr- berücksichtigt. Statt mit einer 1 er- dazu, dass auch jene Substanzen wir- welche Medikamente die Viren im einer Abfrage die individuelle Patien- ment. So bestimmt man, wie viel scheinlichkeiten für die Mutationen an. fasst sie die Support-Vektor-Maschi- 22 M A X P L A N C K F O R S C H U N G 3/2005 3/2005 M A X P L A N C K F O R S C H U N G 23
FOKUS MEDIZIN auf neuen Wegen FOTO: MPI FÜR INFORMATIK ne mit 0,5 oder 0,3. Dann gleicht der dass die Viren suszeptibel (nicht re- fahren ähnelt einem inzwischen bei- so: „Befindet sich an Position 90 die mente zu denken“, sagt Thomas Computer die neue Sequenz mit den sistent) und damit empfänglich für nahe klassischen Hilfsmittel, das Me- Aminosäure Valin, ist das Virus nicht Fenkl. „Etwa einmal im Monat geht Trainingsdaten ab und ordnet sie die Arznei sind. Gelb liegt dazwi- diziner für die Wahl der richtigen gegen das Medikament Saquinavir mir eine Dosis durch die Lappen. entsprechend in den Zahlenraum ein. schen. Kurz: Aus den genetischen Wirkstoffe nutzen: Jedes Jahr gibt ei- resistent. Befindet sich an Position Das sehe ich dann oft erst abends, Da der Rechner über Daten zu 17 Daten eines Patienten ermittelt der ne Kommission von zwölf Experten 90 die Aminosäure Valin und an Po- wenn ich auf meine Tablettenbox Medikamenten verfügt, kann er dem Computer den Phänotyp – die Resis- der International Aids Society (IAS) sition 48 ebenfalls die Aminosäure schaue.“ Fenkl sagt, dass die regel- Arzt schließlich mitteilen, gegen tenz: „geno to pheno“. eine Art Karte mit den wichtigsten Valin, dann ist das Virus resistent.“ mäßige Einnahme entscheidend ist, welche Medikamente die Virenstäm- Der große Vorteil des mathemati- Mutationen heraus. Auf ihr sind die Je mehr Stationen der Decision um die Viruslast klein zu halten. me resistent sind oder eben nicht. schen Verfahrens besteht darin, dass Sequenzen der Viren aufgetragen und Tree hat, desto komplexer wird das Auch Durchfall kann dazu führen, Mehr noch: Da das Programm mit es sekundenschnell und kostenlos die Mutationen, die mit bestimmten Beziehungsgeflecht. Desto deutlicher dass die Wirkstoffkombination im Resistenzfaktoren trainiert wurde, ist. Die experimentelle Bestimmung Medikamenten verknüpft sind – etwa wird auch, wie schwer es ist, die Körper sinkt und die Erreger trotz bestimmt der Geno2Pheno-Algorith- des Resistenzfaktors (Phänotypisie- eine Mutation an Aminosäure Num- Zusammenhänge allein mit Men- pünktlicher Einnahme die Oberhand mus gar, wie stark die Resistenz vo- rung) hingegen dauert teilweise eini- mer 41, die statt für Methionin für schenverstand entwirren zu wollen. gewinnen. Fenkl hat sich dadurch raussichtlich ist. Das Maß der Resis- ge Wochen und schlägt mit mehre- Lysin codiert. Die tritt beispielsweise In Geno2Pheno setzen sich die SVM bereits Resistenzen eingefangen. tenz wird auf dem Bildschirm dann ren hundert Euro zu Buche. häufig bei der Einnahme der Medika- und der Decision-Tree-Algorithmus Der Anstoß zur Entwicklung der mit einem Wert zwischen 0 und 1 an- Zur Absicherung der SVM-Ergeb- mente Zidovudine und Stavudine auf. gleichzeitig in Bewegung, wenn man Geno2Pheno-Software kam Ende gegeben. Zudem erscheinen die ver- nisse ist die Software noch mit einem eine Sequenz eintippt. Die Ergebnis- der 1990-er Jahre von den Forschern COMPUTER ERARBEITET schiedenen Medikamente in Rot, zweiten statistischen Lernverfahren se zeigt der Computer dann in einer der Universität Köln. „Wir hatten ENTSCHEIDUNGSBAUM Gelb oder Grün. Rot bedeutet, dass ausgerüstet – den Decision Trees gemeinsamen Tabelle an. erkannt, dass mit Einführung der eine Resistenz vorliegt. Grün zeigt, (Entscheidungsbäumen). Dieses Ver- Allerdings ist es angesichts der Fülle „Inzwischen verschreiben wir kei- Kombinationstherapie der Bedarf für von Medikamenten und Mutationen ne neue HAART-Kombination mehr, ein Werkzeug gewachsen war, das Der Weg zur optimalen Therapie: Mit den oberen Buttons wählt der Arzt die Menge der verab- schwer, aus diesen Tabellen die ge- ohne uns mit Geno2Pheno abzusi- Hilfestellung bei der Medikamenten- reichten Pillen und seine bevorzugten Medikamente. Die Software empfiehlt dann die Kombination eigneten Arzneien für eine neue chern“, sagt Tillmann Schumacher, wahl gibt“, erinnert sich Rolf Kaiser, von Medikamenten, die den besten Therapieerfolg versprechen (mittleres Feld und Diagramm). Therapie abzuleiten. Das Decision- der seit 20 Jahren HIV-Positive be- Virologe an der Kölner Uni. Die For- Tree-Verfahren automatisiert diesen treut. In den frühen 1990er-Jahren, scher nahmen Kontakt zu den Bioin- Number of Entscheidungsprozess. Wie bei der erinnert sich der Oberarzt der Inneren formatikern Niko Beerenwinkel und Length
FOKUS MEDIZIN auf neuen Wegen quenzen angelernt wurde und der Jede Sequenz wird im Zahlenraum wiederum in einer Support-Vektor- in den Geno2Pheno-Webservice ein- Mutationen mit dem so genannten FOTO: SPL - AGENTUR FOCUS Information, ob der Patient R5- oder also als ein Muster von Mutationen Maschine. Eingegeben wurde, welche gebaut – als Combination-Therapy- Genetischen Background der Viren, die CXCR4-spezifischen X4-Viren beschrieben. Wiederum setzt der Medikamente die Patienten einge- Optimization-Funktion. aber auch des Menschen verknüpft besitzt. Speist man die SVM mit der Computer Sequenzen und Mutatio- nommen und nicht eingenommen „Es ist verblüffend, wie gut die ist. So gibt es zum einen Anzeichen Sequenz eines Patienten, ermittelt nen zueinander in Beziehung, ver- hatten, sowie die 17 Genetischen Bar- Ergebnisse aus Geno2Pheno mit un- dafür, dass eine ganze Reihe bislang der Computer innerhalb von Sekun- gleicht jedes mit jedem. Auf diese rieren für jedes Medikament. Zudem seren Einschätzungen übereinstim- wenig beachteter Mutationen im den, welcher Korezeptor bevorzugt Weise ergibt sich eine logische Rei- erfassten die Forscher, ob die Therapie men“, sagt der Kölner Mediziner Virenerbgut die Entwicklung von ist. Bislang sind dafür zeitraubende henfolge getreu dem Modell „Wenn nach einer bestimmten Zeit erfolg- Tillman Schumacher. Er ist deshalb Resistenzen mit beeinflussen. Die und vor allem kostspielige Laborana- Mutation B nie ohne Mutation A reich war oder nicht. „Gibt man jetzt davon überzeugt, dass die Programme Wissenschaftler konnten mit ihren lysen nötig. vorkommt, muss Mutation B nach in die Maschine die Virensequenz ei- aus Saarbrücken die Realität treffend Berechnungen zeigen, dass manche Virologen wissen seit Langem, A eintreten.“ Das Ergebnis ist ein nes Patienten ein, probiert unser Al- abbilden. „Derartige Rückmeldungen bislang unbeachtete Mutationen auf- dass bei HIV-Patienten in manchen Baumdiagramm, das für jedes Medi- gorithmus verschiedene Therapiekom- sind eine Bestätigung, dass wir hier fallend häufig mit altbekannten Mu- Die komplex gebaute Reverse Transkriptase ist Teil der viralen Vermehrungsmaschine: Sie übersetzt Fällen die X4-Viren die Oberhand kament Wahrscheinlichkeiten angibt, binationen aus“, erläutert Sing. „Dank gute Arbeit leisten“, sagt Tobias Sing. tationen neu einhergehen. die Virus-RNA in die DNA-Schrift der Wirtszelle. gewinnen. Häufig ist eine X4-Zu- welche Mutation nach der anderen der Genetischen Barrieren verfügt er „Schließlich haben wir es ja stets nur Zum Zweiten liegt auf der Hand, nahme mit einem Anwachsen der folgen wird. über Wissen zur Evolution des Virus mit Modellen zu tun.“ Und mit einem dass jeder Mensch anders auf die Virenzahl verbunden. Der Zustand und kann damit gewissermaßen in die Augenzwinkern fügt er hinzu: „Und Viren reagiert. Wie die individuellen ERFOLG AN DER des Patienten verschlechtert sich. Mit Zukunft blicken.“ jedes Modell hat seine Schwächen.“ Unterschiede im menschlichen Erb- GENETISCHEN BARRIERE der Geno2Pheno(coreceptor)-Funkti- Der Computer schlägt anschlie- Derzeit arbeiten Sing und seine gut und somit im Stoffwechsel die on wird sich zukünftig während der Das Spiel ließ sich noch weiter trei- ßend jene Kombination vor, die mit Kollegen daran, mit den mathemati- Entstehung von Resistenzen beein- Behandlung mit den neuen Korezep- ben. Schließlich kann man, folgt man größter Wahrscheinlichkeit zum Er- schen Modellen auf ein bislang we- flussen, ist nach wie vor unklar. Die tor-Wirkstoffen leicht kontrollieren dem Baum von oben nach unten, für folg führt. Auch diese auf Geneti- nig bearbeitetes Feld der HIV-For- Forscher aus Saarbrücken wollen FOTO: MPI FÜR INFORMATIK lassen, ob X4-Viren überhand neh- jedes Mutationsmuster eine Gesamt- schen Barrieren basierenden Vorher- schung vorzustoßen: Sie wollen he- dieses Rätsel lösen – mit Rechen- men. Und somit auch, ob die CCR5- wahrscheinlichkeit ermitteln. Dank sagen haben die Forscher inzwischen rausfinden, wie die Entwicklung von kraft. TIM SCHRÖDER Blockade umgangen wird. der Datenbank wiederum ist zu jedem Mit ihrer Resistenzvorhersage ha- Muster ein Resistenzfaktor bekannt. ben die Saarbrücker zweifellos einen So lässt sich herausfinden, wie wahr- wichtigen Entscheidungsassistenten scheinlich ein Virus nach einer be- HIV-Medikamente wirken unterschiedlich. für Ärzte gefunden. Doch für die stimmten Zahl an Mutationen resis- MMCD GmbH Düsseldorf In diesem Fall blockiert ein Inhibitor (rot- weiß) den aktiven Bereich einer Protease. Betroffenen ist es beinahe noch tent ist. Mehr noch: Die Informatiker film - fotografie - multimedia wichtiger, zu erfahren, wie lange eine sind gar in der Lage, die Wahrschein- Therapie halten wird. Wann werden lichkeiten in Zeiten umzurechnen. das den CCR5-Rezeptor kodiert. Die- andere Medikamente nötig sein, die Damit konnten sie erstmals zuverläs- se Veränderung führt dazu, dass der wieder neue Nebenwirkungen mit sig für jedes Medikament bestimmen, Digitale Medienproduktion für CCR5-Korezeptor nicht funktioniert. sich bringen? Auch für diese Fragen wie schnell eine erwartete Resistenz Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung Überraschenderweise arbeitet der haben die Max-Planck-Forscher um eintreten wird. „Man nennt das die Stoffwechsel dennoch einwandfrei. Niko Beerenwinkel versucht, Lösun- Genetische Barriere – sie ist ein Maß Da die meisten Virenstämme (R5- gen zu finden. Ihr Ergebnis sind die dafür, wie schwer es für ein Virus ist, Wir realisieren für Sie Viren) den CCR5-Rezeptor nutzen, Mutagenetic Trees. „Die Fachwelt eine Resistenz zu entwickeln“, sagt Imagefilme und Filmportraits mit Schwerpunkt Wissenschaft witterten die Pharma-Entwickler ei- wusste zwar, wie viele Mutationen Sing. Mit den Mutagenetic Trees lässt Animationen zur Visualisierung komplexer Prozesse ne Chance: Blockiert man den CCR5- nötig sind, bis eine Resistenz auftritt, sie sich die Barriere nun genauer be- professionelle Wissenschaftsfotografie Rezeptor, müsste sich der Andock- aber sie kannten die Reihenfolge und stimmen. Lernsoftware und Unterrichtsmaterialien für Bildung und Lehre prozess verhindern lassen – ohne den Zeitraum bis zur Resistenz nicht Tobias Sing weiß, dass es nicht dass der Stoffwechsel der Patienten im Detail“, sagt Tobias Sing. genügt, Resistenzen für einzelne Me- Mediensoftware für Museen, Ausstellungen und Präsentationen durch das Medikament zu stark in Mit den Mutagenetic Trees lässt dikamente zu bestimmen. Die For- Mitleidenschaft gezogen wird. In- sich das abschätzen. Ihnen liegt die scher wollen begreifen, wie Medi- zwischen befinden sich die ersten Überlegung zu Grunde, dass Mu- kamente zusammenwirken, wie im Korezeptor-Medikamente in der kli- tationen so gut wie nie zeitgleich Konzert der Wirkstoffe neue Mutatio- nischen Erprobungsphase. Für eine auftreten, sondern häufig in einer nen entstehen. Die Voraussage von Therapie muss man aber zunächst charakteristischen Reihenfolge. Wie- Resistenzen für einzelne Wirkstoffe wissen, welchen Korezeptor die HI- derum nutzten die Forscher hun- ist essenziell. Aber es liegt auf der Referenzen (Auszug): Viren des Patienten nutzen. derte von Patientendaten. Diesmal Hand, dass mehrere Medikamente ge- Max-Planck-Gesellschaft, München MMCD GmbH DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bonn interactive in science Das lässt sich mit dem neuen Al- speisten sie allerdings nicht die meinsam anders auf die Viren wirken IWF Wissen und Medien, Göttingen Schadowstr. 70 Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften, Kiel gorithmus von Sing im Handumdre- Abfolge der Aminosäuren in den als die klassischen Mono-Präparate. Springer Verlag, Heidelberg 40212 Düsseldorf hen herausfinden. Wiederum kommt Rechner ein, sondern die wichtigsten Die Max-Planck-Arbeitsgruppe rühr- GeoForschungszentrum, Potsdam Tel: 0211/162268 Westermann Schulbuchverlag, Braunschweig eine Support-Vektor-Maschine zum Mutationen in den Virensequenzen te deshalb die Genetischen Barrieren FWU Inst. für Film und Bild, Grünwald Fax: 0211/162257 VDI Verein Deutscher Ingenieure, Düsseldorf www.mmcd.de Einsatz, die mit den Patienten-Se- aus der Arevir-Datenbank. für die 17 Medikamente zusammen – GeoUnion/Alfred-Wegener-Stiftung, Berlin Universum Science Center, Bremen Kontakt: Harald Frater Bundesministerium für Bildung und Forschung E-Mail: frater@mmcd.de 26 M A X P L A N C K F O R S C H U N G 3/2005
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