Minimal bewusster Zustand ("Minimally Conscious State"): Eine neue Bezeichnung für längst Bekanntes
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Minimal bewusster Zustand Homepage: ("Minimally Conscious State"): Eine www.kup.at/ neue Bezeichnung für längst JNeurolNeurochirPsychiatr Bekanntes Online-Datenbank mit Autoren- Bauer R, Bauer G, Gerstenbrand F und Stichwortsuche Journal für Neurologie Neurochirurgie und Psychiatrie 2013; 14 (3), 108-112 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
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Minimal bewusster Zustand Minimal bewusster Zustand („Minimally Conscious State“): Eine neue Bezeichnung für längst Bekanntes R. Bauer1, G. Bauer2, F. Gerstenbrand2 Kurzfassung: Der nicht definierbare Terminus Zustand) längst bekannt war. Eine weitere Diffe-can be divided into awareness in relation to a „Bewusstsein“ setzt sich zusammen aus Wach- renzierung des minimal bewussten Zustands third person as well as in relation to oneself. heit und Bewusstseinsinhalten im Hinblick auf sollte aus ethischen und therapeutischen Grün- Several neuro-executive disturbances can be di- dritte Personen sowie Bewusstseinsinhalten im den erfolgen. agnosed. In recent years, the term “minimally Hinblick auf sich selbst. Zahlreiche neuroexe- conscious state” has been added. However, kutive Störungen können diesen Begriffen zuge- Schlüsselwörter: Wachheit, Bewusstseins- this state has already been described in detail in ordnet werden. Den globalen kortikalen Störun- inhalte, vegetativer Zustand (PVS), minimal be- previous papers. For ethical and therapeutic con- gen, wie Koma, vegetativer Zustand und De- wusster Zustand (MCS) sequences, these descriptions should be con- menz, wurde in jüngerer Vergangenheit der „mi- firmed by cluster analyses. J Neurol Neuro- nimal bewusste Zustand“ hinzugefügt. Dabei chir Psychiatr 2013; 14 (3): 108–12. wurde nicht berücksichtigt, dass er in differen- Abstract: Minimally Conscious State – zierten Beschreibungen als Reintegrations- New Term, Old Facts. Consciousness encom- Key words: alertness, awareness, vegetative stadium nach apallischem Syndrom (vegetativer passes alertness and awareness. Awareness state (PVS), minimally conscious state (MCS) 1996 wurde der Terminus „minimal bewusster Zustand“ nehmung von exogenen Reizen mit bewussten Reaktionen („Minimally Conscious State“ [MCS]) geprägt [1]. Giacino et darauf) wurde von Bewusstsein im Hinblick auf sich selbst al. [2] haben dafür Kriterien angegeben. Dieser neue Begriff (intrinsischer Bewusstseinsstrom, Selbstbewusstsein, innerer berücksichtigt jedoch nicht ältere Arbeiten. Anhand der vor- Monolog) unterschieden. gelegten Übersicht soll dies ergänzt werden. Einige begriff- liche Festlegungen werden vorangestellt. Topische Zuordnung der Bewusstseins- komponenten Definition von Bewusstsein Der tierexperimentelle Nachweis der Formatio reticularis des Bewusstsein als integrative Basis zahlreicher Hirnfunktionen Hirnstamms als wesentliche Struktur für Wachheit im Gegen- kann per se nicht definiert werden, weil das zu Definierende satz zu Schlaf und Koma [10] wurde klinisch-neurologisch Voraussetzung dessen ist, was definiert werden soll. Außer- immer wieder bestätigt. Die Formatio reticularis ist Schwer- dem wird der Terminus in mehreren Bedeutungen gebraucht punkt eines ausgedehnten, aktivierenden, retikulären aufstei- (Zusammenfassung bei [3]). Erfahrungen und darauf ba- genden Systems (ARAS), das unter anderem auch thala- sierende wissenschaftliche Aussagen betreffen Surrogat- mische Anteile enthält. Die Formatio reticularis setzt sich aus parameter. Der Schluss von diesen auf das Bewusstsein selbst unterschiedlichen Teilen zusammen, die anatomisch und bleibt hypothetisch und wird nicht allgemein akzeptiert [4]. funktionell differente kortikale Systeme aktivieren [11]. Unabhängig von theoretischen Konzepten dürfte aber jeder- Dabei finden sich auch unterschiedliche Neurotransmitter. mann eine Vorstellung von Bewusstlosigkeit haben [5]. Ärzte diagnostizieren Bewusstseinsstörungen aufgrund der Reak- Extrinsische und intrinsische Bewusstseinsinhalte sind an tionen auf exogene Reize, der Erinnerung des Patienten an spezifische kortikale Netzwerke gebunden (Zusammenfas- den abnormen Zustand und aufgrund des neurologischen Be- sungen bei [8, 9]). Das „Default Mode Network“ (DMN), in fundes. das der N. precuneus involviert ist [12], wird während des in- neren Monologs aktiviert, ebenso wie Kortexareale mit Komponenten des Bewusstseins Schwerpunkt im frontalen Assoziationskortex während der extrinsischen Funktionen [13, 14]. Störungen der Bewusst- Bewusstsein als komplexes Begriffskonstrukt enthält mehrere seinsinhalte treten nicht nur bei direkten Läsionen der ge- Aspekte. Bleuler et al. [6] haben die Hauptkomponenten und nannten Kortexareale auf, sondern auch bei Unterbrechung ihre Störungen einprägsam illustriert (weitere ältere Literatur ihrer Verbindungsbahnen [15, 16]. bei [7]). Wachheit fungiert als Voraussetzung für Bewusst- seinsinhalte. Letztere wurden weiter differenziert [8, 9]. Be- Schematisch kann zusammengefasst werden: Der innere Mo- wusstsein im Hinblick auf dritte Personen (bewusste Wahr- nolog ist an das DMN mit posteriorem kortikalem Schwer- punkt gebunden; für das bewusste Wahrnehmen exogener Reize und für entsprechende Reaktionen darauf sind prä- Eingelangt am 24. Oktober 2011; angenommen am 7. Januar 2012; Pre-Publishing frontale Abschnitte entscheidend. Voraussetzung dieser Funk- Online am 28. Februar 2012 tionen ist eine Aktivierung durch das ARAS (Wachheit). Kor- Aus der 1Abteilung für Neurochirurgie, Landeskrankenhaus Feldkirch, und der tikale Netzwerke für intrinsische oder extrinsische Bewusst- 2Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck Korrespondenzadresse: Univ.-Prof. Dr. med. Gerhard Bauer, Neurologische seinsinhalte werden dabei durch unterschiedliche Teile der Klinik, Medizinische Universität Innsbruck, A-6020 Innsbruck, Anichstraße 35; E- Formatio reticularis mit unterschiedlichen Neurotransmittern Mail: Gerhard.Bauer@i-med.ac.at angeregt. 108 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (3) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Minimal bewusster Zustand Bewusstseinsstörungen pontomesencephalen Übergangs (tentorielle Herniation, di- rekte Läsion) oder diffus bis herab auf diese Ebene (Hypo- Die oben angegebene lokalisatorische Zuordnung ist Ergebnis xien, Intoxikationen, Narkose, generalisierte tonisch-kloni- von Untersuchungen mit funktioneller Magnetresonanztomo- sche Anfälle etc.) [18]. Im Gegensatz zu vegetativen Zustän- graphie (fMRI) an Probanden und einer Analyse von Patien- den (VS) mit erhaltener Funktion des Wecksystems sind im ten mit Bewusstseinsstörungen. In Tabelle 1 sind die Syndro- Koma die Augen immer geschlossen. Eine Ausnahme bilden me gestörter neuroexekutiver Funktionen anhand der Basis- tonische Augenbewegungen, die anfallsartig und periodisch symptome Reagibilität und Erinnerung aufgelistet. Dabei ist wiederholt auftreten [19]. Sie werden bei prognostisch erns- zu betonen, dass Syndrome mit ausschließlich motorischen ten Komazuständen vor allem nach zerebraler Hypoxie beob- Ausfällen Bewusstlosigkeit vortäuschen können. Die Reak- achtet und nicht selten von Angehörigen als Zeichen erhalte- tionsmöglichkeit ist aufgrund ausgedehnter Lähmungen ein- nen Bewusstseins fehlgedeutet. geschränkt oder erloschen, das Gedächtnis und Bewusst- seinsinhalte aber sind erhalten. Paradigma ist das Locked-in- Reaktivität und Gedächtnis sind bei partiellen kortikalen Syndrom (LiS), das je nach Ausdehnung und Lokalisation der Funktionsstörungen teilweise gestört. Bewusstseinsstörungen Läsion klassisch (hoher pontiner Querschnitt), inkomplett in Absencen, fokal-komplexen Anfällen und deren Status- (partieller pontiner Querschnitt) oder total (umschriebene bi- formen entsprechen keinem Koma, sondern einer partiellen laterale mesencephale Läsionen) ausgebildet ist [17]. Wäh- Blockierung zerebraler Funktionen durch die epileptischen rend im klassischen und inkompletten LiS eine Kommunikati- Entladungen [20]. Bei demenziellen Prozessen sind die on durch vertikale Blick- und Blinzelbewegungen – im Bewusstseinsinhalte reduziert. Endstadien gleichen dem VS. inkompletten LiS auch durch weitere motorische Rest- Bei Erholung nach generalisierten Anfällen, Koma, VS und funktionen – möglich ist, fehlt sie im totalen LiS. Zusatz- beim Erwachen aus der Narkose finden sich Zustände mit untersuchungen, wie elektrophysiologische und funktionelle unterschiedlich ausgeprägter Wiederherstellung kortikaler bildgebende Verfahren, können den Verdacht auf einen erhal- Funktionen, die einem MCS entsprechen können. tenen inneren Monolog nahelegen, es bleibt aber immer Ver- mutung. Weitere, motorisch bedingte Reaktionsstörungen Vegetativer Zustand werden bei bilateralen Pyramidenbahnläsionen oberhalb des Mesencephalons, bei fortgeschrittenem M. Parkinson, bei Seit der Erstbeschreibung als apallisches Syndrom durch ALS und bei peripheren Neuropathien beobachtet. Obwohl Kretschmer [21] und der monographischen Darstellung durch diese Patienten durch ihre motorische Behinderung „einge- Gerstenbrand [22] sind Details hinzugefügt, aber auch ver- sperrt“ („locked in“) sind, sollte der Terminus LiS auf die gessen worden. meist vaskulär bedingten Hirnstamm- und mesencephalen Syndrome beschränkt bleiben. Anstelle des besetzten Aus- Der VS ist gekennzeichnet durch fehlende Bewusstseins- drucks LiS könnte man die anderen Krankheitsbilder als inhalte und als Zeichen intakter Wecksysteme durch intermit- Locked-in-Zustände zusammenfassen. Die neurologische tierende Phasen mit geöffneten Augen. Während dieser Pha- Symptomatik erlaubt meist eine Differenzierung. sen zeigt das ARAS im PET einen gesteigerten Metabolismus [15]. Dieser Befund geht mit einer verminderten Aktivität im Bei globalen kortikalen Funktionsstörungen sind Reaktivität Precuneus einher, durch die das ARAS von oben nach unten und Erinnerung erloschen. Koma ist bedingt durch einen moduliert wird, was quasi einem Versuch entspricht, die Funktionsausfall des ARAS, einerseits lokal in Höhe des Bewusstseinsinhalte doch noch zu erhellen. Im Gegensatz zu Tabelle 1: Syndrome gestörter neuroexekutiver Funktionen anhand der Basissymptome Reagibilität und Erinnerung Störung motorischer Kontrolle Globale zerebrale Partielle zerebrale Funktionsstörung Funktionsstörung Reaktivität: 0 oder +/0 Reaktivität: 0 Reaktivität: +/0 Gedächtnis: + Gedächtnis: 0 Gedächtnis: +/0 Bilaterale Pyramidenbahnläsionen Koma (Augen geschlossen) bei Störung Demenzielle Syndrome des ARAS am ponto-mesencephalen Über- gang Extrapyramidale Syndrome Koma (Augen geschlossen mit Ausnahme Absencen, komplex-fokale Anfälle, tonischer Augenbewegungen) bei Störung nicht-konvulsiver Status epilepticus, bis herab auf Mittelhirnebene (Intoxikation, postiktal Hypoxie, metabolisch, Narkose etc.) Locked-in-Syndrom (klassisch, GTCS, konvulsiver Status epilepticus Erwachen aus Narkose inkomplett, total) Endstadium einer ALS (hier auch Endzustand demenzieller Reintegrationsstadien nach GTCS, frontale kortikale Störungen) Syndrome ≈ VS Koma, VS etc. Schwere periphere Neuropathien VS (Augen periodisch geöffnet) MCS (u. a. GBS) ARAS: aktivierendes, retikuläres aufsteigendes System; GTCS: „Generalized Tonic-Clonic Seizure“; ALS: amyotrophe Lateralsklerose; VS: vegetativer Zustand; GBS: Guillain-Barré-Syndrom; MCS: „Minimally Conscious State“ 0: Funktion erloschen: +/0: Funktion gestört; +: Funktion normal J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (3) 109
Minimal bewusster Zustand den anfallsartigen tonischen Augenbewegungen in manchen anhaltende Blickfolge und sinnvolles Sprechen oder Gestiku- Komaformen dauern die Abschnitte mit offenen Augen beim lieren. VS länger. Ihre Deutung als Wachphase eines abnormen Schlaf-Wach-Zyklus ist allgemein anerkannt, obwohl ent- Natürlich sind diese Symptome im Kontext des neurologi- sprechende EEG-Veränderungen im Gegensatz zum MCS schen Befundes zu interpretieren (z. B. Ausschluss von Apha- nicht nachgewiesen wurden [23]. Auch bei wiederholter und sien). Auch dürfen Hirnstamm-gesteuerte Automatismen [31] kunstgerechter Testung finden sich im VS keine Hinweise ei- nicht mit bewussten Reaktionen verwechselt werden. Fins et ner bewussten Reaktion auf äußere Reize. Dies wurde als ein al. [32] betonten die Abgrenzung dieser motorischen Entäu- essenzieller Unterschied zum MCS angesehen. ßerungen von bewussten Reaktionen im MCS. Illusionäre Fehldeutungen durch Angehörige sind psychologisch ver- Nach dem zeitlichen Verlauf wurden transiente von per- ständlich. Nicht selten allerdings sind Beobachtungen nicht- sistierenden und permanenten VS unterschieden [24, 25]. ärztlicher Personen oft der einzige und lange missachtete Hin- Zeitliche Grenzen und ihre Abhängigkeit von der Ätiologie weis, dass kein PVS, sondern MCS vorliegt. wurden festgesetzt. Bei posttraumatischem VS kann eine Bes- serung nach einem Jahr nicht mehr erwartet werden, bei Surrogatparameter hypoxisch bedingtem VS bereits nach 6 Monaten. Die Ver- Eine beträchtliche konzeptionelle und ethische Unschärfe re- absolutierung dieser Angaben wurde aber durch Verlaufs- sultierte aus dem Einschluss von elektrophysiologischen und beobachtungen mehrfach relativiert. bildgebenden Parametern in die Kriterien des MCS. Die Analyse bildgebender Verfahren bei Patienten im VS un- Bauer et al. [17] beobachteten bei einer Patientin mit Infark- terstützte die oben angeführte Hirntopik der Bewusstseins- ten in beiden Hirnschenkeln und verhaltensmäßig totaler inhalte. Im VS bleiben die entsprechenden Regionen im fMRI Reaktionslosigkeit einen normalen Alpha-Rhythmus sowie stumm (Zusammenfassungen bei [8, 9, 26, 27]). normale Schlafmuster mit Arousal-Reaktionen im konventio- nellen EEG. Aufgrund des als sicher geltenden Zusammen- Der VS ist noch immer ein Syndrom auf der Suche nach ei- hangs eines normalen Alpha-Rhythmus mit erhaltenem Be- nem Namen. Die Bezeichnung „apallisches Syndrom“ [21] wusstsein wurde angenommen, dass die Patientin total entspricht nicht der Faktenlage, da weite Teile des Palliums „locked-in“, aber nicht bewusstlos sei. Dieser wissenschafts- erhalten sein können. Darauf haben Ingvar und Brun [28] hin- theoretisch nicht stringente Schluss wurde in mehreren Unter- gewiesen, indem sie das apallische Syndrom von schweren suchungen von Surrogatparametern an kommunikations- dyspallischen Zuständen unterschieden haben. Jennet und unfähigen Patienten wiederholt. Leon-Carrion et al. [33] fan- Plum [29] prägten den Ausdruck „Persistent Vegetative State“ den die Powerspektren für Delta-Wellen in den verantwortli- (PVS). Bei irreversibler Persistenz spricht man von „Perma- chen kortikalen Regionen im MCS im Vergleich zum VS ver- nent Vegetative State“ [24, 25]. Nachteil dieser Bezeichnun- mehrt. Kotchoubey und Lang [5] stellten eine abnehmende gen ist neben der identen Abkürzung vor allem die negative Komplexität der EEG-Muster in der Reihe vom normalen Konnotation mit „vegetable“. Deshalb haben Laureys et al. Probanden zu MCS und VS fest. Schnakers et al. [34] regis- [30] die Bezeichnung „Unresponsive Wakefulness Syndro- trierten P3-Antworten, evoziert durch Anrede mit dem eige- me“ (UWS) vorgeschlagen. Allerdings gibt es im VS nicht- nen Namen bei allen MCS-Patienten, aber bei keinem im VS. kortikal vermittelte Reaktionen auf exogene Reize (z. B. Landness et al. [23] schließlich untersuchten prozessierte Strecksynergismen). Man müsste demnach die Bezeichnung EEG-Nachtableitungen. Im MCS konnten Schlafmuster ab- präzisieren auf „Cortically Unresponsive Wakefulness Syn- geleitet werden, im VS hingegen nicht. drome“ (CUWS). Jedenfalls hat der von Laureys et al. [30] vorgeschlagene Ausdruck den Vorteil einer Auflistung essen- Zahlreiche fMRI-Untersuchungen an Patienten im MCS erga- zieller Symptome ohne Implizierung vorschneller prognosti- ben Hinweise für erhaltenes Sprachverständnis und für eine scher Aussagen und vor allem ohne ethisch bedenkliche Asso- emotionelle Verarbeitung äußerer Eindrücke (Zusammenfas- ziationen. sung bei [35]). Selbst bei Patienten, die klinisch als PVS im- ponierten, wurden fMRI-Aktivierungen mit erhaltenen Minimal bewusster Zustand („Minimally Bewusstseinsinhalten erklärt. Das Ausmaß der Bewusstseins- störung bei nicht-kommunikationsfähigen Patienten korre- Conscious State“ [MCS]) lierte mit der Reduktion der Verbindungen innerhalb des Definition und klinische Kriterien DMV [16]. Besondere Beachtung fand eine Arbeit, die eine Der Ausdruck wurde konsensuell definiert als ein Zustand mit willkürliche Modulation der fMRI-Aktivität bei Patienten im minimalen, aber eindeutigen verhaltensmäßigen Hinweisen MCS, aber auch im PVS berichtete [36]. Den Patienten wurde auf Bewusstseinsinhalte [1]. Giacino et al. [2] haben diagnos- aufgetragen, sich Tennisspielen oder einen Gang durch ihr tische Kriterien angegeben, diese können nur gelegentlich Zuhause vorzustellen. Während dieser Aktivitäten kam es zu nachweisbar sein. Eine längerdauernde und wiederholte Un- einer Aktivierung von Kortexarealen im fMRI. Gegen die tersuchung ist deshalb notwendig. Als Hinweise auf minimal Annahme, dass dies ein Beweis für erhaltenes Bewusstsein erhaltenes Bewusstsein wurden angesehen: gerichtete sei, können mehrere Einwände angeführt werden. Es besteht Schmerzabwehr, gerichtete Hinwendung zu akustischen Rei- keine Möglichkeit zu verifizieren, dass die Aufträge verstan- zen, anhaltende visuelle Fixation sowie situationsbezogen den und in der geforderten Weise durchgeführt wurden. Das Vokalisation, Lachen und Weinen. Deutliche Hinweise sind Argument, dass die Aktivierung dies beweise, ist ein klassi- Greifen nach Objekten, teilweise Befolgung von Aufträgen, sches Beispiel eines Zirkelschlusses. Die Bezeichnung als 110 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (3)
Minimal bewusster Zustand „willkürliche Modulation“ mündet in der empirisch nicht gen wurden nicht erwähnt. Die Bezeichnung PVS [24, 25] beantwortbaren Frage, was denn Wille sei. Und schließlich impliziert unveränderbare Irreversibilität, Erholungsstadien bleibt die Unsicherheit der Wertigkeit von Surrogatpara- finden nicht genügend Beachtung. UWS (CUWS) beschreibt metern, die nicht durch eine Überprüfung der tatsächlichen den Zustand ohne prognostische Festlegungen. Die Unter- Endpunkte bestätigt werden können. Ropper [4] hat die Pro- scheidung zwischen MCS und PVS führt zum Schluss, dass es blematik im Titel seines Editorials auf den Punkt gebracht: sich dabei um unterschiedliche Krankheitsbilder handelt. „Cogito ergo sum by MRI“. Trotz aller Einwände aber unter- Dies entspricht aber nicht den Verläufen. In diesem Zusam- stützen die elektrophysiologischen und bildgebenden Befun- menhang ist daran zu erinnern, dass Gerstenbrand schon in de die Unterscheidung des MCS vom VS, wenn sie zusätzlich seiner Monographie [22] mehrere Erholungsphasen des apal- zum klinischen Befund und nicht isoliert gewertet werden. lischen Syndroms systematisch beschrieben hat. Acht Re- missionsphasen wurden klinisch abgegrenzt. Auch wenn die- Prognose des PVS und MCS se nicht durch Cluster-Analysen statistisch verifiziert wurden, stellen sie doch einen wichtigen grundsätzlichen Hinweis dar. Berichte über unerwartete Verbesserungen des PVS nach jah- CUWS und MCS sind Verlaufsphasen eines Krankheits- relangem Verlauf haben zu ausgiebigen Diskussionen geführt geschehens mit zahlreichen Übergängen, deren endgültige [37–40]. Alle diese Einzelfälle relativieren die angegebenen Prognose an kein absolutes zeitliches Limit gebunden ist. zeitlichen Grenzen der Erholungsmöglichkeit [24, 25]. Schon aus der Definition und aus den Kriterien des MCS nach Immer stellt sich auch die Frage nach der Sicherheit der Diag- Giacino et al. [2] lässt sich ersehen, dass darin verschiedene nose. Fehldiagnosen des PVS sind häufig [41–44]. neurologische Abstufungen enthalten sind. Eine differenzier- te Charakterisierung der Erholungsphasen sowie deren Epide- Giacino et al. [2] wiesen darauf hin, dass MCS kein stationä- miologie können Grundlage zur Lösung therapeutischer, pro- rer Zustand sein muss, sondern dass eine Erholung möglich gnostischer und ethischer Fragen sein und sollten vordring- ist. Neben chronischen MCS gibt es auch kurzfristige Bilder. lich beforscht werden. MCS kann nach Narkose [45] und in der posttraumatischen Verwirrtheit [46] als kurzdauerndes Stadium beobachtet wer- den. In den ersten Tagen oder Wochen nach neurochirurgi- schen Eingriffen gibt es ebenfalls Zustände, die einem MCS Relevanz für die Praxis entsprechen. Insgesamt fehlen bislang epidemiologische An- Die Diagnose des „Persistent Vegetative State“ (PVS) bzw. gaben und auch Versuche, die verschiedenen Stadien nach „Unresponsive Wakeful State“ (UWS) ist immer mit der zeitlichen und neurologischen Gesichtspunkten systematisch Gefahr verbunden, Bewusstseinsreste zu übersehen. Die zu erfassen. Beschreibung des „Minimally Conscious State“ (MCS), das Hinzufügen der Ergebnisse von Zusatzuntersuchungen Die verfügbaren prognostischen Daten sind deshalb nicht ein- zu seinen Kriterien und die Berichte überraschender Ver- heitlich. Giacino [47] betonte, dass die Prognosen bei länger- läufe führten zu einer Neubewertung: PVS wird als Zu- dauerndem MCS besser als beim VS waren. Lammi et al. [48] stand mit offener Prognose angesehen. Ist das eine neue untersuchten den Verlauf des posttraumatischen MCS nach 2– Erkenntnis? Wissenschaftliche Umbrüche zeigen gelegent- 5 Jahren. Alle Patienten zeigten Residualschäden, die über- lich das Vergessen früherer Daten [22] auf. In entsprechen- wiegende Zahl blieb funktionell abhängig. Die Dauer des den Zentren galt schon immer der Grundsatz, mit schwerst MCS innerhalb der Grenzen von 27–615 Tagen erlaubte keine hirngestörten Patienten so umzugehen, als ob eine Art Be- prognostische Differenzierung. Luauté et al. [49] verglichen wusstsein erhalten wäre. Zeitliche Limits einer Besse- den Verlauf zwischen MCS und PVS. Nach einjähriger Dauer rungsmöglichkeit wurden im Einzelfall nicht festgelegt. des Zustandes verbesserte sich dieser bei 1/3 der MCS-Patien- Die ethischen und therapeutischen Konsequenzen aus spät ten, aber bei keinem im PVS. Jedoch blieben auch die gebes- im Verlauf auftretenden Verbesserungen [39] und aus den serten Patienten schwer behindert. Strauss et al. [50] unter- Ergebnissen der Zusatzuntersuchungen [51] wurden durch suchten das Überleben bei Kindern im PVS, im immobilen diese Praxis vorweggenommen. Keine wie immer gearte- MCS und im mobilen MCS. Kein Unterschied wurde gefun- ten religiösen, weltanschaulichen, ökonomischen, politi- den zwischen PVS und immobilen MCS (63 % bzw. 65 % schen oder emotionellen Haltungen der agierenden Perso- Überlebensrate). Ein signifikanter Unterschied mit 85 % nen können das jeweilige Schicksal des Patienten bestim- Überlebenden wurde beim mobilen MCS festgestellt. Trotz men. Die praktischen ärztlichen Entscheidungen sollten der begrenzten Aussagekraft dieser Studien kann mit Fins daher nicht vorschnell getroffen werden. So genannte [39] festgehalten werden, dass der MCS eine bessere Progno- evidenzbasierte Richtlinien sind im Einzelfall immer im se als ein diagnostisch gesicherter PVS hat und dass beide Sinne einer möglichen Zustandsverbesserung zu hinterfra- nicht kategorisch als irreversible statische Zustände aufge- gen. Das Recht auf maximale Betreuung und Behandlung fasst werden können, da späte Änderungen möglich sind. schließt aber andererseits das Recht zu sterben nicht aus [52]. PVS und MCS sind keine getrennten Er- krankungen, sondern Verlaufsstadien globaler zerebraler Funktionsstörungen Interessenkonflikt Für schwere ZNS-Erkrankungen mit Bewusstseinsresten Die Autoren haben im Zusammenhang mit der vorgelegten wurde der neue Ausdruck MCS geprägt. Frühere Beobachtun- Arbeit keine wie immer gearteten Interessenkonflikte. J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (3) 111
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