Missing Money, Kapazitätsmärkte und die ökonomische Basis eines Stromsystems der Energiewende
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Missing Money, Kapazitätsmärkte und die ökonomische Basis eines Stromsystems der Energiewende Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) / Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich » Energiewende: Good Risk Governance? « Dr. Felix Chr. Matthes Zürich, 5. Juni 2014
Startpunkte für die Diskussion um das Strommarktdesign der Zukunft (1) • Massiver Investitionsbedarf in Erzeugungsanlagen und Netze (auch nach zwei Dekaden relativ niedriger Investitionen) • Politisch getriebene (und sinnvolle) Außerbetriebnahme von erheblichen Kraftwerkskapazitäten im vergleichsweise kurzen Zeitraum (maximal) einer Dekade (Kernenergie-Ausstieg und Luftreinhaltevorschriften im CWE-Markt, ca. 40.000 MW) • Dekarbonisierung des Energiesystems in den nächsten drei Dekaden, massiver Ausbau der Stromerzeugung auf Basis erneuerbarer Energien –mit starkem Anteil variabler Stromerzeugung • Im Verlauf der letzten Dekade massiv gestiegene Investitionskosten für konventionelle Kraftwerksanlagen • Massiv gesunkene Investitionskosten für regenerative (dezentrale) Kraftwerksanlagen (neue Herausforderung Grid-Parity) • Unvorteilhafte und (bisher) ungebrochene Preistrends auf den globalen Energiemärkten • Das EU ETS ist in der Krise, alle Reform-Maßnahmen werden frühestens im Lauf einer Dekade nachhaltige Preiseffekte zeitigen
Startpunkte für die Diskussion um das Strommarktdesign der Zukunft (2) • Sehr maßgeblich entstehen die Herausforderungen für die Sicherung einer (nachhaltigen) ökonomischen Basis für das Stromsystem aus der Überlagerung von zwei Transformationen der auslaufenden Übergangsphase zu voll liberalisierten Strommärkten: es beginnt die Phase, in der im größeren Stil – und ohne Sondereinflüsse (kostenlose Zuteilung von CO2-Zertifikaten) – Investitionen allein im liberalisierten Markt refinanziert werden müssen die (jenseits der Nische) beginnende Transformation des Stromsystems zu einem weitgehend dekarbonisierten System; weitgehend unabhängig davon, welche Präferenzen bzgl. der dominierenden CO2-freien Erzeugungsoptionen zum Tragen kommen, jedoch in besonderem Maße in einem Setting, in dem variable Erzeugungsoptionen wie Wind- und Solarenergie eine besonders große Rolle spielen
Auf dem Weg zum dekarbonisierten Stromsystem Vielfältige Dimensionen der Debatte • Es geht um die nachhaltige ökonomische Basis des Stromsystems im Kontext der Transformation zu einem regenerativen Stromsystem im Kontext einer ganzen Reihe anderer Entwicklungen • Im Kern müssen zwei Fragestellungen adressiert werden Wie können robuste Rahmenbedingungen für die notwendigen Investitionen geschaffen/erhalten werden? Wie kann ein zunehmend komplexes System mit extrem vielfältiger Trägerschaft – über Preissignale – koordiniert werden (mit Blick auf Betriebs- und Investitionsentscheidungen)? • Andere (“sekundäre”) Dimensionen der Debatte Zusammenbrechen der klassischen Geschäftsmodelle Risikoasymmetrien zwischen dem erneuerbaren, dem klassisch- konventionellen und dem komplementären (Nachfrageflexibilität, Speicher) Segment Zunehmende Kompetenzkonflikte/-inkonsistenzen in der EU
Langfristige Entwicklung der Strompreisstrukturen Vielfältige Einflussfaktoren Ausbau erneuerbarer Energien (politikgetrieben) Knappheitsbedingte CO2-Zertifikatspreise (politikgetriebene Internalisierung) Erhöhung der Brennstoffpreise (im Wesentlichen marktautonom) Abbau der Kohlekraftwerkskapazitäten (marktendogen und ggf. politikgetrieben) EUR/MWh 0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000 8.000 Stunden Öko-Institut 2014
Langfristige Entwicklung der Strompreisstrukturen Erwartbare Entwicklungen im CWE-Markt 90 80 70 60 PowerFlex 2015 €2010 / MWh 50 PowerFlex 2025 40 PowerFlex 2035 PowerFlex 2045 30 20 10 0 1 501 1001 1501 2001 2501 3001 3501 4001 4501 5001 5501 6001 6501 7001 7501 8001 8501 Öko-Institut 2014
Herausforderungen: Das Missing-Money-Problem mit seinen neuen Dimensionen (1) • Das Missing-Money-Problem im konventionellen Segment 1a) Kann der EOM sehr hohe Preise (>1000 €/MWh) erzeugen? Ohne jeden Zweifel. 1b) Können solche Preisniveaus über längere Zeiträume im Jahr (>50 Stunden) auftreten? Im Prinzip ja, angesichts der stochastischen Leistungsbeiträge v.a. der Windenergie sinkt die Wahrscheinlichkeit jedoch erheblich! 1c) Können solche Preisniveaus über längere Zeiträume im Jahr über mehrere Jahre (>5 Jahre) auftreten? Im Prinzip ja, sobald aber Investitionen in die Ausweitung des Leistungsangebots oder die Nachfrageflexibilität erfolgen, ist der Fortbestand dieser Preisniveaus unwahrscheinlich, siehe auch 1b). 2) Wird der Regulierer angesichts dieser Preisniveaus auf Eingriffe verzichten? …?! 3) Mit welchen Risikozuschlägen (wenn überhaupt) sind in dieser Situation Investitionen (Angebots- oder Nachfrageseite) möglich? …?!
Herausforderungen: Das Missing-Money-Problem mit seinen neuen Dimensionen (2) • Das Missing-Money-Problem im erneuerbaren Segment 1) Kann der EOM in den Zeiträumen jenseits der Spitzeneinspeisung von Sonne und Wind Preise erzeugen, die zur Refinanzierung der Investitionen und Wind- und Solarkraftwerke ausreichen? Theoretisch sind solche Konstellationen zumindest für bestimmte Anteile der Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie vorstellbar, es bedürfe jedoch extrem hoher – und aus heutiger Sicht: sehr unwahrscheinlicher – Brennstoff- bzw. CO2-Preise. 2) Wird der Regulierer angesichts solch hoher Preisniveaus, v.a. für CO2-Zertfikate auf Eingriffe verzichten? …?! 3) Mit welchen Risikozuschlägen (wenn überhaupt) sind in dieser Situation Investitionen in regenerative Kraftwerke möglich? …?!
Unterschiedliche Entwicklungsphasen erfordern unterschiedliche Rahmensetzungen 600 The new energy system: 100% Historical Legal National data committment (EU)• a renewables-based targets system The phase beyond the niche: 90% • new market design 500 • significant shares The early deployment phase: • storage as a significant 80% • transition from support feature of infrastructure • minor shares schemes to market design 70% 400 • support schemes • system & market integration • innovation & lead markets 60% • learning Geothermal TWh 300 50% Landfill gas Waste (biogenic) 40% 200 Biomass 30% Photovoltaics Wind - offshore 20% 100 Wind - onshore 10% Hydro 0 0% 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Öko-Institut
Startpunkte für ein nachhaltiges Strommarktdesign Umgang mit Unsicherheiten • Erneuerbare Energien (v.a. Sonne und Wind) werden sich bei ambitionierten Ausbaupfaden (>60%) nicht über den Strommengen- (Energy-only-) Markt (EOM) refinanzieren können Auslegungsentscheidungen haben weitreichende Implikationen für den (langfristig teuren) Flexibilitätsbedarf des Systems • Klassisch-konventionelles Stromerzeugungssegment wird sich unter wahrscheinlichen Entwicklungsszenarien für zentrale Rahmenbedingungen nicht über den Strommengenmarkt refinanzieren oder fixe Betriebskosten decken können wird für die nächsten zwei Dekaden eine wichtige Rolle behalten • Komplementäres Stromerzeugungs- und Flexibilitätssegment (Nachfrageflexibilität, Speicherung) bedarf – jenseits der „Low-hanging fruits“ –erheblicher Investitionen und ist mit einer besonders starken Risikowahrnehmungen behaftet ist das zentrale Segment für Flexibilitätsbereitstellung • Keines der Segmente ist allein über den EOM refinanzierbar
Aufgabe: Die anstehende Transformation einer polarisierten Struktur des Energiemarkts EEG: (implizite) Kapazitätszahlungen, Strommarkt nach der Liberalisierung: Konventionelle Energien Einheitsmodell, hohe Differenzierung Zahlungen für Energie, Grenzkostenpreise a) “Invest, produce & a) “Produce & forget forget” about investments” b) national b) Europa Das zukünftige Stromsystem: koordinationsintensiv (flexibler Dispatch, Systemdienstleistungen) kapitalintensiv, CO2-frei (regenerativ) Erneuerbare Energien Zahlungen für Energie & Systemdienstleistungen Zahlungen für Zahlungen für andere gesicherte Kapazität (CO2-freie) Kapazität a) Welcher Weg dorthin? b) Wieviel Europa in welcher Etappe
Das langfristige neue Marktdesign Der Sieben-Segmente-Ansatz (1) 1. Preissignale (und Einkommen) für Strommengen (existiert, auszuweiten und zu stärken) Koordinationsmechanismus für effiziente Betriebsentscheidungen 2. Preissignale (und Einkommen) für Systemdienstleistungen (existiert, zu öffnen, auszuweiten und zu stärken) 3. Preissignale (und Einkommen) aus der CO2-Bepreisung (EU ETS) (existiert, zu reanimieren) CO2-minimierende Betriebsentscheidungen Beitrag zu CO2-minimierenden Investitionsentscheidungen im klassisch-konventionellen Segment 4. Preissignale (und Einkommen) für gesicherte Kapazität (zu schaffen) Schließung der Refinanzierungslücke für Investitionen im klassisch- konventionellen (Residuallast-Kraftwerke) und im komplementären Segment (Nachfrageflexibilität, Speicher) Systemdienliche Kapazität als Finanzierungsgrundlage Preisbildung in transparenten Märkten, minimale EOM-Interferenzen
Das langfristige neue Marktdesign Der Sieben-Segmente-Ansatz (2) 5. Preissignale (und Einkommen) für CO2-freie/erneuerbare Kapazität (zu schaffen, Anschlussmechanismus für heutige Fördersysteme) Schließung der Refinanzierungslücke für Investitionen im regenerativen Segment Systemdienliche Kapazität als Finanzierungsgrundlage, Minimierung der EOM-Interferenzen Transparente Preisbildung 6. Preissignale (und Einkommen) für Energieeffizienz (zu schaffen) Flankierung von Energieeffizienz in einem zunehmend durch Kapazitätszahlungen geprägten Markt 7. Investitionen befördernder regulativer Rahmen für massive Infrastruktur-Erneuerungen und -Erweiterungen Zwei Erinnerungen: Kein Segment wird allein die vollständige Investitionsrefinanzierung ermöglichen Grenzüberschreitende Ansätze sind sinnvoll und anzustreben
Was bedeutet das für die europäische Energie- und Klimapolitik? • Die Europäische Union hat starke Kompetenzen im Strommengenmarkt (zumindest auf regionalem Niveau) sowie begrenzte Kompetenzen in den Systemdienstleistungsmärkten hat eine begrenzte Rolle im Bereich der Infrastruktur (-Planung) ist derzeit mit einer Krise des CO2-Markts konfrontiert hat derzeit seine Rolle im Bereich der Kapazitätsmechanismen/- märkte (noch) nicht gefunden hat derzeit (noch) keine – nicht destruktive – Rolle in Bezug auf Finanzierungsmechanismus gefunden hat keine Kompetenzen im Bereich der Versorgungssicherheit hat keine Kompetenzen im Bereich des Energiemixes • Stärkere EU-Komponenten sind daher auf der Grundlage des bestehenden Rechtsrahmens nur begrenzt möglich ist der bestehende Rechtsrahmen veränderbar? regionale Kooperationen auf freiwilliger Basis als Alternative?
Einige Schlussfolgerungen • In der vorfindlichen Situation und mit den existierenden Perspektiven ist das derzeitige Marktdesign (aus Energy-only- und Systemdienst- leistungsmärkten) zwar hoch effizient (sowie weiterhin und zunehmend unverzichtbar) zur Koordination des Betriebs, bildet mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit keine nachhaltige Basis für Investitionen (in allen Bereichen des Systems) • Die Erzeugung von Einkommensströmen zur Investitionsfinanzierung wird unausweichlich, dies wird letztlich als Erweiterung des Marktdesigns (Märkte für gesicherte Leistung und Märkte für CO2- freie/erneuerbare Leistung) umgesetzt werden müssen. • Für den Bereich der Erneuerbaren bedeutet dies einen Perspektiv- wechsel: weg vom Förderinstrumentarium und hin zum Marktdesign. • Es ist sinnvoll, diese Erweiterung des Marktdesigns ins (Teil-) Schritten zu gehen, um Anpassungs- und Lernprozesse sowie europäische Integration zu ermöglichen. • In der vorfindlichen (realen) Situation ist es sinnvoll, bei der Erweiterung des Marktdesigns Systemdienlichkeit und Kosteneffekte für die Verbraucher in den Ziel-/Design-Katalog aufzunehmen.
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit Dr. Felix Chr. Matthes Energy & Climate Division Büro Berlin Schicklerstraße 5-7 D-10179 Berlin f.matthes@oeko.de www.oeko.de twitter.com/FelixMatthes
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