Mit "Digitalen Schatten" Daten verdichten und darstellen - SE ...

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Mit "Digitalen Schatten" Daten verdichten und darstellen - SE ...
[JvdAB+21] M. Jarke, W. van der Aalst, C. Brecher, M. Brockmann, I. Koren, G. Lakemeyer, B. Rumpe, G. Schuh, K. Wehrle, M. Ziefle:
          Mit "Digitalen Schatten" Daten verdichten und darstellen.
          In: RWTH THEMEN - Profilbereich Information & Communication Technology (2/2020), pp. 18-23, image Druck + MEDIEN GmbH, Aachen, Feb. 2021.
          www.se-rwth.de/publications/

Matthias Jarke, Wil van der Aalst, Christian Brecher, Matthias Brockmann, István Koren,
Gerhard Lakemeyer, Bernhard Rumpe, Günther Schuh, Klaus Wehrle, Martina Ziefle

Mit „Digitalen Schatten“
Daten verdichten und
darstellen
Der Exzellenzcluster „Internet der Produktion“ forscht
über die Produktionstechnik hinaus

The DFG-funded Excellence Cluster                In der modernen Produktionstechnik sind           auf der Hannover Messe 2011 postulierten,
“Internet of Production” envisions a world-      große Mengen an Daten vorhanden. Diese            aber noch lange nicht umgesetzten Vision
wide network of data-sovereign knowledge         sind jedoch weder einfach zugänglich noch         „Industrie 4.0“ voran und ebnet den Weg in
creation and data sharing in cooperation         interpretierbar oder so vernetzt, dass daraus     eine neue Ära der Produktion.
between engineering and computer science,        effektiv Wissen generiert werden kann. Der        Im RWTH-Exzellenzcluster „Integrative Pro-
including also business and social science       RWTH-Exzellenzcluster „Internet der Produk-       duktionstechnik für Hochlohnländer“ (2006
aspects. This requires the integration of        tion“, der seit Januar 2019 von der Deut-         bis 2018) wurden herausragende modellge-
model-based and data-driven AI methods           schen Forschungsgemeinschaft im Rahmen            triebene Fortschritte in der Produktions- und
for coherent decision support in the             der Exzellenzstrategie gefördert wird, will       Materialwissenschaft erzielt. Der hierauf
development, operation, and usage cycles of      eine domänenübergreifende und weltweite           aufbauende Exzellenzcluster Internet der Pro-
production engineering. The cluster pursues      Kooperation ermöglichen: Die Aachener infor-      duktion, kurz IoP, ergänzt diese Ergebnisse
a novel transdisciplinary abstraction called     matische Infrastruktur soll die echtzeitfähige,   jetzt nicht nur um datengetriebene Ansätze
“Digital Shadows” to drive cross-domain          sichere Verfügbarkeit aller relevanten Daten      der Informatik, sondern auch um neue Ma-
research and innovation.                         zu jeder Zeit an jedem Ort in semantisch          nagementmethoden und Geschäftsmodelle.
                                                 angemessener und an die Diversität der Nut-       Zur Umsetzung gehen die RWTH-Wissen-
                                                 zenden in angepasster Qualität ermöglichen.       schaftlerinnen und Wissenschaftler aus den
                                                 Der Exzellenzcluster bringt so ein Ziel der       Bereichen Produktionstechnik, Informatik,

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Bild 1: Einbettung mathematischer Modelle in neuronale Optimierungsnetze am Beispiel des Warmwalzens in der stahlbasierten Automobilproduktion.

Werkstoffwissenschaften sowie Wirtschafts-                      zur integrativen Entwicklung und Validierung.
und Sozialwissenschaften interdisziplinäre                      „Domänenübergreifende Kooperation“ be-
Herausforderungen an. Die Integration von                       deutet zum einen die Vernetzung von mathe-
reduzierten produktionstechnischen Mo-                          matischen Modellen aus unterschiedlichen
dellen in datengetriebenes Machine Lear-                        ingenieur- und naturwissenschaftlichen Diszi-
ning dient einem domänenübergreifenden                          plinen. Hier sind in erster Linie Materialwis-
Wissensaufbau für eine kontext-angepasste                       senschaft und Produktionstechnik zu verzah-
und organisationsübergreifend vernetzte                         nen, die jeweils in einem „Cluster Research
Produktionstechnik. Erforscht werden auch                       Domain“ behandelt werden. Dazu zwei Bei-
neue Methoden des ganzheitlichen Arbeitens,                     spiele: Feinschleifmaschinen für Flugzeug-
Stichwort New Work. Ingenieurwissenschaft-                      oder Kraftwerksturbinen arbeiten aufgrund
liche Methoden und Prozesse werden mit                          modellgetriebener Steuerungsverfahren mit
sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen                       enormer Geschwindigkeit und Präzision, sind
Verfahren vernetzt und verbessert. Der                          allerdings deshalb auch hohen Schadens-
RWTH Aachen Campus bietet mit seinen For-                       risiken bei Kohlenstoffverunreinigungen im
schungsinstituten und industriellen Partnern                    verwendeten Stahl ausgesetzt. Es müssen
einzigartige infrastrukturelle Voraussetzungen                  daher extrem teure Spezialstähle eingesetzt

                                                                                                                                                  | 19
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werden. Mit realzeitfähigen maschinellen          Die Arbeiten in den einzelnen Cluster Re-
       Lernverfahren, welche die mathematischen          search Domains werden über ausgewählte
       Modelle um einen datengetriebenen Aspekt –        Anwendungsfälle verzahnt. Die Vision geht
       die Erkennung und Umgehung von Verun-             jedoch weit über die eigentlichen Produk-
       reinigen im einstelligen Millisekundenbereich     tionsprozesse hinaus: Drei weitere Cluster
       – ergänzen, könnten wesentlich günstigere         Research Domains behandeln daher den
       Stähle verwendet werden.                          vorgelagerten Entwicklungsprozess, die
       In stahlbasierten Produktionsprozessen ist        nachgelagerte Nutzung der Produkte und
       das Warmwalzen im Hinblick auf Qualitäts-         das gesamtheitliche Management aller ein­
       ziele wie Materialstärke und Granularität einer   zelnen Aspekte.
       der energieintensivsten Arbeitsschritte, mit      „Domänenübergreifende Kooperation“ be-
       einem erheblichen Anteil am CO2-Fußab-            deutet im Exzellenzcluster also auch konti-
       druck der Industrie weltweit. Entscheidend        nuierlichen Austausch zwischen den jeweils
       für Verbesserungen ist das Scheduling der         schon in sich komplizierten Netzwerken der
       Abläufe in den großen Walzstraßen. Übliche        Bereiche Entwicklung, Betrieb und Nutzung.
       Finite-Elemente-Simulationen brauchen für         So wird ein „World Wide Lab“ als Grundlage
       die Bewertung eines einzelnen manuell er­         einer neuen Ära der Produktion angestrebt.
       stellten Ablaufvorschlags bis zu vier Stun-       Diese Vision trifft auf erhebliche soziale,
       den, so dass man nur sehr vorsichtig und          wirtschaftliche und politische Herausforde-
       aufgrund jahrelanger Erfahrung planen kann.       rungen. Daten müssen angepasst an die
       Im Exzellenzcluster „Integrative Produktions­     Interessen, Kulturen und Kompetenzen der
       technik für Hochlohnländer“ gelang eine           enormen Diversität von Nutzern erhoben
       Kombination reduzierter mathematischer            und präsentiert werden, um wirklich Wert zu
       Modelle, die bei fast gleicher Simulations-       schaffen. Zudem wollen viele Unternehmen
       qualität die Zeit auf etwa 50 Millisekunden       möglichst viele Daten sammeln und auswer-
       reduziert – ein Beschleunigungsfaktor von         ten, sind aber umgekehrt kaum bereit, Daten
       rund 100.000! Beschleunigt wurde allerdings       bereitzustellen.
       nur die Bewertung eines bereits existierenden     Entscheidend wird es im Sinne der digitalen
       Plans, aber weder das aktive Finden guter         Souveränität aller Beteiligten sein, produkti-
       Schedules noch die dynamische Anpassung           onstechnische Datenökosysteme zu ent-
       an Kontextveränderungen – beispielsweise          wickeln, die in hohem Maße wertschaffend
       Veränderung der Luftfeuchtigkeit – während        sind, aber den geschaffenen Wert auch fair
       des Warmwalzens selbst. Im Exzellenzcluster       verteilen. Auch auf diese Forschungsfragen
       Internet der Produktion wurde daher das ma-       wird sowohl modellgetrieben als auch em-
       thematische Modell als Bewertungsverfahren        pirisch-datengetrieben anhand existierender
       im Training eines neuronalen Netzes („deep        allianzgetriebener Datenplattformen im in-
       machine learning“) mit realen und simulierten     dustriellen Bereich eingegangen. Die Wissen-
       Beispielabläufen eingebaut. Das trainierte        schaftlerinnen und Wissenschaftler koope-
       neuronale Netz wird so zur schnellen „Such-       rieren dabei eng mit deutschen und euro-
       maschine“ für optimale Schedules. So lässt        päischen Initiativen wie der International
       sich mit wesentlich günstigeren Toleranzen        Data Space Association und der geplanten
       planen, weil viele Veränderungsrisiken noch       GAIA-X-Infrastruktur.
       zur Laufzeit abgefangen werden, und damit
       ein signifikanter Beitrag zur Verminderung
       des Klimawandels leisten.

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Bild 2: Der Exzellenzcluster „Internet der Produktion“ bietet Lösungen für Datenvielfalt und Integrationsprobleme beim lebenszyklusweiten Zusammenspiel zwischen Produktentwicklung, Produkti-
onsbetrieb und Produktnutzung.

Bild 3: Digitale Schatten verdichten die riesigen Datenströme und passen damit reduzierte Modelle an die jeweiligen Aufgabenkontexte an.

                                                                                                                                                                                          | 21
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Bild 4: Die Professoren Matthias Jarke (links) und Christian Brecher (rechts) koordinieren im Sprecherteam mit Professor Günther Schuh und Dr. Matthias Brockmann die interdisziplinäre
Kooperation im Exzellenzcluster „Internet der Produktion“.
Foto: Peter Winandy

„Digitale Schatten“ als Kernkonzept                                 Digitale Schatten Daten und passen deren                         · Aus kommerzieller Sicht sind Digitale
Viele Digitalisierungsansätze verfolgen das                         Darstellung an die unterschiedliche Benut-                         Schatten wertvolle Einheiten von Service-
Konzept „digitaler Zwillinge“ – eine echtzeit-                      zerperspektiven und -fähigkeiten an.                               austausch und Handel, erfordern daher
fähige Simulation, die ein soziotechnisches                       · Die kompakte Darstellung macht es mög-                             aber auch besondere IT-Sicherheit und
Objekt parallel zu seiner Lebensdauer über­                         lich, Digitale Schatten mit geringer Belas-                        Datenschutz.
wachend und steuernd begleitet. Der Ex­                             tung der Kommunikationsnetze schnell
zellenzcluster ist allerdings zu komplex, um                        zwischen maschinennahen („edge“) und                             Entwickelt werden Digitale Schatten für de­
einen digitalen Zwilling zu realisieren. Die                        zentralen Rechnern („cloud“) zu verschie-                        taillierte interdisziplinäre Einzelaufgaben der
Infrastruktur unterstützt daher eine Vielzahl                       ben oder sogar im Netz selbst zu berech-                         Produktionstechnik und Materialwissen-
kleinerer, interagierender Objekte, „Digitale                       nen.                                                             schaft. Diese sind aber auch in grobgranulare
Schatten“ genannt:                                                · Dadurch kann die Berechnung Digitaler                            Management-Fragestellungen eingebettet.
· Digitale Schatten kombinieren modell- und                         Schatten an wechselnde Ressourcen und                            So unterstützt beispielsweise das „Process
   datengetriebene interdisziplinäre Ansätze in                     Echtzeitanforderungen angepasst werden,                          Mining“ auf Basis mathematischer Petrinetz-
   einer jeweils kontextangepassten Weise.                          aber auch alle Delegationsmöglichkeiten                          Modelle datengetriebene Analysen von rie-
· Ausgehend vom traditionellen View-Kon-                            an spezielle Hochleistungsprozessoren                            sigen Ereignismengen zur Entdeckung, For-
   zept im Datenbankbereich verdichten                              nutzen.                                                          malisierung und Compliance-Überwachung

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Autoren
                                                                                                 Univ.-Prof. Dr. rer. pol. Matthias Jarke ist Inha-
                                                                                                 ber des Lehrstuhls für Informatik 5 (Informa-
                                                                                                 tionssysteme und Datenbanken) und Leiter
                                                                                                 des Fraunhofer-Instituts für Angewandte
                                                                                                 Informationstechnik FIT.
                                                                                                 Univ.-Prof. Dr. ir. Dr. h.c. Wil van der Aalst ist
                                                                                                 Inhaber des Lehrstuhls Process and Data
                                                                                                 Science.
                                                                                                 Dr. rer. nat. István Koren ist wissenschaftlicher
                                                                                                 Mitarbeiter am Lehrstuhl für Informatik 5
                                                                                                 (Informationssysteme und Datenbanken).
                                                                                                 Univ.-Prof. Gerhard Lakemeyer, Ph.D., betreut
                                                                                                 das Lehr- und Forschungsgebiet Informatik 5
                                                                                                 (Wissensbasierte Systeme).
                                                                                                 Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Bernhard Rumpe ist
                                                                                                 Inhaber des Lehrstuhls für Informatik 3 (Soft-
                                                                                                 ware Engineering).
                                                                                                 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Klaus Wehrle ist Inhaber
                                                                                                 des Lehrstuhls für Informatik 4 (Kommunikati-
sowohl für diskrete technische Abläufe als       einem ge­meinsamen „Data Lake“ semantisch       on und verteilte Systeme).
auch für Geschäftsprozesse. Die Dokumen-         zu verknüpfen, daraus und aus ihren jewei-      Univ.-Prof. Dr. phil. Martina Ziefle ist Inhaberin
tation der interdisziplinären und organisati-    ligen mathematischen Methoden Digitale          des Lehrstuhls für Kommunikationswissen-
onsübergreifenden semantischen Verknüp-          Schatten zu generieren und diese flexibel und   schaft.
fungen erfolgt über Wissensgraphen, die          sicher im Netz cloudbasiert oder maschinen-     Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Brecher ist Inha-
auch in die Nationale Forschungsdaten-           nah nutzbar zu machen.                          ber des Lehrstuhls für Werkzeugmaschinen
Infrastruktur für die Ingenieurwissenschaften,   Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-      und im Direktorium des Werkzeugmaschi-
kurz NFDI4Ing, einfließen. Bislang lag der       ler arbeiten mit internationalen Partnern und   nenlabors WZL.
Schwerpunkt darauf, das Konzept des World        führenden Infrastrukturanbietern wie Siemens    Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Günther
Wide Lab am Beispiel von Fallstudien zu          Mindsphere, Amazon Web Services oder            Schuh ist Inhaber des Lehrstuhls für Pro-
evaluieren und zu demonstrieren, die durch       SAP Hana zusammen, um parallel zur Grund-       duktionssystematik und im Direktorium des
die Infrastruktur des RWTH Aachen Campus         lagenforschung auch den kontinuierlichen        Werkzeugmaschinenlabors WZL.
ermöglicht werden. In einem ersten Schritt       Informationsaustausch und Technologietrans-     Dr.-Ing. Matthias Brockmann ist Geschäfts-
wurde eine Pipeline demonstriert, die es         fer zu sichern.                                 führer des Exzellenzclusters „Internet der
einer örtlich verteilten Gruppe von Instituten                                                   Produktion“.
ermöglicht, ihre unterschiedlichen Daten in

                                                                                                                                              | 23
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