Mehrsprachigkeit und Arbeitswelt - Literaturübersicht Renata Coray Alexandre Duchêne - Institut für Mehrsprachigkeit
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Mehrsprachigkeit und Arbeitswelt — Literaturübersicht — Renata Coray Alexandre Duchêne 2017 — Bericht des Wissenschaftlichen Kompetenzzentrums für Mehrsprachigkeit
Herausgeber | Publié par Institut für Mehrsprachigkeit Mehrsprachigkeit und Arbeitswelt www.institut-mehrsprachigkeit.ch — Institut de plurilinguisme Literaturübersicht www.institut-plurilinguisme.ch — AutorInnen | Auteurs Renata Coray Renata Coray, Alexandre Duchêne Alexandre Duchêne Das vorliegende Projekt wurde im Rahmen des Arbeitsprogramms 2012–2014 des Wissenschaftlichen Kompetenzzentrums für Mehrsprachigkeit durchgeführt. Für den Inhalt dieser Veröffentlichung sind die AutorInnen verantwortlich. Le projet dont il est question a été réalisé dans le cadre du programme de travail 2012–2014 du Centre scientifique de compétence sur le plurilinguisme. La responsabilité du contenu de la présente publication incombe à ses auteurs. Freiburg | Fribourg, 2017 Layout Billy Ben, Graphic Design Studio 2017 — Bericht des Wissenschaftlichen Kompetenzzentrums für Mehrsprachigkeit 2017.001
2 3 Inhaltsverzeichnis Einleitung 4 1 Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets 7 5 Management der Sprachenvielfalt 41 1.1 Interaktionsanalytische, pragmatische und kritische soziolinguistische Perspektiven 7 5.1 Spannungsverhältnis zwischen offiziellem Sprachmanagement 1.2 Wirtschaftslinguistische, sprachpolitische und sprachökonomische Perspektiven 9 und Sprachpraktiken 42 1.3 Steigender Orientierungsbedarf in einem weiten Feld 12 5.2 Sprachmanagement, -bedarf und -verwendung in Unternehmen 44 1.4 Zusammenfassung 15 5.3 Sprachökonomische Studien 49 5.4 Stellung von Minderheitensprachen in der Arbeitswelt 51 2 Mehrsprachigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt 16 5.5 Zusammenfassung 54 2.1 2.2 Soziohistorischer Wandel und Sprache Internationalisierung und Sprache 16 17 6 Praktizierte Mehrsprachigkeit an der Arbeit 55 2.2.1 Interkulturelle Kommunikation in der Geschäftswelt 18 6.1 Mehrsprachige Praktiken und Repräsentationen 55 2.2.2 Englisch als Lingua franca in der Geschäftswelt 21 6.1.1 Optionen und Faktoren der Sprachwahl 55 2.3 New Economy und Sprache 23 6.1.2 Sprachliche Inklusions- und Exklusionsprozesse 57 2.4 Zusammenfassung 26 6.1.3 Multilanguaging und Codeswitching in mehrsprachigen Arbeitssettings 58 6.1.4 Repräsentationen von Sprachen, sprachlichen Praktiken und Politiken 61 3 Zugang zum Arbeitsmarkt und Sprache als Selektionsmittel 27 6.2 Mehrsprachigkeit in ausgewählten Arbeitsbereichen 6.2.1 6.2.2 Callcenters Tourismus 62 62 64 3.1 Gatekeeping, linguistic penalty und Fremdsprachenkompetenzen 6.2.3 Werbung und Marketing 65 im Job- und Beförderungsinterview 27 6.2.4 Weitere Bereiche im Tertiärsektor 66 3.2 Language proficiency als Mittel zur Regulierung der Arbeitsmigration 29 6.2.5 Mehrsprachige Praktiken im Sekundärsektor 67 3.3 Zusammenfassung 31 6.3 Zusammenfassung 69 4 Sprachliche Sozialisierung am Arbeitsplatz und Berufsbildung 32 7 Valorisierung der Mehrsprachigkeit in der Arbeitswelt und weitere Desiderata 71 4.1 4.2 4.3 Sprachliche Sozialisierung und Sprachausbildung am Arbeitsplatz Sprache in der Berufsbildung Zusammenfassung 32 37 40 8 Abkürzungsverzeichnis 74 9 Bibliografie 75
4 5 Einleitung Einleitung Die wachsende Bedeutung von Sprache und Angesichts der seit einigen Jahren stark zuneh- logen4 und -psychologen sowie von Betriebs- bzw. der Rolle von Englisch als Lingua franca führt, 3) Sprachkompetenzen in der Arbeitswelt, auf allen menden Anzahl wissenschaftlicher Studien zur Businessmanagement-Wissenschaftlern konsul- Studien zur Globalisierung der Arbeitswelt im Hierarchiestufen und über den Tertiärsektor hin- mehrsprachigen Arbeitswelt kann die vorliegende tiert, insofern sie sich zum Thema Mehrsprachig- Spätkapitalismus, die auf die zunehmende Bedeu- aus, wird seit einigen Jahren in allen Artikeln zum Literaturübersicht bei weitem keinen vollständigen keit äussern. tung von Sprachkompetenzen allgemein und von Thema hervorgehoben und deshalb als schon fast Überblick des Forschungsstandes leisten. Sie Die Struktur der Literaturübersicht ist quasi Spracharbeit im stark wachsenden Teritiärsektor „banale Feststellung“ bezeichnet (Mondada 2004: muss sich beschränken, einerseits zeitlich, ande- chronologisch, entlang der verschiedenen Etappen eingehen. 32). Als Gründe gelten die zunehmende wirt- rerseits bezüglich primär fokussierter Disziplinen, des Arbeitsprozesses konzipiert. Diese Etappen Das dritte Kapitel befasst sich mit dem Zu- schaftliche Internationalisierung und Globalisie- Bereiche, Länder und Redaktionssprachen: Im Zen- entsprechen bis zu einem gewissen Grad auch dem gang zum Arbeitsmarkt. Im Zentrum steht die so- rung, Mobilität und Migration sowie technologische trum steht die soziolinguistische Fachliteratur, die sich wandelnden Fokus der Forschung zur Mehr- ziolinguistische Literatur zur Rolle von Sprache Innovationen, die zu mehr beruflichen Sprachkon- seit Ende des 20. Jahrhunderts zum Thema Mehr- sprachigkeit in der Arbeitswelt, die sich früh mit und Sprachkompetenzen als Selektionsinstrument takten führen, weshalb zwei- und mehrsprachig1 sprachigkeit und Arbeitswelt erschienen ist, und Fragen der sprachlichen Ausbildung und Soziali- und Mittel zur (Re-)Produktion von sozialer Un- arbeitende Unternehmen und Angestellte heute zwar mit besonderem Augenmerk auf die europäi- sierung am Arbeitsplatz befasst hat und heute die gleichheit. Diese Literatur befasst sich einerseits verbreitet sind. Darüber hinaus haben neue Ar- sche Literatur, die in englischer, französischer, mehrsprachigen Praktiken und Repräsentationen mit den Sprachkompetenzen als Selektionsinstru- beitsmodelle mit (teilweise nur scheinbar) flache- deutscher und in geringerem Umfang auch in itali- sowie die Valorisierung von mehrsprachigen Kom- ment im Vorstellungs- und Beförderungsgespräch ren Hierarchien, mit mehr Verantwortung auch für enischer Sprache verfasst worden ist. Um den Rah- petenzen in den Vordergrund rückt. und mit Auswirkungen wie gatekeeping und lin Angestellte ohne Führungspositionen sowie deut- men der Arbeit nicht zu sprengen, können einige Das erste Kapitel skizziert grob den Rahmen guistic penalty, andererseits mit Fragen der Regu- lich mehr (mündliche und schriftliche) Kommunika- wichtige Bereiche nur sehr marginal oder gar nicht und einige Eckpunkte dieses interdisziplinären lierung der Arbeitsmigration mittels sprachlicher tion bei der Vorbereitung, Ausübung und Eva- berücksichtigt werden (so etwa die informelle Forschungsgebiets. Es werden die wichtigsten the- Vorgaben. luation der Arbeit dazu geführt, dass es kaum Wirtschaft, die mehrsprachige literacy oder die Ar- oretisch-methodologischen Ansätze in der For- Im vierten Kapitel stehen die sprachliche So- mehr Arbeitsplätze gibt, an welchen es ohne gute beitswelten Schule, internationale Organisationen schung über Sprache und Arbeit kurz dargestellt zialisierung am Arbeitsplatz und die Rolle von sprachliche und kommunikative Kompetenzen geht. oder NGOs). Ausgehend von den wichtigsten so- und einige exemplarische Studien erwähnt. Diese Sprache bei der Berufsbildung im Zentrum. Bezüg- Die mehrsprachige Arbeitswelt ist ein per De- ziolinguistischen Zeitschriften, die für die Jahre befassen sich anfänglich mit der Rolle und den lich Sprachfördermassnahmen am Arbeitsplatz ha- finition interdisziplinäres Forschungsgebiet. Es ist 2000 bis Anfang 2015 systematisch auf entspre- Eigenheiten von Sprache allgemein in der Arbeits- ben wir v.a. Literatur aus dem englischsprachigen sowohl für diejenigen Disziplinen von Interesse, die chende Artikel hin durchsucht worden sind,3 haben welt, und zwar aus einer monolingualen Per- Raum, Literatur zu EU-Projekten und zu aktuellen sich mit Fragen der Sprache und Mehrsprachigkeit wir unser Korpus sukzessive vergrössert: Wieder- spektive, erst später auch mit Fragen der Mehr- Projekten in der Schweiz rezipiert. Bei der Rolle auseinandersetzen (v.a. Sprach-, Kommunikations- holt in der Fachliteratur erwähnte Artikel, die in sprachigkeit. Berücksichtigt werden soziolinguis- von Sprache während der Berufsbildung haben wir und Erziehungswissenschaften), als auch für die- anderen Zeitschriften publiziert wurden, sind tische Ansätze, die historische, pragmatische, uns primär auf Literatur aus der Schweiz be- jenigen Disziplinen, die sich mit der Arbeitswelt ebenfalls in das Korpus aufgenommen worden. Und interaktionale und kritische Perspektiven einneh- schränkt. befassen (v.a. Wirtschafts-, Arbeits-, Verwal- selbstverständlich wurden auch wichtige Werke men. Darüber hinaus werden wirtschaftslinguisti- Das fünfte Kapitel gibt Einblick in die Litera- tungs- bzw. Managementwissenschaften, aber vor 2000 mitberücksichtigt und sind wiederholt er- sche Ansätze, inkl. Business-Communication- tur zu sprachpolitischen Regulierungen der Ar- auch Arbeitssoziologie und Politologie). In der hier wähnte Beiträge aus der umfangreichen aussereu- Forschung, sowie sprachpolitische und sprachöko- beitswelt sowie zum Sprachmanagement innerhalb im Zentrum stehenden Soziolinguistik lässt sich ein ropäischen (v.a. nordamerikanischen und austra- nomische Ansätze zur Erforschung von Sprache in von Unternehmen. Dabei zeigen etliche empirische wachsendes Interesse für dieses Forschungsge- lischen) Literatur zum Thema nicht ignoriert der Arbeitswelt vorgestellt. Abschliessend werden Studien ein Spannungsverhältnis zwischen Sprach- biet beobachten. Die meisten Forschenden stellen worden. Zudem wurden nebst soziolinguistischen einige Übersichtsartikel zum Thema präsentiert. politik und Sprachpraktiken auf. Ebenfalls in die- fest, dass es bisher nur wenig soziolinguistische auch soziologische, politologische und ökonomi- Das zweite Kapitel fokussiert die Literatur, sem Kapitel werden die wichtigsten und oft Untersuchungen zur Mehrsprachigkeit in der Ar- sche Studien zum Thema mitberücksichtigt. Darü- die sich mit den Einflüssen des Wandels der Ar- zitierten (Fragebogen-)Erhebungen zu Sprachma- beits- und Geschäftswelt gebe, ganz im Gegensatz ber hinaus wurden Artikel von Organisationssozio- beitswelt auf den Stellenwert von Sprache am Ar- nagement, -bedarf und -verwendung in Unterneh- zu den gut erforschten Gebieten der Mehrspra- beitsplatz befasst. Dabei stehen drei Richtungen men in Europa und der Schweiz präsentiert. Es wird chigkeit in der Schule oder in der Familie (z.B. im Vordergrund, die eine soziolinguistische und in- auch Literatur erwähnt, die sich mit der Position Mondada 2004, Roberts 2007, Berthoud, Grin & terdisziplinäre Perspektive auf diesen Wandel und von Minderheitensprachen in der A rbeitswelt und Lüdi 2010, Kelly-Holmes 2010b, Lüdi 2012).2 2 | Die Literaturverweise erfolgen chronologisch geord- dessen Folgen einnehmen: 1) Studien zum histori- den diesbezüglichen sprachpolitischen Regu net nach Erscheinungsjahr (ohne Anspruch auf Vollstän- schen Wandel der Rolle von Sprache in der Arbeits- lierungsbemühungen befasst. Ebenfalls in den digkeit, was wir ab und zu mit einem einleitenden „z.B.“ in Erinnerung rufen). welt, 2) Studien zur Internationalisierung der Dienst sprachpolitischer Optimierungen stellen Arbeitswelt, die zu einer erhöhten Aufmerksamkeit sich sprachökonomische Studien, die abschlies 3 | An dieser Stelle sei Moritz Sommet und seinem Team für die wertvolle Hilfe bei der Literaturrecherche und für Fragen der interkulturellen Kommunikation und send in Kapitel fünf präsentiert werden. 1 | Die Bezeichnungen „mehrsprachig“ und „Mehrspra- Korrekturlektüre der Bibliografie gedankt. Ebenfalls ein chigkeit“ verwenden wir im Folgenden immer im Sinn von herzliches Dankeschön geht an Susanne Obermayer für mehr als eine Sprache und folglich inklusive zweisprachig ihre sorgfältigen Korrekturlektüren und Layoutkontrollen 4 | In der vorliegenden Literaturübersicht wird das ge- bzw. Zweisprachigkeit. Vgl. dazu z.B. Cenoz (2013). der vorliegenden Publikation. nerische Maskulin verwendet.
6 7 Einleitung 1 Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets Im sechsten Kapitel rücken Studien zum mehr- sprachigen Arbeitsprozess selbst ins Zentrum. Die umfangreiche Literatur wird in einem ersten Unter- Mit Sprache in der Arbeitswelt befassen sich For- menhang gebracht. Historisch orientierte Studien, kapitel gruppiert nach Studien, die sich mit mehr- schende verschiedenster Disziplinen. In der So- wie sie exemplarisch mit Werken wie Paroles au sprachigen Praktiken und deren Wirkungen befas- ziolinguistik (und in angrenzenden sprachwissen- travail (Boutet 1995) oder La part langagière du sen: Im Zentrum stehen die Aspekte Sprach- schaftlichen Richtungen, die Sprache ebenfalls travail (Boutet 2001) verbunden sind, analysieren wahl, sprachliche Inklusions- und Exklusionspro- als soziale Aktivität analysieren) steht die Rolle den Wandel der Rolle von Sprache in der Arbeit zesse, mehrsprachige Kommunikationsstrategien von Sprache und Interaktion bei der Organisation seit dem 19. Jahrhundert. Studien der kritischen und -ordnungen sowie Repräsentationen von von Arbeit und von Arbeitsbeziehungen sowie bei Soziolinguistik jüngerer Provenienz stellen aktu- sprachlichen Praktiken. In einem zweiten Unterka- der (Re-)Produktion der sozialen Ordnung im Vor- elle sprachliche Entwicklungen in der zunehmend pitel skizzieren wir die wichtigsten Aspekte aus dergrund. Bis in die 1990er-Jahre ist die Mehr- mehrsprachigen Arbeitswelt in einen umfassenden der Literatur zu den heute stark beachteten und sprachigkeit aber noch kaum ein Thema. Ab diesem soziopolitischen und -ökonomischen Kontext sprachintensiven Dienstleistungsbereichen Call- Zeitpunkt rückt nicht nur in der Soziolinguistik, (Duchêne & Heller 2012). centers, Tourismus und Werbung. Abschliessend sondern auch in anderen sozialwissenschaftlichen Konversationsanalytische und ethnometho- werden Studien zu mehrsprachigen Praktiken und Disziplinen die Mehrsprachigkeit in der Arbeits- dologische Forschungen zu Sprache in der Arbeits- Ideologien im bisher wenig erforschten Sekundär- welt in den Fokus. Das folgende Kapitel gibt einen welt befassen sich vor allem mit mikrostrukturellen sektor vorgestellt. kurzen Überblick über die wichtigsten Strömungen sprachlichen Interaktionen und Organisationspro- Im letzten Kapitel befassen wir uns mit der in und theoretisch-methodologischen Orientierun- zessen in Institutionen und konkreten Arbeitssi- der präsentierten Literatur regelmässig aufgewor- gen, die später noch ausführlicher thematisiert tuationen. Sie basieren auf der Konzeption von fenen Frage der Valorisierung von Sprachkompe- werden. Zuerst gehen wir auf interaktionsanalyti- Interaktion als Ort der (Re-)Produktion der sozia- tenzen in der Arbeitswelt und verweisen ab- sche, pragmatische und kritische soziolinguisti- len Ordnung. Die Konversationsanalyse (CA) ana- schliessend auf ausgemachte Lücken und For- sche Ansätze zur Erforschung von Sprache in der lysiert authentische interaktionale Daten und schungsdesiderata. Arbeitswelt ein. In einem zweiten Unterkapitel ste- deren Organisation (z.B. Turns und Techniken der hen wirtschaftslinguistische, sprachpolitische Redezuteilung) anhand von detailliert transkribier- und sprachökonomische Forschungsrichtungen im ten Audio- und Videoaufnahmen, die heute auch Zentrum. Im letzten Unterkapitel werden einige ak- zunehmend einer multimodalen Interaktionsanaly- tuelle Übersichtsartikel zur Mehrsprachigkeit in se unterzogen werden (z.B. Ticca 2012 am Beispiel der Arbeitswelt präsentiert. der Beendigung von Gesprächen in einer Reise- agentur in Neapel). Die CA vermag gemäss Monda- da (2006) aufgrund ihrer Sensibilität für den 1.1 Kontext und den Feinablauf einer Interaktion sowie Interaktionsanalytische, pragmati- für die emische Perspektive der Teilnehmenden ein sche und kritische soziolinguisti- Wissen über verschiedenste berufliche und insti- sche Perspektiven tutionelle Situationen zu generieren. Im englisch- sprachigen Raum macht Mondada (2006) drei Forschungsarbeiten in der Tradition der ange- konversationsanalytische Strömungen aus: 1. Stu- wandten Linguistik, interaktionalen Soziolinguis- dien zum institutional talk-in-interaction, d.h. tik, der Diskurs- und Konversationsanalyse, der Analysen von (vorerst monolingualen) institutio- Pragmatik und Sprechakttheorie, die sich detail- nellen und Arbeitsinteraktionen, z.B. vor Gericht, liert mit der sprachlichen Interaktion am Arbeits- in Schulen oder medizinischen Konsultationen (seit platz befassen, und zwar vorerst v.a. aus mo- den 1980er-Jahren, v.a. Drew & Heritage 1992, Sa- nolingualer Perspektive, werden im englischen und rangi & Roberts 1999), 2. Analysen komplexer Ar- französischen Sprachraum mit Referenzwerken wie beitssituationen in den workplace studies (seit Talk at work (Drew & Heritage 1992), Talks, work Ende der 1980er-Jahre, v.a. Suchman 1987, 1996, and institutional order (Sarangi & Roberts 1999), Goodwin & Goodwin 1996, Heath & Luff 2000, Langage et travail (Borzeix & Fraenkel 2001) und Mondada 2003 u.a.) und 3. ethnomethodological Handbook of communication in organisations and studies of work (ab den 1990er-Jahren, v.a. But- professions (Candlin & Sarangi 2011) in Zusam- ton 1993, Button & Sharrock 1998 u.a.).
8 9 Kapitel 1 Kapitel 1 Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets Studien aus dem französischsprachigen Raum, die 2005). Dabei werden auch Zusammenhänge zwi- deutlicht in ihrer ethnografischen Forschung in ei- thentifizierung von Nischenprodukten) (vgl. mehr sich mit language at work befassen (anfänglich schen diskursiven Kompetenzen und beruflichen ner Computerkomponentenfabrik in Silicon Valley, dazu in Kap. 2.3). ebenfalls in primär monolingualen Settings), beru- Fertigkeiten untersucht (Bulea & Bronckhart 2006, dass neue Organisationsformen und technologi- fen sich auf konversationsanalytische, ethnome- Bulea 2011) (vgl. dazu Kap. 4.2). sche Anforderungen neue (schriftliche) sprachli- thodologische, soziolinguistische und mikroso- Mehrsprachige Arbeitskontexte rücken ab che Fertigkeiten erfordern, sowohl für die Pro- 1.2 ziologische Theorien und lassen sich mit Filliettaz & den 1990er-Jahren in den Fokus. Studien, die sich duktion als auch für die Ausbildung, und dass die- Wirtschaftslinguistische, sprachpo- De Saint-Georges (2009) in fünf Gruppen auftei- explizit mit der Erforschung von mehrsprachigen se neuen Anforderungen auch Assessments mit litische und sprachökonomische len. Eine Gruppe analysiert (analog zu den anglo- Kontexten in der Arbeitswelt befassen, lassen sich sich bringen, welche niedrigqualifizierte und/oder Perspektiven fonen workplace studies) die Koordination und mit Roberts (2007) in eine pragmatische, eine in- fremdsprachige Arbeiter als weniger kompetent er- Kooperation in komplexen kollektiven Aktivitäten, teraktionale soziolinguistische und eine linguis- scheinen lassen können, als sie effektiv bei der Im Vergleich zu den vorangehend erwähnten For- z.B. in Operationssälen, industriellen Produktions- tisch-ethnografische Tradition einordnen. Prag- Arbeitsausübung sind, sodass ihre Beförderung be- schungsrichtungen befassen sich die Wirt- stätten etc. (Miecznikowski & Mondada 2001, matische Studien analysieren Sprechakte, z.B. in hindert werden kann (Hull 1996, 1997, Katz 2000). schafts- bzw. Betriebslinguistik und die Unter- Mondada 2001, 2004a, 2005b, Filliettaz 2004, Lingua-franca-Settings in Fabrikhallen oder in Das Programm der kritischen Soziolinguistik nehmenskommunikationsforschung bzw. Business- 2005a, 2008, Dumazeau 2008 etc.). Andere wie- Arbeitssitzungen, u.a. von Europäern und Asiaten schliesslich kombiniert Ansätze der interaktiona- Communication-Forschung stärker auch mit derum interessieren sich für Verhandlungen, Dis- (z.B. Day 1992, Willing 1992, 1997, Clyne 1994), len Soziolinguistik, der Ethnografie und der Kriti- betriebswirtschaftlichen Fragen zu Sprache am kursstrategien und Entscheidungsprozesse, z.B. oder das facework an mehrsprachigen Arbeitsplät- schen Analysen bei der Erforschung von sprach Arbeitsplatz, anfänglich ebenfalls v.a. aus mono- in der öffentlichen Verwaltung oder in Shops zen in Neuseeland (Newton 2004). Im Gegensatz lichen Praktiken in ihren historischen und sozialen lingualer Perspektive. Für den deutschen Sprach- (Grosjean & Mondada 2004, Levy-Tadjine 2010, De- zu pragmatisch orientierten Studien, die haupt- Kontexten (Heller 2001, 2002, Duchêne, Moyer & raum erwähnt seien z.B. die Werke Unternehmens mazière & Glady 2011, Glady 2011, De Saint-Geor- sächlich auf Tonaufnahmen und Sprechaktanaly- Roberts 2013 etc.). Arbeit als sozialer und inter- kommunikation (Bungarten 1994), Wirtschafts ges 2011 etc.). Eine dritte Gruppe befasst sich mit sen beruhen, beziehen interaktionale soziolin- aktionaler Prozess wird nicht nur als Ort der Wis- kommunikation (Brünner 2000), Kommunikation in der Analyse von persönlichen Beziehungen, Iden- guistische Studien auch ethnografische Beobach- sensproduktion und (Re-)Produktion der sozialen Betrieben (Kleinberger Günther 2003) oder Orga titäten und/oder Höflichkeitsformen, z.B. im De- tungen mit ein, um die communicative ecology des Ordnung untersucht, sondern auch als (historisch nisationskommunikation (Menz & Müller 2008), für tailhandel, Haushalt etc. (Kerbrat-Orecchioni Arbeitsplatzes (Gumperz 1999) zu erfassen. Die und wirtschaftspolitisch situierter) Ort der un- den englischen Sprachraum insbe sondere The 2001, Traverso 2001, Filliettaz 2002, Boutet 2006, interaktionale Soziolinguistik verbindet die Analy- gleich verteilten Wissensproduktion, wo Macht handbook of business discourse (Bargiela-Chiap- Cooren & Robichaud 2006, Laforest & Vincent se von sozialen Fragen der Ungleichheit, Ethnizität ausübung und soziale Exklusionsprozesse mittels pini 2009, Bargiela-Chiappini et al. 2013). Sprach- 2006, Kerbrat-Orecchioni & Traverso 2008 etc.). und Identität mit der Analyse der interaktionalen Sprache zu beobachten sind (Heller & Boutet politische und sprachökonomische Studien zu Eine weitere Gruppe von Studien analysiert den und sequentiellen Ordnung. Sie konzentriert sich 2006). Studien dieser Strömung analysieren den Sprache und Arbeitswelt befassen sich früh auch Einfluss von komplexen Arbeitssituationen auf die inbesondere auf contextualisation cues (Kontex- Einfluss des ökonomischen Wandels auf die mit Fragen der Mehrsprachigkeit. Hier sei insbe- Organisation der Rede (Grosjean 1993, Boutet tualisierungshinweise) und damit zusammenhän- sprachlichen Aktivitäten in der Arbeitswelt bzw. in sondere auf Le Traitement des langues dans les 2001, 2005, Condamines & Vergely 2005 etc.). Eine gende mögliche Missverständnisse und negative einer zunehmend wissens- und dienstleistungsba- entreprises (Truchot & Huck 2009), auf Kapitel aus letzte Gruppe umfasst Studien zum Schreiben am soziale Evaluationen in sprachlich diversen Ar- sierten Wirtschaft. Mit dem radikalen Wandel der Language policy (Spolsky 2004) und Language Arbeitsplatz (Fraenkel 2001, Pène 2001, Veyrac beitssettings, wo die dominierende Unternehmens- Arbeit, der new work order (Gee, Hull & Lankshear management (Spolsky 2009) sowie auf The eco 2001, Clerc & Kavanagh 2006 etc.). sprache eingefordert wird (insbes. Gumperz 1996), die von neuen Technologien und Arbeitsor- nomics of the multilingual workplace (Grin, Sfred- Nebst Studien zu Sprache als zentrale Di- 1982a/b, 1992a/b, 1996, 2003, Roberts, Davies & ganisationsformen sowie einer zunehmenden In- do & Vaillancourt 2010) verwiesen. mension der Arbeit, die authentische und in situ Jupp 1992, Holmes 2000) (vgl. dazu auch Kap. ternationalisierung geprägt ist, werden sprachli- Die Wirtschaftslinguistik untersucht den be- produzierte sprachliche Daten analysieren, verwei- 3.1). Arbeiten in der Tradition der linguistischen che und kommunikative Kompetenzen unerlässlich, ruflichen Alltag auf dem Schnittpunkt zwischen sen Filliettaz & De Saint-Georges (2009) auch auf Ethnografie erforschen die soziale Interaktion und nicht nur im Dienstleistungssektor, sondern auch Linguistik und Wirtschaft. Arbeiten dieser Rich- Studien zu language about work, d.h. zu individu- Kommunikation in Arbeitskontexten mit ethnogra- in Produktionsstätten. Zunehmend wird die main tung analysieren die Eigenheiten der (internen und ellen und kollektiven Repräsentationen von Arbeit, fischen und mikroethnografischen Methoden (z.B. d’oeuvre zur parole d’oeuvre (Duchêne 2009a/b) externen) Unternehmens- und Organisationskom- die sich primär auf Interviewdaten stützen und ei- Erickson & Shultz 1982, Green & Bloome 1997). Die bzw. die workforce zur wordforce (Heller 2010b). munikation (Bungarten 1994, 1997, Menz & Müller nen selbstreflexiven Blick fördern (Plazaola Giger & in der Fachliteratur oft erwähnte ethnografische Sprachliche Kompetenzen werden zu arbeitsmarkt 2008 etc.). Die in Deutschland verankerte For- Stroumza 2007). Oft werden Daten zu language at Studie von Goldstein (1997) zeigt auf, dass nicht relevanten Fähigkeiten in einer spätkapitalisti- schungstradition der Wirtschaftslinguistik (auch: und about work kombiniert analysiert, so z.B. in nur praktische, sondern auch symbolische Fakto- schen Gesellschaft, die den Arbeiter als bundle of Wirtschaftsgermanistik) geht auf die frühen Jahr- Studien der Genfer Forschungsgruppe Langage, ren die Sprachwahl (von portugiesischen Fabrikar- skills konzipiert (Urciuoli 2008, Urciuoli & LaDousa zehnte des 20. Jahrhunderts zurück, wo sie sich Action, Formation (LAF) zur Rolle der Sprache bei beiterinnen in Ontario) beeinflussen und dass 2013). Die sprachlichen Anforderungen oszillieren in den Dienst der Unternehmen stellte, indem sie der Erfüllung und der Interpretation der Arbeit in Englischfördermassnahmen nicht automatisch zu dabei zwischen Standardisierung (zwecks Kontrol- z.B. Übersetzungs- und Terminologiefragen unter- Arbeitssettings wie Pflege, Phar maindustrie oder verbesserten Jobchancen führen (vgl. mehr dazu le und grösserer Reichweite) und Variabilität suchte, um die handelssprachliche Ausbildung zu Schule (Bronckart et al. 2004, Filliettaz & Bronckart in Kap. 4.1). Hull (1996, 1997, 1999) ihrerseits ver- (zwecks flexibler Anpassung an Kunden und Au- verbessern. Nach dem Zweiten Weltkrieg und unter
10 11 Kapitel 1 Kapitel 1 Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets dem Einfluss des Strukturalismus wuchs das Inte- Konstruktionen nicht mit der externen Umgebung, welt leisten sprachpolitische Studien. Sie befassen Rasmussen & Piekkari 2006, Piekkari 2009, Angouri resse für die Besonderheiten von sprachlichen d.h. den materiellen agronomischen Sachzwängen sich mit der Sprachpolicy und dem Sprachmanage- 2013), was auch eine flexible Anpassung an Systemen und Subsystemen in Unternehmen und übereinstimmten (Cyr 2005). Interaktionale ma- ment in öffentlichen und privaten Institutionen und rasch wechselnde Sprachbedürfnisse erlaube rückte die Fachsprachen- und Fachtextforschung nagementwissenschaftliche Studien analysieren Unternehmen, die vor allem Regelungen und Vor- (Angouri & Miglbauer 2014, Mahili 2014) (vgl. mehr ins Zentrum der Wirtschaftslinguistik (Müller Arbeitssitzungen als kollektive diskursive Konst- gaben bezüglich Sprachverwendung, Übersetzun- dazu in Kap. 5.2). 2006: 10–19). Gemäss Kleinberger Günther (2003, ruktionsleistungen, die auch auf mikrolinguisti- gen, Sprachkompetenzen, sprachliche Aus- und Staatliche sprachpolitische Vorschriften ge- 2004) zeichnet sich die Wirtschaftslinguistik auch scher Ebene die Schaffung einer gemeinsamen Weiterbildung, Personalrekrutierung und -ent- genüber Unternehmen der Privatwirtschaft sind in heute noch durch ein praxis- und unternehmenso- Arbeits- und epistemologischen Grundlage nach- wicklung betreffen. In der englischsprachigen Li- der freien Marktwirtschaft kaum zu finden, gemäss rientiertes Forschungsinteresse aus, das zur Op- vollziehen lassen (André 2006, 2010). Bei der Er- teratur ist die Rede von language policy, language Truchot & Huck (2009) kennen in der Europäischen timierung der betrieblichen Kommunikation und forschung der mündlichen Kommunikation nach policy and planning oder language management, Union nur Frankreich, Belgien, Polen und Sloweni- Informationsvermittlung beitragen will, wobei neu- aussen stehen insbesondere die Interaktionen mit in der französischsprachigen Literatur von amé en solche. Am weitesten gehe die Loi Toubon in erdings auch Fragen der interkulturellen Kommu- Kunden in Dienstleistungsunternehmen im Zentrum nagement linguistique.5 Tendenziell werden staatli- Frankreich, die mit der zunehmenden Globalisie- nikation und Mehrsprachigkeit und insbesondere des Interesses: z.B. die Beziehungsarbeit und fa- che Vorgaben eher unter dem Begriff „Sprachpolitik“, rung der Wirtschaft und wachsenden Anzahl von auch von Englisch als Lingua franca aufgegriffen tische Kommunikation in Quartierläden in Quito/ unternehmerische Regulierungen eher unter dem internationalen Fusionen auf die Schwächung des werden. Seit der „linguistischen Wende“ auch in Equador (Placencia 2004) oder d ie (potenziell kon- Begriff „Sprachmanagement“ zusammengefasst Französischen in der Wirtschaft reagierte und seit den Wirtschaftswissenschaften werden die kom- fliktträchtigen) Interaktionen zwischen Kunden (ein Definitionsversuch findet sich z.B. bei Lüdi, 1994 vorschreibt, dass „tout document compor- munikativen Kompetenzen von Angestellten auch und Angestellten mit unterschiedlichen sprach Höchle Meier & Yanaprasart 2013: 60). Im Gegen- tant des dispositions nécessaires au salarié pour als Produktionsfaktor wahrgenommen (Menz & lichen Ressourcen in einem halbstaatlichen satz zum Bereich Schule ist der Bereich Wirtschaft l’exécution de son travail“ auf Französisch vorlie- Müller 2008). Und mit der Rezeption der interakti- Wasserversorgungsunternehmen in Galizien (Pre- relativ spät in den Fokus sprachpolitischer For- gen müsse (Truchot & Huck 2009: 13). Spolsky onalen Soziolinguistik in der Wirtschaftslinguistik go-Vázquez 2007). schungsarbeiten gelangt (Spolsky 2007, 2009). (2009: 53, 64) erwähnt als weitere Beispiele staat- nehmen diskursanalytische Forschungen in Unter- Im englischsprachigen Raum werden For- Einflussreich innerhalb der Forschung zu Sprach- licher Vorgaben an die Adresse von Wirtschafts- nehmen zu, z.B. zu Instruktionsdiskursen in der schungen zur Unternehmenskommunikation unter politik und Sprachmanagement in der Arbeitswelt unternehmen China, wo das Topmanagement von betrieblichen Ausbildung (Brünner 1987), zu (mehr- dem Begriff der Business Communication (BC) zu- ist die Language Management Theory (LMT) von Sicherheitsfirmen einen Mandarin-Test ablegen sprachigen) Geschäftsverhandlungen (Ehlich & sammengefasst. Seit dem discursive turn hat sich Jernudd & Neustupný (1987). Diese geht von einer müsse, und Québec, wo es zahlreiche staatliche Wagner 1995) oder zur Ethnografie der Unterneh- auch innerhalb der BC-Forschung ein Interesse an dialektischen Beziehung zwischen der Identifika- Vorgaben für Geschäftsinhaber gebe. Explizit ge- menskommunikation in einem multinationalen deut- der (kritischen) Diskursanalyse entwickelt und tion von Sprachproblemen auf der Mikroebene und gen eine zu starke sprachpolitische Regulierung schen Automobilzulieferer-Konzern (Müller 2006). werden auch die in Arbeitssettings diskursiv und der Initiierung von sprachplanerischen Massnah- von Unternehmen (angesichts der als zu ambitiös Aufgrund des eher schwierigen Datenzu- interaktional (re-)produzierten Macht- und Un- men auf der Makroebene aus (Nekvapil & Nekula bezeichneten Loi Toubon in Frankreich) und für den gangs gibt es aber erst seit relativ Kurzem empiri- gleichheitsverhältnisse analysiert. In The hand 2006). Dabei kann es sowohl zu einem simple Verbleib im sprachpolitisch „toten Winkel“ und für sche Studien zur betrieblichen Kommunikation book of business discourse (Bargiela-Chiappini management bzw. einem discourse-based manage eine „responsabilité sociolinguistique de l’entre- (Behr et al. 2010). In wirtschaftslinguistischen 2009, Bargiela-Chiappini et al. 2013) finden sich ment auf der Ebene individueller Sprecher als auch prise“ spricht sich z.B. der französische Verwal- Forschungen lässt sich ein besonderes Interesse Übersichtsartikel zur Business-Discourse-For- zu einem organised management bzw. d irected ma tungswissenschaftler Saulière (2013: 275) aus. für Besprechungen und Sitzungen ausmachen. schung in Europa und anderen Kontinenten und nagement auf der Ebene staatlicher und anderer Auf der Ebene der Unternehmen scheint es Studien (in vorwiegend monolingualen Settings) Ländern sowie zu verschiedenen Aspekten, z.B. Institutionen kommen, wobei dies auch mit Fragen ebenfalls nicht viele explizite sprachpolitische Vor- haben beispielsweise die kommunikative Effizienz zum internationalen Management (Piekkari 2009) der Ideologie und der Macht zur Durchsetzung der schriften zu geben. Wiederholt wird darauf ver aus linguistischer Perspektive und basierend auf oder zur interkulturellen Kommunikation (Piller eigenen Interessen zusammenhängt (z.B. Spolsky wiesen, dass Sprache in internationalen Un- ethnografischen Daten erforscht (Dannerer 2005, 2009), in welchen punktuell auch Fragen der mehr- 2004, Nekvapil & Nekula 2006, Shohamy 2006, An- ternehmen lange „the forgotten factor in multina- 2008) oder anhand von mikrostrukturellen Analy- sprachigen Kommunikation thematisiert werden gouri 2013). Neuerdings werden auch ein bewuss- tional management“ (Marschan, Welch & Welch sen von Besprechungen in Unternehmen die wich- (vgl. mehr dazu in Kap. 2.2). Insgesamt wird für die tes non-management und eine strategic ambiguity 1997) g ewesen sei. Auch in der Forschung ist das tige Funktion von Gliederungssignalen bzw. back Management- und Marketingforschung jedoch konstatiert, mittels welcher die Direktion das Sprachmanagement in der Arbeitswelt bis vor eini- channel behavior zwecks Basis-Verständigung festgestellt: „the domain of multilingualism is still Management der sprachlichen Diversität an die gen Jahren kaum beachtet worden. Die finnische aufgezeigt (Lopuchovská & Liedka 2007). Dis- problematically understudied and undertheorised“ Angestellten delegiert (Fredriksson, Barner- Organisations- und Business-Spezialistin (Mar- kursanalytisch orientierte management wis (Jack 2010: 18), was auch zur Forderung nach schan-)Piekkari und ihr Team haben seit Ende der senschaftliche Studien haben die (innerbetrieb- einem multilingual turn in der Management- 1990er-Jahre Pionierarbeit in diesem Bereich 5 | Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem liche) diskursive Konstruktion von Organisationen Ausbildung und -Forschung führte (Cohen, Kas- weiten Feld der Sprachpolitik, in welchem die normati- geleistet. In Human-Resources-Management- analysiert, z.B. anhand der fehlgeschlagenen sis-Henderson & Lecomte 2015). ven Vorgaben in und zuhanden der Arbeitswelt nur ein (HRM) und Business-Communication-Zeitschriften Teilgebiet darstellen, siehe z.B. die in den letzten Jahren Reorganisation eines französischen Agrokonzerns, Einen weiteren wichtigen Beitrag zur Erfor- erschienenen Sammelbände von Ricento (2006, 2015) finden sich seither etliche Studien zu Sprachpolitik dessen neue Führungsriege bzw. deren diskursive schung des Themenbereichs Sprache und Arbeits- und Spolsky (2012). und -management in der Arbeitswelt (Thomas
12 13 Kapitel 1 Kapitel 1 Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets 2008, Van den Born & Peltokorpi 2010). Im Fokus zentriert sich v.a. auf die Migranten in den USA schen der sprachzentrierten und sprachintensi- chen Praktiken und der Spracharbeit in Callcenters des Interesses stehen dabei v.a. die multinational und den Einfluss ihrer E nglischkompetenzen auf ven (Management-)Arbeit, der sprachmarginalen und im Tourismus. Die schwedische Soziolinguistin companies (MNCs). Ein Überblick zum Stand der das Einkommen (v.a. C hiswick & Miller 2007). Ab (Produktions-)Arbeit und der sprachminimalen Ar- Gunnarsson (2013a/b, 2014) schliesslich behan- sprachpolitischen Forschung in MNCs aus Sicht den 1990er-Jahren geraten ökonomische Evalua- beit in rein manuellen (Fliessband-)Tätigkeiten un- delt in ihren Beiträgen v.a. Studien aus Ländern, in der HRM-Spezialisten findet sich in Piekkari et al. tionen (Kosten-Nutzen-Analysen) sprachpoliti- terscheidet. Diese Typen der Sprachverwendung welchen Englisch als Hauptsprache verwendet (2005). In diesen Studien werden multinationale scher Massnahmen (insbesondere Schutz- und bringt er in Zusammenhang mit den verschiedenen wird, wobei Aspekte wie Jobzugang, Sprachtests Unternehmen als mehrsprachige Organisationen Fördermassnahmen von Minderheitensprachen so- Hierarchien und Machtpositionen, welche die Aus- und sprachliche Stilisierung im Vordergrund ste- oder mehrsprachige Gemeinschaften konzeptuali- wie Fremdsprachenunterricht) in den Fokus von übung von Kontrolle über die Produktion und die hen, sowie Studien aus Europa, insbesondere siert (Luo & Shenkar 2006), in welchen Sprache als sprachökonomischen Studien (Grin 2010a). Seither Arbeiter bestimmen. Die britische Soziolinguistin zu mehrsprachigen Arbeitskontexten in Skandi Barriere (Feely & Harzing 2003), Ressource (Mar- hat sich die publizierte sprachökonomische Lite- Roberts (2007) konzentriert sich auf die unter- navien. Darüber hinaus legt sie ein Modell vor, schan-Piekkari, Welch & Welch 1999b, Holden ratur vervielfacht (Grin 2014) (vgl. mehr dazu in durchschnittlich erforschte Mehrsprachigkeit in welches das dynamische Zusammenspiel zwischen 2002, Barner-Rasmussen 2003) oder Quelle der Kap. 5.3). shop floors (Produktions- und Werkstätten, Fa Arbeitsplatzdiskursen und ihren verschiedenen Macht (Marschan-Piekkari, Welch & Welch 1999a) brikhallen) und auf die diskursbasierten soziolingu- kontextuellen (geografischen, gesellschaftlichen, operieren könne. Im Fokus vieler soziolinguisti- istischen Studien zur Interaktion am Arbeitsplatz situativ-kommunikativen) Rahmenbedingungen scher Studien zum Sprachmanagement in Unter- 1.3 seit den 1980er-Jahren. Dabei macht sie, wie veranschaulicht (Gunnarsson 2009, 2013b, 2014). nehmen steht der Vergleich zwischen Policy und Steigender Orientierungsbedarf in in Kapitel 1.1 ausgeführt, drei dominierende Alle diese Übersichtsartikel rücken entweder Praxis, wobei zahlreiche Studien zum Schluss kom- einem weiten Feld theoretisch-methodologische Orientierungen aus: eher die mehrsprachigen (aber hauptsächlich eng- men, dass es ein Spannungsverhältnis zwischen Pragmatik, interaktionale Soziolinguistik und lin- lischsprachigen) internationalen Unternehmen der offiziellen betrieblichen Policy und den beob- Seit Anfang des 21. Jahrhunderts hat die Literatur guistische Ethnografie. Der Soziolinguist Li (2007) (Gunnarsson 2013a/b, 2014) und globalen Han- achteten sprachlichen Praktiken gebe (vgl. mehr zur Mehrsprachigkeit in der Arbeitswelt insgesamt vertieft in seinem Übersichtsartikel die sprachli- dels- und Werbestrategien (Li 2007) oder aber die dazu in Kap. 5.1). stark zugenommen. Davon zeugen nicht nur die in chen Aspekte, die der weltweite Handel im Zeital- (mehrsprachigen) Immigranten in anglofonen Län- Als letzte wichtige Strömung innerhalb der den letzten Jahren publizierten Übersichtsartikel ter der Globalisierung und der kapitalistischen dern und deren Konfrontation mit sprachlichen Ex- Forschung zu Sprache in der Arbeitswelt sei hier (z.B. McAll 2003, Roberts 2007, Li 2007, Hewitt Massen- und Konsumkultur mit sich bringt: ins klusionsprozessen (McAll 2003, Roberts 2007, die Sprachökonomie erwähnt. Die seit den 1960er- 2012, Urciuoli & La Dousa 2013, Gunnarsson besondere die Kosten sowie den Mehrwert der Hewitt 2012) ins Zentrum oder aber die mit der Jahren aufgekommene, interdisziplinär orientierte 2013a/b, 2014, Hua 2014) und kommentierten Mehrsprachigkeit, die steigenden sprachlichen Ausbreitung des kapitalistischen Wirtschaftsmo- Sprachökonomie befasst sich mit dem gegenseiti- Bibliografien (z.B. Latour 2014), sondern auch Anforderungen in globalen Unternehmen, die Aus- dells und der neoliberalen Wirtschaftsordnung gen Einfluss von ökonomischen und linguistischen europäische Forschungsprojekte (z.B. Studien von breitung des Englischen und die sprachlichen einhergehende Kommodifizierung von Sprache und Variablen, ausgehend vom Paradigma und den Kon- DYLAN und LINEE), Spezialnummern von Zeit- Eigenheiten von globalen Markennamen und Wer- Spracharbeit (Urciuoli & LaDousa 2013). Daraus zepten der ökonomischen Theorie (Grin 1994a, schriften sowie Sammelbände zum Thema (z.B. bung. Der britische Soziologe Hewitt (2012) kon- ergeben sich auch Unterschiede bezüglich der fo- 1996, 2003b, 2006, 2010, 2014, Grin, Sfreddo & Cigada, Gilardoni & Matthey 2001, Kameyama & zentriert sich v.a. auf sprachsoziologische und kussierten Sozialschichten und Sektoren: Einige Vaillancourt 2010). Sie versucht zu sprachpoliti- Meyer 2007, Truchot & Huck 2009, Kelly-Holmes & soziolinguistische A rbeiten aus Australien und Ka- Autoren konzentrieren sich in erster Linie auf Stu- schen Entscheidungsfindungen beizutragen, Mautner 2010, Lüdi 2010, 2012, Meyer & Apfel- nada und verweist auf die in vielen Studien dien zu shop-floor- und Dienstleistungsarbeiten, indem sie sprachbezogene politische Optionen for- baum 2010, Studer & Werlen 2012, Berthoud, fokussierten „high-end technical, and business wo viele Migranten tätig sind (Roberts 2007), an- muliert, auswertet und vergleicht und wissen- Grin & Lüdi 2013, Duchêne, Moyer & Roberts 2013, workplace contexts“ (Hewitt 2012: 275), in wel- dere eher auf Studien zu High-tech Jobs und zu schaftliche Grundlagen zur Ermittlung einer Sherman & Strubell 2013, Angouri 2014, Duchêne & chen primär Englisch als Lingua franca verwendet international operierenden Unternehmen und Ma- möglichst effizienten Ressourcenzuteilung und an- Daveluy 2015). werde und damit eine vom Bürgertum erlernte nagern (Gunnarsson 2013a, 2014). gemessenen Ressourcendistribution erarbeitet Die im Folgenden (in chronologischer Rei- sprachliche Ressource. Die amerikanischen Anth- Die in den Übersichtsartikeln präsentierten (Grin 2003, 2005). henfolge) präsentierten soziolinguistischen Über- ropologinnen Urciuoli & LaDousa (2013) befassen Studien stammen aus verschiedenen Staaten und Ihre Anfänge hat die Sprachökonomie in Ka- sichtsartikel decken ein breites Spektrum sich in ihrer Übersicht weniger mit konkreten Kontinenten, wobei die Studien aus anglofonen nada, v.a. Québec, wo mit statistischen Analysen verschiedener Schwerpunkte und Perspektiven mehrsprachigen Arbeitsplätzen und -interaktio- Ländern mit starker Arbeitsimmigration überwie- Einkommensdifferenzen zwischen Anglofonen und ab, welche unterschiedliche Hierarchiestufen, nen, sondern aus kritischer Perspektive mit dem gen. Die meisten ordnen die präsentierten Studien Frankofonen, selbst bei vergleichbarer Ausbildung Sprachräume, theoretische und epistemologische Einfluss der neo-liberalen Wirtschaftsordnung auf nach geografischer Herkunft, was aufgrund der und Erfahrung, ermittelt wurden (v.a. V aillancourt Ansätze betreffen.6 Der kanadische Sprachsozio- die Rolle von Sprache in der Arbeitswelt, insbe- unterschiedlichen sprachlichen und politischen 1996). Diese Pionierarbeiten inspirierten zahlrei- loge McAll (2003) legt einen der wenigen Typolo- sondere mit der Kommodifizierung von sprachli- Kontexte und Herausforderungen naheliegend che weitere Studien zur ökonomischen Dimension gisierungsversuche vor und konstruiert anhand scheint. Roberts (2007) ihrerseits gruppiert die sprachlicher Diskriminierungen (Grin 2010a). von Fallbeispielen aus der Raumfahrt-, Pharma- vorhandene Literatur aufgrund ihrer theoretisch- 6 | Weitere Übersichtsliteratur, z.B. aus management- Nebst dieser kanadischen gibt es eine US-ameri- und Kleiderindustrie in Québec eine Typologie der wissenschaftlicher oder politologischer Perspektive, wird methodologischen Ausrichtung in pagmatische, in- kanische Tradition der Sprachökonomie. Diese kon- Sprachverwendung in Arbeitsprozessen, die zwi- in den entsprechenden Unterkapiteln erwähnt. teraktionale soziolinguistische und linguis-
14 15 Kapitel 1 Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets 1 Sprache und Arbeit: Eckpunkte eines interdisziplinären Forschungsgebiets tisch-ethnografische Studien. Andere wiederum strukturieren ihren Artikel aufgrund der mit der Entwicklung neuer Technologien, Wirtschaftsord- nungen und Ideologien aufkommenden sprachlich 1.4 relevanten Arbeitsformen und -bereiche, wobei Zusammenfassung insbesondere die (internationale) Spracharbeit in Callcenters, in der Werbung, im Internet und im Das Thema Sprache und Arbeitswelt wird in ver- deninteraktionen sowie die Position des Engli- Tourismus im Zentrum steht (Li 2007, Urciuoli & schiedenen Disziplinen und oft interdisziplinär er- schen in der Wirtschaftskommunikation. LaDousa 2013). Einige Autoren bemühen sich, die forscht. Bis in die 1990er-Jahre wird der Mehr- Sprachpolitische Studien analysieren v.a. die referierte Literatur bezüglich ihrer kritischen oder sprachigkeit jedoch kaum Aufmerksamkeit ge- unternehmerischen language-management-Stra- weniger kritischen Positionen (Roberts 2007) zu schenkt. Dieses erste Kapitel hat die Funktion, ei- tegien, wobei ein besonderes Interesse an multi- charakterisieren oder z wischen Studien zu unter- nen einleitenden Überblick über die wichtigsten nationalen Grossunternehmen auszumachen ist. scheiden, die von reibungslosem mehrsprachigem Disziplinen und Ansätze in diesem weiten For- Die heute stark wachsende Anzahl sprach-ökono- Arbeiten berichten und solchen, die auch Pro- schungsfeld zu geben, welche in den folgenden mischer Studien schliesslich analysieren den bleme aufdecken (Gunnarsson 2013a, 2014). Und Kapiteln noch ausführlicher dargestellt werden. gegenseitigen Einfluss von ökonomischen und schliesslich verweisen die meisten Autoren auf den Innerhalb der Sprachwissenschaften befassen linguistischen Variablen. Dabei legen sie ein be- schwierigen Feldzugang, den noch grossen For- sich vor allem die Interaktionsanalyse, Pragmatik sonderes Augenmerk auf ökonomische Dimen schungsbedarf und den noch geringen Theoreti- und kritische Soziolinguistik mit Sprache und sionen sprachlicher Diskriminierungen und auf sierungsstand bezüglich Mehrsprachigkeit und Mehrsprachigkeit in der Arbeitswelt. Konversati- Kosten-Nutzen-Analysen von sprachpolitischen Arbeitswelt. onsanalytische Studien untersuchen die zuneh- Massnahmen. mend komplexen und multimodalen sprachlichen Interaktionen und Organisationsprozesse am Ar- beitsplatz aus mikrostruktureller Perspektive, wo- bei lange primär monolinguale Situationen im Zen- trum standen. Interaktionale soziolinguistische Studien betonen die Bedeutung von ethnografi- scher Forschung in der Arbeitswelt, und zwar nicht nur auf der Teppichetage, sondern auch in Pro- duktionsstätten. Sie verbinden die Analyse von Fragen der sozialen Ungleichheit mit interaktions- orientierten Analysen und fokussieren sprachliche Missverständnisse und damit zusammenhängende negative soziale Evaluationen. Kritische soziolin- guistische Studien erforschen sprachliche Prakti- ken in der Arbeitswelt in ihren historischen und sozialen Kontexten und analysieren Arbeit als Ort der meist ungleich verteilten Ressourcen, wo Machtausübung und soziale Exklusionsprozesse mittels Sprache erfolgen. Auf dem Schnittpunkt zwischen Linguistik und Wirtschaft erforschen die Wirtschaftslinguis- tik und die Business-Communication-Forschung die Sprache und Mehrsprachigkeit in der Arbeits- welt, v.a. in der internationalen Geschäftswelt. Sie zeichnen sich tendenziell durch ein praxis- und unternehmensorientiertes Forschungsinteresse aus. Im Fokus etlicher Studien stehen die kommu- nikative Effizienz von Besprechungen, von Kun-
16 17 2 Mehrsprachigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt Kapitel 2 Mehrsprachigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt Der Wandel der Arbeitswelt seit dem 19. Jahrhun- war, dass Sprechen als der Arbeit abträglich, als tigkeiten von Bedeutung. La part langagière du Hintergrund, Französisch wird nicht mehr nur als dert hat grosse Auswirkungen auf die Rolle von Zeitverlust, Schwatzerei oder Spielerei betrachtet travail (Boutet 2001), definiert als „the implemen- politisches „Recht“, sondern v.a. auch als wirt- Sprache im Arbeitsprozess, die in diesem Kapitel wurde. Verbale Aktivitäten wurden als unproduktiv tation of the linguistic competencies needed to do schaftlicher „Mehrwert“ postuliert, bei gleichzeitig im Zentrum stehen. Zuerst gehen wir auf For- und moralisch schlecht konzipiert (Boutet 2008, a job“ (Boutet 2012: 208), ist heute ein wichtiger fortbestehender Bemühung um soziale Reproduk- schungen ein, die sich dem soziohistorischen 2012). In der wissenschaftlichen Rationalisie - Teil der Arbeit geworden. Mit der steigenden Be- tion der frankofonen Gemeinschaft (Heller & Labrie Wandel der Arbeit und des Stellenwertes von rung der Arbeitsorganisation nach Taylor (1911) deutung der schriftsprachlichen Fertigkeiten am 2003, Da Silva & Heller 2009, Heller 2011a/b, Sprache aus der Perspektive der Arbeiter widmen. wird diese Konzeption aufgenommen und werden Arbeitsplatz (z.B. Moatty 2000, Rouard 2000, 2013). Anschliessend stehen die Geschäftswelt und die Sprachaktivitäten in Fabriken als Störung und po- Fraenkel 2001, Equoy Hutin 2009) wird das Prob- Managementperspektive im Fokus, die v.a. in tenzielle Verlangsamung der Produktivität aufge- lem des Analphabetismus „entdeckt“, da ein Teil der Management- und Business-Communication- fasst. Dieses auch aufgrund struktureller Mass- der Arbeiter nicht über die in den neuen Produkti- 2.2 Literatur erforscht werden. Dabei konzentrieren nahmen bestärkte Schweigen am Arbeitsplatz onsverhältnissen gefragten schriftlichen Kompe- Internationalisierung und Sprache wir uns auf Studien, die sich mit den Folgen der In- (Lärm, Akkordarbeit, nebeneinander stehen und tenzen verfügt. Ab den 1980er-Jahren sind ternationalisierung der Businesswelt befassen, sich nicht anschauen können etc.) charakterisiert deshalb – v.a. wirtschaftlich und weniger humani- Mit der zunehmenden ökonomischen Internationa- v.a. mit Fragen zur interkulturellen Kommunikation bis heute einen Teil der Arbeitsplätze: Montgo- tär motivierte – Alphabetisierungskampagnen ins lisierung ab den 1990er-Jahren kommt es v ermehrt und zur Lingua franca Englisch. Im letzten Unter- mery (1993 gem. McAll 2003: 247) z.B. hat in einer Leben gerufen worden, die sich v.a. an eingewan- zu grenzüberschreitenden Firmenkontakten, -fu- kapitel stehen Studien zur Globalisierung der Ar- Kleiderfabrik in Montréal, wo v.a. Immigranten an- derte Arbeiter richteten (Boutet 2001: 36f.) (vgl. sionen und -übernahmen. Parallel dazu unterstüt- beitswelt im Spätkapitalismus im Zentrum, die auf gestellt waren, beobachtet, dass quasi nur in den dazu auch Kap. 4.1). zen neue, mobile Kommunikationstechnologien, die zunehmende Bedeutung von Sprachkompeten- Pausen gesprochen wurde. Gemäss einer Umfrage Insbesondere im wachsenden dritten Wirt- insbesondere das Internet, die internationale zen im stark wachsenden Tertiärsektor eingehen der Direction des recherches du ministère du tra- schaftssektor nimmt die Spracharbeit einen wich- Kommunikation (Evans 2013, Kankaanranta & Lou- und Phänomene wie Spracharbeit und Kommodifi- vail (DARES) von 1992 arbeiteten 27% der franzö- tigen Stellenwert ein, v.a. im heute florierenden hiala-Salminen 2013). Gleichzeitig wächst auch zierung von Sprache analysieren. sischen Arbeiter unter Bedingungen, in welchen Bereich des Telemarketings bzw. der Callcenters, das Interesse der Unternehmenskommunikations- sie nicht sprechen können (Boutet 2005: 14). Die wo eigentliche travailleurs du langage arbeiten bzw. Business-Communication- und Management- dort sich entwickelnden sprachlichen Praktiken (Boutet 2001, 2008, Heller & Boutet 2006, Duchêne Forschung an den steigenden (mündlichen und 2.1 und Sprachspiele (von Arbeitssoziologen auch als 2009b, Heller 2010a etc.) (vgl. mehr dazu in Kap. schriftlichen) Kontakten zwischen Berufs- und Soziohistorischer Wandel und langages d’ateliers bezeichnet), z.B. Witze, ritu- 6.2.1). Aber auch in anderen Bereichen der Dienst- Geschäftsleuten verschiedener Nationalitäten und Sprache elle Beschimpfungen, Obszönitäten etc., sind leistungsarbeit nehmen immaterielle, relationale Sprachen. Das Interesse gilt vorerst vor allem Fra- ebenfalls Gegenstand der Forschung geworden und emotionale Dimensionen, in welchen immer gen der Kommunikation und Verständigung und Der Zusammenhang zwischen den sich verändern- (Verret 1996 gem. Boutet 2001: 33, für den eng auch eine sprachliche Dimension mitspielt, einen weniger der Mehrsprachigkeit. Arbeiten zur inter- den Produktionsweisen, Arbeitsorganisationsfor- lischen Sprachraum bzw. Neuseeland vgl. z.B. hohen Stellenwert ein (Borzeix, Girin & Grosjean kulturellen Kommunikation sowie zu Englisch als men und Technologien und dem sich verändernden Holmes & Marra 2002 sowie Daly et al. 2004 und 1991, Borzeix & Fraenkel 2001, Boutet 2005). Lingua franca dominieren das Feld. Angesichts der Stellenwert von Sprache im Arbeitsprozess ist erst für Schweden z.B. Nelson 2014, vgl. dazu auch Mit dem Wandel der Arbeitswelt aufgrund von umfangreichen Literatur kann hier nur ein rudi- seit wenigen Jahren Gegenstand von interdiszip- Lønsmann & Kraft 2016). Industrialisierung, Modernisierung und Globalisie- mentärer Einblick gegeben werden, der primär auf linären linguistischen Forschungsarbeiten. Pio- Parallel dazu hat sich seit den 1970er-Jah- rung verändert sich auch die Stellung der Minder- europäischen Studien basiert. Zahlreiche Arbeiten nierarbeit in diesem Bereich leisteten die im inter- ren allmählich die Idee durchgesetzt, dass Spre- heitensprachgruppen. Insbesondere am Beispiel stammen aus Skandinavien und Holland, nicht zu- disziplinären Netzwerk Réseau Langage et Travail chen nicht nur Schwatzen, sondern auch eine der frankofonen Minderheit in Kanada ist analy- letzt auch aufgrund der starken institutionellen zusammengeschlossenen französischen Forschen- ökonomische Ressource darstellt und dass Spra- siert worden, wie sprachliche und kulturelle Kate- Verankerung der internationalen und interkultu- den (Boutet 1995, Borzeix & Fraenkel 2001 etc.). che und Kommunikation auch Produktivitätsfakto- gorien mit den sich wandelnden ökonomischen rellen Business-Communication-Forschung an Weit über Frankreich hinaus zur Kenntnis genom- ren sein können (Zarifian 1990, 1996 und Veltz & Verhältnissen zusammenhängen (Heller 1999, dortigen Hochschulen (z.B. Helsinki School of men worden sind insbesondere die Studien der So- Zarifian 1994 gem. Boutet 2001: 22, 2005: 14f.). 2011a/b, 2013, Heller & Labrie 2003 etc.): Bis lan- Economics bzw. Aalto University / School of Busi- ziolinguistin Boutet (1995, 2001, 2005, 2008, Heute haben neue Produktionsweisen, Automati- ge nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Franko- ness, Aarhus School of Business und Radboud 2012 etc.). Sie hat den grundlegenden Wandel des sierung, Roboterisierung und Informatisierung fonen im Primärsektor und unter den Arbeitern University Nijmegen). Stellenwertes von Sprache in der Arbeitswelt aus- auch neue Methoden der Personalführung (mit im Industriesektor übervertreten. Die ab den gehend von Verhaltensreglementen aus französi- partizipativem Management, mehr Verantwortung 1960er-Jahren zu beobachtende nationalistische schen Ateliers bzw. Werkstätten (les règlements und Selbstkontrolle sowie halbautonomen Arbeits- Mobilisierung der frankofonen Elite in Québec d’ateliers) des 19. Jahrhunderts aufgezeigt. Die gruppen) hervorgebracht, die der Sprache an der verhalf ihr zu politischer Autonomie und wirt- Analyse dieser Dokumente verdeutlicht, dass das Arbeit einen neuen Status verleihen. schaftlichem Aufstieg. Dieser politische Moderni- Reden (ebenso wie das Pfeifen und Singen) der Nicht nur mündliche, sondern auch schriftli- sierungsdiskurs rückt mit der zunehmenden Arbeiter Vorschriften und Verboten unterstellt che Kompetenzen sind seither in allen Erwerbstä- Globalisierung ab den 1990er-Jahren etwas in den
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