Mesut Özil. Merkel. Made in Germany - Deutschlandbilder in Chinas Sozialen Medien

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Mesut Özil. Merkel. Made in Germany - Deutschlandbilder in Chinas Sozialen Medien
MERICS Web Spezial (Juli 2015)
                                       von Karsten Luc

MERICS Web Spezial (Juli 2015)

Mesut Özil. Merkel. Made in Germany – Deutschlandbilder in Chinas
Sozialen Medien
Von Karsten Luc
So einflussreich sind Chinas Soziale Medien: Sie machten eine deutsche Automarke über
Nacht bekannt im ganzen Land. Während einer Dating-Show legte ein junger Mann einer
Teilnehmerin seine Vorstellung eines romantischen Treffens dar. Er endete mit der Frage
„Möchtest Du auf meinem Fahrradgepäckträger Platz nehmen und fröhlich mit mir
losfahren?“ Daraufhin antwortete sie: „Da sitze ich lieber weinend auf dem Rücksitz eines
BMWs.“ Netizens entfachten mit der Redewendung „Lieber auf dem Rücksitz eines BMWs
weinen, als auf dem Fahrrad lachen" eine hitzige Diskussion über Materialismus und
Werteverfall. Interessant hierbei ist, dass sich (ausgerechnet) eine deutsche Automarke in das
Gedächtnis der Teilnehmerin eingebrannt hatte – stellvertretend für ein schönes
Wohlstandsleben.

Dieses Web Spezial untersucht (die) Deutschlandbilder in Chinas Sozialen Netzwerken.
Welche Themen erhalten die meisten Klicks und Kommentare? Welche Deutschen sind in
Sozialen Medien vertreten, und wer hat die meisten Fans? Was bewundern Chinas Netizens
an Deutschland und was befremdet sie?

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Mesut Özil. Merkel. Made in Germany - Deutschlandbilder in Chinas Sozialen Medien
MERICS Web Spezial (Juli 2015)
                                        von Karsten Luc

            Gegenstand dieses Web-Spezials ist eine (quantitative und qualitative)
            Analyse von deutschlandbezogenen Inhalten auf Sina Weibo, WeChat
            und Youku im Zeitraum vom Mai 2014 bis Mai 2015.

               Weibo (微博) ist ein Twitter-ähnlicher Mikroblogdienst mit derzeit 198
                Millionen aktiven Nutzern monatlich.
               WeChat ( 微信 ) ist exklusiv für Smartphones entwickelt worden. Es
                gleicht der im Westen bekannten Anwendung WhatsApp und ist durch
                seine Multifunktionalität mit vielen Webdiensten in China verknüpft.
                WeChat hat momentan 549 Millionen aktive Nutzer monatlich
               Der kostenfreie Videostreaming-Dienst Youku ( 优 酷 ) gilt als das
                chinesische Pendant zu YouTube.

Viele Landschaftsbilder, Reisefotos, Produktinfos und „Foodies“ (Fotos von Speisen)
in Länder-Hashtags

          Anzahl der Hashtag-Erwähnungen von Deutschland und anderen Ländern auf Weibo

Ein Klick vorweg: Erstellt man ein Nationen-Ranking auf Basis der ausgewerteten Weibo-
Daten, so befindet sich Deutschland auf dem vierten Platz (gemessen an der Häufigkeit der
#Hashtag#-Nennungen in Weibo-Posts). Angeführt wird die Liste von Japan, dahinter befinden
sich die USA und Frankreich. Geht es um Deutschland, so gehören Fußball, Made in Germany
und Bildung zu den am häufigsten erwähnten Themen in Chinas Sozialen Medien.

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Mesut Özil. Merkel. Made in Germany - Deutschlandbilder in Chinas Sozialen Medien
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Liebling Mesut Özil, aber wo ist Angela Merkel?
Deutsche Persönlichkeiten in Chinas Sozialen Medien
Das Deutschlandbild in Chinas Sozialen Medien hat von dem fußballerischen Erfolg bei der
WM 2014 in Brasilien kräftig profitiert. Das meist genannte Wort im Zusammenhang mit
Deutschland auf Weibo ist die „(Fußball)Nationalmannschaft“. Die Top 10 der deutschen
Weibo-Profile werden ebenfalls vom deutschen Fußball dominiert. Darunter befinden sich
der FC Bayern München (zwei Mio. Fans), das DFB-Team (1,5 Mio. Fans) und die
Bundesliga (1,4 Mio. Fans). Diese Profile weisen mehr Fan-Zahlen auf als beispielsweise
bekannte Automarken oder deutsche Institutionen wie die Deutsche Botschaft und das
Goethe-Institut. Zur Einordnung: Chinesische Top-Blogger haben über 70 Mio. Anhänger.

Zu den Top 5-Begriffen auf Weibo im Zusammenhang mit                    Deutschland    gehören:
Nationalmannschaft, China, Fußballfan, Weltmeisterschaft und USA.

Auch einige deutsche (ehemalige) Nationalspieler haben begonnen, Weibo für sich zu
entdecken. Die Liste wird angeführt von Mesut Özil (290.000 Fans), gefolgt von Lukas Podolski
(260.000), Philipp Lahm (180.000), Arne Friedrich (101.000), Bastian Schweinsteiger (36.000),
Mario Götze (23.000) und Holger Badstuber (19.000). Dass Mesut Özil vom Auswärtigen Amt
im Rahmen der Preisverleihung „Deutscher Fußball-Botschafter 2015" zum Publikumsliebling
gewählt worden ist, deckt sich mit seiner Popularität auf Weibo. Er scheint deswegen beliebt
zu sein, weil er sehr viele Selfies mit seiner Familie oder seinen Kollegen veröffentlicht. Seine
Posts sind auf Chinesisch verfasst. Özil profitiert auch davon, dass er beim Top-Klub Arsenal
London spielt, der in China ebenfalls sehr beliebt ist (Arsenal London hat 3,6 Mio. Weibo-Fans).

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Wieso ist Bundeskanzlerin Angela Merkel (noch) nicht auf Weibo?

Insgesamt sind nur eine Handvoll hochrangiger ausländischer Politiker mit eigenen Profilen
auf Weibo vertreten. Angela Merkel befindet sich nicht unter ihnen. Dabei muss man als
prominenter Politiker eigentlich gar nicht so viele Nachrichten veröffentlichen, um Fans zu
gewinnen. Reisen nach China sind der beste Anlass, ein Konto auf Weibo zu eröffnen. So hat
der indische Premierminister Narendra Modi (über 170.000 Fans, 28 Posts) bei seinem
China-Besuch im Frühjahr 2015 erste „Gehversuche" auf Weibo gewagt. Unter anderem
postete er ein Selfie zusammen mit Premierminister Li Keqiang, das gleich über 70.000 Mal
weitergeleitet wurde. Unter den ausländischen Politikern hat David Cameron die meisten
Anhänger (über 930.000 Fans, 35 Posts). Er hat keine Selfies geschossen, sondern postete
die Glückwünsche von Ministerpräsident Li Keqiang gleich nach seiner Wiederwahl zum
britischen Premier. Cameron hat sein Weibo-Profil kurz vor einer China-Reise im Jahr 2013
erstellt.

Offizielle Bilder, auf denen das Händeschütteln von Politikern oder Begrüßungen mit
militärischen Ehren zu sehen sind, finden wenig Beachtung. Selfies mit dem direkten Blick in
die Kamera kommen dagegen bei chinesischen Netizens sehr gut an. Insbesondere
zusammen mit chinesischen Politikern aufgenommene Selbstporträts erzielen viele Likes und
Weiterleitungen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist in den Sozialen Medien bis dato nur „passiv“ präsent:
Sie taucht vor allem in Videoclips auf. So ist sie beispielsweise in einem Video zusammen mit
Alibaba-Gründer Jack Ma auf der CeBIT 2015 zu sehen, das über 1,5 Mio. Mal aufgerufen
wurde. Während sich die Kommentare bei diesem Video hauptsächlich auf Jack Ma beziehen,
steht die Bundeskanzlerin in einem chinesischen Nachrichten-Clip über ihrem Besuch in Japan
im Vordergrund. Chinas Netizens nehmen sie dabei weniger als Privatperson, sondern
vielmehr als stellvertretend für Deutschland wahr. Der Inhalt des Nachrichtenclips passt zu der
von China offiziell beförderten Gegenüberstellung von Deutschland und Japan nach dem
„good     cop,     bad     cop"-Schema:      Beijing    schreibt    Deutschland    in   puncto
Vergangenheitsaufarbeitung eine positive Rolle zu, während die mangelnde
Vergangenheitsbewältigung Japans kritisiert wird.

        Deutschland gut, Japan schlecht: Ausgewählte Kommentare zum
        Nachrichten-Clip

                            „Japan sollte unbedingt von Deutschland lernen“
                            „Deutschland erfährt nicht nur für die Industrie Lob,
                             sondern auch deutsche Persönlichkeiten weisen eine
                             Qualität auf, von der die gesamte Welt lernen kann!"
               „Kauft ein deutsches Auto, bloß kein japanisches."
               „Wenn die Japaner, wie die Deutschen ihre Fehler zugeben würden,
                glaube ich, dass China und die asiatischen Länder Japan vergeben
                würden."

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Authentizität und Sprachwitz für Erfolg auf Weibo entscheidend

Deutsche Fußballer und deutsche Persönlichkeiten haben im internationalen Vergleich
verhältnismäßig wenig Fans (Beispiel: David Beckham hat über fünf Mio. Fans, der
koreanische Sänger Psy über 24 Mio.). Auf Twitter haben die Deutschen dagegen weitaus
mehr Anhänger. Woran mag das liegen? Nur wenige von ihnen schreiben auf Chinesisch. Die
Authentizität der Sprache scheint eine entscheidende Rolle zu spielen. Für chinesische
Netizens wirkt es offensichtlich nicht überzeugend oder attraktiv, wenn Nicht-Muttersprachler
auf Englisch schreiben. Mesut Özil hat mit seinen chinesischen Posts den größeren Erfolg.
Philipp Lahm veröffentlicht seine Beiträge in einem seltsamen Mix aus Englisch, Deutsch und
Chinesisch. Die chinesischen Übersetzungen sind teilweise fehlerhaft oder lieblos übersetzt.
Da Lahm neben Chinesisch auch noch lateinische Buchstaben verwendet, bleibt auf Weibo
nur wenig Platz für eine gehaltvolle Nachricht. Der Mikroblogging-Dienst beschränkt Posts auf
140 Zeichen. Im Chinesischen steht ein Schriftzeichen in der Regel für ein ganzes Wort, dafür
braucht man im Deutschen oder Englischen mindestens zwei Zeichen (Buchstaben).

Ein auf Weibo erfolgreicher Deutscher, der zwar kein Spitzensportler ist, aber eine sportliche
Leistung hingelegt hat, heißt Christoph Rehage. Sein Weibo-Profil weist über 800.000 Fans
auf. Er ist in China und Deutschland durch seinen Online dokumentierten Fußmarsch von
Beijing bis nach Xinjiang (2007–2008) bekannt geworden. Rehage ist in China deshalb
erfolgreich, weil er den chinesischen Sprachwitz perfekt trifft. Auf Weibo veröffentlicht er
regelmäßig kurze Handy-Videos, in denen er über verschiedenste Themen redet. Gleich zwei
seiner Weibo-Posts sind unter den am häufigsten weitergeleiteten Nachrichten im
untersuchten Jahreszeitraum zu finden.
Ein Witz kommt selten allein: Die chinesischen Netizens lachen über Albert Einsteins
vermeintlich schlechte Schulnoten

 Die fünf meist weitergeleiteten Weibo-Posts zwischen Mai 2014 und Mai 2015

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Küchentechnik, Kanaldeckel und Krankenwagen – Faszination „Made in
Germany“
Deutsche Qualität und Innovationen sind insbesondere auf WeChat Top-Themen.
Überraschend ist: Für chinesische Netizens ist „Made in Germany“ mehr als Technik. Sie
verbinden damit auch Ordnung, Effizienz und Kreativität.

Die industrielle Schweineschlachtung in einer angeblichen Verbindung zur Industrie 4.0 taucht
im Zusammenhang mit dem Stichwort „Deutschland“ extrem häufig auf

Top 5 WeChat-Artikel mit den meisten Aufrufzahlen

Ordnung und Effizienz: „Es lohnt sich, von Deutschland zu lernen“
Deutsche Ordnung und Effizienz werden anhand eines Youku-Videos bestaunt und ausgiebig
diskutiert. Ein knapp einminütiger Clip unter den Top 10-Youku-Videos zeigt, wie deutsche
Autofahrer einem Krankenwagen mit Blaulicht auf der Autobahn den Weg freimachen. In den
Kommentaren loben die chinesischen Netizens den vorbildlichen Charakter der Deutschen.
Insbesondere Chinas Großstädte haben mit langen Staus zu kämpfen. Gleichzeitig
erschweren chaotische Verhältnisse auf den Straßen ein schnelles Durchkommen von
Krankenwagen und gefährden somit die Rettung von Notfallopfern. Chinas Netizens nutzen
Deutschland als Spiegel, um diesen Missstand im eigenen Land zu kritisieren:

         Von Deutschland lernen                 –   ausgewählte       Kommentare   zum
         Krankenwagen-Video

                              „Werde ich zu meinen Lebzeiten noch beobachten
                          können, dass wir das in China auch hinbekommen?
                              "Egal ob es sich um einen Kranken- oder
                          Feuerwehrwagen handelt, in China würden wir sie nicht
                  vorbeilassen
                 "China ist China, Deutschland ist Deutschland, was gibt es da zu
                  vergleichen?"

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               „Wenn die Japaner, wie die Deutschen ihre Fehler zugeben würden,
                glaube ich, dass China und die asiatischen Länder Japan vergeben
                würden."
               "Es lohnt sich, von Deutschland zu lernen!"
               "Echt witzig, die Deutschen sind sehr gutherzig, das ist das erste
                Mal, dass ich solch eine Szene sehe."

Qualität: Auf der Jagd nach deutschen Produkten

Deutsche Produkte erfreuen sich in China großer Beliebtheit: Viele Menschen schätzen
deutsche Qualität und sehen in ihren heimischen Produkten keine bessere Alternative. Ein
sehr beliebter und häufig verwendeter Hashtag auf Weibo lautet: „Shopping Deutschland" (#
德 国 代 购 #). Hier kommen Netizens zusammen, um ihre gekauften deutschen Produkte
vorzustellen oder sie weiter zu verkaufen.

In diesem Kontext tauchen die Wörter Milchpulver, Import, Baby und Kind besonders häufig
auf. Das Vertrauen in das heimische Milchpulver ist in China nach dem Melanin-Skandal von
2008 sehr gering. Dies hat zu einer steigenden Nachfrage von deutschen Milchpulver-
Produkten geführt. Die Qualität des Milchpulvers steht übrigens auch im Agrardialog zwischen
Deutschland und China auf der Agenda.

Chinesische Netizens vernetzen sich mittels Hashtags, um deutsche Produkte kennenzulernen

    Auswahl von Weibo-Hashtags mit Deutschlandbezogenen Themen

Der WeChat-Artikel mit den meisten „Gefällt mir"-Klicks thematisiert ebenfalls deutsche
Qualität. Er stellt den Unterschied zwischen deutschem und chinesischem Benzin dar.
Skurrilerweise hatte ein Internetnutzer eine Flasche deutsches Benzin mit nach China
gebracht. Anhand von Bildern identifiziert er das chinesische Benzin als relativ minderwertig.
Ähnlich wie bei dem Krankenwagen-Video nutzen Chinas Netizens auch hier den Verweis auf
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Deutschland zur indirekten Kritik am eigenen Land: China hat mit niedrigen Benzin-Standards
zu kämpfen, die nach Meinung chinesischer Experten ein Grund für die schlechte Luftqualität
in den Städten sind.

Kreativität: „In China würde so etwas nie passieren.“

Ebenso schätzen die chinesischen Netizens die Kreativität der Deutschen. Ein Werbeclip der
Supermarktkette Edeka hat es bis in die Top 10 der meist geschauten Youku-Videos geschafft.
Das Video mit dem Titel „Neue Funktionen deutscher Supermarktkassen überraschen das
Publikum" ist rund 2,1 Millionen Mal abgerufen worden. Der Clip zeigt, wie die Kassierer
Produkte über den Scanner ziehen. Die dadurch erzeugten Töne lassen das Weihnachtslied
„Jingle Bells" erklingen. Die Käufer und andere Schaulustige stehen staunend da und lassen
sich von der fröhlichen Stimmung anstecken. Interessant hierbei ist, dass die chinesischen
Netizens in den Kommentaren den kommerziellen Gehalt des „Werbegags“ und
Produktplatzierungen völlig außer Acht lassen und stattdessen nur die kreative Umsetzung
wahrnehmen. Der vermeintliche Grund: Der besagte Lebensmittelhändler hat keine Filiale in
China und ist dort unbekannt.

        Wie kreativ ist das denn? Ausgewählte Kommentare zum Edeka-Video:

                            „Genau das ist es, worin die Ausländer gut sind ... sie
                             sind jederzeit in der Lage, kreativ zu sein."
                            “Total bewegend, in China würde so etwas niemals
                             passieren."
               „Wenn Verkäufer in China anfingen, so rumzuspielen, würden sie
                von den Käufern angeschnauzt werden."
               „Sehr erwärmend. Nach dem zweiten Mal Anschauen habe ich das
                Gefühl, ich könnte weinen."
               „Sehr bewegend … lasst uns alle fleißig an der harmonischen
                Gesellschaft arbeiten."

„Deutscher Albtraum“: Industrie 4.0

Die chinesischen Netizens kommunizieren aber nicht nur positive Eindrücke von Deutschland.
Mitunter werden Unwahrheiten verbreitet oder zentrale Themen der deutsch-chinesischen
Zusammenarbeit, wie Industrie 4.0, missverstanden und falsch eingeordnet.

Gegen sogenannte „Online-Gerüchte“ in Sozialen Medien geht Chinas Regierung immer
strenger vor. Neben pornographischen und gewalttätigen Inhalten versteht Beijing darunter
auch Posts, die unliebsame politische Kritik transportieren oder zu kollektiven Handlungen
mobilisieren könnten. Prominente und Unternehmen sehen sich ebenfalls zunehmend von
Falschmeldungen bedroht. Auch westliche Firmen leiten rechtliche Schritte zur Bekämpfung
von Falschmeldungen ein.

Deutschland bleibt von Unwahrheiten in Chinas Sozialen Medien nicht verschont: Ein über
WeChat extrem häufig verbreitetes Video zeigt die industrielle Schlachtung von Schweinen.
Über dieses Thema finden sich gleich mehrere Artikel mit unterschiedlichen Titelvariationen.
Die Überschriften lesen sich so: „Sieht etwa so die Industrie 4.0 aus?", „Schaut an, wie die
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Deutschen Schweine schlachten, Industrie 4.0, eine Fabrik ohne Menschen!",
„Schweinetötungs-Fließband in Deutschland schockt ein weiteres Mal die Welt. Es zeigt allen,
wie intelligent die deutsche Industrie 4.0 ist". Allerdings weisen die Beiträge zwei Fehler auf:
Zum einen wird eine industrielle Schlachtungsanlage fälschlicherweise der Industrie 4.0
zugeordnet. Zum anderen gehört die Anlage einem niederländischen Hersteller.

Das Video erhält unter chinesischen Zuschauern offenbar deshalb so viel Beachtung, da die
gewählten Ausschnitte einen medienwirksamen Schockeffekt erzeugen und somit das
öffentliche Interesse an der „Skandal-Nachricht" schüren.

Ein weiterer Videotitel heißt „Ist das etwa der deutsche Traum? Die deutsche
Schweineschlachtanlage schockiert". Interessant hierbei ist, dass der Begriff „deutscher
Traum" ( 德 国 梦 ) verwendet wird. Dabei ist diese Terminologie in Deutschland gar nicht
gebräuchlich, sie kann eher dem von der chinesischen Regierung propagierten Slogan des
„China-Traums“ zugeordnet werden. Möglicherweise wird das Video dazu genutzt,
Deutschland gezielt zu kritisieren. Das Video ist von verschiedenen privaten Nutzern gepostet
worden.

Es gibt aber auch neutrale Beispiele für das Thema Industrie 4.0. Auf Youku finden sich unter
dem Suchwort „deutsche Industrie 4.0" in erster Linie chinesische Nachrichten-Clips, die
jedoch recht niedrige Klickzahlen und keine Kommentare verzeichnen.

Studienland Deutschland – Lehrhaftes und Lustiges
Emotionen und Alltag scheinen gefragt: Das Abschlussvideo eines chinesischen
Musikstudenten in Deutschland eroberte die Herzen der chinesischen Netizens und ist der
meistgeschaute Beitrag in diesem Themenfeld (670.000 Abrufe). Vor einem deutschen
Publikum erzählt ein chinesischer Auslandsstudent auf humorvolle Art von seinen
Schwierigkeiten in Deutschland. So berichtet er auf Deutsch: „Das erste Problem hat nichts
mit dem Studieren zu tun, sondern mit dem Internet. Ich habe zwei Monate auf meinen
Internetanschluss gewartet." Oder er beschreibt, wie ein deutscher Freund ihm einmal
beibrachte, dass „her kommen" im Deutschen „bei Fuß" heiße. Im Deutschunterricht rief er
dann einmal ganz aufgeregt: „Lehrer, ich habe eine Frage, können Sie mal bei Fuß?"

         Schwierigkeiten beim Studium in Deutschland – ausgewählte
         Kommentare zum Abschlussvideo des Musikstudenten

                         „Ich kann zwar nicht einschätzen, wie gut sein
                          Klavierspiel ist, und ich war auch noch nie in Deutschland,
                          aber das Video hat mich sehr berührt und mir sind die
                          Tränen gekommen."
                         „Ein Chinese in Deutschland, das finde ich toll!
               „Deutsch zu lernen, ist echt schwer, einen Abschluss in
                Deutschland zu meistern, noch schwerer."
               „Deutsche sind so rigoros ernst, wenn jemand sagt, dass alle ihre
                Augen schließen sollen, dann schließt tatsächlich jeder seine
                Augen."
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Das Video ist unter den chinesischen Netizens offensichtlich auch deshalb beliebt, weil sie
ihren Landsmann bewundern: Ein Chinese schafft es in deutscher Sprache, vor einem
deutschen Publikum sogar den ein oder anderen Lacher zu erzielen.

Das Deutschlandbild als neuer Exportschlager?

Es sind in erster Linie chinesische Netizens, die mit ihren deutschen Inhalten in Chinas
Sozialen Medien das Deutschlandbild prägen. Aufgrund größerer Fan-Zahlen und höherer
Weiterleitungsquoten nehmen sie damit einen großen Einfluss auf das Deutschland-Bild.
Deutsche Institutionen, insbesondere mit dem Schwerpunkt Bildung, erreichen aufgrund ihrer
relativ niedrigen Anhängerzahlen bislang nur einen Bruchteil der chinesischen Internetnutzer.
Daher sind die Inhalte deutscher Institutionen als kommerzfreie Quellen für Informationen über
Deutschland enorm wichtig.

Auffällig aktiv: Technische Hochschulen und ostdeutsche Universitäten

Weibo-Ranking von deutschen Institutionen mit Schwerpunkt Bildung im Vergleich zur
Deutschen Botschaft

Die Inhalte wirken allerdings sehr bürokratisch: Institutionen posten sehr häufig
Antragsformulare und Job-Ausschreibungen als Fotos oder Webseiten-Screenshots. Formate
wie Cartoons, Kurzvideos oder Infografiken, die vor allem jüngere chinesische Netizens
ansprechen, werden kaum genutzt. Die deutschen Bildungsinstitutionen nutzen die Sozialen
Medien primär als Informationsportale und nicht als eine interaktive Plattform, auf der Inhalte
geteilt und kommentiert werden sollen. Viel Aufmerksamkeit generieren Weibo-Hashtags wie
„Deutsch lernen" (6.082 Diskussionen, acht Mio. Aufrufe), „Studiere in Deutschland, erweitere
deinen Horizont" (3.720 Diskussionen, 28 Mio. Aufrufe) und „Zimmer in Deutschland mieten"
(3.136 Diskussionen, drei Mio. Aufrufe). Hier finden Interessierte konkrete Hilfestellungen für
das Leben in Deutschland oder persönliche Eindrücke von bereits in Deutschland lebenden
Chinesen.

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Notenwahn und Mathe-Fieber - kuriose Bildungsthemen

Dass in Deutschland eine Eins die beste Note ist, sorgt in China für Kopfschütteln. Als die
Chinesen davon hörten, dass Albert Einstein lauter Einsen und Zweien im Zeugnis hatte,
staunten sie nicht schlecht. Wie könne es denn sein, dass solch ein ausgezeichneter
Wissenschaftler derart schlechte Noten hatte? In China ist ein Punkt nämlich die schlechteste
Schulnote. Diese Geschichte sorgte für eine sehr lebhafte Diskussion auf Weibo.

Wie ernst Chinesen Schulnoten nehmen, zeigt ein Post über die chinesische
Gedächtnissportserie „Superhirn". Das darin thematisierte Duell zwischen dem deutschen
Anwalt Simon Reinhard und dem 22-jährigen Chinesen Wang Feng ist das Top 2-Youku-Video
zu Deutschland (über vier Mio. Aufrufe). Ziel in der ausgestrahlten Folge vom 25. März 2015
war es, sich die Sequenz eines willkürlich gemischten Sets von Spielkarten einzuprägen und
es mit einem neuen Set innerhalb eines bestimmten Zeitraums korrekt wiederzugeben. Wang
Feng gelang dies ohne Fehler in rund 19 Sekunden, während Simon Reinhard, der einen
Weltrekord im Einprägen von 186 internationalen Vor- und Nachnamen in 15 Minuten erzielt
hat, einige Fehler machte und auch etwas länger benötigte.

Kommerzielle Produktionen und TV-Berichte dominieren die Rangliste der beliebtesten
Videos

Top Youku-Videos zum Thema Deutschland

Ähnlich wie beim häufig verbreiteten Thema „Industrie 4.0 und Schweineschlachtung“, beruht
das meist gesehene Youku-Video mit Deutschlandbezug auf falschen Fakten. Das über fünf
Mio. Mal aufgerufene Video mit dem Titel „Deutscher fasst hundert Frauen an den Busen" wird
fälschlicherweise den Deutschen zugewiesen. Es zeigt, wie ein Mann in der Öffentlichkeit
überwiegend Frauen (vereinzelt auch Männern) an den Busen fasst, während eine
eingeblendete Anzeigetafel die Berührungen zählt. Dieser Herr ist aber kein Deutscher,
sondern ein Venezolaner. Die Szenen spielen sich ebenfalls in Venezuela ab. Das merkten
auch einige der Kommentatoren an: „Ich wusste gar nicht, dass es in Deutschland Palmen
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gibt“, schreibt zum Beispiel jemand. Viele Netizens äußern sich erzürnt, ironisch, aber auch
zum Teil erheitert. Manche wundern sich einfach über die „Offenheit" der „Deutschen“.

Konsequenzen der vorhandenen Deutschland-Bilder für deutsche Akteure
Das aktuelle Deutschlandbild ist in den chinesischen Sozialen Medien überwiegend positiv. Es
wäre aber fahrlässig, sich darauf auszuruhen. Das Beispiel „Industrie 4.0 und
Schweineschlachtung“ zeigt, dass ein einzelner Negativbeitrag die Wahrnehmung eines
Themas prägen kann. Deutsche Akteure, insbesondere in den Themenbereichen Fußball,
Made in Germany und Bildung, sollten Themen und Diskussionen in den chinesischen
Sozialen Medien daher aktiver mitgestalten als bisher.

1. Prominente Persönlichkeiten als Deutschland-Botschafter nutzen

Die Ergebnisse zeigen, dass der deutsche Fußball eine große Rolle für das Deutschlandbild
in Chinas Sozialen Medien spielt. Ebenso sind die deutschen Nationalspieler mittlerweile in
China recht bekannt. Gerade sie können als Prominente trotz der noch relativ niedrigen, aber
steigerungsfähigen Fan-Zahlen Einfluss auf das Deutschlandbild nehmen. Deutsche Akteure
könnten ihre Konten auch mit führenden chinesischen Persönlichkeiten in den Sozialen
Medien vernetzen, um wichtigen deutschlandbezogenen Themen einen höheren
Wirkungsgrad zu verleihen.

2. Mehr Webvideos mit Bezug zum Lebensalltag chinesischer Netizens produzieren

Besteht für Akteure im Bereich Bildung, die direkt oder indirekt für die deutsche Kultur und den
Standort Deutschland werben, die Chance, an die Popularität der Fußballer anzuknüpfen? Ihre
Einflusssphären sind derzeit noch zu marginal, als dass sie einen Großteil der monatlich 198
Mio. aktiven Nutzer auf Weibo erreichen können. Sie könnten jedoch an die beachtliche Anzahl
von hilfreichen, von chinesischen Nutzern generierten Hashtags anknüpfen und dort eigene
Informationen über Spracherwerb und Studium in Deutschland posten. Um Aufmerksamkeit
oder gar Weiterleitungen zu erzielen, müssten sie allerdings Inhalte generieren, die näher an
den Lebenswelten und den konkreten Fragen der chinesischen Netizens orientiert sind. Zum
Beispiel könnten deutsche Institutionen junge Deutsche und/oder Chinesen, die bereits in
Deutschland studieren, als Protagonisten für Kurzvideos gewinnen. Das Format Web-Video
und die Videoplattform Youku werden noch viel zu selten genutzt. Dabei zeigt das amateurhaft-
gefilmte „Krankenwagen-Video" oder der Edeka-Clip, dass gerade Alltagsvideos eine große
Aufmerksamkeit erzielen.

3. Falschmeldungen oder negative Stimmungen frühzeitig erkennen und Interaktion
verstärken

Negativbeispiele, die zum Teil auf Unwahrheiten beruhen, rücken Deutschland schnell in ein
schlechtes Licht. Diese könnten durch regelmäßige Stimmungsbarometer identifiziert werden.
Darauf aufbauend sollten betroffene deutsche Personen oder Institutionen sich - je nach
Thema – mit Sachargumenten oder mit humoristischen Bemerkungen in die Diskussionen
einschalten. Deutsche Akteure dürfen Soziale Medien nicht nur als einseitige
Informationskanäle verstehen, sondern sollten verstärkt mit den chinesischen Netizens in
Interaktion treten.

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MERICS Web Spezial (Juli 2015)
                                       von Karsten Luc

Beispielsweise bietet sich für die deutsche Politik und Wirtschaft angesichts der kursierenden
Falschinformationen und schwachen Präsenz von Industrie 4.0 die Möglichkeit, neue Akzente
zu setzen: Sie könnte über Soziale Medien-Plattformen interessante und spannende Videos
über die deutsche Industrie 4.0 bereitstellen.

4. Die Begeisterung für „Made in Germany“ und Technikinteresse nutzen

Viele Kommentare hinsichtlich deutschlandbezogener Inhalten zeigen, dass Chinesen sich für
„Made in Germany” interessieren und davon lernen wollen.

Ein sehr gutes Beispiel hierfür bietet das Video „Wie in Deutschland der Gulli-Deckel
ausgewechselt wird, ist einfach klasse". In den westlichen Sozialen Netzwerken wäre es kaum
vorstellbar, dass das über 2,7 Mio. mal in WeChat aufgerufene Video eine derartige Beachtung
findet. Die ausgewählten Kommentare, die sich auf eine Youku-Version beziehen, zeigen,
dass hier viele Argumente aufeinandertreffen, an die deutsche Institutionen und Unternehmen
anknüpfen könnten.

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