Mehr Autonomie für die Bundesländer: Ansatzpunkte zu einer grundlegenden Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen1
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Mehr Autonomie für die Bundesländer: Ansatzpunkte zu einer grundlegenden Reform der 32 Bund-Länder-Finanzbeziehungen Symposium 1 Das aktuelle System der deutschen 2013), dem auch die weiteren Details ent- Bund-Länder-Finanzbeziehungen leidet nommen werden können, die in der hier an einer Reihe von schwerwiegenden gebotenen Kürze nicht diskutiert werden Problemen. Diese bestehen zunächst in können. einer fehlenden Steuerautonomie der Bundesländer. Den Ländern fehlt aktuell das Instrumentarium, um in substantiel- Ziele und Ansatzpunkte einer lem Umfang zusätzliche Einnahmen zu Reform des deutschen generieren, die zur Deckung länderspezi- Finanzausgleichs fischer Finanzbedarfe notwendig wären. Solche Finanzbedarfe können sich etwa Die Ziele und die Ansatzpunkte einer Re- Lars P. Feld* aus einer regional asymmetrischen Wirt- form des Finanzausgleichs können aus- schaftsentwicklung und daraus folgenden gehend von der aktuellen Lage kurz zu- unterschiedlichen regionalpolitischen sammengefasst werden. Maßnahmen ergeben, oder auch aus ei- ner regional differenzierten Präferenz der Vereinfachung der Bund-Länder- Bürger für öffentliche Güter. Zur fehlenden Finanzbeziehungen Flexibilität gesellen sich als zweites Prob- lem Anreize zu ineffizientem politischem Die aktuellen Regelungen zum Finanzaus- Handeln, die vom aktuellen System aus- gleich sind wenig transparent und gelten gehen (vgl. ausführlich Feld und Schnel- zum Teil gar als unlesbar (vgl. Woisin lenbach 2012). 2008). Diese Komplexität ist nicht nur ein Problem für die interessierte politische Öf- Insbesondere haben die Länder derzeit Jan Schnellenbach** fentlichkeit, sondern sie macht es zuneh- aufgrund hoher marginaler Abschöp- mend auch für die Akteure selbst schwie- fungsquoten kaum einen Anreiz, ihre Wirt- riger, die fiskalischen Folgen ihres schaftskraft und damit verbunden ihre ei- politischen Handelns präzise abzuschät- genen Steuerbemessungsgrundlagen zu zen. Intransparenz kann selbst zu einem pflegen (vgl. Büttner 2006). Ebenso ist es Anreizproblem werden (vgl. Wiegard bemerkenswert, dass nach der Wieder- 2006). Eine Vereinfachung erscheint da- vereinigung noch jeweils die Hälfte der her dringend geboten. Länder Geber- und Nehmerland waren, aber im Jahr 2012 noch drei von 16 Län- Eine solche Vereinfachung könnte z.B. dern in den Finanzausgleich einzahlten. mittels einer starken Vertikalisierung der Wenn die Hansestadt Hamburg, die ge- Finanzbeziehungen erreicht werden (vgl. mäß ihrer primären Finanzkraft bei 150% des Durchschnitts der Länder liegt, zum Fuest und Thöne 2009). Der Preis dieses Nehmerland wird, so deutet dies auf eine Ansatzes bestünde aber darin, dass an fundamentale Fehlkonstruktion des Sys- der Fiktion einer bedarfsorientierten Min- tems hin. destfinanzausstattung je Einwohner fest- gehalten würde (siehe unten). Die Erfah- Ausgehend von dieser Situation schlagen rung zeigt zudem, dass eine zentral- wir hier einige Eckpunkte vor, die Teil einer staatliche Ebene durchaus zu einem Mo- umfassenden Reform des deutschen Fi- tor der weiteren politischen Zentralisie- nanzausgleichs sein könnten. Diese wur- rung werden kann, wenn sie über um- den in einem ausführlichen Gutachten er- fangreiche vertikale Transfers zu einer arbeitet (vgl. Feld, Kube und Schnellenbach wichtigen Finanzquelle der Länder wird (vgl. Döring und Schnellenbach 2011). Die 1 Der vorliegende Beitrag gibt in stark gekürzter Opposition der Geberländer gegen höhe- Form die ökonomischen Kernargumente von re Ausgleichszahlungen im horizontalen Feld, Kube und Schnellenbach (2013) wieder. * Prof. Dr. Lars P. Feld ist Inhaber des Lehrstuhls für Finanzausgleich wirkt dagegen aus polit- Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der ökonomischer Sicht als Kontrollmecha- Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Direktor des Walter-Eucken-Instituts. nismus gegen eine übermäßige Umver- ** PD Dr. Jan Schnellenbach ist Geschäftsführender teilung. Wir halten daher an einem stärker Forschungsreferent am Walter-Eucken-Institut, Freiburg und Privatdozent an der Universität Hei- horizontalen Finanzausgleich fest und delberg. schlagen eine Reihe von Vereinfachungen ifo Schnelldienst 1/2014 – 67. Jahrgang – 16. Januar 2014
Symposium 33 im Detail vor, wie etwa einen linearen Ausgleichstarif (vgl. ressourcenorientierten Finanzausgleich zu erreichen, der ähnlich Kitterer und Plachta 2008). sich am Umfang der vorhandenen Steuerbemessungs- grundlagen orientiert. Diese Ressourcenorientierung schafft Eine engere Koppelung von Wirtschaftskraft und dann auch die Möglichkeit, den Ländern zusätzliche Steu- Steueranteilen erautonomie zu gewähren. Würde man den Ausgleich wei- terhin an tatsächlichen Steuereinnahmen ausrichten, dann Überspitzt gesagt gibt die Zerlegung der Lohnsteuer nach wäre dies im Verbund mit dezentraler Steuerautonomie of- dem Wohnsitzprinzip den Ländern einen Anreiz zur Maxi- fensichtlich mit Anreizproblemen verbunden, die wir so ver- mierung ihrer Einwohnerzahl, jedoch nicht zur Maximierung meiden. ihrer Wirtschaftskraft (vgl. Kitterer 2007). Gerade die Nach- barländer der Stadtstaaten werden dadurch begünstigt, Die Finanzkraft der Gemeinden berücksichtigen wir vollstän- dass zahlreiche Pendler Einkommen dort erwirtschaften, dig, da es keinen sachlichen ökonomischen Grund für den aber im heimischen Flächenstaat versteuern. Es wäre wün- bisherigen Ansatz mit nur 64% gibt. Ebenso verzichten wir schenswert, den Ländern bereits im primären horizontalen auf die Einwohnerveredelung. Das zur Begründung für die Finanzausgleich einen klaren Anreiz zur Stärkung ihrer eige- aktuelle Praxis herangezogene Brechtsche Gesetz ist em- nen Wirtschaftskraft zu geben. pirisch nicht robust belegt (vgl. Rosenfeld 2000; Feld et al. 2007). Außerdem ist es auch fraglich, ob Länder für hohe Hierzu wäre eine Zuteilung des Lohnsteueraufkommens Kosten entschädigt werden sollten, oder ob man ihnen nicht nach dem Betriebsstättenprinzip grundsätzlich geeignet. vielmehr Anreize bieten sollte, öffentliche Leistungen kos- Diese ist aber verfassungsrechtlich problematisch. Eine je tengünstig bereitzustellen (vgl. Wiegard 2006). hälftige Aufteilung nach dem Betriebsstätten- und dem Wohnsitzprinzip ist dagegen zulässig und wird daher unse- Eine Stärkung der Steuerautonomie der Länder ren Berechnungen zugrunde gelegt. In der Verteilung des Umsatzsteueraufkommens sorgt nach derzeitigem Recht Um den Ländern die Möglichkeit zu geben, flexibel auf ab- der Vorausgleich für eine Schlechterstellung der wirtschafts- weichende Ausgabenpräferenzen ihrer Bürger und auch auf starken Länder relativ zu einem Rahmen, in welchem das den von der Schuldenbremse erzeugten Druck zu reagieren, gesamte Aufkommen der Umsatzsteuer nach der Einwoh- wäre eine Stärkung ihrer Finanzautonomie auf der Einnah- nerzahl auf die Länder verteilt wird. Hinzu kommt, dass der meseite sinnvoll. Hier steht ihnen bisher nur die relativ auf- umverteilend wirkende Vorausgleich im primären horizonta- kommensschwache Grunderwerbsteuer zur Verfügung. Es len Finanzausgleich eigentlich ein Fremdkörper ist, dessen erscheint daher unbedingt notwendig, den Ländern ein zu- Ratio vor allem in der Verschleierung der Umverteilungswir- sätzliches und hinreichend aufkommensstarkes Finanzie- kung des gesamten Ausgleichssystems zu bestehen rungsinstrument zu überlassen. Wir schlagen vor, den Län- scheint. Daher schlagen wir den Wegfall des Umsatzsteu- dern zu erlauben, autonome Zuschläge auf die Einkom- ervorausgleichs vor. men- und Körperschaftsteuer zu erheben. Eine Abkehr vom Denken in Finanzbedarfen Die Bemessungsgrundlagen bleiben bundesweit einheitlich definiert, ebenso wie die eigentlichen Steuertarife. Auf das Der Finanzausgleich ist aktuell grundsätzlich so konstruiert, so ermittelte Steueraufkommen der bei ihnen ansässigen dass eine möglichst ähnliche Finanzausstattung pro Kopf in natürlichen und juristischen Personen können die Länder allen Ländern vom Bund-Länder-Finanzausgleich ange- dann jeweils einen eigenen Zuschlag erheben oder je nach strebt wird. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, dass es politischen Präferenzen auch darauf verzichten. Diese Re- für jeden Bürger einen festen Bedarf an öffentlichen Leis- gelung wäre für die Bürger mit keinem und für die Finanz- tungen gibt, deren Finanzierung zu ermöglichen ist. Es gibt ämter nur mit einem sehr geringen zusätzlichen bürokrati- aber aus ökonomischer Sicht keinen Grund zur Annahme, schen Aufwand verbunden. Eine Voraussetzung für die dass Präferenzen für öffentliche Leistungen in allen Ländern Steuerautonomie auf Länderebene besteht allerdings darin, identisch sind. Vielmehr ist es gerade die Ratio föderaler dass zunächst einmal der bundeseinheitliche Tarif abgesenkt Systeme, finanzpolitisch auf regional unterschiedliche Prä- wird, um einen Spielraum zu schaffen, in den die Länder ferenzen reagieren zu können (vgl. Oates 1972). Das Denken dann je nach eigenen Präferenzen vorstoßen können. Wel- in fixierten Ausgabenbedarfen ist systemwidrig und führt zu che Effekte dies genau hat, werden wir im Abschnitt »Re- einem irrationalen Harmonisierungsdruck. formvorschlag im Detail und seine Auswirkungen« sehen. Anstelle eines an fiktiven Finanzbedarfen und tatsächlichen Verschiedentlich wird der Einwand laut, dass Steuerwettbe- Steuereinnahmen orientierten Länderfinanzausgleichs i.e.S. werb ruinös sei und dass die Länder erst eine ähnliche Wirt- schlagen wir daher eine Orientierung an der zugrunde lie- schaftskraft erreichen müssten, bevor sie in einen Wettbe- genden fiskalischen Leistungsfähigkeit vor. Dies ist mit einem werb miteinander treten könnten. Beide Einwände sind ifo Schnelldienst 1/2014 – 67. Jahrgang – 16. Januar 2014
34 Symposium haltlos, wie zahlreiche Beispiele wettbewerbsföderaler Staa- beiden Ebenen. Berlin würde zwar von der neuen Lohnsteu- ten auf der ganzen Welt zeigen. Ein Blick über die Grenze erzerlegung profitieren, dieser positive Effekt würde aber zu unseren Nachbarn in der Schweiz zeigt etwa, dass ein durch den Wegfall des Umsatzsteuer-Vorausgleichs deutlich Steuerwettbewerb zwischen 26 Kantonen auf engem Raum, negativ überkompensiert. also ein sehr intensiver Wettbewerb, keinesfalls ruinös ist (vgl. Feld 2009). Kantone und Gemeinden sind sehr gut in Würde man nun auf den weiteren Stufen den alten Finanz- der Lage, öffentliche Aufgaben vor allem über autonom er- ausgleich auf Grundlage der neuen Steuerverteilung wie ge- hobene Steuern zu finanzieren. Dabei sind diese 26 Kanto- wohnt fortführen, so würden alle westdeutschen Flächen- ne auch nicht durch eine ähnliche Wirtschaftsstruktur ge- länder außer NI und SL profitieren, ebenso wie die beiden kennzeichnet, sondern extrem heterogen. Tatsächlich kann Hansestädte. Besonders stark würden wiederum die wirt- finanzpolitische Autonomie gerade für relativ arme Gebiets- schaftsstarken Länder profitieren, während die schlechter körperschaften ein sinnvolles Instrument sein, um aufholen- gestellten Länder nur marginal an Finanzkraft verlören, da de Regionalpolitik zu erfolgreich zu betreiben. der Bund mit höheren Fehlbetrags-BEZ in die Bresche sprin- gen müsste. Der Reformvorschlag im Detail und seine Sekundärer horizontaler Finanzausgleich Auswirkungen Eine besonders weitreichende Neuerung im Vergleich zum Primärer vertikaler Finanzausgleich aktuellen Finanzausgleich ist unser Vorschlag, den Finanz- ausgleich künftig ressourcenorientiert durchzuführen. Dies Die vertikale Zuteilung der Gemeinschaftsteuern wird wie bedeutet, dass nicht mehr jeweils aktuelle Einnahmenströme gewohnt beibehalten, da wir unseren Reformvorschlag un- entscheidend für die Bestimmung der Höhe der Ausgleichs- ter der Prämisse erarbeitet haben, dass keine Änderungen zuweisungen und -beiträge sind, sondern die fiskalischen des Grundgesetzes erfolgen sollen. Im Hinblick auf das Ziel Ressourcen, auf die ein Bundesland grundsätzlich Zugriff der Finanzautonomie für die Länder können wir somit die hat. Der Vorteil dieses Ansatzes besteht in wesentlich ge- »große« Lösung einer Überführung der ertragreichen Steu- ringer ausgeprägten Anreizproblemen, denn ein Land wird ern ins Trennsystem nicht anstreben. Vielmehr schlagen wir jedenfalls kurzfristig kaum seine Wirtschaftskraft beeinflus- vor, den Tarif der Einkommen- und Körperschaftsteuer um sen, um seine Position im Finanzausgleich zu manipulieren. jeweils 5% über den gesamten Tarifverlauf abzusenken und Damit werden jedoch erst die Voraussetzungen für eine Stär- den Ländern ein autonomes Zuschlagsrecht auf das auf kung der Länderautonomie in der tatsächlichen Steuerer- ihrem Gebiet versteuerte Einkommen der natürlichen und hebung geschaffen: Die Position im Finanzausgleich wird juristischen Personen zu gewähren. Darüber hinaus wird die unabhängig von aktuellen Steuersätzen. Anreizkorrektur nach §7 Abs. 3 FAG abgeschafft, da sie im hier entwickelten Ausgleichssystem obsolet ist. Dreh- und Angelpunkt des Systems sind nun die lokalen Steuerbemessungsgrundlagen. Die Summe der Bemes- Primärer horizontaler Finanzausgleich sungsgrundlagen von Einkommen-, Körperschaft-, Gewer- be- sowie Erbschaft- und Schenkungsteuer bildet die in Um eine starke Wirtschaftskraftorientierung der Steuerver- einer Gebietskörperschaft in einer Periode entstandenen teilung zu erreichen, muss an der Zerlegung der Körper- Einkommen recht umfassend ab. Letztendlich werden alle schaftsteuer nichts geändert werden; sie erfolgt bereits nach weiteren wirtschaftlichen Aktivitäten wie Konsum, Ersparnis dem Betriebsstättenprinzip. Die Lohnsteuer wird nunmehr und Investitionen, die ebenfalls Anknüpfungspunkt der Be- je hälftig nach dem Betriebsstätten- und dem Wohnsitzprin- steuerung sein können, aus Einkommen finanziert. Die Sum- zip zerlegt. Dieser Kompromiss ist aus verfassungsrechtli- me der vier genannten Bemessungsgrundlagen kann daher chen Gründen notwendig. Der Länderanteil der Umsatz- ebenfalls als gutes Maß des Besteuerungspotenzials einer steuer wird schließlich vollständig nach der Einwohnerzahl Gebietskörperschaft gelten. auf die einzelnen Länder verteilt. Die Neue Finanzkraftmesszahl ergibt sich aus der Addition Die Resultate dieser Veränderungen wurden in einer Modell- der Bemessungsgrundlagen der vier zuvor genannten Steu- rechnung mit den Daten aus dem Jahr 2011 ermittelt. Auf ern. Die Neue Ausgleichsmesszahl ergibt sich, indem die dieser Ebene des Bund-Länder-Finanzausgleichs führen die bundesweit aufsummierte Finanzkraftmesszahl durch die Änderungen zunächst einmal dazu, dass die wirtschafts- Zahl der Einwohner der Bundesrepublik geteilt und mit der starken Länder besser gestellt werden. NRW, BY, BW und Zahl der Einwohner jedes einzelnen Bundeslandes multipli- HE profitieren jeweils stark durch beide Maßnahmen, wobei ziert wird. Der Finanzkraftindex als Index fiskalischer Res- NRW vor allem durch höhere Umsatzsteueranteile gewinnt. sourcen ergibt sich durch Division der Finanzkraft- durch die Auch die beiden Stadtstaaten HH und HB profitieren auf Ausgleichsmesszahl. Wie im aktuellen System sind Länder ifo Schnelldienst 1/2014 – 67. Jahrgang – 16. Januar 2014
Symposium 35 mit einem Indexwert größer als 1 Geberländer und Länder kann, je nach Wahl der Parameter, mit unterschiedlichen mit einem Indexwert kleiner als 1 Nehmerländer. Dies hat Verteilungswirkungen verbunden werden. den Effekt, dass wir nunmehr sechs Geberländer haben: NRW, BY, BW, NI, HE und HH. Die Last des Finanzaus- Der sekundäre vertikale Finanzausgleich gleichs wird breiter gestreut, was ein durchaus gewolltes und sinnvolles Resultat ist. Berechnet man nun die aufkommensneutralen Zuschlag sätze, die von den Ländern erhoben werden müssten, um Für den Ressourcenausgleich schlagen wir einen einfachen, ihr Einnahmenvolumen aus dem Status quo zu erreichen, linearen Ausgleichstarif vor. Für den Ausgleichsfaktor kann dann zeigt sich, dass dies in den meisten Bundesländern man kaum einen ökonomisch korrekten Wert angeben, er zu durchaus akzeptablen Belastungswirkungen führen wür- ist vielmehr Gegenstand politischer Verhandlungen. Dies war de. Für einzelne Bundesländer, hier sind insbesondere Ber- aber bei den Formeltarifen des aktuellen Finanzausgleichs lin, Bremen und Thüringen zu nennen, wären allerdings sehr nicht anders. In unserem Basismodell haben wir den sekun- hohe länderspezifische Zuschläge nötig, um das aktuelle dären horizontalen Finanzausgleich mit einem Ausgleichs- Niveau zu erreichen. Nun ist dies natürlich ökonomisch ge- faktor von 5% berechnet. Wenn dieser Wert niedrig er- sehen auch nicht unbedingt notwendig – diese Länder könn- scheint, so sei nochmals angemerkt, dass der Tarif im ten auch auf der Ausgabenseite sparen. Dennoch scheint Ressourcenausgleich auf die viel umfangreicheren Bemes- es sinnvoll, die Akzeptanz des Reformvorschlages dadurch sungsgrundlagen bezogen wird und daher natürlich niedri- zu erhöhen, dass temporär der Bund mit zusätzlichen ver- ger sein muss als bei einem Ausgleich tatsächlicher Einnah- tikalen Finanzausgleichszahlungen die Verlierer des System- men. Würde man einen Wert oberhalb von etwa 7% wählen, wechsels kompensiert. Dies kann für einen politisch zu de- so würden tendenziell nicht mehr die heutigen Geberländer, finierenden Übergangszeitraum geschehen. In diesem sondern die heutigen Nehmerländer profitieren. Der System- Zeitraum hätten die betroffenen Länder einen starken Anreiz, wechsel ist also nicht per se mit bestimmten Verteilungswir- durch eine aktive Struktur- und Regionalpolitik ihre eigenen kungen verbunden, sondern diese folgen aus der Wahl von Steuerbemessungsgrundlagen auszuweiten. Eine stärker Parametern, die politisch auszuhandeln sind. wachstums- und weniger konsumorientierte Politik wäre zu erwarten und sicherlich auch realisierbar. Die Reserven da- Auswirkungen der stärkeren Finanzautonomie der Länder für existieren. Es gilt einige rechtliche Beschränkungen zu beachten, um Für den Bund würde daraus temporär eine zusätzliche Be- eine Grundgesetzänderung zu vermeiden. Danach ist es lastung folgen. Der Bund würde also durch ein zeitweilig zwar problemlos möglich, einfachgesetzlich den Ländern höheres Volumen der zu zahlenden BEZ seinen Beitrag da- die Kompetenz einzuräumen, autonome Zuschläge auf Ge- zu leisten, dass der Wechsel zu einem rationaleren, langfris- meinschaftsteuern zu erheben. Die Ertragshoheit ist dage- tig effizienteren und mit höheren Wachstumsaussichten ver- gen nicht einfachgesetzlich zu ändern. Konkret bedeutet bundenen Finanzausgleichssystem gelingt. Die zusätzlichen dies, dass die Zuteilungsquoten für das Steueraufkommen Lasten für den Bund wären nach unseren Berechnungen der Gemeinschaftsteuern im primären vertikalen Finanz- allerdings nicht exorbitant hoch. ausgleich unangetastet bleiben. Darüber hinaus gilt, dass das Aufkommen autonomer Zuschläge auf die Einkom- Aus der Tarifabsenkung hätte er 4,0 Mrd. Euro Minderein- men- und Körperschaftsteuer nur zur Hälfte an die jewei- nahmen. Würden alle Länder einen Steuerzuschlag von ligen Länder selbst fließt. Eine größere und systematische- 5,26% in der Einkommen- und Körperschaftsteuer erheben re Lösung wäre nur mittels einer Grundgesetzänderung (also einen steuersatzneutralen Zuschlag, bei dem die Steu- durchsetzbar. erbelastung exakt das Niveau vor der Absenkung des Tarifs wieder erreicht), dann würden über den Bundesanteil Geht man nun von einem Szenario mit einem Ausgleichs- 4,7 Mrd. wieder an den Bund fließen (dieser Betrag ist höher faktor von 5% aus und rechnet das Modell bis einschließlich als die 4,0 Mrd., weil hier kein Gemeindeanteil mehr abge- der Fehlbetrags-BEZ durch, so profitieren einzelne Bundes- zogen wird, sondern das Aufkommen aus den Zuschlägen länder wie NRW, BY, BW und HE bereits, ohne einen eige- je hälftig an Bund und Länder fließt). Wenn zumindest für nen Zuschlag zu erheben. Die anderen Bundesländer da- eine Übergangszeit der Bund den Verliererländern mit Son- gegen müssten einen eigenen Zuschlag auf die der-BEZ alle Verluste ersetzt, die nach einem Länderzu- Einkommen- und Körperschaftsteuer erheben, um das glei- schlag von 5,26% noch bleiben, dann belastet dies den che Einnahmenvolumen wie im aktuellen System zu reali- Bundeshaushalt mit 5,1 Mrd. Euro. Dies entspricht 4,4 Mrd. sieren – aber dafür wurde durch die Tarifabsenkung ja auch Euro im Jahr temporärer Mehrkosten für den Bund. ein gewisser Spielraum geschaffen. Außerdem ist nochmals darauf hinzuweisen, dass viel am Ausgleichsfaktor von 5% Jedoch fallen die bisherigen Sonderbedarfs-BEZ weg; im hängt. Der Systemwechsel hin zu mehr Länderautonomie Jahr 2019 werden dies noch 3,4 Mrd. Euro sein. Hinzu kom- ifo Schnelldienst 1/2014 – 67. Jahrgang – 16. Januar 2014
36 Symposium men nun allerdings höhere Fehlbetrags-BEZ. Hier sind die Feld, L.P., J. Schnellenbach und T. Baskaran (2007), (Extreme) Haushalts- notlage in Bremen? Finanzwissenschaftliches Gutachten im Auftrag der Mehrkosten relativ zum Status quo 4,7 Mrd. Euro. Per saldo Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und kämen auf den Bund in diesem Szenario also 5,7 Mrd. Eu- Sachsen, Heidelberg. ro Mehrausgaben zu. Dieses Vergleichsszenario berücksich- Fuest, C. und M. Thöne (2009), Reform des Finanzföderalismus in tigt die Belastung des Bundes mit SoBEZ im Jahr 2019. Deutschland, Stiftung Marktwirtschaft, Berlin. Legt man stattdessen die aktuell gezahlte Summe für die Kitterer, W. (2007), »Bundesstaatsreform und Zukunft der Finanzverfassung SoBEZ zugrunde, so müsste der Bund im Vergleich zu heu- aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht«, Jahrbuch der Juristischen Gesell- te mit der hier vorgeschlagenen Finanzausgleichsreform nur schaft Bremen 8, 27–41. noch rund 500 Mill. Euro höhere Ausgaben verkraften. Die Kitterer, W. und R.C: Plachta (2008), Reform des Bund-Länder-Finanzaus- Zahlungen für Konsolidierungshilfen sind in beiden Berech- gleichs als Kernelement einer Modernisierung des deutschen Föderalis- nungen unberücksichtigt. mus, Nomos, Baden-Baden. Oates, W.E. (1972), Fiscal Federalism, Harcourt Brace, New York. Rosenfeld, M.T.W. (2000), »Wo stehen wir mit dem kooperativen Föderalis- Fazit mus in Deutschland?«, Konjunkturpolitik 49 (Beiheft Fiskalischer Föderalis- mus in Europa), 55–102. Das geltende Finanzausgleichssystem wird von Wissen- Wiegard, W. (2006), »Reform des föderalen Finanzsystems aus ökonomi- schaft und Politik kritisch beurteilt und erscheint dringend scher Sicht«, in: P. Wendisch und M. Fonger (Hrsg.), Reform des föderalen reformbedürftig. Wir formulieren einen Reformvorschlag, der Finanzsystems in Deutschland, Nomos, Baden-Baden, 19–32. den Finanzausgleich in seiner Gesamtheit deutlich anreizori- Woisin, M. (2008), »Das eingerostete Scharnier: Umsatzsteuerverteilung entierter ausgestaltet. Die wesentlichen Elemente sind ein zwischen Bund und Ländern«, Wirtschaftsdienst 88, 446–450. Übergang zum hälftigen Betriebsstätten- und Wohnsitzprin- zip bei der Lohnsteuerverteilung, die Abschaffung des Um- satzsteuervorausgleichs, ein Ressourcen- anstelle eines Fi- nanzkraftausgleichs und vor allem die Einführung von autonomen Zuschlagsrechten für die Länder bei der Ein- kommen- und Körperschaftsteuer. In unserer Modellrechnung würden die wirtschaftsstarken Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, aber auch Nordrhein-Westfalen begünstigt und könnten von den in ihrem Land erwirtschafteten Finanzmitteln mehr behalten. Diese Verteilungswirkung ist jedoch bei einem Systemwech- sel nicht zwingend notwendig. Werden andere Parameter gewählt, insbesondere für den Ausgleichsfaktor, so resultie- ren andere Verteilungswirkungen. Der hier vorgeschlagene Systemwechsel ist vor allem deshalb langfristig rational, weil er für die Länder Anreize zu einer wachstumsorientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik setzt, die im aktuellen System fehlen. Literatur Büttner, T. (2006), »The Incentive Effects of Fiscal Equalization Transfers on Tax Policy«, Journal of Public Economics 90, 477–497. Döring, T. und J. Schnellenbach (2011), »A Tale of Two Federalisms: Long- Term Institutional Change in the United States and in Germany«, Constituti- onal Political Economy 22, 83–102. Feld, L.P. (2009), Braucht die Schweiz eine materielle Steuerharmonisie- rung?, economiesuisse, Zürich. Feld, L.P. und J. Schnellenbach (2012), »Optionen für eine Reform des deut- schen Finanzausgleichs«, Jahrbuch der Juristischen Gesellschaft Bre- men 13, 90–109. Feld, L.P., H. Kube und J. Schnellenbach (2013), Optionen für eine Reform des bundesdeutschen Finanzausgleichs. Gutachten im Auftrag der FDP-Landtagsfraktionen der Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hes- sen, Freiburg und Mainz. ifo Schnelldienst 1/2014 – 67. Jahrgang – 16. Januar 2014
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