Moneymarkets Das Wachstum wird sich fortsetzen" - INTERVIEW - Deutsche Bank
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
moneymarkets INTERVIEW Das Wachstum wird sich fortsetzen“ von ARNO KONKEL 40 FOCUS-MONEY 36/2021 FM36040A 40 27.08.21 09:50
Dr. Ulrich Stephan, Sie haben eine schwungvolle Erholung in Europa angekündigt. Nach den schwachen volkswirtschaftlichen Daten aus China und der Angst vor der Chef-Anlagestratege Delta-Variante des Coronavirus ist die Luft allerdings zwischenzeitlich aus den europäischen Indizes gewichen. Worauf haben sich Anleger nun einzu- Privat- und Firmenkun- stellen? den bei der Deut- Dr. Ulrich Stephan: Es war und ist natürlich klar, dass sich die Wachstumsdynamik mit fortschreitender Zeit wieder verlangsamen schen Bank, spricht würde. Die Entwicklung im ersten Halbjahr 2021 – und hier spezi- im großen FOCUS- ell im zweiten Quartal – ist im Vergleich zum Vorjahr vor allem durch Aufholeffekte gekennzeichnet. Daher ist die derzeitige Situa- MONEY-Interview über tion weder überraschend noch besonders erschreckend. Das bedeu- tet allerdings nicht, dass wir auf eine Rezession zusteuern – im Ge- günstige Aktien, genteil. Das Wachstum wird sich im laufenden Jahr und auch 2022 seine favorisierten fortsetzen. Kürzlich gab die Bundesbank ihre BIP-Prognose heraus und geht für Deutschland für 2021 von 3,7 Prozent Zuwachs aus. Branchen und warum Dabei soll die Dynamik im dritten Quartal 2021 gegenüber dem Vor- quartal noch einmal zunehmen. Für 2022 sind es dann 5,2 Prozent. ihm trotz hoher In den USA, in China und in Asien wird sich die Wachstums Inflation die geschwindigkeit meiner Ansicht nach etwas reduzieren. Fantasie für Gold fehlt Viele Volkswirtschaften sind eng mit der chinesischen verknüpft. Welche Folgen hat der schwache wirtschaftliche Ausblick Chinas für die Weltwirt- schaft? Stephan: Frei nach dem ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton: „It’s the politics, stupid“. Wirtschaft und Konjunktur sind in China stark politisch getrieben. Beispiel Stahlproduktion: Chinas Regie- rung möchte den Ausstoß für 2021 auf dem Niveau von 2020 ein- frieren. Nach einem Zuwachs von acht Prozent im ersten Halbjahr bedeutet das nun, dass im zweiten Halbjahr zehn Prozent weniger Vita erzeugt werden sollen. Unmittelbar nach der Ankündigung san- ken die Preise für Nickel und Eisenerz. Das sind aber, so gesehen, Dr. Ulrich Stephan hausgemachte und gewollte Maßnahmen. Es ist denkbar, dass die People’s Bank of China, also die chinesische Zentralbank, im Sep- Studium der Betriebs- und Volkswirt- tember noch einmal die Mindestreservesätze für die Banken senkt, schaftslehre. 1997 Promotion an der um Liquidität zur Verfügung zu stellen. Wir rechnen im laufenden Universität zu Köln und am Massachusetts Jahr für China mit gut acht Prozent BIP-Wachstum und im kom- Institute of Technology menden Jahr mit mehr als fünf Prozent. Das ist also schon Jammern auf hohem Niveau. Ab 2001 als Chief Investment Officer für Anlagestrategien und Portfolio-Manage- Da liegen Sie mit Ihrer Wachstumsprognose gleich zwei Prozentpunkte über ment für Privatkunden verantwortlich der der chinesischen Regierung. Sind Chinas Volkswirte mit einem BIP- Wachstum von sechs Prozent einfach zu konservativ unterwegs? Von 2008 bis 2010 Leitung des Private Stephan: Die sechs Prozent beziehen sich auf den Durchschnitts- Banking für Privat- und Geschäftskunden wert. Wenn China das große Ziel erreichen möchte, Mitte der der Deutschen Bank 2030er-Jahre das Wohlstandsniveau eines mittleren Industrie- staats aufzuweisen, braucht es Wachstumsraten von etwa fünf Pro- Chef-Anlagestratege für Privat- und zent pro Jahr. Außerdem hat die gesamte chinesische Wirtschaft Firmenkunden der Deutschen Bank die ökologische Transformation noch vor sich. Dafür wird eben- seit 2010. In dieser Funktion verant- falls noch viel Geld fließen. Ich bin optimistisch, dass China wei- wortet er seit 2010 die Marktanalyse terhin wachsen wird. und die Anlagestrategie Reißende Lieferketten in der Chip-Industrie und Warteschlangen vor Chinas Im Juli 2021 zusätzlich Übernahme der Häfen bereiten Ihnen mit Blick auf die Weltwirtschaft kein Kopfzerbrechen? Funktion des Chef-Anlagestrategen für Stephan: Die Diskussion um Lieferketten und Häfen ist corona- vermögende Privatkunden (Wealth bedingt. Acht von zehn der weltgrößten Häfen liegen in China. Die- Management) in Deutschland se können aufgrund der No-Covid-Strategie allerdings nicht an der Kapazitätsgrenze arbeiten. Bei manchen Häfen ist auch die Infra- struktur nicht auf dem neuesten Stand. Anders als sonst bei kon- FOCUS-MONEY 36/2021 Foto: Tim Wegner/Deutsche Bank 41 FM36041A 41 27.08.21 09:50
moneymarkets junkturellen Umschwüngen haben wir es derzeit allerdings Wie beurteilen Sie die Bewertung des deutschen Leitindex? nicht mit einer Nachfrageproblematik zu tun. Die Nachfra- Stephan: Der Dax weist ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von ge ist riesengroß, aber das Angebot hält nicht Schritt. Das derzeit 13,9 aus. Im Vergleich zu US-Werten – und speziell äußert sich nun in steigenden Preisen, beispielsweise bei Tech-Werten – ist das günstig. Grundstoffen und Zwischenprodukten. Aber auch bei der Containerschifffahrt, deren Preise sich teilweise verzehn- Welche Branchen sehen Sie denn vorn, welche haben noch Kraft für facht haben. Für einige Branchen ist das fraglos ein schwie- Zuwächse? riges Umfeld. Dennoch denke ich nicht, dass dadurch die ge- Stephan: Ich denke, dass noch in diesem Jahr die großen samte Konjunktur aus der Bahn geworfen wird – weder in Corona-Verlierer zur Aufholjagd blasen werden. Das sind diesem noch im nächsten Jahr. Vielmehr rechne ich mit ei- hauptsächlich zyklische Aktien, die in den vergangenen Mo- nem temporären Effekt, der sich bei Überwindung der Pan- naten aufgrund der Delta-Variante und lückenhafter Liefer- demie mit steigender Impfquote auflösen wird. ketten nicht gut gelaufen sind. Finanzwerte haben gute Chancen, von Versorgern und Verbrauchsgüterproduzenten Was bedeutet das für die Börse? Müssen wir dennoch erst einmal mit (Haushaltsartikel) würde ich erst einmal die Finger lassen. einer Korrektur rechnen? Stephan: Wir sehen seit Mitte März 2020 durchweg stei- Der Dax hat bald 40 Mitglieder, da fällt die Wahl bei den Blue Chips gende Börsenkurse. Geld- und Fiskalpolitik haben den Trend noch schwerer. Empfinden Sie die Reform als Aufwertung für den befördert, die Volatilität ist insgesamt gesunken. Nach dem Index? herausragenden zweiten Quartal 2021 mit Unternehmens- Stephan: Ja, vor allem mit Blick auf die Marktkapitalisie- gewinnen, die sich im Durchschnitt im Vergleich zum Vor- rung, die natürlich mit mehr Mitgliedern um etwa ein Fünf- jahr praktisch verdoppelt haben, kann es nun passieren, dass tel steigen wird. Parallel dazu steigt aber auch die Qualität, die Gewinndynamik etwas nachlässt. In Verbindung mit der da die Unternehmen mindestens zwei Jahre Gewinn (auf Tapering-Diskussion in den USA ist es möglich, dass die Bör- Ebitda-Basis, Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibun- se dann korrigiert. Das halte ich angesichts der bisher rasan- gen) gemacht haben müssen, im Prime Standard der deut- ten Erholung allerdings für konsequent und gesund. Für An- schen Börse notiert sein müssen und das Berichtswesen ins- leger ergibt sich bei einer kurzfristigen Korrektur die Chance gesamt höhere Anforderungen stellt. Auf diese Weise wird für einen Einstieg. der Dax sicherlich noch mehr internationales Publikum an- ziehen. Es wird mehr Handel geben und die Liquidität wird Wann sehen wir denn die 17 000-Punkte-Marke im Dax, wenn die Kor- steigen. Andererseits dürfen wir nicht vergessen, dass der rektur lediglich temporär ist? MDax etwas an Attraktivität verliert, wenn zehn seiner Mit- Stephan: Eine Korrektur ist keine Katastrophe. Sie bietet glieder in den Dax aufsteigen werden. Chancen. Ich denke, der Dax könnte sich im kommenden Jahr in Richtung 17 000 Punkte bewegen. Was sind schließ- Wer sind denn die großen Aufstiegsprofiteure unter den Dax- lich die alternativen Anlagen zu Aktien? Neulingen? Stephan: Das ist schwierig zu sagen. Historisch betrachtet, Was erwarten Sie für die Entwicklung der Unternehmensgewinne in profitieren Aufsteiger in den ersten zwölf Monaten der Zuge- Deutschland, im Dax? hörigkeit so gut wie gar nicht. Meist verzeichnen die Unter- Stephan: Für 2021 rechnen die Analysten nehmen Zuwächse im Zeitraum vor dem ei- mit 42 Prozent Zuwachs, im kommenden gentlichen Aufstieg. Gemessen an der Größe Jahr werden es etwa sechs Prozent sein. Er- des Streubesitzes, der für die Börse ein wich- staunlich ist, dass wir nach wie vor positive tiges Kriterium ist, ist Airbus der größte Auf- Gewinnrevisionen verzeichnen. Die Ge- steiger. Die Entwicklung wird allerdings eher winnerwartungen steigen also weiter, was von der Frage getrieben werden, wie es nach ein positives Signal von Unternehmensseite Eine der Pandemie mit der Luftfahrt weitergeht. darstellt. Korrektur Einen äußeren Einflussfaktor stellt die Bundes- Dann können wir also davon ausgehen, dass die tagswahl im September dar. Oder stimmt es Gewinnentwicklung der Unternehmen die Kurse ist keine tatsächlich, dass politische Börsen kurze Beine weiterhin rechtfertigen wird? haben? Stephan: Richtig. Teilweise ist es sogar so, Katastrophe“ Stephan: Dieses Mal scheint es in der Tat dass bei einigen Aktien und sogar komplet- etwas anders zu sein. Wir befinden uns mit ten Indizes die Gewinnerwartungen höher dem Ende der Ära Merkel vor einem großen gestiegen sind als die zugrunde liegenden Wechsel. Schauen wir uns die Umfragen an, Kurse und diese somit in der Bewertung he- ergibt sich nach wie vor ein diffuses Bild ohne runtergekommen sind. Das wird sich nicht klaren Favoriten. Das macht eine Prognose in dem Maß fortsetzen, da die Gewinne nicht schwierig und sorgt für Unsicherheit bei gro- mehr in dieser Größenordnung steigen wer- ßen Fragen. Beispielsweise in der Europa-Po- den. Aber sie steigen. litik und in der Umweltpolitik im Sinne der 42 FOCUS-MONEY 36/2021 FM36042A 42 27.08.21 09:50
grünen Transformation. Ich rechne damit, gen Bundesanleihen bei minus 0,4 Prozent. dass wir keinen grundsätzlichen Richtungs- Das ist erstaunlich. Die Sitzungsprotokolle wechsel erleben werden. Daher wird Wir verzeich der US-Notenbank deuten an, dass noch im Deutschland weiterhin ein wichtiger und laufenden Jahr mit einer Rückführung des spannender Finanzplatz für Investoren sein. nen nach wie Anleihenkaufprogramms begonnen werden könnte. Der Markt rechnet mit einem ersten Aktien eignen sich auch in einem Umfeld mit hoher vor positive Zinsschritt im kommenden Jahr, zwei weite- Inflation. Welche Entwicklung erwarten Sie bei re sollen 2023 folgen und 2024 wiederum der Teuerung? Gewinn ein weiterer Zinsschritt, womit wir erneut Stephan: Die Notenbanken glauben, dass bei einem Leitzins von einem Prozent stün- die hohe Inflation ein temporärer Effekt ist, revisionen“ den. In Summe würde das lange Ende der der durch Basiseffekte und administrative Zinsen nach oben schnellen. Wenn es noch Preise getrieben ist. Will sagen: Wir haben im laufenden Jahr zum Tapering kommt, im laufenden Jahr mit einer besonders ho- sind für T-Bonds 1,75 Prozent realistisch. hen Inflation von bis zu fünf Prozent zu rech- Die Bundesanleihe käme dann vielleicht auf nen, aber bereits im kommenden Jahr redu- minus 0,2 Prozent. ziert sich der Wert aufgrund des Basiseffekts. Als inflationsfördernd können sich die Lohnverhandlungen Kürzlich warnten Sie, dass die Zinssensitivität im S&P-500 auf einem mit den Gewerkschaften erweisen. Diese werden ihre Forde- Rekordhoch notiert. Was haben sich Anleger darunter vorzustellen? rungen natürlich nicht an den niedrigen Inflationserwartun- Stephan: Wenn Sie künftige Gewinne der Unternehmen gen für das kommende Jahr orientieren, sondern an der mo- bewerten möchten, benötigen Sie einen Zins. Denn die künf- mentan hohen Inflationsrate von etwa vier Prozent. In den tigen Gewinne müssen auf den heutigen Tag abdiskontiert USA lassen sich diese Tendenzen beobachten. Im Gastrono- werden, um vergleichbar zu sein. Je höher der Zinssatz ist, miebereich sind die Löhne bereits deutlich gestiegen. Auch desto weniger sind die potenziellen Gewinne der Zukunft deshalb, weil kaum Personal zu finden ist. Ich erwarte in die- heute wert. Wenn wir uns nun fragen, wo die Werte mit gro- sem Jahr eine hohe Inflationsrate, die sich – wie beschrieben ßen Gewinnhoffnungen beheimatet sind, kommen wir – 2022 abschwächen sollte. Allerdings ist aufgrund der geld- schnell auf die Technologie und damit auf die USA. Speziell und fiskalpolitischen Maßnahmen, verbunden mit der öko- Aktien aus den Bereichen Wasserstoff und E-Mobilität und logischen Transformation, einer höheren Resilienz der andere Werte der ökologischen Transformation wurden be- Lieferketten und potenziell steigernder Löhne eine höhere reits zu Jahresanfang stark abgestraft, weil der Zins etwas künftige Inflationsrate angelegt. gestiegen ist. Und diese von mir gern als Millennial-Aktien bezeichneten Werte wären auch jetzt wieder von einem Zins- Eine hohe Inflation vernichtet auch Erträge. In Deutschland ist der anstieg betroffen, da sie zukünftig hohe Gewinne erwarten Realzins auf einem Rekord-Tiefstand. Für die US-Aktien rechnen ei- lassen, momentan aber teilweise keine vorweisen können. nige Analysten mit Erträgen von nur noch zwei Prozent. Das klingt Sie sind also zinssensitiv. Im Gegensatz zu beispielsweise für Anleger sehr bitter. robusten Versorgern oder etablierten Telekommunikations- Stephan: Zwei Prozent halte ich für extrem wenig. Allein unternehmen. die Dividenden und Aktienrückkaufprogramme sollten in ei- ner Bandbreite von drei bis vier Prozent liegen. Letztere ha- Wie sollten sich denn Anleger nun positionieren? Welche Regionen ben in den USA einen hohen Stellenwert und ziehen derzeit und Branchen sind Ihre Favoriten? wieder an. Wenn wir zusätzlich noch volkswirtschaftliches Stephan: Ich sehe Chancen bei zyklischen Werten: Touris- Wachstum verzeichnen, bin ich fest davon überzeugt, deut- mus, Finanzen, Energie, Bau und Konstruktion, europäische lich mehr als zwei Prozent Ertrag mit US-Aktien erzielen zu Stahlwerte, aber auch Automobilhersteller. Letztere könn- können. Ich gehe aber davon aus, dass sich Europa und Ja- ten sich trotz der Halbleiterdiskussion und vor allem vor dem pan mit Blick auf die Vielzahl an zyklischen Werten mittel- Hintergrund der E-Mobilität positiv entwickeln. fristig besser entwickeln könnten als die USA. Wie stehen Sie zu Gold angesichts der hohen Inflation? Wenn wir geografisch in den USA bleiben, drängt sich jetzt die Fra- Stephan: Gold gehört als Absicherung ins Depot, ist meiner ge auf, was wir von der Fed zu erwarten haben. Genauer gesagt: Ansicht nach aber nicht der Renditebringer der Stunde. Zu- wann wir welche Maßnahme zu erwarten haben und wie sie sich auf dem müssen Sie Dollar und Zinsen im Blick behalten. In ei- die Märkte auswirken wird. Denken Sie, dass eine weniger großzü- nem Umfeld mit hoher Inflation ist Gold prinzipiell interes- gige Geldpolitik bereits im Anleihenmarkt eingepreist ist? sant, doch bei hoher Inflation steigen tendenziell auch Stephan: Der Anleihenmarkt gibt uns in der Tat einige Rät- wieder die Zinsen, was das Edelmetall wiederum unattrak- sel auf. In den USA liefen die zehnjährigen Anleihen bis auf tiv macht. Mir fehlt momentan die Fantasie für höhere Gold- 1,75 Prozent Rendite. In Deutschland hat sich die Bundes- preise. anleihe zeitweilig der Null von unten angenähert. Mittler- weile befinden wir uns im amerikanischen Anleihenmarkt Aber nicht für Aktien? wieder bei 1,35 Prozent und in Deutschland mit zehnjähri- Stephan: So sieht es aus. FOCUS-MONEY 36/2021 43 FM36043A 43 27.08.21 09:50
Sie können auch lesen