Aufbruch in die Arktis - WSL

Die Seite wird erstellt Arthur Geißler
 
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Aufbruch in die Arktis - WSL
E XPED IT ION INS E WIGE E IS:
MISSION « P O L ARS TE RN»
                                                           Der Eisbrecher «Polarstern»
                                                           startete am 28. September im
                                                           norwegischen Tromsø und
                                                           brachte die Forscher in einer
                                                           dreiwöchigen Fahrt durchs Eis
                                                           zum Nordpol.

Aufbruch in
die Arktis

                                                                                           Fotos Stefan Hendricks / Alfred-Wegener-Institut
Die Erde wird wärmer, das Eis schmilzt! Warum,
ist unklar. Für die grösste Polarexpedition aller Zeiten
trotzen 600 Wissenschaftler aus der ganzen Welt
Dunkelheit und Kälte und forschen ein Jahr lang am
Nordpol. Mit dabei: drei Schweizer Teams.

                                                               SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 13
Aufbruch in die Arktis - WSL
T E X T S I LVA N A D E G O N D A
                                                                                                                                                                             Zwei Experten vom
                                                                                                                                                                             Biogeochemie-Team
                                                                                                        Lange galt der Nordpol als unerreich-
                                                                                                                                                                             nehmen unweit
                                                                                                        bares Ziel. Dutzende Abenteurer ver-                                 des Forschungs-
                                                                                                        suchten ihr Glück, scheiterten jedoch                                schiffs «Polarstern»
                                                                                                        an Eis und Kälte. Bis der norwegische                                Meereisproben.
                                                                                                        Polarforscher Fridtjof Nansen mit sei-
                                                                                                        nem Segelschiff 1893 als Erster den
                                                                                                        82. Breitengrad überquerte. Mit Polka
                                                                                                        und einer warmen Ochsenschwanz-
                                                                                                        suppe feierte er diesen Erfolg.
                                                                                                           Auf der Forschungslandkarte ist die
                                                                                                        zentrale Arktis aber ein weitgehend
                                                                                                        weisser Fleck geblieben. Das soll sich
                                                                                                        nun mit der Expedition Mosaic än-
                                                                                                        dern – der grössten Arktisexpedition
                                                                                                        aller Zeiten. Im September 2019 ist der
                                                                                                        Eisbrecher «Polarstern» vom norwe­
                                                                                                        gischen Tromsø aufgebrochen. Ein
                                                                                                        ganzes Jahr lang wird das deutsche For-
                                                                                                        schungsschiff festgefroren am Eis quer
                                                                                                        durch das Nordpolarmeer driften – auf
                                                                                                        Fridtjof Nansens Spuren.

                                                                                                        Welches Leben tummelt sich unter
                                                                                                        dem ewigen Eis? Wie dringt die Wärme
                                                                                                        durch die Ritzen des Packeises? Warum
                                                                                                        erwärmt sich die Arktis doppelt so
                                                                                                        schnell wie der Rest der Welt? Die Ex-
                                                                                                        pedition soll Antworten auf all diese
                                                                                                        Fragen liefern. 600 Forschende aus
                                                 Das Eis verändert sich ständig, immer wieder entste-   20 Ländern arbeiten und leben in je-
                                                 hen neue Risse, manchmal über 100 Meter breit.         weils zwei Monate dauernden Schich-
                                                                                                        ten auf dem Eisbrecher. Eine Flotte
                                                                                                        von Schiffen, Helikoptern und Flug-
                                                                                                        zeugen versorgt sie. Schneestürme,
                                                                                                        Risse im Eis, Temperaturen bis minus
                                                                                                        50 Grad – und die Dunkelheit der Po-
                                                                                                        larnacht: Von Anfang an arbeiten die

                                                 Schneestürme,                                          Männer und Frauen unter harschen
                                                                                                        Bedingungen.

                                                 Risse im Eis,
                                                                                                           Um an ihre Daten zu kommen, er-
                                                                                                        richten die Wissenschaftler auf dem
                                                                                                        Eis Forschungsstationen – sogenannte

                                                 Tempe­raturen bis                                      «Citys». In der «Ocean City» etwa ent-
                                                                                                        nehmen sie dem Meereis Wasser­

                                                 minus 50 Grad:                                         proben. In der «Rov City» lassen sie
Fotos Alfred-Wegener-Institut, Esther Horvat /

                                                                                                                                                  Links: Beim For-
Alfred-Wegener-Institut (2), Marcel Nicolaus

                                                                                                        Tauchroboter ins Polarmeer. Und in der    schungszentrum

                                                 600 Männer und
                                                                                                        «Ice City» untersuchen sie das ganze      «Rov City» lassen
                                                                                                                                                  die Forscher fern-
                                                                                                        Jahr über in einem Gefrierlaborcontai-    gesteuerte Tauch-

                                                 Frauen arbeiten
                                                                                                        ner Schnee- und Meereisproben.            roboter ins Meer.
                                                                                                           Die Eisdrift wird das Forschungs-      Rechts: Ein Polar-
                                                                                                        schiff langsam westwärts durchs Polar-    bär beschnuppert

                                                 unter harten                                           meer tragen. Im Sommer dann wird das
                                                                                                        schmelzende Packeis die «Polarstern»
                                                                                                                                                  minutenlang eine
                                                                                                                                                  Forschungsstation.

                                                 Bedingungen
                                                                                                                                                  Bereits mehrere
                                                                                                        zwischen Grönland und Spitzbergen         Male zeigten sich
                                                                                                        freigeben.                                neugierige Bären.

                                                                                                                                                                       SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 15
Aufbruch in die Arktis - WSL
E XPED IT ION INS E WIGE E IS:
DI E SCHW EIZE R TE AMS
                                                                                                                                                                                       3

       Bereit fürs
       Abenteuer
        Auf dem Forschungsschiff «Polarstern» arbeiten auch drei
        Teams aus der Schweiz: Amy Macfarlane aus Davos zeigt vor
        dem Start, was sie im Packeis unbedingt dabeihaben muss.
        T E X T S I LVA N A D E G O N D A F O T O S G E R I B O R N

        DAVOS GR

        Die Schneestecher
        aus Graubünden
  Winterwunderland in Davos: Im Dorf liegt Schnee, und der                                                                                                                         2
  umliegende Wald ist wie mit Puderzucker bestäubt. «Ich lie-
  be den Winter in der Schweiz», sagt Amy Macfarlane, 25.
  Sie ist in Manchester aufgewachsen. «Da schneit es nicht                 Amy Macfarlane mit ihren Kollegen Matthias Jaggi (l.)
  oft», sagt die Engländerin und lacht. «Vielleicht bin ich                und Martin Schneebeli vor dem Start im Davoser Labor.
  darum fasziniert von Schnee.» Seit einem Jahr lebt die
  Physikerin in den Bündner Bergen und arbeitet am WSL-               ten des Schnees mit grosser Exaktheit. «Noch nie konnte
                                                                                                                                                                                       1
  Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF.                      man den Schnee in der Arktis so genau untersuchen. Wir
                                                                      hoffen, dass wir verstehen, warum das Eis am Nordpol im-
  Im Februar reist sie für drei Monate in die Arktis. Dort            mer schneller schmilzt.»
  löst sie ihre Kollegen Martin Schneebeli, 61, und Matthias             Amy Macfarlane wird mit 60 anderen Wissenschaftlern
  Jaggi, 36, ab. Sie untersuchen den Schnee, der auf dem              aus 20 Nationen auf der «Polarstern» sein. «Ich kenne die
  Meereis liegt. «Wir wollen herausfinden, wie sich der Kli-          anderen noch nicht. Aber ich bin sicher, wir werden uns       DIE AUSRÜSTUNG VON AMY MACFARLANE
  mawandel auf die Arktis auswirkt.» Das Team hat unter               gut verstehen. Wir haben ja alle die gleiche Mission.»       1 Mit dem SnowMicroPen messen die Forscher
  anderem einen SnowMicroPen mit an Bord des For-                        Bis zu minus 40 Grad erwartet die Forscherin aus             die einzelnen Schichten der Schneedecke.
                                                                                                                                    2 Die grosse Schneesäge dient zum Freilegen
  schungsschiffs «Polarstern» gebracht. Dieser sieht aus wie          Graubünden. Und Dunkelheit. «Im März fängt es zum
                                                                                                                                     von Schneeblöcken, um sie zu untersuchen.
  ein überdimensionaler Kugelschreiber, dessen innere                 Glück an, heller zu werden», sagt sie. «Egal, wie kalt       3 In den Plastikröhrchen sammeln die Forscher
  Spitze in den Schnee eindringt – so bestimmen die For-              oder dunkel es sein mag, für mich wird auf jeden Fall ein         Schnee­proben, um im Labor etwa den
  schenden den Widerstand und die verschiedenen Schich-               Traum wahr.»                                                              Russgehalt zu messen.

16 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
Aufbruch in die Arktis - WSL
Die grösste
                                                                                                                   Arktis-Expedition

                                                                                                                                                  7
                                                                                                                   in Zahlen

                                                                                                                        1,5
        Derek Houtz, Reza Naderpour und Mike Schwank (v. l.)     3
        tüfteln in ihrem Büro an einem Mikrowellen-Messgerät.

                                                                                                                          METER                  K ILOMETER
                                                                                                                   dick muss das arktische      pro Tag driftet
        BIRMENSDORF ZH                                                                                              Eis mindestens sein,       das Eis, an dem

        Die Eismesser
                                                                                                                    damit die Forscher es      die «Polarstern»
                                                                                                                       betreten dürfen.        festgefroren ist.

        aus Zürich
  Reza Naderpour, 31, sitzt vor seinem Computer. Er klickt
                                                                                                                           3MAL
                                                                                                                                                  390
  ein Bild an, auf dem zwei Eisbären eine Markierungsfahne                                                         in der Woche werden
  im Eis beschnuppern. «Schau mal, wie nah die waren»,                                                         2   Drinks an der Schiffs-            TAGE
                                                                     1                                               bar ausgeschenkt.       ist das Forschungs-
  sagt er fasziniert. Das Bild haben Wissenschaftler gepos-                                                                                   schiff unterwegs –
  tet, die bereits auf dem Forschungsschiff «Polarstern» sind.                                                                               von September 2019
  «Wir mussten während eines eintägigen Kurses lernen,                                                                                        bis Oktober 2020.

                                                                                                                             4000
  was zu tun ist, wenn Eisbären auftauchen», sagt Nader-
  pour. Rund um das Schiff sind Stolperdrähte gespannt.
  Wenn ein Bär diese berührt, wird er mit Leuchtraketen ver-
                                                                                                                                METER
  scheucht, und die Wissenschaftler können sich zurückzie-                                                               unter der Oberfläche
  hen und in Sicherheit bringen. «Wir sind in der Heimat der                                                        werden die tiefsten Messungen

                                                                                                                        6
  Bären. Darum wollen wir sie so wenig wie möglich stören.»                                                          der Expedition durchgeführt.

                                                                                                                                                150
  Reza Naderpour arbeitet seit drei Jahren in der For-
  schungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in
  Birmensdorf ZH. Zusammen mit dem Amerikaner Derek
  Houtz, 30, und dem Schweizer Mike Schwank, 53, tüftelt                                                                                             TAGE
  der gebürtige Iraner an einem Messgerät, das die Mikro-                                                                                      dauert die Polar-
  wellen erfasst, die das Meereis ausstrahlt. Reza Naderpour                                                                                   nacht. Während
  soll für das Team die Apparatur in der Arktis einsetzen. Die                                                                                 dieser Zeit bleibt
                                                                                                                        P ERSONEN                 es dunkel.

                                                                                                                                                                    Quelle: Mosaic Expedition / Alfred-Wegener-Institut
  Ergebnisse vergleichen die Zürcher dann mit Satelliten-
  messungen aus dem All. «So können wir das arktische                                                              sind als Eisbärenwache
                                                                                                                      im Einsatz, um die
  Meereis trotz langer und dunkler Winter beobachten», sagt
                                                                                                                   Sicherheit der Forscher
  Naderpour. «Ich freue mich unglaublich, dass wir diese Da-                                                           zu gewährleisten.
  ten bald erfassen können.»                                             DAS NIMMT REZA NADERPOUR
                                                                               MIT AUFS SCHIFF
                                                                                                                                      220 000
     Mindestens acht Sunden täglich arbeiten die Wissen-
  schaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Eis unter har-          1 Die Gletschersonnenbrille schützt vor
                                                                      dem kalten Wind und dunkelt stark ab.
  schen Bedingungen. Dafür werden besondere Anlässe wie
                                                                      2 Mit dem Netzwerkanalysator werden                                    FRANKEN
  Silvester oder der Valentinstag mit Partys auf dem Schiff               Resonatorsensoren betrieben.                            kostet die Expedition pro Tag –
  gefeiert. «Darauf freue ich mich ebenfalls», sagt Naderpour        3 Die Sensoren messen die elektrischen                       und das ohne die Instrumente
  und grinst. «Nicht nur auf die Polarbären und die Daten.»             Eigenschaften von Schnee und Eis.                              der Wissenschaftler.

18 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
Aufbruch in die Arktis - WSL
1

     VILLIGEN AG

     Die Wolkensauger
     aus dem Aargau                                                 Julia Schmale und Ivo Beck nehmen in ihrem Labor
                                                                    kleinste Luftpartikel unter die Lupe.

Die Reise aus der Schweiz zum Eisbrecher in der Arktis         klärt Julia Schmale. Die Messgeräte bleiben während der
dauert fast drei Wochen. Erst fliegt Julia Schmale, 38, nach   Expedition im Container – die Forscher müssen deshalb
Tromsø in Norwegen. Weiter gehts mit einem russischen          selten selber aufs Eis. Mit Apparaten, ähnlich einem Staub-
Eisbrecher – dieser kämpft sich durchs Eis so nah wie          sauger, zieht Schmale Luft ein und untersucht die Partikel
möglich an das Forschungsschiff heran. «Ich kann nur sehr      darin. «Der Feinstaub, den wir in Europa, Asien und Nord-
wenig Russisch. Es ist sicher sinnvoll, ein bisschen mehr      amerika produzieren, beeinflusst den Klimawandel in der
Small Talk zu lernen», sagt Julia Schmale, Professorin         Arktis», sagt sie. «Wie genau, müssen wir noch heraus­
an der Technischen Hochschule Lausanne EPFL und For-           finden, damit wir wissen, was wir dagegen tun können.»
scherin am Paul Scherrer Institut in Villigen AG.
   Auf dem Schiff steht ein ganzer Container mit Mess­         Kontakt mit der Schweiz ist während der zwei Monate auf
geräten für die Wissenschaftlerin und ihren Mitarbeiter        dem Forschungsschiff kaum möglich. «Ich kann höchstens
Ivo Beck, 33, bereit. Die zwei untersuchen mit einem Team      meinem Team ein paar Mails schicken. Mehr nicht», sagt
aus Finnland Aerosole. Das sind kleine Schwebepartikel         Julia Schmale. «Umso schöner ist es aber, Familie und
in der Luft, die zur Wolkenbildung beitragen. «Wolken wir-     Freunden von diesem einmaligen Abenteuer zu erzählen,
ken wie eine Decke über dem Eis. Es ist dann wärmer», er-      wenn ich wieder zu Hause bin.»

                                                                                                                                                                                                     2

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                                                                                                                                  JULIA SCHMALE UND IHR EQUIPMENT
                                                                                                                              1 Ein Lehrbuch, um für die Reise zum Eisbrecher
                                                                                                                                «Polarstern» noch etwas Russisch zu lernen.
                                                                                                                             2 Ein Heizkabel, damit das Rohr, durch das die Luft
                                                                                                                                 in den Container gesaugt wird, nicht vereist.
                                                                                                                              3 Spezielle Öffner, um die Filter für die Luftröhre
                                                                                                                                  zum Forschungscontainer auszutauschen.

                                                                                                                                                                                        SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 21
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