"Meine Geduld ist am Ende" - Ruth Metzler-Arnold

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"Meine Geduld ist am Ende" - Ruth Metzler-Arnold
Ruth Metzler, 56, kennt
                                                                                                                                sämtliche Sprossen der
                                                                                                                                Karriereleiter. Im

          «Meine Geduld
                                                                                                                                ­«Bücherladen» in
                                                                                                                                 ­Appenzell AI stöbert sie
                                                                                                                                  nach Frauenliteratur.

          ist am Ende»
Lange war sie gegen eine Frauenquote. Doch heute ist für
alt Bundesrätin Ruth Metzler klar: «Es muss endlich vorwärts­
gehen.» Wie sie Frauen in die Teppichetage bringen will und
wie ihr Mueti Job und Familie damals vereinbarte.

                              T E X T M I C H E L L E S C H W A R Z E N B A C H F O T O S FA B I E N N E B Ü H L E R

          Seit dem abrupten Ende ihrer Bundesratskarriere                 Ruth Metzler, was war Ihr Lieblingsbuch
          2003 ist es ruhig geworden um Ruth Metzler, 56.                 als Mädchen?
          Die ehemalige Justizministerin der CVP gibt selten              Ich habe die Bücher von Federica de Cesco ver-
          Interviews. Wenn, dann äussert sie sich nur zu                  schlungen. Ihre Geschichten von fremden Kul­
          ­ihrem beruflichen Engagement – sie ist Mitglied                turen und starken Frauen eröffneten mir eine
           von verschiedenen Verwaltungs- und Stiftungs-                  neue Welt. Und oft kamen Pferde darin vor. Ich
           räten. Privates hält sie unter Verschluss. Von ihrer           bin gern geritten und hatte während mehrerer                               das ist.
           zweiten Eheschliessung mit dem UBS-­Banker                     Jahre sogar selbst ein Pferd.
           Stephan Zimmermann erfuhr die Öffentlichkeit                   Welches Buch mögen Sie heute besonders?                                  RUTH METZLER
           über die amtlichen Zivilstandsnachrichten von                  «Die Wachsflügelfrau» von Eveline Hasler. Es                            Nach ihrer Zeit im
           Appenzell.                                                     ist die Geschichte von Emilie Kempin-Spyri, der                         Bundesrat (1999–
                                                                                                                                                  2003) hat die ge­
              Und doch hat Ruth Metzler einem Interview mit               ­ersten Juristin Europas. Die Ungerechtigkeiten,
                                                                                                                                                 bürtige Luzernerin
           der Schweizer Illustrierten zugestimmt. Weil das                die ihr widerfahren sind, haben mich berührt,                            ihre Karriere in
           Jahr 2021 für sie – in politischer Hinsicht – ein be-           aber auch beelendet.                                                  der Wirtschaft fort­
           sonderes ist: Die Schweiz feiert 50 Jahre Frauen-               Der Vater von Emilie Kempin-Spyri war                                  gesetzt. Heute ist
           stimmrecht – «als dritte Bundesrätin bin ich Teil               ­dagegen, dass seine Tochter Jus studierte.                           sie unter anderem
           dieser Geschichte». Ausserdem ist Metzler erst-                  Wie war das bei Ihnen?                                                Verwaltungsrats­
                                                                                                                                                   präsidentin von
           mals seit ihrer Abwahl politisch aktiv geworden:                 Das Gegenteil war der Fall. Als Anwalt und Ge-                       Switzerland Global
           im Initiativkomitee der Individualbesteuerung.                   richtspräsident hatte mein Vater mein Jusstudium                     Enterprise. Metzler
              Wir treffen Sie im «Bücherladen» in Appen-                    und später auch meine Ausbildung zur Wirt-                          lebt mit ihrem Mann
           zell AI. Im Schaufenster stehen Bücher zur                       schaftsprüferin sehr unterstützt. Er sagte immer:                      in Appenzell AI.
           Frauen­geschichte, Metzler hat mehrere davon ge-                 «Du darfst nie von einem Arbeitgeber oder einem
           lesen. Sie geht hier ein und aus, begrüsst die                   Mann abhängig werden.»
           Laden­besitzerin mit Vornamen. «Ich bin eine ef-                 Heute setzen Sie sich persönlich für
           fiziente Leserin», sagt sie, «wenn ich lese, dann                die U
                                                                                ­ nabhängigkeit der Frau ein:
           möglichst in einem Zug.»                                         Sie sind im ­Initiativkomitee für die

54 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE                                                                                                                  SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 55
"Meine Geduld ist am Ende" - Ruth Metzler-Arnold
Ein Potpourri aus
                                                                                                                       Frauen-, Politik-
                                                                                                                       und Geschichts­
                                                                                                                       themen: Diese
                                                                                                                       Bücher hat Ruth
                                                                                                                       Metzler zuletzt
                                                                                                                       gelesen.
                                                                                                                       Rechts: «Bei wich­
                                                                                                                       tigen Entscheiden
                                                                                                                       habe ich meinen
                                                                                                                       Vater stets um seine
                                                                                                                       Meinung gefragt»,
                                                                                                                       sagt Metzler.

                                                                                                                                    «Wir sind uns durchschnittliche Männer
                                                                                                                                     gewohnt, aber erwarten von Frauen,
                                                                                                                                     dass sie überdurchschnittlich sind»

                                                                                                                                Es braucht ein Umdenken in den Köpfen. Ich             Vor 15 Jahren gab es noch Sitzungen, in denen die
                                                                                                                                ­erinnere mich, als ich vor 15 Jahren für Novartis     Sprache militärisch geprägt war. Ich sagte mehr-
                                                                                                                                 in Paris arbeitete: Es war selbstverständlich, dass   mals: «Könnte man das bitte für jene übersetzen,
                                                                                                                                 Sitzungen so festgelegt wurden, dass Eltern mit       die keinen Militärdienst geleistet haben?» Wir
                                                                                                                                 Kindern keine Konflikte hatten. Was wir brau-         brauchen eine Kultur, die das Anderssein zulässt.
                                                                                                                                 chen, sind flexible Arbeitszeiten und -pensen.        Und damit meine ich nicht nur Frauen, sondern
           ­ olksinitiative zur Individualbesteuerung.
           V                                                     reiche Frauen, wenn sie steuerlich nicht mehr                   Als Vizepräsidentin der Axa Schweiz bin ich stolz     vielfältige Charaktere und Profile.
           Warum?                                                ­dermassen bestraft werden, ihr Pensum erhöhen                  darauf, dass in unserer Geschäftsleitung zwei Per-    Sie waren lange gegen die Frauenquote – und …
           Dieses Thema beschäftigt mich seit meiner Ju-          oder gar Vollzeit arbeiten werden. Wir müssen das              sonen Teilzeit arbeiten.                              … heute bin ich dafür. Es muss endlich vorwärts-
           gend. Bereits damals war mir klar, dass es sich für    brachliegende Potenzial von gut ausgebildeten                  Geschäftsleitung ist ein gutes Stichwort. Warum       gehen, mir genügt die langsame Entwicklung der
           viele Ehepaare finanziell nicht lohnt, wenn beide      Frauen besser nutzen. Das heisst aber auch, dass               gibt es so wenig Frauen im Topmanagement?             letzten 20 Jahre nicht, und zum Teil stagnieren die
           arbeiten. Meine Mutter arbeitete immer Teilzeit,       genügend Kitas und Tagesschulen zur Verfügung                  Frauen sind in den Datenbanken der Headhunter         Zahlen sogar wieder. Meine Geduld ist am Ende.
           zuerst in der Anwaltskanzlei meines Vaters. Ihr        stehen.                                                        noch immer in der Unterzahl. Sie drängen sich         In den letzten Monaten sind zahlreiche
           Lohn ging zu einem grossen Teil für die Steuern        Wie haben Ihre Eltern die Betreuung gelöst,                    weniger vor und trauen sich weniger zu als Män-       ­Bücher zu 50 Jahren Frauenstimmrecht
           weg. Das Zweiteinkommen eines Ehepaars – meist         als Sie klein waren?                                           ner. Ausserdem werden sie für Toppositionen            ­erschienen. Sie haben mehrere gelesen.
           jenes der Frau – wird im heutigen Bundessteuer-        Wir hatten während vieler Jahre Haushaltslehr-                 noch zu oft von aussen geholt. Ich freue mich im-       Was interessiert Sie an der Vergangenheit?
           system immer noch überproportional besteuert.          töchter, die Mueti entlasteten. Und wir waren in               mer, wenn Frauen intern ihren Weg machen.               Mich beschäftigt vor allem, dass Frauen so lange
           Was bringt es, wenn jede und jeder seine               der komfortablen Situation, dass sich die Anwalts-             Wichtig ist, dass wir von Frauen nicht mehr er-         nicht gewählt werden konnten. Sie waren aus
          ­eigene Steuererklärung ausfüllt?                       kanzlei meiner Eltern im gleichen Haus befand.                 warten als von Männern. Wir sind uns durch-             der Politik ausgeschlossen. An den Schalthebeln
           Gleichstellung! Diese ist erst erreicht, wenn jede     Wir konnten Mueti im Notfall immer erreichen.                  schnittliche Männer gewohnt, erwarten aber von          der Macht sassen ausschliesslich Männer.
           Person gleich besteuert wird, egal ob verheiratet,     Viele Unternehmen schreiben «familien-                         Frauen, dass sie überdurchschnittlich sind.             Vor 22 Jahren wurden Sie als erst
           in einer eingetragenen Partnerschaft oder allein-      freundlich» auf ihre Fahne, aber setzen um                     Sie waren oft die einzige Frau unter Männern.           dritte Frau in den Bundesrat gewählt.
           stehend. Ausserdem bin ich überzeugt, dass zahl-       18 Uhr Sitzungen an.                                           Was ist Ihnen aufgefallen?                              Welche Bedeutung hatte Ihre Wahl?

56 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE                                                                                                                                                                                                  SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 57
"Meine Geduld ist am Ende" - Ruth Metzler-Arnold
Ihr Rat an junge Frauen: «Passt auf, dass ihr vor lauter Karriereplanung die spontanen Chancen nicht verpasst.»

                                    Sie stand im Zeichen einer Aufbruchsstimmung Ich bin stolz darauf, dass ich diesen Weg gegan-
                                    unter Frauen und Jungen. Meine Wahl zeigte, gen bin. Auch wenn der Wahlkampf ein Gang
                                    dass es möglich ist, mit 34 Jahren Bundesrätin durch das Stahlbad war.
                                    zu werden – was vorher unmöglich schien. Heute Welchen Rat geben Sie jungen Politikerinnen
                                    ist die Zahl der jungen Ministerinnen und Minis- von heute?
                                    ter ja vor allem auch im Ausland                                     Ich möchte junge Frauen vor
                                    deutlich höher.                                                      allem davon überzeugen, dass
                                                                                                         ­
                                    Sie sagten kürzlich: Hätten                                          ­Politik auch lustvoll sein kann.
                                    ­damals alle Frauen für                       das sagt.               Man kann wirklich etwas bewe-
                                     Sie g ­ estimmt, wären Sie                                           gen! In diesen Tagen erscheint
                                   ­Bundesrätin geblieben.                                                das Buch «In die Politik gehen»
                                    Ist die schlimmste Feindin                                            des Basler Regierungsrats Con­
                                     ­einer Frau die Frau?                                                radin Cramer. Ich empfehle es
                                      Nein, das kann ich nicht bestä­                                     allen, die wissen wollen, wie
                                                                                                          ­
                                      tigen. Aber: Wer mehr Frauen                                        ­Politikerinnen ticken sollten.
                                      ­fordert – egal in welchem Gre-                                      Welches Buch liegt auf
                                       mium –, muss auch Frauen unter-                                     Ihrem Nachttisch?
                                       stützen, die andere Meinungen                                       «Der Pakt gegen den Papst». Mich
                                       vertreten. Wichtig ist gelebte                EVA JAISLI            interessiert, wie der Vatikan funk­
                                                                               CEO PB Swiss Tools
                                       Vielfalt. Nehmen Sie Ruth Drei-                                     tioniert. Seit ich Präsidentin der
                                                                                «Ruth Metzler führt
                                       fuss und mich: Sehr unterschied-                                    Stiftung der Päpstlichen Schwei-
                                                                                Swit­zer­land Global
                                       liche Frauen haben sich durch       Enterprise chancenorien­        zergarde im Vatikan bin, setze ich
                                       uns vertreten gefühlt.               tiert und ­risiko­affin. Da­   mich vertieft damit auseinander.
                                       Wenn Sie heute zurück-               rum sind den Exporteu­         Wann gibts die erste
                                       schauen: Sind Sie erstaunt über      ren und ­Investoren auch       Gardistin?
Foto Claudia Komminoth

                                       Ihren jugendlichen Mut?             in der Corona-Krise inno­       Heute sind die Platzverhältnisse
                                                                             vative Dienstleistungen
                                       Und ob! Wobei ich immer mutig                                       zu eng. Deshalb bestimmt nicht,
                                                                             garantiert. Professiona­
                                       war, aber zugegebenermassen            lität und persönliches       bevor die neu geplante Kaserne
                                       nicht abschätzen konnte, was al-     Engagement sind bei ihr        steht. Aber das muss letzten En-
                                       les auf mich zukommen würde.            immer mit im Spiel.»        des der Papst entscheiden.

                         58 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
"Meine Geduld ist am Ende" - Ruth Metzler-Arnold
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