Mehrsprachigkeit und Arbeitswelt - Literaturübersicht Renata Coray Alexandre Duchêne - Institut für Mehrsprachigkeit

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Mehrsprachigkeit und Arbeitswelt
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Literaturübersicht
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Renata Coray
Alexandre Duchêne

2017
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Bericht des Wissenschaftlichen Kompetenzzentrums für Mehrsprachigkeit
Herausgeber | Publié par
Institut für Mehrsprachigkeit
                                                                                                       Mehrsprachigkeit und Arbeitswelt
www.institut-mehrsprachigkeit.ch                                                                       —
Institut de plurilinguisme                                                                             Literaturübersicht
www.institut-plurilinguisme.ch                                                                         —
AutorInnen | Auteurs                                                                                   Renata Coray
Renata Coray, Alexandre Duchêne                                                                        Alexandre Duchêne
Das vorliegende Projekt wurde im Rahmen des Arbeitsprogramms 2012–2014 des Wissenschaftlichen
Kompetenzzentrums für Mehrsprachigkeit durchgeführt. Für den Inhalt dieser Veröffentlichung sind
die AutorInnen verantwortlich.

Le projet dont il est question a été réalisé dans le cadre du programme de travail 2012–2014 du
Centre scientifique de compétence sur le plurilinguisme. La responsabilité du contenu de la présente
publication incombe à ses auteurs.

Freiburg | Fribourg, 2017

Layout
Billy Ben, Graphic Design Studio

                                                                                                       2017
                                                                                                       —
                                                                                                       Bericht des Wissenschaftlichen Kompetenzzentrums für Mehrsprachigkeit

2017.001
2                                                                                                                                                                                             3

    Inhaltsverzeichnis

    Einleitung		                                                                                4

    1     Sprache und Arbeit:
          Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets                                  7    5     Management der Sprachenvielfalt                                               41

    1.1   Interaktionsanalytische, pragmatische und kritische soziolinguistische Perspektiven   7    5.1   Spannungsverhältnis zwischen offiziellem Sprachmanagement
    1.2   Wirtschaftslinguistische, sprachpolitische und sprachökonomische Perspektiven         9          und Sprachpraktiken                                                           42
    1.3   Steigender Orientierungsbedarf in einem weiten Feld                                   12   5.2   Sprachmanagement, -bedarf und -verwendung in Unternehmen                      44
    1.4   Zusammenfassung                                                                       15   5.3   Sprachökonomische Studien                                                     49
                                                                                                     5.4   Stellung von Minderheitensprachen in der Arbeitswelt                          51

    2     Mehrsprachigkeit in einer sich
          wandelnden Arbeitswelt                                                                16
                                                                                                     5.5   Zusammenfassung                                                               54

    2.1
    2.2
          Soziohistorischer Wandel und Sprache
          Internationalisierung und Sprache
                                                                                                16
                                                                                                17
                                                                                                     6     Praktizierte Mehrsprachigkeit an der Arbeit                                   55

          2.2.1   Interkulturelle Kommunikation in der Geschäftswelt                            18   6.1   Mehrsprachige Praktiken und Repräsentationen                                  55
          2.2.2   Englisch als Lingua franca in der Geschäftswelt                               21         6.1.1   Optionen und Faktoren der Sprachwahl                                  55
    2.3   New Economy und Sprache                                                               23         6.1.2   Sprachliche Inklusions- und Exklusionsprozesse                        57
    2.4   Zusammenfassung                                                                       26         6.1.3   Multilanguaging und Codeswitching in mehrsprachigen Arbeitssettings   58
                                                                                                           6.1.4   Repräsentationen von Sprachen, sprachlichen Praktiken und Politiken   61

    3     Zugang zum Arbeitsmarkt und
          Sprache als Selektionsmittel                                                          27
                                                                                                     6.2   Mehrsprachigkeit in ausgewählten Arbeitsbereichen
                                                                                                           6.2.1
                                                                                                           6.2.2
                                                                                                                   Callcenters
                                                                                                                   Tourismus
                                                                                                                                                                                         62
                                                                                                                                                                                         62
                                                                                                                                                                                         64
    3.1   Gatekeeping, linguistic penalty und Fremdsprachenkompetenzen                                     6.2.3   Werbung und Marketing                                                 65
          im Job- und Beförderungsinterview                                                     27         6.2.4   Weitere Bereiche im Tertiärsektor                                     66
    3.2   Language proficiency als Mittel zur Regulierung der Arbeitsmigration                  29         6.2.5   Mehrsprachige Praktiken im ­Sekundärsektor                            67
    3.3   Zusammenfassung                                                                       31   6.3   Zusammenfassung                                                               69

    4     Sprachliche Sozialisierung am Arbeitsplatz
          und Berufsbildung                                                                     32   7     Valorisierung der Mehrsprachigkeit in der
                                                                                                           Arbeitswelt und weitere Desiderata                                            71

    4.1
    4.2
    4.3
          Sprachliche Sozialisierung und Sprachausbildung am Arbeitsplatz
          Sprache in der Berufsbildung
          Zusammenfassung
                                                                                                32
                                                                                                37
                                                                                                40
                                                                                                     8     Abkürzungsverzeichnis                                                         74

                                                                                                     9     Bibliografie                                                                  75
4                                                                                                                                                                                                                                            5

    Einleitung                                                                                                             Einleitung

    Die wachsende Bedeutung von Sprache und                     Angesichts der seit einigen Jahren stark zuneh-            logen4 und -psychologen sowie von Betriebs- bzw.          der Rolle von Englisch als Lingua franca führt, 3)
    Sprachkompetenzen in der Arbeitswelt, auf allen             menden Anzahl wissenschaftlicher Studien zur               Businessmanagement-Wissenschaftlern konsul-               Studien zur Globalisierung der Arbeitswelt im
    Hierarchiestufen und über den Tertiärsektor hin-            mehrsprachigen Arbeitswelt kann die vorliegende            tiert, insofern sie sich zum Thema Mehrsprachig-          Spätkapitalismus, die auf die zunehmende Bedeu-
    aus, wird seit einigen Jahren in allen Artikeln zum         Literaturübersicht bei weitem keinen vollständigen         keit äussern.                                             tung von Sprachkompetenzen allgemein und von
    Thema hervorgehoben und deshalb als schon fast              Überblick des Forschungsstandes leisten. Sie                      Die Struktur der Literaturübersicht ist quasi      Spracharbeit im stark wachsenden Teritiärsektor
    „banale Feststellung“ bezeichnet (Mondada 2004:             muss sich beschränken, einerseits zeitlich, ande-          chronologisch, entlang der verschiedenen Etappen          eingehen.
    32). Als Gründe gelten die zunehmende wirt-                 rerseits bezüglich primär fokussierter Disziplinen,        des Arbeitsprozesses konzipiert. Diese Etappen                  Das dritte Kapitel befasst sich mit dem Zu-
    schaftliche Internationalisierung und Globalisie-           Bereiche, Länder und Redaktionssprachen: Im Zen-           entsprechen bis zu einem gewissen Grad auch dem           gang zum Arbeitsmarkt. Im Zentrum steht die so-
    rung, Mobilität und Migration sowie technologische          trum steht die soziolinguistische Fachliteratur, die       sich wandelnden Fokus der Forschung zur Mehr-             ziolinguistische Literatur zur Rolle von Sprache
    Innovationen, die zu mehr beruflichen Sprachkon-            seit Ende des 20. Jahrhunderts zum Thema Mehr-             sprachigkeit in der Arbeitswelt, die sich früh mit        und Sprachkompetenzen als Selektionsinstrument
    takten führen, weshalb zwei- und mehrsprachig1              sprachigkeit und Arbeitswelt erschienen ist, und           Fragen der sprachlichen Ausbildung und Soziali-           und Mittel zur (Re-)Produktion von sozialer Un-
    arbeitende Unternehmen und Angestellte heute                zwar mit besonderem Augenmerk auf die europäi-             sierung am Arbeitsplatz befasst hat und heute die         gleichheit. Diese Literatur befasst sich einerseits
    verbreitet sind. Darüber hinaus haben neue Ar-              sche Literatur, die in englischer, französischer,          mehrsprachigen Praktiken und Repräsentationen             mit den Sprachkompetenzen als Selektionsinstru-
    beitsmodelle mit (teilweise nur scheinbar) flache-          deutscher und in geringerem Umfang auch in itali-          sowie die Valorisierung von mehrsprachigen Kom-           ment im Vorstellungs- und Beförderungsgespräch
    ren Hierarchien, mit mehr Verantwortung auch für            enischer Sprache verfasst worden ist. Um den Rah-          petenzen in den Vordergrund rückt.                        und mit Auswirkungen wie gatekeeping und lin­
    Angestellte ohne Führungspositionen sowie deut-             men der Arbeit nicht zu sprengen, können einige                   Das erste Kapitel skizziert grob den Rahmen        guistic penalty, andererseits mit Fragen der Regu-
    lich mehr (mündliche und schriftliche) Kommunika-           wichtige Bereiche nur sehr marginal oder gar nicht         und einige Eckpunkte dieses interdisziplinären            lierung der Arbeitsmigration mittels sprachlicher
    tion bei der Vorbereitung, Ausübung und Eva-                ­berücksichtigt werden (so etwa die informelle             Forschungsgebiets. Es werden die wichtigsten the-         Vorgaben.
    luation der Arbeit dazu geführt, dass es kaum                ­Wirtschaft, die mehrsprachige literacy oder die Ar-      oretisch-methodologischen Ansätze in der For-                   Im vierten Kapitel stehen die sprachliche So-
    mehr Arbeitsplätze gibt, an welchen es ohne gute              beitswelten Schule, internationale ­Organisationen       schung über Sprache und Arbeit kurz dargestellt           zialisierung am Arbeitsplatz und die Rolle von
    sprachliche und kommunikative Kompetenzen geht.               oder NGOs). Ausgehend von den wichtigsten so-            und einige exemplarische Studien erwähnt. Diese           Sprache bei der Berufsbildung im Zentrum. Bezüg-
           Die mehrsprachige Arbeitswelt ist ein per De-          ziolinguistischen Zeitschriften, die für die Jahre       befassen sich anfänglich mit der Rolle und den            lich Sprachfördermassnahmen am Arbeitsplatz ha-
    finition interdisziplinäres Forschungsgebiet. Es ist          2000 bis Anfang 2015 systematisch auf entspre-           ­Eigenheiten von Sprache allgemein in der Arbeits-        ben wir v.a. Literatur aus dem englischsprachigen
    sowohl für diejenigen Disziplinen von Interesse, die          chende Artikel hin durchsucht worden sind,3 haben         welt, und zwar aus einer monolingualen Per-              Raum, Literatur zu EU-Projekten und zu aktuellen
    sich mit Fragen der Sprache und Mehrsprachigkeit              wir unser Korpus sukzessive vergrössert: Wieder-          spektive, erst später auch mit Fragen der Mehr-          Projekten in der Schweiz rezipiert. Bei der Rolle
    auseinandersetzen (v.a. Sprach-, Kommunikations-              holt in der Fachliteratur erwähnte Artikel, die in        sprachigkeit. Berücksichtigt werden soziolinguis-        von Sprache während der Berufsbildung haben wir
    und Erziehungswissenschaften), als auch für die-              anderen Zeitschriften publiziert wurden, sind             tische Ansätze, die historische, pragmatische,           uns primär auf Literatur aus der Schweiz be-
    jenigen Disziplinen, die sich mit der Arbeitswelt             ebenfalls in das Korpus aufgenommen worden. Und           interaktionale und kritische Perspektiven einneh-        schränkt.
    befassen (v.a. Wirtschafts-, Arbeits-, Verwal-                selbstverständlich wurden auch wichtige Werke             men. Darüber hinaus werden wirtschaftslinguisti-               Das fünfte Kapitel gibt Einblick in die Litera-
    tungs- bzw. Managementwissenschaften, aber                    vor 2000 mitberücksichtigt und sind wiederholt er-        sche Ansätze, inkl. Business-Communication-              tur zu sprachpolitischen Regulierungen der Ar-
    auch Arbeitssoziologie und Politologie). In der hier          wähnte Beiträge aus der umfangreichen aussereu-           Forschung, sowie sprachpolitische und sprachöko-         beitswelt sowie zum Sprachmanagement innerhalb
    im Zentrum stehenden Soziolinguistik lässt sich ein           ropäischen (v.a. nordamerikanischen und austra-           nomische Ansätze zur Erforschung von Sprache in          von Unternehmen. Dabei zeigen etliche empirische
    wachsendes Interesse für dieses Forschungsge-                 lischen) Literatur zum Thema nicht ignoriert              der Arbeitswelt vorgestellt. Abschliessend werden        Studien ein Spannungsverhältnis zwischen Sprach-
    biet beobachten. Die meisten Forschenden stellen              worden. Zudem wurden nebst ­soziolinguistischen           einige Übersichtsartikel zum Thema präsentiert.          politik und Sprachpraktiken auf. Ebenfalls in die-
    fest, dass es bisher nur wenig soziolinguistische             auch soziologische, polito­logische und ökonomi-                Das zweite Kapitel fokussiert die Literatur,       sem Kapitel werden die wichtigsten und oft
    Untersuchungen zur Mehrsprachigkeit in der Ar-                sche Studien zum Thema mitberücksichtigt. Darü-           die sich mit den Einflüssen des Wandels der Ar-          zitierten (Fragebogen-)Erhebungen zu Sprachma-
    beits- und Geschäftswelt gebe, ganz im Gegensatz              ber hinaus wurden Artikel von Organisationssozio-         beitswelt auf den Stellenwert von Sprache am Ar-         nagement, -bedarf und -verwendung in Unterneh-
    zu den gut erforschten Gebieten der Mehrspra-                                                                           beitsplatz befasst. Dabei stehen drei Richtungen         men in Europa und der Schweiz präsentiert. Es wird
    chigkeit in der Schule oder in der Familie (z.B.                                                                        im Vordergrund, die eine soziolinguistische und in-      auch Literatur erwähnt, die sich mit der Position
    Mondada 2004, Roberts 2007, Berthoud, Grin &                                                                            terdisziplinäre Perspektive auf diesen Wandel und        von Minderheitensprachen in der A  ­ rbeitswelt und
    Lüdi 2010, Kelly-Holmes 2010b, Lüdi 2012).2                 2 | Die Literaturverweise erfolgen chronologisch geord-     dessen Folgen einnehmen: 1) Studien zum histori-         den diesbezüglichen sprachpolitischen Regu­
                                                                net nach Erscheinungsjahr (ohne Anspruch auf Vollstän-      schen Wandel der Rolle von Sprache in der Arbeits-       lierungsbemühungen befasst. Ebenfalls in den
                                                                digkeit, was wir ab und zu mit einem einleitenden „z.B.“
                                                                in Erinnerung rufen).                                       welt, 2) Studien zur Internationalisierung der           Dienst sprachpolitischer Opti­mierungen stellen
                                                                                                                            Arbeitswelt, die zu einer erhöhten Aufmerksamkeit        sich sprachökonomische Studien, die abschlies­
                                                                3 | An dieser Stelle sei Moritz Sommet und seinem Team
                                                                für die wertvolle Hilfe bei der Literaturrecherche und      für Fragen der interkulturellen Kommunikation und        send in Kapitel fünf präsentiert werden.
    1 | Die Bezeichnungen „mehrsprachig“ und „Mehrspra-         Korrekturlektüre der Bibliografie gedankt. Ebenfalls ein
    chigkeit“ verwenden wir im Folgenden immer im Sinn von      herzliches Dankeschön geht an Susanne Obermayer für
    mehr als eine Sprache und folglich inklusive zweisprachig   ihre sorgfältigen Korrekturlektüren und Layoutkontrollen   4 | In der vorliegenden Literaturübersicht wird das ge-
    bzw. Zweisprachigkeit. Vgl. dazu z.B. Cenoz (2013).         der vorliegenden Publikation.                              nerische Maskulin verwendet.
6                                                                                                                                                                      7

    Einleitung                                             1         Sprache und Arbeit:
                                                                     Eckpunkte eines interdisziplinären
                                                                     Forschungsgebiets
    Im sechsten Kapitel rücken Studien zum mehr-
    sprachigen Arbeitsprozess selbst ins Zentrum. Die
    umfangreiche Literatur wird in einem ersten Unter-     Mit Sprache in der Arbeitswelt befassen sich For-     menhang gebracht. Historisch orientierte Studien,
    kapitel gruppiert nach Studien, die sich mit mehr-     schende verschiedenster Disziplinen. In der So-       wie sie exemplarisch mit Werken wie Paroles au
    sprachigen Praktiken und deren Wirkungen befas-        ziolinguistik (und in angrenzenden sprachwissen-      travail (Boutet 1995) oder La part langagière du
    sen: Im Zentrum stehen die Aspekte Sprach-             schaftlichen Richtungen, die Sprache ebenfalls        travail (Boutet 2001) verbunden sind, analysieren
    wahl, sprachliche Inklusions- und Exklusionspro-       als soziale Aktivität analysieren) steht die Rolle    den Wandel der Rolle von Sprache in der Arbeit
    zesse, mehrsprachige Kommunikationsstrategien          von Sprache und Interaktion bei der Organisation      seit dem 19. Jahrhundert. Studien der kritischen
    und -ordnungen sowie Repräsentationen von              von Arbeit und von Arbeitsbeziehungen sowie bei       Soziolinguistik jüngerer Provenienz stellen aktu-
    sprachlichen Praktiken. In einem zweiten Unterka-      der (Re-)Produktion der sozialen Ordnung im Vor-      elle sprachliche Entwicklungen in der zunehmend
    pitel skizzieren wir die wichtigsten Aspekte aus       dergrund. Bis in die 1990er-Jahre ist die Mehr-       mehrsprachigen Arbeitswelt in einen umfassenden
    der Literatur zu den heute stark beachteten und        sprachigkeit aber noch kaum ein Thema. Ab diesem      soziopolitischen und -ökonomischen Kontext
    sprachintensiven Dienstleistungsbereichen Call-        Zeitpunkt rückt nicht nur in der Soziolinguistik,     (Duchêne & Heller 2012).
    centers, Tourismus und Werbung. Abschlies­send         sondern auch in anderen sozialwissenschaftlichen            Konversationsanalytische und ethnometho-
    werden Studien zu mehrsprachigen Praktiken und         Disziplinen die Mehrsprachigkeit in der Arbeits-      dologische Forschungen zu Sprache in der Arbeits-
    Ideologien im bisher wenig erforschten Sekundär-       welt in den Fokus. Das folgende Kapitel gibt einen    welt befassen sich vor allem mit mikrostrukturellen
    sektor vorgestellt.                                    kurzen Überblick über die wichtigsten Strömungen      sprachlichen Interaktionen und Organisationspro-
          Im letzten Kapitel befassen wir uns mit der in   und theoretisch-methodologischen Orientierun-         zessen in Institutionen und konkreten Arbeitssi-
    der präsentierten Literatur regelmässig aufgewor-      gen, die später noch ausführlicher thematisiert       tuationen. Sie basieren auf der Konzeption von
    fenen Frage der Valorisierung von Sprachkompe-         werden. Zuerst gehen wir auf interaktionsanalyti-     Interaktion als Ort der (Re-)Produktion der sozia-
    tenzen in der Arbeitswelt und verweisen ab-            sche, pragmatische und kritische soziolinguisti-      len Ordnung. Die Konversationsanalyse (CA) ana-
    schliessend auf ausgemachte Lücken und For-            sche Ansätze zur Erforschung von Sprache in der       lysiert authentische interaktionale Daten und
    schungsdesiderata.                                     Arbeitswelt ein. In einem zweiten Unterkapitel ste-   deren Organisation (z.B. Turns und Techniken der
                                                           hen wirtschaftslinguistische, sprachpolitische        Redezuteilung) anhand von detailliert transkribier-
                                                           und sprachökonomische Forschungsrichtungen im         ten Audio- und Videoaufnahmen, die heute auch
                                                           Zentrum. Im letzten Unterkapitel werden einige ak-    zunehmend einer multimodalen Interaktionsanaly-
                                                           tuelle Übersichtsartikel zur Mehrsprachigkeit in      se unterzogen werden (z.B. Ticca 2012 am Beispiel
                                                           der Arbeitswelt präsentiert.                          der Beendigung von Gesprächen in einer Reise-
                                                                                                                 agentur in Neapel). Die CA vermag gemäss Monda-
                                                                                                                 da (2006) aufgrund ihrer Sensibilität für den
                                                           1.1                                                   Kontext und den Feinablauf einer Interaktion sowie
                                                           Interaktionsanalytische, pragmati-                    für die emische Perspektive der Teilnehmenden ein
                                                           sche und kritische soziolinguisti-                    Wissen über verschiedenste berufliche und insti-
                                                           sche Perspektiven                                     tutionelle Situationen zu generieren. Im englisch-
                                                                                                                 sprachigen Raum macht Mondada (2006) drei
                                                           Forschungsarbeiten in der Tradition der ange-         konversationsanalytische Strömungen aus: 1. Stu-
                                                           wandten Linguistik, interaktionalen Soziolinguis-     dien zum institutional talk-in-interaction, d.h.
                                                           tik, der Diskurs- und Konversationsanalyse, der       Analysen von (vorerst monolingualen) institutio-
                                                           Pragmatik und Sprechakttheorie, die sich detail-      nellen und Arbeitsinteraktionen, z.B. vor Gericht,
                                                           liert mit der sprachlichen Interaktion am Arbeits-    in Schulen oder medizinischen Konsultationen (seit
                                                           platz befassen, und zwar vorerst v.a. aus mo-         den 1980er-Jahren, v.a. Drew & Heritage 1992, Sa-
                                                           nolingualer Perspektive, werden im englischen und     rangi & Roberts 1999), 2. Analysen komplexer Ar-
                                                           französischen Sprachraum mit Referenzwerken wie       beitssituationen in den workplace studies (seit
                                                           Talk at work (Drew & Heritage 1992), Talks, work      Ende der 1980er-Jahre, v.a. Suchman 1987, 1996,
                                                           and institutional order (Sarangi & Roberts 1999),     Goodwin & Goodwin 1996, Heath & Luff 2000,
                                                           Langage et travail (Borzeix & Fraenkel 2001) und      Mondada 2003 u.a.) und 3. ethnomethodological
                                                           Handbook of communication in organisations and        studies of work (ab den 1990er-Jahren, v.a. But-
                                                           professions (Candlin & Sarangi 2011) in Zusam-        ton 1993, Button & Sharrock 1998 u.a.).
8                                                                                                                                                                                                                                        9

    Kapitel 1                                                                                                           Kapitel 1
    Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets                                            Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets

    Studien aus dem französischsprachigen Raum, die            2005). Dabei werden auch Zusammenhänge zwi-              deutlicht in ihrer ethnografischen Forschung in ei-        thentifizierung von Nischenprodukten) (vgl. mehr
    sich mit language at work befassen (anfänglich             schen diskursiven Kompetenzen und beruflichen            ner Computerkomponentenfabrik in Silicon Valley,           dazu in Kap. 2.3).
    ebenfalls in primär monolingualen Settings), beru-         Fertigkeiten untersucht (Bulea & Bronckhart 2006,        dass neue Organisationsformen und technologi-
    fen sich auf konversationsanalytische, ethnome-            Bulea 2011) (vgl. dazu Kap. 4.2).                        sche Anforderungen neue (schriftliche) sprachli-
    thodologische, soziolinguistische und mikroso-                    Mehrsprachige Arbeitskontexte rücken ab           che Fertigkeiten erfordern, sowohl für die Pro-            1.2
    ziologische Theorien und lassen sich mit Filliettaz &      den 1990er-Jahren in den Fokus. Studien, die sich        duktion als auch für die Ausbildung, und dass die-         Wirtschaftslinguistische, sprachpo-
    De Saint-Georges (2009) in fünf Gruppen auftei-            explizit mit der Erforschung von mehrsprachigen          se neuen Anforderungen auch Assessments mit                litische und sprachökonomische
    len. Eine Gruppe analysiert (analog zu den anglo-          Kontexten in der Arbeitswelt befassen, lassen sich       sich bringen, welche niedrigqualifizierte und/oder         Perspektiven
    fonen workplace studies) die Koordination und              mit Roberts (2007) in eine pragmatische, eine in-        fremdsprachige Arbeiter als weniger kompetent er-
    Kooperation in komplexen kollektiven Aktivitäten,          teraktionale soziolinguistische und eine linguis-        scheinen lassen können, als sie effektiv bei der           Im Vergleich zu den vorangehend erwähnten For-
    z.B. in Operationssälen, industriellen Produktions-        tisch-ethnografische Tradition einordnen. Prag-          Arbeitsausübung sind, sodass ihre Beförderung be-          schungsrichtungen befassen sich die Wirt-
    stätten etc. (Miecznikowski & Mondada 2001,                matische Studien analysieren Sprechakte, z.B. in         hindert werden kann (Hull 1996, 1997, Katz 2000).          schafts- bzw. Betriebslinguistik und die Unter-
    Mondada 2001, 2004a, 2005b, Filliettaz 2004,               Lingua-franca-Settings in Fabrikhallen oder in                  Das Programm der kritischen Soziolinguistik         nehmenskommunikationsforschung bzw. Business-­
    2005a, 2008, Dumazeau 2008 etc.). Andere wie-              ­Arbeitssitzungen, u.a. von Europäern und Asiaten        schliesslich kombiniert Ansätze der interaktiona-          Communication-Forschung stärker auch mit
    derum interessieren sich für Verhandlungen, Dis-            (z.B. Day 1992, Willing 1992, 1997, Clyne 1994),        len Soziolinguistik, der Ethnografie und der Kriti-        betriebswirtschaftlichen Fragen zu Sprache am
    kursstrategien und Entscheidungsprozesse, z.B.              oder das facework an mehrsprachigen Arbeitsplät-        schen Analysen bei der Erforschung von sprach­             Arbeitsplatz, anfänglich ebenfalls v.a. aus mono-
    in der öffentlichen Verwaltung oder in Shops                zen in Neuseeland (Newton 2004). Im Gegensatz           lichen Praktiken in ihren historischen und sozialen        lingualer Perspektive. Für den deutschen Sprach-
    (Grosjean & Mondada 2004, Levy-Tadjine 2010, De-            zu pragmatisch orientierten Studien, die haupt-         Kontexten (Heller 2001, 2002, Duchêne, Moyer &             raum erwähnt seien z.B. die Werke Unternehmens­
    mazière & Glady 2011, Glady 2011, De Saint-Geor-            sächlich auf Tonaufnahmen und Sprechaktanaly-           Roberts 2013 etc.). Arbeit als sozialer und inter-         kommunikation (Bungarten 1994), Wirtschafts­
    ges 2011 etc.). Eine dritte Gruppe befasst sich mit         sen beruhen, beziehen interaktionale soziolin-          aktionaler Prozess wird nicht nur als Ort der Wis-         kommunikation (Brünner 2000), Kommunikation in
    der Analyse von persönlichen Beziehungen, Iden-             guistische Studien auch ethnografische Beobach-         sensproduktion und (Re-)Produktion der sozialen            Betrieben (Kleinberger Günther 2003) oder Orga­
    titäten und/oder Höflichkeitsformen, z.B. im De-            tungen mit ein, um die communicative ecology des        Ordnung untersucht, sondern auch als (historisch           nisationskommunikation (Menz & Müller 2008), für
    tailhandel, Haushalt etc. (Kerbrat-Orecchioni               Arbeitsplatzes (Gumperz 1999) zu erfassen. Die          und wirtschaftspolitisch situierter) Ort der un-           den englischen Sprachraum insbe­      sondere The
    2001, Traverso 2001, Filliettaz 2002, Boutet 2006,          interaktionale Soziolinguistik verbindet die Analy-     gleich verteilten Wissensproduktion, wo Macht­             handbook of business discourse (Bargiela-Chiap-
    Cooren & Robichaud 2006, Laforest & Vincent                 se von sozialen Fragen der Ungleichheit, Ethnizität     ausübung und soziale Exklusionsprozesse mittels            pini 2009, Bargiela-Chiappini et al. 2013). Sprach-
    2006, Kerbrat-Orecchioni & Traverso 2008 etc.).             und Identität mit der Analyse der interaktionalen       Sprache zu beobachten sind (Heller & Boutet                politische und sprachökonomische Studien zu
    Eine weitere Gruppe von Studien analysiert den              und sequentiellen Ordnung. Sie konzentriert sich        2006). Studien dieser Strömung analysieren den             Sprache und Arbeitswelt befassen sich früh auch
    Einfluss von komplexen Arbeitssituationen auf die           inbesondere auf contextualisation cues (Kontex-         Einfluss des ökonomischen Wandels auf die                  mit Fragen der Mehrsprachigkeit. Hier sei insbe-
    Organisation der Rede (Grosjean 1993, Boutet                tualisierungshinweise) und damit zusammenhän-           sprachlichen Aktivitäten in der Arbeitswelt bzw. in        sondere auf Le Traitement des langues dans les
    2001, 2005, Condamines & Vergely 2005 etc.). Eine           gende mögliche Missverständnisse und negative           einer zunehmend wissens- und dienstleistungsba-            entreprises (Truchot & Huck 2009), auf Kapitel aus
    letzte Gruppe umfasst Studien zum Schreiben am              soziale Evaluationen in sprachlich diversen Ar-         sierten Wirtschaft. Mit dem radikalen Wandel der           Language policy (Spolsky 2004) und Language
    Arbeitsplatz (Fraenkel 2001, Pène 2001, Veyrac              beitssettings, wo die dominierende Unternehmens-        Arbeit, der new work order (Gee, Hull & Lankshear          management (Spolsky 2009) sowie auf The eco­
    2001, Clerc & Kavanagh 2006 etc.).                          sprache eingefordert wird (insbes. Gumperz              1996), die von neuen Technologien und Arbeitsor-           nomics of the multilingual workplace (Grin, Sfred-
           Nebst Studien zu Sprache als zentrale Di-            1982a/b, 1992a/b, 1996, 2003, Roberts, Davies &         ganisationsformen sowie einer zunehmenden In-              do & Vaillancourt 2010) verwiesen.
    mension der Arbeit, die authentische und in situ            Jupp 1992, Holmes 2000) (vgl. dazu auch Kap.            ternationalisierung geprägt ist, werden sprachli-                Die Wirtschaftslinguistik untersucht den be-
    produzierte sprachliche Daten analysieren, verwei-          3.1). Arbeiten in der Tradition der linguistischen      che und kommunikative Kompetenzen unerlässlich,            ruflichen Alltag auf dem Schnittpunkt zwischen
    sen Filliettaz & De Saint-Georges (2009) auch auf           Ethnografie erforschen die soziale Interaktion und      nicht nur im Dienstleistungssektor, sondern auch           Linguistik und Wirtschaft. Arbeiten dieser Rich-
    Studien zu language about work, d.h. zu individu-           Kommunikation in Arbeitskontexten mit ethnogra-         in Produktionsstätten. Zunehmend wird die main             tung analysieren die Eigenheiten der (internen und
    ellen und kollektiven Repräsentationen von Arbeit,          fischen und mikroethnografischen Methoden (z.B.         d’oeuvre zur parole d’oeuvre (Duchêne 2009a/b)             externen) Unternehmens- und Organisationskom-
    die sich primär auf Interviewdaten stützen und ei-          Erickson & Shultz 1982, Green & Bloome 1997). Die       bzw. die workforce zur wordforce (Heller 2010b).           munikation (Bungarten 1994, 1997, Menz & Müller
    nen selbstreflexiven Blick fördern (Plazaola Giger &        in der Fachliteratur oft erwähnte ethnografische        Sprachliche Kompetenzen werden zu arbeitsmarkt­            2008 etc.). Die in Deutschland verankerte For-
    Stroumza 2007). Oft werden Daten zu language at             Studie von Goldstein (1997) zeigt auf, dass nicht       relevanten Fähigkeiten in einer spätkapitalisti-           schungstradition der Wirtschaftslinguistik (auch:
    und about work kombiniert analysiert, so z.B. in            nur praktische, sondern auch symbolische Fakto-         schen Gesellschaft, die den Arbeiter als bundle of         Wirtschaftsgermanistik) geht auf die frühen Jahr-
    Studien der Genfer Forschungsgruppe Langage,                ren die Sprachwahl (von portugiesischen Fabrikar-       skills konzipiert (Urciuoli 2008, Urciuoli & LaDousa       zehnte des 20. Jahrhunderts zurück, wo sie sich
    Action, Formation (LAF) zur Rolle der Sprache bei           beiterinnen in Ontario) beeinflussen und dass           2013). Die sprachlichen Anforderungen oszillieren          in den Dienst der Unternehmen stellte, indem sie
    der Erfüllung und der Interpretation der Arbeit in          Eng­lischfördermassnahmen nicht automatisch zu          dabei zwischen Standardisierung (zwecks Kontrol-           z.B. Übersetzungs- und Terminologiefragen unter-
    Arbeitssettings wie Pflege, Phar maindustrie oder           verbesserten Jobchancen führen (vgl. mehr dazu          le und grösserer Reichweite) und Variabilität              suchte, um die handelssprachliche Ausbildung zu
    Schule (Bronckart et al. 2004, Filliettaz & Bronckart       in Kap. 4.1). Hull (1996, 1997, 1999) ihrerseits ver-   (zwecks flexibler Anpassung an Kunden und Au-              verbessern. Nach dem Zweiten Weltkrieg und unter
10                                                                                                                                                                                                                                               11

     Kapitel 1                                                                                                            Kapitel 1
     Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets                                             Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets

     dem Einfluss des Strukturalismus wuchs das Inte-            Konstruktionen nicht mit der externen Umgebung,          welt leisten sprachpolitische Studien. Sie befassen           Rasmussen & Piekkari 2006, Piekkari 2009, Angouri
     resse für die Besonderheiten von sprachlichen               d.h. den materiellen agronomischen Sachzwängen           sich mit der Sprachpolicy und dem Sprachmanage-               2013), was auch eine flexible Anpassung an
     Systemen und Subsystemen in Unternehmen und                übereinstimmten (Cyr 2005). Interaktionale ma-            ment in öffentlichen und privaten Institutionen und           rasch wechselnde Sprachbedürfnisse erlaube
     rückte die Fachsprachen- und Fachtextforschung             nagementwissenschaftliche Studien analysieren             Unternehmen, die vor allem Regelungen und Vor-                ­(Angouri & Miglbauer 2014, Mahili 2014) (vgl. mehr
     ins Zentrum der Wirtschaftslinguistik (Müller              Arbeitssitzungen als kollektive diskursive Konst-         gaben bezüglich Sprachver­wendung, Übersetzun-                 dazu in Kap. 5.2).
     2006: 10–19). Gemäss Kleinberger Günther (2003,            ruktionsleistungen, die auch auf mikrolinguisti-          gen, Sprachkompetenzen, sprachliche Aus- und                         Staatliche sprachpolitische Vorschriften ge-
     2004) zeichnet sich die Wirtschaftslinguistik auch         scher Ebene die Schaffung einer gemeinsamen               Weiterbildung, Personalrekrutierung und -ent-                  genüber Unternehmen der Privatwirtschaft sind in
     heute noch durch ein praxis- und unternehmenso-            Arbeits- und episte­mologischen Grundlage nach-           wicklung betreffen. In der englischsprachigen Li-              der freien Marktwirtschaft kaum zu finden, gemäss
     rientiertes Forschungsinteresse aus, das zur Op-           vollziehen lassen (André 2006, 2010). Bei der Er-         teratur ist die Rede von language policy, language             Truchot & Huck (2009) kennen in der Europäischen
     timierung der betrieblichen Kommunikation und              forschung der mündlichen Kommunikation nach               policy and planning oder language management,                  Union nur Frankreich, Belgien, Polen und Sloweni-
     Informationsvermittlung beitragen will, wobei neu-         aussen stehen insbesondere die Interaktionen mit          in der französischsprachigen Literatur von amé­                en solche. Am weitesten gehe die Loi Toubon in
     erdings auch Fragen der interkulturellen Kommu-            Kunden in Dienstleistungsunternehmen im Zentrum           nagement linguistique.5 Tendenziell werden staatli-            Frankreich, die mit der zunehmenden Globalisie-
     nikation und Mehrsprachigkeit und insbesondere             des Interesses: z.B. die Beziehungs­arbeit und fa-        che Vorgaben eher unter dem Begriff „Sprachpolitik“,           rung der Wirtschaft und wachsenden Anzahl von
     auch von Englisch als Lingua franca aufgegriffen           tische Kommunikation in Quartierläden in Quito/           unternehmerische Regulierungen eher unter dem                  internationalen Fusionen auf die Schwächung des
     werden. Seit der „linguistischen Wende“ auch in            Equador (Placencia 2004) oder d  ­ ie ­(potenziell kon-   Begriff „Sprachmanagement“ zusammengefasst                     Französischen in der Wirtschaft reagierte und seit
     den Wirtschaftswissenschaften werden die kom-              fliktträchtigen) Interaktionen ­zwischen Kunden           (ein Definitionsversuch findet sich z.B. bei Lüdi,             1994 vorschreibt, dass „tout document compor­-
     munikativen Kompetenzen von Angestellten auch              und Angestellten mit unterschiedlichen sprach­            Höchle Meier & Yanaprasart 2013: 60). Im Gegen-                tant des dispositions nécessaires au salarié pour
     als Produktionsfaktor wahrgenommen (Menz &                 lichen Ressourcen in ­     einem halbstaatlichen          satz zum Bereich Schule ist der Bereich Wirtschaft             l’exécution de son travail“ auf Französisch vorlie-
     Müller 2008). Und mit der Rezeption der interakti-         Wasserversorgungsun­ternehmen in Galizien (Pre-           relativ spät in den Fokus sprachpolitischer For-               gen müsse (Truchot & Huck 2009: 13). Spolsky
     onalen Soziolinguistik in der Wirtschaftslinguistik        go-Vázquez 2007).                                         schungsarbeiten gelangt (Spolsky 2007, 2009).                  (2009: 53, 64) erwähnt als weitere Beispiele staat-
     nehmen diskursanalytische Forschungen in Unter-                   Im englischsprachigen Raum werden For-             Einflussreich innerhalb der Forschung zu Sprach-               licher Vorgaben an die Adresse von Wirtschafts-
     nehmen zu, z.B. zu Instruktionsdiskursen in der            schungen zur Unternehmenskommunikation unter              politik und Sprachmanagement in der Arbeitswelt                unternehmen China, wo das Topmanagement von
     ­betrieblichen Ausbildung (Brünner 1987), zu (mehr-        dem Begriff der Business Communication (BC) zu-           ist die Language Management Theory (LMT) von                   Sicherheitsfirmen einen Mandarin-Test ablegen
      sprachigen) Geschäftsverhandlungen (­Ehlich &             sammengefasst. Seit dem discursive turn hat sich          Jernudd & Neustupný (1987). Diese geht von einer               müsse, und Québec, wo es zahlreiche staatliche
      Wagner 1995) oder zur Ethnografie der Unterneh-           auch innerhalb der BC-Forschung ein Interesse an          dialektischen Beziehung zwischen der Identifika-               Vorgaben für Geschäfts­inhaber gebe. Explizit ge-
      menskommunikation in einem multinationalen deut-          der (kritischen) Diskursanalyse entwickelt und            tion von Sprachproblemen auf der Mikroebene und                gen eine zu starke sprachpolitische Regulierung
      schen Automobilzulieferer-Konzern (Müller 2006).          werden auch die in Arbeitssettings diskursiv und          der Initiierung von sprachplanerischen Massnah-                von Unternehmen (angesichts der als zu ambitiös
            Aufgrund des eher schwierigen Datenzu-              interaktional (re-)produzierten Macht- und Un-            men auf der Makroebene aus (Nekvapil & Nekula                  bezeichneten Loi Toubon in Frankreich) und für den
      gangs gibt es aber erst seit relativ Kurzem empiri-       gleichheitsverhältnisse analysiert. In The hand­          2006). Dabei kann es sowohl zu einem simple                    Verbleib im sprachpolitisch „toten Winkel“ und für
      sche Studien zur betrieblichen Kommunikation              book of business discourse (Bargiela-Chiappini            ­management bzw. einem discourse-based manage­                 eine „responsabilité sociolinguistique de l’entre-
      (Behr et al. 2010). In wirtschaftslinguistischen          2009, Bargiela-Chiappini et al. 2013) finden sich          ment auf der Ebene individueller Sprecher als auch            prise“ spricht sich z.B. der französische Verwal-
      Forschungen lässt sich ein besonderes Interesse           Übersichtsartikel zur Business-Discourse-For-              zu einem organised management bzw. d  ­ irected ma­           tungswissenschaftler Saulière (2013: 275) aus.
      für Besprechungen und Sitzungen ausmachen.                schung in Europa und anderen Kontinenten und               nagement auf der Ebene staatlicher und anderer                      Auf der Ebene der Unternehmen scheint es
      Studien (in vorwiegend monolingualen Settings)            Ländern sowie zu verschiedenen Aspekten, z.B.              Institutionen kommen, wobei dies auch mit Fragen              ebenfalls nicht viele explizite sprachpolitische Vor-
      haben beispielsweise die kommunikative Effizienz          zum internationalen Management (Piekkari 2009)             der Ideologie und der Macht zur Durchsetzung der              schriften zu geben. Wiederholt wird darauf ver­
      aus linguistischer Perspektive und basierend auf          oder zur interkulturellen Kommunikation (Piller            eigenen Interessen zusammenhängt (z.B. Spolsky                wiesen, dass Sprache in internationalen Un-
      ethnografischen Daten erforscht (Dannerer 2005,           2009), in welchen punktuell auch Fragen der mehr-          2004, Nekvapil & Nekula 2006, Shohamy 2006, An-               ternehmen lange „the forgotten factor in multina-
      2008) oder anhand von mikrostrukturellen Analy-           sprachigen Kommunikation thematisiert werden               gouri 2013). Neuerdings werden auch ein bewuss-               tional ­management“ (Marschan, Welch & Welch
      sen von Besprechungen in Unternehmen die wich-            (vgl. mehr dazu in Kap. 2.2). Insgesamt wird für die       tes non-management und eine strategic ambiguity               1997) g­ ewesen sei. Auch in der Forschung ist das
      tige Funktion von Gliederungssignalen bzw. back           Management- und Marketingforschung jedoch                  konstatiert, mittels welcher die Direktion das                Sprachmanagement in der Arbeitswelt bis vor eini-
      channel behavior zwecks Basis-Verständigung               festgestellt: „the domain of multilingualism is still      ­Management der sprachlichen Diversität an die                gen Jahren kaum beachtet worden. Die finnische
      aufgezeigt (Lopuchovská & Liedka 2007). Dis-              problematically understudied and undertheorised“            Angestellten delegiert (Fredriksson, Barner-­
                                                                                                                            ­                                                            Organisations- und Business-Spezialistin (Mar-
      kursanalytisch orientierte management­        wis­        (Jack 2010: 18), was auch zur For­derung nach                                                                            schan-)Piekkari und ihr Team haben seit Ende der
      senschaftliche Studien haben die (innerbetrieb-           ­einem multilingual turn in der Management-­                                                                             1990er-Jahre Pionierarbeit in diesem Bereich
                                                                                                                          5 | Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem
      liche) diskursive Konstruktion von Organisationen          Ausbildung und -Forschung führte (Cohen, Kas-            weiten Feld der Sprachpolitik, in welchem die normati-         geleistet. In Human-Resources-Management-
                                                                                                                                                                                         ­
      analysiert, z.B. anhand der fehlgeschlagenen
      ­                                                          sis-Henderson & Lecomte 2015).                           ven Vorgaben in und zuhanden der Arbeitswelt nur ein           (HRM) und Business-Communication-Zeitschriften
                                                                                                                          Teilgebiet darstellen, siehe z.B. die in den letzten Jahren
      ­Reorganisation eines französischen Agrokonzerns,                Einen weiteren wichtigen Beitrag zur Erfor-        erschienenen Sammelbände von Ricento (2006, 2015)
                                                                                                                                                                                         finden sich seither etliche Studien zu Sprachpolitik
       dessen neue Führungsriege bzw. deren diskursive           schung des Themenbereichs Sprache und Arbeits-           und Spolsky (2012).                                            und -management in der Arbeitswelt (Thomas
12                                                                                                                                                                                                                                         13

     Kapitel 1                                                                                                        Kapitel 1
     Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets                                         Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets

     2008, Van den Born & Peltokorpi 2010). Im Fokus            zentriert sich v.a. auf die Migranten in den USA      schen der sprachzentrierten und sprachintensi-              chen Praktiken und der Spracharbeit in Callcenters
     des Interesses stehen dabei v.a. die multinational         und den Einfluss ihrer E ­ nglischkompetenzen auf     ven (Management-)Arbeit, der sprachmarginalen               und im Tourismus. Die schwedische Soziolinguistin
     companies (MNCs). Ein Überblick zum Stand der              das Einkommen (v.a. C ­ hiswick & Miller 2007). Ab    (Produktions-)Arbeit und der sprachminimalen Ar-            Gunnarsson (2013a/b, 2014) schliesslich behan-
     sprachpolitischen Forschung in MNCs aus Sicht              den 1990er-Jahren geraten ökonomische Evalua-         beit in rein manuellen (Fliessband-)Tätigkeiten un-         delt in ihren Beiträgen v.a. Studien aus Ländern, in
     der HRM-Spezialisten findet sich in Piekkari et al.        tionen (Kosten-Nutzen-Analysen) sprachpoliti-         terscheidet. Diese Typen der Sprachverwendung               welchen Englisch als Hauptsprache verwendet
     (2005). In diesen Studien werden multinationale            scher Massnahmen (insbesondere Schutz- und            bringt er in Zusammenhang mit den verschiedenen             wird, wobei Aspekte wie Jobzugang, Sprachtests
     Unternehmen als mehrsprachige Organisationen               Fördermassnahmen von Minderheitensprachen so-         Hierarchien und Machtpositionen, welche die Aus-            und sprachliche Stilisierung im Vordergrund ste-
     oder mehrsprachige Gemeinschaften konzeptuali-             wie Fremdsprachenunterricht) in den Fokus von         übung von Kontrolle über die Produktion und die             hen, sowie Studien aus Europa, insbesondere
     siert (Luo & Shenkar 2006), in welchen Sprache als         sprachökonomischen Studien (Grin 2010a). Seither      Arbeiter bestimmen. Die britische Soziolinguistin           zu mehrsprachigen Arbeitskontexten in Skandi­
     Barriere (Feely & Harzing 2003), Ressource (Mar-           hat sich die publizierte sprachökonomische Lite-      Roberts (2007) konzentriert sich auf die unter-             navien. Darüber hinaus legt sie ein Modell vor,
     schan-Piekkari, Welch & Welch 1999b, Holden                ratur vervielfacht (Grin 2014) (vgl. mehr dazu in     durchschnittlich erforschte Mehrsprachigkeit in             ­welches das dynamische Zusammenspiel zwischen
     2002, Barner-Rasmussen 2003) oder Quelle der               Kap. 5.3).                                            shop floors (Produktions- und Werkstätten, Fa­               ­Ar­beitsplatzdiskursen und ihren verschiedenen
     Macht (Marschan-Piekkari, Welch & Welch 1999a)                                                                   brikhallen) und auf die diskursbasierten soziolingu-          ­kontextuellen (geografischen, gesellschaftlichen,
     operieren könne. Im Fokus vieler soziolinguisti-                                                                 istischen Studien zur Interaktion am Arbeitsplatz              situativ-kommunikativen) Rahmenbedingungen
     scher Studien zum Sprachmanagement in Unter-               1.3                                                   seit den 1980er-­Jahren. Dabei macht sie, wie                  veranschaulicht (Gunnarsson 2009, 2013b, 2014).
     nehmen steht der Vergleich zwischen Policy und             Steigender Orientierungsbedarf in                     in Kapitel 1.1 ausgeführt, drei dominierende                         Alle diese Übersichtsartikel rücken entweder
     Praxis, wobei zahlreiche Studien zum Schluss kom-          einem weiten Feld                                     ­theoretisch-methodologische Orientierungen aus:               eher die mehrsprachigen (aber hauptsächlich eng-
     men, dass es ein Spannungsverhältnis zwischen                                                                     ­Pragmatik, interaktionale Soziolinguistik und lin-           lischsprachigen) internationalen Unternehmen
     der offiziellen betrieblichen Policy und den beob-         Seit Anfang des 21. Jahrhunderts hat die Literatur      guistische Ethnografie. Der Soziolinguist Li (2007)          (Gunnarsson 2013a/b, 2014) und globalen Han-
     achteten sprachlichen Praktiken gebe (vgl. mehr            zur Mehrsprachigkeit in der Arbeitswelt insgesamt       vertieft in seinem Übersichtsartikel die sprachli-           dels- und Werbestrategien (Li 2007) oder aber die
     dazu in Kap. 5.1).                                         stark zugenommen. Davon zeugen nicht nur die in         chen Aspekte, die der weltweite Handel im Zeital-            (mehrsprachigen) Immigranten in anglofonen Län-
            Als letzte wichtige Strömung innerhalb der          den letzten Jahren publizierten Übersichtsartikel       ter der Globalisierung und der kapitalistischen              dern und deren Konfrontation mit sprachlichen Ex-
     Forschung zu Sprache in der Arbeitswelt sei hier           (z.B. McAll 2003, Roberts 2007, Li 2007, Hewitt         Massen- und Konsumkultur mit sich bringt: ins­               klusionsprozessen (McAll 2003, Roberts 2007,
     die Sprachökonomie erwähnt. Die seit den 1960er-           2012, Urciuoli & La Dousa 2013, Gunnarsson              besondere die Kosten sowie den Mehrwert der                  Hewitt 2012) ins Zentrum oder aber die mit der
     Jahren aufgekommene, interdisziplinär orientierte          2013a/b, 2014, Hua 2014) und kommentierten              ­Mehrsprachigkeit, die steigenden sprachlichen               Ausbreitung des kapitalistischen Wirtschaftsmo-
     Sprachökonomie befasst sich mit dem gegenseiti-            Biblio­grafien (z.B. Latour 2014), sondern auch          Anforderungen in globalen Unternehmen, die Aus-             dells und der neoliberalen Wirtschaftsordnung
     gen Einfluss von ökonomischen und linguistischen           ­europäische Forschungsprojekte (z.B. Studien von        breitung des Englischen und die sprachlichen                einhergehende Kommodifizierung von Sprache und
     Variablen, ausgehend vom Paradigma und den Kon-             DYLAN und LINEE), Spezialnummern von Zeit-              ­Eigenheiten von globalen Markennamen und Wer-              Spracharbeit (Urciuoli & LaDousa 2013). Daraus
     zepten der ökonomischen Theorie (Grin 1994a,                schriften sowie Sammelbände zum Thema (z.B.              bung. Der britische Soziologe Hewitt (2012) kon-           ergeben sich auch Unterschiede bezüglich der fo-
     1996, 2003b, 2006, 2010, 2014, Grin, Sfreddo &              ­Cigada, Gilardoni & Matthey 2001, Kameyama &            zentriert sich v.a. auf sprachsoziologische und            kussierten Sozialschichten und Sektoren: Einige
     Vaillancourt 2010). Sie versucht zu sprachpoliti-            Meyer 2007, Truchot & Huck 2009, Kelly-Holmes &         soziolinguistische A­ rbeiten aus Australien und Ka-       Autoren konzentrieren sich in erster Linie auf Stu-
     schen Entscheidungsfindungen beizutragen,                    Mautner 2010, Lüdi 2010, 2012, Meyer & Apfel-           nada und verweist auf die in vielen Studien                dien zu shop-floor- und Dienstleistungsarbeiten,
     ­indem sie sprachbezogene politische Optionen for-           baum 2010, Studer & Werlen 2012, Berthoud,­             ­fokussierten „high-end technical, and business            wo viele Migranten tätig sind (Roberts 2007), an-
      muliert, auswertet und vergleicht und wissen-               Grin & Lüdi 2013, Duchêne, Moyer & Roberts 2013,         workplace contexts“ ­(Hewitt 2012: 275), in wel-          dere eher auf Studien zu High-tech Jobs und zu
      schaftliche Grundlagen zur Ermittlung einer                 Sherman & Strubell 2013, Angouri 2014, Duchêne &         chen primär Englisch als Lingua franca verwendet          international operierenden Unternehmen und Ma-
      möglichst effizienten Ressourcenzuteilung und an-           Daveluy 2015).                                           werde und damit eine vom Bürgertum erlernte               nagern (Gunnarsson 2013a, 2014).
      gemessenen Ressourcendistribution erarbeitet                      Die im Folgenden (in chronologischer Rei-          sprachliche Ressource. Die amerikanischen Anth-                 Die in den Übersichtsartikeln präsentierten
      (Grin 2003, 2005).                                          henfolge) präsentierten soziolinguistischen Über-        ropologinnen Urciuoli & LaDousa (2013) befassen           Studien stammen aus verschiedenen Staaten und
            Ihre Anfänge hat die Sprachökonomie in Ka-            sichtsartikel decken ein breites Spektrum                sich in ihrer Übersicht weniger mit konkreten             Kontinenten, wobei die Studien aus anglofonen
      nada, v.a. Québec, wo mit statistischen Analysen            verschiedener Schwerpunkte und Perspektiven              mehrsprachigen Arbeitsplätzen und -interaktio-            Ländern mit starker Arbeitsimmigration überwie-
      Einkommensdifferenzen zwischen Anglofonen und               ab, welche unterschiedliche Hierarchiestufen,            nen, sondern aus kritischer Perspektive mit dem           gen. Die meisten ordnen die präsentierten Studien
      Frankofonen, selbst bei vergleichbarer Ausbildung           Sprachräume, theoretische und epistemologische           Einfluss der neo-liberalen Wirtschaftsordnung auf         nach geografischer Herkunft, was aufgrund der
      und Erfahrung, ermittelt wurden (v.a. V
                                            ­ aillancourt         Ansätze betreffen.6 Der kanadische Sprachsozio-          die Rolle von Sprache in der Arbeitswelt, insbe-          unterschiedlichen sprachlichen und politischen
      1996). Diese Pionierarbeiten inspirierten zahlrei-          loge McAll (2003) legt einen der wenigen Typolo-         sondere mit der Kommodifizierung von sprachli-            Kontexte und Herausforderungen naheliegend
      che weitere Studien zur ökonomischen Dimension              gisierungsversuche vor und konstruiert anhand                                                                      scheint. Roberts (2007) ihrerseits gruppiert die
      sprachlicher Diskriminierungen (Grin 2010a).                von Fallbeispielen aus der Raumfahrt-, Pharma-                                                                     vorhandene Literatur aufgrund ihrer theoretisch-
                                                                                                                      6 | Weitere Übersichtsliteratur, z.B. aus management-
      Nebst dieser kanadischen gibt es eine US-ameri-             und Kleiderindustrie in Québec eine Typologie der   wissenschaftlicher oder politologischer Perspektive, wird
                                                                                                                                                                                     methodologischen Ausrichtung in pagmatische, in-
      kanische Tradition der Sprachökonomie. Diese kon-           Sprachverwendung in Arbeitsprozessen, die zwi-      in den entsprechenden Unterkapiteln erwähnt.                   teraktionale soziolinguistische und linguis-
14                                                                                                                                                                                             15

     Kapitel 1
     Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets   1          Sprache und Arbeit:
                                                                                           Eckpunkte eines interdisziplinären
                                                                                           Forschungsgebiets
     tisch-ethnografische Studien. Andere wiederum
     strukturieren ihren Artikel aufgrund der mit der
     Entwicklung neuer Technologien, Wirtschaftsord-
     nungen und Ideologien aufkommenden sprachlich                              1.4
     relevanten Arbeitsformen und -bereiche, wobei                              Zusammenfassung
     insbesondere die (internationale) Spracharbeit in
     Callcenters, in der Werbung, im Internet und im                            Das Thema Sprache und Arbeitswelt wird in ver-         deninteraktionen sowie die Position des Engli-
     Tourismus im Zentrum steht (Li 2007, Urciuoli &                            schiedenen Disziplinen und oft interdisziplinär er-    schen in der Wirtschaftskommunikation.
     LaDousa 2013). Einige Autoren bemühen sich, die                            forscht. Bis in die 1990er-Jahre wird der Mehr-                Sprachpolitische Studien analysieren v.a. die
     referierte Literatur bezüglich ihrer kritischen oder                       sprachigkeit jedoch kaum Aufmerksamkeit ge-            ­unternehmerischen language-management-Stra-
     weniger kritischen Positionen (Roberts 2007) zu                            schenkt. Dieses erste Kapitel hat die Funktion, ei-     tegien, wobei ein besonderes Interesse an multi-
     charakterisieren oder z­ wischen Studien zu unter-                         nen einleitenden Überblick über die wichtigsten         nationalen Grossunternehmen auszumachen ist.
     scheiden, die von reibungslosem mehrsprachigem                             Disziplinen und Ansätze in diesem weiten For-           Die heute stark wachsende Anzahl sprach-ökono-
     Arbeiten berichten und solchen, die auch Pro­-                             schungsfeld zu geben, welche in den folgenden           mischer Studien schliesslich analysieren den
     bleme aufdecken (Gunnarsson 2013a, 2014). Und                              Kapiteln noch ausführlicher dargestellt werden.         gegenseitigen Einfluss von ökonomischen und
                                                                                                                                        ­
     schliesslich verweisen die meisten Autoren auf den                         Innerhalb der Sprachwissenschaften befassen             ­linguistischen Variablen. Dabei legen sie ein be-
     schwierigen Feldzugang, den noch grossen For-                              sich vor allem die Interaktionsanalyse, Prag­matik       sonderes Augenmerk auf ökonomische Dimen­
     schungsbedarf und den noch geringen Theoreti-                              und kritische Soziolinguistik mit Sprache und            sionen sprachlicher Diskriminierungen und auf
     sierungsstand bezüglich Mehrsprachigkeit und                               Mehrsprachigkeit in der Arbeitswelt. Konversati-         Kosten-Nutzen-Analysen von sprachpolitischen
     Arbeitswelt.                                                               onsanalytische Studien untersuchen die zuneh-            Massnahmen.
                                                                                mend komplexen und multimodalen sprachlichen
                                                                                Interaktionen und Organisationsprozesse am Ar-
                                                                                beitsplatz aus mikrostruktureller Perspektive, wo-
                                                                                bei lange primär monolinguale Situationen im Zen-
                                                                                trum standen. Interaktionale soziolinguistische
                                                                                Studien betonen die Bedeutung von ethnografi-
                                                                                scher Forschung in der ­Arbeitswelt, und zwar nicht
                                                                                nur auf der Teppichetage, sondern auch in Pro-
                                                                                duktionsstätten. Sie verbinden die Analyse von
                                                                                Fragen der sozialen Ungleichheit mit interaktions-
                                                                                orientierten Analysen und fokussieren sprachliche
                                                                                Missverständnisse und damit zusammenhängende
                                                                                negative soziale Evaluationen. Kritische soziolin-
                                                                                guistische Studien erforschen sprachliche Prakti-
                                                                                ken in der Arbeitswelt in ihren historischen und
                                                                                sozialen Kontexten und analysieren Arbeit als
                                                                                Ort der meist ungleich verteilten Ressourcen, wo
                                                                                Machtausübung und soziale Exklusionsprozesse
                                                                                mittels Sprache erfolgen.
                                                                                      Auf dem Schnittpunkt zwischen Linguistik
                                                                                und Wirtschaft erforschen die Wirtschaftslinguis-
                                                                                tik und die Business-Communication-Forschung
                                                                                die Sprache und Mehrsprachigkeit in der Arbeits-
                                                                                welt, v.a. in der internationalen Geschäftswelt. Sie
                                                                                zeichnen sich tendenziell durch ein praxis- und
                                                                                unternehmensorientiertes Forschungsinteresse
                                                                                aus. Im Fokus etlicher Studien stehen die kommu-
                                                                                nikative Effizienz von Besprechungen, von Kun-
16                                                                                                                                                                                                                               17

     2          Mehrsprachigkeit in einer sich
                wandelnden Arbeitswelt
                                                                                                                  Kapitel 2
                                                                                                                  Mehrsprachigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt

     Der Wandel der Arbeitswelt seit dem 19. Jahrhun-       war, dass Sprechen als der Arbeit abträglich, als     tigkeiten von Bedeutung. La part langagière du          Hintergrund, Französisch wird nicht mehr nur als
     dert hat grosse Auswirkungen auf die Rolle von         Zeitverlust, Schwatzerei oder Spielerei betrachtet    travail (Boutet 2001), definiert als „the implemen-     politisches „Recht“, sondern v.a. auch als wirt-
     Sprache im Arbeitsprozess, die in diesem Kapitel       wurde. Verbale Aktivitäten wurden als unproduktiv     tation of the linguistic competencies needed to do      schaftlicher „Mehrwert“ postuliert, bei gleichzeitig
     im Zentrum stehen. Zuerst gehen wir auf For-           und moralisch schlecht konzipiert (Boutet 2008,       a job“ (Boutet 2012: 208), ist heute ein wichtiger      fortbestehender Bemühung um soziale Reproduk-
     schungen ein, die sich dem soziohistorischen           2012). In der wissenschaftlichen Rationalisie­    -   Teil der Arbeit geworden. Mit der steigenden Be-        tion der frankofonen Gemeinschaft (Heller & Labrie
     Wandel der Arbeit und des Stellenwertes von            rung der Arbeitsorganisation nach Taylor (1911)       deutung der schriftsprachlichen Fertigkeiten am         2003, Da Silva & Heller 2009, Heller 2011a/b,
     Sprache aus der Perspektive der Arbeiter widmen.       wird diese Konzeption aufgenommen und werden          Arbeitsplatz (z.B. Moatty 2000, Rouard 2000,            2013).
     Anschliessend stehen die Geschäftswelt und die         Sprachaktivitäten in Fabriken als Störung und po-     Fraenkel 2001, Equoy Hutin 2009) wird das Prob-
     Managementperspektive im Fokus, die v.a. in            tenzielle Verlangsamung der Produktivität aufge-      lem des Analphabetismus „entdeckt“, da ein Teil
     der Management- und Business-Communication-­           fasst. Dieses auch aufgrund struktureller Mass-       der Arbeiter nicht über die in den neuen Produkti-      2.2
     Literatur erforscht werden. Dabei konzentrieren        nahmen bestärkte Schweigen am Arbeitsplatz            onsverhältnissen gefragten schriftlichen Kompe-         Internationalisierung und Sprache
     wir uns auf Studien, die sich mit den Folgen der In-   (Lärm, Akkordarbeit, nebeneinander stehen und         tenzen verfügt. Ab den 1980er-Jahren sind
     ternationalisierung der Businesswelt befassen,         sich nicht anschauen können etc.) charakterisiert     deshalb – v.a. wirtschaftlich und weniger humani-       Mit der zunehmenden ökonomischen Internationa-
     v.a. mit Fragen zur interkulturellen Kommunikation     bis heute einen Teil der Arbeitsplätze: Montgo-       tär motivierte – Alphabetisierungskampagnen ins         lisierung ab den 1990er-Jahren kommt es v­ ermehrt
     und zur Lingua franca Englisch. Im letzten Unter-      mery (1993 gem. McAll 2003: 247) z.B. hat in einer    Leben gerufen worden, die sich v.a. an eingewan-        zu grenzüberschreitenden Firmenkontakten, -fu-
     kapitel stehen Studien zur Globalisierung der Ar-      Kleiderfabrik in Montréal, wo v.a. Immigranten an-    derte Arbeiter richteten (Boutet 2001: 36f.) (vgl.      sionen und -übernahmen. Parallel dazu unterstüt-
     beitswelt im Spätkapitalismus im Zentrum, die auf      gestellt waren, beobachtet, dass quasi nur in den     dazu auch Kap. 4.1).                                    zen neue, mobile Kommunikationstechnologien,
     die zunehmende Bedeutung von Sprachkompeten-           Pausen gesprochen wurde. Gemäss einer Umfrage               Insbesondere im wachsenden dritten Wirt-          insbesondere das Internet, die internationale
     zen im stark wachsenden Tertiärsektor eingehen         der Direction des recherches du ministère du tra-     schaftssektor nimmt die Spracharbeit einen wich-        Kommunikation (Evans 2013, Kankaanranta & Lou-
     und Phänomene wie Spracharbeit und Kommodifi-          vail (DARES) von 1992 arbeiteten 27% der franzö-      tigen Stellenwert ein, v.a. im heute florierenden       hiala-Salminen 2013). Gleichzeitig wächst auch
     zierung von Sprache analysieren.                       sischen Arbeiter unter Bedingungen, in welchen        Bereich des Telemarketings bzw. der Callcenters,        das Interesse der Unternehmenskommunikations-
                                                            sie nicht sprechen können (Boutet 2005: 14). Die      wo eigentliche travailleurs du langage arbeiten         bzw. Business-Commu­nication- und Management-­
                                                            dort sich entwickelnden sprachlichen Praktiken        (Boutet 2001, 2008, Heller & Boutet 2006, Duchêne       Forschung an den steigenden (mündlichen und
     2.1                                                    und Sprachspiele (von Arbeitssoziologen auch als      2009b, Heller 2010a etc.) (vgl. mehr dazu in Kap.       schriftlichen) Kontakten zwischen Berufs- und
     Soziohistorischer Wandel und                           langages d’ateliers bezeichnet), z.B. Witze, ritu-    6.2.1). Aber auch in anderen Bereichen der Dienst-      Geschäftsleuten verschiedener Nationalitäten und
     Sprache                                                elle Beschimpfungen, Obszönitäten etc., sind          leistungsarbeit nehmen immaterielle, relationale        Sprachen. Das Interesse gilt vorerst vor allem Fra-
                                                            ebenfalls Gegenstand der Forschung geworden           und emotionale Dimensionen, in welchen ­immer           gen der Kommunikation und Verständigung und
     Der Zusammenhang zwischen den sich verändern-          (Verret 1996 gem. Boutet 2001: 33, für den eng­       auch eine sprachliche Dimension mitspielt, einen        weniger der Mehrsprachigkeit. Arbeiten zur inter-
     den Produktionsweisen, Arbeitsorganisationsfor-        lischen Sprachraum bzw. Neuseeland vgl. z.B.          hohen Stellenwert ein (Borzeix, Girin & Grosjean        kulturellen Kommunikation sowie zu Englisch als
     men und Technologien und dem sich verändernden         ­Holmes & Marra 2002 sowie Daly et al. 2004 und       1991, Borzeix & Fraenkel 2001, Boutet 2005).            Lingua franca dominieren das Feld. Angesichts der
     Stellenwert von Sprache im Arbeitsprozess ist erst      für Schweden z.B. Nelson 2014, vgl. dazu auch              Mit dem Wandel der Arbeitswelt aufgrund von       umfangreichen Literatur kann hier nur ein rudi-
     seit wenigen Jahren Gegenstand von interdiszip-         Lønsmann & Kraft 2016).                              Industrialisierung, Modernisierung und Globalisie-      mentärer Einblick gegeben werden, der primär auf
     linären linguistischen Forschungsarbeiten. Pio-               Parallel dazu hat sich seit den 1970er-Jah-    rung verändert sich auch die Stellung der Minder-       europäischen Studien basiert. Zahlreiche Arbeiten
     nierarbeit in diesem Bereich leisteten die im inter-    ren allmählich die Idee durchgesetzt, dass Spre-     heitensprachgruppen. Insbesondere am Beispiel           stammen aus Skandinavien und Holland, nicht zu-
     disziplinären Netzwerk Réseau Langage et Travail        chen nicht nur Schwatzen, sondern auch eine          der frankofonen Minderheit in Kanada ist analy-         letzt auch aufgrund der starken institutionellen
     zusammengeschlossenen französischen Forschen­-          ökonomische Ressource darstellt und dass Spra-       siert worden, wie sprachliche und kulturelle Kate-      Verankerung der internationalen und interkultu-
     den (Boutet 1995, Borzeix & Fraenkel 2001 etc.).        che und Kommunikation auch Produktivitätsfakto-      gorien mit den sich wandelnden ökonomischen             rellen Business-Communication-Forschung an
     Weit über Frankreich hinaus zur Kenntnis genom-         ren sein können (Zarifian 1990, 1996 und Veltz &     Verhältnissen zusammenhängen (Heller 1999,              dortigen Hochschulen (z.B. Helsinki School of
     men worden sind insbesondere die Studien der So-        Zarifian 1994 gem. Boutet 2001: 22, 2005: 14f.).     2011a/b, 2013, Heller & Labrie 2003 etc.): Bis lan-     ­Economics bzw. Aalto University / School of Busi-
     ziolinguistin Boutet (1995, 2001, 2005, 2008,           Heute haben neue Produktionsweisen, Automati-        ge nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Franko-          ness, Aarhus School of Business und Radboud
     2012 etc.). Sie hat den grundlegenden Wandel des        sierung, Roboterisierung und Informatisierung        fonen im Primärsektor und unter den Arbeitern            University Nijmegen).
     Stellenwertes von Sprache in der Arbeitswelt aus-       auch neue Methoden der Personalführung (mit          im Industriesektor übervertreten. Die ab den
     gehend von Verhaltensreglementen aus französi-          partizipativem Management, mehr Verantwortung        1960er-Jahren zu beobachtende nationalistische
     schen Ateliers bzw. Werkstätten (les règlements         und Selbstkontrolle sowie halbautonomen Arbeits-     Mobilisierung der frankofonen Elite in Québec
     d’ateliers) des 19. Jahrhunderts aufgezeigt. Die        gruppen) hervorgebracht, die der Sprache an der      ­verhalf ihr zu politischer Autonomie und wirt-
     Analyse dieser Dokumente verdeutlicht, dass das         Arbeit einen neuen Status verleihen.                  schaftlichem Aufstieg. Dieser politische Moderni-
     Reden (ebenso wie das Pfeifen und Singen) der                 Nicht nur mündliche, sondern auch schriftli-    sierungsdiskurs rückt mit der zunehmenden
     Arbeiter Vorschriften und Verboten unterstellt          che Kompetenzen sind seither in allen Erwerbstä-      Globalisierung ab den 1990er-Jahren etwas in den
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