Minimal bewusster Zustand ("Minimally Conscious State"): Eine neue Bezeichnung für längst Bekanntes

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Journal für

 Neurologie, Neurochirurgie
 und Psychiatrie
             www.kup.at/
 JNeurolNeurochirPsychiatr   Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems

Minimal bewusster Zustand
                                                                               Homepage:
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neue Bezeichnung für längst                                      JNeurolNeurochirPsychiatr

Bekanntes                                                              Online-Datenbank
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Bauer R, Bauer G, Gerstenbrand F
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Journal für Neurologie
Neurochirurgie und Psychiatrie
2013; 14 (3), 108-112

                                                                                            Indexed in
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Minimal bewusster Zustand

Minimal bewusster Zustand („Minimally Conscious
State“): Eine neue Bezeichnung für längst Bekanntes
                                                            R. Bauer1, G. Bauer2, F. Gerstenbrand2

 Kurzfassung: Der nicht definierbare Terminus           Zustand) längst bekannt war. Eine weitere Diffe-can be divided into awareness in relation to a
 „Bewusstsein“ setzt sich zusammen aus Wach-            renzierung des minimal bewussten Zustands       third person as well as in relation to oneself.
 heit und Bewusstseinsinhalten im Hinblick auf          sollte aus ethischen und therapeutischen Grün-  Several neuro-executive disturbances can be di-
 dritte Personen sowie Bewusstseinsinhalten im          den erfolgen.                                   agnosed. In recent years, the term “minimally
 Hinblick auf sich selbst. Zahlreiche neuroexe-                                                         conscious state” has been added. However,
 kutive Störungen können diesen Begriffen zuge-         Schlüsselwörter: Wachheit, Bewusstseins- this state has already been described in detail in
 ordnet werden. Den globalen kortikalen Störun-         inhalte, vegetativer Zustand (PVS), minimal be- previous papers. For ethical and therapeutic con-
 gen, wie Koma, vegetativer Zustand und De-             wusster Zustand (MCS)                           sequences, these descriptions should be con-
 menz, wurde in jüngerer Vergangenheit der „mi-                                                         firmed by cluster analyses. J Neurol Neuro-
 nimal bewusste Zustand“ hinzugefügt. Dabei                                                             chir Psychiatr 2013; 14 (3): 108–12.
 wurde nicht berücksichtigt, dass er in differen-       Abstract: Minimally Conscious State –
 zierten Beschreibungen als Reintegrations-             New Term, Old Facts. Consciousness encom- Key words: alertness, awareness, vegetative
 stadium nach apallischem Syndrom (vegetativer          passes alertness and awareness. Awareness state (PVS), minimally conscious state (MCS)

1996 wurde der Terminus „minimal bewusster Zustand“                                nehmung von exogenen Reizen mit bewussten Reaktionen
(„Minimally Conscious State“ [MCS]) geprägt [1]. Giacino et                        darauf) wurde von Bewusstsein im Hinblick auf sich selbst
al. [2] haben dafür Kriterien angegeben. Dieser neue Begriff                       (intrinsischer Bewusstseinsstrom, Selbstbewusstsein, innerer
berücksichtigt jedoch nicht ältere Arbeiten. Anhand der vor-                       Monolog) unterschieden.
gelegten Übersicht soll dies ergänzt werden. Einige begriff-
liche Festlegungen werden vorangestellt.                                            Topische Zuordnung der Bewusstseins-
                                                                                     komponenten
 Definition von Bewusstsein
                                                                                   Der tierexperimentelle Nachweis der Formatio reticularis des
Bewusstsein als integrative Basis zahlreicher Hirnfunktionen                       Hirnstamms als wesentliche Struktur für Wachheit im Gegen-
kann per se nicht definiert werden, weil das zu Definierende                       satz zu Schlaf und Koma [10] wurde klinisch-neurologisch
Voraussetzung dessen ist, was definiert werden soll. Außer-                        immer wieder bestätigt. Die Formatio reticularis ist Schwer-
dem wird der Terminus in mehreren Bedeutungen gebraucht                            punkt eines ausgedehnten, aktivierenden, retikulären aufstei-
(Zusammenfassung bei [3]). Erfahrungen und darauf ba-                              genden Systems (ARAS), das unter anderem auch thala-
sierende wissenschaftliche Aussagen betreffen Surrogat-                            mische Anteile enthält. Die Formatio reticularis setzt sich aus
parameter. Der Schluss von diesen auf das Bewusstsein selbst                       unterschiedlichen Teilen zusammen, die anatomisch und
bleibt hypothetisch und wird nicht allgemein akzeptiert [4].                       funktionell differente kortikale Systeme aktivieren [11].
Unabhängig von theoretischen Konzepten dürfte aber jeder-                          Dabei finden sich auch unterschiedliche Neurotransmitter.
mann eine Vorstellung von Bewusstlosigkeit haben [5]. Ärzte
diagnostizieren Bewusstseinsstörungen aufgrund der Reak-                           Extrinsische und intrinsische Bewusstseinsinhalte sind an
tionen auf exogene Reize, der Erinnerung des Patienten an                          spezifische kortikale Netzwerke gebunden (Zusammenfas-
den abnormen Zustand und aufgrund des neurologischen Be-                           sungen bei [8, 9]). Das „Default Mode Network“ (DMN), in
fundes.                                                                            das der N. precuneus involviert ist [12], wird während des in-
                                                                                   neren Monologs aktiviert, ebenso wie Kortexareale mit
 Komponenten des Bewusstseins                                                     Schwerpunkt im frontalen Assoziationskortex während der
                                                                                   extrinsischen Funktionen [13, 14]. Störungen der Bewusst-
Bewusstsein als komplexes Begriffskonstrukt enthält mehrere                        seinsinhalte treten nicht nur bei direkten Läsionen der ge-
Aspekte. Bleuler et al. [6] haben die Hauptkomponenten und                         nannten Kortexareale auf, sondern auch bei Unterbrechung
ihre Störungen einprägsam illustriert (weitere ältere Literatur                    ihrer Verbindungsbahnen [15, 16].
bei [7]). Wachheit fungiert als Voraussetzung für Bewusst-
seinsinhalte. Letztere wurden weiter differenziert [8, 9]. Be-                     Schematisch kann zusammengefasst werden: Der innere Mo-
wusstsein im Hinblick auf dritte Personen (bewusste Wahr-                          nolog ist an das DMN mit posteriorem kortikalem Schwer-
                                                                                   punkt gebunden; für das bewusste Wahrnehmen exogener
                                                                                   Reize und für entsprechende Reaktionen darauf sind prä-
Eingelangt am 24. Oktober 2011; angenommen am 7. Januar 2012; Pre-Publishing       frontale Abschnitte entscheidend. Voraussetzung dieser Funk-
Online am 28. Februar 2012                                                         tionen ist eine Aktivierung durch das ARAS (Wachheit). Kor-
Aus der 1Abteilung für Neurochirurgie, Landeskrankenhaus Feldkirch, und der        tikale Netzwerke für intrinsische oder extrinsische Bewusst-
2Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck

Korrespondenzadresse: Univ.-Prof. Dr. med. Gerhard Bauer, Neurologische
                                                                                   seinsinhalte werden dabei durch unterschiedliche Teile der
Klinik, Medizinische Universität Innsbruck, A-6020 Innsbruck, Anichstraße 35; E-   Formatio reticularis mit unterschiedlichen Neurotransmittern
Mail: Gerhard.Bauer@i-med.ac.at                                                    angeregt.

108    J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (3)

       For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Minimal bewusster Zustand

 Bewusstseinsstörungen                                              pontomesencephalen Übergangs (tentorielle Herniation, di-
                                                                     rekte Läsion) oder diffus bis herab auf diese Ebene (Hypo-
Die oben angegebene lokalisatorische Zuordnung ist Ergebnis          xien, Intoxikationen, Narkose, generalisierte tonisch-kloni-
von Untersuchungen mit funktioneller Magnetresonanztomo-             sche Anfälle etc.) [18]. Im Gegensatz zu vegetativen Zustän-
graphie (fMRI) an Probanden und einer Analyse von Patien-            den (VS) mit erhaltener Funktion des Wecksystems sind im
ten mit Bewusstseinsstörungen. In Tabelle 1 sind die Syndro-         Koma die Augen immer geschlossen. Eine Ausnahme bilden
me gestörter neuroexekutiver Funktionen anhand der Basis-            tonische Augenbewegungen, die anfallsartig und periodisch
symptome Reagibilität und Erinnerung aufgelistet. Dabei ist          wiederholt auftreten [19]. Sie werden bei prognostisch erns-
zu betonen, dass Syndrome mit ausschließlich motorischen             ten Komazuständen vor allem nach zerebraler Hypoxie beob-
Ausfällen Bewusstlosigkeit vortäuschen können. Die Reak-             achtet und nicht selten von Angehörigen als Zeichen erhalte-
tionsmöglichkeit ist aufgrund ausgedehnter Lähmungen ein-            nen Bewusstseins fehlgedeutet.
geschränkt oder erloschen, das Gedächtnis und Bewusst-
seinsinhalte aber sind erhalten. Paradigma ist das Locked-in-        Reaktivität und Gedächtnis sind bei partiellen kortikalen
Syndrom (LiS), das je nach Ausdehnung und Lokalisation der           Funktionsstörungen teilweise gestört. Bewusstseinsstörungen
Läsion klassisch (hoher pontiner Querschnitt), inkomplett            in Absencen, fokal-komplexen Anfällen und deren Status-
(partieller pontiner Querschnitt) oder total (umschriebene bi-       formen entsprechen keinem Koma, sondern einer partiellen
laterale mesencephale Läsionen) ausgebildet ist [17]. Wäh-           Blockierung zerebraler Funktionen durch die epileptischen
rend im klassischen und inkompletten LiS eine Kommunikati-           Entladungen [20]. Bei demenziellen Prozessen sind die
on durch vertikale Blick- und Blinzelbewegungen – im                 Bewusstseinsinhalte reduziert. Endstadien gleichen dem VS.
inkompletten LiS auch durch weitere motorische Rest-                 Bei Erholung nach generalisierten Anfällen, Koma, VS und
funktionen – möglich ist, fehlt sie im totalen LiS. Zusatz-          beim Erwachen aus der Narkose finden sich Zustände mit
untersuchungen, wie elektrophysiologische und funktionelle           unterschiedlich ausgeprägter Wiederherstellung kortikaler
bildgebende Verfahren, können den Verdacht auf einen erhal-          Funktionen, die einem MCS entsprechen können.
tenen inneren Monolog nahelegen, es bleibt aber immer Ver-
mutung. Weitere, motorisch bedingte Reaktionsstörungen                Vegetativer Zustand
werden bei bilateralen Pyramidenbahnläsionen oberhalb des
Mesencephalons, bei fortgeschrittenem M. Parkinson, bei              Seit der Erstbeschreibung als apallisches Syndrom durch
ALS und bei peripheren Neuropathien beobachtet. Obwohl               Kretschmer [21] und der monographischen Darstellung durch
diese Patienten durch ihre motorische Behinderung „einge-            Gerstenbrand [22] sind Details hinzugefügt, aber auch ver-
sperrt“ („locked in“) sind, sollte der Terminus LiS auf die          gessen worden.
meist vaskulär bedingten Hirnstamm- und mesencephalen
Syndrome beschränkt bleiben. Anstelle des besetzten Aus-             Der VS ist gekennzeichnet durch fehlende Bewusstseins-
drucks LiS könnte man die anderen Krankheitsbilder als               inhalte und als Zeichen intakter Wecksysteme durch intermit-
Locked-in-Zustände zusammenfassen. Die neurologische                 tierende Phasen mit geöffneten Augen. Während dieser Pha-
Symptomatik erlaubt meist eine Differenzierung.                      sen zeigt das ARAS im PET einen gesteigerten Metabolismus
                                                                     [15]. Dieser Befund geht mit einer verminderten Aktivität im
Bei globalen kortikalen Funktionsstörungen sind Reaktivität          Precuneus einher, durch die das ARAS von oben nach unten
und Erinnerung erloschen. Koma ist bedingt durch einen               moduliert wird, was quasi einem Versuch entspricht, die
Funktionsausfall des ARAS, einerseits lokal in Höhe des              Bewusstseinsinhalte doch noch zu erhellen. Im Gegensatz zu

 Tabelle 1: Syndrome gestörter neuroexekutiver Funktionen anhand der Basissymptome Reagibilität und Erinnerung
 Störung motorischer Kontrolle              Globale zerebrale                                     Partielle zerebrale
                                            Funktionsstörung                                      Funktionsstörung

 Reaktivität: 0 oder +/0                    Reaktivität: 0                                        Reaktivität: +/0
 Gedächtnis: +                              Gedächtnis: 0                                         Gedächtnis: +/0
 Bilaterale Pyramidenbahnläsionen           Koma (Augen geschlossen) bei Störung                  Demenzielle Syndrome
                                            des ARAS am ponto-mesencephalen Über-
                                            gang
 Extrapyramidale Syndrome                   Koma (Augen geschlossen mit Ausnahme                  Absencen, komplex-fokale Anfälle,
                                            tonischer Augenbewegungen) bei Störung                nicht-konvulsiver Status epilepticus,
                                            bis herab auf Mittelhirnebene (Intoxikation,          postiktal
                                            Hypoxie, metabolisch, Narkose etc.)
 Locked-in-Syndrom (klassisch,              GTCS, konvulsiver Status epilepticus                  Erwachen aus Narkose
 inkomplett, total)
 Endstadium einer ALS (hier auch            Endzustand demenzieller                               Reintegrationsstadien nach GTCS,
 frontale kortikale Störungen)              Syndrome ≈ VS                                         Koma, VS etc.
 Schwere periphere Neuropathien             VS (Augen periodisch geöffnet)                        MCS
 (u. a. GBS)

 ARAS: aktivierendes, retikuläres aufsteigendes System; GTCS: „Generalized Tonic-Clonic Seizure“; ALS: amyotrophe Lateralsklerose;
 VS: vegetativer Zustand; GBS: Guillain-Barré-Syndrom; MCS: „Minimally Conscious State“
 0: Funktion erloschen: +/0: Funktion gestört; +: Funktion normal

                                                                                           J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (3)   109
Minimal bewusster Zustand

den anfallsartigen tonischen Augenbewegungen in manchen          anhaltende Blickfolge und sinnvolles Sprechen oder Gestiku-
Komaformen dauern die Abschnitte mit offenen Augen beim          lieren.
VS länger. Ihre Deutung als Wachphase eines abnormen
Schlaf-Wach-Zyklus ist allgemein anerkannt, obwohl ent-          Natürlich sind diese Symptome im Kontext des neurologi-
sprechende EEG-Veränderungen im Gegensatz zum MCS                schen Befundes zu interpretieren (z. B. Ausschluss von Apha-
nicht nachgewiesen wurden [23]. Auch bei wiederholter und        sien). Auch dürfen Hirnstamm-gesteuerte Automatismen [31]
kunstgerechter Testung finden sich im VS keine Hinweise ei-      nicht mit bewussten Reaktionen verwechselt werden. Fins et
ner bewussten Reaktion auf äußere Reize. Dies wurde als ein      al. [32] betonten die Abgrenzung dieser motorischen Entäu-
essenzieller Unterschied zum MCS angesehen.                      ßerungen von bewussten Reaktionen im MCS. Illusionäre
                                                                 Fehldeutungen durch Angehörige sind psychologisch ver-
Nach dem zeitlichen Verlauf wurden transiente von per-           ständlich. Nicht selten allerdings sind Beobachtungen nicht-
sistierenden und permanenten VS unterschieden [24, 25].          ärztlicher Personen oft der einzige und lange missachtete Hin-
Zeitliche Grenzen und ihre Abhängigkeit von der Ätiologie        weis, dass kein PVS, sondern MCS vorliegt.
wurden festgesetzt. Bei posttraumatischem VS kann eine Bes-
serung nach einem Jahr nicht mehr erwartet werden, bei           Surrogatparameter
hypoxisch bedingtem VS bereits nach 6 Monaten. Die Ver-          Eine beträchtliche konzeptionelle und ethische Unschärfe re-
absolutierung dieser Angaben wurde aber durch Verlaufs-          sultierte aus dem Einschluss von elektrophysiologischen und
beobachtungen mehrfach relativiert.                              bildgebenden Parametern in die Kriterien des MCS.
Die Analyse bildgebender Verfahren bei Patienten im VS un-       Bauer et al. [17] beobachteten bei einer Patientin mit Infark-
terstützte die oben angeführte Hirntopik der Bewusstseins-       ten in beiden Hirnschenkeln und verhaltensmäßig totaler
inhalte. Im VS bleiben die entsprechenden Regionen im fMRI       Reaktionslosigkeit einen normalen Alpha-Rhythmus sowie
stumm (Zusammenfassungen bei [8, 9, 26, 27]).                    normale Schlafmuster mit Arousal-Reaktionen im konventio-
                                                                 nellen EEG. Aufgrund des als sicher geltenden Zusammen-
Der VS ist noch immer ein Syndrom auf der Suche nach ei-         hangs eines normalen Alpha-Rhythmus mit erhaltenem Be-
nem Namen. Die Bezeichnung „apallisches Syndrom“ [21]            wusstsein wurde angenommen, dass die Patientin total
entspricht nicht der Faktenlage, da weite Teile des Palliums     „locked-in“, aber nicht bewusstlos sei. Dieser wissenschafts-
erhalten sein können. Darauf haben Ingvar und Brun [28] hin-     theoretisch nicht stringente Schluss wurde in mehreren Unter-
gewiesen, indem sie das apallische Syndrom von schweren          suchungen von Surrogatparametern an kommunikations-
dyspallischen Zuständen unterschieden haben. Jennet und          unfähigen Patienten wiederholt. Leon-Carrion et al. [33] fan-
Plum [29] prägten den Ausdruck „Persistent Vegetative State“     den die Powerspektren für Delta-Wellen in den verantwortli-
(PVS). Bei irreversibler Persistenz spricht man von „Perma-      chen kortikalen Regionen im MCS im Vergleich zum VS ver-
nent Vegetative State“ [24, 25]. Nachteil dieser Bezeichnun-     mehrt. Kotchoubey und Lang [5] stellten eine abnehmende
gen ist neben der identen Abkürzung vor allem die negative       Komplexität der EEG-Muster in der Reihe vom normalen
Konnotation mit „vegetable“. Deshalb haben Laureys et al.        Probanden zu MCS und VS fest. Schnakers et al. [34] regis-
[30] die Bezeichnung „Unresponsive Wakefulness Syndro-           trierten P3-Antworten, evoziert durch Anrede mit dem eige-
me“ (UWS) vorgeschlagen. Allerdings gibt es im VS nicht-         nen Namen bei allen MCS-Patienten, aber bei keinem im VS.
kortikal vermittelte Reaktionen auf exogene Reize (z. B.         Landness et al. [23] schließlich untersuchten prozessierte
Strecksynergismen). Man müsste demnach die Bezeichnung           EEG-Nachtableitungen. Im MCS konnten Schlafmuster ab-
präzisieren auf „Cortically Unresponsive Wakefulness Syn-        geleitet werden, im VS hingegen nicht.
drome“ (CUWS). Jedenfalls hat der von Laureys et al. [30]
vorgeschlagene Ausdruck den Vorteil einer Auflistung essen-      Zahlreiche fMRI-Untersuchungen an Patienten im MCS erga-
zieller Symptome ohne Implizierung vorschneller prognosti-       ben Hinweise für erhaltenes Sprachverständnis und für eine
scher Aussagen und vor allem ohne ethisch bedenkliche Asso-      emotionelle Verarbeitung äußerer Eindrücke (Zusammenfas-
ziationen.                                                       sung bei [35]). Selbst bei Patienten, die klinisch als PVS im-
                                                                 ponierten, wurden fMRI-Aktivierungen mit erhaltenen
 Minimal bewusster Zustand („Minimally                          Bewusstseinsinhalten erklärt. Das Ausmaß der Bewusstseins-
                                                                 störung bei nicht-kommunikationsfähigen Patienten korre-
  Conscious State“ [MCS])                                        lierte mit der Reduktion der Verbindungen innerhalb des
Definition und klinische Kriterien                               DMV [16]. Besondere Beachtung fand eine Arbeit, die eine
Der Ausdruck wurde konsensuell definiert als ein Zustand mit     willkürliche Modulation der fMRI-Aktivität bei Patienten im
minimalen, aber eindeutigen verhaltensmäßigen Hinweisen          MCS, aber auch im PVS berichtete [36]. Den Patienten wurde
auf Bewusstseinsinhalte [1]. Giacino et al. [2] haben diagnos-   aufgetragen, sich Tennisspielen oder einen Gang durch ihr
tische Kriterien angegeben, diese können nur gelegentlich        Zuhause vorzustellen. Während dieser Aktivitäten kam es zu
nachweisbar sein. Eine längerdauernde und wiederholte Un-        einer Aktivierung von Kortexarealen im fMRI. Gegen die
tersuchung ist deshalb notwendig. Als Hinweise auf minimal       Annahme, dass dies ein Beweis für erhaltenes Bewusstsein
erhaltenes Bewusstsein wurden angesehen: gerichtete              sei, können mehrere Einwände angeführt werden. Es besteht
Schmerzabwehr, gerichtete Hinwendung zu akustischen Rei-         keine Möglichkeit zu verifizieren, dass die Aufträge verstan-
zen, anhaltende visuelle Fixation sowie situationsbezogen        den und in der geforderten Weise durchgeführt wurden. Das
Vokalisation, Lachen und Weinen. Deutliche Hinweise sind         Argument, dass die Aktivierung dies beweise, ist ein klassi-
Greifen nach Objekten, teilweise Befolgung von Aufträgen,        sches Beispiel eines Zirkelschlusses. Die Bezeichnung als

110   J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (3)
Minimal bewusster Zustand

„willkürliche Modulation“ mündet in der empirisch nicht          gen wurden nicht erwähnt. Die Bezeichnung PVS [24, 25]
beantwortbaren Frage, was denn Wille sei. Und schließlich        impliziert unveränderbare Irreversibilität, Erholungsstadien
bleibt die Unsicherheit der Wertigkeit von Surrogatpara-         finden nicht genügend Beachtung. UWS (CUWS) beschreibt
metern, die nicht durch eine Überprüfung der tatsächlichen       den Zustand ohne prognostische Festlegungen. Die Unter-
Endpunkte bestätigt werden können. Ropper [4] hat die Pro-       scheidung zwischen MCS und PVS führt zum Schluss, dass es
blematik im Titel seines Editorials auf den Punkt gebracht:      sich dabei um unterschiedliche Krankheitsbilder handelt.
„Cogito ergo sum by MRI“. Trotz aller Einwände aber unter-       Dies entspricht aber nicht den Verläufen. In diesem Zusam-
stützen die elektrophysiologischen und bildgebenden Befun-       menhang ist daran zu erinnern, dass Gerstenbrand schon in
de die Unterscheidung des MCS vom VS, wenn sie zusätzlich        seiner Monographie [22] mehrere Erholungsphasen des apal-
zum klinischen Befund und nicht isoliert gewertet werden.        lischen Syndroms systematisch beschrieben hat. Acht Re-
                                                                 missionsphasen wurden klinisch abgegrenzt. Auch wenn die-
 Prognose des PVS und MCS                                       se nicht durch Cluster-Analysen statistisch verifiziert wurden,
                                                                 stellen sie doch einen wichtigen grundsätzlichen Hinweis dar.
Berichte über unerwartete Verbesserungen des PVS nach jah-       CUWS und MCS sind Verlaufsphasen eines Krankheits-
relangem Verlauf haben zu ausgiebigen Diskussionen geführt       geschehens mit zahlreichen Übergängen, deren endgültige
[37–40]. Alle diese Einzelfälle relativieren die angegebenen     Prognose an kein absolutes zeitliches Limit gebunden ist.
zeitlichen Grenzen der Erholungsmöglichkeit [24, 25].            Schon aus der Definition und aus den Kriterien des MCS nach
Immer stellt sich auch die Frage nach der Sicherheit der Diag-   Giacino et al. [2] lässt sich ersehen, dass darin verschiedene
nose. Fehldiagnosen des PVS sind häufig [41–44].                 neurologische Abstufungen enthalten sind. Eine differenzier-
                                                                 te Charakterisierung der Erholungsphasen sowie deren Epide-
Giacino et al. [2] wiesen darauf hin, dass MCS kein stationä-    miologie können Grundlage zur Lösung therapeutischer, pro-
rer Zustand sein muss, sondern dass eine Erholung möglich        gnostischer und ethischer Fragen sein und sollten vordring-
ist. Neben chronischen MCS gibt es auch kurzfristige Bilder.     lich beforscht werden.
MCS kann nach Narkose [45] und in der posttraumatischen
Verwirrtheit [46] als kurzdauerndes Stadium beobachtet wer-
den. In den ersten Tagen oder Wochen nach neurochirurgi-
schen Eingriffen gibt es ebenfalls Zustände, die einem MCS         Relevanz für die Praxis
entsprechen. Insgesamt fehlen bislang epidemiologische An-        Die Diagnose des „Persistent Vegetative State“ (PVS) bzw.
gaben und auch Versuche, die verschiedenen Stadien nach           „Unresponsive Wakeful State“ (UWS) ist immer mit der
zeitlichen und neurologischen Gesichtspunkten systematisch        Gefahr verbunden, Bewusstseinsreste zu übersehen. Die
zu erfassen.                                                      Beschreibung des „Minimally Conscious State“ (MCS),
                                                                  das Hinzufügen der Ergebnisse von Zusatzuntersuchungen
Die verfügbaren prognostischen Daten sind deshalb nicht ein-      zu seinen Kriterien und die Berichte überraschender Ver-
heitlich. Giacino [47] betonte, dass die Prognosen bei länger-    läufe führten zu einer Neubewertung: PVS wird als Zu-
dauerndem MCS besser als beim VS waren. Lammi et al. [48]         stand mit offener Prognose angesehen. Ist das eine neue
untersuchten den Verlauf des posttraumatischen MCS nach 2–        Erkenntnis? Wissenschaftliche Umbrüche zeigen gelegent-
5 Jahren. Alle Patienten zeigten Residualschäden, die über-       lich das Vergessen früherer Daten [22] auf. In entsprechen-
wiegende Zahl blieb funktionell abhängig. Die Dauer des           den Zentren galt schon immer der Grundsatz, mit schwerst
MCS innerhalb der Grenzen von 27–615 Tagen erlaubte keine         hirngestörten Patienten so umzugehen, als ob eine Art Be-
prognostische Differenzierung. Luauté et al. [49] verglichen      wusstsein erhalten wäre. Zeitliche Limits einer Besse-
den Verlauf zwischen MCS und PVS. Nach einjähriger Dauer          rungsmöglichkeit wurden im Einzelfall nicht festgelegt.
des Zustandes verbesserte sich dieser bei 1/3 der MCS-Patien-     Die ethischen und therapeutischen Konsequenzen aus spät
ten, aber bei keinem im PVS. Jedoch blieben auch die gebes-       im Verlauf auftretenden Verbesserungen [39] und aus den
serten Patienten schwer behindert. Strauss et al. [50] unter-     Ergebnissen der Zusatzuntersuchungen [51] wurden durch
suchten das Überleben bei Kindern im PVS, im immobilen            diese Praxis vorweggenommen. Keine wie immer gearte-
MCS und im mobilen MCS. Kein Unterschied wurde gefun-             ten religiösen, weltanschaulichen, ökonomischen, politi-
den zwischen PVS und immobilen MCS (63 % bzw. 65 %                schen oder emotionellen Haltungen der agierenden Perso-
Überlebensrate). Ein signifikanter Unterschied mit 85 %           nen können das jeweilige Schicksal des Patienten bestim-
Überlebenden wurde beim mobilen MCS festgestellt. Trotz           men. Die praktischen ärztlichen Entscheidungen sollten
der begrenzten Aussagekraft dieser Studien kann mit Fins          daher nicht vorschnell getroffen werden. So genannte
[39] festgehalten werden, dass der MCS eine bessere Progno-       evidenzbasierte Richtlinien sind im Einzelfall immer im
se als ein diagnostisch gesicherter PVS hat und dass beide        Sinne einer möglichen Zustandsverbesserung zu hinterfra-
nicht kategorisch als irreversible statische Zustände aufge-      gen. Das Recht auf maximale Betreuung und Behandlung
fasst werden können, da späte Änderungen möglich sind.            schließt aber andererseits das Recht zu sterben nicht aus
                                                                  [52].
 PVS und MCS sind keine getrennten Er-
  krankungen, sondern Verlaufsstadien
  globaler zerebraler Funktionsstörungen                          Interessenkonflikt
Für schwere ZNS-Erkrankungen mit Bewusstseinsresten              Die Autoren haben im Zusammenhang mit der vorgelegten
wurde der neue Ausdruck MCS geprägt. Frühere Beobachtun-         Arbeit keine wie immer gearteten Interessenkonflikte.

                                                                                     J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (3)   111
Minimal bewusster Zustand

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112     J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (3)
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